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Dresden Der Maestro der Genauigkeit
DER MAESTRO DER GENAUIGKEIT
Zum 300. Geburtstag von Canaletto widmen wir uns seinem Einfluss auf das Panorama DRESDEN IM BAROCK und die Stadt selbst. Denn so wie Canaletto das Dresden des 18. Jahrhunderts sah, ist es heutzutage kaum noch zu entdecken.
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Wer die ehemalige sächsische Königsstadt besucht, verfällt schnell ihrem Glanz. Man fühlt sich in den Bann gezogen von berühmten Sehenswürdigkeiten wie der Frauenkirche, dem Coselpalais oder dem Zwinger. Inmitten Perücke tragender und Bach spielender Straßenmusiker am Elbufer erliegt man dem Gefühl, sich in einer durch und durch barocken Stadtanlage zu befinden und wähnt sich beim Schlendern über die Brühlschen Terrassen schon um drei Jahrhunderte in der Zeit zurückversetzt. Doch in Wirklichkeit ist vom Dresden Augusts des Starken in seinem Originalzustand in der Stadt selbst nur noch wenig zu entdecken. Heute ist die eigentlich mittelalterliche Stadtanlage, nach drei Jahrhunderten der fortschreitenden Veränderungen durch den Historismus und die Zerstörungen des Zweiten Weltkriegs, weit entfernt von einem barocken Stadtbild. Somit ist es nicht verwunderlich, dass authentische Abbildungen der Residenzstadt der sächsischen Könige aus dieser Zeitepoche schon immer gefragt waren. Für Historiker, Städtebauer, Architekten und natürlich auch Künstler wie Yadegar Asisi kommt hier meist nur eine Quelle in Frage: Die Werke des venezianischen Malers Bernardo Bellotto, genannt Canaletto, insbesondere seine berühmten Stadtansichten vom Dresdner Elbufer, dem Zwingergraben und dem Neumarkt.
Als Bernardo Bellotto am 20. Mai 1722 oder je nach Quelle auch am 30. Januar 1721 in Venedig geboren wurde, befand sich der Barock in seiner absoluten Blütezeit. Ganz Europa orientierte sich zwar am Prunk des französischen Königshauses, doch auch in Bellottos Geburtsstadt Venedig entfaltete der Barock sich in Malerei, Musik und Architektur. Schließlich hatte sich die Kunstrichtung von Italien aus über ganz Europa verbreitet. Die Lagunenstadt war bekannt für ihre opulenten Feste, den über mehrere Monate zelebrierten Karneval und ihre gefeierten Künstler. Gerade die venezianischen Maler zählten im frühen 18. Jahrhundert zu den gefragtesten Künstlern ihrer Zeit. All dies machte die Stadt zu einem wahren Touristenmagneten für den europäischen Hochadel. So fühlten sich vor allem junge Adlige auf ihrer Grand Tour, einer in diesen Kreisen üblichen Europareise, die der Bildung den „letzten Schliff“ geben sollte, vom künstlerischen Glanz Venedigs angezogen.
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In dieser Umgebung wuchs der junge Bernardo als Sohn eines Gutsverwalters in einer Künstlerfamilie auf. Früh half er in der Werkstatt seines Onkels Giovanni Antonio Canal, eines erfolgreichen Veduten- und Landschaftsmalers. Dieser wird für den Neffen zum großen Vorbild. Von seinem bekannten Onkel übernimmt Bernardo Bellotto nicht nur den Künstlernamen und nennt sich bald ebenfalls „Canaletto“, sondern perfektioniert auch schnell dessen sehr exakte, fast fotorealistische Darstellungsweise mithilfe einer Camera Obscura. Auf Kunstreisen durch die italienische Landschaft entstehen erste Landschaftsgemälde und Stadtveduten, unter anderem von Verona und Padua. 1746 übernimmt Bellotto dann die Werkstatt seines Onkels, der für ein künstlerisches Engagement für zehn Jahre nach England reist.
Kurz darauf trifft jedoch eine Einladung des sächsischpolnischen Königshauses ein. Bernardo Bellotto, nun voll und ganz Canaletto, wird eine Anstellung am kurfürstlichen Hof in Dresden angeboten. Für ein Jahresgehalt von 1.750 Talern, das höchste aller Künstler am Hof, soll er Hofmaler des Königs August III. werden. 1747 willigt er ein, verlässt Venedig mitsamt Frau, Sohn und seinem Diener und wohnt direkt am Dresdner Neumarkt. Dort lebt er im sogenannten Cäsarschen Haus, welches später im Siebenjährigen Krieg zerstört und von Friedrich August von Cosel, einem Sohn von August dem Starken als Coselpalais wiederaufgebaut wird. Bis dahin verbringt Canaletto jedoch mehr als zehn Jahre in der sächsischen Elbstadt und dokumentiert die prachtvolle Architektur des Dresdner Barocks in insgesamt 14 teils weltbekannten Stadtansichten.
