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Sprache und Aggression: Der ukrainische PEN-Präsident Andrej Kurkow über den russischen Angriff
Der Schriftsteller und PEN-Präsident der Ukraine Andrej Kurkow ist in Sankt Petersburg geboren, in Kiew aufgewachsen und schrieb bislang auf Russisch. Der russische Angriff hat seine Arbeit verändert.
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Interview: Cornelia Wegerhoff
In Ihrem aktuellen Roman »Graue
Bienen« geht es um den Bienenzüchter Sergej aus dem Donbass. Obwohl sich dort ukrainische Soldaten und prorussische Separatisten bekämpfen, lebt er nach dem Motto: »Nichts hören, nichts sehen – sich raushalten«. Hat sich auch Westeuropa aus dem Konflikt zwischen der Ukraine und Russland zu lange rausgehalten?
Sicher. Das Verhalten der europäischen Politik hat Putin motiviert, von Tag zu Tag aggressiver auf die Ukraine zu blicken. Zusammen mit Putins Propaganda war das die Grundlage für diesen Krieg.
Ihre Bücher sind in Russland schon länger verboten. Ist Putins Krieg gegen die Ukraine auch ein Krieg gegen die ukrainische Kultur?
Natürlich. Russland hat immer versucht, die ukrainische Kultur entweder zu vernichten oder ideologisch zu »korrigieren«. In den 1920er und 30er Jahren wurde die Mehrheit der ukrainischen Dichter und Schriftsteller inhaftiert und ermordet. Geblieben sind kommunistische Schriftsteller ohne Ansehen, Stil und Inhalt. Solche sowjetisch-ukrainischen Autoren waren ab 1991 sofort vergessen. Vor zwei, drei Jahren gab es in Belarus den Versuch, den ukrainischen Schriftsteller Serhij Zhadan zu inhaftieren. Nur dank ukrainischer Diplomatie konnte verhindert werden, dass er von Minsk nach Russland ausgeliefert wurde. Deshalb bin ich sicher, dass auch jetzt alle ukrainischen Schriftsteller und Intellektuellen in Gefahr sind. In der russisch besetzen Stadt Melitopol sind die Leute des russischen Geheimdienstes FSB mit Namens- und Adresslisten unterwegs und suchen proukrainische Aktivisten und Journalisten. Es sind schon viele Leute verschwunden.
Sie haben immer für ein friedliches
Zusammenleben plädiert. Ist diese
Idee gescheitert?
Ich glaube, es wird für russischsprachige Schriftsteller in der Ukraine künftig moralisch schwierig. Viele von ihnen wollen jetzt auf Ukrainisch weiterschreiben. Boris Chersonskij, der russischsprachige Dichter aus Odessa, hat schon damit angefangen, Gedichte auf Ukrainisch zu schreiben.
Wollen Sie künftig auch auf Ukrainisch schreiben?
Ich poste jetzt überwiegend auf Ukrainisch. Aber ich will weiterhin russischsprachige Romane schreiben. Im nonfiktionalen Bereich habe ich bereits zuvor auf Ukrainisch geschrieben. Und ich denke darüber nach, die Sachbücher, die ich bereits auf Russisch geschrieben habe, bis auf Weiteres nicht mehr auf Russisch veröffentlichen zu lassen.
Sie sind von Kiew in eine ländliche
Region geflüchtet, wollen aber in der
Ukraine bleiben. Warum?
Ich habe kurze Auslandsbesuche unternommen. Ich war in Großbritannien und Norwegen eingeladen. Aber ich gehöre hierher. Meine Familie gehört jetzt zwar auch zu den Binnenflüchtlingen, aber ich werde in der Ukraine bleiben, um zu sehen, was passiert, und um zu hören, was die Leute denken. Dann verstehe ich die Situation viel besser.
Hat der Krieg Ihre Rolle als Schriftsteller verändert?
Der Krieg verändert die Rolle eines jeden Menschen. Ich schreibe keine Literatur mehr. Ich schreibe nur noch journalistische Texte und Essays über den Krieg.
