archithese 4.2018 – Landart | Erdarchitektur

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Den Spiegel vorhalten Wie die Beschäftigung mit Landschaft und Landart die Architektur beeinflusst

Höhlen, Gräben, Monolithe Aires Mateus, RCR Arquitectes und Ensamble Studio sprechen über das Verhältnis von Architektur, ­Topografie, Geologie und Kunst in ihren Projekten.

Gestapelte Erde Diébédo Francis Kéré verbindet ­traditionelle Lehmbauweise mit ­zeitgemässer Formensprache und einem Hauch Poesie.

Unterirdisch / überirdisch Historische indische Brunnenanlagen als Treffpunkte und rituelle Orte

Lichträume James Turrell verknüpft im Vulkan Roden Crater Architektur und Astronomie zu einem sinnlichen Erlebnis.

Landart  | Erdarchitektur DEZ – FEB 4.2018 CHF 28.– |  EUR  24.–


Landart  |  Erdarchitektur DEZ – FEB  4.2018

3 Editorial 8 Die Präsenz der Landart Über die Landart als Spiegel der Architektur Philip Ursprung 20 Boolesche Operationen Herausstanzen, Eingraben, Verschneiden – eine Reflektion über die Arbeiten von Manuel und Francisco Aires Mateus Elias Baumgarten 30 Sinn durch Sinnlichkeit Carme Pigem sprach über die intensive Auseinandersetzung von RCR Arquitectes mit Topografie, Geologie, Klima und lokaler Kultur. Jørg Himmelreich

44 The Vanishing Stairwells of India Once they functioned as civic centers, served as places for religious rites and demonstrated power and wealth. Victoria Lautman 54 Spezifische Logik Ensamble Studio sprach über den inhärenten Formwillen der Materialien, über Natur als Partner und die Stadt von morgen. Elias Baumgarten 70 Mythos Roden Crater Seit über vierzig Jahren arbeitet James Turrell an der Transformation eines Vulkans in ein Observatorium. Patrick Düblin

Cover: Ensamble Studio, Tippet Rise Art Center, Inverted Portal, Fishtail, 2016 (Foto: Iwan Baan)

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selbst zu erden. Diébédo Francis Kéré legte dar, wie zeitgemäss und poetisch das Bauen mit Lehm sein kann. Philippe Jorisch

Rubriken 7 Baukultur in die Bildung! Ein offener Brief an Bundespräsident Alain Berset 93 Premium Brands Online 94 Neues aus der Industrie 96 Vorschau und Impressum


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Editorial Landart  |  Erdarchitektur

Ich bin verliebt – und das schon viele Jahre lang: « Landart ist wie ein Spiegelbild der Fragilität und Seit ich als Student die Himmels­treppe von Herman Pri- Unvollständigkeit der Architektur. Sie macht die gann auf der Halde Rheinelbe in Gelsenkirchen gese- Abhängigkeit von Auftraggebern, äusseren Bedingunhen habe, lässt mich die Begeisterung für Landart gen sowie klimatischen und ökonomischen Zufällen nicht mehr los. Wie ein Pilger habe ich alle Landart- und deutlich », schreibt Philip Ursprung in seinem Essay. Lichtkunstwerke besucht, die im Rahmen der Interna­ Und die Landart thematisiert das wohl zenttionalen Bauausstellung Emscher Park um die Jahr­tau­ ralste und älteste Thema der Architektur: Wie verhält send­wende auf Halden sowie in und rund um die aufge- sich das Gebaute zum Grund? Reicht es, Gebäude einlassenen Bauwerke der Kohle- und Stahlindus­trie im fach auf ein Gelände zu setzen, oder sollten sie im corRuhrgebiet installiert wurden. Wenige Jahre später zog busianischen Sinne aufgeständert darüberschweben? es mich in die USA, wo ich die Klassiker der Landart Analysiert man das aktuelle Baugeschehen, lassen aufsuchte, die von den Ursprüngen der Bewegung in sich viele Antithesen zu diesen beiden Ansätzen finden 1970er-Jahren noch erhalten sind: Spiral Jetty im den. Es entstehen viele Bauten, bei denen kaum oder Salt Lake von Robert Smithson, Double Negative von gar nicht zwischen Architektur und Landschaft, zwiMichael Heizer ( beide 1970 ) und Lightning Field von schen Objekt und Grund unterschieden werden kann. In dieser Ausgabe präsentieren wir daher ausgesuchte Walter De Maria ( 1977 ). Diese Begeisterung für die Landart teile ich mit Büros, deren Bauten sich Techniken des Einkerbens, den meisten meiner Architektenkollegen. Aber Verschneidens, Eingrabens oder Einhöhlens zunutze wa­rum ? Ist es die gemeinsame Vorliebe für erhabene, machen oder deren Bauten geologische Formationen dramatische Szenerien ? Sind die Werke der Landart imitieren. eine ideale Projektionsfläche für Hoffnungen und UtoLandart | Erdarchitektur ist der finale Teil einer pien oder Kristallisationspunkte nostalgischer Verklä- gedanklichen archithese-Trilogie. Zusammen mit den rung ? Mich als Historiker fasziniert vor allem der von Heften Bri-Collagen und Ruinen haben wir versucht, den Kunstwerken adressierte immense Zeithorizont, nach dem Wert einer Offenheit der Form und verschieda ihre meist archaische Anmutung auf die frühesten dener Aspekte des Verschmelzens oder Verschneidens Bauwerke der Menschheit aus der Vorgeschichte ver- innerhalb einzelner Bauwerke sowie zwischen Grund weist. Die Idee der Urhütte ist im Architekturdiskurs und Gebautem zu suchen. Wir wünschen über die Feiertage viel Zeit zum allgegenwärtig – dabei wäre es mindestens genauso wichtig, auch von der Urhöhle zu sprechen. Bekannt- Lesen und Stöbern in dieser Ausgabe, für die das lich waren natürliche Einstülpungen im Gelände ja die Redaktionsteam der archithese tief im reichhaltigen erste Behausung des Menschen, und seit in der Fundus der Schnittmenge zwischen Architektur und Bruniquel-Höhle im Aveyron-Tal ein 176 500 Jahre alter ( Land- )Art gegraben hat, um die subjektiv inspirieKreis aus abgeschlagenen Tropfsteinen gefunden rendsten Projekte, Aspekte und mit dem Thema arbeiwurde, weiß man zudem, dass das älteste erhaltene tenden Architekten zutage zu fördern. « Bauwerk » der Menschheit ein Landart-Kunstwerk ist. Was hat das aber mit dem zeitgenössischen Jørg Himmelreich Architekturdiskurs zu tun ? Man könnte meinen, es sei Chefredaktor archithese ein Nebenschauplatz, doch das Gegenteil ist der Fall:

