»Ein Querschnitt der Gesellschaft« Er gilt als das Bindeglied zwischen der Gewerkschaft IG Metall und Amnesty International in Deutschland: Jürgen Kerner über Arbeitsund Menschenrechte und die Frage, warum beides zusammengehört.
Wann hatten Sie zum ersten Mal Kontakt zu Amnesty? Die Amnesty-Arbeit war mein erstes soziales und politisches Engagement. In den 1980er-Jahren bin ich als Schüler einer Gruppe in Augsburg beigetreten, dort habe ich das Handwerkszeug gelernt, das ich später auch als Gewerkschafter gebrauchen konnte: Wie man strukturiert arbeitet, dass man gemeinsam etwas erreichen kann und dass man immer wieder Unterstützung finden muss. Mich hat damals fasziniert, dass die Gruppe ein Querschnitt der Gesellschaft war. Da haben welche studiert, ich war auf der Realschule und dann Azubi. Es gab ältere Leute mit viel Erfahrung, aber auch die Ideen von uns Jüngeren wurden akzeptiert. Während meiner Ausbildung bei Siemens als Informationselektroniker bin ich in die IG Metall eingetreten, wurde Jugendvertreter und jung in den Betriebsrat gewählt. Im Werk wurden Großrechner und PCs gebaut. Heute kommen fast alle PCs, Handys und Notebooks aus Firmen in Asien. Und die Arbeitsbedingungen da sind gleichermaßen ein Thema für die Gewerkschaften wie für Amnesty. Was können Sie als »Metaller« für die Menschenrechte tun? Für mich gibt es viele Anknüpfungspunkte zwischen Amnesty und Gewerkschaften. Wenn Menschen hier in eine Gewerkschaft eintreten, geht es ihnen erst mal um die Verbesserung ihrer Arbeits- und Lebensbedingungen vor Ort. Dafür streiten wir als Gewerkschaften. Aber wir müssen auch sagen, dass das nicht auf dem Rücken der Kolleginnen und Kollegen in anderen Ländern geschehen darf. Wir müssen dafür eintreten, dass Gewerkschaftsrechte weltweit akzeptiert werden. Ich erlebe immer wieder, dass das Management deutscher Unternehmen es selbstverständlich findet, sich mit der IG Metall zu treffen, dass die gleichen Unternehmen sich im Ausland aber anders verhalten. Was halten Sie vom geplanten Lieferkettengesetz? Die IG Metall unterstützt das Gesetz. Es ist ein erster Schritt in die richtige Richtung. Man muss auf Unternehmensseite nun Transparenz über die Lieferketten herstellen. Aber es muss den Praxistest noch bestehen, denn es kommt auf die Umsetzung an. Fairer Wettbewerb bei den Arbeitsbedingungen und Arbeitskos-
AN DIE ARBEIT
ten muss im Sinne der Unternehmen sein. Denn Unternehmen, die Beschäftigte in anderen Ländern ausbeuten, erschleichen sich Wettbewerbsvorteile. Nur wenn Lebens- und Arbeitsbedingungen weltweit einigermaßen vergleichbar sind, funktioniert der Wettbewerb über Kreativität und Ideen, und nicht mehr darüber, wer billiger ist. Deshalb ist das Lieferkettengesetz im ureigensten Interesse der Gewerkschaften. Amnesty und die IG Metall kooperieren neuerdings. Was hat es damit auf sich? Ich möchte diese beiden Organisationen besser vernetzen. Deshalb bin ich an der Idee einer Kooperation drangeblieben. Allein dass es jetzt eure Amnesty-Themenkoordinationsgruppe Gewerkschaften gibt, ist für mich ein Erfolg. Wir machen in der IG Metall nun das Angebot, dass man sich pro Quartal für einen Amnesty-Fall oder eine Aktion einsetzen kann. Wie wird das angenommen? Gut. Unter den 2,2 Millionen Mitgliedern sind einige, die an diesen Aktionen gerne teilnehmen. Als der DGB im vergangenen Jahr zum 1. Mai einen Livestream sendete und der AmnestyGeneralsekretär dort sprach, gab es sehr positive Resonanz. Die Kooperation mit Amnesty soll außerdem für alle DGB-Gewerkschaften offen sein. Annette Hartmetz gehört zur Amnesty-Themenkoordinationsgruppe Gewerkschaften
JÜRGEN KERNER
Foto: IG Metall
Interview: Annette Hartmetz
52 Jahre alt, ist Hauptkassierer und geschäftsführendes Vorstandsmitglied der IG Metall. Nachdem die Delegierten bei Gewerkschaftstagen seit langer Zeit einen Tagessatz an Amnesty International spenden, hat er 2020 eine Kooperation zwischen Amnesty International und der IG Metall ins Leben gerufen. Er lebt mit seiner Ehefrau bei Augsburg und hat zwei erwachsene Töchter.
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