Verändert der Krieg auch die Sprache?
Es ist jetzt viel Hass in der Sprache. Aber das kann man verstehen. Wir alle haben die Bilder vom Massaker in Butscha gesehen, mit Hunderten brutal ermordeter Zivilisten. Dass das auch die Sprache verändert, ist nur logisch.
Viele Ukrainer_innen flüchten. Was bedeutet das für die ukrainische Literatur, die Kunst?
Ich kann nicht bestätigen, dass viele Kulturschaffende fliehen. Wir haben aber durch den ukrainischen PEN die Möglichkeit, dass einige unserer Mitglieder Residenzen im Ausland erhalten, auch im nahen Polen. Niemand verlässt freiwillig das Land. Die Mehrheit der Leute, die geflohen sind, sind Frauen und Kinder.
Was kann der Westen, was kann
Deutschland tun, um die ukrainische
Kultur und Literatur zu stärken?
Es sollten mehr Bücher über die ukrainische Geschichte veröffentlicht werden. Es gibt wunderschöne, international bekannte Bücher von Timothy Snyder, Anne Applebaum, Serhii Plokhii und anderen. Das sind Bücher über die ukrainische Kultur, über die Beziehungen zu Russland und auch über das Zusammenleben in sowjetischer Zeit. Solche Bücher sind zurzeit wichtiger als Romane aus
rückt – auch wegen persönlicher Erfahrungen mit Zensur?
Ich habe mein Statement dazu gemacht. Die Mehrheit der ukrainischen Kulturschaffenden ist jetzt gegen alles Russische. Das wird man bis zum Ende des Krieges nicht ändern können. Es hat keinen Sinn, weiter darüber zu sprechen.
Wann wird der russische Krieg gegen die Ukraine beendet sein?
Wenn Putin tot ist. Wenn nicht, wird das dauern und dauern und dauern und dauern. Jahrelang. Er wird das neu besetzte Territorium verteidigen. Die Ukraine wird das nicht akzeptieren. Aber die Ukraine wird nicht genügend Kräfte und nicht genügend Waffen haben, um diese Gebiete aus eigener Kraft zu befreien. ◆
der Ukraine. Romane können warten. Die Menschen in Deutschland kennen die russische Geschichte sehr gut. Und selbst wenn sie Empathie für die Ukraine empfinden, interessieren sie sich nicht für den Unterschied zwischen russischer und ukrainischer Geschichte. Das hat zur Folge, dass sie der russischen Version ukrainischer Geschichte Glauben schenken.
Russland versucht Kriegsgegner_innen im eigenen Land durch massive
Repression zum Schweigen zu bringen. Wieviel Hoffnung setzen Sie auf diese oppositionellen Kräfte?
Keine. Das ist keine wahre Opposition. Die russischen Oppositionskräfte wurden bereits in den ersten fünf Jahren von Putins Präsidentschaft physisch vernichtet. Heutzutage gibt es nur noch einige Leute im Ausland, die etwas auf Facebook schreiben können, um die Ukraine zu unterstützen. Alle anderen Proteste spielen keine Rolle, das ist so eine kleine Minderheit. Zu Beginn des Krieges gab es in Moskau sechs Protestierende – 1, 2, 3, 4, 5, 6! Und nicht 600 oder 6.000.
Anfang März sorgte der Aufruf ukrainischer Literaturverbände, russische
Autor_innen zu boykottieren, für viel
Aufsehen und Kritik. Sie haben das als PEN-Präsident später zurechtgeANDREJ KURKOW
Der Schriftsteller wurde 1961 in Sankt Petersburg geboren und hielt sich Anfang April, während des Interviews, kriegs bedingt in der West ukraine auf. Sein Roman »Picknick auf dem Eis« ist ein Welterfolg. Der ehemalige Journalist spricht elf Sprachen, darunter auch Deutsch. Seine Bücher erscheinen in deutscher Über setzung im Diogenes Verlag.
Foto: Julien Falsimagne/Leextra/opale.photo/laif