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Zukunft: Was uns morgen antreibt
FOKUS Was uns morgen antreibt
Die Pandemie hat die Neuzulassungen einbrechen lassen, nur Elektroautos feierten im Krisenjahr 2020 starke Zuwächse. Die Abkehr vom Verbrennungsmotor hat die Mobilitätsdebatte drastisch erhitzt. Die Frage, womit wir morgen fahren, ist umstritten wie nie.
Von Mag. Bernhard Katzinger
Erfreulicherweise sei der allgemeine Elektrohype vorbei, konstatierte Univ.-Prof. Dr. Hans Peter Lenz, seines Zeichens Vorsitzender des Österreichischen Vereins für Kraftfahrzeugtechnik (ÖVK). Entnommen ist dieses Zitat aus der Vorberichterstattung der AUTO&Wirtschaft zum Motorensymposium 2013. Der Verbrenner entwickle sich schneller weiter als die E-Mobilität, so Lenz. Gute Nachrichten für die in der Hofburg versammelten Maschinenbauer also. Der ÖVK ist Veranstalter und Organisator dieser Fachenquete von unbestrittenem internationalen Renommee, Professor Lenz ist bis heute Ehrenvorsitzender. Sein Nachfolger ist Univ.-Prof. Dr. Bernhard Geringer, der für das 42. Motorensymposium 2021 allerdings feststellen musste: „Das Thema Fahrzeugweiterentwicklung sowie Forschung und Entwicklung für die Produktion ist massiv vom Thema Klimawandel und Treibhausproblematik geprägt.“ Im Fokus des Symposiums stünden alternative Antriebstechnik wie Strom oder Wasserstoff: Letzterer werde weiterhin als Brennstoffzellenantrieb diskutiert, erlebe aber auch ein Revival als Brennstoff im Verbrennungsmotor.
Klimawandel und Treibhausproblematik geprägt.“
Univ. Prof. Dr. Bernhard Geringer, TU Wien
Werden Verbrennungsmotoren bald verboten? Lesen Sie mehr auf Seite 46
Währenddessen legt die Elektromobilität weltweit an Wachstumsgeschwindigkeit zu. Auch wenn die Zulassungsstatistiken in den meisten Ländern nach wie vor von Benziner und Diesel angeführt werden, hat das E-Auto (BEV) derzeit unzweifelhaft das Momentum auf seiner Seite.
Die Stromer haben das Momentum
Im Elektro-Vorreiterland Norwegen waren 2020 über 54 Prozent der Neuzulassungen rein elektrisch (Plug-in-Hybride machten zusätzliche 20 Prozent aus), bis 2025 sollen dort nur noch Elektrifi zierte zugelassen werden. Im Dezember waren über zwei Drittel der norwegischen Neuzulassungen reine BEVs, meldet das Portal CleanTechnica. Deutschland, Heimat von (Rudolf) Diesel und (Carl) Benz, ist nach Stückzahlen zu Europas größtem Absatzmarkt für E- Fahrzeuge geworden, wie das Center of Automotive Management (CAM) anmerkt. Der CEO von Volkswagen bietet schon einmal dem deutschen Verkehrsminister die Stirn, wenn dieser Technologieoffenheit bei den Antrieben einmahnt. In einer Prognose aus dem Frühjahr 2021 geht Prof. Dr. Stefan Bratzel, Leiter des CAM, davon aus, dass die jährlichen Neuzulassungen von E-Fahrzeugen in Deutschland bis 2025 auf 900.000 Stück und somit ca. 27 Prozent steigen werden. „Deutschland ist im 1. Quartal 2021 nach China der zweitgrößte Einzelmarkt der Elektromobilität und kann damit zunehmend eine Schrittmacherfunktion für die neue Antriebsform entwickeln“, so Bratzel, der im selben Atemzug den hohen Anteil der Plug-in-Hybride kritisiert, welche nur bei bestimmten Fahrprofi len ökologisch sinnvoll seien.
