21 minute read
Serie: Das Wipptal im Zeitraffer
from ERKER 12 2020
by Der Erker
Das Wipptal im Zeitraffer
von Karl-Heinz Sparber (Teil 12)
15001600
Heimsuchungen
Stadtplan von Sterzing, um 1600
In der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts wird das Wipptal häufig heimgesucht: lassen wegen der Pest in Innsbruck die Stadt und verbleiben bis zum 21. Februar 1565 in Sterzing), 1571, 1597. Überschwemmungen: 1558, 1562, 1582 (Eisack) Seuchen: 1556, 1577, 1584, 1594 Lawine: 1580 kommen 30 Knappen am Schneeberg unter eine Lawine. Erdbeben: 12.07.1590 (Epizentrum Hall, auch im Wipptal verspürt)
Kaiser Karl V. nächtigt in Sterzing 1552
Kaiser Karl V. und sein Bruder Ferdinand I. sind die Enkel des letzten Tiroler Landesfürsten Kaiser Maximilian I, der nach seinem Tod 1519 ein gefährliches Vakuum hinterlässt. Karl V. (Landesfürst 1519 – 1522) schlägt das Land Tirol zu den spanisch-niederländischen Gebieten, 1522 werden Tirol und die Vorlande Ferdinand I. (Landesfürst 1522 – 1564) zugesprochen. Beide Brüder sind mit dem gleichen Makel behaftet: Sie sind der deutschen Sprache nicht mächtig und kennen die Verhältnisse in Tirol nicht. Mit seinen Maßnahmen (Verbot der lutherischen Schriften 1522, Verhaftung der Rädelsführer des Bauernaufstandes 1525, „Türkensteuer“ 1526 …) macht sich Ferdinand bei den Tirolern nicht sehr beliebt. Im Juli 1546 brechen die Truppen des Schmalkaldischen Bundes in Tirol bei Reutte ein und müssen vom Tiroler Landesaufgebot mit Mühe wieder vertrieben werden. Erst sein zweitgeborener Sohn Erzherzog Ferdinand II. ist wieder ein echter „Tiroler Habsburger“ und leitet die Geschicke Tirols und der Vorlande von 1564 Erzherzog Ferdinand II., Tiroler Landesfürst bis 1595 als Tiroler Landesfürst. Er heiratet die „bür1522 – 1564 gerliche“ Augsburger Kaufmannstochter Philippine Welser (sie hinterlässt ein Heilpflanzen- und Arzneibuch, auch ein Kochbuch wird ihr zuPest: 1550, 1564 (Regiment und Kammer ver-
geschrieben) und residiert auf Schloss Ambras bei Innsbruck, das er im Renaissancestil ausbauen lässt.
Episode am Rande: Im Mai 1552 marschiert der vom Kaiser abgefallene protestantische Kurfürst Moritz von Sachsen nach Tirol ein, um Kaiser Karl V. in Innsbruck gefangen zu nehmen. Sein Heer besteht aus 400 Reitern und zwei Regimentern Fußvolk und versetzt die Bürger von Innsbruck in Angst und Schrecken. Während Karl V. am 19. Mai um halb 9.00 Uhr abends Hals über Kopf über den Brenner flieht, wüten die beutehungrigen Soldaten entgegen allen Abmachungen in den umliegenden Dörfern von Innsbruck und ziehen nach zwei Tagen wieder Richtung Norden ab. Auf seiner Flucht Richtung Lienz nach Kärnten kommt Kaiser Karl bei strömendem Regen in einer Sänfte getragen nach Sterzing. Seine Leibgarde besteht aus 500 niederländischen Reitern. In Sterzing hatte man gerade das Rathaus neu hergerichtet, wo Karl V. mit seinem Hofstaat nächtigen kann, um am nächsten Tag weiterzufliehen.
Der gebürtige Sterzinger und lutherische Theologe Kaspar Goldwurm (geboren 1524) verErker 12/201559 n. Chr. stirbt. In seinem Nachlass befinden sich zahlreiche Wundergeschichten aus antiken, mittelalterlichen und zeitgenössischen Quellen.
1565 n. Chr.
Georg Rösch von Geroldshausen (geboren 1501), Kanzleisekretär, lateinischer Schulmeister und Spruchdichter, verstirbt in Sterzing am 13. Jänner.
1578 n. Chr.
Der Sterzinger Bürgermeister Christoph Prackh stellt den Brauch ein, den Steuerausschuss mit Glockengeläute einzuberufen (seit 1468).
1582 n. Chr.