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archithese kontext 6. Dezember 2018 18 Uhr Schweizerisches Nationalmuseum Willy G. S. Hirzel Auditorium Museumstrasse 2, Zürich

Ensamble Studio

Inhärent spezifisch Das Ensamble Studio aus Madrid und Boston sorgt mit seinen radikalen Projekten seit ein paar Jahren für Furore. Virtuos wählt das Team einen zum jeweiligen Ort passenden Baustoff und folgt dessen inhärentem Formwillen. Doch weil diese Strategie auf die Spitze g­ etrieben wird, erscheinen die Bauwerke zwar vertraut, doch zugleich spezifisch bis radikal. In einem Werkvortrag spricht Antón García-Abril über die Haltung des Ensamble Studios.

Der Eintritt kostet CHF 30,– (bei Vorlage eines Studierendenausweises CHF 15,–). Informationen zu den Tickets gibt es auf archithese.ch Im Preis inbegriffen ist ein Exemplar archithese 4.2018, das vor Ort ausgehändigt wird. Abonnenten sichern sich ihre Freikarte unter redaktion@archithese.ch Der Vortrag wird auf Englisch gehalten.

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Land art  |  Earth Architecture I am in love – and have been for many years: Ever since I visited Herman Prigann’s Stairway to Heaven on the Rheinelbe spoil tip in Gelsenkirchen as a student, my fascination for land art has kept a tight grip on me. At the turn of the millennium, I went on a pilgrimage to visit all the works of land art and light art to be seen atop spoil tips and in and around the abandoned structures of the coal and steel industry in the Ruhrgebiet as part of the International Building Exhibition Emscher Park. A few years later I was drawn to the USA, where I visited the enduring classics of land art from the movement’s origins in the 1970s: Robert Smithson’s ­Spiral Jetty in the Great Salt Lake ( 1970 ), Michael Heizer’s Double Negative ( 1970 ) and Walter De Maria’s Lightning Field (  1977 ). I share this passion for land art with most of my fellow architects. But why? Is it a shared love of sublime, dramatic scenery? Are works of land art ideal surfaces for projecting hopes or utopias, or perhaps focal points of nostalgic idealization? As a historian, I am particularly fascinated by the immense temporal horizon addressed by these works of art, since their generally archaic appearance alludes to the earliest built structures of prehistoric humanity. The idea of the primeval hut is ubiquitous in architectural discourse. Yet it would arguably be at least as important to speak of the primeval cave. For it is well known that natural depressions in the terrain offered the first habitation for people. And ever since a 176 500-year-old circle of severed stalactites was found in the Bruniquel Cave in the Aveyron Valley, it is also known that humankind’s oldest surviving “built structure” is a work of land art. But what does that have to do with contemporary architectural discourse? You might claim it’s a sideshow. But the opposite is true. “Land art is like a reflection of the fragility and inchoateness of architecture. It reveals the dependence on clients, external conditions and climatic and economic coincidences,” writes Philip Ursprung in his essay. And land art addresses the undoubtedly most central and oldest theme of architecture: How does a built object relate to the ground? Is it sufficient to just place it on the terrain, or should it be elevated above the ground in the Corbusian manner. An analysis of current construction reveals many antitheses to these two approaches. There are many new buildings in which little or no distinction whatsoever can be made between architecture and landscape, between the object and the ground. So in this issue, we present a selection of firms whose buildings use techniques of notching, cutting, burrowing or hollowing out, or whose buildings imitate geological formations. Landart  |  Erdarchitektur is the last part of a conceptual archithese trilogy. Together with the issues Bri-Collagen and Ruinen, we have tried to search for the value of open forms and various aspects of merging or intersecting within individual buildings and between the ground and built structures. We wish you lots of time for relaxed reading during the holidays and while browsing through this issue, for which the archithese editorial team dug deep into the rich trove of the common ground between architecture and ( land ) art to bring to the surface the subjectively most inspiring projects, aspects and architects dealing with this topic.

