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Berlin Die Dunkle Seite der Antike

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Editorial

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DIE DUNKLE SEITE DER ANTIKE

Wer Spitzenstücke der griechischen Kunst betrachten möchte, kommt in der Berliner Ausstellung „Pergamon. Meisterwerke der antiken Metropole und 360°-Panorama von Yadegar Asisi“ garantiert auf seine Kosten. Doch neben den vielbewunderten Originalen in der Ausstellungshalle zeigt das dazugehörige Pergamon-Panorama auch die unbequemen, bisweilen sogar verstörenden Seiten der Antike. Ausgerechnet an diesen Stellen lohnt sich der genaue Blick.

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Ein Gastbeitrag von Moritz Taschner, Antikensammlung Berlin

Bauwerke ganz aus Marmor, prachtvoll bemalte Statuen, ein spektakulär im Hang errichtetes Theater – und nicht zuletzt ein monumentaler Altar von so eindrucksvoller Kunstfertigkeit, dass er in der Antike als achtes Weltwunder gefeiert wurde. Der Blick vom Besucherturm des Pergamon-Panoramas zieht uns in den Bann einer antiken Metropole und wir empfinden ähnliche Begeisterung wie jene römischen Touristen, die Yadegar Asisi vor der Nordseite des Pergamonaltars ins Bild gesetzt hat. Es ist die Gleichartigkeit von Emotionen und Empfindungen, die eine Brücke von der Gegenwart in die Vergangenheit schlägt und die zeitliche Distanz von fast 2000 Jahren vergessen lässt. Die Antike erscheint greifbar nah.

Doch wie fremd, ja geradezu verstörend tritt uns dieselbe Kultur und Gesellschaft entgegen, wenn der Blick nur wenige Meter weiter zur Treppenfront des Altars wandert: Wir werden Zeuge blutiger Tieropfer, die zu Ehren des Zeus dargebracht werden. Opferdiener waten über blutüberströmte Pflasterplatten, vollziehen rituelle Schlachtungen und zerlegen mit Beilen und großen Opfermessern die soeben getöteten Tiere.

Die drastische Darstellung dürfte der antiken Realität recht nahekommen. Tatsächlich wurden zu besonderen Anlässen eine ganze Hekatombe, das heißt eine Hundertschaft von Tieren geopfert – für Zeus, dem der Pergamonaltar geweiht war, waren dies in der Regel Stiere und Widder. In der Vorstellung der Griechen trat man durch den Akt des Opferns mit den Göttern in Beziehung, konnte sie wohlgesonnen stimmen und die Erwartung hegen, von den Beschenkten eine Gegengabe zu erhalten. Die Hoffnungen bezogen sich sowohl auf die großen gesamtgesellschaftlichen Anliegen, wie etwa den günstigen Ausgang eines Krieges, als auch auf die Erfüllung der kleinen, individuellen Wünsche des Alltags.

Die Götter mussten sich bei der Opferung mit weniger begnügen als man gemeinhin glaubt. Denn nur die ungenießbaren Teile wie Knochen, Sehnen, Fett und manche Innereien landeten auf dem Opfertisch und wurden dort verbrannt. Das wohlschmeckende Fleisch hingegen wurde sofort gebraten und unter den Festteilnehmern aufgeteilt. Felle und Hörner, die sich zur Weiterverarbeitung eignen, wurden ebenfalls ausgesondert und zu Geld gemacht.

Die eigentlich den Göttern zugedachten Tieropfer hatten somit eine weitere Funktion, deren Bedeutung nicht zu unterschätzen ist: Die Versorgung der Festteilnehmer mit Fleisch und die Legitimierung der dafür erforderlichen Tötung eines Geschöpfes. Unter den klimatischen Bedingungen des Mittelmeerraumes war die Haltung von Großvieh schwierig und teuer, der Verzehr von Fleisch daher keineswegs alltäglich und selbstverständlich. In Anbetracht der vorwiegend vegetarisch geprägten Ernährung boten die Opfertage somit wahre Festessen. Betrachtet man die abschreckend blutigen Geschehnisse vor dem Pergamonaltar unter dem Gesichtspunkt der Fleischversorgung, ergeben sich interessante Einblicke in die griechisch-römische Kultur. Dem Konflikt, für die Beschaffung von Fleisch zwangsweise töten zu müssen und dadurch ein Tabu zu brechen, begegneten die Menschen der Antike, indem sie die Tötung im Rahmen religiöser Riten vollstreckten. Die Schlachtung wird als Opfer an die Götter vollzogen und von Gesten der Heiligung begleitet. Dazu schmückte man die Opfertiere mit Bändern, bespritzte sie mit Weihwasser und achtete darauf, dass sie sich freiwillig zum Altar bewegten. Der Mensch vermeidet auf diese Weise eine Verletzung der Ordnung und legitimiert das Töten. Er bleibt in dieser Logik frei von Blutschuld. Dieser moralische Konflikt ist auch unserer modernen Gesellschaft nicht unbekannt, doch begegnet sie ihm auf gänzlich andere Weise. Die massenhaften Tiertötungen, die für den in vielen Teilen der Welt maßlosen Fleischkonsum vonstatten gehen, sind industriell organisiert und vollziehen sich abseits jeder Wahrnehmung und ohne jede Würdigung des genommenen Lebens. Im Gegensatz zur Antike versucht man sich der Problematik durch vollständige Verdrängung zu entledigen. Die Opferungsszenen vor dem Pergamonaltar erscheinen uns deswegen so fremd, weil wir es nicht gewohnt sind, mit dem Akt des Tötens konfrontiert zu werden, obgleich wir ihn wissentlich mit unserem Konsumverhalten tagtäglich in Kauf nehmen. Ob wir mit Blick auf die Opferszenen am Pergamonaltar also wirklich von der dunklen Seite der Antike sprechen sollten oder uns der Blick nicht eher auf die dunkle Seite des eigenen Handelns aufmerksam macht, sei dahingestellt. Von der Antwort unabhängig bleibt die Einsicht, dass in den eindringlichen Szenen des Pergamon-Panoramas das Vertraute und Gleichartige zwar Brücken in die Vergangenheit baut, doch gerade das Fremde und Unerwartete den Blick auf Antike und Gegenwart zu schärfen vermag.

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