Der Julianische Kalender (Gaius Julius Cäsar führt 45. v. Chr. den Schalttag ein) wird im Heiligen Römischen Reich vom neuen Gregorianischen Kalender (geht auf Papst Gregor VIII. zurück) abgelöst. Heute ist er der weltweit meist gebrauchte Kalender. Dabei folgte auf Donnerstag, den 4. Oktober 1582 Freitag, der 15. Oktober 1582. Davor waren jährlich etwa elf Minuten im Sonnenjahr übrig, was in 130 Jahren einen Tag ausmachte. Zusätzlich benötigt unsere Zeitrechnung alle vier Jahre ein Schaltjahr mit 366 Tagen, alle 400 Jahre entfällt dieses.
Lesesaal des Südtiroler Landesarchives in Bozen. Auf dem Lesepult ein Exemplar eines Verfachbuches.
Einführung der sogenannten Verfach- und Matrikenbücher
Verfachbücher/Matrikenbücher werden im Landgericht Sterzing nach einer Anordnung des Konzils von Trient angelegt. Sie enthalten erste Kaufverträge, Erbscheine, Rechnungen sowie Geburts-, Heirats- und Sterbedaten der Bewohner des gesamten Gerichts von Mittewald bis Brenner. Die Verfachbücher werden bis nach 1900 geführt und liegen heute zur Einsicht im Südtiroler Landesarchiv in Bozen auf. Das Sterzinger Stadtarchiv ist ebenfalls dort ausgelagert; es umfasst Akten von 1298 bis zur Anlegung des Grundbuches um 1907 und nimmt einen Regalplatz von 159 Laufmetern ein.
Richtigstellung zum Beitrag „Wiedertäufer im Wipptal“: Die radikalreformatorisch-christliche Bewegung der Wiedertäufer lehnte das Neue Testament nicht ab, sondern forderte eine wortgetreue Auslegung der Heiligen Schrift (sola scriptura: Die Bibel erklärt sich allein durch die Schrift, bedarf keiner Ergänzung durch kirchliche Überlieferung), die Glaubensfreiheit und eine strikte Trennung von Kirche und Staat. Die Wiedertäufer verlangten, dass die Heilige Schrift hinter die Offenbarung des Geistes, die jeder erfahren kann, zurücktreten müsse. Dies alles manifestierte sich einerseits in ihrer Lebensweise der Nachfolge Christi, der Gläubigentaufe (vom Erwachsenen selbst begehrt) bis hin zur Gütergemeinschaft und Absonderung von der Welt.
Sterzing hat 26
Wirtshäuser.
1563
Das Konzil von Trient geht zu Ende
04.12.1563: Nach 18 langen Jahren endet das Tridentinum, auch Konzil von Trient genannt. Es ist das 19. ökumenische Konzil der katholischen Kirche und wird als Reaktion auf die Reformation einberufen. Das Konzil von Trient leitet religionsgeschichtlich die Gegenreformation ein. Das Tridentinum verändert den Katholizismus so sehr, dass die Zeit zwischen diesem Konzil und dem 2. VatikaKonzil von Trient, im Vordergrund die (angebliche) Päpstin Johanna (Pasquale Cati da Iesi, 1588, Fresko in St. Maria di nischen Konzil (1959 – 1965) als Trastevere in Rom) „nachtridentinisch” bezeichnet wird. Es betont den autoritativen Charakter der kirchlichen Tradition und führt die sieben Sakramente ein.
Das Dach der Pfarrkirche brennt 1566
21.05.1566: Ein Großbrand legt den gesamten Ansitz des Deutschordenshauses in Schutt und Asche. Auch die angrenzende Heiliggeistkirche (Vorgängerbau der heutigen St. Elisabethkirche) und das Holzdach der Pfarrkirche samt Turmhelm brennen durch Funkenflug (?) ab. Durch die große Hitze zerschmelzen die Turmglocken. Die starken Gewölbe verhindern den Einsturz der Kirche, die ja erst 30 Ansicht vom Deutschhaus in Richtung Pfarrkirche, deren Dach Jahre zuvor fertiggestellt worden wahrscheinlich durch Funkenflug 1566 abbrannte. ist. Innerhalb von drei Jahren werden durch großzügige Spenden (Bürger, landesfürstliche Kammer, Knappen von Gossensaß und Schneeberg) ein neuer Dachstuhl errichtet, das Kirchendach mit Schindeln eingedeckt und neue Glocken in Auftrag gegeben. 1575 wird auch der Turm wieder eingedeckt, so dass schließlich am 24. April 1582 die neuen Glocken und die Seitenaltäre durch Weihbischof Johannes
Nas geweiht werden können.
