archithese 1.2018 – Swiss Performance 2018

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Herausragend oder kontrovers Eine kritische Rückschau auf ein Jahr Schweizer Architektur

Zentrum vs. Peripherie Diener & Diener, Swiss Re, Zürich Giovanni Netzer – Theater am Julier

Smart verdichten ! Manuel Herz – Ballet Mécanique, Zürich-Seefeld Demuth Hagenmüller & Lamprecht – Wohnhaus in Zürich-Wiedikon wild bär heule – Wohnturm, Winterthur Herzog & de Meuron – Wohnhochhaus 56 Leonard Street, New York

Übersetzungsleistungen Wülser Bechtel – Umbau Wohnhaus Klosterzelgstrasse, Brugg-Windisch BDE Architekten – Siedlung Orenberg, Ossingen

Swiss Performance 2018 MÄR – MAI 1.2018 CHF 28.– |  EUR  24.–


Swiss Performance 2018 MÄR – MAI  1.2018

3 Editorial

6 FSAI Der Verband begrüsst seine Neumitglieder. 8 Diener & Diener Hauptsitz der Swiss Re, Zürich-Enge Elias Baumgarten

30 Herzog & de Meuron Wohnhochhaus 56 Leonard Street, New York Jørg Himmelreich 44 Wülser Bechtel Architekten Ein Interview über den Umbau eines Wohnhauses, Klosterzelgstrasse, Brugg Mathieu Wellner / Elias Baumgarten

20 Demuth Hagenmüller &

Lamprecht Architekten Umbau eines Gewerbegebäudes zum Wohnhaus, Zürich-Wiedikon Cyrill Schmidiger

54 Manuel Herz Mehrfamilienhaus Ballet Mécanique, Zürich-Seefeld Roman Hollenstein

84 Giovanni Netzer und Walter Bieler Theaterturm auf dem Julierpass Daniel A. Walser

Rubriken 94 Premium Brands Online 95 Neues aus der Industrie 96 Vorschau und Impressum

64 BDE Architekten Siedlung Orenberg, Ossingen Christoph Ramisch 74 wild bär heule architekten Wohnturm Grenzstrasse, Winterthur Manuel Pestalozzi

Coverbild basierend auf einem Foto von Robin Bervini; Giovanni Netzer und Walter Bieler, Theaterturm der Kulturorganisation Origen auf dem Julierpass, 2017


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Editorial Swiss Performance 2018