Gegenentwürfe in Stellung
Es nimmt wenig Wunder, dass im Kielwasser dieser Entwicklungen die „Alternativen zu den Alternativen“ geradezu hastig ins Spiel gebracht werden. Die heißeste Aktie der Mobilitätsdebatte sind in diesem Frühjahr die E-Fuels: Flüssigtreibstoffe, die in aufwändigen Verfahren aus Wasser und Ökostrom hergestellt werden sollen, und dank derer man an den Motoren und den ihnen anhängigen Geschäftsmodellen nichts (oder nur wenig) zu verändern bräuchte. Porsche kündigt eine Anlage in Chile an, in der schon 2026 etwa 550 Millionen Liter solcher E-Fuels hergestellt werden sollen. Bei AVL List in Graz geht man davon aus, dass unter günstigsten Bedingungen Produktionskosten von 1 Euro pro Liter möglich sind. Das Preisniveau von fossilen Treibstoffen, künftige Verteuerungen einkalkuliert, sei erreichbar. Die Hauptargumente der Befürworter: Mit Elektromobilität allein sind die Klimaziele nicht zu schaffen. Die Lösung lautet, den Verbrennerbestand zu dekarbonisieren. Die Gegner vermuten eine bloße Durchhal-
„Deutschland ist bei der E-Mobilität im 1. Quartal 2021 der zweitgrößte Einzelmarkt nach China.“
Prof. Dr. Stefan Bratzel, CAM
teparole an die Verbrennerfahrer als Bremskeil gegen die alles niederwalzende Elektrifi zierung. Auf beiden Seiten freundlicher diskutiert werden mögliche Anwendungen von „grünem“, also aus Ökostrom hergestelltem Wasserstoff. Wie die E-Fuels soll dieser in heißen Ländern mit Sonnenenergie durch Elektrolyse aus Wasser hergestellt und dann ganz „old school“ per Pipeline oder Tanker in den reichen Norden gebracht werden, wo der Strom aus erneuerbaren Quellen für die Herstellung von grünem Wasserstoff schwieriger und in geringerer Menge zu ernten ist. Dies scheint so reizvoll, dass beim heurigen Motorensymposium sogar die Anwendung des Wasser stoffVerbrennungsmotors eine Art Wiederauferstehung feierte – zumindest in schweren Nutzfahrzeugen. Zwar brauche ein Wasserstoffmotor ein Abgasnachbehandlungssystem, dieses sei jedoch weniger kompliziert als bei Dieselmotoren und darüber hinaus entstehe beim Verbrennungsprozess von Wasserstoff nur eine geringe Mengen an Stickoxiden sowie ein winziger Ausstoß an Partikeln durch das Motoröl. An gleicher Stelle – einer APA-Aussendung vom Symposium 2021 – wird allerdings zugestanden, dass sich im Pkw-Bereich der batterieelektrische Antrieb „als optimale Lösung für einen lokal emissionsfreien Betrieb vorerst durchgesetzt“ habe.
Vom Streit- zum Beratungsgespräch
Was ganz nach dem oft geforderten offenen Wettbewerb der Technologien klingt, bedeutet am Point of Sale nicht zuletzt gestiegenen Erklärungsbedarf. So betonte Hansjörg Mayr, Vorstand der Denzel Auto AG, beim 1. Denzel-Mobilitätsforum, dass dem Kunden im Autohaus derzeit bis zu 7 Technologien (Benziner, Diesel, diverse Hybridvarianten, Erdgas, Elektro) angeboten werden und entsprechende Beratung erfordern. Gleichzeitig will man sich beim
Univ.-Prof. Dr. Bernhard Geringer
Prof. Dr. Stefan Bratzel
Autohandelskonzern nicht in eine „Schwarzweißdebatte“ verwickeln lassen. Alle Antriebe hätten je nach Mobilitätsanforderung ihre Berechtigung, die Nachhaltigkeit der Mobilität sei in der Marken-DNA bei Denzel verankert. Mayr: „Der technologieoffene Ansatz ist für uns die einzige konsequente und schnelle Lösung für möglichst viele Autofahrer und deren Budgetsituation.“ Doch mit der Formel „Das Beste für jeden einzelnen Kunden“ lässt sich die Debatte nicht beruhigen; im Gegenteil herrscht mehr denn je wütender Streit darüber, welche Lösung denn nun am geeignetsten sei, dem Klimawandel Einhalt zu gebieten. Viele, die grünem Wasserstoff im Gesamtkontext der Energiewende eine wichtige Rolle zubilligen, bestreiten, dass er für den Pkw-Verkehr die beste Lösung ist. Und während noch diskutiert wird, werden auch für den Schwerverkehr mehr und mehr batterie elektrische Lösungen auf die Straße gebracht.
