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1888: Die Glocken der Herz-Jesu-Kirche, Lübeck | Seite

1888

Die Glocken der Herz-Jesu-Kirche, Lübeck

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Der Kirchturm von

Herz Jesu ist der mittlere der sieben Türme Bild: Scan G. Reinhold Nur 350 Meter vom Lübecker Dom entfernt wurde in den Jahren 1888 bis 1891, also 350 Jahre nach der Reformation, die erste Kirche für die Katholiken in Lübeck und Umgebung errichtet, eine Backstein-Basilika mit vorgelagertem Turm.

Nach einem alten Abrechnungs- und Kassenbuch der Fa. F. Otto aus Hemelingen bei Bremen wurden für die Herz-Jesu-Kirche im Jahr 1898 drei Bronzeglocken mit der Tonfolge es‘ – f‘ – g‘ gegossen. Sie hatten folgende Durchmesser: 1350 mm, 1200 mm, 1030 mm und wogen: 1545 kg, 1070 kg, 766 kg. 21 Die Inschriften der alten OTTO-Glocken:22

DATEN DER GLOCKEN DER HERZ-JESU-KIRCHE, LÜBECK.

Glocke I II III Name Christusglocke/ Märtyrerglocke Marienglocke Herz Jesu Gießer Royal Eijsbouts, Asten/NL F. OTTO, Hemelingen Gussjahr 2013 1898 Gewicht (kg) 1.580 1.140 766 Durchm. (mm) 1.378 1.230 1.030 Schlagton d’ e’ g’

rechts:

Kath. Kirche Herz Jesu und Pfarrhaus für Lübeck 1885

Entwurfszeichnung von Arnold Güldenpfennig, Bild: Wikipedia: http:// architekturmuseum.ub.tuberlin.de/index.php?p=79& Daten=97447

Glocke I - Eduard-Glocke + VIDUA ED. PFEIFFER, CHARLOTTA MARIA BUESCHEL, ME ET FRATEM ET SOROREM FUNDI FECIT PER F. OTTO IN HEMELINGEN. A.D. 1898. + EGO EDUARDUS FESTA ANNUNTION. VENITE ADOREMUS ET PROCIDAMUS ANTE DEUM NOSTRUM!

(Die Witwe von Eduard Pfeiffer, Charlotta Maria Büschel, hat mich und meinen Bruder (= Everhardus-Glocke) und meine Schwester (= Marienglocke) durch F. Otto in Hemelingen gießen lassen. Im Jahres des Herrn 1898. Ich, Eduard, kündige die Feste an. Kommt lasset uns anbeten und vor unserem Gott niederfallen.)

Glocke II - Everhardus-Glocke + HONORO PATRONUM MEUM S. EVERHARDUM, DIEBUS DOMINICIS CLERUM ET PLEBEM CONVOCO. + LAETATUS SUM IN HIS, QUAE SUNT MIHI: IN DOMUM DOMINI IBIMUS.

(Ich ehre meinen Schutzpatron, den Hl. Everhard, und rufe sonntags Kleriker und Gläubige. Ich freute mich, als man mir sagte: Zum Hause des Herrn wollen wir gehen.)

Glocke III - Marien-Glocke + ECCE EGO MARIA ANCILLA DOMINI. VOX MEA VOX VITAE, VOCO VOS AD SACRA VENITE!

(Siehe, ich Maria, bin die Magd des Herrn. Meine Stimme ist Stimme des Lebens. Ich rufe euch zum Heiligtum, kommt.)

21 G. Reinhold, 2019, S. 509. Nach Unterlagen von OttoBuer bzw. des Glockensachverständigen N. Drechsler soll die kleinste Glocke ein Gewicht von 675 kg haben. 22 Hach, Theodor: Lübecker Glockenkunde, Bd. 2 der Veröffentlichungen zur Geschichte der Freien und Hansestadt Lübeck, Lübeck, 1913, S. 79+80. Übersetzung: G. Reinhold. Das OTTO-Glockenbuch weist insgesamt 300 Inschriften auf OTTO-Glocken nach, 100 davon kommentiert im Kapitel: „Beladen mit Gottes Botschaft“, S. 392-415.