Jeden Herbst setzt sich die Redaktion der archi­ zeigen Probleme auf oder öffnen grundlegende Debatthese mit rund 200 neuen Bauwerken auseinander – ten. Wie kann beispielsweise in Villenvierteln oder den möglichen Kandidaten für unser jährliches Best-of generischen modernen Wohnquartieren nach-verder Schweizer Architektur. Auch für die Swiss Perfor­ dichtet werden? Wie können in dörflichen Strukturen mance 2018 wurden wir wieder von Lesern und Freun- neue Siedlungen integriert werden ? Können oder müsden auf viele Projekte aufmerksam gemacht, andere sen sie sich gestalterisch am Bestand orientieren oder sind uns bei unseren Reisen aufgefallen. Doch die läuft man so Gefahr, in Nostalgie oder gar Kitsch abzumeisten wurden den Redaktoren auf Nachfrage von gleiten; in Bilder, die der gesellschaftlichen Realität dutzenden Architekturbüros von Genf bis St. Gallen nicht entsprechen? Was passiert mit den Seefronten und von Basel bis Mendrisio anhand von Plänen und der Schweizer Städte, wenn dort aktuell einige histoFotos zugeschickt. ristische Monumentalbauten ausgetauscht werden? War 2016 von der Fertigstellung vieler grosser Wie können leer stehende innerstädtische Bürobauten Museums- und Kulturbauten wie der Elbphilharmonie mit ihren tiefen Grundrissen zu Wohnhäusern umgegeprägt, an deren Besprechung aufgrund ihrer Bedeu- nutzt werden ? Kann die Dominanz hermetisch getung und Qualität kein Weg vorbeiführte, so ist 2017 schlossener Lochfassaden bei Wohntürmen zugunsein « leiseres » Jahr gewesen. Gut so! Denn das schärft ten grosszügiger, halbprivater Freiräume aufgebrochen den Blick für das Besondere im Alltäglichen und er- werden ? Und last, but not least geht es bei den vorgemöglicht auf die Grundrisse, Details und Kontextuali- stellten Diskursen auch um das Bauen in den Bergen: sierungen von Siedlungen, Wohnhäusern, Bürobauten Sollen Berge Naturreservat oder Raum für touristiund Schulen zu fokussieren. sches Spektakel sein? Mindestens 50 Neubauten erschienen uns letztWie in den Swiss Performances der beiden Vorjahlich als solide, gut oder gar aussergewöhnlich. Doch re haben wir das Heft auch diesmal genutzt, um nach wie sollten wir daraus acht Projekte für das Heft aus- Spielräumen für die Architekturfotografie zu suchen. wählen ? Jedes Jahr gilt es dafür aufs Neue Kriterien zu Eigens für diese Ausgabe hat Pro Helvetia ­einen Wettdefinieren. Das ist Freude und Qual zugleich, vor allem bewerb für junge Fotografen lanciert. Die acht Sieger – aber ein Privileg. Bei vielen Architekturpreisen, die Absolventen von ECAL, CEPV und ZHdK – haben die inspiriert von den Swiss Performances ins Leben geru- Bauten auf ihre persönliche Art interpretiert. Sie befen wurden, bemühen sich Jurys und Laudatoren in dienten sich beim Inszenieren, Fokussieren, Ablichten ihren Begründungen alljährlich um die richtigen Wor- und Nachbearbeiten verschiedener Methoden und te. Warum die gekürten Häuser so besonders sind, Techniken. Einen Teil der Arbeiten sehen Sie im Heft, bleibt dennoch oft undurchsichtig, weil neben archi- weitere zeigen wir vom 5. bis  15. April  2018 im Architektektonischen, politischen und sozialen Agenden im- turforum Zü­rich in einer Aus­stellung. mer auch wirtschaftliche Verflechtungen im HinterZudem können Sie sich auf Events im Rahmen grund wirken. von archithese kontext freuen. Zur Vernissage der AusDie Swiss Performance ist frei davon, und wir ha- stellung am 5. April gibt es eine Podiums­diskussion ben sie noch von weiteren Zwängen befreit: So haben über die Poten­ziale der Architekturfotografie. Und an wir in diesem Jahr bewusst nicht ausschliesslich « die einem Pecha-­Kucha-Abend am 12. April werden zehn Besten » gesucht, sondern einfach nach acht interes- weitere Architekturbüros hervorragende Bauwerke santen Bauten zu den im Idealfall relevantesten Dis- aus dem vergangenen Jahr vorstellen. So wird die kursen. Sie sind herausragend, kontrovers oder auch Swiss Performance zur Life Performance. Schauen Sie problematisch – mitunter alles zugleich, je nachdem, vorbei! aus welchem Blickwinkel und im Rahmen welcher ­Metathemen sie diskutiert werden. Im besten Fall sind Jørg Himmelreich die Konzepte und Herangehensweisen übertragbar, Chefredaktor archithese

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archithese kontext 5.– 15. April 2018 Architekturforum Zürich Brauerstrasse 16

Fotoausstellung und Podiumsdiskussion

Neue Blickwinkel Die Swiss Performance ist mehr als ein jährliches Best-of der Schweizer Architektur. Erneut ist sie ein Experiment zu Potenzialen in der Architekturfotografie: Gefördert von Pro Helvetia haben acht junge und talentierte Fotografen zur Kamera gegriffen und die von der archithese-Redaktion ausgewählten Projekte interpretiert und inszeniert. Eine Fotoausstellung, die vom 5. bis zum 15. April 2018 im Architekturforum Zürich gezeigt wird, würdigt die Arbeiten und öffnet eine Debatte über die Rolle der Fotografie für den Architekturdiskurs. Robin Bervini, Chiasso Aglaia Brändli, Zürich Arunà Canevascini, Fribourg Valentin Faure, Le Locle Quentin Lacombe, Lausanne Clément Lambelet, Collex-Bossy Mathilda Olmi, Lausanne Manon Wertenbroek, Chexbres Die Eröffnung der Ausstellung am 5. April ist zugleich Vernissage des neuen Hefts Swiss Performance 2018. Auf einem Podium diskutiert archithese-Chefredaktor Jørg Himmelreich mit J. Christoph Bürkle, Quentin Lacombe, Marianne Müller, Stefano Stoll und Evert Ypma ab 18.00 Uhr über die Architekturfotografie im Spannungsfeld zwischen Kunst und Dienstleistung, Interpretation und Dokumentation. Die Podiumsdiskussion wird auf Englisch abgehalten. Der Eintritt ist frei.

