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Titelgeschichte: Die Welt der Bunker

Grenzkaserne, Brennerlinie

Die Welt der Bunker

von Hans Karl Peterlini

Von Bäumen verdeckt, tief in die Erde gegraben oder wie Hügel getarnt, zugänglich über eine als Fels oder Moos getarnte Panzertür – die Bunker-Ausstellung in der Festung Franzensfeste gibt Einblick in die unheimliche Welt des Alpenwalls. Mit dem Brennerpass und dem Wipptal als heiße Zone.

Die Frage schien lang zurückliegende Geschichte zu sein – der nahe Krieg in der Ukraine hat ihr neue und traurige Aktualität verliehen: Wie können feindliche Truppen und Panzer möglichst lange aufgehalten werden? Sie beschäftigt nach der Erfahrung des Ersten Weltkrieges mit den verheerenden Stellungskriegen in Schützengräben und Felslöchern am Berg die Militärstrategen der europäischen Großmächte. Frankreich legt ab 1928 mit der Maginot-Linie einen ersten großflächigen Wall an Bunkern und Sperranlagen an, Hitler beginnt unmittelbar nach seiner Machtergreifung den Bau der Siegfried-Linie gegen Westen und den Ostwall als Schutz vor Russ-

© Andrea Pozza

land. Sein Verbündeter Mussolini, der Expansionslust Hitlers gegenüber zugleich misstrauisch, gibt ein gigantisches Bauwerk in Auftrag: Er will die Alpen als natürlichen Schutzwall für Italien gegen Norden und Osten nutzen. Von der ligurischen Küste bis zum slowenischen Karst und der Pannonischen Ebene in Ungarn will er auf einer Länge von 1851 Kilometern jeden möglichen Übergang durch Sperrwerke unpassierbar machen. Lediglich die Grenze zur Schweiz wird ausgespart, diese hat auf ihrer Seite der Alpen einen eigenen Schutzwall.

Der Brennerpass, das Wipptal, das Pustertal und das Eisacktal gelten als besonders gefährdetes Gebiet. Allein vom Grenzkamm am Sandjöchl bis nach Natz-Schabs werden 71 Bunker angelegt. Zwischen Schabs und Mühlbach, bereits dem Verteidigungssystem Rienz-Drau zugerechnet, werden sogar 42 weitere Bunker geplant, allerdings nicht gebaut. Als Schutz gegen Osten wird die Mühlbacher Klause mit fünf Werken verschanzt. Im gesamten Südtiroler Raum entstehen in der Zwischenkriegszeit 306 Artillerie- und Infanterieposten in Bunkerform.

Die Bunker stehen nicht für sich allein, sie sind Teil eines ausgeklügelten Verteidigungssystems mit Militärstraßen, Kasernen, Kasematten, Panzersperren, Vorrichtungen für die Verminung von Straßen, kriegsfähigen Kommunikationsverbindungen. Die Dokumentation der faschistischen Behörden, in der Ausstellung nun einzusehen, ist beeindruckend. Für jedes Werk gibt es Ordner und Listen, wie sie bemannt, bewaffnet, „in Schuss“ gehalten werden sollten. Ein enormer, schier größenwahnsinniger Aufwand an Finanzmitteln, Material und menschlicher Arbeitskraft, der schließlich im Nichts endet: Die Bunker des Alpenwall werden, bis auf wenige Ausnahmen an der Grenze zu Frankreich, nie für den Ernstfall genutzt, die meisten – mit einigen Ausnahmen in Südtirol nach Nord und Ost – werden gar nicht fertiggestellt. Der Kriegsverlauf mit der Verlagerung der Front an die Mittelmeerküs-

Franzensfeste

Neue Dauerausstellung

Am 27. Mai wurde in der Festung Franzensfeste die neue Dauerausstellung „Bunker in Südtirol“ eröffnet. Die Ausstellung deckt das Pulverfass auf, auf dem wir durch das Bunkersystem Alpenwall im Zweiten Weltkrieg und später nach ihrer Teil-Reaktivierung im Kalten Krieg saßen. Sie macht das Leben im Bunker erfahrbar und ihre spätere zivile Nutzung sichtbar. An der Eröffnung teilgenommen haben u.a. auch Landeshauptmann Arno Kompatscher, Landesrat Massimo Bessone, Bürgermeister Thomas Klapfer und Angelika Fleckinger, Direktorin des Betriebs Landesmuseen.

