archithese 4.09 - Luxemburg

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Luxemburg

archithese

4.2009

Internationale Zeitschrift und Schriftenreihe für Architektur

Dominique Perrault: Europäischer Gerichtshof

International thematic review for architecture

Architekturentwicklung in Luxemburg seit 1900 Historische und urbanistische Entwicklung Stadtplanung im Nationalsozialismus L’Aménagement du Plateau de Kirchberg Aktueller Masterplan für das Kirchberg-Plateau Christian de Portzamparc: Philharmonie Luxemburg Jim Clemes: Hotel Meliã Ingenhoven Architekten: Europäische Investitionsbank Ieoh Ming Pei: MUDAM

, Casino Luxembourg – Forum d art contemporain Esch-Belval: Luxemburgs Süden erfindet sich neu Pavillons in Esch Überblick zeitgenössischer Architektur in Luxemburg Blick auf Luxemburg aus der Distanz: Ein Gespräch mit Rob Krier

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Luxemburg


Editorial

Luxemburg Luxemburg liegt zwar im Herzen Europas, wird aber als Staat von seinen robuster auftretenden Nachbarn gerne übersehen. Das gilt auch für die Architektur des Landes: Seit jeher haben Importe von aussen das Baugeschehen bestimmt, doch gerade in den letzten Jahren konnte sich eine Szene etablieren, die auch jenseits der Grenzen Beachtung verdient. Dass eine in der Schweiz beheimatete Zeitschrift ein ganzes Heft Luxemburg widmet, mag zunächst erklärungsbedürftig sein. Bei näherem Hinsehen gibt es aber durchaus einige Parallelen. Beide Länder haben mehrere offizielle Landessprachen sowie eine dialektale Variante, die von Ort zu Ort variiert (und in Luxemburg Lëtzebuergesch heisst); beide liegen als kleine Staaten an der Grenze zwischen verschiedenen europäischen Kulturräumen; beide hängen in starkem Masse von der Finanzwirtschaft ab und hätten sich unlängst fast auf einer viel zitierten schwarzen Liste wiedergefunden; beide galten im 19. Jahrhundert als von Armut betroffen, haben aber inzwischen den Strukturwandel erfolgreich gemeistert und zählen zu den wohlhabendsten Staaten Europas. Der wirtschaftliche Aufstieg des Grossherzogtums Luxemburg setzte Ende des 19. Jahrhunderts mit dem Bau der Hüttenwerke im Süden des Landes ein. Eine Spaltung Luxemburgs begann, die immer noch erkennbar ist. Die Bereiche nördlich der Hauptstadt sind bis heute waldreich und dünn besiedelt geblieben, während die Montanindustrie zu Verstädterungsphänomen des südlichen Landesteils um die Städte Esch-sur-Alzette, Dudelange und Differdange beigetragen hat. Da der Bedarf an Arbeitskräften im Inland nicht befriedigt werden konnte, rekrutierte man im Ausland: zunächst in Deutschland, dann in Italien und schliesslich in Portugal. Heute liegt der Einwandereranteil an der Gesamtbevölkerung bei 42 Prozent. Einige wenige Stahlwerkstandorte sind noch in Betrieb, doch die grossen Areale sind seit Mitte der Siebzigerjahre zu Brachen geworden. Gleichwohl hat der Strukturwandel nur temporär zu Problemen geführt. Im Rahmen des Zuwachses der Europäischen Staatengemeinschaft konnte sich Luxemburg-Stadt neben Brüssel und Strassburg als eine der drei europäischen Hauptstädte etablieren. Die komplexe Planungsgeschichte des Kirchberg-Plateaus, auf dem nicht nur die Europabauten, sondern auch die Bankniederlassungen entstanden sind, ist einer der Schwerpunkte dieses Heftes. Der Finanzplatz verantwortete – zumindest bis zur Wirtschaftskrise – ein Fünftel des Bruttoinlandsprodukts. In Zusammenarbeit mit der Architekturgalerie Luzern wird archithese an einem Samstag am 7. November dieses Jahres eine Tagung zum Thema Luxemburg veranstalten. Mehr dazu auf S. 21 und – stets aktualisiert – auf der dort angegebenen Homepage. Redaktion

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Hermann & Valentiny: Hallenschwimmbad «Les Thermes», Bertrange / Strassen, 2008 (Foto: Hubertus Adam)



ARchitektur Aktuell

Schwarz xxx und Gold

Dominique Perrault: Europäischer

Mitarbeitern. Er hat seinen Sitz in einem ausgedehn-

Gerichtshof

ten Gebäudekomplex in Luxemburg, geografisch

Funktionalität und Repräsentation waren bei

zwischen den beiden Standorten des Parlaments in

der grossen Erweiterung des Europäischen

Brüssel und Strassburg. Geht man zurück zu den

Gerichtshofs in Einklang zu bringen. Ein über

Anfängen der Europäischen Gemeinschaft, war die

Jahrzehnte gewachsenes Ensemble hat einen

Einrichtung noch bescheiden und spielte kaum eine

neuen Schwerpunkt erhalten. Ein erhabener

Rolle. Erst mit der wichtigen Erweiterung 1972, als

Ausdruck wird mit strengen und rigiden Mitteln

unter anderem Grossbritannien hinzukam, entstand

erzielt, die funktionale und organisatorische An-

ein Neubau, errichtet von den Architekten Jean-Paul

ordnung des Raumprogramms ist überzeugend.