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Swiss Performance 2018 Every autumn, the editors of archithese grapple with about 200 new buildings – the possible candidates for our annual “Best of Swiss Architecture” issue. For Swiss Performance 2018, too, readers and friends have called our attention to many new buildings, and others struck our attention while traveling. But the editors got to know most of them from plans and photos sent to them, in response to their request, by dozens of architectural firms from Geneva to St. Gallen, and from Basel to Mendrisio. While 2016 was a year in which many major museums and cultural buildings, such as the Elbphilharmonie, were completed – making it impossible to avoid discussing them, due to their size and quality – 2017 was a much “quieter” year. And that’s good ! Because that sharpens one’s ability to see the special in the ordinary and makes it possible to focus on the floor plans, details and response to the contexts of housing developments, residential buildings, office buildings and schools. At least 50 new buildings ultimately seemed solid and good, or even extraordinary. So how should we choose eight projects to present ? Each year, the criteria must be defined anew. That is both a joy and an ordeal, but above all a privilege. For many of the architectural awards that exist thanks to inspiration from our annual Swiss Performance issues, the juries and presenters endeavor to find the right words for their explanations. Yet why the selected buildings are so special often remains obscure, because along with architectural, political and social agendas, there are also always economic interdependencies in the background. Swiss Performance is free of that, and we have liberated it from other constraints, too : To begin with, this year we chose to look not for “the best”, but simply for eight interesting buildings that ideally embody most relevant discourses. They are outstanding, controversial or even problematic – sometimes all at the same time, depending on what perspective you take and within which meta-themes they are discussed. At best, the concepts and approaches are transferable, reveal problems or spark fundamental debates. How, for example, can single-home neighborhoods or generic modern residential districts be densified post hoc ? How can new housing developments be integrated into village settings? Can or must their design be modeled on the existing buildings, or does that pose a risk of lapsing into nostalgia or even kitsch ? Of producing images that do not correspond to the social reality ? What happens to the lakefronts of Swiss cities when, as is currently the case, some historic monumental buildings are replaced ? How can vacant inner-city office buildings, with their deep floor plans, be converted into apartment buildings ? Can the dominance of hermetically sealed, punched window façades in residential towers be overcome in favor of generous, semi-private open spaces ? And last but not least, the debates presented are also about building in the mountains: Should they be a nature reserve or a place exploited for tourist spectacles ? As in the past two years, we have also used this year’s issue of Swiss Performance to seek out greater freedoms for architectural photography. Expressly for this issue, Pro Helvetia launched a competition for young photographers. The eight winners – graduates of the ECAL, CEPV and ZHdK – have interpreted the buildings in their own personal way. In setting the scene, focusing, photographing and post processing, they used diverse methods and varied techniques. Some of the work can be seen here, and more will be shown from April 5 to 15, 2018, in an exhibition at Architekturforum Zürich. In addition, you can look forward to an extensive program of events as part of the archithese kontext series. At the exhibition opening on April 5, there will be a panel discussion about the potential of architectural photography. And to top it all off, at a Pecha­Kucha evening on April 12, ten additional architectural firms will present outstanding buildings from the past year. In this way, Swiss Performance becomes Life Performance. Stop by ! Jørg Himmelreich Editor-in-chief of archithese