1588 n. Chr.
Am 8. August wird die („unbesiegbare“) Spanische Armada von der englischen Flotte nördlich der Meerenge zwischen Dover und Calais besiegt. Die Armada ist 1586 im Auftrag von König Philipp II. (1556 – 1598, gläubiger Katholik, einziger überlebender legitimer Sohn Karls V.) für den Krieg gegen England ausgerüstet worden. Die Armada segelt im Juli 1588 unter dem Herzog von Medina-Sidonia gegen EngDas Armada-Porträt von George Gower zeigt Eliza- land und soll den Sturz von Königin Elisabeth I. (1558 – 1603) erzwinbeth I. und im Hintergrund links die englische Flotte, rechts die versinkende spanische Armada. gen. Ihr gegenüber steht die englische Flotte unter Charles Howard und den Vizeadmiralen Francis Drake, John Hawkins und Martin Frobisher. Die Spanische Armada (27.000 Soldaten, 130 Schiffe, bestückt mit 2.400 alten Eisenkanonen) wird im Kampf gegen die Engländer vor allem durch Stürme und ungünstige Winde geschwächt, kann die geplante Invasion Englands nicht ausführen und unterliegt letztlich den moderneren Schiffen, die besser manövrierfähig sind und weiterreichende Bewaffnung an Bord haben (Bronzekanonen). Der Herzog von Medina-Sidonia kehrt am 21. September mit nur wenigen Schiffen (68 Wracks) nach Spanien zurück. Spaniens starke Seemacht verliert schließlich 1607 ihre Vormachtstellung auf See im Jahr 1607, als die Niederländer die Armada endgültig in der Bucht von Gibraltar vernichtend schlagen.
1589 n. Chr.
Der 40 SchächMithrasstein te sind am wird von Schneeberg Hirten in Betrieb. oberhalb von Mauls entdeckt. Erker 1600 n. Chr. 12/20 811600 n. Chr.
Von den christlichen Anfängen im Wipptal
Der Alpenraum und mit ihm das Gebiet des späteren Tirol gerieten bereits am Ende des 1. Jahrhundert v. Chr. in die Einflusssphäre des Römischen Reiches, das sich unter der Herrschaft von Caesar und Augustus immer weiter nach Norden auszudehnen begonnen hatte. Die von den Römern systematisch errichteten Straßen, Stützpunkte und Militärgarnisonen brachten allmählich auch die römische Kultur und Lebensweise in die neu errichteten Provinzen Rätien und Norikum. Römische Legionäre, Kaufleute und Händler dürften bereits im 2. und 3. Jahrhundert n. Chr. die christliche Religion in die Gebirgsgegenden getragen haben. Das Mailänder Toleranzedikt von 313 förderte am Beginn des 4. Jahrhundert n. Chr. die rasche Verbreitung des Christentums im gesamten Römischen Reich und ließ aus einer – bis dahin oftmals unterdrückten und grausamst verfolgten – kleinen religiösen Gemeinschaft nach und nach eine Weltreligion entstehen. Daran änderten weder die im 4. Jahrhundert beginnende Völkerwanderung, noch der dadurch beschleunigte Untergang des Weströmischen Reiches im 5. Jahrhundert n. Chr. etwas. Die römische Straßenstation „Vipitenum“, deren genaue Lage zwar nicht bekannt, aber durch die „Tabula Peutingeriana“ – einer mittelalterlichen Kopie des römischen Straßennetzes – für das 4. Jahrhundert n. Chr. als „Vepiteno“ historisch bezeugt ist, dürfte wohl einer der Ausgangspunkte für die christliche Missionierung im 3./4. Jahrhundert n. Chr. des südlichen Wipptales gewesen sein.
Das Wipptal geriet während der Wirren der Völkerwanderung im 6. Jahrhundert n. Chr. in den Herrschaftsbereich der Bajuwaren. Diese hatten zunächst das Inntal besetzt und waren über den Brenner weiter nach Süden gezogen. Die romanische Bevölkerung wurde in den folgenden Jahrhunderten germani82
Bajuwarische Baumsärge aus dem 6. bzw. 7. Jh. n. Chr.: bei Baggerarbeiten 1996 am Fuße von Burg Reifenstein freigelegt.
siert, die heidnischen Bajuwaren hingegen christianisiert.
