archithese 3.2018 – Bayern

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Moderat modern Architekten aus Bayern sprechen über ihre Haltungen und Konzepte.

Alte und neue Analoge Hild und K, Max Otto Zitzelsberger und Almannai Fischer bringen Traditionelles und Zeitgemässes zusammen.

Hoffnungsträger raumstation, Carmen Wolf, Katharina Leuschner und Westner Schührer Zöhrer sprechen über die Lage junger Architekten in Bayern.

Querdenker Peter Haimerl über Architektur als Motor für das Land Muck Petzets progressiver Umgang mit dem Bestand

Handlungsbedarf Junge ohne Chancen bei Wettbewerben, kaum weibliche Bürochefs, Landflucht und Wohnungsnot – es gibt viel zu tun !

Bayern SEPT – NOV 3.2018 CHF 28.– |  EUR  24.–


Bayern SEPT – NOV  3.2018

3 Editorial 9 Den Jungen eine Stimme geben! Vorschläge zu Veränderungen des deutschen Wettbewerbswesens Andreas Garkisch 19 Moderate Avantgarde Andreas Hild und Dionys Ottl sprechen über aktuelle Entwicklungen in der bayerischen Architektur und aktuelle Projekte des Büros. Jørg Himmelreich 36 Produktive Unschärfe Almannai Fischer, raumstation und Carmen Wolf über den Umgang mit dem Kontext und das kreative Arbeiten mit Referenzen Rainer Schützeichel

48 Inversionslage Die architektonischen und wirtschaftlichen Potenziale des ländlichen Raums in Bayern Julia Hinderink 56 Bewahren durch Überformen Tradition, Emotion und Szenografie als Ingredienzen für ein zeitgemässes Bauen auf dem Land Peter Haimerl 64 Ausschwärmen Katharina Leuschner, Westner Schührer Zöhrer und Max Otto Zitzelsberger geben Impulse für die bayerische Architektur. Elias Baumgarten

76 München – kurze Liebe und

lange Resignation Eine Kritik an der architektonischen Stagnation seit den 1970er-Jahren Muck Petzet 84 Diskursfreudig Inputs von aussen und mehr Austausch der Architekten untereinander bringt die Münchner Architektur voran.

Rubriken 92 Premium Brands Online 94 Neues aus der Industrie 96 Vorschau und Impressum

Peter Haimerl, Umbau und Sanierung Schusterbauernhaus, München-Riem, 2015 (Visualisierung basierend auf einem Foto von Edward Beierle © Euroboden)


archithese 3.2018

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Editorial Bayern

München wird oft als Deutschlands heimliche

neuen Historismus. Doch ist das eine verkürzte Sicht, denn häu-

Hauptstadt bezeichnet. Rankings verorten es im globa-

fig werden auch Bauten der 1950er-, 1960er- und 1970er-Jahre als

len Vergleich hinsichtlich der Lebensqualität meist

wertvoller Fundus erachtet, aus dem man schöpfen kann. Einige

unter den Top Ten, häufig gar als Sieger. Bayern gilt

Gestalter wie Katharina Leuschner suchen nach einer neuen

zudem als Primus in Sachen Wirtschaftskraft und For-

Balance zwischen einer zeitgemässen Produktion und rationel-

schung und ist entsprechend gefragter Standort für Fir-

len Bautechniken einerseits und baukulturellem Anspruch

men der Spitzentechnologie.

andererseits – etwa in Gestalt der Forderung nach tiefen Fassa-

Im Gegensatz dazu werden aber weder München

den, einer Vielfalt an Farben und Materialien und dem formalen

noch der Freistaat als Labor für wegweisende Architek-

Ausdruck. Andere wie Peter Haimerl glauben, Traditionen und

tur gesehen. Statt­dessen hält man vielfach an bewähr-

baukulturelles Erbe seien nur durch kraftvolle Überformung

ten Konzepten und Typologien fest. Muck Petzet be­-

zukunftsfähig.

hauptet gar, dass die Entwicklung in der Architektur

Verglichen mit der bundesdeutschen Architekturproduk-

der Landeshauptstadt bereits Ende der 1970er-Jahre

tion machen sie vieles gut und richtig – und doch sind sie irgend-

zum Stillstand ge­­kommen sei. archithese hat sich dennoch entschieden, genauer

wie zu brav. Es mangelt noch an Experimentierfreude. Die Arbeits- und Lebensrealitäten der Menschen werden selten hin-

hinzusehen und Bayern ein « Länderheft » zu widmen.

terfragt – weder von Politikern und Investoren noch von den

Grund dafür waren drei Jubiläen – der Freistaat wird

Architekten, die sich dem Thema allenfalls am Rande widmen.