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Swiss Performance 2018 La rédaction d’archithese se penche chaque automne sur quelque deux cents nouvelles réalisations – les candidats de notre best of de l’architecture suisse. Pour Swiss Performance 2018, beaucoup de nouvelles constructions nous ont à nouveau été signalées par des lecteurs et des amis, alors que d’autres ont attiré notre attention au cours de nos voyages. Les rédacteurs ont cependant fait la connaissance de la plupart d’entre elles sur la base de plans et de photographies, en contactant des dizaines de bureaux d’architecture, de Genève à Saint-Gall et de Bâle à Mendrisio. Alors que 2016 marquait l’achèvement de nombreux grands musées et d’édifices liés à la culture – tel la Philharmonie de l’Elbe – incontournables de par leur taille et leur qualité, l’année 2017 a été plus « calme ». Ce qui n’est pas plus mal ! Ceci aiguise le regard pour ce qui est particulier dans la vie courante et nous permet de focaliser notre attention sur les plans, les détails et le contexte de lotissements, d’habitations, d’immeubles de bureaux et d’écoles. En définitive, ce ne sont pas moins de cinquante bâtiments neufs qui nous ont paru de bonne facture, bons ou même extraordinaires. Mais comment choisir huit projets pour cette édition ? Il convient chaque année de définir à nouveau les critères de sélection. C’est à la fois un moment de joie et de tourmente, mais avant tout un privilège. Pour beaucoup de prix d’architecture ayant vu le jour en étant inspirés par Swiss Performance, les jurys et les orateurs ont d’année en année le souci du mot juste lors de l’exposé des motifs. La raison pour laquelle les bâtiments retenus sont si particuliers reste pourtant souvent opaque, car mis à part les vecteurs architectoniques, ­politiques et sociaux, ce sont les imbrications économiques qui agissent en arrière-plan. Swiss Performance est libre de telles influences et nous l’avons encore libéré d’autres contraintes : cette année, nous n’avons intentionnellement pas cherché exclusivement les « meilleurs », mais simplement huit bâtiments intéressants qui, dans l’idéal, s’apparentent aux discours les plus en vue du moment. Ils sont hors du commun, controversés ou également problématiques, voire les trois à la fois selon l’angle de vue ou le choix des méta-thèmes qui c­ onstituent le cadre de la discussion. Dans le meilleur des cas, leurs concepts et leurs approches sont transmissibles, mettent à jour des problèmes ou donnent lieu à des débats de fond. Tout comme pour les deux précédentes éditions de Swiss Performance, nous avons aussi utilisé ce numéro pour chercher des espaces de liberté pour la photographie d’architecture. A cet effet, Pro Helvetia a lancé un concours pour de jeunes photographes. Les huit lauréats, issus de l’ECAL, du CEPV et de la ZHdK, ont interprété les bâtiments à leur manière. Ils ont fait usage de différentes ­méthodes et techniques pour la mise en scène, la focalisation, la prise de vue et le traitement de l’image. Une part des travaux se trouve dans ce numéro, d’autres seront exposés au Forum d’architecture de Zurich du 5 au 15 avril 2018. A cet égard, vous pouvez profiter d’un programme-cadre détaillé dans le cadre d’archithese kontext. Une table ronde concernant le potentiel de la photographie d’architecture est prévue lors du vernissage de l’exposition, le 5 avril. Le 12 avril, une soirée Pecha-Kucha permettra à dix bureaux d’architecture de présenter des constructions exceptionnelles réalisées l’an passé. Swiss Performance se transforme ainsi en Life Performance. Venez faire un tour. Jørg Himmelreich Rédacteur en chef d’archithese



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Hohe Wellen um einen soliden Bau Diener & Diener : Hauptsitz der Swiss Re in Zürich Architektonische Eingriffe an der Zürcher Seefront erfordern Fingerspitzengefühl. Schliess­lich verleihen die dort aufgereihten monumentalen historistischen Häuser der Limmatstadt ihr repräsentatives Gesicht. So war der Erwartungsdruck hoch, als die Swiss Re vor einem Jahrzehnt zwölf Architekten zum Wettbewerb für den Ersatz ihres Hauptquartiers am Mythenquai einlud. Nun ist das von Diener & Diener gestaltete neue Haus fertig. Das Innere kann mit seinen beiden Atrien und einem grossartigen Auditorium überzeugen. Die gewellte Glasfassade, die eher technoid denn poetisch in Erscheinung tritt, wird hingegen kontrovers diskutiert. Doch steht ausser Frage, dass es richtig ist, in zentraler Lage Arbeitsplätze zu erhalten und deren Zahl sogar weiter nach oben zu schrauben. Mit dem Commitment der Swiss Re zum Traditionsstandort ist der Ersatzneubau ein gelungener Beitrag zur Verdichtung im Sinne einer «Stadt der kurzen Wege ». Autor: Elias Baumgarten Fotografin: Manon Wertenbroek

