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TECHNIK Fachwissen

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Praxistipps

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Variables Kompressionsverhältnis MEHR ODER WENIGER VERDICHTEN

Über das Verdichtungsverhältnis kann die Verbrennung bei Teillast beeinflusst werden. Der Kompromiss zwischen Teillastwirkungsgrad und (Volllast-) Klopfgrenze galt für die Motorenbauer seit jeher als spezielle Herausforderung. Deshalb kommt vielleicht jetzt die Zeit der VCR-Systeme. Text: Andreas Lerch | Bilder: Iwis, AVL, Lerch

Nicolaus August Otto erhielt 1877 vom Kaiserlichen Patentamt ein deutsches Patent für den Viertaktmotor. Gegenüber dem Gasmotor des Belgiers Jean-Joseph Étienne

Lenoir erhielt der Viertaktmotor einen

Verdichtungstakt. Da sich schon vor

Otto andere Erfinder mit dem Ver dichtungstakt beschäftigten (insbesondere der Franzose Alphonse Beau de Rochas) und die Idee patentieren liessen, wurde Otto das Patent 1886 wieder aberkannt. Diese juristische

Angelegenheit machte den neuen

Erfindern (in Deutschland vor allem

Benz und Daimler) den Weg frei,

Fahrzeuge mit «Otto»-Motoren, also

Viertaktmotoren zu bauen.

Verdichtungstakt

Auf der einen Seite kann der Ver dichtungstakt, der zwischen dem Ansaug- und dem Arbeitstakt liegt, durch reine Überlegungen begründet werden. Auf physikalischem Weg kann über das Verdichtungsverhältnis der thermische Wirkungsgrad eines Motors berechnet werden, und bei dieser Berechnung wird sofort deutlich, dass bei einem höheren Verdichtungsverhältnis der thermische Wirkungsgrad ansteigt. Gemäss Bild 2 erreicht der thermi sche Wirkungsgrad bei einem Verdichtungsverhältnis von 10: 1 theoretisch die 60-%-Grenze. Darüber wird die Linie ziemlich flach, und mehr als 14 bis 15: 1 verbessert den Wirkungsgrad nur noch um Zehntelprozente. Den Berechnungen liegen die folgenden Werte zugrunde: Der Ansaugdruck beträgt 0.9 bar absolut, der maximale Druck 80 bar, der Heizwert des Benzins 43 MJ/kg, Bild 1. Vom variablen Verdichtungsverhältnis wird schon seit Jahrzehnten gesprochen. Das System mit dem teleskopartigen Pleuel wurde von Iwis und der AVL zur Serienreife entwickelt.

der Luftbedarf 14.8 kg Luft auf 1 kg Treibstoff, der Lambdawert ist 1. Die spezifische Wärmekapazität beträgt 0.72 kJ/kg und der Isentropenexpo nent liegt bei 1.4. Als einzige Variable wurde das Verdichtungsverhältnis zwischen 2 und 20: 1 verändert.

Verdichtungsverhältnis und Teillastbetrieb

Problematisch wird der Wirkungs grad des Verbrennungsmotors, wenn im Teillastbetrieb der Füllungsgrad zusammenbricht. Die Drosselklappe behindert den Luftstrom, und der Kolben muss die Luft richtig in den Zylinder hineinsaugen (diese Arbeit gehört nicht zum thermischen Wir kungsgrad). In diesen Betriebspunkten verbessert ein festes Verdichtungsverhältnis den Wirkungsgrad kaum mehr, da der Überdruckbereich im Verdichtungstakt erst erreicht wird, wenn der Kolben z. B. den halben Hub schon hinter sich hat. Der Verdichtungsenddruck wird dann klein bleiben, das Gemisch wird im Zündzeitpunkt nicht allzu homogen sein und auch die Verbrennung kann nicht heiss und effizient werden. In diesen Betriebszuständen sollte das Verdichtungsverhältnis erhöht werden, damit die kleine Gemischmenge mit maximaler Effizienz verbrannt werden kann. Dazu wäre ein variables Kompressionsverhältnis förderlich. Es wird von Motorenentwicklern auch schon fast seit Beginn der Motorenforschung gewünscht, und verschiedenste Realisierungsmöglichkeiten sind bekannt:

