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Tansania: Verstorbener Präsident Magufuli

Magufulis langer Schatten

In Tansania ist mit Samia Hassan seit März erstmals eine Frau Präsidentin. Ihr verstorbener Vorgänger John Pombe Magufuli hat die Freiheitsrechte oft missachtet. Dennoch war er im Land sehr beliebt. Von Bastian Gabrielli

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Samia Hassan steht gebeugt über einem Motor. Scheinbar willkürlich reißt sie Teile heraus und wirft sie weg. Auf dem Motor steht »Made by JPM« – hergestellt von ihrem Vorgänger, John Pombe Magufuli, der im März überraschend gestorben war. Das alles ist in einer Karikatur zu sehen, die auch aus Hassans Antrittsrede zitiert: »Ich und Magufuli sind ein und dasselbe.« In der Praxis sind die Unterschiede zwischen den beiden jedoch überaus deutlich.

Die erste Präsidentin Tansanias hat in den wenigen Wochen ihrer Amtszeit bereits viele Veränderungen angestoßen: Die Presse soll freier werden, es gibt Treffen mit Oppositionspolitiker_innen, die Politik widmet sich der Wirtschaftsförderung. Magufuli stand für das Gegenteil. Besonders deutlich ist der Wandel, was den Umgang mit der Corona-Pandemie betrifft: Hassan arbeitet mit der WHO zusammen, um Covid-19 zu bekämpfen. Magufuli hatte international Schlagzeilen gemacht, als er im April 2020 verkündete, das Virus sei in Tansania besiegt. Danach hatte seine Regierung weder Fallzahlen übermittelt noch sich um Impfstoff bemüht, diesen sogar abgelehnt.

Im Januar 2021 gab die katholische Kirche im Land bekannt, es gebe mehr Beerdigungen als je zuvor. Im Februar starb der Vizepräsident von Sansibar, einem Teilstaat Tansanias, nach einer Covid-19-Erkrankung. Auch um Magufulis Tod rankten sich schnell Gerüchte, als offizielle Todesursache gilt, dass sein Herzschrittmacher versagte.

Auf internationaler Ebene gab es starke Kritik an dem 2015 erstmals gewählten Präsidenten. Amnesty International stellte fest, dass der Raum für die Zivilgesellschaft immer enger wurde: Aktivitäten der Opposition und Demonstrationen wurden verboten, schwangere Mädchen der Schulen verwiesen, Flüchtlinge aus Burundi zur Rückkehr gezwungen, die freie Berichterstattung war eingeschränkt. Es gab vermehrte Angriffe auf Journalist_innen und Oppositionelle. Einige von ihnen sind bis heute »verschwunden«.

Trotz erster Veränderungen kann sich Samia Hassan nicht von Magufuli lösen. Immer wieder betont sie die Einheit mit ihrem Vorgänger. Es wäre zu kurz gegriffen, Magufuli nur mit Repressalien in Verbindung zu bringen. In Tansania war er bei vielen sehr beliebt, wie Bilder seiner Beisetzung bewiesen.

Es regnete, als sich im März Zehntausende im Freiheitsstadion in Dar Es Salaam versammelten. Über Stunden gingen sie an Magufulis aufgebahrtem Sarg vorbei, um ihrem Präsidenten die letzte Ehre zu erweisen. Immer wieder fielen Menschen in eine Art Trance, wurden ohnmächtig und von den Sanitäter_innen eilig zur Seite getragen. Obwohl Armeeangehörige darauf achteten, dass niemand am Sarg verweilte, wurden die Schlangen vor dem Stadion länger und länger. Am Abend sollte der Leichnam nach Dodoma geflogen werden. Als klar wurde, dass es nicht mehr alle ins Stadion schaffen würden, kam es an den Eingängen zu einer Massenpanik, bei der 45 Menschen starben.

