Shopping Centers
archithese
5.2008
Internationale Zeitschrift und Schriftenreihe für Architektur
Shoppingcenter auf Expansionskurs
International thematic review for architecture
Auswirkungen innerstädtischer Shoppingcenter Malls am Stadtrand und Raumentwicklung Shoppingcenter in Nordamerika Der hohe Preis des tiefen Preises Daniel Libeskind: Westside, Bern Theo Hotz: Sihlcity, Zürich Holzer Kobler: EbiSquare, Ebikon
EM2N Staataarchiv BL, Liestal Egli Roher Partner Wohnsiedlung In Wannen, Winterthur
archithese 5.2008 September/Oktober Preis: 28 CHF/18 Euro
Shopping Centers
Leserdienst 103
Editorial
Shoppingcenter Westside – das Einkaufs- und Erlebniszentrum von Daniel Libeskind, das dieser Tage in Bern-Brünnen eröffnet wird – steht Pate für den schlagenden Erfolg einer Geschäftsidee aus den Fünzigerjahren: der des Shoppingcenters. Unter einem Dach vereinen seine Betreiber einen spezifischen Mix aus Waren und Dienstleistungen und locken damit täglich mehrere 1000 bis 10 000 Kunden an. Die Dimensionen dieses Einkaufskonzepts sind auch räumlich gigantisch: In Stadtzentren beläuft sich inzwischen die Fläche einer Shoppingmall ohne Weiteres auf 100 000 Quadratmeter, Megamalls erreichen gar Ausmasse von bis zu einer Million. Nicht nur aufgrund ihrer immensen Grösse fordern Shoppingcenter Aufmerksamkeit ein, die auch wir mit diesem Heft leisten. Wie mehrere Artikel unter jeweils unterschiedlichen Blickwinkeln offenlegen, bleiben die Interventionen im urbanen und sozialen Raum nie ohne Konsequenzen. Wo ein Shoppingcenter seinen Betrieb aufnimmt, verändern sich Bodenpreise, Verkehrsaufkommen, städtische Raum- und Nutzungsstrukturen und urbaner Charakter. Hinter diesen mehr oder weniger gewünschten Effekten stehen gezielte wirtschaftliche Begehren: Entwickler wittern lukrative Geschäfte, Grossverteiler können Präsenz markieren, Gemeinderäte spekulieren auf «Standortvorteile», Arbeitsplätze und Steuergelder. Der Weg zum Ziel führt über ausgefeilte Kalkulationen, die besonders auch die Gestaltung tangieren. Zum einen soll das architektonische Gewand des Centers entweder möglichst billig oder aber dann – Westside verspricht es – anspruchsvoll entworfen sein. Zum anderen wird die innere Erlebniswelt mit allen erdenklichen Mitteln kontrolliert: Oberflächen, Bilder, Geräuschkulissen, Düfte oder verschiedene Designobjekte wie Möbel und Leuchten sollen ein Gesamtambiente bieten, welches das Publikum anlockt, verzückt und (zum Konsum und Einkauf) animiert. Wieweit hier Gestalter auch experimentell und innovativ ans Werk gehen können, zeigt das Beispiel von EbiSquare. Learning from shopping centers … So spezifisch die Rahmenbedingungen beim
Bau eines Einkaufszentrums auch sein mögen, so sehr spiegeln sie doch eine Reihe grundsätzlicher Aspekte wider, auf die man auch bei anderen Bauaufgaben trifft. Die Überlegungen zu den Tendenzen im Bereich der Shoppingmalls sind ernst zu nehmen – so oder so. Redaktion In eigener Sache: Bernadette Fülscher, die seit Januar 2008 als Redaktionsmitglied bei uns tätig war, hat die archithese Ende August verlassen.
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EbiSquare, Ebikon
«Lebendige Marktplätze» für ganz EuropA Shoppingcenter und ihre Entwickler auf Expansionskurs Seit einigen Jahren erfreuen sich die Developer von Shoppingcentern an spektakulären Gewinnen insbesondere im erweiterten Europa und agieren
dort mit grossen Gesten. Auf die Kritik, die verschiedentlich an den Auswirkungen der Megamalls geübt wird, reagieren die Entwickler gelassen bis selbstbewusst – und können dabei auf Unterstützung zählen.