Der Streit ums Binkerl
Darüber hinaus wird auch die dem BEV gegenüber schlechtere Energieeffi zienz des Brennstoffzellen- Pkw (FCEV) ins Treffen geführt. Das österreichische Umweltbundesamt (UBA) stellt in einer Umweltbilanz-Analyse für 2021 klar, dass BEVs doppelt so effi zient seien wie FCEVs, wenngleich sich die Systeme in der Treibhausgasbilanz ebenbürtig seien. Dem breiten Einsatz von E-Fuels erteilt man eine kategorische
„Der technologieoffene Ansatz ist für uns die einzige und konsequente Lösung für die Autofahrer.“
Hansjörg Mayr, Denzel AG
Absage, deren Wirkungsgrad sei noch deutlich schlechter. Allerdings rümpfen die Auto ren auch über leistungsstarke E-Fahrzeuge mit großen Batterien die Nase: Man empfehle im Rahmen des Einsatzes von BEVs, vergleichsweise kleine Fahrzeuge mit geringen Akkukapazitäten einzusetzen, um Treibhausgasemissionen zu reduzieren. Denn aus dem Aspekt des Klimaschutzes bleibt die äußerst energieaufwändige Produktion der Akkus die Achillesferse der Stromer. Zwar haben viele Horrorzahlen aus älteren Studien wie der mittlerweile beinahe berüchtigten „ersten Schwedenstudie“ sich als falsch herausgestellt oder durch Weiterentwicklungen in der Produktion verbessert, dennoch fallen laut UBA pro kWh Kapazität je nach Strommix noch immer zwischen 48,8 und 95 kg CO2 an. Auch den diversen Hybrid-Varianten stellt das Amt kein gutes Zeugnis aus (siehe Grafik oben). Die Treibhausgasemissionen aus der Akkuproduktion bilden einen Teil des vielzitierten CO2-Rucksacks, den ein Elektroauto erst wettzumachen hat, ehe es als klima- oder umweltfreundlich gelten darf. Mit der Berechnung dieses Binkerls wird gern in alle Richtungen argumentiert, je nachdem wer gerade den Rechenstift gezückt hat. So schnallen Präsentatoren von Lebenszyklusanalysen dem „durchschnittlichen E-Auto“ im Vergleich zum „modernen Diesel“ CO2-Rucksäcke zwischen ca. 35.000 (UBA) und knapp 200.000 (Ifo-Institut) Kilometern auf den Rücken. Auf Schlagzeile eingedampft, werden Konsumenten dann „informiert“, wie folgt: „E-Auto- Batterie: Viel mehr CO2 als gedacht“ (WELT, 2017). Die Gegenseite widerlegt: „Ifo-Institut rechnete Elektroautos schlecht: Das sind die Fehler der Forscher“ (Focus, 2019). So gut die Grundidee sein mag, die lebenslangen Emissionen der verschiedenen Antriebe „von der Wiege bis zur Bahre“ inklusive der Energiebereitstellung für den Betrieb miteinander vergleichbar zu machen: Man eröffnet damit eine komplizierte Rechnung mit vielen Parametern, welche bei ähnlicher Ausgangslage völlig gegensätzliche Ergebnisse produziert. Was der Endkunde wohl daraus für Schlüsse zieht? Nicht zuletzt vermutlich den, dass es noch einigen Bedarf an nüchternen, sachlichen Beiträgen zur Debatte um die Mobilität der Zukunft gibt. •