Grosser Massstab – Large Scale
Foto: Lukas Wassmann
archithese
2.2010
Internationale Zeitschrift und Schriftenreihe für Architektur
Grosser Massstab in Architektur und Städtebau
International thematic review for architecture
OMA in Singapur und Dubai Robin Hood Gardens, London Märkisches Viertel, Berlin Ørestad, Kopenhagen IJburg, Amsterdam Wallisellen, Zürich Graz-Reininghaus Bigness populär Boa Baumann mit Fritz Hauser Triobox, Aarau Jan Kinsbergen Haus für eine Familie, Langenthal Gramazio & Kohler Einfamilienhaus in Riedikon Blanca Blarer Der doppelte Blick, Eglisau
Realisation
Kauf / Verkauf
Interview Philippe Rahm
8005 Zürich: Hier plant Allreal das Wohnhochhaus Escher-Terrassen www.escherterrassen.ch Leserdienst 124
archithese 2.2010
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März /April Preis: 28 CHF/18 Euro
Immobilien
Projektentwicklung
Grosser Massstab Large Scale
EDITORIAL
Grosser Massstab Im grossen Massstab zu denken und zu bauen bleibt ein Faszinosum für Architekten. Standen Architekten, wie Friedrich Nietzsche es formulierte, seit jeher unter der «Suggestion der Macht», so hat die Frage der Bigness seit Rem Koolhaas’ gleichnamigem Essay an Aktualität gewonnen. Grossmassstäblich können Einzelobjekte sein, denen das Potenzial zuerkannt wird, aufgrund ihrer Dimension vorfindliche städtische Situationen grundlegend zu verändern und die damit für das city branding relevant werden. Grossmassstäblich aber zeigen sich auch zeitgenössische europäische Stadterweiterungskonzepte. archithese stellt in diesem Heft paradigmatisch Konzepte für Stadterweiterungen vor: IJburg bei Amsterdam und Ørestad in Kopenhagen. Während in IJburg auf das kleinteilige Schema des verdichteten Einfamilienhausbaus zurückgegriffen wird, wie es für die Niederlände, aber auch England seit jeher typisch ist, tendiert die Siedlungsbautätigkeit in der Schweiz in den vergangenen Jahren zur Wiederentdeckung des Wohnblocks. Dafür mag man mehrere Gründe anführen: Grosse und kompakte Volumina kommen den Minergienormen entgegen und werden durch das Instrument der Arealüberbauung begünstigt.
Emile Aillaud: Grosssiedlung Les Courtillières, Pantin, 1957 –1964 (aus: archithese 5’84)
Zugleich aber ist ein Interesse von Architekten der jüngeren und mittleren Generation an der Architektur der Sechzigerjahre zu diagnostizieren. In einer Ära, in der man zwischen Desillusionierung und Pragmatismus navigiert, kann selbst der Rückblick auf die Spätmoderne zur Verheissung werden. Die Grosssiedlungskomplexe der Zeit liessen zumindest noch den Anschein einer Utopie vom besseren Leben erahnen. Separate Beiträge dokumentieren die historischen Hintergründe zweier markanter Siedlungen der Zeit – Robin Hood Gardens in London und Märkisches Viertel Berlin – und widmen sich den heutigen Problemen ihrer Erhaltung. Im Kontrast zu den grossmassstäblichen Planungen werden in Architektur aktuell vier kleine Schweizer Projekte vorgestellt.
Redaktion
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ARCHITEKTUR AKTUELL
Neue Perspektiven
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BLANCA BLARER: DER DOPPELTE BLICK,
sich, mit einem Wettbewerb für ein Gestaltungs-
EGLISAU
und Farbkonzept den «Dialog» des Baukörpers mit
Wenn Kunst am Bau zur Behübschung wird,
der landschaftlichen Umgebung und den bestehen-
diskreditiert sie sich vollends. In Eglisau ist
den Bauten zum Thema zu machen. In einem Wett-
eine wegweisende Arbeit realisiert worden, die
bewerb unter sechs eingeladenen Künstlerinnen
poetische und absurde Elemente vereint und
und Künstlern konnte sich Blanca Blarer mit ihrem
aus der Autonomie gegenüber der Architektur
Konzept Der doppelte Blick gegenüber der Konkur-
ihre Kraft bezieht.