Mitte der 1980er Jahre war ein Hype für diese Technologien. Mercedes-Benz stellte zusammen mit Mahle ein System mit einem teles kopartigen Kolben vor, Volkswagen baute einen Zündkerzensupport, welcher über ein Steilgewinde mit dem Zylinder verbunden war. Durch eine Zahnstange konnte der Zündkerzensupport gedreht und somit axial in den Brennraum hinein- oder aus ihm herausgeschraubt werden. Saab stellte 2000 am Genfer Automobilsalon einen kippbaren Zylinderkopf vor. In Frankreich arbeitet die Firma MCE5 seit Jahren an einem System, welches über einen zahnstangenbetätigten Hebel die Kolbenstange in der Länge verändern kann. Schliesslich brachte Infiniti 2018 das Multilinksystem auf den Markt. Leider hat sich die Marke aus Europa verabschiedet, und der interessante Motor ist wahrschein lich nur in bescheidener Anzahl auf unseren Strassen vertreten.

Variable Pleuelstangen

Wird die Pleuelstangenlänge oder genauer, wird das Stichmass der Pleuelstange von Mitte der Pleuellagerbohrung bis zur Mitte des Pleuelauges verlängert, werden die Pleuelstange und damit der Kolben und der Kolbenboden bei OT weiter in den Verbrennungsraum gestossen. Im UT wird sich hingegen der Kolbenboden auch weniger weit unten im Zylinder befinden. Das bedeutet, dass Hub und Hubraum gleich bleiben (ersterer ist abhängig vom Kurbelwellenradius, zweiter noch von der Bohrung), aber der Kolben trotz gleichbleibendem Hub

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bei OT weiter in den Brennraum eindringt und so das Gemisch mehr zusammendrückt.

Das heisst, dass eine längere Pleuelstange gleichzeitig ein höheres Verdichtungsverhältnis bedeutet. Wird also die Pleuelstangenlänge variabel gestaltet, kann damit das Verdichtungsverhältnis verändert werden.

Bild 3 zeigt die drei Möglichkeiten, um die Pleuelstangenlänge zu verändern: Im Bild 3a besitzt der Pleuel ein exzentrisches Kolbenbolzenauge, im Bild 3b ein exzentrisches Pleuellager auf der Kurbelwelle und im Bild 3c ist er teleskopisch gebaut.

Systemvergleich

Bevor jemand ein System von Grund auf neu konstruiert, untersucht er alle Varianten, welche grundsätzlich in Betracht gezogen werden. Eine derartige Untersuchung zu variablen Verdichtungen wurde vor bald 20 Jahren vom deutschen Entwicklungsdienstleister FEV veröffentlicht. Es wurden damals fünf Systeme untersucht. Von den drei im Bild 3 dargestellten Varianten war keine dabei.

Am Internationalen Wiener Motorensymposium 2014 wurde von Mercedes eine sehr aufwändige Untersuchung vorgestellt: Hier wurden sechs Systeme in mehr als 20 Eigenschaften bewertet. Eindeutiger Favorit war damals das Multilinksys tem, welches später von Infiniti zur Serienreife weiterentwickelt worden ist. Von den drei Pleuelstangensystemen wurden die beiden links in Bild 3 dargestellten Varianten untersucht, schnitten aber mit bescheidenen Resultaten ab.

Interessant ist, dass die FEV und der deutsche Zulieferer Hilite sich des Systems aus Bild 3a mit dem exzentrisch gelagerten Kolbenbolzenauge angenommen und dieses auch schon verschiedentlich vorgestellt haben.