100, die zweite Verfassung trat vor 200 Jahren in Kraft

Ökonomische Prozesse zwängen das Bauen in die immer glei-

und die TU München feiert ihren 150. Geburtstag. Die

chen Fahrrinnen. Wenige Ausnahmen sind junge Genossen-

Inventur hat sich gelohnt: Aktuell bringt sich im Frei-

schaften wie die Kooperative Grossstadt, Baugruppen oder Ver-

staat eine neue, vielversprechende Gestaltergeneration

fahren mit Bürgerbeteiligungen. Wenn schon das Experiment

in Stellung. Andreas Garkisch attestiert jungen Hoch-

bei den Typologien und Grundrissen weitestgehend ausbleibt, so

schulabsolventen eine hohe Sprachkompetenz sowie

zeigt sich zumindest an einem postmodern anmutenden Voka-

Stärken bei Grundrissen und dem Austarieren von Alt

bular – wenn auch nicht mehr in Form von Ironie und Witz – eine

und Neu. Zudem zeigt sich – etwa in den Arbeiten jun-

gewisse Leichtigkeit.

ger Büros wie Almannai Fischer, raumstation oder

Das Heft segelt nah an den Ideen, Konzepten und Wün-

Westner Schührer Zöhrer – eine neue Offenheit gegen-

schen der jüngeren Generation, um Ansporn für mehr gestalte-

über dem Kontext. Dabei spielt es keine Rolle, wie

rische Qualität und Vielfalt zu sein und dazu zu ermutigen, in

brüchig, unsauber und gebastelt oder wie vornehm und

Architektur zu investieren. Doch ist es kein Marketinginstru-

historisch bedeutend er ist; Mehrfachkodierungen wer-

ment, denn es fragt auch nach vorhandenen Problemen. Und

den bewusst gesucht.

diese sind fundamental : Das deutsche Wettbewerbs- und Ver-

Vieles kommt uns als schriftenreihe mit Sitz in

gabewesen benachteiligt junge Architekten und kleine Büros,

Zürich natürlich bekannt vor. Es zeigen sich Parallelen

weshalb der Schritt in die Selbstständigkeit schwierig ist. Archi-

zu Themen, die seit der Jahrtausendwende in der

tektinnen schaffen es selten in Führungspositionen. Auch auf

Schweiz diskutiert wurden und werden. Gelegentlich

der politischen Ebene stehen Aufgaben an: Wie können sich die

bezeichneten wir im Verlauf der Heftproduktion die

ländlichen Regionen trotz zunehmender Abwanderung fit für

interessanten jungen bayerischen Architekten wie Max

die Zukunft machen? In den prosperierenden Städten müssen

Otto Zitzelsberger oder das Büro nbundm * als dritte

wiederum rasch Lösungen für die wachsende Wohnungsnot

Generation der Analogen Architektur – allem voran

gefunden werden. So hat die druckfrische archithese auch eine

wegen ihrer Freude am Arbeiten mit Referenzen.

politische Agenda und fordert zum Anpacken auf   !

« Moderat modern » nennt sie Andreas Hild. Manchem hingegen mag dieser Ansatz konservativ erscheinen –

Jørg Himmelreich

Kritiker sprechen daher gelegentlich sogar von einem

Chefredaktor archithese


archithese kontext 25. Oktober 2018 18 Uhr Pinakothek der Moderne Barer Straße 40, München Ernst von Siemens-Auditorium

Pecha Kucha

Fresh Bavaria Andreas Hild, Hild und K, München Max Otto Zitzelsberger, München Katharina Leuschner, München Christian Brückner, Brückner & Brückner, Tirschenreuth Fränzi Essler, raumstation, Starnberg Benedict Esche, Kollektiv A, München Reem Almannai, Almannai Fischer, München Sebastian Streck, Florian Nagler Architekten, München Christian Neuburger, nbundm*, München Fabian A. Wagner, München Johann Spengler, steidle architekten, München Muck Petzet, München Peter Haimerl, München archithese bietet dreizehn bayerischen Architekten eine Plattform, um ihre Arbeiten und Konzepte in einem knackigen Kurzvortrag zu präsentieren. Freuen Sie sich auf persönliche Einblicke in Haltung und Denkweise der Referenten. Danach kann in entspannter Atmosphäre beim Apéro nach Herzenslust weiter debattiert werden.