Als Herzog Tassilo III. (ca. 741 – 796) 769 in Innichen das Benediktinerkloster zum hl. Candidus – einem christlichen Märtyrer aus dem 3. Jahrhundert n. Chr. – stiftete, war der Stamm der Bayern längst Teil der christlichen Gemeinschaft geworden und schickte sich nun seinerseits an, die heidnischen Slawen zu missionieren. Politische Differenzen führten gegen Ende des 8. Jahrhunderts n. Chr. schließlich zum Bruch zwischen Herzog Tassilo III. und dem fränkischen König Karl dem Großen (ca. 747 – 814) und endeten mit der Eingliederung Bayerns in das Fränkische Reich. Das Gebiet zwischen Sill und Eisack stand damit ebenfalls unter fränkischer Verwaltung und war in religiöser Hinsicht dem Bistum Säben, das vom Patriarchat von Aquileia abgetrennt und dem Metropolitanbistum Salzburg angegliedert worden war, unterstellt. Seelsorge und Missionstätigkeit gingen – aufgrund der dünnen Besiedelung und der wenigen Dauersiedlungen in frühmittelalterlicher Zeit – im Wipptal zunächst von den Urpfarren Sterzing und Matrei aus. Deren genaues Alter lässt sich nicht bestimmen, doch geht die historische Forschung davon aus, dass diese ersten kirchlichen Verwaltungsstrukturen im Wipptal auf karolingische Zeit zurückgehen und damit wohl an der Schwelle vom 8. zum 9. Jahrhundert n. Chr. entstanden sein dürften. Das Bevölkerungswachstum und die Zunahme der Rodungstätigkeit führten in hochmittelalterlicher Zeit – spätestens jedoch in der Mitte des 12. Jahrhundert n. Chr. – zur Einrichtung weiterer Urpfarren. Im südlichen Wipptal wurden Stilfes (Mitte 10. Jahrhundert n. Chr.) und Mareit (Anfang 12. Jahrhundert n. Chr.) aus der Urpfarre Sterzing herausgelöst und zu selbstständigen Pfarren erhoben und dort eigenständige kirchliche Verwaltungsstrukturen etabliert. Das hohe Alter der christlichen Gemeinschaft in diesen „neuen“ Pfarren – später werden sie „Altpfarren“ genannt – lässt sich am ehesten an ihren Kirchenpatronen ablesen, verweisen doch die Patrozinien „St. Peter und Paul“ (Stilfes) und „St. Pankraz“ (Mareit) in die Zeit des ausgehenden Frühmittelalters. Das südliche Wipptal blieb durch viele Jahrhunderte hindurch eine äußerst unwirtliche Gegend und die seelsorgliche Betreuung der weitverstreuten und teils abgeschieden gelegenen Dörfer, Weiler, Häuser- und Höfegruppen gestaltete sich als schwierig. Während das Gebiet im Norden bis zum Brenner sowie das Jaufen- und Rat-
Die „Altpfarre“ Stilfes reichte bis nach Pens im Sarntal.
schingstal zur Pfarre Sterzing gehörten, erstreckte sich die Pfarre Stilfes von Oberau im Süden bis nach Wiesen und dem Pfitschertal im Osten sowie über das Penser Joch ins
oberste Sarntal bis nach Pens. Die Pfarre Mareit versorgte ihrerseits das gesamte Ridnauntal. Die Pfarren Sterzing, Stilfes und Mareit gehörten seit der Einrichtung von vier Archidiakonaten in der Diözese Brixen im 12. Jahrhundert zu jenem des Eisacktales. Die Archidiakone übten die Verwaltungsaufsicht in den ihnen unterstellten Pfarren aus und vertraten in der Rechtspflege den Bischof. Die Archidiakonate wurden schließlich in Dekanate umgewandelt und deren Zahl am Beginn des 17. Jahrhundert auf einer Diözesansynode mit zehn festgelegt. Mit der Errichtung des Dekanats Sterzing wurde die neue kirchliche Verwaltungsstruktur auch im südlichen Wipptal implementiert. Die Pfarre Sterzing war jedoch dem Deutschen Orden inkorporiert, weshalb der Dekanatssitz in Stilfes errichtet wurde. Die ursprünglich am Beginn des 17. Jahrhundert fixierte Bezeichnung „Dekanat Sterzing“ wurde allmählich durch die Bezeichnung „Dekanat Stilfes“ verdrängt. Die verstärkte Rodungs- und Siedlungstätigkeit sowie das Heranwachsen einzelner Orte zu größeren Dörfern hatte eine Intensivierung der seelsorglichen Betreuung notwendig gemacht und seit dem 14. Jahrhundert zu neuen Gottesdienststiftungen und der Errichtung von Filialkirchen geführt. Im 15. Jahrhundert waren schließlich vielerorts Kuratien entstanden. Diese übernahmen die seelsorgliche Betreuung von ihren „Mutterpfarren“ und agierten weitgehend unabhängig, wenngleich sie mit letzteren noch lose verbunden blieben. Die Zergliederung der Mutterpfarre Sterzing begann in der 2. Hälfte des 15. Jahrhundert zunächst mit der Errichtung einer eigenständigen Kaplanei in Gossensaß. Die Bergleute und Gewerken
Der Kirchenpatron Pankratius in Mareit verweist auf das ausgehende Frühmittelalter.
