Berichte aus dem Bühnenalltag
Hochbetrieb
Rastlos im Rampenlicht TEXT: JULIAN VON HANSEMANN mindestens ein halbes Jahr Zeit, um ein Theaterstück zu erarbeiten. Eine wirklich tiefergehende Beschäftigung mit der Materie sei ihm sonst kaum möglich. Gemessen an der Realität des deut schen Stadttheaters ist das natürlich eine nahezu utopische Vorstellung. Sechs bis acht Wochen von der Konzeptionsprobe bis zur Premiere, mehr Zeit haben Schauspielerinnen und Schauspie ler in aller Regel nicht, um einen Hamlet, eine Antigone, einen Faust darstellerisch zu erarbeiten. Das kann eine unglaubliche intellektuelle, körperliche und nicht zuletzt psychische Kraftanstren gung und ein beinahe wahnwitziges Arbeitstempo bedeuten. Nach der Abendprobe um 22 Uhr noch den Text zu lernen, der für die Probe am nächsten Morgen erwartet wird, gewaltige szeni sche Änderungen von der Hauptprobe am Donnerstag zur Generalprobe am Freitag umzuset zen, drei, vier verschiedene Vorstellungen in einer Woche zu spielen (parallel zu den laufenden Proben), sind keine seltenen Vorgänge. Als ich im vergangenen Jahr Premiere mit „Leonce und Lena“ hatte, hatte ich am Folgetag um 10 Uhr eine Übernahmeprobe für einen erkrankten Kolle gen. Der Abend, den ich zu übernehmen hatte, dauerte drei Stunden, ich musste in den letzten Probentagen für „Leonce“ also ganze Textberge auswendig lernen und mir ständig die Videoauf zeichnung der Aufführung ansehen, damit ich überhaupt eine Idee davon bekam, was ich da tun würde. Denn am Tag nach der Übernahmeprobe stand ich mit dem Stück schon vor Publikum auf der Bühne. Gleichzeitig kann es passieren, dass ich mit einer kleineren Rolle besetzt werde oder die Premiere des einen und der Probenbeginn des anderen Stücks ein paar Wochen auseinan derliegen – und dann ist plötzlich viel Zeit da. Drei, vier Wochen mit einer Handvoll Proben und Vorstellungen, fast Urlaub. Bevor dann wieder alle Kräfte gespannt werden, um wie ein Hundert meterläufer zu explodieren.
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Tempo
ulian von Hansemann, Absolvent der HfMDK (2018), ist seit der Spielzeit J 2017/ 2018 Ensemblemitglied am Staatstheater Mainz.
Illustration: Jan Buchczik
Schauspiel Ein befreundeter Regisseur hat einmal zu mir gesagt, er bräuchte eigentlich