Die beiden großen Glocken wurden im Ersten Weltkrieg eingeschmolzen. Fast einhundert Jahre musste sich die Gemeinde mit der kleinen g‘-Glocke begnügen. Erst im Jahr 2013 konnten mittels großzügiger Spenden durch die Fa. OttoBuer (Neustadt/Holstein) in Zusammenarbeit mit der Glockengießerei Eijsbouts in Asten/NL zwei neue Bronzeglocken gegossen werden. Die Glockengießerei Königliche Eijsbouts in Asten/NL „hatte die Möglichkeit die von unseren Vätern hinterlassenen Aufzeichnungen über die Gestalt der Otto-Rippe zu digitalisieren“. „Damit war es für uns wieder möglich, Glocken in Otto-Rippe gießen zu lassen.“ Nach Aussage von Joachim Otto, dessen Großvater Ernst Karl (II) Otto Ende des 19. Jahrhunderts mit der Fertigung und dem Einbau der ersten Glocken betraut war, war „die Anpassung an die alte vorhandene g‘-Glocke ... kein Problem“. 23 Heute verfügt die HerzJesu-Kirche wie früher über ein dreistimmiges Geläut dessen Bronzeglocken in OTTO-Rippe geformt wurden.

Der Glockensachverständige Norbert Drechsler aus Lübeck beurteilte die Glocken wie folgt: „Die neuen Glocken sind klanglich und optisch sehr gut gelungen. Bei der akustischen Prüfung sprechen alle Teiltöne mit sehr guter Resonanz an. Die Glocken erfreuen durch ihren angenehmen und vollen Klang; das Ausklingen erfolgt ruhig und harmonisch. Die Nachhallzeiten gehen weit über die geforderten Werte hinaus. … Am 23. August habe ich die Intonation des nun im Turm der Kirche HerzJesu montierten Geläutes überprüft. Läuterhythmus und Anschlagstellen sind gut eingestellt. Die Klöppel schlagen gleichmäßig an und bringen alle Glocken gut zum Klingen. Hier auf dem Turm zeigt sich jetzt das große Klangvolumen der neuen Glocken. Besonders die große Glocke gibt mit ihrem grundtönigen Klang dem Geläut ein beeindruckendes Fundament. Die Abstimmung der neuen Glocken auf die vorhandene Glocke ist sehr gut gelungen.“24

23 Turm und Uhr, Nr. 30/2013. Die Glocke II wurde auf Wunsch des Glockensachverständigen Drechsler „klanglich geringfügig korrigiert“. Während die Ottos früher immer damit warben, dass die Gusshaut ihrer Glocken unverändert bliebe und ein Nachstimmen der Glocken nicht notwendig wäre, ist spätestens seit P. Griesbacher: (Das) Glockenstimmen, Regensburg 1932, klar, dass ein Höheroder Tieferstimmen von Glocken in begrenztem Rahmen vollkommen unbedenklich ist. 24 Bericht Glockenprüfung von Norbert Drechsler vom 21.6. und 23.8.2013.

Gemeinsames Gießerzeichen

Das Gießerzeichen auf der Rückseite der Glocke nennt beide Firmen, die Firma OttoBuer aus Neustadt/ Holstein und die Gießerei Eijsbouts in Asten/NL Bild aus: Turm und Uhr, Nr. 28/2011, S. 3.

rechte Seite:

Märtyrerglocke

Foto: OttoBuer, Neustadt/Holstein Die Glockeninschriften der Herz-Jesu-Kirche, Lübeck

Glocke I - Christus-/Herz Jesu-Glocke:

an der Schulter EIJSBOUTS ET OTTO ME FECIT MMXIII

am Wolm SEI GEGRÜSST, HERR JESUS CHRISTUS * AM KREUZ ERHÖHT HAST DU DICH FÜR DIE MENSCHEN HINGEGEBEN AUS UNENDLICHER LIEBE UND ALLE AN DICH GEZOGEN * AUS DEINER GEÖFFNETEN SEITE STRÖMEN BLUT UND WASSER, AUS DEINEM DURCHBORHRTEN HERZEN ENTSPRINGEN DIE SAKRAMENTE DER KIRCHE * DEIN HERZ STEHT OFFEN FÜR ALLE, DAMIT DIE MENSCHEN FREUDIG SCHÖPFEN AUS DEN QUELLEN DES HEILES *