hatten 1478 dafür eine umfangreiche Stiftung errichtet. Im 16. Jahrhundert dürfte daraus eine Kuratie entstanden sein. Diese umfasste neben Gossensaß auch Brenner, Pflersch und Ried. Gegen Ende des 17. Jahrhunderts wurde Ried, am Beginn des 18. Jahrhunderts Brenner eine eigenständige Kuratie. Pflersch blieb noch längere Zeit mit Gossensaß verbunden. In der Mitte des 18. Jahrhunderts erfolgte die Errichtung einer Expositur und schließlich entstand daraus 1755 eine selbstständige Kuratie. In Ratschings etablierte sich ebenfalls in der Mitte des 18. Jahrhundert eine weitgehend selbstständige Kuratie. Ober- und Untertelfes blieben Kaplanei und erhielten aufgrund der seelsorglichen Neuordnung durch Kaiser Joseph II. (1780 – 1790) am Ende des 18. Jahrhunderts einen ständigen Seelsorger. Im Jaufental wurde am Beginn des 19. Jahrhunderts eine weitgehend selbstständige Expositur eingerichtet. Ridnaun löste sich von seiner Mutterpfarre Mareit in der 2. Hälfte des 18. Jahrhunderts zunächst mit der Errichtung einer eigenständigen Expositur, dann mit der Stiftung einer Kuratie. Die Mutterpfarre Stilfes entließ zunächst Außerpfitsch in die Selbstständigkeit. Dort bestand seit der 2. Hälfte des 16. Jahrhunderts eine Kuratie, deren Priester auch Innerpfitsch seelsorglich mitbetreuten. In der 2. Hälfte des 18. Jahrhunderts wurde in Innerpfitsch schließlich eine Expositur eingerichtet. In Mittewald bestand seit der 2. Hälfte des 17. Jahrhunderts eine Kuratie. Oberau besaß ein eigenes Benefizium mit Patronat und wurde im Falle einer Vakanz desselben von Mittewald aus seelsorglich betreut. Am Beginn des 18. Jahrhunderts entstanden die Kuratien Wiesen und Mauls als weitgehend selbstständige kirchliche Verwaltungsstrukturen. Trens wurde hingegen relativ spät selbstständig, obwohl – aufgrund der früh einsetzenden Marienwallfahrten – zahlreiche Messen gestiftet worden waren. Zwar etablierte sich am Ende des 18. Jahrhunderts eine eigenständige Expositur, doch blieb diese noch lange und rigide mit der Mutterpfarre Stilfes verbunden. Im Jahr 1891 wurden schließlich sämtliche Kuratien und Lokalkaplaneien zu Pfarren erhoben, die noch bestehenden Exposituren hingegen in Kuratien umgewandelt. Letztere wurden schließlich im Laufe der folgenden Jahrzehnte ebenfalls zu Pfarren erhoben.
Eine umfangreiche Neuordnung der seelsorglichen Betreuung mit weitreichenden Konsequenzen erfolgte schließlich 2010 mit der Errichtung der Seelsorgeeinheit Wipptal. Diese umfasst die inzwischen etablierten 16 Pfarren des südlichen Wipptales und trägt dem starken Rückgang von Priester- und Ordensberufungen in den letzten Jahrzehnten Rechnung. Die Zukunft wird weitere Umstrukturierungen mit sich bringen und dabei auch Vertrautes und Gewohntes nicht unwesentlich verändern. Der Blick in die Vergangenheit ist gerade deshalb überaus lohnend, denn Wandel und Umgestaltung waren stets mit Aufbruch und Neuanfang verbunden. Die neue Erker-Serie „Gotteshäuser im Wipptal“ begibt sich auf eine Suche nach Kirchen und Kapellen zwischen Brenner und Franzensfeste, spürt deren Entstehungs- und Baugeschichte sowie deren Schutzheiligen und -patronen nach und blickt durch die Jahrhunderte zurück auf die Anfänge des christlichen Glaubens und Lebens in unserem Heimatbezirk. Harald Kofler
Die reichen Fugger aus Augsburg
von Luis Palla
1367 kam Hans Fugger als Weber und Tuchhändler nach Augsburg und begründete dort die reichste und stolzeste Familie der Stadt. Sein jüngster Sohn Jakob sollte Geistlicher werden, stieg dann aber in das Geschäft seines Vaters ein und wurde zum Pionier neuen Gedankenguts auf wirtschaftlichem und sozialem Gebiet.