Der Eintritt kostet EUR 20. Alle Infos zu den Tickets gibt es auf archithese.ch. Ein Exemplar archithese 3.2018 ist im Preis inbegriffen und wird vor Ort ausgehändigt. Abonnenten und Studierende sichern sich ihre Freikarte unter redaktion@archithese.ch

Partner

Unterstützer Bund Deutscher Architekten Bayern


archithese 3.2018

Bavaria Munich is often called Germany’s secret capital. In terms of quality of life, rankings usually place it among the top ten, often even putting it in first place. Bavaria is, in turn, regarded as a leader in terms of economic power and research, and as a popular home for companies involved with cutting-­ edge technology. In contrast, however, neither Munich nor the Free State of Bavaria as a whole is seen as a laboratory for pioneering architecture. Instead, proven concepts and typologies are adhered to in many cases. Muck Petzet even asserts that development in architecture in the state capital came to a standstill at the end of the 1970s. archithese has nevertheless decided to take a closer look, devoting an entire issue to Bavaria. The impetus for this comes from three anniversaries – the Free State of Bavaria is 100, Bavaria’s second constitution came into force 200 years ago and TU Munich is celebrating its 150th birthday. And the inventory has paid off: Currently, a new and promising generation of designers is taking up position in Bavaria. Andreas Garkisch affirms that young college graduates have a high language proficiency and strengths in devising floor plans and balancing the old and the new. Moreover, there is a new openness to context – in the work of young firms such as Almannai Fischer, raumstation and Westner Schührer Zöhrer, for example. No matter how fragile, impure and tinkered or how dignified and historically significant the context may be; multiple encodings are consciously sought. As we are based in Zurich, much naturally seems familiar to us. There are parallels to what has been (and still is being) discussed in Switzerland since the new millennium. While working on this issue, we occasionally referred to interesting young Bavarian architects like Max Otto Zitzelsberger or the firm nbundm* as exponents of third-generation Analogue Architecture – above all because of their delight in working with references. Andreas Hild calls them moderate modernists. But that’s too drastic, because paradigms from the 1950s, 60s and 70s are often also deemed a valuable source from which to draw. Some designers, such as Katharina Leuschner, are evidently looking for a new balance between contemporary production and rational building techniques on the one hand, and the aspirations of building culture on the other – like calls for formal expression, for a diversity of colors and materials, and for facades with depth. Still others like Peter Haimerl believe that ­traditions and our built cultural heritage can only be preserved through forceful transformation. Compared to German architectural production overall, they are doing a lot properly and well. And yet, somehow they are too well behaved. An experimental spirit is still lacking. The realities of people’s work and life are seldom questioned – neither by politicians and investors nor by the architects who address the subject rudimentarily at best. Economic processes force everything into the same old rut. A few exceptions are young cooperatives like Munich’s Kooperative Grossstadt, self-build groups and public participation procedures. Even though experimentation with typologies and plans remains largely absent, at least a postmodern vocabulary – albeit no longer in the form of irony and wit – reveals a certain lightheartedness. This issue sails closely past the ideas, concepts and desires of the younger generation, aiming to be a stimulus for more design quality and diversity and to encourage investment in architecture. But it is not a marketing effort, because it also inquires about the problems. And these are fundamental: German competitions and procurement procedures place young architects and small firms at a disadvantage, making venturing into self-employment difficult. Women architects rarely make it to positions of leadership. And there is work to be done at the political level too: How can rural regions prepare themselves for the future despite increasing outflows of p­ eople? In prospering cities, by contrast, solutions for the growing housing shortage must be found quickly. So this freshly printed archithese becomes a political agenda, issuing a call for action!