menden fünf Jahren will die ECE im Joint Venture mit der USamerikanischen Developers Diversified Realty Corporation allein in Russland und der Ukraine bei einem Eigenkapital von 225 Millionen bis zu einer Milliarde Euro investieren; die österreichische ImmoEast erwarb für 450 Millionen Euro das Moskauer Einkaufszentrum GoodZone und erhöhte damit ihr Portfolio auf 17 Objekte mit insgesamt 750 000 Quadratmetern Verkaufsfläche. Attraktives Südosteuropa Neben Russland ist vor allem Südosteuropa trotz der einen oder anderen politischen Krise für Investoren und Developer hoch attraktiv: Die Nachfrage ist in allen Bereichen höher als das Angebot; jedes neue Projekt, das auf den Markt kommt, findet innerhalb kürzester Zeit seine Nutzer, die Mieten steigen und es gibt so gut wie keine Leerstände. Meist noch dominieren lokale Akteure die Aktivitäten ausserhalb der jeweiligen Haupt- und Grossstädte, aber auch für internationale Developer werden regionale Oberzentren zusehends interessant.
Zum Beispiel die Ukraine: Hier entwickelt unter anderem die italienische King Cross ein Projekt in Lviv (Lemberg), das griechische Unternehmen Michaniki mehrere Einzelhandelsprojekte in Odessa und 1849 Plc. aus London zwei Shoppingcenter in Kriwoi Rog und Chernivtsi (Tschernowitz). Obwohl sich in Kiew das Fertigstellungsvolumen 2007 gegenüber dem Vorjahr verdoppelt hat, besteht das Ungleichgewicht Text: Jochen Paul 1 Phoenix-Center Hamburg-Harburg (Fotos: ECE)
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von Angebot und Nachfrage substanziell weiter: Die meisten
Nachdem sie in den Neunzigerjahren die neuen Bundeslän-
Flächen, die auf den Markt kamen, waren vorab bereits an An-
der aufgerollt hatten, konzentrierten sich die Entwickler von
kermieter vergeben, sodass kleinere Einzelhändler nach wie
Shoppingcentern nach der Jahrtausendwende zunehmend
vor Schwierigkeiten haben, zu expandieren. Weiteres Wachs-
auf die noch jungen und ungesättigten Märkte in Mittel-, Süd-
tum und stabile Preise sind also gesichert. Nicht anders sieht
und Osteuropa. Allein der Branchenprimus, die Hamburger
die Situation in Bulgarien aus: Das Wirtschaftswachstum lag
ECE Projektmanagement GmbH & Co. KG, hat in dieser Re-
in den vergangenen Jahren bei konstant sechs Prozent, die
gion insgesamt 22 Center mit einer Verkaufsfläche zwischen
Einkommens- und die Unternehmensbesteuerung liegen bei
15 000 und 70 000 Quadratmetern realisiert; derzeit in Pla-
zehn Prozent; zudem erhält Bulgarien Fördermittel der Eu-
nung: drei in Bulgarien, sechs in Polen, eins in Rumänien,
ropäischen Union, der Weltbank, des Internationalen Wäh-
zwei in Russland, drei in Tschechien, fünf in Ungarn sowie
rungsfonds und der Europäischen Investitionsbank. Dazu
je eines in Litauen und der Ukraine; die durchschnittliche
hat Sofia im Januar 2007 einen Masterplan verabschiedet,
Verkaufsfläche liegt bei 45 000 Quadratmetern. In den kom-
Baugenehmigungen werden zeitnah erteilt, und in Bezug
2 Galeria Baltychka, Danzig 3 Galeria Krakowska, Krakau
auf die Entwicklung westeuropäischer Shoppingcenter steht
Massnahmen gegen den härteren Wind zu Hause
die Stadt noch am Anfang: Aktuell kommt ein Quadratmeter
Auch wenn die Zeit der «Pioniergewinne» allmählich zu
Einkaufsfläche auf 1000 Einwohner – der EU-Durchschnitt
Ende geht, brummten Shoppingcenter – nicht zuletzt
liegt bei 171 Quadratmetern. Kein Wunder also, dass die
wegen der zahlreichen internationalen Investmentfonds
ECE zusammen mit der Wiener Sparkassen Immobilien AG
– in den letzten Jahren derart, dass die grösste Sorge der
180 Millionen Euro in 35 000 Quadratmeter Büro- und 50 000
Branche war, ihr Geschäft könne sich zu kapitalmarkt-
Quadratmeter Einzelhandelsfläche investiert. Weitere 500
orientiert entwickeln. Dabei sind Unternehmen aus
Millionen Euro fliessen in den Bau des Europe Park und des
Westeuropa wegen ihrer Professionalität bei Objektent-
Europe Tower Sofia – mit 180 Metern Bulgariens höchstes
wicklung, Projekt- und Centermanagement gesuchte
Bürogebäude; den Standort auf einem ehemaligen Fabrikge-
Gesprächspartner der Städte und Kommunen: Viel mehr,
lände in der Innenstadt Sofias entwickelt die ECE zusammen
als Kontakte zu Entscheidungsträgern zu pflegen, braucht
mit der Advance Properties Ltd.