Conzemius, Francis Jamagne und Michel Vander Elst. Wie bei allen Bauten der Union auf Luxemburgs

Die äusserst komplex gewordene und daher nur

Plateau de Kirchberg entschied man sich damals für

1 Türme mit Übersetzungsbüros (Fotos: Georges Fessy)

schwer durchschaubare Organisation der Europäi-

einen Solitär in exponierter Lage mit weiträumiger

schen Union mit ihren 27 Mitgliedsstaaten und Tau-

Zufahrt.

2 Hof zwischen Hauptbau und Ringgebäude

wurde den Europäern zuletzt im Juni dieses Jahres

Sukzessive Erweiterungen

bei der Wahl zum Europäischen Parlament wieder

Der erste Neubau wurde bereits drei Mal erweitert –

einmal vor Augen geführt. Den Eindruck eines ge-

in den Achtzigern und Anfang der Neunzigerjahre.

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senden von Beamten an verschiedenen Standorten

waltigen Verwaltungsapparats gewinnt man auch bei

Dabei handelt es sich um eine Reihe blockartiger An-

den zahlreichen Grossbauten für Europa, wie zum

nexe an der Südseite vom Sockel des Hauptgebäudes.

Beispiel dem Gerichtshof mit seinen heute rund 2000

Die insgesamt 26000 Quadratmeter an Nutzfläche


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PLAN PLATEAU DE KIRCHBERG

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Postindustrielle Transformation In Esch-Belval will sich Luxemburgs Süden neu erfinden Noch zeugen stillgelegte Hochöfen und leer stehende Werkshallen von der Stahlindustrie, denen die Stadt Esch-sur-Alzette ihren Aufstieg verdankte. Seit einiger Zeit versucht man sich in radikaler Transformation: Auf dem Gelände des Stahlwerks Belval entsteht ein völlig neuer Stadtteil, in dessen Mitte sich die neu gegründete Universität befinden soll.

Text: Ulf Meyer

tig und auch manches falsch gemacht wird. Das ist auch für

Zu wenig Wohnanteil, Einzelhandel ausgelagert in Shopping

andere europäische Städte mit einem industriellen Erbe von

Malls, ein zu starkes Gewicht auf individuellem Autover-

Bedeutung – und das sind schliesslich fast alle.

kehr und eine zu explizite Funktionstrennung – das sind die

Ehemals ein wichtiges Zentrum der Stahlindustrie, will

Schwächen, an denen fast alle Neustädte und Stadterwei-

Esch heute nichts weniger als sich neu zu erfinden: wirt-

terungen Europas in den letzten Jahren kranken, und das

schaftlich, ästhetisch und auch sozial. Von einer absteigen-

ist leider auch in Luxemburg nicht anders. Dennoch hat der

den proletarischen Stadt zweiten Ranges möchte sich Esch

radikale Versuch, aus einem alten und funktionslosen Stahl-

zu einem modernen Bildungs- und Dienstleistungszentrum

werk eine neue Stadt der Forschung zu machen, wie Esch

im Herzen Europas mausern. Bis dahin ist es noch ein weiter

ihn gerade formuliert, auch mutige und bemerkenswerte As-

Weg, auch wenn der Staat politisch unbedingt hinter dem

pekte. Esch-sur-Alzette, Zentrum des Südens im kleinen

Projekt steht. Denn bisher sieht man in Esch-Belval, dem ehe-

Land Luxemburg, wird in den nächsten Jahren zu einem

maligen Stahlrevier am Rande der Stadt, erst recht schüch-

Labor des zeitgenössischen europäischen Städtebaus, das

tern die ersten Neubauten aus den rostigen Stahlruinen her-

Aufmerksamkeit verdient, weil hier exemplarisch vieles rich-

vorblicken: Ein knallrotes Bankhochhaus, eine Konzerthalle und zwei Shopping Malls sind die ersten Vorboten einer neuen Epoche. Hier soll schon in wenigen Jahren die neu gegründete Universität von Luxemburg (bisher mussten alle Luxemburger zum Studium ausser Landes gehen) Studenten aus ganz Europa anziehen – mit moderner Baukunst, hohem Freizeitwert, vielversprechenden Jobs und ausgeprägter Internationalität. Soweit der Plan. Bei Erfolg wird Belval die Gewichte in Luxemburg nachhaltig zugunsten des Südens verschieben, denn in den letzten Jahren hat die Hauptstadt Luxemburgs einen kometenhaften Aufstieg vom verschlafenen Benelux-Städtchen zu einer der Hauptstädte der schnell expandierenden Europäischen Union und zu einem der wichtigsten Bankenzentren in der EU geschafft. Dieses Wirtschaftswunder ging an Esch und dem ganzen von der Montanindustrie geprägten Süden des Landes weitgehend spurlos vorüber, zum Verdruss