renz durchsetzen. Die Künstlerin hatte erkannt, dass
84 Meter Länge, 57 Meter Breite, 22 Meter Höhe:
ten, in die Irre führen mussten: keine Versuche also,
So lauteten die geplanten Masse für das automa-
das massige Volumen aus silbrigem Stahlblech klei-
tisierte Hochregallager der Thurella AG in Eglisau.
ner erscheinen zu lassen, keine Behübschung, keine
Konzepte, das Hochregallager gefälliger zu gestal-
Als zonenkonform konnten diese Dimensionen nicht
verniedlichende Dekoration. Ziel ist es somit nicht,
gelten, und so wurden seitens der Bewilligungsbe-
die Widersprüche zwischen einem weiterhin roman-
hörden besondere Ansprüche an die Gestaltung
tisch geprägten Blick auf die Rheinlandschaft bei
eingefordert. Bei Hochregallagern, massigen, stahl-
Eglisau und den Anforderungen der modernen In-
blechverkleideten Volumen – der in Eglisau gelagerte
dustriegesellschaft zu verwischen oder zu kaschie-
Obstsaft verträgt überdies keinen Lichteinfall –, ist
ren, sondern, ganz im Gegenteil, sie zum Thema zu
der Spielraum für architektonische Gestaltung indes
machen, offenzulegen. Ausgangspunkt für Blarers
praktisch nicht vorhanden. Daher entschied man
Intervention war Roland Barthes’ Essay über den
2
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GROSSE SYSTEME Zur Frage des Massstabs in Architektur und Städtebau In der städtebaulichen Praxis konkurrieren längst grossmassstäbliche Projekte mit punktuellen Interventionen. Die dahinterstehenden Vorstellungen sind dabei komplementär, zeigen sich im Glauben an die Formbarkeit der Stadt durch einzelne Planer und der Stadt als heterogenes, wandelbares Netzwerk.
Text: Robert Kaltenbrunner
bezüglich der Stadt von einem Ganzheitsbild geprägt. Dazu
Mit Blick auf den seinerzeit noch unvollendeten Kölner Dom
trägt wiederum die einschlägige Historiografie nicht unwe-
hatte 1814 kein Geringerer als Johann Wolfgang von Goethe
sentlich bei; sie zeigt üblicherweise die Stadt in jener Per-
eine Rechtfertigung für den grossen Massstab beim Bauen
spektive, an welche uns die Vergangenheit des Städtebaus
gefunden: «Denn vollendet bringt ein groß gedachtes Meis-
gewöhnt hat: als Produkt von Ideen und Initiativen, als Werk
terwerk erst jene Wirkung hervor, welche der außerordentli-
weitblickender Politiker, aktiver und manchmal philanthropi-
che Geist beabsichtigte: das Ungeheure faßlich zu machen.
scher Unternehmer, als Geniestreich begabter Planer. In die-
Bleibt aber ein solches Werk unausgeführt, so hat weder
ser Geschichte wären die repräsentativen Veranstaltungen
die Einbildungskraft Macht noch der Verstand Gewandtheit
des neueren Städtebaus zu benennen: die imperialen Ver-
genug, das Bild oder den Begriff zu erschaffen.» Derartige
wandlungen von Paris unter Napoleon III. und Baron Hauss-
Bilder im baulich-räumlichen Sinne neu entstehen zu lassen,
mann sowie von Wien unter Franz Joseph I.; oder auch Luigi
ist seither immer wieder versucht worden – nicht nur mit-
Costas und Oscar Niemeyers Brasilia sowie Le Corbusiers
tels Architektur, sondern auch, indem man das Urbane in
Chandigarh, die in Beton gegossenen Apotheosen neuer «de-
den Fokus nahm. Ohnehin scheint das planerische Denken
mokratischer» Hauptstädte. All diesen Unternehmungen, so
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1 Luftbild des Zentrums von Almere (Foto: OMA)
unterschiedlich, ja gegensätzlich sie im Einzelnen auch wa-
sowie finanzielle Ressourcen bündelt in der Hoffnung, Syn-
ren, eignete ein gemeinsamer Wesenszug: der Glaube an die
ergieeffekte und sichtbare, exemplarische Erfolge zu erzielen,
Formbarkeit der Stadt.