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La Bavière Munich est souvent désignée comme la capitale occulte de l’Allemagne. Les classements la situent globalement parmi les dix premières villes pour ce qui est de la qualité de vie, voire comme la ville gagnante. La Bavière occupe quant à elle la première place en raison de sa puissance économique et pour ce qui est de la recherche. Elle est très cotée en tant que siège pour les entreprises actives dans les technologies de pointe. Par contre, ni Munich ni l’Etat libre de Bavière dans son ensemble ne sont considérés comme le laboratoire d’une architecture porteuse d’avenir. Au contraire, on s’accroche très souvent à des concepts et à des typologies qui ont fait leurs preuves. Muck Petzet va jusqu’à prétendre que le développement de l’architecture dans la capitale du Land s’est arrêté à la fin des années 1970. archithese a malgré tout décidé de regarder cela de plus près et de consacrer un numéro à la Bavière en raison de trois jubilés : L’Etat libre de Bavière est centenaire, la première Constitution date de deux cents ans, et l’Université technique de Munich fête ses cent cinquante ans. Et l’inventaire en vaut la peine : une nouvelle génération prometteuse de créatifs prend ses marques. Andreas Garkisch reconnait aux jeunes diplômés académiques une compétence linguistique élevée, ainsi que des forces dans l’élaboration du plan et dans la recherche de l’équilibre entre le vieux et le neuf. De plus, une nouvelle ouverture face au contexte est perceptible, par exemple dans les travaux de jeunes bureaux tels que Almannai Fischer, raumstation, ou Westner Schürer Zöhrer. Peu importe à quel point le contexte est friable, mal fait et bricolé, ou distingué et historiquement important ; les codifications multiples sont consciemment recherchées. Comme périodique avec siège à Zurich, bien des choses nous paraissent naturellement familières. Des parallèles sont perceptibles avec ce qui a fait et fait encore l’objet du discours en Suisse depuis le tournant du millénaire. Il nous est arrivé de temps à autre de désigner de jeunes architectes bavarois, comme Max Otto Zitzelsberger ou le bureau nbunddm* en tant que troisième génération de l’architecture analogique, avant tout pour leur plaisir à travailler avec des références. Andreas Hild les qualifie de modérément modernes. Cela correspond cependant à une vision trop restreinte des choses, dans la mesure où des exemples des années 50, 60 et 70 sont considérés comme un précieux magasin des accessoires dans lequel on peut puiser. Quelques concepteurs, comme Katharina Leuschner, cherchent manifestement un nouvel équilibre entre, d’une part, une production contemporaine aux techniques constructives rationnelles et, d’autre part, la revendication de la culture du bâti, par exemple par l’exigence portant sur des façades profondes, des couleurs et des matériaux multiples, ainsi que sur l’expression formelle. D’autres, comme Peter Haimerl, pensent que les traditions et l’héritage du bâti ne peuvent être préservés qu’en les retravaillant avec force. Comparé avec la production architecturale de l’Allemagne dans son ensemble, bien des choses sont bien faites ou justes. Et pourtant, d’une certaine manière, ces architectes sont néanmoins un peu trop sages. La joie de l’expérimentation leur fait encore défaut. Les conditions de vie et de travail sont rarement remises en question, ni par les politiciens et les investisseurs, ni par les architectes qui, si ils s’y attèlent, les abordent de manière rudimentaire. Les processus économiques mènent à chaque fois dans les mêmes ornières. De jeunes coopératives comme la Kooperative Grossstadt, des groupes de constructeurs ou des procédures participatives constituent de rares exceptions. Si l’expérimentation concernant la typologie et le plan fait défaut pour l’essentiel, une certaine légèreté apparait dans le vocabulaire teinté de post-modernisme, ironie et plaisanterie en moins. Le présent numéro s’approche sensiblement des idées, des concepts et des désirs de la jeune génération. Cette édition veut ainsi inciter à plus de qualité dans la conception, à plus de diversité, et encourager à investir dans l’architecture. Elle n’est pas pour autant une opération de marketing, dans la mesure où elle nous questionne sur les problèmes. Et ceux-ci sont fondamentaux. La procédure allemande des concours et des attributions de mandats défavorise les jeunes architectes et les petits bureaux. Le passage à l’indépendance est, de ce fait, difficile. Les femmes atteignent rarement des postes de direction. Des tâches se profilent également sur le plan politique : comment les régions rurales peuvent-elles se préparer pour l’avenir en dépit de l’augmentation constante de l’exode rural ? Les villes prospères doivent quant à elles trouver rapidement des solutions face à la pénurie croissante de logements. Le numéro fraichement imprimé d’archithese devient ainsi agenda politique et enjoint à aborder les problèmes à bras-le-corps.


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Moderate Avantgarde Andreas Hild und Dionys Ottl sprachen mit Jørg Himmelreich über aktuelle Entwicklungen in der Architektur Bayerns. Gemeinsam besuchten wir mehrere neue Projekte von Hild und K in München, bei denen sich aktuelle Interessensschwerpunkte des Büros abzeichnen – etwa das Arbeiten mit vorfabrizierten Elementen, gewollte Abweichungen in regelhaften Systemen und die Suche nach einer Architektur mit Atmosphäre. Auf der Dachterrasse des Münchner Hotels Louis sprachen wir im Anschluss daran über das vermehrte Auftauchen analoger Konzepte in der Münchner Szene, über Wohnungsnot und Probleme im Wettbewerbswesen. Fotos: Michael Heinrich

Jørg Himmelreich  Für diese Ausgabe der archithese suchen wir nach jungen, quirligen Architekten in Bayern. Welche eurer Kollegen machen spannende Arbeiten?