1 Hochofenterrasse (Foto: Marco Kahni)

der Stadtväter von Esch und mancher nationaler Politiker. Während sich heute auf dem Kirchberg-Plateau, dem reichen Neubauviertel in der Hauptstadt, eine architektonische Perle an die andere reiht, Banken und EU-Institutionen durch

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hochkarätige Kulturhäuser wie Ieoh Ming Peis monumenta-

zentrum, den Landschaftspark Belval und ein Wohnquartier,

les Museum für moderne Kunst (MUDAM) und Christian de

das einmal Wohnraum für 7000 Menschen bieten soll – nicht

Portzamparcs elegante Philharmonie den baukünstlerischen

viel im Vergleich zu den 25 000 Menschen, die in der Neustadt

Ritterschlag gaben und die Stadt Luxemburg sich in die erste

Arbeit finden sollen. Die Dienstleistungs- und Geschäftszent-

Reihe der kleineren europäischen Hauptstädte katapultierte,

ren von Belval werden also mehrheitlich Pendlern dienen –

musste Esch seinen eigenen Weg finden. Anders als in vielen

ein grosses Manko für die Lebendigkeit der neuen Stadt und

belgischen oder deutschen Städten im Ruhrgebiet und dem

nur wirtschaftlich zu verstehen, aber nicht städtebaulich. Der

Saarland, die über ein ähnliches kulturelles und bauliches

angegrauten historischen Innenstadt von Belval wird grosse

Erbe verfügen, sich naturgemäss ähnlich schwer mit dem

Konkurrenz erwachsen, was Einzelhandel und Unterneh-

Strukturwandel tun und ihre beeindruckenden Industriebau-

mensansiedlungen betrifft.

ten mehrheitlich zu Denkmälern ihrer selbst verwandeln, pro-

Die zentrale Hochofenterrasse wird – wie die ganze Neu-

biert es Esch mit einer Radikalkur der besonderen Art: Mit-

stadt – durch die beeindruckende Silhouette der beiden

ten in und nicht nur neben die Stahlwerke soll eine potente

Hochöfen gekennzeichnet und soll den Grossteil des Baupro-

Neustadt von nationaler Bedeutung implantiert werden. An-

gramms der neuen Cité des Sciences, der Universitätsstadt,

derswo werden die Stahlwerke als museale Kulissen der Ver-

aufnehmen. Für die Realisierung der Cité ist insgesamt eine

gangenheit genutzt, in Esch hat man als erstes Zeichen des

Milliarde Euro vorgesehen; um das Programm umsetzen zu

Wandels ein knallrotes Bankhochhaus von Joe Coenen aus

können, hat der luxemburgische Staat 2002 den Fonds Belval

Maastricht mitten in die Schrottlandschaft gepflanzt. Vom

gegründet. Die Gestaltung der öffentlichen Plätze im Bereich

selben Büro stammt auch der Masterplan für Neu-Esch. 2001

der Cité wurde Michel Desvigne übertragen.

hatte die Entwicklungsgesellschaft AGORA einen interna-

Das Gelände von Belval liegt unmittelbar an der franzö-

tionalen Architekturwettbewerb durchgeführt und sich für

sischen Grenze auf dem Gebiet der Gemeinden Esch-sur-

Coenen entschieden, der seither die Fäden für die neue Stadt

Alzette (mit 29 000 Einwohnern die zweitgrösste Stadt des

in der Hand hält.

Landes) und Sanem (14 000 Einwohner). Belval ist als ehe-

Städtebau

an das Schienennetz angebunden. Auf der Trasse entlang

Joe Coenen sieht in Belval, das insgesamt 120 Hektar um-

der Südgrenze, die Belval in nur 25 Minuten Bahnfahrt mit

fasst, vier neue Stadtviertel vor: Die Hochofenterrasse rund

der Hauptstadt verbinden soll, werden mittelfristig drei

um das alte Stahlwerk, ein Square Mile genanntes Geschäfts-

S-Bahnstationen neu gebaut. Den Fehler, den man beim

2 Baumschlager & Eberle, Christian Bauer: Maison du Savoir (Bild: Le Fonds Belval)

maliges Zentrum der luxemburgischen Stahlindustrie gut

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Haus Bauer / Raffaelli Christian Bauer, 2008