Jakob Fugger in einem Porträt von Albrecht Dürer
Jakob Fugger erblickte am 6. März 1459 in Augsburg das Licht der Welt. Nachdem vier Brüder gestorben waren, bekam er, der junge Kanoniker mit den niederen Weihen, die Möglichkeit, ins Geschäft einzusteigen. Eine Bildungsreise führte ihn nach Venedig, wo er in einem Jahr viel lernte. Sein wacher Geist erkannte, dass mit Geld große Macht zu erlangen war. In der weltoffenen Lagunenstadt erkannte er die Zusammenhänge zwischen Wirtschaft und Politik. Er verbesserte das Rechnungswesen mit genauer Buchführung über Waren- und Geldeingang. Mit sicherem Instinkt drängte er in die Erzbranche, indem er die kapitalschwachen Gewerken und selbstständigen Bergbauunternehmer finanziell unterstützte und sich dafür Beteiligungen an den Erzgruben ausstellen ließ. Mit großen Krediten an den verschwenderischen Sigismund wurde Jakob Fugger 1488 zum Beherrscher der Tiroler Gewerken und zum heimlichen Herrn des Alpenlandes. Ton84
nenweise kam Tiroler Silber außer Landes. Der wichtige Schritt vom Geschäftsmann zum Machtpolitiker gelang dem gerissenen Fugger unter Maximilian I. Im Jahr der Entdeckung Amerikas 1492 bereicherte sich der Fugger mit einer halben Million Gulden aus den Tiroler Silberbergwerken. Bei seinen Reichsgeschäften brauchte der Habsburger das Geld der Fugger. Die Gebrüder Gossembrot und Hans Baumgartner aus Bayern galten als finanzkräftige Konkurrenten der Fugger, die skrupellos ausgeschaltet wurden. Paul von Liechtenstein, wichtigster Finanzbeamter des Königs und Marschall von Tirol, bekam von Jakob Fugger 2.000 Gulden Jahresgehalt als Günstling. Auch andere Hofbeamte standen auf der Gehaltsliste der Fugger, so dass an den Maut- und Zollstätten die Transporte des Augsburger Handelsunternehmens bevorzugt behandelt wurden. Eine deutsche Durchschnittsfamilie von Bauern und Handwerkern verdiente im Jahr 100 Gulden. Jakob Fugger schätzte die Einnahmen aus dem Tiroler Bergbau auf 2,5 Millionen Gulden im Jahr. Für den ungarischen Handel vor allem mit Kupfer war die Familie Thurzo zuständig. Jakob Fugger heiratete 1498 die hübsche, gebildete und selbstständige Sybille Artzt aus einer vermögenden und angesehenen Augsburger Familie. Die eher unglückliche Ehe blieb kinderlos und die temperamentvolle junge Frau pflegte gern den Umgang mit Künstlern und Gelehrten, wofür Jakob wenig Interesse zeigte. Er überhäufte seine liebeshungrige Frau mit wertvollstem Schmuck und Geschmeide. Sie führte einen lockeren Lebenswandel und hielt sich Konrad Rehlinger, einen Freund ihres Mannes, als Liebhaber. Nach dem Tod ihres Mannes am 30. Dezember 1525 trat sie zum protestantischen Glauben über und heiratete Konrad Rehlinger. derts eine der bedeutendsten Faktoreien, von wo viel Silber nach Mailand gelangte. Die Landeshauptstadt trug wesentlich dazu bei, dass die Fugger in Tirol gehasst und geachtet wurden. Bozen galt als wichtiger Angelpunkt der Fugger, insbesondere für den Kupferhandel. Die Bozner Märkte hatten einen hohen Bekanntheitsgrad weit über die Landesgrenzen hinaus. Nach dem Erwerb eigener Bergwerke entstanden auch in Jenbach, Schwaz, Sterzing, Gossensaß und Terlan eigene Niederlassungen. Hochstätter und Rehlinger galten als bekannte Kaufleute. Silber wurde zum Verschicken in Kupfer eingepackt. Auf Bergwerken und Wechsel beruhte der fuggerische Handel ab dem 16. Jahrhundert, auch der Handel mit Produkten der Weberei, mit Wolltuchen und Barchent, italienischen Seiden- und Samtstoffen bestand weiterhin, also eine vielseitige Handelstätigkeit. Für das Aufblühen einer Niederlassung, die Faktorei hieß, gaben Begabung und