Land art  |  architecture de terre Je suis amoureux et ce, depuis de nombreuses années déjà : l’enthousiasme pour le Land art ne me quitte plus depuis que, alors étudiant, j’ai visité l’escalier céleste de Herman Prigann sur le terril du Rheinelbe à Gelsenkirchen. Tel un pèlerin, j’ai visité au tournant du siècle toutes les œuvres en rapport avec le land art et la lumière, installées sur des terrils et dans les friches de l’industrie du charbon et de l’acier de la Ruhr, dans le cadre de l’exposition internationale d’architecture Emscher-Park. A peine quelques années plus tard, je me suis retrouvé aux Etats-Unis où j’ai visité les classiques du land art issus, dans les années 1970, du mouvement à ses origines : Spiral Jetty à Salt Lake de Robert Smithson ( 1970 ), Double Negative de Michael Heizer ( 1970 ) et Lightning Field de Walter De Maria ( 1977 ). Je partage cette passion avec la plupart de mes confrères architectes. Mais pourquoi? Est-ce la prédilection commune pour des mises en scène sublimes et dramatiques ? Les œuvres du land art sont-elles des surfaces de projection idéales pour des espoirs ou des utopies, le point de focalisation de transfigurations nostalgiques ? En tant qu’historien, l’immense horizon temporel embrassé par ces œuvres me fascine. Leur grâce archaïque, pour la plupart d’entre elles, nous renvoie aux toutes premières constructions de la préhistoire. L’idée de la hutte primitive est omniprésente dans le discours architectural. Il serait pourtant et pour le moins tout aussi important de parler de la grotte primitive. Car comme chacun sait, les renfoncements de terrain constituaient le premier habitat des hommes. Nous savons aussi, pour avoir découvert un cercle vieux de 176 500 ans constitué de bris de stalagmites dans la grotte de Bruniquel dans la vallée de ­l’Aveyron, que la plus ancienne « construction » connue de nos jours est aussi une œuvre du land art. Quel rapport avec le discours architectural contemporain ? On pourrait penser à un champ d’action secondaire. Bien au contraire. Philip Ursprung, dans son essai, écrit que « le land art est comme un reflet de la fragilité et du caractère incomplet de l’architecture. Il met en lumière la dépendance des mandants, les conditions externes, de même que les hasards climatiques et économiques ». Et le land art met en lumière le thème certainement le plus central et le plus ancien de l’architecture. Quelle attitude le bâti adopte-t-il face au sol ? Suffit-il de se poser sur le terrain ou convient-il de flotter au-dessus, sur pilotis comme le préconisait Le Corbusier ? On trouve beaucoup d’antithèses à ces deux points de départ en analysant ce qui se construit actuellement. La distinction entre architecture et paysage, entre objet et sol, y est à peine ou pas perceptible. C’est la raison pour laquelle nous vous présentons une sélection de bureaux dont les ouvrages s’approprient les techniques de l’excavation, du recoupement, de l’enfouissement, de l’occupation de cavités, ou dont les constructions imitent des formations géologiques. Landart  |  Erdarchitektur est le point final d’une trilogie intellectuelle d’archithese. En lien avec les numéros Bri-Collagen et Ruinen, nous avons cherché le degré de franchise de la forme et des différents aspects de l’amalgame et de la découpe, parmi les constructions choisies ainsi qu’entre le sol et le bâti. Nous espérons que vous aurez beaucoup de temps libre durant les Fêtes de fin d’année pour lire et parcourir ce numéro pour lequel la rédaction a puisé généreusement dans le fond richement doté situé à l’intersection entre architecture et ( land ) art, afin de présenter au grand jour les projets et les aspects subjectivement les plus inspirants ainsi que les architectes qui s’y rapportent.

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Die Präsenz der Landart Es gibt einige Bauten – auch jüngeren Datums –, die sich auf die Formensprache der Landart zurückführen lassen. Die Landart ist wie ein Spiegelbild der Fragilität und Unvollständigkeit der Architektur. Sie macht die Abhängigkeit von Auftraggebern, äusseren Bedingungen sowie klimatischen und ökonomischen ­Zufällen deutlich. Autor : Philip Ursprung

Die umgekehrte Ruine Im Januar 1970 nahm Robert Smithson in Ohio am Crea­ tive Arts Festival an der State University in Kent teil.1 Er beschloss, einen lange gehegten Plan in die Tat umzusetzen : Ein Gebäude zu begraben. Er fand einen als Lagerraum für Brennholz und Kies genutzten Holzschuppen und liess das meiste Material entfernen. Am 22. Januar kippte dann ein Bauführer unter seiner Anleitung zwanzig Ladungen Erde, die von einer Baustelle auf dem Campus stammten, auf den Schuppen, bis der Dachbalken barst. Smithson betitelte die Aktion mit Partially Buried Woodshed, schenkte das Werk der Universität und unterschrieb ein Statement mit der Auflage, dass man das Objekt zwar der Verwitterung überlassen, es aber zugleich im ursprünglichen Zustand belassen, als « permanent » auffassen und unterhalten sollte.2 1975 wurde es jedoch durch Brandstiftung zerstört und die Überreste einige Jahre später abgetragen. Geblieben sind einige Fotos und Zeichnungen. Partially Buried Woodshed eignet sich als Ausgangspunkt für eine Reflexion sowohl über die Landart als auch über die Beziehung zwischen Kunst und Architektur – selbst wenn dieses Werk im Schatten der zwei spektakulärsten Kunstwerke der Landart steht : Smithsons Spiral Jetty und Michael Heizers Double Negative, beide ebenfalls aus dem Jahr 1970. Landart – so der im deutschen Sprachraum zumeist verwendete Begriff, während im englischen Sprachraum Earth Art gebräuchlicher ist – bezeichnet eine künstlerische Richtung, die vor allem in den Vereinigten Staaten von den ausgehenden 1960er- bis in die frühen 1970er-Jahre praktiziert wurde und deren wichtigste Protagonisten Smithson, Heizer, Nancy Holt, Walter De Maria und Richard Long waren.3 Im weiteren Sinne umfasst der Begriff aber ganz allgemein Kunstformen, die sich mit dem Material Erde und der Thematik der Landschaft befassen und gilt somit auch für Künstler wie James Turrell, Andy Goldsworthy, Charles Ross, Robert Morris und andere.