1

Das lang gestreckte Wohnhaus liegt am Südhang unterhalb

gleichsam wie ein grosses Möbelstück – hineingestellt ist.

des Kirchberg-Plateaus. Mit seiner schwarz lasierten Holz-

Trotz der grandiosen Öffnung schafft dieser Intimität, hält

lattung, die sich zur Zufahrtsstrasse ebenso wie zur Nach-

den Blick zurück, bildet eine Rückzugszone zwischen innen

barbebauung hin weitgehend geschlossen und somit her-

und aussen. Ein in seiner Reduktion japanisch anmutender

metisch zeigt, wahrt das zweigeschossige Volumen Distanz

Garten schliesst sich seitlich an das Haus an. Die Reduktion

zur Umgebung. Ganz anders zeigt sich das Volumen auf der

von Mitteln und Materialien prägt das Haus ohnehin. Zum mit

Gartenseite: Hier ruht die dunkle Holzbox auf einem Sockel-

sägerohen Bretten geschalten Beton, der in der an die Fas-

geschoss aus Sichtbeton, das sich nach Norden hin im Hang

sade anschliessenden Treppenzone von oben belichtet wird

verbirgt. Überdies bestimmen grossformatige Fensteröffnun-

und im Streiflicht an Sinnlichkeit noch gewinnt, treten dunkel

gen die Fassade: In den oberen Stockwerken zu gegenläufi-

gebeizte Multiplexplatten, mit denen die Holzständerwände

gen Bändern zusammengefasst, im Sockel als bis zum Boden

des Innenausbaus beplankt wurden, sowie grossformatige

hinabgezogene Scheiben, welche den direkten Bezug zum

grau-beige Fliesen hinzu. Durch die fliessende Anordnung

Garten ermöglichen. Man betritt das Gebäude auf der mitt-

der öffentlichen Bereiche auf einer Ebene wird der Eindruck

leren Ebene, neben der Garage. Ein Korridor führt um den

der Grosszügigkeit verstärkt. Im Ober- und Untergeschoss

Küchenkorpus herum und mündet in der doppelgeschossi-

sind die privateren Räume und Gästezimmer additiv entlang

gen Wohnhalle, in deren verglaster Stirnwand ein Sitzkubus –

von Korridoren angeordnet.

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HA


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4 1 Aussensitzplatz Hauptgeschoss (Fotos: Lukas Roth) 2 Querschnitt 1 : 500 3 L채ngsschnitt 1 : 500

4 Strassenansicht 5 Korridor im Hauptgeschoss 6 Blick vom Wohnbereich zum Aussensitzplatz

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Wasserturm Leudelange SchemelWirtz Architectes, 2007

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Leudelange ist eine kleine Ortschaft an der Autobahn zwischen der Hauptstadt Luxemburg und Esch-sur-Alzette. Die Nähe zu den beiden grössten Städten des Landes lässt Leudelange wachsen, und die unmittelbare Lage an der Transitachse führte zur Ausweisung eines grossen Gewerbequartiers. Dieses Wachstum erzwang den Bau eines WasserHochreservoirs, für das sich ein Standort auf dem höchsten Punkt des Gemeindegebietes, am Rande des Gewerbegebietes anbot. Das Vorhaben, das Carlo Schemel und Patrick Wirtz übertragen wurde, legte nahe, auch andere technische Betriebe der Gemeinde dort anzusiedeln.

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1 Rückwärtige Ansicht (Fotos: Burg + Schuh, Palladium)

2 Vorderseitige Ansicht

3 Gesamtansicht mit Werkhof im Vordergrund

Den eigentlichen Anlass für den Bau des Gebäudes bilde-

während der obere von zwei Wandscheiben und der zugleich

ten die zwei Wasserreservoirs, die hinsichtlich Volumen und

als Aussteifung fungierenden Treppenkonstruktion in die

Höhenanordung klar definiert wurden, um einen optimalen

Höhe gestemmt wird. Die filigrane Konstruktion, die, weithin

Wasserdruck zu gewährleisten. Ein 500 Kubikmeter messen-

sichtbar, inzwischen zur landmark der Region geworden ist,

der Doppelbehälter war 45 Meter in die Höhe zu stemmen, ein

besteht aus Scheiben, Stützen und gespannten Deckenplatten

zweiter mit 900 Kubikmetern elf Meter. Darunter ordneten die

aus Stahlbeton. Dazu treten nach aussen grünliche Scheiben

Architekten, den Geländehang ausnutzend, die übrigen Funk-

aus Glas oder Fiberglas. Mit der Reduktion von Form und Ma-

tionen an: Zuunterst liegt der zwei Geschosse umfassende

terial ist SchemelWirtz – zusammen mit dem Ingenieurbüro

städtische Werkhof, der auch Lagerräume für Vereine der

Schroeder & Associés – eine überaus überzeugende Interpre-

Gemeinde beinhaltet, darüber geschichtet die – entgegenge-

tation eines technischen Bauwerks gelungen. Referenzen mag

setzt orientierte – Feuerwache mit Versammlungslokal, Büro,

man formal ebenso bei De Stijl sehen wie beim russischen

Werkstätten und Einstellhalle für fünf Einsatzfahrzeuge. Über

Konstruktivismus, während die Verwendung des Sichtbetons

diesem Sockel ruht das Volumen des unteren Wasserbehälters,

von Schweizer Vorbildern beeinflusst zu sein scheint.