es nicht. Im Gegensatz dazu sind die Heimatmärkte weit35
Starke Gesten Theo Hotz: Sihlcity, Zürich Nur einen Kilometer vom Paradeplatz entfernt, ist auf dem Geländer der früheren Sihl-Papierfabrik das Urban-Entertainment-Center Sihlcity entstanden. Stärker als anderswo behauptet sich hier die Architektur als bestimmendes Element des Centers gegenüber der Welt des Kommerzes.
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Text: Hubertus Adam Lange Zeit war in Zürich ungewiss, was mit dem Areal der 1977 stillgelegten Sihl-Papierfabrik geschehen solle. Erst ein 1999 gestartetes, zunächst «Sihlpark» genanntes Projekt führte zum Erfolg; die städtebauliche und architektonische Planung war Theo Hotz übertragen worden. Das Grundkonzept blieb bewahrt, auch wenn der Nutzungsmix und die Formung einzelner Gebäudekörper im Verlauf der Planung modifiziert wurden. Das Sihlcity-Areal liegt zentrumsnah, an der Schnittstelle der Zürcher Stadtkreise Wiedikon und Enge. Prägend für den Ort waren die Altbauten der Papierfabrik, vor allem aber die auf Stützen über der Sihl geführte Trasse der Autobahn. Ent-
1 Luftaufnahme von Süden 2 Blick vom Kalanderplatz Richtung Sihl (Fotos: Niklaus Spoerri, Zürich)
sprechend den Charakteristika des Orts setzte Theo Hotz auf grossmassstäbliche Strukturen und auf einen durchaus industriellen Charakter und bezog somit eine dezidierte
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Die Qual der Mall Aspekte der Raumentwicklung zum Einkaufen am Stadtrand Was macht Shoppingcenter im suburbanen Kontext zu problematischen Objekten der Raumentwicklung? Theoretische Überlegungen, empirische Beobachtungen in der Agglomeration Freiburg und dem westlichen Mittelland sowie Gedanken über bestehende und zu erfindende regulierende Massnahmen in der Schweiz.
Text: Christian Schubarth und Tom Stettler Ist das Shoppingcenter im suburbanen Raum vom Ausster-
und fünf Gastronomiebetriebe; eigentliche Freizeitangebote
ben bedroht? Seine Entstehung in der zweiten Hälfte des 20.
wie Fitness oder Kegelbahn gibt es nicht. Abends ist es bis
Jahrhunderts wird mit der Nähe zu Autobahnanschlüssen
19 Uhr geöffnet, am Freitag bis 21 Uhr. 2000 Gratis-Parkplätze
in Verbindung gebracht. Damit haben Shoppingcenter – zu-
stehen zur Verfügung. Ein Vorortsbus bedient Avry Centre
sammen mit den Einfamilienhäusern und der automobilen
stündlich, am Mittwochnachmittag fährt ein Gratisbus vom
Fortbewegung – eine emblematische Eigenschaft bei der
Bahnhof Freiburg. Eine Haltestelle für den Regionalzug ist in
Beschreibung des suburbanen Raums. Dieser ist heute nach
Planung. Die Fläche macht es zum drittgrössten, der Umsatz
wie vor populär, wird aber in Fachkreisen wegen seines
zum zehntstärksten Shoppingcenter der Schweiz.