Robert Smithson, Spiral Jetty, Great Salt Lake/Utah, 1970 ( Foto: Hikmet Loe © Holt/Smithson Foundation / Dia Art Foundation / 2018, ProLitteris, Zürich )

Partially Buried Woodshed lässt sich als eine architektonische Performance interpretieren. Der Künstler gab eine Regel vor, nämlich das Gebäude mit Erdreich zu bedecken, bis das Dach kollabierte. Er drehte somit den klassischen Bauprozess um. Statt mit Plänen zu beginnen, dann eine Grube auszuheben und danach die Fundamente und den Keller zu bauen, auf denen dann der Bau zu stehen kommt, liess er Erdreich auf eine fertige Struktur schütten und fotografierte das Resultat – gemäss seinem Konzept der «  umgekehrten Ruine », das er im Dezember 1967 im Aufsatz « The Monuments of Passaic » in der Zeitschrift Artforum formuliert hatte : « Umgekehrte Ruinen sind das Gegenteil der ‹romantischen Ruine›, denn diese Bauten zerfallen nicht in Trümmer, nachdem sie gebaut wurden, sondern erheben sich zu Trümmern, bevor sie gebaut werden. »4

1 Eine frühere Version dieses Textes erschien auf Englisch unter dem Titel « Architecture under Pressure. The Legacy of Earth Art », in : Metamorph, Katalog der 9. Architekturbiennale von Venedig, Bd. Focus, Mailand 2004, S. 150–163. 2 « I, Robert Smithson, hereby donate the following work of art to Kent U. The work of art is called : Partially Buried Woodshed. Measurements of shed : 45’ long, 18’ 6” wide, 10’2” high. Site : On the corner of Rhode & Summit St ( part of Farm acquisition ) an area of 45’ should surround the art. Nothing should be altered in this area. Scattered wood and earth shoring should remain in place. Everything in the shed is part of the art and should not be removed. The entire work of art is subject to weathering which should we considered part of the work. The value of the work is $ 10.000. The work should be considered permanent and maintained by the Art Dept., according to above specifications. » 3 Die Literatur zur Landart ist umfassend. Siehe unter anderem : Philip Ursprung, Grenzen der Kunst. Allan Kaprow und das Happening. Robert Smithson und die Land Art, München 2003. 4 Robert Smithson, « Fahrt zu den Monumenten von Passaic, New Jersey », in : Eva Schmidt / Kai Vöckler ( Hg. ), Robert Smithson. Gesammelte Schriften, übersetzt von Christoph Hollender, Katalog der Kunsthalle Wien, Köln 2000, S. 97–101, hier : 100.



Boolesche Operationen Verschneiden, Graben, Aushöhlen – über die Architektur von Aires Mateus Francisco und Manuel Aires Mateus sind Meister beim Gestalten mit starken geometrischen Formen und im abstrakten Aufgreifen von Referenzen. Indem sie kompromisslos auf « mono-materielle Anmutungen » setzen, steigern sie die Kraft ihrer Bauten noch weiter. Da passt es trefflich ins Bild, dass die Brüder seit bald zwei Dekaden an der USI in Mendrisio unterrichten, wo diese Diskurse intensiv geführt werden. Im Tessin entfaltet sich ein spannender Dialog zwischen ihnen und ihren Lehrerkollegen. Die beiden wissen zudem ihre Häuser mit dem Terrain zu verschneiden und mitunter höhlenartige Räume aufzuspannen. Nicht verwunderlich daher, dass sie sich unter anderem von den Arbeiten Álvaro Sizas inspirieren lassen und ihre Architekturen als zeitgemässe Aktivierung mediterraner Bautradition sehen. Autor  : Elias Baumgarten

« Wir können uns auf den Boden stützen. Da uns die Schwerkraft anzieht, ist er unser permanenter ­Bezugs­punkt. Und doch ist er mehr als eine Ebene. Er hat eine Tiefe – eine nutzbare und manipulierbare Dimension. Wir können diese nutzen, ohne dass die Oberfläche ihre Kraft und Identität verlieren würde. Die Grenze, der Nullpunkt, ist manipulierbar. Zudem gibt es verschiedene Ebenen, die wir als Boden verstehen. Sie können am selben Ort, im selben Projekt, nebeneinander existieren. So kann Boden vielfältig und komplex sein und in der Tiefe eine physische Struktur besitzen. »1