schwebt permanent in der Gefahr, dass dies zulasten einer
Grosse Projekte als urbanistische Surrogate
vention geht. Und bestimmte Fragen, etwa nach langfristi-
Doch diese Zuversicht ist schwer erschüttert worden, der
gen Perspektiven oder dem Verhältnis von symbolischem
Städtebau der grossen Systeme längst obsolet. Und die en-
Ertrag zu realem (stadtgesellschaftlichem) Nutzen, werden
zyklopädische Vollständigkeit eines flächendeckenden Plans,
lieber gar nicht erst gestellt.
notwendigerweise breiter angelegten urbanistischen Inter-
der vorgibt, alle Probleme auf einmal lösen zu können, er-
Leichthändig ein Urteil über die Angemessenheit der
weist sich bloss als frommer Wunsch. Mag man «die Urbani-
urbanistischen Vorgehensweise zu fällen, sollte sich indes
tät» auch wortreich preisen, so wird ihr Erscheinungsbild –
verbieten. Städte sind komplexe Phänomene. Keine Theorie
sieht man einmal von den oft herausgeputzten Innenstäd-
oder noch so multiple Kombination von analytischen Metho-
ten ab – in Fachkreisen zumeist wenig geschätzt. Polemisch
den können die Vielfalt dessen, was sich in einer grösseren
nimmt man die Massstabslosigkeit, die geschwürartigen Wu-
Stadt abspielt, vollständig abbilden. Selbst wenn man sich
cherungen der Konsumgesellschaft beziehungsweise ihres
nur auf den Aspekt städtischer Raumbildung und -nutzung
räumlichen Ausdrucks zur Kenntnis. Die Diagnose ist für den
beschränkt, kann öffentliche Steuerung und Planung an herr-
Eingeweihten klar: «Bei der Herausbildung der zeitgenössi-
schenden Bewegungen bestenfalls gewisse Ausprägungen
schen Stadtlandschaften ist ein architektonisches Verständ-
beeinflussen.
nis von Raum überhaupt kein Thema. Die Gesellschaft baut sich ihre Räume auch ohne Architekten und ohne sie mit
Bigness
Raumqualitäten anzureichern, welche die Architektur bei-
In der Vergangenheit war das sicherlich einfacher, wobei
steuern könnte. Die Artikulation von Raum ist der Urbanis-
dem unmittelbar sinnlichen Eindruck grosse Bedeutung
tik abhanden gekommen.» 1 Gleichwohl ist ein Zurück zum
zukam. Schon der klare und formale Gegensatz zwischen
«grossen Plan» und zum omnipotenten Städtebauer derzeit
Stadt und Land – verkörpert und symbolisiert bereits in der
alles andere als realistisch. Zudem gibt es in unserem Ge-
Antike durch die Stadtmauer – hat offenkundig eine starke
meinwesen keine politische Institution, die einen solchen
ästhetische Wirkung gehabt. Lewis Mumford zufolge «be-
Kraftakt heute noch bewältigen könnte. (Selbst ein Mitter-
gründete und unterstützte die Kunst mit einer Wirkung, die
rand hat ja in seiner Kapitale letztlich nur einzelne grand
weit über blosse Worte hinaus ging, alles, was die neue
projets befördern können.) Wenn man aus dem einhelligen
Ordnung eingeführt hatte, um die Dimensionen des alten,
Befund also nun die Theorie ableitet, «dass Kontingenz nicht
rein agrarischen Raums zu ändern: vor allem die Macht der
durch architektonische Enthaltung erreicht wird, denn wirk-
ungezügelten Phantasie selber, das Mögliche in das Wirk-
lich neutrale Räume gibt es gar nicht, sondern im Gegenteil
liche zu verwandeln und die bescheidenen Gewohnheiten
durch architektonische Prägnanz» 2, so scheint das zwangs-
des täglichen Lebens zu prachtvollen Gebilden zu vergrös-
läufig in ein urbanistisches Surrogat einzumünden: das mög-
sern».5 Es scheint dies eine bleibende Disposition zu sein, die
lichst grossmassstäbliche Projekt.
