5 minute read
Zensur in der DR Kongo: Behörde vs. Pop
Per Verbot in die Charts
In der Demokratischen Republik Kongo darf man nicht alles singen, was einem in den Sinn kommt. Doch die Zensurbehörde ist auch nicht immer erfolgreich. Von Jonathan Fischer
Advertisement
Das HipHop-Duo MPR geriet wegen eines gesellschaftskritischen Hits ins Visier der kongolesischen Zensurbehörde. Foto: Official Video
Man sagte uns: Wenn Mobutu geht, wird alles besser. Er ist gegangen. Dann sagte man uns: Wenn Kabila geht, wird alles besser. Auch er ist gegangen – und nichts steht zum Besten. Stattdessen verkaufen wir Kolanüsse und Zigaretten auf der Straße, um zu überleben, und sind am Ende noch selbst schuld …« So rappt das kongolesische HipHop-Duo MPR auf Lingala in dem Song »Nini Tosali Te« (auf Deutsch: »Was wir nicht alles versucht haben«).
Im November 2021 brachte das Lied den beiden Rappern in nur vier Tagen fast eine Million Klicks auf YouTube ein, aber auch den Ärger der kongolesischen Zensurbehörde: Die Commission Nationale de Censure des Chansons et des Spectacles verbot umgehend die Verbreitung des gesellschaftskritischen Pophits.
Zur Begründung hieß es, MPR habe der Behörde den Videoclip nicht rechtzeitig vorgelegt. Doch hatten die Zensoren ihre Rechnung ohne die Fans gemacht: Die entfachten auf Twitter und in anderen Online-Netzwerken eine leidenschaftliche Diskussion über Meinungsfreiheit. Denn MPR hatten lediglich altbekannte gesellschaftliche Missstände beim Namen genannt und für alle jene gesprochen, die sonst keine Stimme haben. »Dieses Video schafft es, unsere Leiden in nur vier Minuten einzufangen«, lautete einer der typischen Kommentare auf YouTube, oder: »Ich habe Tränen in den Augen.« »Die korrupte Regierungsführung ist das Krebsgeschwür, das unseren geliebten Kontinent zerfrisst«, erklärte ein anderer Nutzer und schlug vor, den Song zur Hymne der afrikanischen Jugend zu erklären. Stimmen aus Kenia, Angola, Nigeria und der Elfenbeinküste pflichteten ihm bei: »Es ist traurig, aber die Wahrheit.« Während die meisten kongolesischen Popstars ihre Songs in einer eskapistischen Mischung aus Luxusarti-
kelwerbung, Tanzanleitung und erotischer Anmache präsentieren, zeigt das Video von »Nini Tosali Te« die Realität einer armen Familie. »Was willst du werden, wenn du groß bist?«, fragt eine Mutter in der Eingangsszene ihr Kind. »Ein bekannter Arzt«, antwortet der Sohn im Grundschulalter, bevor er sich in den Schoß der Mutter schmiegt. Dann konfrontieren die Kameraaufnahmen den schönen Traum mit der alltäglichen Realität: Man sieht eine ärmliche, aus Wellblech zusammengeflickte Hütte – die Art improvisierter Unterkunft, der Millionen Menschen in dem Land zeitlebens nicht entkommen können. »Meine Mutter hat alles geopfert, damit ich mein Studium beenden konnte«, singen die MPR-Rapper Yuma Dash und Zozo Machine zu diesen Bildern. »Sie hat Brot und glühende Kohlen an die Nachbarschaft verkauft, um uns am Leben zu erhalten. Dennoch konnte ich sie nicht zum Lächeln bringen, weil ich nie einen Job bekam …« Das ist nicht nur emotionaler Straßenrealismus, sondern in Kinshasa – wo man allzu gern die Insignien der Mittelschicht vorzeigt – ebenso ungewöhnlich wie der Verzicht des Duos auf die üblichen Lobhudeleien auf die musikalischen Mäzene.
Die Zensurbehörde hatte bereits in der Vergangenheit immer wieder Songs wegen obszöner oder moralisch anstößiger Inhalte verbannt. Betroffen waren auch bekannte kongolesische Künst ler_in nen wie Koffi Olomidé, Wenge Musica oder Werrason. Im Jahr 2020 zensierte die Behörde den Song »Ingratitude« der Sängerin Tshala Muana, die daraufhin sogar für kurze Zeit ins Gefängnis musste. Der Text der legendären Popveteranin galt als unbequemes politisches Gleichnis: Sie hatte über einen Jungen gesungen, der seine Prüfungen nur dank des Mitgefühls seines Lehrers besteht, sich anschließend aber kaltherzig von diesem abwendet.