Sehnsucht nach Poetik Francisco und Manuel Aires Mateus lassen die Studierenden an der USI in Mendrisio immer wieder unterirdische Bauten gestalten – im Herbstsemester 2015 beispielsweise eine Weinkellerei oder im Frühlingssemester 2018 eine Kunstgalerie. Graben und das Entwickeln von Räumen, die wie Höhlen wirken, sind ein wichtiges Leitmotiv ihrer Lehre. Das gilt besonders in den seit 2015 abgehaltenen Entwurfskursen. Doch betrachtet man die Häuser und Entwürfe der Brüder, so wird klar, dass dies nur eines ihrer Interessenfelder widerspiegelt. Auch das Arbeiten mit starken Geometrien und das Aktivieren der Baugeschichte als Inspirationsquelle sind wichtige Trajekte. Doch der Reihe nach : Schon seit mehr als 30 Jahren machen die beiden gemeinsam Architektur : Nach dem Studium und einer kurzen Anstellung im Studio ihres Mentors Gonçalo Byrne gründeten sie 1988 ihr eigenes Büro in Lissabon. Seit nunmehr 17 Jahren unterrichten sie zudem in Mendrisio. Sie sind überaus intellektuelle Architekten : Mit Leichtigkeit verorten sie sich in der Architekturtheorie und haben Freude, über die Einflüsse auf ihre Arbeit zu sprechen. Ständig möch-

ten sie ihren kulturellen Wissenshorizont erweitern, um sich einen reichen Nährboden zu verschaffen. « Jeden Montag findet in unserem Büro ein Vortrag statt », erzählt Manuel Aires Mateus, « die Themen reichen dabei von Philosophie, Geschichte und Architekturtheorie bis hin zur Musik. Das hilft eine gemeinsame Basis aufzubauen, um den Diskurs im Team zu intensivieren. Wir interessieren uns für die kulturellen Aspekte der Architektur – nicht nur für Technologie und Bauphysik. Denn die Qualität eines Projekts hängt immer davon ab, alle Aspekte zusammenzubringen. »2

1 Francisco und Manuel Aires Mateus schrieben dieses kurze Statement für den vorliegenden Essay. 2 « Architecture as an Art of Performance », Interview mit Manuel Aires Mateus, übersetzt aus dem Englischen von Elias ­Baum­garten, in : a+u 547, 7.2018, S. 198.

Aires Mateus, Haus bei Monsaraz, 2018 ( Foto : João Guimarães )



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Sinn durch Sinnlichkeit Carme Pigem und Jørg Himmelreich sprachen über die Arbeiten von RCR Arquitectes – im Fokus stand dabei die intensive Auseinander­ setzung mit Topografie, Geologie, Klima und lokaler Kultur. Den Büronamen haben Rafael Aranda Quiles, Carme Pigem Barceló und Ramon Vilalta Pujol aus den ­Initialen ihrer Vornamen zusammengebaut. Bis das Trio im vergangenen Jahr den Pritzker-Preis erhielt, galt es vielen Architekturmedien in Nordeuropa noch als Geheimtipp. Dabei hat das Büro ein umfassendes, vielfältiges, sinnliches und zugleich doch konsistentes Werk vorzuweisen. Da viele ihrer Bauten ins Gelände eingesenkt, eingeschnitten oder unterirdisch sind, war es für die ­Redaktion selbstredend, dass RCR Arquitectes im Heft über Landart und Erdarchitektur zu Wort kommen müssen.

Seit 1988 haben RCR Arquitectes ihr Büro in der Kleinstadt Olot, die 30 000 Einwohner zählt. Carme Pigem und Rafael Aranda sind in Olot am Fuss der Pyrenäen aufgewachsen. Ramon Vilalta stammt aus dem 40 Autominuten südlicher gelegenen Vic. Die regionale Verbundenheit der drei Architekten ist gross : Die meisten ihrer Projekte befinden sich in der Garrotxa beziehungsweise in der Provinz Girona. In den letzten Jahren kamen aber stetig mehr internationale Aufträge hinzu – beispielsweise in Belgien und Frankreich.

Ich traf Carme Pigem im Büro, das RCR vor einem Jahrzehnt in der ehemaligen Glockengiesserei Barberí untergebracht haben. Obwohl Arbeitsplätze und Besprechungsräume für 40 Mitarbeitende eingerichtet wurden, ist vieles noch genau so, wie die Architekten es vorgefunden haben. Der Arbeitsort ist damit zugleich Lokalmuseum, ein wenig Ruine und ein inspirierender Kreativraum. Eine ehemalige Giessereihalle, durch die der Wind pfeift, bespielen RCR mit Workshops und Events wie etwa Performances. Damit wird versucht, die breite Bevölkerung für die Themen der Architekten zu begeistern. Unser Gespräch fand im gläsernen Sitzungszimmer statt. Den schmalen, aber hohen Raum haben die Architekten zwischen die alten Hallen eingefügt.

Gusseiserne Pfeiler tragen ein neues Flachdach. Eine Glasfront und ein breites Lichtband im Dach gaben den Blick frei auf junge Bäume und Farne, auf die der Regen prasselte. Passend, denn der Bezug zur Natur und das Fühlen des Klimas sind zwei der zentralen Motive in der Arbeit von RCR. Zusammen mit der Frage nach dem angemessenen Umgang mit Ort und Terrain sind sie die Schwerpunktthemen dieses Interviews.1

1 Das Gespräch fand in englischer Sprache statt und wurde von Jørg Himmelreich übersetzt.


oben  RCR Arquitectes, Bell-Lloc Weinkellerei, Palamós, 2007 ( Foto : Jørg Himmelreich ) links  Dani Karavan, Gedenkstätte der Negev Brigade, Be’er Sheva, 1963–1968 ( Foto : Jørg Himmelreich )


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The Vanishing Stepwells of India In India, imposing wells whose cascading stairs reach down as far as 60 meters deep into the earth have been excavated since the 6th century CE. Today, these sites are hardly noticed. Once far more than functional structures, they functioned as civic centers for the community, served as places for religious rites and, with their monumental architecture, demonstrated the power and wealth of their patrons. Today they have become an Internet phenomenon and are gradually being discovered by the tourism industry. Text and photographs: Victoria Lautman

Long Forgotten Monuments My own stepwell obsession kicked off thirty years ago on my first visit to India: I glanced over an ordinary wall and the ground fell away, replaced by an elaborate, man-made chasm the length and depth of which I couldn’t fathom. Since we’re conditioned to look up at architecture rather than down into it, this was a particularly disorienting – and exciting – experience. Descending into that mysterious, subterranean space was enthralling, with telescoping views and ornate, towering columns that paraded five stories into the earth. At the bottom, noises became hushed, harsh light had dimmed, and the intense midday heat had cooled considerably. It was like being in another world.