Diese Stadtveduten waren für Yadegar Asisi eine unschätzbar wertvolle Quelle und Ausgangspunkt für seine Wiederbelebung der barocken Stadt im Panorama DRESDEN IM BAROCK. Wirft man, auf dem Besucherturm im Panorama stehend, einen Blick zur zentralen Kuppel der Frauenkirche, entdeckt man mit kurzem Schwenk Richtung Elbufer gleich das Cäsarsche Haus, den Wohnort der Familie Canaletto. Der Venezianer ist wie immer nicht zu Hause, er ist in der Stadt unterwegs, auf der Suche nach einem neuen Motiv. Lässt man den Blick entlang dem Ufer der Elbe schweifen, sieht man ihn mit seinem Malerkollegen Johann Alexander Thiele auf der Festungsmauer der Bastion Sol. Dieser führte Canaletto in die Topographie des Ortes ein und wurde zum Dank selbst von ihm in seiner ersten DresdenVedute verewigt. Die Vorgehensweise des italienischen Meisters bei der Erstellung seiner Veduten kann man sich wie folgt vorstellen: Zunächst machte er sich auf die fortwährende Suche nach neuen Motiven und verschiedensten Ansichten eines Ortes. Mit Skizzenblock, Stift und wohl auch einer Camera Obscura wurden die Ansichten dann millimetergenau und perspektivtreu skizziert. Diese präzise Arbeit wurde erst durch die Nutzung der Lochkamera, einer damals üblichen Skizzierhilfe und Vorgängerin des Fotoapparats, möglich. Ein Blatt Papier auf einer Glasscheibe in einer dunklen Kammer mit kleinem Loch oder Sammellinse ermöglichte dem Zeichner, das betrachtete Objekt einfach im Maßstab zu kopieren. Die so entstandenen Skizzen und Vorzeichnungen wurden dann im Atelier zusammengetragen und auf die Leinwand übertragen. Canaletto beherrschte diese Technik meisterhaft und sorgte mit seinen genauen Darstellungen dafür, dass wir heute mithilfe weiterer Quellen, 3D-Modellen und Bildbearbeitung ein ziemlich exaktes Abbild dessen erschaffen können, was der junge italienische Maler noch mit eigenen Augen sehen konnte.
Wie das Panorama von Yadegar Asisi zeigt, sah Dresden um die Mitte des 18. Jahrhunderts noch um einiges anders aus, als wir es heute kennen. Die Stadt boomte seit der Krönung von August dem Starken zum König von Sachsen-Polen 1697. Mit der stetig wachsenden Einwohnerzahl und unzähligen Baumaßnahmen machte die nunmehr Hauptstadt des Königreichs ihrem Titel alle Ehre. Unter August dem Starken und seinem Nachfolger August III. wurde Dresden nach italienischem Vorbild ausgebaut. Denn Canaletto war nicht der einzige Import aus dem Land südlich der Alpen. In Dresden arbeiteten zahlreiche italienische Handwerker, Architekten, Maler und Künstler, um den Kurfürsten ihren Traum eines barocken Elbflorenz zu verwirklichen. Es waren so viele Zugezogene, dass für Canalettos Landsleute sogar ein eigenes kleines Viertel,
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das sogenannte Italienische Dörfchen, direkt am steilen Elbufer errichtet wurde. Diese Vielfalt und Geschäftigkeit lässt sich heute wohl nur noch erahnen – oder aber im Panorama entdecken. Der Trubel am Neumarkt, das Sprachgewirr in der Siedlung der Italiener, die zahlreichen Feste und sogar ein Feuerwerk über der Elbe – all das ist nicht nur zu sehen, sondern auch eindrucksvoll zu hören.