hohen Flächenbedarfs und seiner Umweltbelastungen als
Die industrielle Massenproduktion von Waren für eine
problematisch angesehen. Shoppingcenter im Besonderen
breite Schicht der Bevölkerung bedingte eine entsprechende
sind hierbei Konsummaschinen, aus dem Kontext fallende,
Rationalisierung der Verteilung. Mit zunehmender Diversifi-
schnell und billig erstellte Grossanlagen. Gemäss der Fach-
zierung von Angebot und Nachfrage wurden diese Prozesse
literatur haben Shoppingcenter in den letzten zehn Jahren
noch einmal komplizierter. Der Detailhandel hatte zwei Mög-
wieder vermehrt die Nähe von Stadtzentren gesucht.1 Dort
lichkeiten: die Beschleunigung der Stoffflüsse, sprich perso-
sind sie besser mit dem öffentlichen Verkehr erschlossen
nalaufwendiges Nachfüllen der Regale, oder die Vergrösse-
und verfügen dank städtebaulicher Planungen über höhere
rung der Verkaufsfläche. Dank des zur Verfügung stehenden
Aufenthaltsqualitäten. Dieser Trend würde bedeuten, dass
Landes am Stadtrand war die zweite Möglichkeit billiger. So
Shopping keine eigentliche suburbane Handlung mehr wäre
wurden Shoppingcenter zu strategischen Plattformen für die
und die Raumidentität von Shoppingcentern einer grundle-
Feinverteilung. Je disperser die Siedlungsentwicklung auf-
genden Veränderung ausgesetzt würde.
trat, desto konzentrierter behauptete sich die Versorgungs-
Das Anfang der Achtzigerjahre eröffnete Avry Centre liegt
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Bekleidung, Sportartikel, Telefone), zwei Banken, eine Post
infrastruktur.
fünf Kilometer südlich vom Freiburger Stadtzentrum oberhalb
Auf einer übrig gebliebenen Parzelle unmittelbar beim
des Autobahnanschlusses Matran, an der A12 Bern – Vevey.
Eingang des Parkplatzes hat sich ungefähr zehn Jahre nach
Es umfasst fünfzig Läden (Supermarkt, Do-it-Yourself, Möbel,
der Eröffnung von Avry Centre ein Fast-Food-Drive-In ein-
gerichtet. Der Tankstellen-Shop ist ausgebaut worden und
Teil einer grösseren Gewerbe- und Industriezone. Beim An-
nun auch abends und am Sonntag offen. Direkt gegenüber
schluss Freiburg-Nord haben sich quer zur Autobahn, entlang
liegt das in den Neunzigerjahren gebaute Avry Bourg – eine
der Murtenstrasse verschiedene publikumsintensive Ein-
Anlage für Läden, Kleingewerbe und Nachbarschaftsdienst-
richtungen angesammelt. Zuerst kommen die Eishalle und
leistungen. Gleich beim Autobahnanschluss, auf dem Territo-
das Fussballstadion, Einkaufszentren und Fachmärkte von
rium der Nachbargemeinde, ist vor zwei Jahren eine Aufrei-
mittlerer Grösse, Tankstellen, Kleingewerbe, die Messehalle,
hung von Fachmärkten entstanden. Wo vor dreissig Jahren
das Kasino und ein Hotel; dann, auf der anderen Seite der
ein Einkaufszentrum als Einzelobjekt gebaut wurde, haben
Autobahn, noch eine Tankstelle, ein Fast-Food-Drive-In, noch
parasitäre Nutzungen und sonstige Projekte im Lauf der Zeit
einmal ein Fachmarkt, ein Car-Sales-Center sowie Dienst-
einen heterogenen und räumlich fragmentierten Konsum-
leistungen, Verwaltung und ein Uni-Institut. Beim Anschluss
cluster generiert.
Düdingen, 7 Kilometer nördlich von Freiburg, dominiert die
Für den Europäer Marc Augé zählen Shoppingcenter zu den Nicht-Orten – einem Konzept, das er als bedeutend für
Industrie. Bald werden dort Läden von zwei Discount-Ketten Auch regelmässige Kunden empfinden Shoppingcenter
gewisse Zwecke (Einkaufen) erstellt wurden», die im Ge-
nicht als ideale Orte. Sie schätzen die funktionalen Qualitä-
gensatz zum «Ort» im anthropologischen Sinn aber keine
ten. Sie suchen sie nicht zu oft, aber dafür gezielt auf. Aus der
«organische Sozialität», sondern «vertragliche Einsamkeit»
Sicht der Raumentwicklung hingegen gehören Shoppingcen-
generieren. Augés pessimistische Betrachtung ist stellver-
ter aus den eingangs erwähnten Gründen zu den problema-
tretend für eine verbreitete Ablehnung von Shoppingcentern.
tischsten Objekten überhaupt. Im Zusammenhang mit dem
Demgegenüber wählt der US-Amerikaner Joël Garreau eine
neuen Engagement für die Siedlungsentwicklung nach innen
positive Position. Auch für ihn sind Shoppingcenter struk-
werden Shoppingcenter an suburbanen Standorten kritisiert,
turelle Fixpunkte der heutigen Raumordnung, doch sieht er
und es wird an regulierenden Massnahmen getüftelt.