Titelgeschichte1

Infos zur Ausstellung

Die Idee, die in Südtirol besonders verdichtete Geschichte der Bunker für den Kalten Krieg in einer Dauerausstellung zu thematisieren, hat eine lange Geschichte. Wertvolle Vorarbeiten leistet ein Team der damals von Josef Urthaler geleiteten Vermögensabteilung des Landes, allen voran Christina Niederkofler, Andrea Pozza und Theodor Rösch. Die Bunker werden besichtigt, gesichert und registriert, im Keller des Landhauses wird ein Archiv angelegt, Materialen aus den Bunkern in Landesdepots gelagert. Christina Niederkofler und Andrea Pozza geben ein erstes Buch heraus und gestalten eine Wanderausstellung. Daraus eine Dauerausstellung zu machen ist u. a. ein Anliegen des ehemaligen Ressortdirektors Arch. Josef March, ebenso bringt sich die stellvertretende Landeskonservatorin Waltraud Kofler Engl in die erste Konzeptarbeit ein. Die nunmehrige Dauerausstellung wird von der Vermögensabteilung des Landes und den Südtiroler Landesmuseen getragen, die Kuratie wurde einem Team bestehend aus Esther Erlacher, Hans Karl Peterlini und Anita Rossi anvertraut. Zum Beratungsteam gehören u. a. der Colonello a. D. Licio Mauro, der Sicherheitswissenschaftler Curti Covi, der Bunkerexperte und Architekt Heimo Prünster. Grafisch wurde die Ausstellung von der Gruppe DOC gestaltet, die Projektsteuerung oblag Hans Peter Santer und Julius Mühlögger. Die Gesamtgestaltung oblag der Wiener Gruppe Walking Chair mit dem Südtiroler Karl Emilio Pichler und dem Schweizer Fidel Peugeot. Bunker Nr. 3 in Franzensfeste

te veranlasst Mussolini, den Bau des Alpenwalls 1942 einzustellen. Nach seinem Sturz 1943 und dem Einmarsch der deutschen Truppen überlegt die nationalsozialistische Führung zwar, die Südtiroler Bunker als letzten Rückzugsort zu nutzen, der Zusammenbruch des Dritten Reiches beendet dann aber das Projekt „Alpenfestung“. Damit ist der Schrecken noch nicht zu Ende. Unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg beginnt jene Konfrontation zwischen West- und Ostmächten, die als Kalter Krieg den langen europäischen Frieden überschattet. NATO und Warschauer Paket rüsten gegeneinander auf, die Atombombe – in Hiroshima und Nagasaki grausam erprobt – wird zur realen Bedrohung. Südtirol ist davon nicht ausgenommen. In Natz-Schabs entsteht ein Nato-Atomwaffenstützpunkt. Parallel dazu wird ein Teil der Sperrwerke des Alpenwalls gerade im Raum Südtirol – besonders im Wipptal und im Pustertal – nun wirklich fertiggestellt, renoviert und für den Ernstfall einer Invasion reaktiviert. Weitgehend unbemerkt, an Nach-

barn und zivilen Behörden vorbei, entsteht die unheimliche unterirdische Welt aufs Neue: Rund 100 Bunker werden scharf gemacht, eine eigene Militäreinheit übernimmt Wartung, Bewaffnung, Übungseinheiten. Die Bunker sind nämlich nicht dauerhaft besetzt, wohl aber muss für den Ernstfall

alles funktionstüchtig und vorbereitet sein: Strom und Kommunikationsmittel, Vorrichtungen für die Installation der schweren und leichten Waffen, Munition,

Die Verteidigungsanlage Tennewies-Ried bei Gossensaß

© Andrea Pozza/ Autonome Provinz Bozen, Abteilung Vermögensverwaltung

Bettgestelle, Wasser und Nahrungsrationen, Medikamente und Verbandszeug. Ausstattung und Funktionalität sind auf maximal acht Tage Überleben ausgelegt, dann muss der Feind entweder abgewehrt sein oder die Flucht aus dem Bunker gelingen. Sonst droht das Ende.