Mahila Baag Jhalra, Jodhpur, built circa 1780

It’s hard to imagine how an ancient and unique category of architecture managed to slip through history’s grasp, but that’s the case with India’s incomparable, if little known, stepwells. While these extraordinary and efficient water-harvesting structures flourished in India for over a millennium, today the millions of tourists thronging the country’s forts, temples, tombs and palaces are generally oblivious to the subterranean edifices often just a few meters away. Stepwells were conceived in response to India’s capricious climate, which alternates between dry weather most of the year followed by weeks of torrential rain. Harvesting water year-round for drinking, washing and irrigation was the primary purpose of these subterranean structures, designed to connect directly with the fluctuating water table. This was no simple feat in regions where the precious resource might be buried nine stories deep, but even where water was closer to the surface, such flights of steps guaranteed access to groundwater when it was a mere trickle. During India’s dramatic monsoon, those steps ( which could number over a hundred ) gradually submerged as the water level rose. That naturally reduced the often-vertiginous descents, thus offering tremendous relief for women balancing vessels on their heads daily.



Spezifische Logik Ensamble Studio sprach mit Elias Baumgarten über den inhärenten Formwillen der Materialien, über die Natur als Partner und die Stadt von morgen. Die ( orts- )spezifischen Gestaltungen von Ensamble Studio sind spektakulär. Virtuos wählen Antón García-­ Abril und Débora Mesa das zu Bauplatz und Aufgabe passende Material aus. Sie forschen nach seinem Ursprung, fragen nach seiner Natur und den jeweiligen Verarbeitungstechniken. So entwickeln sie ein feines Gespür für die geeigneten Formen. Das Ergebnis ist ein heterogenes gebautes Œuvre, das so logisch-­ konsequent wie radikal ist. Autor  : Elias Baumgarten


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Fresh und Old School zugleich

Ensamble Studio, Inverted Portal, Tippet Rise Art Center, Fishtail, 2016 ( Foto  : Iwan Baan )

Inhärent spezifisch Erleben Sie Ensamble Studio live. Karten zum kontext-Event im Landesmuseum Zürich am 6. Dezember 2018 finden Sie im Blog.   archithese.ch

Das Arsenale von Venedig im Frühsommer 2016  : An der 15. Architekturbiennale zeigte Ensamble Studio die Schau Supraxtructures vs. Structures of Landscape. Nach 2010 und 2012 war dies bereits das dritte Gastspiel des spanisch-amerikanischen Büros in der Lagunenstadt. Zu sehen waren Modelle aus Metall, im Hintergrund flimmerten Filme in Endlosschleife über mehrere Screens. Es wurden Gestaltungen in zwei unterschiedlichen Settings präsentiert  : einerseits monolithische Objekte in Montanas wilder Landschaft, andererseits stählerne Türme, die Erinnerungen an die Entwürfe der Avantgarde der 1960er- und 1970er-Jahre weckten. Auf den ersten Blick schienen die Projekte sehr unterschiedlich. « Manchmal fragen uns die Leute, warum unsere Architekturen so verschieden sind. Und sie wollen wissen, ob Antón den einen Teil der Arbeit macht und ich den anderen. Ich frage mich, wer dann für die Stadt- und wer  die Naturlandschaft zuständig wäre», scherzt Débora Mesa. Doch es gibt eine Klammer um ihr Werk  : der in Abhängigkeit von Ort und Aufgabe passende Umgang mit den eingesetzten Baustoffen. Die radikalen Formen ihrer Bauten sind allenfalls zweitranging einer Suche nach Expressivität geschuldet. Vielmehr geht es den beiden darum, die Materialeigenschaften und möglichen Verarbeitungstechniken zu ergründen. « Wir sind ein internationales Team aus 19 Architektinnen und Architekten », sagt Bürogründer Antón García-Abril, « Wir haben zwei Büros – eines in Madrid und das andere in Boston. Dazu kommt das POPlab ( Prototypes of Prefabrication Laboratory ) am Massachusetts Institute of Technology. Zudem bauen wir derzeit eine Fabrik in Madrid, die wir Ensamble Fabrica nennen. Dort werden wir uns künftig mit neuen Baustoffen und der Vorfertigung auseinandersetzen. Auch werden wir Prototypen im Massstab 1:1 bauen, um unsere Ideen zu testen. » Débora Mesa kam 2003 zu Ensamble Studio, 2010 wurde sie Teilhaberin. Beide verkörpern ein traditionelles Bild vom Architekten  : Sie wollen Generalisten sein. García-Abril selbst sieht sich als Baumeister. Auf keinen Fall will er auf die Rolle eines Designers reduziert werden. Architekt zu sein bedeutet für ihn nicht, anderen bloss mittels Zeichnungen Anweisungen zu geben. Gebaute Architekturen sollten direkt mit einem emotionalen, künstlerischen und kreativen Prozess verbunden sein. Darum muss man sich seiner Meinung nach in alle Aspekte des Bauprozesses involvieren, selbst anpacken und unbedingt die Führung in der Hand behalten. In den letzten fünfzig Jahren habe ein Heer von Experten – Ingenieure,