darin eine innovative Entwicklung. Andere amerikanische
In Avenches, auf halben Weg zwischen Stadtzentrum
Autoren stellen den Konsumenten ins Zentrum ihrer Über-
und Autobahnanschluss an die A1 BernYverdon, wurde im
3
legungen und sehen in ihnen nicht Opfer von Marketingkal-
Jahr 2004 das Milavy Centre eröffnet. Es handelt sich um ein
külen, sondern emanzipiert entscheidende Akteure, die im
mittelgrosses Shoppingcenter. Wer von Avenches aus ein
Suburbanen ihre Lebensqualität gefunden haben.
wirklich grosses Center besuchen will, war bisher in gut 20
4
2 Aussicht vom Avry Centre (FR)
eröffnet.
die aktuelle Zeit erachtet. Es sind für ihn «Räume, die für
2
1 Wegweiser bei Avry (FR) (Fotos und Skizzen: IC Infraconsult)
Matran ist der südlichste von vier Autobahnanschlüssen
Minuten im Avry Centre bei Freiburg, in knapp 30 Minuten
innerhalb der 70 000 Einwohner zählenden Agglomeration
im Marin Centre bei Neuenburg oder in gut 30 Minuten im
Freiburg. Beim Anschluss Freiburg-Süd befinden sich ein
Shoppyland Schönbühl bei Bern. Ab sofort ist er in knapp 20
sehr populäres Shoppingcenter und ein Fachmarkt. Sie sind
Minuten im Westside am Berner Stadtrand. 61
No-Stop City
2
1 Ausstellungsplakat, Archizoom und Superstudio, 1966 2 – 4 Archizoom Associati, No-Stop City, inszenierte Innenlandschaften, 1971
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Architektur als Kritik In den späten Sechziger- und frühen Siebzigerjahren verglichen Archizoom und Superstudio die Produktion der zeitgenössischen Stadt mit ökonomischen Bedingungen, wie sie sich damals in Raumtypen wie den Shoppingmalls auf neue Weise manifestierten. Die Projekte, die aus ihrer Analyse resultierten, lesen sich aus heutiger Sicht weniger utopisch denn realisiert.
3
«Superarchitektur ist …»
Architektur wird als eine Art von Forschung verstanden, de-
Archizoom und Superstudio, 1966
ren Zweck darauf ausgerichtet ist, vorherrschende kulturelle, ökonomische und politische Mechanismen in ihrem Kern zu
Text: Marc Angélil
beleuchten.
In einer Ausstellung 1966 in Pistoia mit dem Titel SUPER-
In den darauf folgenden Jahren entwickelte Archizoom
ARCHITETTURA thematisierten zwei Gruppen junger Archi-
unter der Leitung von Andrea Branzi eine Reihe von Projek-
tekten, Archizoom Associati und Superstudio, die Frage der
ten, die unter dem Titel No-Stop City sich im Speziellen der
potenziellen Auswirkungen der Konsumgesellschaft auf die
Entwicklung des urbanen Territoriums widmeten. Die ihnen
gebaute Umwelt. Mit einem Sinn für Humor, ohne jedoch die
zugrunde liegende These beruht darauf, die zeitgenössische
Botschaft zu vereiteln, macht die Anzeige auf dem Ausstel-
Stadt als Produkt dominanter marktwirtschaftlicher Kräfte zu
lungsplakat deutlich, worum es geht: «Superarchitektur ist
verstehen. Im Aufsatz «Die Stadt als Fliessband der Gesell-
die Architektur der Superproduktion, des Superkonsums, des
schaft», 1970 in der Zeitschrift Casabella veröffentlicht, wird
Superanreizes zu konsumieren, des Supermarkts, des Super-
die Aussage gemacht, dass «die Stadt aus dem Kapital ge-
man und des Superbenzins.»1 Was hier Umrisse anzunehmen
boren wird und sich innerhalb seiner Logik entwickelt»; das
beginnt, ist ein Verständnis der Architektur als Kritik, nicht
kapitalistische System auferlegt der Stadt seine Ideologie,
mehr ausschliesslich als Fachgebiet in dienender Funktion,
«in der Form eines brutal funktionierenden Systems», des-
sondern als gewandtes Mittel, um gesellschaftliche Entwick-
sen operative Prinzipien den Verfahren der Güterproduktion
lungen hervorzuheben und zu hinterfragen. Hierin wird dem
entspringen und in der Folge die urbane Entwicklung leiten.2
architektonischen Projekt eine besondere Bedeutung zuge-
Genauso wie Waren auf mechanische und serielle Art erstellt
sprochen, insofern als der Entwurf Beobachtungen und Aus-
werden, wird Stadt geschaffen, wobei auch hier nicht mehr
sagen in überspitzter Form unmittelbar zu vermitteln vermag.