Dionys Ottl Die bayerische Architekturszene kann man nicht als « quirlig » beschreiben. München, wo derzeit am meisten passiert, ist ein sicherer ­Hafen für Kapital. Die Stadt will nichts Schnelllebiges. Anders ist das in Berlin, wo man eine Popskulptur hinstellen kann, die dann alle wahnsinnig modern und futuristisch finden, die aber letztlich nur eine Wiederauflage von Architektur der 1960er- und 1970er-Jahre ist. Nicht, dass ich die nicht auch gut fände – schliesslich hat sie uns geprägt, und ich habe mir auch gerne die von Ken Adam ausgestatteten James-BondFilme angeschaut –, doch in München gibt es eine andere Vorstellung davon, was zeitgemäss ist.

Andreas Hild  München hat ähnlich wie Münster, das ebenfalls nach dem Zweiten Weltkrieg wiederaufgebaut wurde, die Tradition einer gemässigten Moderne. Sie ist moderierend und besänftigend. Wer hier erfolgreich sein sozialistisch, dass irgendwer Angst um will, muss die richtige Balance finden seine Investitionen haben musste, und zwischen etwas Neuem und einer Idee die Grünen haben nie versucht, den von Tradition, Gewachsen- und Gewor- ­Autoverkehr in München abzuschaffen. denheit. Das ist schon seit Gabriel von Seidls ( 1848–1913 ) Zeiten so. Schafft man AH Und doch ist die bayerische das nicht, kann man wie Karl Schwanzer Architekturszene nicht behäbig oder genau ein einziges Gebäude machen: zaghaft. Nehmen wir zum Beispiel Nach dem BMW-Turm ( 1972 ) hat er in ­Florian Nagler: Er macht seit vielen JahMünchen nichts mehr bauen können. ren profunde, sehr saubere Arbeiten. Das heisst nicht, dass keine innovative Seine Architektur ist regional verwurArchitektur möglich wäre. Aber es ist zelt und zeugt von grossem Engagement. ein schmaler Grat zwischen diesen bei- Vielleicht kann man sagen, Nagler ist der den Polen. « bayerischste » aller Architekten. Er hat das grosse Satteldach für die zeitgenösDO Wir Münchner sind keine sische Architektur wiederentdeckt, und ­polarisierende Gesellschaft. Seit zwei er entwickelt seine Gestaltungen aus Jahrhunderten wird in der Politik wie in einer lokalen Handwerklichkeit heraus. der Architektur versucht, alle abzuho- In Bad Heilbrunn errichtete er etwa len; jeder soll sich darin wiederfinden mit dem Gut Karpfsee für die Stiftung können. Die Stadtregierung fährt seit ­ Nantesbuch ein wunderbares grosses Jahrzehnten einen stabilen, gemässigten Gebäude, in dem ein Viehstall mit HeuKurs, auch wenn die Parteikonstella­ boden sowie ein Seminarzentrum mit tionen wechseln. Die SPD wurde nie so Gästezimmern untergebracht sind.


Umbau und Sanierung Haus 0505 der TU München, München, 2013 Hild und K legten bei der Umgestaltung und Ertüchtigung des Bauwerks aus dem Jahr 1959 das prägnante Gerüst aus übereinandergestapelten Stahlbetonrahmenkonstruktionen frei. Sie wandelten das Hochschulgebäude, das ursprünglich Versuchshallen und Werkstätten für Maschinenbauer beinhaltete, in Räumlichkeiten für den Fachbereich Bauinge­ nieurs- und Vermessungswesen um. An der neuen Strassenfassade aus Fertigteilen zeichnen Pfeiler und Brüstungen aus titangrauen Vormauerklinkern die Tragstruktur nach und bringen sie durch unregelmässige Wölbungen zugleich in Schwingung. Der früher zurückspringende Eingang wurde an die Strasse verlegt. Mehrere Bleiglasfenster wurden in die neue Fassaden­ ebene versetzt. Dadurch erhielt das Treppenhaus eine Galerie mit beinahe sakralem Charakter. Neue Elemente, wie die geschwungene Treppe auf dem Foto, fügen sich scheinbar nahtlos in den Bestand ein und machen es dem Betrachter schwer, sie zu datieren.


