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Leipzig Rückkehr ins Paradies

RÜCKKEHR INS PARADIES

CAROLAS GARTEN ist eine Ode an die Natur

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Ein Gastbeitrag von Juliane Voigt, Journalisitin und freie Autorin

„Carolas Garten“ ist das neue Panorama von Yadegar Asisi im Leipziger Panometer. Es ist ein kleiner Garten, der sich wie ein milder Sommertag um den Betrachter öffnet. Eine Katze schleicht sich an, ein kleiner Junge sieht durch das Gebüsch, man erkennt die Rückseite eines einfachen Reihenhauses, ein kleines Gewächshaus und den Komposthaufen. Insekten schwirren herum, es gibt Blumen in den herrlichsten Farben. „Star“ des Panoramas ist eine Biene bei der Arbeit, knapp 30 Meter groß. Ihr Fell ist voll mit gelben Blütenpollen, sie saugt Nektar aus einer Kamille.

Das Leipziger Panometer ist eine Art Natur-Tempel geworden. Eine Würdigung des Gärtners, der mühsam die kleinste Grünfläche urbar macht und des GartenGuerilleros, der mitten in der Stadt mit Samenbomben kleine Blüten-Explosionen auslöst oder auf den Dächern der Metropolen Bienen züchtet. Es ist dem stillen Naturschützer gewidmet, der sich mit Wald und Wildtieren beschäftigt. Und ja, es ist auch eine Ode an die Insekten und die Pflanzen, die unermüdlich diese Welt retten und denen wir ihr Dasein, von dem wir viel zu wenig wissen, so schwer machen. Aber all das ist dieses Panorama erst einmal nur vordergründig. Asisis Panoramen sind ja immer viel mehr als nur ein Bild. Über allem liegt eine magische Ebene. „Carolas Garten“ lässt etwas ahnen von dem Glück, das wir Menschen uns einfach nehmen können. Es ist zwar nur die Abbildung eines Gärtchens, aber mit der für dieses Bild komponierten Sound-Installation des in London lebenden Musikers Eric Babak und den Lichtstimmungen, die Tag, Dämmerung und Nacht simulieren, steht man plötzlich inmitten summender Insekten und zwitschernder Vögel, eine bezaubernde Melodie liegt in der Luft, die Frösche quaken den Abend ein. Wer sich die Zeit schenkt, einzutauchen in diesen Panorama-Garten, der kommt in einen Zustand der Weltflucht, der Meditation und des Entrückens in sowas wie den biophilen Urzustand des Menschen, der sich vielleicht nur noch als kaum wahrnehmbare kollektive Erinnerung an das biblische Paradies – vor der Vertreibung aus bekannten Gründen – in unser Unterbewusstsein gepflanzt hat. Etwas, das wir in uns suchen, ein Leben lang. Hier ist es. Dieses Panorama macht einfach nur glücklich. „Carolas Garten“ ist ein immersiver Kunstort. Und nimmt den Besucher mit in die geheimnisvolle Welt der Krabbelkäfer, Tausendfüßler, Gänseblümchen, Bienen, Schnecken und gefräßigen Maden. Mitten hinein in die Blüten und Gerüche, der Früchte, der Fäulnis und der Mikroorganismen direkt vor unseren Füßen. Denn das Bild schrumpft den Betrachter auf die Größe eines Insekts. Als hätte Yadegar Asisi nun selbst den Blick gesenkt, um sich zu erholen von den großen Naturspektakeln und Malheuren der Weltgeschichte, die bisher Themen seiner Panorama-Projekte waren. „Carolas Garten“ hat etwas mit einem Versprechen an eine alte Freundin zu tun. Eine Mitarbeiterin des Leipziger Panometers, der er diese Arbeit widmet. Aber die Begeisterung, die Yadegar Asisi ausgerechnet für dieses Panoramabild aufgebracht hat, überraschte ihn selbst. „Carolas Garten“ ist, neben allem anderen, auch seine Verbeugung vor dem Wunder Natur. Sichtbar wird das auch in all seinen künstlerischen Arbeiten in der begleitenden Ausstellung. Als Reminiszenz an ein Aquarell von Albrecht Dürers Blick vor die Füße des großen Porträtisten der Renaissance. Der mit seinem Bild „Das große Rasenstück“ dem ganz schlichten Stück Natur vor seinen Füßen die gleiche Aufmerksamkeit gewidmet hat wie sonst den wichtigen Persönlichkeiten seiner Zeit. Asisi zeigt zwei große Fotografien über dem Boden, jeweils ein Quadratmeter Gras. Saftiges Grün und trockenes Gestrüpp. Als Symbol für Anfang und Ende. Er hat die Goldfische und Kaulquappen im Gartenteich besucht, die in der Ausstellung

in einem Film durch die trübe Ursuppe schwimmen. Bäuchlings hat er täglich vor einer Löwenzahnpflanze auf der Lauer gelegen, um deren wundervolle Verwandlung von dem ersten gelben Sonnenschirm bis zur Pusteblume fotografisch zu dokumentieren. Ein meditativer Zustand, bei dem er sprichwörtlich das Gras wachsen hören konnte. Mehrere große Leinwände in der Ausstellung zeigen „Carolas Garten“ auch aus seiner sehr freien und künstlerischen Perspektive. Als impressionistische Malerei. Es gibt viele Fotografien von jedem Wunder-Winkel dieses ganz normalen Gartens am Rand von Leipzig. Von Vögeln und Insekten und Kleintieren, die ihm vor die Kamera gekrabbelt und geflogen sind. Eine schwarz-weiße Porträtreihe zeigt die Gartenbewohner in Aufnahmen, wie sie selten zu sehen sind, als stolze Vertreter ihrer Art. So dass man vielleicht doch zwei Mal nachdenkt, bevor man beim nächsten Mal mit der Klatsche oder Chemiekeule auf Piekendes und Krabbelndes losgeht. Es sind unzählige fantastische Phänomene und Verrücktheiten der Natur, aber auch die bescheidene Schönheit des Gänseblümchens, die Asisi in diesem einen Moment in „Carolas Garten“ festgehalten hat. Und die sich in stundenlanger Faszination der Ausstellung und in dem Panoramabild entdecken lassen. So ein Garten ist schließlich unergründlich. Die Zeit, die da vergeht, vergisst man ohnehin. Es ist eben eine Rückkehr ins Paradies.

CAROLAS GARTEN: Ausstellungsergänzung im Panometer Leipzig mit überlebensgroßen Insekten von Julia Stoess und weiteren Ausstellungsobjekten.

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