Der österreichische Entwicklungszulieferer AVL und der durch die Ket

Pleuellagern. Damit liegt es nahe, die Umschaltung über diesen Öldruck zu steuern. Das ist wohl möglich, aber auch dieser Weg ist nicht ganz einfach. Für die AVL und Iwis war klar, dass es eine berührungslose Schaltung sein muss. (Das System mit dem exzentrisch gelagerten Pleuelauge wird ebenfalls hydraulisch gesteuert, dies aber mittels eines mechanisch betätigten Ventils im Pleuelfuss.) Die berührungslose Betätigung bringt den Vorteil des leichteren Nacheinbaus in bestehende Motoren. Die Bild 2. Der thermische Wirkungsgrad ist zu einem guten Teil vom Schwierigkeit liegt in der Information, Verdichtungsverhältnis abhängig. in welchem Moment der Pleuel von kurz nach lang umschalten muss, tenproduktion bekannte Zulieferant mobiltechnik viele mechanische und zudem wird es «nur» eine SchwarzIwis haben sich für die teleskopische hydraulische Steuerungen und ReWeiss-Lösung geben ohne schaltbare Pleuelstange entschieden und diese gelungen elektrifiziert und über SteuZwischenstufen. Variante zur Serienreife entwickelt. ergeräte programmiert. Auf diese Art Nach Aussagen des Bereichsleiters konnten äusserst komplexe Systeme Drucksteuerung VCR von Iwis, Dr. Kai Arens, sollte in den Fahrzeugen «problemlos» Der Trick der Schaltung liegt in einem das System im kommenden Jahr in realisiert werden. veränderbaren Öldruck. Dieser kann die Serienfertigung gehen. Wird ein VCR-System jedoch in über die normale Ölversorgung oder die Pleuelstange integriert, wird es über eine zweite Ölleitung zu den «Dual mode VCS» sehr schwierig, den Steuer- und/oder Pleuellagern geführt werden (10 Die Systeme mit variablen Verdich Arbeitsstrom dorthin zu bringen. in Bild 5). Erzeugt wird der höhere tungsverhältnissen werden gemeinDeshalb müssen die Systeme mit der Öldruck durch eine elektrische Ölhin mit VCR (= Variable Compression teleskopischen Pleuelstange – aber pumpe. Ratio) abgekürzt. Der teleskopartige auch die anderen Pleuelsysteme – auf Im Bild 5 sind die funktionalen Pleuel, welcher von Iwis in Zusammeneine andere Art gesteuert werden. Zusammenhänge vereinfacht dararbeit mit der AVL entwickelt worden Das heisst: entweder mechanisch, gestellt. In Wirklichkeit besteht der ist, nennt sich «Dual mode VCS», was hydraulisch oder pneumatisch. Das Schieberkolben aus einem vielleicht so viel heisst wie zweistufiges veränSchmiersystem fördert Motorenöl 2 mm Durchmesser messenden derbares Verdichtungsverhältnis (Dual unter Druck durch den Hauptölkanal Schieber (Bild 6). Drosseln und mode Variable Compression Ratio Syszu den Kurbelwellenhaupt- und Rückschlagventile werden in den tem). Die Pleuelstange teleskopisch zu bauen, scheint auf den ersten Blick noch einigermassen gut realisierbar. Die Kräfte, welche dort wirken, sind aber erstens sehr gross und zweitens wirken sie nicht nur geradlinig auf den Pleuel; es werden auch Biege- und Knickkräfte auftreten, und die sind gefährlich für die ineinandergleitenden Teile. Bauteilfestigkeit ist ein Thema des klassischen Maschinenbaus und dieses Problem kann mit entsprechenden Fertigungstechniken und den richtigen Materialien gelöst werden.

Viel schwieriger scheint die Steuerung zu werden. In den letzten Bild 3. Mit dem Pleuel sind drei Arten von VCR realisierbar. Doch verlangen Jahrzehnten wurden in der Autoalle drei nach einer ausgeklügelten Steuerung.

Bild 4. Ein geschnittener teleskopischer Pleuel aus der Prototypenfertigung von Iwis.

mit Torxschrauben verschlossenen Bohrungen über dem grossen Pleuelauge untergebracht. So soll die Zeichnung in Bild 5 als Prinzip darstellung gesehen werden.