Vom Sumpf zur prachtvollen Promenade Im Hafen Enge schaukeln Segelboote und kleine Jachten auf den Wellen. In der schwimmenden Badi nebenan herrscht im Sommer Hochbetrieb, und in der Parkanlage Arboretum geniessen viele Zürcher ihre Mittagspause oder den Feierabend. Touristen schlendern die baumbestandene Promenade entlang – das Seeufer ist Zürichs Schokoladenseite. Das war nicht immer so: Bis in die 1880er-Jahre erstreckte sich zwischen den damals selbstständigen Gemeinden Wollishofen und Enge ein

Die gebogenen Gläser der Fassade verzerren den Blick auf den Zürichsee und die Stadt auf inspirierende Weise.

Sumpf. Das Seeufer befand sich etwa dort, wo heute Gotthardund Alfred-Escher-Strasse verlaufen. Das aufstrebende Zürcher Bürgertum wünschte sich jedoch eine Flaniermeile, und so wurde unter Leitung des Stadtingenieurs Arnold Bürkli das Ufer aufgeschüttet, befestigt und begradigt. Zürich öffnete sich zum Wasser und erhielt auf drei Seiten rund um den Ausfluss des Sees repräsentative neue Stadtfronten mit Promenaden, Terrassen und einem Park. Auf den Grundstücken am Mythenquai zwischen Arboretum und Hafen Enge liessen sich Versicherungsgesellschaften imposante Verwaltungsbauten errichten. Sie prägen bis heute das Gesicht der Stadt zum See hin. Schreiten wir den Mythenquai gemeinsam architektonisch ab: Das


Freiräume durch Differenz Herzog & de Meuron : Wohnhochhaus 56 Leonard Street in New York Warum ein New Yorker High-End-Kondominium in der Swiss Performance besprechen ? Kann es relevant für den Wohnungsbau in Mitteleuropa sein ? Durchaus – denn es zeigt Alternativen zu den Defiziten vieler neuer Wohnhochhäuser auf, bei denen der private Aussenraum vernachlässigt wird, die Fassaden homogen und leblos und die Grundrisse repetitiv sind. Auch wenn es sich beim Wolkenkratzer in der Leonard Street um eine Luxusimmobilie handelt, formuliert sie dennoch unterschwellig ein erfreuliches Plädoyer für mehr Individualität und Ausdifferenzierung im Massenwohnungsbau. Autor : Jørg Himmelreich Fotograf : Clément Lambelet

New York verändert sich ( endlich wieder ) Galt New York jahrzehntelang als architektonisch taktangebende Metropole, ist ihr in den 1990er- und 2000er-Jahren der Drive abhanden gekommen. Was gebaut wurde, war nur selten der Aufmerksamkeit wert. Auch die öffentliche Infrastruktur müsste vielerorts überarbeitet werden : Grünflächen sind beispielsweise noch immer Mangelware und die U-Bahn ist baulich in desolatem Zustand. Doch langsam tut sich wieder etwas; es herrscht erneut architektonisches Aufbruchklima. Als Startschuss darf das 2007 von SANAA fertiggestellte New Museum of Contemporary Art in der Bowery Street gelten. Der Stapel verrückter weisser Metallkuben brachte frischen Wind in den Big Apple.1 Noch wichtiger war jedoch der Impuls, den die Umnutzung der Highline im Westen Manhattans durch Diller Scofidio + Renfro zum 1,5 Meilen langen Park ( erste Etappe 2009 ) gab. Endlich wird innovativ am Manko der wenigen Parkflächen gearbeitet. Auch viele Piers und Gewerbeflächen, welche die Insel umklammerten, wurden mittlerweile aufgelassen und in öffentliche Freiräume verwandelt. Neue Uferpromenaden sollen folgen.2 Kein Wunder, dass diese neuen urbanen Qualitäten das Wohnen in Manhattan attraktiv machen.