Glocke II - Märtyrerglocke: an der Schulter EIJSBOUTS ET OTTO ME FECIT MMXIII

an Flanke und Wolm der Glocke folgende Glockenzier und Inschrift: Ein Logo bestehend aus einem Kreuz und den vier Gesichtern der Märtyrer und danebenstehend:

LÜBECKER MÄRTYRER

HERMANN LANGE GEBOREN AM 16.4.1912 IN LEER HINGERICHTET AM 10.11.1943 IN HAMBURG

JOHANNES PRASSEK GEBOREN AM 13.8.1911 IN HAMBURG HINGERICHTET AM 10.11.1943 IN HAMBURG

EDUARD MÜLLER GEBOREN AM 20.8.1911 IN NEUMÜNSTTER - HINGERICHTET AM 10.11.1943 IN HAMBURG

KARL FRIEDRICH STELLBRINK GEBOREN AM 28.10.1894 IN MÜNSTER HINGERICHTET AM 10.11.1943 IN HAMBURG

HERR, HIER SIND MEINE HÄNDE * LEGE DARAUF, WAS DU WILLST * FÜHRE MICH, WOHIN DU WILLST * IN ALLEM GESCHEHE DEIN WILLE * Der Gebetsspruch am Ende der Glockeninschrift „steht für die Todesnot, welche die an der Herz-Jesu-Kirche tätigen Kaplane in Gefangenschaft während des Zweiten Weltkrieges erleiden mussten“. Die drei katholischen und der evangelische Geistliche „gingen als Märtyrer in die Geschichte der Kirche ein“.25

Der Guss der neuen Glocken in Asten begann am 17. Mai 2013 mit der Märtyrer-Glocke. Die Glocken trafen am 21. Juni in Lübeck ein und wurden beim Kirchweihfest am 23. Juni geweiht. Die Klänge der Glocken von Herz Jesu sind mit denen des Lübecker Domes abgestimmt.

Die NS-Märtyrer-Glocke der Lübecker HerzJesu-Kirche, aber auch die NS-Märtyrerglocke des hier folgenden Geläutes der St.-GertrudKirche in Düsseldorf sind wohltuende und notwendige Antipoden zu den zirka zwei Dutzenden Glocken mit NS-Symbolen und Inschriften, die in den letzten zehn Jahren in unseren Kirchen „entdeckt“ wurden.26 Hier ergibt sich auch ein Bezug zur “Führer“Glocke, die die Ottos für 1934 für die „Gottesburg“ St. Engelbert in Essen“ gegossen haben.27

Während die Glocke von Herz Jesu vier konkreten Opfern des Nationalsozialismus geweiht ist, erinnert die Glocke von St. Gertrud in Düsseldorf-Eller an alle Menschen, die unter der Diktatur der Nationalsozialisten gelitten haben bzw. gestorben sind. Auch diese Glocke wurde in einer rekonstruierten OTTO-Rippe gegossen. Gießer war im Jahr 2019 die Glockengießerei Schmitt aus Brockscheid in der Eifel. Die Glocke hängt neben OTTO-Glocken aus den Jahren 1911 und 1953 sowie einer Glocke von Reuter aus dem Jahr 2014.

25 Lena Schüch: Herz Jesu hat endlich wieder Glocken. Lübeck Redaktionsnetzwerk Deutschland, 26.11.2013 26 Peter Maxwill: Dumpfes Läuten. NS-Relikte auf Kirchenglocken. SPIEGEL online, 21.4.2018. Glocken mit Inschriften und Symbolen aus der NSZeit. Quelle: Glockeninventarisation EKM Süd (Stand: 01/2019) (https://www.kirchenkreis-arnstadt-ilmenau.de/asset/OizwGnZRTk6un1_5uZu-

eng/ns-glocken-ubersicht-stand-8-juli-2019.pdf) Kirchenglocken mit NS-Symbolen. Glockensachverständiger (S. Wamsiedler): „Glocken sind zu erhalten“. Deutschlandfunk Nova, 7.3.2019. Hanno Müller: Friedenssymbole für die Glocke von Rettgenstedt. Thüringer Allgemeine, 15.5.2021. 27 LG. Reinhold, 2019, S. 420-425.

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