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auf die Frage, wie man heute urbanistisch zu agieren habe,
Zwar wird die Konzentration der stadtplanerischen An4
zurückwirkt: «Eine der neuen Antworten war das Konzept
allerorts praktiziert,
von Bigness, die Vorstellung, unter den Bedingungen moder-
erweist sich aber bei näherem Hinsehen als durchaus
ner Stadtentwicklung könne nur das sehr grosse, komplexe
strengungen auf Schlüsselprojekte
zwiespältig. Denn die vielzitierte «Festivalisierung» der
Projekt genügend Kraft entwickeln, um Weichen zu stellen,
Stadtentwicklung, die vornehmlich Grossereignisse fokus-
neue räumliche Ordnungen zu etablieren und Orte zu markie-
siert und Manpower, Fach- und Entscheidungskompetenz
ren.» 6 Geprägt wurde diese Vorstellung von Rem Koolhaas,
2 Rem Koolhaas: Einleitende Doppelseite zum Essay «Bigness» (aus: S,M,L,XL, New York 1995, S. 494 f.)
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THE INTERLACE 1– 4 Office for Metropolitan Architecture (OMA), The Interlace, Singapur, 2010 (Visualisierungen: OMA)
Office for Metropolitan Architecture Text: Rahel Kesselring The Interlace in Singapur versteht sich als eine neue Typologie zeitgenössischen Siedlungsbaus. Anstelle von einzelnen, turmartigen Gebäuden – der vorherrschenden Wohnbautypologie in Singapur – schafft der Entwurf ein komplexes System von Wohnräumen und öffentlichen Bereichen. Im Vergleich zu Wabensiedlungen der Sechzigerjahre (Bijlmermeer Amsterdam, Park Hill Estate Sheffield) handelt es sich bei The Interlace allerdings um eine Anlage von Luxusappartements. 31 Wohnblöcke, alle sechsgeschossig und von gleicher Dimension, sind so gestapelt, dass sie eine hexagonale, durchlässige Struktur ergeben, welche acht gewaltige Höfe umschliesst. Die verzahnten Wohnblöcke schaffen eine vertikale Stadt, bestehend aus gemeinschaftlichen und privaten Bereichen auf mehreren Ebenen. Während einerseits die Privatsphäre der einzelnen Wohnungen durch die schiere Grösse der Wohnbauten gewährleistet ist, wird andererseits auf den Dächern des Gebäudekomplexes ein Netzwerk öffentlicher Aussenräume geschaffen, welches in seiner Gestaltung die nahe Umgebung wiederaufnimmt. Der 170 000 Quadratmeter grosse Projektperimeter liegt zwischen Kent Ridge Park und Mount Faber Park im Süden Singapurs in einem üppig bewachsenen Hügelgebiet. Der Baubeginn der Siedlung ist auf dieses Jahr angesetzt.
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DER SECHSTE FINGER Halbzeit in Ørestad, Kopenhagen Nur wenige Minuten vom Stadtzentrum Kopenhagens entfernt und mit der Metro perfekt erschlossen, liegt Ørestad, Dänemarks grösstes Stadterweiterungsareal. Trotz einigen Planungsfehlern darf das Projekt als weitgehend gelungen angesehen werden.
1 Ørestad von Süden. Im Vordergrund das 8 House von BIG, im Hintergrund die Innenstadt von Kopenhagen (Foto: Dragør Luftfoto)
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Text: Jan Geipel
Transformation eines Militärgeländes
Kopenhagen, die königliche Metropole am Øresund, gilt laut
Bereits ein flüchtiger Streifzug auf dem aktuellen Stadtplan
international vergleichenden Rankings weiterhin als eine der
lenkt die Aufmerksamkeit vom leicht erkennbaren Zentrum
lebenswertesten Städte der Welt und wächst – trotz Krise,
der unter Christian IV. ab dem 17. Jahrhundert entwickel-
Steuerdruck und einem bekanntlich wenig erfolgreichen
ten Innenstadt weg Richtung Süden, auf ein scharf umris-
Klimagipfel im vergangenen Dezember – kontinuierlich und
senes, nahezu schnurgerades Patchwork aus grossformati-
gewaltig. Noch hält das Tourismusamt der Stadt beharrlich
gen räumlichen Figuren. Ein vergleichender Blick auf den
am suggestiven Werbeslogan des traditionsgeprägten Won-
1947 beschlossenen Fingerplan zur zukunftsweisenden Ent-
derful Copenhagen fest. Auch auf der unmittelbar bevorste-
wicklung, Transformation und Verdichtung der dänischen
henden Weltausstellung in Shanghai präsentiert Dänemark
Hauptstadt weist hier inzwischen einen markanten sechsten
mit Welfairytales – einem wohlklingenden suggestiven Wort-
Finger südlich des Zentrums auf. Das 3,1 Millionen Quadrat-
verschnitt aus Wohlfahrtsstaat und Andersens Märchenwelt –
meter grosse, annähernd flache Gelände auf der Insel Ama-
ein eher konservativ-romantisches, emotional aufgeladenes
ger, in der Nähe des Flughafens Kastrup, wurde vorher als
Stadt- und Selbstverständnis. Die perforierte Aussenhülle
militärisches Übungsgelände genutzt und ist augenblicklich
des Pavillons zeigt die scherenschnittartige Altstadtsilhou-
Schauplatz der umfassendsten städtebaulichen Veränderun-
ette Kopenhagens, Mittelpunkt des Innenraums bildet ein mit
gen Kopenhagens.