Holzschnitt von Augsburg aus der Schedel‘schen Weltchronik, 1493
Einsatz des jeweiligen Vertreters den Ausschlag. Die Fugger beteiligten sich ab 1485 am Metallhandel in Tirol. Die Hauptaufgabe der Stadt Hall bestand darin, den Silberversand nach Mailand, Wien und Graz zu bewerkstelligen. Bei den Niederlassungen gab es einen Hauptvertreter, Diener und einfache Arbeiter, die man Knechte nannte. Jakob Fugger streckte für die Hüttenwerke Rattenberg und Schwaz den königlichen Kassen die beträchtliche Summe von 300.000 Gulden vor. An Zahlungsstatt erhielten die Fugger auch Häuser und Grundbesitz. Jakob Fugger kaufte 1524 Bergwerksanteile bei Schwaz und Rattenberg sowie bei Lienz und wurde somit erstmals Gewerke in Tirol. Um den Bauernaufstand von 1525 zu ersticken, gewährte er dem Landesherrn alle Mittel. Zwischen 1520 und 1550 waren die Lehensfelder (Gruben) am Falkenstein folgendermaßen aufgeteilt: landesfürstlich 96, Fugger aus Augsburg 96, Tännzl von Tratzberg 48, Fugger aus Hall 48, Stöckl aus Schwaz 48, Paumgartner aus Schwaz 48. Das waren insgesamt 588 Lehensfelder; von diesen waren die landesfürstlichen Gruben an die Fugger verpachtet, weshalb diese über den größten Lehensbesitz verfügten. Bereits 1521 machte sich ein gewisser Hans Wiedemann um die Bergwerksinteressen des Jakob Fugger in Tirol verdient als geschickter Verhandler bezüglich Zukäufen an Gruben.
Jakob übernahm 1512 als der „Rechte Schaffierer“ die Alleinherrschaft. Der neue Firmenname lautete „Jakob Fugger und Gebrüder Söhne“. Er war zweifellos der Fürst der Kaufleute. Er hatte erkannt, dass Geld die Welt regierte
Hochzeitsbild der Eheleute Jakob Fugger und Sibylla Artzt, 1498 Erzstufe in der Fassade eines Sterzinger Gewerkenhauses
– er entschied mit seinem Geld die Kaiserwahl Karls V. und finanzierte Kriege des 16. Jahrhunderts. Aus eigener Initiative baute er Straßen und Brücken zum Funktionieren des Warenverkehrs. Das Handelsnetz der Fugger umspannte ganz Europa. Das Gesamtvermögen der Gesellschaft betrug am 14. Februar 1511 269.091 Gulden.
Jakob Fugger scheute sich nicht, mit dem französischen König Ludwig XII., dem Erzfeind der Habsburger, gute Handelsbeziehungen zu unterhalten. Seine tüchtigen Faktoren verstanden es, über Landesgrenzen und Machtblöcke hinweg einträgliche Geschäfte zu machen. Ruhig und kaltblütig zog Jakob seine Fäden, um den Reichtum zu mehren. Er fühlte sich „reich an Gnaden“ und dem Kaiser überlegen. 1508 verpfändete ihm Maximilian I um 300.000 Gulden das Tiroler Bergregal, wenngleich sich die Innsbrucker Raitkammer dagegen sträubte. Jakob Fugger auch viel mit Fremdkapital, beispielsweise mit 300.000 Gulden des Brixner Fürstbischof Melchior von Meckau, der von 1488 bis 1509 das Bistum leitete und „mehr das Zeug zu einem Politiker und Geschäftsmann als zu einem Geistlichen hatte“, wie ihn Kirchenhistoriker Josef Gelmi beschreibt. Er ließ die ersten Zeitungen der Welt drucken und nützte diese als Machtinstrument; kostenlos verteilte er sie an gute Geschäftsfreunde. Der reiche Schwabe pflegte das Althergebrachte und empfand Widerwillen gegen Reformen und Revolutionen (Bauernaufstand!). Mit seinem Geld bewahrte er das dekadente Habsburgerreich vor dem Untergang und verhinderte einen gesunden Ständestaat. Die Fuggerei in Augsburg wurde 1516 erbaut und gilt als älteste Sozialsiedlung der Welt. Dem Stiftungsbrief zufolge mussten die Benützer der 148 Wohnungen in 67 Reihenhäusern arm, katholisch und fleißig sein sowie aus Augsburg stammen. Die Mieter bezahlten den geringen Preis von einem Reichsgulden. Dieses scheinbar geniale Werk der Großzügigkeit war in
Was erinnert in Sterzing an die Fugger?