Produktive Unschärfe Über die Entwurfshaltungen von Reem Almannai, Florian Fischer, Carmen Wolf, Fränzi Essler, Tim Sittmann-Haury und Walter Waldrauch Wie ist es um die jungen Architekturbüros in Bayern bestellt? Auf einer Rundreise durch den Grossraum München zeichnet dieser Bericht einen Querschnitt durch die Arbeit dreier Büros – Almannai Fischer, ­Carmenwolf und raumstation Architekten. Auch wenn ihre Herangehensweisen mitunter unterschiedlich sind, so befassen sie sich in ihren Projekten doch mit ähnlichen Themen: Da sind die Unterschiede zwischen Bauen auf dem Land und in der Stadt, der sensible und doch unverkrampfte Umgang mit dem Kontext, die Baugeschichte als Inspirationsquelle und Reibungsfläche und daraus resultierend die Frage nach dem Ver­ hältnis von Alt und Neu. Autor : Rainer Schützeichel

Hinaus aufs Land! Unweit des Hauptbahnhofs hat Carmen Wolf im Haus der Mayer’schen Hofkunstanstalt ihr Büro; selbst bei bedecktem Himmel taucht ein Glasmosaik das Treppenhaus in ein beinahe sakrales Zwielicht, das einen umfängt, bevor man ins helle Atelier tritt. Jenseits der Isar, im Osten der Stadt, haben Reem Almannai und Florian Fischer in einem pragmatischen Zweckbau am Rande eines Gewerbegebiets Quartier bezogen. Draussen in Starnberg residieren schliesslich Fränzi Essler, Walter Waldrauch und Tim Sittmann-Haury mit ihrem Büro raumstation in einer Villa, an deren Eingang ein kleines ­Bodenmosaik den Besucher mit einem etwas aus der Zeit gefal­lenen « Salve » willkommen heisst. Drei Architektinnen, drei Architekten, drei Büros, die im wahrsten wie auch im übertragenen Sinne ganz unterschiedliche Adressen haben, sich aber dennoch mit ähnlichen Themen befassen: dem Bauen auf dem Land, dem Umgang mit dem Kontext, der Baugeschichte als Inspirationsquelle und Reibungsfläche sowie dem Verhältnis von Alt und Neu. Entlang dieser Schwerpunkte sollen in diesem Artikel ihre Haltungen aufgezeigt werden. Dabei lassen sich ­einige Unterschiede feststellen, aber es zeigt sich auch ein Grundverständnis von Architektur sowie Problemstellungen, die ähnlicher sind, als man zunächst vermuten würde.

Alle drei Büros befinden sich also im Grossraum München – entweder direkt in der Stadt oder im nahen Umland, das den wenig schmeichelhaften Beinamen « Speckgürtel » trägt. Spricht man mit den Protagonisten, so fällt jedoch auf, dass trotz dieses starken städtischen Bezugs das Spannungsfeld von Land und Stadt präsent und ein wichtiger Teil ihrer Arbeit ist. Das hat teils biografische Gründe, kommt aber auch schlicht daher, dass Aufträge und Projekte dies- und jenseits der Stadtgrenzen winken. Florian Fischer ist ein Kind vom Lande. Aufgewachsen ist er in der niederbayerischen 100-Seelen-Gemeinde Goldern. Dieses Dorf ist, so sagt er, « noch vergleichsweise intakt, auch wenn es vielleicht in den Augen vieler Traditionalisten ein in den 1970er-Jahren ruiniertes Bauerndorf ist ». « Aber », so fügt er hinzu, « es ist ziemlich kohärent zerstört. » Die meisten ­Häuser des Dorfs wurden in den letzten Jahrzehnten umgebaut und teils stark überformt. Von Idylle kann also nicht die Rede sein. Fast soziologisch und mit provokativ-ironischem Unterton erklärt Fischer die dahinterliegende Dynamik des Anflickens und Weiterbauens: « In Goldern bauen auch heute vor allem Bauern. Sie folgen dabei etwas, das ich als ‹ bäuerliche Logik › bezeichnen würde. Sie sagen sich zum Beispiel: ‹ Es gibt eine Förderung für Solarzellen, also kommen sie aufs Dach! › Das ist eine sehr pragmatische Haltung und typisch für Bayern. »


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Almannai Fischer, Modellstudien