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Ein Blick auf Luxemburg aus der Distanz Ein Gespräch mit Rob Krier Eigentlich hatte Rob Krier Luxemburg den Rücken kehren wollen. Doch 1991 erhielt er den Direktauftrag für die Cité Judiciaire auf dem Plateau Saint-Esprit. Das zunächst mit seinem Bruder Léon begonnene Projekt wurde unlängst fertig gestellt – mithin nach beinahe zwanzig Jahren.

1 Rob Krier: Entwurfsperspektive Cité Judiciaire

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Interview: Hubertus Adam

gendlicher schon sehr intensiv mitbekommen. Und ich habe

Rob Krier, Ihr Verhältnis zu Luxemburg ist ambivalent. Als

mir in dem Pensionat mit Energie den Freiraum erkämpft,

positiv stellen Sie Ihre kulturelle Prägung dar – Sie haben

in dem Dachstuhl der Abtei malen zu können. Aus dem Un-

Ihre Schulzeit im historisch geprägten Echternach ver-

rat, der dort herumlag, habe ich ein paar noch intakte Perga-

bracht. Die bauliche Entwicklung der letzten Jahre und

mente herausgefischt, die sonst verloren gegangen wären –

Jahrzehnte wurde hingegen von Ihnen immer wieder kri-

ganz frühe Notationen gregorianischer Musik; das hat mich

tisiert. Woran erinnern Sie sich, wenn Sie an Luxemburg

wahnsinnig beeindruckt. Dann gab es einen intakten Kloster-

denken?

hof mit Arkaden und einem Springbrunnen, eine grosszügige

Unbewusst fühle ich mich der Region an der Mosel verbunden.

barocke Klosteranlage, Gärten der Patres, Pavillons in der

Meine Jugend in dem Pensionat des alten Benediktinerklos-

Umgebung und auch römische Relikte. Die römische Villa hat

ters in Echternach war prägender als ich es mir zugestehe. Die

man auf einem Grundstück meines Urgrossvaters gefunden.

romanische Klosterkirche mit ihren vier Türmen, das Kloster

Es sind vielleicht sentimentale kulturelle Bezüge, die mich

mit seiner ottonischen Buchmalerschule: Das hat man als Ju-

geprägt haben. Dann aber auch die ersten Konzerte in Trier.


In der römischen Basilika habe ich meinen ersten musikali-

Er war einmal mit Ivano Gianola bei mir, hatte die Baustelle

schen Schock erlebt, mit Karl Richters Aufführung der Mat-

gesehen und meinte, das sei ja ein Schrott sondergleichen.

thäuspassion.

Dann sah er sich die Pläne an und versuchte, meinen Bruder

Und dann ist da die Landschaft, die mich jedes Mal aufs

zu überzeugen, das Gebäude so zu bauen, wie ich es entwor-

Neue fasziniert. Ein relativ grosser Teil von Luxemburg ist

fen hatte. Eigentlich hätte es auch bunt werden sollen – ich

noch intakt. So schön wie in Wales oder den Cotswolds ist es

hatte mir irgendwo in der Gegend eine Scheune angesehen,

hier nicht, aber es gibt schöne Dörfer, die noch in Ordnung

die genau diese Farbigkeit besass.

sind. Das waren die Grundlagen. Mit ungefähr 18 Jahren ist mir aber bewusst geworden, dass ich in diesem Land nicht blei-

Sie und Ihr Bruder haben aber doch immer wieder für Luxemburg entworfen. Warum eigentlich?

ben kann – unter keinen Umständen. Vor allem, weil die ge-

Wenn ich während der 18 Jahre, die ich in Luxemburg an

samte Gesellschaft so unbeschreiblich verspiessert ist. Nach

der Cité Judiciaire gearbeitet habe, nicht die Eltern hätte

der Matura bin ich weggezogen, mit dem festen Vorsatz, nie

besuchen können, dann wäre ich wahrscheinlich – wie mein

mehr zurückzukommen.

Bruder – an dem Projekt verzweifelt. Alles wurde getan, um das Projekt zu kippen.

