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Bildende Kunst: Parastou Forouhars Ornamente
Muster
der Gewalt
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Schönheit und Gewalt.
»The Time of Butterflies« hat Parastou Forouhar dem Widerstand ihrer Mutter gewidmet.
Die aus dem Iran stammende Künstlerin Parastou Forouhar setzt mit ihren Werken auf den zweiten Blick. Zunächst pittoresk wirkende Ornamente zeugen bei genauerer Betrachtung von Unrecht und Unmenschlichkeit. Von Cornelia Wegerhoff
Drei Porträts in Schwarz-Weiß: Vertraute Posen, mal ist der Kopf leicht geneigt, mal ins Profil gedreht. Die Gesichter selbst sind anonyme Schattenrisse. Bei näherem Hinsehen lässt sich erkennen, dass die Konturen, die Augen, Nasen und Münder aus Dutzenden Umrissen menschlicher Körper bestehen. Es sind Digitalzeichnungen schwarzer Gestalten, die fesseln, schlagen, würgen, morden, daneben in Weiß ihre Opfer, die leiden, womöglich gerade sterben – eine ganze Sammlung schockierender Folterszenen. »Ich versuche, die Betrachter_innen meiner Kunstwerke mit sich selbst und ihrer eigenen Wahrnehmung zu konfrontieren«, erklärt Parastou Forouhar, die die Bilder geschaffen hat. Zuerst erkenne man das Gewohnte. Doch beim Blick auf die Details offenbaren sich – quasi im Innenleben der Porträtierten – jene Szenen der Gewalt. »Es sind Gleichzeitigkeiten, die die Welt ausmachen, und für die wir auch in jeweils gleichem Maße verantwortlich sind«, mahnt die Künstlerin. Die drei Schwarz-Weiß-Bilder porträtieren in Wahrheit eine Gesellschaft, die Folter und Mord zulässt. Da soll niemand wegschauen.
Parastou Forouhar ist Professorin an der Kunsthochschule Mainz, die zur Johannes-Gutenberg-Universität gehört. Sie lebt
seit 30 Jahren in Deutschland, ist aber gleichwohl eine der prominentesten Stimmen der iranischen Gegenwartskunst. Forouhar wurde 1962 in Teheran geboren. Mit der schmerzhaften Diskussion über Recht und Unrecht, Menschenwürde und Menschenverachtung ist sie aufgewachsen. Ihre Eltern, Dariush und Parwaneh Forouhar, waren beide politisch aktiv, kämpften für Demokratisierung und soziale Gerechtigkeit im Iran. Während der Schah-Ära war Dariush Forouhar deshalb insgesamt 14 Jahre lang in Haft. »Da ist Papas Haus«, hätte ihr kleiner Bruder nichts ahnend gerufen, wenn sich die Geschwister bei Besuchen dem Gefängnis näherten. Und auch daheim stand während ihrer Kindheit oft genug der Geheimdienst vor der Tür, erinnert sich Parastou Forouhar. Ihre Eltern gaben oppositionelle Nachrichtenblätter heraus. Als die Beamten bei einer der vielen Hausdurchsuchungen sogar den Kühlschrank kontrollierten, habe ihre Mutter schallend gelacht und gespottet, dass sich »verräterische« Schriften gekühlt natürlich länger frisch hielten.
Die Eltern vom Geheimdienst ermordet
»Wenn man in einer Familie aufwächst, in der die Eltern Oppositionelle in einer Diktatur sind, lernt man, mit der Angst umzugehen«, sagt ihre Tochter rückblickend. 1979, nach der iranischen Revolution, war Dariush Forouhar ein Jahr Minister in einem weltlichen Kabinett. Nach der Machtübernahme der Fundamentalisten agierten er und seine Frau dann wieder in der Opposition. Sie erhielt als Journalistin Berufsverbot, er wurde erneut verhaftet. Den Iran zu verlassen, wie so viele das taten, kam für sie nie infrage. Am 21. November 1998 wurde das Ehepaar vom iranischen Geheimdienst ermordet. Die Dutzende Messerstiche sollten offenbar der Abschreckung dienen. Parastou Forouhar wohnt in Deutschland in ländlicher Idylle. Im Arbeitszimmer der Professorin hängen Fotos aus ihrer Kindheit und eines ihrer Kunstwerke: Ein Revolver, ebenfalls eine Digitalzeichnung in Schwarz-Weiß. »He Kills Me, He Kills Me Not«, heißt die Reihe, zu der diese Arbeit gehört. Kunst wird darin zur politischen Waffe erhoben. Die Muster auf dem Revolver sind von alter persischer Ornamentik inspiriert. Und wieder trügt der Schein. Wieder lassen sich auf den zweiten Blick kleinteilige Menschenbildnisse erkennen, auf der Waffe zu einem Muster zusammengepresst. Das Filigrane in solchen Werken sei ihr besonders wichtig, erklärt Parastou Forouhar. Auch der Schmerz bestehe aus vielen, sich bitter wiederholenden Erfahrungen. Das gelte nicht nur im Iran, betont die Künstlerin. Das Muster der Gewalt ist universal. Parastou Forouhar war 18, als sich im Iran Ajatollah Chomeini daran machte, die Gesellschaft umfassend zu islamisieren, und die religiöse »Kulturrevolution« begann. In dem Jahr, in dem sie ihr Abitur machte, wurden die Flüchtigkeit. »The Grass is Green, the Sky is Blue and she is Black« zeigt geflüchtete Frauen aus Syrien. Universitäten geschlossen, weil man auch das Bildungssystem islamisieren wollte. »Für meine Generation ein Schlag ins Gesicht«, sagt Forouhar. Doch dann sei ein Schlag nach dem anderen gekommen, aus der Revolution sei ein totalitäres Regime erwachsen. Die Wunden wirkten bis in die Gegenwart. Bevormundung, Religiosität, Diktatur – das alles sei »zementiert worden durch brutalste Unterdrückung«. Alle Andersdenkenden, Andersgläubigen seien als Feinde der Gesellschaft definiert, aus dem Land vertrieben, verhaftet oder hingerichtet worden.