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1 Almannai Fischer, Mehrfamilienhaus, Goldern, 2018 2 Almannai Fischer, Studentenwohnheim, Weimar, seit 2017 3 Almannai Fischer mit dem Ingenieurbüro Fuchshuber, Stadthaus Altötting, voraussichtlich 2019 4 Almannai Fischer, Einfamilienhaus, Pleiskirchen, 2018 5 Almannai Fischer mit dem Ingenieurbüro Fuchshuber, Anbau Kindergarten Mehring, voraussichtlich 2019

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Bewahren durch Überformen Peter Haimerl über seine Architektur Tradition und regionale Baukultur stiften Identität. Sie zu bewahren, ist mir eine Herzensangelegenheit. Dazu bedarf es aber weniger eines rückwärtsgewandten Konservierens als vielmehr einer Aktualisierung durch kraftvolle, zeitgemässe Formen. Ausserdem hat der ländliche Raum ein grosses Potenzial, das bisher leider zu wenig aktiviert wird. Deshalb hoffe ich, dass künftig mehr junge Architekten diesen für sich entdecken und dort bauen.


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Eigensinn

Peter Haimerl stützte den durch Witterung und Erddruck stark beschädigten Hof Schedlberg ( 1820 ) in der Nähe von Viechtach im Bayerischen Wald mit Quadern aus Beton ab. Ab Herbst 2018 sollen im Gebäude Seminare zu Philosophie, Musik und Literatur stattfinden. Das Angebot richtet sich an Gestalter, Künstler und Architekturstudierende, die fokussiert arbeiten und der Hektik der Stadt entfliehen möchten. ( Foto: Edward Beierle )

Ich bin im Bayerischen Wald aufgewachsen. Dieser ­abgelegene Landstrich im Grenzgebiet zwischen Deutschland und Tschechien hat mich geprägt und meine architektonische Haltung geformt. Die Region und die Menschen, die dort leben, zeichnen sich vor allem durch zwei Dinge aus: Uneinheitlich­ keit und Eigenwilligkeit. Es mag zunächst nach einem abgedro­ schenen Klischee klingen, aber die Vereinzelung ist den Bayer­ wäldlern gemein. Ihre Häuser bringen ihre Individualität zum Ausdruck: Die Gebäudekörper sind sehr unterschiedlich aus­ geformt und liegen in den Dörfern nebeneinander wie die ­Brocken eines Gerölls. Dennoch finden sie zu einer unerwarte­ ten Einheit zusammen. Eine typische Hausform, wie man sie in Bayern etwa aus Schwaben oder Oberbayern kennt, hat sich im Bayerischen Wald nie herauskristallisiert. In den Dörfern und Weilern ist keine Einheitlichkeit hinsichtlich der Baufor­ men, Materialien oder des Massstabs zu erkennen. Gerade das gefällt mir, weil es so gut in unsere Zeit passt: In einer pluralis­ tischen, sich ­diversifizierenden Gesellschaft macht es architek­ tonisch Sinn, starke, individuelle Charaktere zu kombinieren. Doch obwohl die Häuser von aussen so unterschiedlich scheinen, gibt es im Inneren auch Gemeinsamkeiten: Die ­Stube als zentraler Ort verfügt immer über die gleichen Ele­ mente: die typische Eckbank, den Herrgottswinkel und den Ofen. Das alles hat Strenge, jedoch nicht im formalen Sinn. Vielmehr kommt hier ein kultureller Konsens zum Ausdruck, den sehr viele Menschen teilen – jedoch für sich recht unter­ schiedlich auslegen. Eine Stube einzurichten symbolisiert in den Augen vieler Dazugehörigkeit. Traditionen zu pflegen und individuell zu sein, ist also kein Widerspruch. Für meine Architektur hat mich dies gelehrt, dass eine kraftvolle individuelle Äusserung in manchen Situationen eher angezeigt ist, als eine allzu akademische Bezugnahme auf den Kontext. Ein gutes Beispiel dafür ist unser Konzert­ haus, das wir 2014 am Dorfplatz der Gemeinde Blaibach fertig­ gestellt haben. Mit dem markanten Bau aus Beton haben wir einen weiteren Brocken auf den « Geröllhaufen » der Dorfstruk­ tur geworfen – wie vor Ort üblich, scheinbar ohne uns weiter um den Kontext zu kümmern. Einige Kritiker brachen darauf­ hin in Wehklagen aus: Ihnen fehlte eine unmittelbare Bezug­ nahme, etwa in Form einer aufgenommenen Traufhöhe oder der Übernahme eines vorherrschenden Baustils – den es in Blaibach wie im übrigen Bayerwald, wie ich anfangs bereits geschrieben habe, nie gegeben hat. Sie erkennen nicht, dass unser Haus die bestehende Struktur getreu dieser Logik wei­ terstrickt und dadurch stärkt.