Die strategischen Szenarien sind minutiös geplant: Rund um die Bunker müssen die zuvor für den Sichtschutz wichtigen Bäume radikal abgeholzt werden, um die genau berechneten Schussfelder freizugeben; Straßen, Brücken und Bahnlinien, schon zuvor mit verborgenen Minenschächten versehen, würden gesprengt, getarnte Panzersperren aktiviert. Diese sogenannten taktischen Pläne reichen bis zur Entsorgung der Toten, in der Ausstellung beeindruckend dargelegt am Beispiel der Verteidigungsanlagen bei Vierschach. Ab 1950 glaubt die Nato, über konkrete Informationen über einen Angriff des Warschauer Paktes zu verfügen. Die vermuteten Einfallsrouten verlaufen durch das neutrale und leicht zu überrollende Österreich – zum einen direkt durch das Drautal, zum anderen auf Umwegen über den Brenner. In dieser Zeit wird von der Nato in Europa, auch in Österreich, die geheime Sabotagetruppe „Stay behind“ aufgebaut, um vorrückende feindliche Truppen aus dem Untergrund anzugreifen. In Italien bekommt die Organisation den Namen „Gladio“.

Auch diesmal bleiben die Bunker zum Glück unbenutzt. Die Entspannungspolitik von Michail Gorbatschow, die Öffnung des Eisernen Vorhangs, der Fall der Berliner Mauer 1989 bereiten dem Spuk ein Ende. Im Zuge der Übergabe nicht mehr benötigter Militäranlagen übergibt der Staat Italien dem Land Südtirol auch sämtliche Bunker des Alpenwalls. Viele gehen an die Besitzer zurück, denen der Baugrund meist mit geringen Abfindungen enteignet worden war – auch dazu gibt es eine minutiöse Dokumentation. Das „dritte Leben“ der Bunker beginnt, es ist bunt und vielfältig – von der Nutzung für die Käsereifung bis zur Pilzzucht, vom Wein- bis zum Whiskey-Keller, vom Kunstraum bis zu kleinen und größeren lokalen Museen. Bunker 3 von den fünf Werken um die Franzensfeste ergänzt als Schaubunker die Dauerausstellung, ebenso ist diese mit einem Forschungsprojekt unter Leitung des Südtiroler Bunkerexperten Heimo Prünster verbunden.

Die Ausstellung, versucht eine Balance zwischen historischer Information und gegenwärtiger Reflexion, zwischen dem Ernst der Bedrohung und dem Versuch einer künstlerisch-kreativen VerarGraffiti von Tobias Planer in der Festung Franzensfeste

beitung. So empfängt eine Kunstinstallation von Esther Stocker die Besucherinnen und Besucher, begleiten Graffitis von Tobias „Tobe“ Planer, Soundinstallationen von Klemens „Klex“ Wolf sowie sinnige Zitate die Schautafeln, Drehgrafiken, Videodokumentationen und besonders interessante originale Exponate. Die Ausstellung endet in einem Raum, in dem Krieg und Schutz der Gegenwart am Cyber-Space, Cyber-War und Dark-Net thematisiert werden; der Sicherheitsexperte Curti Covi, der in Toblach selbst eine Bunkerausstellung führt, analysiert Krieg als traurige Konstante in der Menschheitsgeschichte. Ein Panzer als Sofa drückt die gegenläufige Hoffnung aus.

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