Zwei Schwestern für Magufuli

»Er war ein Präsident für das Volk, er hörte den Menschen zu«, erzählt Nitoya Joram. Ihre Zwillingschwester Jonatha Joram ergänzt: »Er respektierte und würdigte die weniger Privilegierten.« Die beiden sitzen auf einem Sofa in ihrem Wohnzimmer in Dar Es Salaam. Der Ventilator dreht sich abwechselnd zu Nitoya und Jonatha. Draußen herrscht wie so oft drückende Schwüle. Jonatha Joram sortiert Kleidungsstücke für ihr Geschäft. Einige hat sie selbst aus recyceltem Material entworfen. Nach ihrem Buchhaltungs- Foto: State House of Tanzania/Handout via Xinhua/pa studium hat sie sich selbstständig gemacht. »Magufuli legte Wert auf die Selbstverwaltung der Ressourcen Tansanias. Er hatte die Idee, alle Menschen sollten fair am Reichtum des Landes beteiligt werden.« Ihre Schwester sieht das ähnlich: »Im Gegensatz zu anderen ging es ihm um die Menschen. Er war streng und bestimmt, aber auch beschützend und verantwortungsvoll«.

Nitoya Joram ist als juristische Beraterin in einer Firma angestellt, die Cashewnüsse exportiert. »Er hat kostenfreie Bildung von der Grund- bis zur weiterführenden Schule ermöglicht, viel in die Infrastruktur investiert und Frauen in der Politik gestärkt.« Magufuli hatte Samia Hassan als Vizepräsidentin einge-

»Er war streng, aber auch beschützend.«

Nitoya Joram über Präsident Magufuli

Erste Frau an der Macht in Tansania. Die neue Präsidentin Samia Hassan nach ihrer Vereidigung inmitten einer Ehrengarde des Militärs, März 2021.

setzt, deswegen darf sie die Amtszeit nach seinem Tod bis 2025 verfassungsgemäß weiterführen.

Jonatha Joram ergänzt: »Er setzte sich gegen Korruption ein, stand für die Selbstbestimmung Tansanias und stellte sich gegen unfaire Verträge mit westlichen Ländern.« In Tansania ist die Kolonialzeit noch sehr präsent, vor 60 Jahren proklamierte das Land seine Unabhängigkeit von Großbritannien; zuvor starben unter der deutschen Kolonialherrschaft Hunderttausende. Unter anderem wegen eines Vetos Magufulis war 2017 ein Freihandelsabkommen zwischen der EU und der Ostafrikanischen Gemeinschaft EAC gestoppt worden.

Chance zur Einheit

Über tausend Kilometer entfernt blickt Steven Revelian über die Täler Karagwes. Es ist Regenzeit im ländlichen Nordwesten, die Hügel rundherum sind grün. Zwischen Bananen und Kaffee blitzen immer wieder Wellblechdächer in der Sonne. Mit seiner NGO Karudeca setzt sich Revelian für Umwelt- und Sozialprojekte in den Dörfern ein.

Derzeit arbeitet er an einem Projekt zur Förderung der Selbstbestimmung von Kindern mit Behinderung. Im vergangenen Jahr ist er in die regierende Partei CCM eingetreten. Auch er schätzte Magufuli als kritischen Denker und Panafrikanisten: »Er bestand darauf, dass die afrikanische Entwicklung in den Händen der Afrikaner_innen sein sollte – für ihn war Tansania ein reiches Land.«

Die Kritik an Magufuli teilt er nicht: »Menschenrechtsorganisationen haben ihn nicht verstanden. Magufuli konnte sogar seinen besten Freund feuern, wenn er sich falsch verhalten hatte«. Er deutet auf eine Schule im Tal. »Als ländliche Region hat Karagwe von der freien Bildung sehr profitiert. Auch haben wir jetzt ein neues Krankenhaus«, führt Revelian aus. »Er hat sich immer für die Gleichheit der Menschen vor dem Gesetz eingesetzt. Für ihn war die Selbstbestimmung unseres Landes ein hohes Gut.«

Der Präsident war im Oktober 2020 mit 84 Prozent der Stimmen wiedergewählt worden. Die Wahl war von Übergriffen und Festnahmen begleitet. Zahlreiche Oppositionspolitiker_innen sahen sich gezwungen, das Land zu verlassen. Die neue Präsidentschaft bietet nun eine Chance zur Einheit. Nitoya Joram ist optimistisch: »Ich bin stolz, mit Samia Hassan erstmals eine Präsidentin zu haben.«

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