dänischem Wasser gefülltes Bassin und die für diesen Zweck
Die städtebauliche Gesamtkonzeption basiert auf einem
eigens eingeflogene Meerjungfrau (vgl. S. 86). Wer jetzt nach
1994 ausgeschriebenen internationalen Wettbewerb, aus
ein paar Jahren das Ziel seiner Reise wieder in die königliche
dem das finnisch-dänische Joint Venture ARKKI als erfolg-
Hauptstadt legt, wird feststellen, dass die Tourismusstrate-
reicher Gewinner unter vier prämierten Projekten hervorging.
gen noch nicht richtig in der Zukunft der eigenen Stadt ange-
Die zuständige Entwicklungsgesellschaft hat die Konzeption
kommen zu sein scheinen, oder ihr Marketing einer selbstbe-
von Beginn an als ambitiöse, vollwertige, dichte, funktions-
wussten Modernisierung und Neudefinition bedarf.
durchmischte Stadt verstanden, sie gedacht und entwickelt
sowie verbindliche Gestaltungsprinzipien und Richtlinien festgelegt: eine direkte Verbindung zwischen entstehender, dichter, partiell auch in die Höhe zu entwickelnder Stadt und existierender naturschöner Umgebung mit hoher Erholungsqualität, ein exzellentes Wegenetz für Fussgänger und Fahrradfahrer, Kanäle und Seen als gestalterisches Leitelement, hohe Anforderungen an die Nachhaltigkeit, eine durchdachte Parkplatzpolitik, und als Bindeglied die Errichtung einer Metrolinie, finanziert durch den Verkauf von Bauland in Ørestad.
Transnationale Verbindung Der Startschuss wurde ursprünglich von der 1993 gegründeten Ørestad-Gesellschaft initiiert. 2007 wurde diese mit København Havn, einer für die innerstädtischen Hafenbereiche zuständigen Entwicklungsgesellschaft, fusioniert und firmiert seither unter dem Namen By & Havn, übersetzt «Stadt
2 Fingerplan von Kopenhagen, 1947 (Abb. 2, 4–6: Archiv Hubertus Adam) 3 ARKKI: Masterplan für Ørestad, 1994
und Hafen». Diese zeichnet nunmehr verantwortlich für die künftige Weiterentwicklung des Stadtteils, daneben auch für die in der Entstehung befindlichen Hafenbereiche Sluseholmen, Teglholmen und Nordhavnen. Der Name Ørestad wurde bereits seit den Fünfzigern und Sechzigern verwendet und bezeichnete damals noch etwas diffus den wirtschaftlich zu entwickelnden Bereich beiderseits der Meeresenge Øresund – mit der Kopenhagener Metropolregion auf der dänischen Seite und der Region Skåne mit den Städten Malmø, Lund und Helsingborg auf der schwedischen Seite. Aber erst seit Juli 2000 verbindet, ganz in der Nähe von Ørestad und jetzt davon profitierend, ein Brückenbauwerk über den Øresund die Städte Kopenhagen und Malmø. In elegant geschwungener Linie ist die Brücke technisch, logistisch und politisch ein tragfähiges Symbol für den politischen Willen, länderübergreifend eine kollektive Identität als konkurrenzfähiger European Player auf- und auszubauen und die Wirtschaftsregion in einer zusammenhängenden Region strategisch miteinander zu vernetzen. Unter dänischen Architekten und Stadtplanern allerdings gab es damals vehemente Vorbehalte gegenüber der Idee von Ørestad und ein entsprechend verhaltenes Interesse am Wettbewerb. Man zeigte sich skeptisch gegenüber der für dänische Verhältnisse massstabssprengenden Grössenordnung. ARKKI jedenfalls hat den extrem gestreckten Zuschnitt dieses sechshundert Meter breiten, fünf Kilometer langen Teppichs kraftvoll ausgelegt und in vier von Nord nach Süd gelesene Quartiere unterteilt. Die künftigen Stadtviertel Ørestad Nord, Amager Fælled, Ørestad City und Ørestad Süd wurden mit jeweils individuellen Charakteristika und unterschiedlicher Gewichtung der dort etablierten Funktionen ausgestattet. Die Metrolinie als infrastrukturelle Wirbelsäule mit dichtem Takt, dichtem Stationsnetz und vierundzwanzigstündigem Betrieb und ein parallel dazu errichteter Boulevard wurden bereits 2002 fertiggestellt. Die Metro verläuft in einer über Kanälen, Bassins und dazwischengeschalteten Grünbereichen schwebenden Hochtrasse und offeriert in Querrichtung zwischen den Quartieren eine hohe visuelle wie strukturelle Durchlässigkeit. Damit war ein ganz wesentlicher Generator für die nachfolgende Bauaktivität geschaffen.