Federkiele kratzen am Himmel Die globale Finanzkrise schwelt in vielen Teilen der Welt noch immer, doch New Yorks Immobilienmarkt brummt wieder – vor allem im Segment der Luxuswohnungen. Und dieser Boom betrifft nicht nur Uptown. Auch die Viertel an der Südspitze der Insel rund um den Financial District sind bei Investoren und Käufern beliebt geworden, neue Apartments schiessen aus dem Boden. Besonders auffällig Frank Gehrys gekerbter Turm 8 Spruce Street ( 2011 ). Weitere werden folgen und den Downtown-Charakter damit ein wenig von Business in Richtung Wohnviertel verschieben.3

1 Das Museum wird demnächst durch OMA unter Federführung von Shohei Shigematsu erweitert. 2 Mit der Vision 2020, dem New York City Comprehensive Waterfront Plan, soll eine grösser angelegte Öffnung der Stadt zum Wasser folgen. Zur gesteigerten urbanen Qualität in Downtown hat ironischerweise besonders 9/11 beigetragen, weil mit dem neuen Memorial endlich ein nennenswerter zentraler Park geschaffen wurde. 3 Hervorzuheben wären das erdig materialisierte 130 William von Adjaye mit Bögen und Gewölben ( erwartete Fertigstellung 2020 ) oder der 340 Meter hohe Wolkenkratzer 45 Broad Street von CetraRuddy mit einer Art déco-artigen Fassade ( voraussichtlich 2021 ).


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Legende

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Exzentrischer Vermittler Manuel Herz : Stadtvilla im Zürcher Seefeld Alle Schweizer Städte besitzen historische Quartiere mit architektonisch bedeutenden Stadtvillen. Der Ruf nach Verdichtung setzt diese Viertel zusehends unter Druck, weshalb immer mehr ausdrucksstarke Altbauten durch anonyme Investitionsobjekte der Luxusklasse ersetzt werden. Dass es auch anders geht, beweist Manuel Herz in Zürich. Dort hat er im boomenden Seefeld unweit des Zürichsees für eine kunstbegeisterte Auftraggeberin ein kubisches Mietshaus mit einer extravaganten kinetischen Fassade errichtet. Autor : Roman Hollenstein Fotografin : Aglaia Brändli


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Spektakuläre Architektur hat es im zwinglianischen Zürich schwer. Sogar Kulturbauten geben sich diskret, wie der neokubistische Landesmuseumsanbau ( siehe auch : Elias Baumgarten, « Enorme Flughöhe trotz gestutzter Flügel. Christ & Gantenbein : Erweiterung des Landesmuseums in Zürich », in : archithese 1.2017, Swiss Performance 2017, S. 44–50. ) oder die Kunsthauserweiterung in Form der noch im Bau befindlichen « Steinkiste » von David Chipperfield zeigen. Auch auf dem Gebiet des Wohnungsbaus herrscht – obwohl die Stadt auf ihn besonders stolz ist – lediglich architektonischer Durchschnitt und städtebauliche Langeweile vor. Seit einigen Monaten trifft man nun aber an der ruhigen Lindenstrasse im Zürcher Seefeld immer wieder Leute an, die sich über ein buntes, wie aus einer anderen Welt stammendes Objekt wundern, das sich in einem etwas verwilderten Garten zwischen Skulpturen von Bernhard Luginbühl und Jean Tinguely niedergelassen hat. Das Haus will nicht so recht in die gutbürgerliche Nachbarschaft passen – jedoch nur auf den ersten Blick. Denn ganz in der Nähe des schrillen Metallkubus finden sich zwei ähnlich exzentrische, allerdings bereits 50 Jahre alte Bauten : die bronzefarbene Pyramide von Justus Dahinden ( Ferrohaus, 1970 ) und der Ausstellungspavillon, den die Galeristin Heidi Weber 1967 nach Le Corbusiers Plänen als frühes Beispiel eines farbenfrohen Hightechs errichten liess.