Sie konnten aber ohnehin seinerzeit nicht in Luxemburg studieren …

Zu meiner Überraschung hat Léon ein noch viel intensiveres und sentimentaleres Verhältnis zu seiner Heimat und

Das ist noch ein grosser Glücksfall gewesen. Ausser an einer

hat immer wieder Projekte entworfen. Das hat in Echternach

brillanten Handwerkerschule konnte man in Luxemburg tat-

angefangen, wo er ein Jahr lang an einer gigantischen Zeich-

sächlich nicht studieren, und es wäre eigentlich gut, es auch

nung gearbeitet hat, an einem Projekt für die Schulerweite-

in Zukunft so zu lassen.

rung unserer Abtei. Der Plan für das Kirchberg-Plateau war eine vollkommen freie Initiative von ihm. Daran war ich al-

Eines Ihrer ersten Projekte haben Sie dennoch in Luxem-

lerdings nicht beteiligt. Seine Aktionen für die Luxemburger

burg gebaut: das Haus Dickes in Bridel, ein Wohnhaus für

Orte waren sein ganz persönliches Anliegen – ich habe immer

Ihren Vetter. Für mich ist es eine Inkunabel der Architektur

eine gewisse Abneigung gehabt, mich um so etwas zu küm-

der Siebzigerjahre. Woher stammten die Inspirationen für

mern. Er ist da noch viel romantischer als ich.

das Gebäude? Ich habe das Haus Dickes am Strand von San Sebastián

Mit der Cité Judiciaire haben Sie sich dann aber doch an

gezeichnet, wo ich an einem Symposion von jungen baski-

einen zentralen Ort in Luxemburg herangetraut. Wie ergab

schen Architekten teilnahm. Bei dem Flug von Barcelona aus

sich dieser Sinneswandel?

fliegt man durch die spanische Landschaft und sieht überall

Ich wurde in den Achtzigerjahren zum ersten Mal vom da-

weisse, geometrische Häuser, klare Kuben: Das war der Ur-

maligen Staatsarchitekten Baldauf angefragt, der mir sagte,

sprung. Dass man das Mauerwerk oben ohne Gesims mit

er sei vom Minister beauftragt, mich wegen der Planung ei-

einer Schräge abschliesst, habe ich auch für das Haus Dickes

nes neuen Parlaments anzurufen. Das alte Parlament war zu

übernommen. Mein Vetter Carlo, für den es geplant wurde

klein geworden und wurde überdies permanent als Speise-

und der noch darin wohnt, ist heute noch glücklich damit.

saal des Grossherzoglichen Palais mitgenutzt. Daher wollten

Das ist für einen Architekten die schönste Befriedigung. Es war ein sehr billiges Haus, mein Vetter hat auch im

sich die Parlamentarier mit einem Neubau gegenüber unabhängig machen vom Palast. Dieser Auftrag hat sich über

starken Masse beim Bau mitgeholfen. Das Haus hat im Übri-

längere Zeit entwickelt, aber als der Grossherzog seinen

gen die Form eines weitgehend geschlossenen Würfels, weil

Palast umbaute und sich seinen eigenen Speisesaal einrich-

die Frau meines Vetters über Jahre in einer anderen Woh-

tete, haben die Parlamentarier ihr eigenes Projekt verworfen

nung von einem Voyeur verfolgt wurde. Und so hat sie die

und den Beschluss zum Umbau des bestehenden Palastes

Forderung eines Hauses, in das niemand hineinsehen kann,

gefasst. Den Baublock, den ich geplant hatte, zu Büros um-

vorgebracht. Auch den Patio wollten sie ursprünglich noch

zuwidmen, habe ich abgelehnt. Danach beauftragte mich

gegen aussen abschliessen, nur wäre das so teuer geworden,

der damalige Ministerpräsident mit einem Kulturzentrum

dass das Konzept unterblieb. Auf den Gartengeräteschuppen,

in Echternach. Neben der alten Basilika sollte in einem al-

der sich an das Haus anschliesst, hätte ich noch gerne eine

ten Kloster ein Kulturzentrum errichtet werden, mit einem

Figur gestellt …

Musiksaal für tausend Personen. In dem Kloster gab es eine alte neuromanische Kapelle. Die Kapelle lag mir sehr am

… wie man das auf dem damaligen Modell ja auch sieht.

Herzen, ich wollte sie in Form eines kleinen Kammermusik-

Nur hätte das noch mehr Besucher angezogen, und die Be-

saals integrieren. Aber die Bürgermeisterin und selbst der

sitzer waren in dieser Hinsicht damals schon etwas überstra-

Denkmalpfleger, der sich um den Erhalt luxemburgischer

paziert.

Dörfer sehr verdient gemacht hatte, votierten für den Abriss.