Dem Betrachter des Panoramas wird auch schnell klar, dass die Bemühungen der Kurfürsten wirklich erfolgreich waren. Durch das milde Klima im Elbtal und die schöne Lage der Wasserstraße, die mit ihren barocken Palästen nun wie ein überdimensionierter venezianischer Kanal aussieht, spürt man nicht nur das barocke Lebensgefühl der Prachtentfaltung, sondern wirklich auch einen Hauch mediterraner Lebensart. Kein Wunder, dass Canaletto sich hier wohl fühlte. Nichtsdestotrotz war er kein Freund des Müßiggangs, sondern als Maler neben seiner Präzision auch überaus produktiv. Das Elbufer so wie er es sah und in unzähligen Skizzen und mehreren Veduten festhielt, sehen wir so auch im Panorama. Wenn wir seine Bilder betrachten, fällt dem genauen Betrachter jedoch etwas auf. Egal ob man Szenen vom linken oder rechten Elbufer, auf dem Neumarkt oder am Zwinger beobachtet: Die meisten Bauten wirken eleganter und dezenter als ihre modernen Gegenstücke. Die Fassaden des Dresdner Barock erinnern im Original doch eher an die Spätrenaissance als an die Überfrachtung der später hinzugefügten Bauten und Anpassungen im Historismus des 19. Jahrhunderts.
Hiervon war jedoch zur Zeit Canalettos noch nichts zu ahnen. Die Stadt Dresden wuchs und wuchs, nicht nur durch Baumaßnahmen, auch die Bevölkerung nahm stetig zu. Während um Canalettos Geburtsjahr knapp 45.000 Menschen im sächsischen Elbflorenz wohnten, stieg die Einwohnerzahl kurz vor dem Siebenjährigen Krieg im Jahr 1755 auf über 63.000. Damit konnte man die Stadt durchaus als kleine Metropole bezeichnen, schließlich lag sie vor Städten wie Barcelona oder Antwerpen und nur kurz hinter dem eigentlichen, toskanischen Florenz.
Der Siebenjährige Krieg, der als erster wirklich globaler Krieg auch bald das Königreich Sachsen in Mitleidenschaft zog, machte der märchenhaften Entwicklung der Stadt jedoch schon bald ein Ende. Am 9. September 1756 besetzte die preußische Armee Dresden, König und Hofstaat flohen nach Warschau. So war auch für Canaletto eine neue Zeit angebrochen, denn durch den Weggang zahlreicher finanzstarker Mäzene und die Kriegswirren inmitten der Besetzung war seine Auftragslage alles andere als gut. Noch zwei Jahre hielt es ihn in der sächsischen Hauptstadt, bevor er zum Jahreswechsel 1758/1759 Dresden vorerst in Richtung Wien und München verließ. Seine Frau und die mittlerweile drei Kinder, von fünf in Dresden geborenen Töchtern überlebten nur zwei das Kleinkindalter, blieben in der Stadt und mussten im Sommer 1760 die Zerstörung ihres Hauses und eines Teils der Kunstwerke durch preußische Artillerie miterleben.
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Canaletto kehrte 1761 in die kriegsversehrte Stadt zurück, doch schon zwei Jahre später verstarben König August III. sowie der Graf von Brühl. Er verlor damit zwei seiner größten Mäzene und Fürsprecher sowie seine Stellung als Hofmaler. Infolgedessen wurde er zwar Professor für Perspektive an der neuen Dresdner Kunstakademie, jedoch wurde sein Gehalt auf 600 Taler gekürzt. Veduten waren nicht mehr gefragt, so verlegte sich der gebürtige Venezianer bald auf andere Darstellungsformen und malte überwiegend Architekturfantasien. Doch auch dies scheint für ein gesichertes Auskommen nicht mehr gereicht zu haben und Canaletto entschloss sich, Dresden endgültig zu verlassen und arbeitete seine letzten Lebensjahre bis zu seinem Tod 1780 am Warschauer Königshof.
Was von ihm bleibt sind die beeindruckend detailreichen Arbeiten seiner Dresdner Periode, die es uns heute ermöglichen, dem Lebensgefühl einer Epoche nachzuspüren und eine Stadtanlage zu betrachten, die ihresgleichen sucht. Die einzigartige Mischung aus maßvoller, reformatorischer Formgebung, italienischer Leichtigkeit und gleichzeitig barocker Opulenz machte das Dresden des 18. Jahrhunderts wohl zu einer der schönsten und lebenswertesten Städte Europas. Leider haben die Zerstörungen des Siebenjährigen Krieges und des Zweiten Weltkrieges, genauso wie die gnadenlose Umgestaltungswut des Historismus im heutigen Stadtbild ihre sehr deutlichen Spuren hinterlassen. Somit sehen wir den wahrhaftigen Glanz des barocken Dresdens heute nur noch in den Werken Canalettos sowie im asisi Panorama DRESDEN IM BAROCK.
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