Bis zur Fertigstellung des Roden Crater erlaubt James Turrell keine Veröffentlichung von Bildmaterial mehr. Auf rodencrater.com sind dennoch zahlreiche Fotos, Karten und Axonometrien zu sehen. Die den Artikel begleitende Bildstrecke spinnt daher eine eigene Narration, die zwei Motive in verschiedenen Zeiten und geografischen Kontexten umfasst. Wir zeigen Architekturen, welche astronomische Ereignisse visualisieren und haben Räume abgebildet, die den Blick auf den Himmel richten.

oben  James Turrell, Roden Crater Bronzes, North Moon Space 1 & 2 ( Foto : Florian Holzherr, courtesy Häusler Contemporary) Mitte rechts  Jantar Mantar, Sternwarten, Dehli, circa 1724 ( Foto : A. Winzer ) Mitte links  Robert Morris, Observatory, Lelystad, 1971 ( Foto courtesy Castelli Gallery © 2018, ProLitteris, Zürich ) unten  Charles Ross, Solar Pyramid, Teil der grösseren Installation Star Axis, Anton Chico, seit 1976 ( Foto : Charles Ross © 2018, ProLitteris, Zürich )


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Mythos Roden Crater Sieben Perspektiven auf das Hauptwerk von James Turrell Seit über vierzig Jahren arbeitet der Künstler an der Transformation eines Vulkans in ein Observatorium, in dem Himmelsereignisse mit blossem Auge wahrgenommen werden können. Der aufwendig nachmodellierte Krater wird von einem weitläufigen System aus Tunnel und Kammern durchzogen, von wo aus man die Gestirne beobachten kann. Das Projekt zeugt von der Sehnsucht nach immersiver Naturerfahrung. Obwohl mehrfach angekündigt, wurde der Roden Crater noch nicht für das Publikum geöffnet. Dieser Essay gibt erste Einblicke in eines der eindrücklichsten Werke der Landart. Die begleitende Bildstrecke zeichnet parallel die Architekturgeschichte der Skyspaces schlaglichtartig nach. Autor  : Patrick Düblin

Seit die Menschen im 18. Jahrhundert ihre Lust am Schauder angesichts von Naturphänomenen entdeckt haben, wuchs die Faszination für Vulkane. 1790 beschrieb Immanuel Kant, dass besonders « Vulkane in ihrer ganzen zerstörerischen Gewalt » dieses Gefühl des Erhabenen auslösen und betont, dass « ihr Anblick [umso] anziehender [sei], je furchtbarer er ist, wenn wir uns nur in Sicherheit befinden». 1 Weniger als ein Jahrhundert später gaben Jules Vernes Abenteurer diese sichere Distanz aus wissenschaftlicher Neugier auf und drangen – zumindest in der Fiktion – durch einen Vulkankrater ins Erdinnere vor.2 Als James Turrell 1974 den Roden Crater für sich entdeckte, war die « wilde Natur » durch den technischen Fortschritt nahezu weltweit gezähmt. Wissenschaft und Raumfahrt hatten die Erde entzaubert. Dennoch – oder gerade deshalb – arbeitet Turrell unentwegt daran, mit Roden Crater einen poetischen Ort zu schaffen, an dem Astronomie und Wahrnehmungspsychologie mit sublimer Naturerfahrung verschmelzen. Der 1943 geborene James Turrell wurde vor allem mit seinen Skyspaces, die von Kalifornien über Zuoz bis nach Naoshima über den Erdball verstreut sind, einem grösseren Publikum bekannt. Es handelt sich dabei um simple zylindrische oder würfelförmige Einräume mit einer scharfkantigen runden oder rechteckigen Öffnung in der Decke, durch die das Licht der Gestirne je nach Tageszeit unterschiedlich auf die titanweiss gestrichenen Wände und den Boden fällt. Der Himmel erhält so einen Rahmen, wodurch die Illusion entsteht, dass er in greifbare Nähe « heruntergeholt » wird. Seit seinem ersten Auftrag für Giuseppe Panzas Villa in Varese ( 1974 ) hat Turrell den Typus des Skyspace konzeptuell kaum modifiziert; zusätzlich zum natürlichen Licht nutzt er in jüngeren Ver­ sionen allerdings bisweilen künstliches Gegenlicht, das die

Wände farbig erhellt, um den Himmel umso intensiver in Erscheinung treten zu lassen.3 Es ist kein Geheimnis, dass der « serielle Verkauf » dieser Spaces hauptsächlich der Finanzierung seines Opus magnum in der Wüste Arizonas dient.4 Den innovativen Durchbruch schaffte Turrell zwischen 1969 und 1974. Zu dieser Zeit hatte er sein Studio im ehemaligen Mendota Hotel im kalifornischen Ocean Park, wo er Kunstwerke entwickelte, die auf präzis projiziertem Licht basieren. Zudem erprobte er erstmals architektonische Interventionen. Indem er die Räume entkernte, Fenster abklebte und Wände herausriss, kontrollierte er den Lichteinfall, den er auf die Sommer- und Wintersonnwende sowie die Tagundnachtgleiche ausrichtete.5 Mit der Schaffung eines mehrräumigen, jedoch leeren, allein dem Licht gewidmeten Ortes, der den Verlauf der Sonne sichtbar macht, nahm er grundlegende Aspekte des Roden Crater-Projekts vorweg.