Doch mit dem Verbot von »Nini Tosali Te« war die Zensurbehörde offenbar zu weit gegangen. Die kongolesische Bürgerrechtsbewegung LUCHA befand, der Song sei »eine bewegende Beschwörung der Apathie unserer aufeinander folgenden politischen Führer und letztlich eine Hymne der Verzweiflung«. Und die für die Demokratische Republik Kongo zuständige Amnesty-Vertreterin Flavia Mwangovya erklärte, dass die Behörde mit Zensur gegen die künstlerische Freiheit vorgehe, mache eindringlich klar, dass Künstler_innen riskierten, für kritische Meinungen zum Schweigen gebracht zu werden.« Sie forderte die kongolesischen Behörden auf, einen Erlass aus dem Jahr 1996, der ein Verbot jeglicher unliebsamer künstlerischer Äußerung vorsieht, umgehend aufzuheben.
Raffinierte Kritik
Wenn die Zensurbehörde geglaubt hatte, mit dem Verbot die Verbreitung des Songs zu verhindern, so hatte sie sich geirrt: Millionen Menschen wurden nun erst recht neugierig, und »Nini Tosali Te« wurde im Internet erfolgreich. Schließlich musste die Zensurbehörde nachgeben: Sie hob das Verbot wenige Tage später wieder auf. Vorausgegangen war ein politisches Tauziehen. Der für Medien und Kommunikation zuständige Minister Patrick Muyaya hatte mitgeteilt, die Entscheidung, den Song zu zensieren, sei nicht von der Regierung ausgegangen. Er habe den Song vielmehr mit dem Premierminister geteilt, und beide seien »gerührt« gewesen. Regierungssprecher Steve Mbiyaki äußerte ebenfalls Unverständnis für die Zensurmaßnahme, verwies jedoch darauf, dass man »die Versäumnisse von 60 Jahren nicht auf eine erst seit drei Jahren amtierende Regierung schieben könne«. Schließlich ging sogar Justizministerin Rose Mutombo gegen das Aufführungsverbot vor. Ein Sieg für die demokratischen Kräfte im Land? Der Rückzieher war wohl eher der Popularität von
»Was willst du werden, wenn du groß bist?« Szene aus dem Video von MPR.
Rapper Bob Elvis
MPR geschuldet. Ein Ende der Zensur bedeutete sie nicht.
Denn der ebenfalls im November 2021 verbotene Song »Lettre à Ya Tshitshi« des kongolesischen Rappers Bob Elvis blieb weiter auf dem Index. Ein Grund dafür war vermutlich, dass der Musiker, der bürgerlich Masudi Matengo Bob heißt, sich nicht scheut, in seinem Song Namen zu nennen – auch aus der persönlichen Umgebung von Präsident Félix Antoine Tshilombo Tshisekedi. Seit sein Debüt 2015 zum »besten Rap-Album des Kongo« gekürt wurde, zählt Bob Elvis zu den wenigen Rappern des Landes, die es wagen, der Regierung die Stirn zu bieten. In »Lettre à Ya Tshitshi« klagt er auf raffinierte Weise über Stromausfälle, korrupte Abgeordnete und willkürlich erhobene Steuern: Von Kerzen umgeben wendet er sich an Étienne Tshisekedi, den verstorbenen Vater des derzeitigen Präsidenten und einstigen Oppositionsführer, der bereits zur Zeit Mobutus die autokratischen Herrscher des Kongo kritisierte. »Seit du weg bist Tshitshi, ist dein Sohn Félix Präsident geworden … Wir haben das Regime gewechselt, aber nicht das System.«
Sein Song sei vom täglichen Überlebenskampf der Bevölkerung inspiriert, erklärte Bob Elvis in einem Interview. Es müsse darum gehen, ihre Lebensbedingungen zu verbessern. Ob er Angst habe, die Wahrheit zu sagen? Nein, sagte der Rapper, er beleidige doch niemanden: »Es heißt doch immer, die Fakten seien heilig und die Kommentare frei …« Warum also benötige man in einem demokratischen Land eine Zensurbehörde – zumal unter einer Regierungspartei, die sich den Slogan »Die Menschen zuerst« auf die Fahnen geschrieben habe?
Doch dem Rapper bleibt ein Trost: Das Internet ist schwerer zu kontrollieren als Radio und Fernsehen. »Lettre à Ya Tshitshi« wurde auf YouTube in nur zwei Monaten mehr als eine halbe Million Mal aufgerufen – und damit öfter als alle seine bisherigen Songs zusammen. Bereits Anfang November hatte Bob Elvis verkündet: »Durch das Verbot meiner Lieder hat die Welt davon Kenntnis genommen, dass wir leben.« ◆