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VISION, UTOPIE, KALKÜL Die Planungsgeschichte von Graz-Reininghaus In Graz, der zweitgrössten Stadt Österreichs, wird ein neuer Stadtteil entwickelt. Mit neuartigen Entwicklungsstrategien hat eine private Immobilienentwicklungsgesellschaft versucht, einen 54 Hektar grossen Stadtteil auf dem ehemaligen Brauereigelände Reininghaus entstehen zu lassen – und doch ein vages Erbe hinterlassen.
«Alles, was in Wirklichkeit das Leben ausmacht, kommt nachher – alles, was den Profit ausmacht, kommt davor.» Ernst Scholdan, Privatinvestor
Text: Martin Zettel Bereits im 14. Jahrhundert erweiterte Graz sein Stadtgebiet über die Mur nach Westen bis zur heute noch immer existierenden Alten Poststraße, um von dem an Graz vorbeifliessenden Alpen-Adria-Verkehr Maut einheben zu können. Dem Mauthaus folgte eine Gastwirtschaft, deren Besitzer 1669 vom Fürsten zu Eggenberg die Erlaubnis für die Errichtung einer Brauerei erhielt. Diese wurde in der Folgezeit von Johann Peter und Therese Reininghaus samt Mauthaus und 45 Hektar Land erworben. Mit der Gründung der Firma Brüder Reininghaus wurden in den darauffolgenden Jahrzehnten auf diesem Areal mehrere Eisteiche angelegt, ein Kanal zur Mur gegraben und das Gelände 1882 schliesslich an die Südbahn angeschlossen. 1 Unter der Diktatur der Nationalsozialisten wurde zu Beginn des Zweiten Weltkriegs auf Grundlage eines Masterplans für «Gross-Graz» die Gemeinde Eggenberg, auf der sich das Gebiet heute befindet, in die Stadt eingegliedert. 2 Die bis zum Kriegsende durch Bombenangriffe stark beschädigte Brauerei Reininghaus wurde mit Ende des Zweiten Weltkriegs mit der Brauerei Puntigam 1 Flächenvergleich: Graz-Reininghaus und Altstadt (Asset One) 2 Graz-Reininghaus: Blick in Richtung Nord-Osten (Asset One)
(im Stadtteil Graz-Puntigam) zur Steirerbrau AG zwangsfusioniert und die Bierproduktion komplett nach Puntigam verlagert, Ländereien und Gebäude wurden verpachtet und die Freiflächen fielen zum Teil bis heute andauernder landwirtschaftlicher Nutzung zu. Erst Anfang der Neunzigerjahre gaben die damaligen Besitzer des Areals gemeinsam mit der Stadt eine Verwertungsstudie in Auftrag, aus der das Konzept für einen neuen Kulturstadtteil resultierte. Wie viele andere Überlegungen, zum Beispiel die Errichtung eines «Wonder World of Music»Themenparks 3 oder eines Olympischen Dorfes (für den Fall
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einer positiven Bewerbung für die Winterspiele 2002), blie-
begebiet ausgewiesene Grundstück zunächst weder eine
ben diese Konzepte unrealisiert. 4 Als erster Impuls für die
langwierige Flächenumwidmung beantragt noch wurden
Aufwertung des Grazer Westens gilt die im Rahmen des
Bebauungspläne entwickelt. Scholdan spekulierte somit mit
EU-Programms URBAN 5 unter Beteiligung der Stadt Graz
Flächen, die der notwendigen Widmung als Kerngebietszone
ab 1997 in unmittelbarer Nachbarschaft angesiedelte Fach-
für eine mögliche Umsetzung seiner späteren Vision noch gar
hochschule Joanneum. In den darauffolgenden Jahren kam
nicht entsprochen haben.