1 Immanuel Kant, Kritik der Urteilskraft, §28, Erstausgabe : 1790, Hamburg 2009, S. 128 und 129. 2 Jules Verne, Voyage au centre de la terre, Paris 1864. 3 Arden Reed, Slow Art. The Experience of Looking. Sacred Images to James Turrell, Oakland 2017, S. 243. 4 Andrew Graham-Dixon, « James Turrell. A Life in Light », in : James Turrell. A Life in Light. Ausst.-Kat. des Louise T. Blouin Institute in London, Paris 2007, S. 41. 5 Peter Noever ( Hg. ), James Turrell. The Other Horizon, Wien 2001, S. 86–90.

Reise ins Licht Florian Stocker hat die umfassende Turrell-Retrospektive The Substance of Light in Baden-Baden besucht.   archithese.ch


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Kéré Architecture, Bibliothek der Primarschule von Gando, seit 2010 ( Alle Fotos sofern nicht anders gekennzeichnet : Kéré Architecture ) Die Öffnungen in der Decke wurden mit aufgeschnittenen Wassertrögen geschalt. Die Lehmdecke ist bewehrt. Pläne von oben nach unten Schnitt A, Grundriss


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Mit Erde bauen bedeutet sich selbst zu erden. Diébédo Francis Kéré sprach mit Philippe Jorisch über das Bauen mit Lehm und die Poetik seiner Gestaltungen. Diébédo Francis Kéré ist vielen für seine Architekturen aus Lehm bekannt. Zusammen mit der lokalen Bevölkerung seiner Heimat Burkina Faso realisiert er seit zwanzig Jahren Lehmbauten und versucht dabei eine zeitgemässe Formensprache zu entwickeln. Mitunter entlockt der frischgebackene Professor der Technischen Universität München dem Baustoff eine leichte, geradezu filigrane Anmutung und lässt Mauern wie grobmaschige Gewebe wirken.

Philippe Jorisch  Das Bauen mit Lehm ist in der westlichen Welt aktuell ein grosses Thema : Etliche Architekten interessieren sich für den Baustoff und an einigen Hochschulen wird fleissig dazu geforscht. In Westafrika hin­gegen sind Gebäude aus Erde ziemlich alltäglich. Welchen Stellenwert hat Lehm in der dortigen Architektur ?

Diébédo Francis Kéré Lehm ist in Westafrika einer der meistbenutzten Baustoffe, denn Erde ist eine überall verfügbare Ressource. Allerdings bedarf ein traditionelles westafrikanisches Lehmgebäude regelmässiger Pflege. Jedes Jahr müssen an der Gebäudehülle Ausbesserungsarbeiten vorgenommen und der Lehmverputz muss erneut aufgetragen werden. Diese mühevolle Arbeit ist für den Unterhalt notwendig, sonst zerfällt das Ganze. Es liegt daher auf der Hand, dass die Menschen gern beständigere Materialien einsetzen würden – sofern sie sich diese leisten können. Es fehlte bis anhin das Know-how, um mit Lehm langlebige Bauwerke zu errichten.

äusseren Schutz. Allerdings sind beide Techniken geometrisch unpräzise. Nach dem althergebrachten Verfahren werZwei Dinge sind entscheidend  : den Lehmsteine mit rudimentären HolzEinerseits wird der konstruktive Schutz formen hergestellt. Vielfach unterscheizum Entwurfsthema. Ein grosses Dach den sich die Steine dann deutlich. Die soll zum Beispiel verhindern, dass die Toleranzen sind ziemlich hoch. Deswedarunterliegenden Mauern allzu gros- gen setze ich eine Lehmpresse ein, mit sen Wassermengen ausgesetzt sind. der sich exakt identische Steine zu HunAndererseits verändere ich die Beschaf- derttausenden produzieren lassen. Mit fenheit des Lehms, indem ich ihm etwas gleichmässigen Steinen kann man Zement zuschlage. Die Mauern werden ansehnlichere, modernere Gebäude somit widerstandsfähiger und langlebi- schaffen. Das macht einen grossen ger. Das steigert die Akzeptanz von Unterschied. Dauerhaftigkeit, WiederLehm als Baustoff. holbarkeit und eine hohe Ästhetik – das ist, was ich eingeführt habe. Wie greifen Sie mit Ihrer Architektur in diesen Mechanismus ein ?

Und Sie bauen mit vorgefertigten Lehm­ steinen…

Wird durch das Beimischen von Zement nicht ein grosser Vorteil des Baustoffs Lehm

Ja. Üblicherweise wird der Lehm feucht aufeinandergeschichtet und dann verputzt. Es gibt aber auch eine traditionelle Bautechnik, bei der Mauern aus getrockneten Lehmsteinen aufgeschichtet werden. In beiden Fällen ist der Putz entscheidend. Er bildet den

zunichte gemacht ? Die Rezyklierbarkeit im Sinne einer Rückführung in die Erde funk­tioniert dann schliesslich nicht mehr.

Ein Architekt ist kein Spezialist. Er braucht ein breites Wissen, um mit verschiedenen Materialien kontextgerecht


Swiss Performance 2019 Erscheint am 1. März 2019 Rückzug Erscheint am 1. Juni 2019 Chile Erscheint am 1. September 2019 Der Kreis Erscheint am 1. Dezember 2019

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Bild basierend auf einem Foto von Victoria Lautman.

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