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Ausschwärmen Die jungen Münchner Architekturschaffenden Katharina Leuschner, Max Otto Zitzelsberger, Andy Westner, Werner Schührer und Christian Zöhrer trafen sich mit Elias Baumgarten zum Gespräch. Das deutsche Vergabewesen macht es jungen Architekten schwer, an Aufträge zu kommen. Die Büros von Katharina Leuschner, Max Otto Zitzelsberger und dem Trio Westner Schührer Zöhrer zeigen jedoch, dass es sich lohnt, hartnäckig zu sein und sich zu engagieren. Architektonisch haben alle drei einiges zu bieten. Probleme und Interessen sind ihnen gemeinsam, doch entwickeln sie auch individuelle Stossrichtungen und sprechen verschiedene Sprachen: Während Westner Schührer Zöhrer mit einer Vorliebe für Brüche nach Belgien schauen, führt Zitzelsberger analoge und handwerkliche Traditionen zu einer neuen Synthese ­­zusammen. Leuschner möchte wiederum Veränderungen im Münchner Wohnungsbau anstossen und begeis0 1 2 tert sich für neue Grundrisse sowie für « subtilere Fassaden ».

Westner Schührer Zöhrer, Atelierhaus für Markus Oehlen, München-Moosach, 2017 ( Fotos: Sebastian Schels )

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München – kurze Liebe und lange Resignation Eine persönliche Städtebeziehung Seit den 1970er-Jahren herrscht in München architektonische Flaute. Schlimmer noch: Die wenigen herausragenden Objekte aus der Nachkriegszeit – etwa das Osram-Gelände oder das Arabellahaus – müssen Investorenprojekten weichen oder werden zur Dutzendware aufgehübscht wie die Fussgängerzone und die S-Bahnhöfe. München schafft sich ab, und keiner scheint es zu merken. Von Gegenwehr oder gar Aufbruchsstimmung ist unter den Architekten in der Stadt kaum etwas zu spüren. Autor : Muck Petzet

Munich is a Modern City war der Titel einer Ausstellung, die ich zusammen mit der Fotografin Erica Overmeer Ende der 1990er-Jahre kuratierte. Zu dieser Schau inspirierte uns ein Erlebnis aus meiner Kindheit: Anfang der 1970er-Jahre lernten meine Eltern und ich in einem Pariser Hotel einen kenianischen Arzt kennen, der gerade ganz Europa bereiste und auch in München Station gemacht hatte. Auf unsere Frage, wie ihm unsere Heimatstadt denn gefallen habe, sagte er zunächst nur diesen einen für uns völlig unverständlichen, ja geradezu verstörenden Satz: « Munich is a modern city ». Es stellte sich heraus, dass er – ohne weitere Kenntnis der historischen Schätze Münchens – ein Hotel gebucht und die nähere Umgebung nur zu Fuss erkundet hatte. Als er uns eine futuristische, von ­Auto­bahnen und Parks durchzogene Stadt beschrieb, klärte sich das Missverständnis auf: Sein Hotel lag im Olympiadorf. In der erwähnten Ausstellung versuchten wir 25 Jahre später, diesen Blick auf ein « anderes » – man könnte fast sagen « Gegenmünchen » – nachzuempfinden. Es ging darum, eine Faszination für die Zeit der Olympiaeuphorie, von Rainer ­Werner Fassbinder, Rote Sonne und Donna Summer nach­ zuzeichnen. Diese Zeitspanne fiel mit meiner Kindheit und

Das Stadtbad Lichtenberg ( 1928 ) in Berlin wird seit 1991 nicht mehr genutzt und verfällt. 2015 suchte die Stadt daher nach einem Käufer, der – unter Beachtung strenger Vorgaben des Denkmalschutzes – zehn Millionen Euro in das Gebäude investieren und es sanieren würde. Muck Petzet schlug gemeinsam mit dem Münchner Entwickler Euroboden vor, durch einen Flügel des Hubertusbades einen Hotel- und Wohnturm hindurchzustecken. Mit dem Gewinn sollte die historische Anlage saniert werden. Der Vorschlag wurde abgelehnt. Die Ruine ist bis heute im Besitz der Stadt, die weiter nach einer Lösung sucht. ( Visualisierungen: Ponnie Images )


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