Ist der Öldruck am Schieberkolben klein (ungefähr 1.5 bar), drückt die Federkraft den Schieberkolben an den linken Anschlag. Damit verschliesst dieser den Rücklauf für die untere Druckkammer (4), und das Schmiersystem hält über das rechte Rückschlagventil und die

entsprechende Leitung den unteren Druckraum mit Öl gefüllt. Der Öldruck wird nicht ausreichen, um den Pleuelaugenteil mit dem Kolben an den oberen Anschlag zu pressen. Dafür sorgen die Massenkräfte beim nächsten Abbremsen des Kolbens vor OT. In diesem Moment will der Kolben «weiterfliegen» und wird vom Kurbeltrieb abgebremst. Somit zieht er den Teleskoppleuel ausei nander. Sofort nach OT versuchen die Massenkräfte und allenfalls

Bild 5. Schematische Darstellung des teleskopischen Pleuels.: 1 Pleuel – 2 federbelastete Rückschlagventile – 3 Dichtungskolben – 4 unterer Druckraum – 5 oberer Druckraum – 6 Differenzlänge des Pleuels – 7 Pleuelaugenteil – 8 Distanzkolben – 9 Schieberkolben mit Druckfeder – 10 Pleuelzapfen der Kurbelwelle. der Verbrennungsdruck, den Pleuel wieder zusammenzudrücken. Das geht aber nicht, weil der Schieberkolben und das Rückschlagventil die Leitungen versperren. Somit ist der lange Pleuel definiert und das grosse Kompressionsverhältnis eingestellt.

Beim Umschalten wird der Motoröldruck durch eine elektrisch betätigte Ölpumpe erhöht und eventuell durch eine zweite Ölgalerie und eine zweite Kurbelwellenbohrung dem Pleuelschaltventil zugeführt. Liegen im Bereich des Schieberkolbens ungefähr 5.5 bar an, wird der Schieberkolben an den rechten Anschlag gepresst und verschliesst damit den Rücklauf für die obere Druckkammer. Somit kann spätestens beim nächsten Arbeitstakt der Kolben den Pleuel zusammendrücken und damit den kurzen Pleuel oder das kleine Verdichtungsverhältnis herstellen.

Damit sich der Pleuelaugenteil und der Hauptteil des Pleuels nicht verdrehen, ist eine mechanische Ver drehsicherung vorgesehen, welche als Schraubensicherung in den axial beweglichen Teil des Pleuelaugenteils eingreifen kann.

Der Druckabdichtung muss ein besonderes Augenmerk gewidmet werden. Es ist nicht damit getan, die 5 oder 6 bar abzudichten. Wenn oben auf den Kolben mehrere tausend Newton Verbrennungskraft wirken, muss das kraftübertragende Ölkissen diesen Kräften bzw. Drücken standhalten und die Dichtungen müssen das System leckfrei halten.

Daneben ist der Steuer- oder Umschaltdruck sehr feinfühlig einzustellen. Bei kaltem Öl werden bereits bei kleinen Drehzahlen hohe Öldrücke aufgebaut, und das möchte man ja nicht, da hohe Drücke ein kleines Verdichtungsverhältnis bedeuten.

Es wird spannend sein, zu beobachten, ob eine – und wenn ja, welche – Marke im nächsten Jahr den Schritt zum «Dual mode VCS» wagt oder ob Infiniti auch weiterhin den einzigen Einsatz eines VCR-Systems für sich beanspruchen kann.

Bild 6. Das Schieberventil wird von der Seite in den Pleuel geschraubt.

FRAGEN 1. Warum sollte das Verdichtungsverhältnis bei Teillastbetrieb gross sein?

2. Warum sollte das Verdichtungsverhältnis bei Volllastbetrieb klein sein?

3. Zählen Sie fünf Varianten auf, wie ein VCR-System gefertigt werden könnte.

LÖSUNG ZUR AUSGABE 5/2020 1. Zwei – eine in Hunzenschwil und eine in Dübendorf (Empa).

2. Zur Anode

3. Sonst würde die Kathodenreaktion nicht funktionieren.

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