Nicht alles ist so geworden, wie ich es wollte. Damals

Wir sind schon im Gymnasium mit einem Hass gegen die als

hatte ich einmal Besuch von Mario Botta, mit dem ich durch

epigonal gebrandmarkte Kultur des 19. Jahrhunderts erzo-

meine Besuche im Tessin seit der Jugend befreundet bin.

gen worden. Dabei hatte man damals eine geistige Freiheit, 91


2 Rob Krier: Grundriss projektierte Gesamtanlage Cité Judiciaire 3 Ansicht Plateau Saint-Esprit und Cité Judiciaire (Fotos 3–5: Johannes Vogt)

2, 3

sich in der Historie zu bewegen, die wir heute nicht mehr

Intrige seitens des Bürgermeisters begann, musste alles ver-

haben. In einer Sitzung des Gemeinderats habe ich gesagt,

kleinert und verkleinert werden – und gleichzeitig hiess es,

dass ich ein wertvolles kulturelles Objekt nicht massakrie-

das Projekt sei nicht gross genug. Als Léon nicht mehr dabei

ren könnte. Ich habe also wieder hingeschmissen, und mir

war, habe ich die Gebäude etwas erhöht. Léon wollte alles

ist wieder bewusst geworden, warum ich nicht nach Hause

dreigeschossig haben, aber das war einfach nicht zu schaf-

zurückkommen kann.

fen. So ist das Hauptgebäude fünfgeschossig, während die

Dann kam eines Tages der Minister, ein Mitglied der so-

übrigen Gebäudehöhen von drei oder vier Gerschossen auf-

zialistischen Partei, und hat zu mir und Léon gesagt: Wenn

weisen. Der Bürgermeister behauptete immer, die UNESCO

ihr zusammenarbeitet, gebe ich euch den Auftrag für die

sei gegen die Cité, hat das in den Zeitungen veröffentlicht,

Cité Judiciaire. Er wollte, dass nicht noch einmal Glaskästen

und wir mussten das Projekt verschiedentlich auf UNESCO-

in die Altstadt von Luxemburg gestellt werden, und ihm war

Kommissionssitzungen vorstellen.

bewusst, dass wir niemals unter Luxemburger Jurymitglie-

Weil es gegen den Willen der Gemeinde war, wurde das

dern einen Preis erhalten würden, wenn an diesem Ort ein

Projekt nicht genehmigt, sondern wir fingen einfach an zu

Wettbewerb durchgeführt würde. So erhielten wir 1991 einen

bauen. Das ging so lange, bis dann die neue Ministerin der

Direktauftrag – und schier unendliche Querelen begannen.

Stadt mit einem Prozess drohte, weil das Interesse des Staa-

Der Bürgermeister der Stadt Luxemburg, Helminger, war ein

tes Vortritt habe. Der Bürgermeister hat auch eine beste-

erklärter Feind des Projekts. Er ist ein Vertreter der Liberalen,

hende Heizungsanlage, die ich mit einem Turm kaschieren

die in der Stadt regieren und das Vorhaben kippen wollten.

wollte, abreissen lassen.

In meiner Jugend besassen meine Eltern ein Grundstück auf einem dem Plateau der Cité gegenüberliegenden Ge-

Die Tour des Vents?

lände – die Stadt mit ihren Festungsanlagen und Kasematten

Ja, genau. Die Ummantelung des Kamins wäre ein Belvedere

war Teil meiner Jugend. Daher war natürlich jetzt der Reiz

geworden und eine wunderbare touristische Attraktion. Der

gross, zumal ich als Soldat in der Kaserne auf dem Plateau

Tourismusdirektor war daher auch begeistert, und für die

Saint-Esprit Wehrdienst geleistet hatte. Wir bekamen den Auftrag, mein Bruder ist losgeprescht mit seiner intensiven Motivation; bevor wir uns richtig zu-

Bürgermeister verhindert.

sammengesetzt hatten, hatte er das Projekt schon im Kopf ge-

Die Gebäude, die in Léons Plan noch kleine Gassen gebil-

löst. Als ich zur ersten Sitzung zu ihm kam, waren schon zwei

det hätten, musste ich nach vorne schieben und über einer

Alternativen fertig. Eine nach meinen Vorstellungen, etwas

bestehenden Tiefgarage platzieren – das hat Millionen an

Ahambra-mässig, und eine – wie schon bei anderen seiner

Mehrkosten verursacht. Vom Bürgermeister wurde das Pro-

Projekte – als Ensemble aus mehreren Baukörpern. Letzteres

jekt mit ungefähr zwölf Millionen belastet.

Thema wurde politisch akzeptiert, und daher haben wir so

92     archithese 4.2009

Cité Judiciaire wäre es von Vorteil gewesen, auch ein anderes Publikum auf das Gelände zu bekommen. Das hat der

Gegen alle Widerstände ist das Projekt aber schliesslich

weitergemacht. Solange Léon noch dabei war, bis 1998, hat

doch umgesetzt worden. 18 Jahre hat das gedauert – was für

er das Projekt bestimmt. Er ist eine extrem starke Persön-

eine enorme Verschwendung von Zeit und Arbeit. Unendlich

lichkeit, und ich habe ihm eigentlich eher zugeliefert. Als die

viele Varianten haben wir produziert.


