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Extremsport: „Denken Freerider?“

Outdoor-Sport

Denken Freerider?

Waghalsige Sprünge, steiles felsdurchsetztes Gelände. Sluff, der schon fast als kleine Lawine interpretiert werden könnte. Was denkt ein Freerider? Wie plant er?

Von Nadine Wallner

Auf den ersten Blick sieht die Fahrt eines Freeriders meist unüberlegt und fast schon lebensmüde aus. Jedoch steckt hinter einer anspruchsvollen Line sehr viel Planung, Taktik, Zeit und Erfahrung. Was in den sozialen Netzwerken veröffentlicht wird, ist meistens nur das Endprodukt, das für viele sehr extrem aussieht. Das Ziel ist aber auch beim Freeriden, das Restrisiko bestmöglich zu minimieren. Freeriden ist keine Modeerscheinung, sondern der Ursprung des Skifahrens. Damals, als noch keine Infrastrukturen wie Lifte und Skipisten vorhanden waren, gab es auch weder Vorgaben noch Regeln. Aber damals wie heute gilt: FREI und WILD und von jung bis alt.

Einflussfaktoren zur Entscheidungsfindung

Auch beim Freeriden gibt es Basic-Strategieabläufe, die unumgänglich sind. Als Grundschema gemeint ist damit die Planung zu Hause, das Beobachten und Einschätzen bzw. Beurteilen vor Ort und das Entscheiden beim „Drop in“. Nirgendwo ist es so einfach wie bei uns in den Alpen, Informationen über Schnee- und Wetterverhältnisse zu bekommen. Die sozialen Medien schließe ich persönlich als subjektive, nicht vertrauenswürdige Informationsquellen aus. Sie sollten meine Planung und Einschätzung und vor allem meine Entscheidungen nicht beeinflussen. Gerade beim Freeriden ist das Risikomanagement ein umstrittenes Thema. Viele Lines und Befahrungen lassen sich mit Lawinenstrategien nicht mehr rechtfertigen. Es benötigt ein großes Wissen über die Zusammenhänge und Prozesse in der Schneedecke, die sich mit dem zunehmend turbulenten Wetter immer schneller verändern und schwieriger einzuschätzen sind. Lange Kälteperioden und Schneefälle mit möglichst wenig Wind bleiben zunehmend aus, was noch mehr Erfahrung und Wissen abverlangt, um steile und komplexe Lines zu befahren. Der Schnee und seine Beschaffenheit ist für mich nicht nur für die Lawinenbeurteilung wichtig. Als Freerider möchte ich anspruchsvolle, komplexe und auch exponierte Lines fahren, die mir großes skifahrerisches Können und auch mentale Fähigkeiten abverlangen. Hierfür sind Planung und die richtige Taktik – nicht nur beim Freeriden, sondern auch generell am Berg – sehr wichtig. Den Berg lesen zu können, bei der Abfahrt wie bereits auch im Aufstieg, ist eine Grundvoraussetzung. Bei der Planung einer Line spiele ich aus skifahrerischer Sicht Worst-case-Szenarien durch und versuche das Risiko, was die Befahrung an sich – unabhängig von der Lawinenbeurtei-

lung – betrifft, bestmöglich zu minimieren. Dazu gehört u. a. das Sluff-Management, da sich Sluff in steilen Lines aufgrund der Steilheit lösen und in unterschiedlicher Geschwindigkeit den Berg hinunterrieseln oder -rinnen kann. Dieser Sluff fordert eine geländeangepasste Planung meiner Line, um nicht von ihm erwischt zu werden. Dieser kann dich nämlich von den Skiern reißen und zu Sturz bringen. Das wäre in einer No-fallzone ungünstig und kann fatal enden. Aus diesem Grund ist die Einschätzung des Geländes und deren möglichen Konsequenzen sehr wichtig. Bei einer Spine Line löst sich der

ZUR PERSON

Nadine Wallner ist zweifache Freeride-Weltmeisterin, Kletterin und Alpinistin. Neben ihrer professionellen Tätigkeit als Sportlerin ist sie auch staatlich geprüfte Berg- und Skiführerin. Es ist ihr ein Anliegen, ihr Können und Wissen vor allem mit der jüngeren Generation zu teilen und weiterzugeben. Beim Nadine Wallner OFFLINES Camp sucht sie nach neuen Freeride-Talenten. Es findet am Arlberg statt, Jugendliche im Alter von 16 bis 20 Jahren können sich bewerben. Die kostenlose Veranstaltung geht über drei Tage, in denen theoretisches Wissen und praktische Skills vermittelt werden. Infos auf redbull.com/at-de/ events/nadine-wallner-offlines Instagram: @nadinewallner Sluff meistens links und rechts vom Scheitelpunkt. Schwieriger wird es, den Sluff in abwechslungsreichem Gelände zu planen, ebenso dort, wo die Spine aufhört und in offenere Stellen übergeht. Hier wird meistens die Taktik „von rechts nach links oder von links nach rechts fahren“ gewählt. Generell ist es das Ziel, vom Sluff wegzufahren. In technisch schwierigen Passagen ist Schwung für Schwung durchgeplant. Hier kommen dann auch die sogenannten Exit points ins Spiel, d. h. ich suche mir beim Freeriden Lines aus, bei denen ich gewisse Exit-Möglichkeiten habe, wenn etwas nicht wie geplant verlaufen sollte oder etwas nicht Vorhersehbares passiert. In Alaska ist das Befahren von steilen Spines eine Disziplin für sich und ein sehr langer Lernprozess. Auch die Besten der Besten verbringen Jahre damit, die Befahrung großer Lines zu lernen. Schwierige und technische Lines fordern neben der Lawinenbeurteilung nun mal ein großes skifahrerisches Können. Ich als Profi bediene mich auch des Vorteils, Zeit zu haben und nicht jeden Tag unterwegs sein zu müssen. Ich verbringe viel Zeit damit, Lines zu beobachten und am richtigen Tag im richtigen Winter zuzuschlagen. Große Lines werden nicht jeden Tag gefahren, auch nicht jeder Winter ist dafür geeignet.

Learning by doing

Die allerletzte Entscheidung ist aber nicht im Lehrbuch nachzulesen, sondern entsteht durch Lernen am Berg (learning by doing). Umso mehr Erfahrung wir am Berg sammeln, umso dehnbarer werden unsere Grenzen und umso weiter können wir gehen und – auf unser Können abgestimmt – die richtigen Entscheidungen treffen!

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