die Frage der Qualität im Vordergrund steht, sondern nur 67
ARchitektur Aktuell
Dichte xxx Packung
EM2N: Staatsarchiv Kanton Basel-Land-
Umbau. Lange schon befand sich das Staatsarchiv
ge Strategie, nämlich die Komprimierung aller Nut-
schaft, Liestal, 2000 –2007
des Kantons Basel-Land gleichsam auf der falschen
zungsbereiche in ein blockhaftes Volumen. Erhalten
Durch die Erweiterung wurde das Gebäude
Seite der Stadt, vom historischen Kern durch die
vom Baubestand blieb die Archivbox, das Verwal-
des Staatsarchivs Liestal zu einem kompakten
auf einem Damm geführte Bahntrasse getrennt. Der
tungsgebäude wurde abgerissen. Das Rumpfgebäu-
Volumen, das von einem Belvedere gekrönt
ursprüngliche Bau bestand aus einem quer zur Stras-
de erhielt anschliessend neue Zubauten: Rückseitig, also im Westen, entstand ein neuer Verwaltungstrakt,
wird. Den Architekten ist es gelungen, das
se orientierten Gebäudeteil mit den eigentlichen
problematisch gelegene Gebäude zumindest
Archivbereichen und einem im rechten Winkel daran
im Süden lagert sich an die Längsseite eine Raum-
optisch mit dem Stadtzentrum zu verzahnen.
anschliessenden Verwaltungstrakt. Im Laufe der Jah-
schicht an, welche neben neuen Magazinräumen
re aber war die bestehende Einrichung zu klein ge-
auch eine Hausmeisterwohnung umfasst. Die ent-
worden: Es bedurfte grösserer Archivflächen ebenso
scheidende Hinzufügung aber gelang EM2N mit dem
Sissach, Olten und Zürich, so gerät kurz vor der
wie zusätzlicher Büros und eines Kulturgüterschutz-
obersten Geschoss, das als ringsum verglastes Bel-
Bahnhofsdurchfahrt in Liestal ein irritierendes Ge-
raums, vor allem aber entsprachen die Publikumsbe-
vedere ausgebildet ist und damit in denkbar grössten
bäude ins Blickfeld: ein orthogonales, blockhaftes
reiche nicht mehr dem zunehmenden Nutzerverkehr.
Kontrast zu dem blockhaft geschlossenen Sockel
Volumen, das von einem gläsernen Aufsatz gekrönt
Daher schrieb der Kanton Basel-Landschaft im Jahr
tritt. Hier, auf der obersten Ebene, befinden sich die
Fährt man von Basel aus mit dem Zug Richtung
wird. Ungewöhnliche wirkt aber nicht so sehr das
2000 einen Wettbewerb für eine Erweiterung aus,
neuen Publikumsbereiche – in Form einer transpa-
Gebäude selbst, ungewöhnlich wirkt vielmehr der
den EM2N für sich entscheiden konnten.
renten, grosszügigen Raumstruktur. Verschieden ge-
Kontrast zur Umgebung, die aus biederen Einfamilienhäusern besteht.
Die Zürcher Architekten negierten eine zentralen
tönte Glasscheiben grenzen aus dem dreischiffigen
Forderung der Auslobung, nämlich die Erweiterung
Lesesaalbereich einige Kompartimente aus, die als
Beim Vorbeifahren erscheint es so, als sei hier
des Archivs in die Fläche. Anstatt das Ensemble aus
Arbeitszone oder Besprechungszonen genutzt wer-
inmitten eines Wohngebiets ein Neubau entstanden.
zwei Baukörpern durch weitere Zubauten horizontal
den, im Westen sind hinter einer Trennwand weitere
Doch in Wahrheit handelt es sich um einen radikalen
zu ergänzen plädierten sie exakt für die gegenteili-
Büros für die Verwaltung angeordnet. Durch die
86 archithese 5.2008
1 Blick von der Strasse auf das Archivgebäude (Fotos 1, 9, 11, 17: Hannes Henz) 2–8 Volumetrisches Konzept (Fotos: EM2N)
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