Eine kleine Gartenstadt Die Hülle des Neubaus an der Lindenstrasse – den man entweder liebt oder ablehnt – besteht nicht wie üblich aus Mauern und Fenstern, sondern aus einem Mosaik dreieckiger, leicht abgerundeter Klappläden. Dekorativ zu Vierergruppen angeordnet, erinnern sie an die Rückseiten alter Briefkuverts. Das Haus dient anders als die meisten Nachbarvillen nicht dem Repräsentationsbedürfnis eines Trusts, Consultants oder Finanzdienstleisters, sondern in ihm wird gewohnt. Und das nicht in teuren Eigentumswohnungen, sondern zur Miete, denn der Bauherrin ging es nicht um Immobilienspekulation. Vielmehr liess sie in ihrem Villengarten gehobene Wohnungen für unkonventionelle Menschen errichten, mit deren ­Mieten sie die Stiftung chemicalmoonBABY subventioniert, die sie zur Unterstützung von Kunstschaffenden ins Leben rief. Damit sorgte sie – unbeabsichtigt – für einen Ausgleich dafür, dass sie das alte, 1886 nach Plänen von Heinrich Honegger-Näf ( dem Architekten des Weissen Schlosses am General-Guisan-­ Quai ) erbaute Haus seit Jahren als privates Kunstmuseum und als Stiftungssitz nutzt.

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Die Zukunft der Vergangenheit BDE Architekten: Wohnsiedlung Orenberg in Ossingen Mit ihrer neuen Wohnüberbauung in Ossingen führen BDE Architekten ein ländliches Formenrepertoire und städtische Wohnformen zu einer neuen Synthese zusammen. Das Ergebnis stösst auf grosse Akzeptanz und lässt hoffen, dass die Adaption des genossenschaftlichen Wohnens als zeitgemässe Variante der traditionellen Dorfgemeinschaft die ländlichen Ortschaften der Schweiz aus ihrem Dornröschenschlaf wachküssen könnte. Autor: Christoph Ramisch Fotografin: Mathilda Olmi

Eingebettet in die Rebhänge des Zürcher Weinlandes, liegt Ossingen auf halbem Weg zwischen Schaffhausen und Winterthur. Von umfassenden Dorferneuerungsprogrammen verschont, erscheint seine bäuerliche Bausubstanz, die zwischen dem 17. und 19. Jahrhundert entstand, intakt und liebevoll erhalten. Entlang der Mitteldorfstrasse versammeln sich im Zentrum Laden, Poststelle, Milchautomat und eine kleine Tankstelle, die gemeinsam die Bedeutung des Strassennamens hochhalten. Aller Idylle zum Trotz muss sich jedoch auch Ossingen den strukturellen Umwälzungen stellen, denen sich alle ländlichen Gemeinden des Schweizer Unterlandes ausgesetzt sehen. Der Weinbau hat an Bedeutung eingebüsst und die meisten Bewohner pendeln zur Arbeit in die umliegenden Städte. So sind die Strassen tagsüber menschenleer und aus dem Dorf droht eine anonyme Schlafstätte mit wachsenden Einfamilienhaussiedlungen zu werden. Auch wenn sich die Bewohner mit einem aktiven Vereinsleben und einem regelmässig stattfindenden Bauernmarkt tapfer um den Erhalt einer lebendigen Dorfgemeinschaft bemühen, wurde der alte Gasthof Hirschen unterdessen geschlossen. Die verbliebene Wirtschaft Löwen ist zum italienischen Imbiss mit Lieferservice mutiert. Wer trotzdem weiter gemütlich am Stammtisch sitzen will, nimmt den Weg zur Bahnhofsbeiz am Dorfrand auf sich und passiert dabei jenen Ort, an dem seit Kurzem eine genossenschaftliche Wohnüberbauung in die dörfliche Silhouette ragt: die neue Siedlung Orenberg von BDE Architekten.

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Turmbau zu Babel Giovanni Netzer und Walter Bieler : Theaterturm für das Origen Festival auf dem Julierpass Die Kulturorganisation Origen hat auf dem Julierpass einen prägnant-roten Theaterturm errichten lassen. Entworfen hat ihn ihr gewiefter Intendant Giovanni Netzer; Bauingenieur Walter Bieler entwickelte das Tragwerk und sorgte für die Umsetzung. Auch ohne Federführung eines Architekten ist ein überzeugender und kraftvoller Bau entstanden. Die Eingriffe in die Landschaft sind gering und doch ist die Strahlkraft des Turms aus Fichtenholz sehr gross. Zugleich stellt er einen innovativen Beitrag zur zeitgenössischen Theaterarchitektur dar : Netzer spinnt Ideen avantgardistischer Theatermacher der 1920er-Jahre weiter. Der Publikumserfolg macht deutlich, dass die spielerische Strategie von Origen ein Modell gegen das Schwächeln des Tourismus in Randregionen wie Graubünden sein kann. Autor : Daniel A. Walser Fotograf : Robin Bervini