3 Die Brauerei Reininghaus um das Jahr 1908
es nach einer weiteren erfolgreichen Bewerbung der Stadt Graz für das Programm URBAN II mit dem Titel «Urban_Link
«Wie macht man eine Stadt?»
Graz-West» zum Bau der Helmut-List-Konzerthalle und zum
Das heute grossteils brachliegende Gebiet liegt rund zwei
Ausbau des Fachhochschulcampus Graz-West. 6
Kilometer vom flächenmässig etwa gleich grossen, UNESCOgeschützten Altstadtkern der Landeshauptstadt entfernt. Es
Spekulation
ist im Grazer Bezirk Eggenberg im Westen der Stadt einer-
Während dieser punktuell fortschreitenden Entwicklungs-
seits von Wohn- und Gewerbegebieten und andererseits von
phase übernahm 2003 die Brau Union die Steirerbrau AG,
Industriearealen umschlossen. Die enorme Grösse der Fläche
welche wiederum von der Heineken AG erworben wurde.
veranlasste Scholdan anfangs dazu, ein gesamtstrategisches
Diese Übernahmen wurden damals von Ernst Scholdan und
Konzept für ein «zweites Stadtzentrum» erarbeiten zu lassen
seinem Beratungsunternehmen DDWS betreut, der dadurch
– ein Prozess, in den er sich selbst zu Beginn stark einband.
über viele Jahre hinweg das Portfolio dieser Konzerne beob-
Mit dem Anspruch «Wie macht man eine Stadt?» stand seine
achten konnte. Als Heineken im Jahr 2005 die ehemaligen
allgemeine Frage im Raum, und er baute sich auf jenem Ge-
und für den Brauereibedarf nicht mehr betriebsnotwendi-
lände im Jahr 2007 erstmal seine – wie er meinte – «fiktive
gen Immobilien abspaltete und von diesen ursprünglich 3,4
kleine temporäre Stadt» – in Form eines internationalen Ten-
Millionen Quadratmetern Fläche 2,7 Millionen verkaufte,
nisturniers. Ziel dieser Marketingstrategie war, das brachlie-
schlug Ernst Scholdan mit der von ihm eigens für den Kauf
gende Gebiet aus der Anonymität – die aus Scholdans Sicht in
gegründeten Immobilienentwicklungsgesellschaft Asset
den Köpfen der Bewohner für diesen Ort herrschte – heraus-
One zu. Für einen Kaufpreis von rund 260 Millionen Euro
zuheben. Initialzündung waren die «Konzeptionen des Wün-
übernahm Asset One ein Paket mit Zinshäusern, Super-
schenswerten» von 2006: 32 ausgewählte Grazer Bürger dis-
edifikaten (Grundstücke mit Baurechten) und 1,5 Millionen
kutierten unter der Leitung von Asset One über die Stadt von
Quadratmetern Industrieland an den Standorten Wien, Linz,
Morgen und wurden auf Ideensammlung und Exkursionen
Salzburg und Graz. Die Flächen in Wien und Linz wurden
geschickt. Besonders und von strategischer Bedeutung ist,
als strategisch uninteressant deklariert und sofort weiter-
dass der Stadtbaudirektor und der Leiter des Stadtplanungs-
verkauft. In Graz verteilte sich die Fläche auf die nicht zu-
amtes bereits in dieser Phase integriert wurden – allerdings
sammenhängenden Grundstücke von Graz-Puntigam sowie
nicht in ihren Amtsfunktionen, sondern als Privatpersonen.
Graz-Reininghaus, wobei letzteres als einziges eine kom-
Als Ergebnis dieses ersten Nachdenkprozesses entstand ein
pakte Grundstücksfläche mit einer Grösse von 540 000 Quad-
Buch, das die Berichte und Erfahrungen dokumentiert und
ratmetern aufweist. Allerdings wurde für dieses als Gewer-
unter anderem auf der MIPIM-Immobilienmesse in Cannes
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