Die Kunst als Zuflucht
Die junge Frau, die in der Schule in Mathematik und Physik glänzte, fand in der Kunst einen Raum für sich. »Ich habe Still leben gezeichnet und mich mit ganz einfachen Realitäten be-
Kunst als politische Waffe. Die Revolver mit ihrem gequälten Innenleben stammen aus der Werkreihe »He Kills Me, He Kills Me Not«.
schäftigt, die heilsam sein können«, beschreibt Parastou Forouhar die damalige Phase. Sie studierte Kunst an der Universität Teheran. Dort sei es einigen Professoren tatsächlich gelungen, sich ihre Souveränität zu bewahren. Sie verbindet auch schöne Erinnerungen mit dieser Zeit. 1991 zog Parastou Forouhar nach Deutschland, wo sie an der Hochschule für Gestaltung in Offenbach am Main ein Aufbaustudium absolvierte. »Das war für mich die Tür in das Leben, das ich jetzt führe«, resümiert die Iranerin. Als Konzeptkünstlerin bedient sie sich heute unterschiedlicher Medien, zeichnet, bedruckt Stoffe, schafft Rauminstallationen und fotografiert.
Parastou Forouhar macht sich in ihrer künstlerischen Arbeit auch für Frauenrechte stark. »Domestic suicides for all seasons«, lautet der provokante Titel einer ihrer Arbeiten. Auf zwölf Kalenderblättern sind Frauen zu sehen, die sich vor ästhetischer Kulisse das Leben nehmen. Die schockierende Gleichzeitigkeit – das Hauptmotiv in Parastou Forouhars Werken. Als sie den Kalender 2016 im Iran drucken lassen wollte, beschlagnahmte die Polizei die Druckfahnen. 2017 wurde sie bei einem ihrer Heimatbesuche wegen Blasphemie in Teheran vor Gericht gestellt. Das Urteil: Fünf Jahre Haft auf Bewährung. Die Liste der Repressalien ist lang.
Parastou Forouhar hält das nicht davon ab, jedes Jahr im November in den Iran zu reisen, um eine Gedenkveranstaltung zu Ehren ihrer ermordeten Eltern zu organisieren. »In der Regel wird sie offiziell verboten«, berichtet sie. Die schmale Gasse zu ihrem Elternhaus in Teheran wird dann abgeriegelt. Überall im Viertel stehen Polizisten, es kommt zu willkürlichen Festnahmen. »Meine Verwandten und ich erhalten Hausarrest«, berichtet Forouhar. 2020 konnte die Mainzer Kunstprofessorin wegen Corona erstmals nicht in den Iran fliegen. Die Pandemie hat das Land hart getroffen. In den Telefonaten mit Familie und Freunden höre sie nun: »Wir haben jetzt zwei tödliche Feinde: Das Regime und das Virus.« Die einzige Priorität der iranischen Führung sei der Machterhalt, meint die Künstlerin. Wegen der Wirtschaftsmisere rutsche das Land immer weiter in die Armut. Politisch befinde es sich in einer Sackgasse, und das einzige Mittel, mit dem das Regime der klagenden Bevölkerung begegne, sei wieder einmal Brutalität. »Deshalb finde ich es wichtig, dass wir die Menschen im Iran nicht alleine lassen, in so einem Notstand, der sich immer weiter ausbreitet«, fordert Parastou Forouhar. Sie engagiert sich unter anderem für die Freilassung ihrer Freundin Nasrin Sotoudeh. Die Rechtsanwältin und Menschenrechtsaktivistin, die auch von Amnesty unterstützt wird, wurde wurde in un fairen Verfahren zu 38 Jahren Haft und 148 Peitschenhieben verurteilt.
In Forouhars Werkreihe »The Time of Butterflies« zieht das Wechselspiel von Formen und Farben die Blicke des Betrachters auf sich. Parwaneh, der Name von Parastou Forouhars ermordeter Mutter, bedeutet im Persischen »Schmetterling«. Die großflächige Tapetenkunst suggeriert, dass ganze Schwärme durch die Ausstellungsräume flattern. In den Flügeln wiederholt sich das Muster der Gewalt: Gepeinigte Gestalten sind mit Zielscheiben markiert. Die roten Farbtupfer auf den Flügeln sind Blutflecken. Auch in der persischen Lyrik ist der Schmetterling ein Symbol für die Gleichzeitigkeit: Das schöne Tier fliegt magisch angezogen zum Licht und verbrennt.
www.parastou-forouhar.de
»Ich finde es wichtig, dass wir die Menschen im Iran in so einem Notstand nicht alleine lassen.«
Künstlerin und Werk. Parastou Forouhar in einem ihrer »Written Rooms«.