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Oper A ­ pokalypse im Beisein von Bundesrat Alain Berset offiziell eröffnet. Hier sollen bis 2022 Opern, Konzerte, Theater und Tanz aufgeführt werden. Im Jahr 2017 wurde nur bis in den Oktober gespielt und der Bau anschliessend winterfest gemacht, weiter ausgebaut und mit einer Heizung nachgerüstet. Nun können dort das ganze Jahr hindurch Aufführungen stattfinden. Der Turm bleibt jedoch eine kontinuierliche Baustelle und entwickelt sich im Inneren fortlaufend weiter.

Inspiration aus Religion und Baugeschichte

Der Julierpass ist eine seit Jahrtausenden bestehende Passage über die Alpen. Er verbindet das Oberhalbsteintal mit dem Engadin. Schon die Wagenräder römischer Gespanne knarrten auf der Passstrasse, die damals nur wenige Meter entfernt von der heutigen verlief. Der Julier ist eine Brücke zwischen verschiedenen Orten, Kulturen oder gar Welten. Heute verbindet er drei Sprachregionen : In den Tälern ringsum wird Italienisch, Rätoromanisch und Deutsch gesprochen. Die Passhöhe ist ein zentraler Ort mit Ausblick, der auch für Übergang und Veränderung steht – und damit an sich schon theatral ist. Seit dem Sommer 2017 befindet sich in diesem traumhaften Niemandsland ein rotbrauner Turm. Bauherrin ist die 2006 in Riom gegründete Kulturorganisation Nova Fundaziun Origen. Am 31. Juli 2017 wurde die neue Spielstätte mit der

Das Bauwerk ist eine Synthese verschiedener Formen von Theater und baulicher Referenzen, die mit kreativer Offenheit in ein neues Ganzes überführt wurden. Hauptinspiration war der biblische Mythos des Turmbaus zu Babel.1 Kein Wunder, denn Giovanni Netzer hat Theologie studiert. Referenzen aus Religion, Kultur, Geschichte und Politik bilden den Humus für seine Arbeit als Intendant. Schon 2012 war die alttestamentarische Erzählung Jahresthema des Origen Festivals. Der Turm kann als Höhepunkt dieser Auseinandersetzung gelesen werden. So präsentierte Netzer 2016 während der Entwurfsund Fundraising-Phase immer wieder Modelle, die, auf Vorstellungen vom Turm zu Babylon basierend, auf die Zikkurat des Zweistromlands aus dem 5. bis 3. Jahrtausend vor unserer Zeitrechnung rekurrierten : Stufenpyramiden mit achteckigem Fussabdruck und grossen Rundbogenfenstern, ähnlich wie sie etwa Pieter Bruegel der Ältere auf seinem Ölgemälde Turmbau zu Babel aus dem Jahr 1563 festhielt – wenngleich natürlich als Hybrid mit Elementen der Renaissancearchitektur seiner Zeit. Zugleich erinnert der Bau an das Castel del Monte des Stauferkaisers Friedrich II. in Apulien (um 1250 ). Dieser rotationssymmetrische Bau mit seinen acht und zudem achteckigen Türmen ist durchaus analog zum Origen-Turm.

1 Alle Zitate stammen aus einem Gespräch, das Daniel A. Walser am 3. November 2017 mit Giovanni Netzer an der HTW Chur geführt hat. Auch wurden Informationen aus einer öffentlichen Projektpräsentation von Walter Bieler und Giovanni Netzer, die am 17. Mai 2017 in Bielers Atelier stattfand, bezogen.


informativ und richtungsweisend Swiss Performance 2018 Erscheint am 1. März 2018 Normen vs. Deregulation Erscheint am 1. Juni 2018 Junges Bayern Erscheint am 1. September 2018 Land Art | Erdarchitektur Erscheint am 1. Dezember 2018

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