Sterzing wird bis heute als Fuggerstadt bezeichnet. Vieles erinnert an die erfolgreich eFamilie aus Augsburg. Das Sozialzentrum in der Bahnhofstraße führt diesen Namen, in der Industriezone in Unterackern gibt es eine Fuggerstraße. Die Sterzinger Kegelmannschaften, die seit Jahren bei den Sportkegelmeisterschaften vorne mitmischen, nennen sich „Fugger“. Bei Stadtführungen wird regelmäßig auf die Bedeutung des Bergbaues und der mächtigen Fugger für Sterzing hingewiesen. Während des Weihnachtsmarktes erinnern vor dem Rathaus drei Figuren in standesgemäßer Kleidung an die Blütezeit des Tiroler Bergbaues, nämlich der Fürstbischof von Brixen, der Landesfürst von Tirol und Jakob Fugger. Wirklichkeit jedoch ein Propagandatrick des genialen Jakob Fugger. Er hatte sie mit „schwarzem“ Geld gegründet, um ein schwebendes Verfahren wegen Vergehen gegen die Antimonopolgesetze zu unterlaufen. Mit dieser Idee galt der Erbauer fortan als sehr sozial eingestellter Machthaber.
In den Städten Weißenhorn und Ulm gab es die größte Barchenterzeugung. Als Graf schaffte Jakob Fugger den Aufstieg in den niederen Adel, wofür er große Geldsummen an den Herrscher bezahlte. Den Grafentitel führte er nicht in seinem Namen, den Grafen, Herzöge und Könige gab es viele, aber nur einen Jakob Fugger. Albrecht Dürer porträtierte diesen überragenden Finanzmann. 1524 musste er, der erste deutsche Guldenmillionär, wegen religiöser Streitigkeiten zwischen Katholiken und Protestanten seine Heimatstadt verlassen. Nachdem sich die Lage beruhigt hatte, konnte er wieder aus seiner „goldenen Schreibstube“ Weisungen an seine Mitarbeiter erteilen. Sein Lebenswerk bekam immer mehr einen negativen Anstrich. So bedeutete etwa „fuggern“ gleich viel wie betrügen und Geizhälse, Taschendiebe und Raubritter nannte man „Fuggerer“. So wurden die reichen Fugger zu negativen Symbolfiguren des Frühkapitalismus. Die aufständischen Bauern forderten die Beseitigung der Großkapitalisten Fugger, Welser und Hochstätter. Der hartherzige Konzernherr trug mit seinem Geld wesentlich dazu bei, dass die Bauernaufstände in einem Meer von Blut und Tränen endeten. Für ihn trugen die Aufständischen allein die Schuld und nicht die „unheilige Dreifaltigkeit der Epoche“ Kaiser, Kirche und Kapital.
1525 starb der mächtige Fugger als einsamer Mann, wie er gelebt hatte; nur ein Priester und seine Pflegerin standen an seinem Sterbebett. Stadtschreiber Clemens Sender hielt im Nachruf fest: „Jakob Fuggers und seiner Brüder Söhne Namen sind in allen Königreichen und Landen, auch in der Heidenschaft bekannt gewesen.“ Für die Familie bedeutete der Tod des ungeliebten und zugleich bewunderten Mannes, des erfolgreichsten Familienmitgliedes, eine reine Formsache, um anderen den Aufstieg zu ermöglichen. Als Grabstätte hatte er die Fuggerkapelle in St. Anna auserkoren. Noch vor seinem Tod hatte Jakob Fugger den Sohn seines Bruders Georg, Anton Fugger, zu seinem Nachfolger bestimmt. Er war zwar nicht der älteste Neffe des kinderlosen Jakob, wohl aber sein fähigster. Schon in jungen Jahren hatte ihn sein Onkel in den Handel eingeführt, in den Niederlassungen Nürnberg, Breslau, Ofen und schließlich in der Zentrale Augsburg konnte Anton seine Kenntnisse und Fertigkeiten vervollständigen. Als er 1526 die uneingeschränkte Herrschaft übernahm, war er gerade 32 Jahre alt, jedoch nicht unerfahren.