In welchem Masse bedarf ein Gerichtsgebäude heute eines repräsentativen Charakters? Eine zentrale Idee stammt noch von Léon: keinen Palast zu bauen, sondern ein Ensemble kleinerer Gebäude. Und dann ging es darum, die verschiedenen Gerichtssäle und Besprechungsräume so zu gestalten, dass eine gewisse Noblesse ausgestrahlt wird. Gerichtsprozesse werden von den Angeklagten bis zum Schuld- oder Freispruch als tragische Veranstaltung begriffen, und dafür bedarf es Räume, die – wie soll ich es sagen – alles ein wenig verschönern. Den grössten Erfolg habe ich bei den Putzfrauen und den Advokaten. Das Repertoire moderner Architektur bietet für eine derartige Bauaufgabe wenig Substanz. Der Hauptraum des Obersten Gerichts hat achtzig Zentimeter starke Bögen, welche zwei grosse Säle darüber statisch abfangen. Die ganzen Bögen in den Sälen beziehen sich auf eine Reithalle, die zu der Kaserne gehörte, die wir aber abreissen mussten. Innen bestand der Raum nicht zum Reitenlernen, sondern hier wurden die Pferde mit Explosionen auf den Kriegslärm konditioniert. Daher mussten die Bögen

4

extrem dick sein. Im Buch, das demnächst zur Cité Judiciaire erscheint, sind eine ganze Reihe lokaler Referenzen abgebildet, die zeigen, wie reich die Architektur auch in Luxemburg bis zum Krieg war. Um die Avenue de la Liberté, die von der wunderschönen Steinbrücke zum Bahnhof führt, stehen Häuser von einer brillanten Qualität. Auch meine Architektur ist keine lokale bäuerliche Luxemburger Architektur, sondern städtisch. Mit dem Billigmaterial, das wir für die Fassade verwenden mussten, habe ich versucht, von Haus zu Haus Varianten zu produzieren, damit nicht alles uniform wirkt. Als ich mein Praktikum in den Fünfzigerjahren auf einer Baustelle absolviert habe, wurde noch ganz selbstverständlich fünfzig Zentimeter starkes Mauerwerk erstellt. Das ganze Handwerk gab es damals noch. Gibt es so etwas wie «Luxemburger Architektur»? Die Luxemburger Architektur ist bis in die Dreissigerjahre hinein von der europäischen Szene beeinflusst worden. Wenn man eine typische Luxemburger Architektur bauen möchte, müsste man auf Bauernhäuser zurückgreifen. Aber das geht

5

nicht vorbehaltlos. Unlängst hat mich eine Familie gefragt, ob ich ihr ein Haus bauen könne – ein «Luxemburger» Haus.

dagegen geschossen und vielleicht ein Jahr lang auf alle Arti-

4 Platzsituation

Ich habe ihnen dann etwas gezeigt, was weder hinsichtlich

kel reagiert. Meine Schussrichtung ging natürlich gegen das

5 Gerichtsgebäude

Grundriss noch Fassade etwas mit Luxemburg zu tun hat.

Kirchberg-Quartier. Das ist absolut banale Moderne – es ist

Sie zeigten mir dann ebenfalls Häuser, und ich musste ih-

so banal, dass man es nicht einmal modern nennen möchte.

nen sagen: Das sind Bauernhäuser, und ihr seid Intellektu-

Ich glaube durchaus, dass mit modernen Mitteln auch et-

elle. Ihr benötigt Platz für 6000 Bücher – warum dann das

was Schönes entstehen kann. Le Corbusier könnte neben

Bauernhaus? Ein Bauernhaus zu bauen ist in dieser Situa-

Mies van der Rohe stehen, neben Oud oder Rietveld, und es

tion für mich falsch. Für dieses Paar wären hingegen – auch

würde perfekt zusammenpassen. Es gab in den Zwanziger-

wenn sie auf dem Land leben – städtische Strukturen viel ad-

jahren einen Konsens, keinen Widerspruch. Das Zusammen-

äquater. Es gibt keine lokale und autochthone Luxemburger

Musizieren, das Harmonieren war ein Anliegen, auch damals.

Architektur. Die Architektur, die ich mit der Cité realisiert

Das ist heute nicht mehr so, wie man am Kirchberg-Plateau

habe, hätte ich nicht entwerfen können, wenn ich nicht in

sieht. Dort herrscht eine antimenschliche Atmosphäre, es ist

München studiert und in Wien längere Zeit gelebt hätte. Ich

eine Anti-Fussgängerstadt: ein Trauma für jeden, der sich

hatte schlechte Kritik mit der Cité in Luxemburg. Ich habe

dort verliert. 93


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