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Dahinter immer noch etwas anderes

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Dahinter immer noch etwas anderes Ein Gespräch über Singularity mit dem Regisseur Nicolas Brieger

MK Titel und Untertitel der neuen Oper von Miroslav Srnka und Tom Holloway werfen drei Begriffe in den Raum, die zu Fragen einladen: Singularity, Space Opera und Young Voices. Die technologische Singularität wird als Konzept in der Zukunftsforschung viel diskutiert. Ist sie eher eine Utopie oder eine Schreckensvision? NB Sie ist weder das eine noch das andere, weil wir über ihren Charakter mit unserem jetzigen Wissen nur mutmaßen können. Was Transhumanismus sein kann oder wird und in welcher Form die Menschen beteiligt oder nicht beteiligt sein werden, können wir nicht wissen. Es werden Dinge erfunden werden, die – wie Goethe gesagt hat – ein Eigenleben haben. Wenn die einmal aus der Flasche sind, sind sie da. Die Bezeichnung „Space Opera“ dagegen würde ich in Anführungsstriche setzen. Miroslav Srnka hat keine Fiktion komponiert, sondern Versatzstücke aus bereits aktuellen Themen wie Big Data, diversen Kommunikationskanälen und dem Feld technologischer Entwicklungsmöglichkeiten, die kurz davor sind, Realität zu werden. Die Nanotechnologie steht bereits in der Tür; das werden wir noch dieses Jahrzehnt beispielsweise bei der Krebsbekämpfung erleben, und Ray Kurzweil prophezeit, bis 2045 werde der Mensch die Künstliche Intelligenz so weiterentwickelt haben, dass Maschinen keine Programmierung mehr benötigen, weil sie sich selbst optimieren, bis sie die Singularität erreichen. Spannend ist, wie das im Theater oder der Oper thematisiert wird; Stücke zu dem Thema schießen gerade fast wie Pilze aus dem Boden. Mir kommt das ein bisschen vor wie die Wissensexplosion in der Renaissance, einer Zeitenwende, zu der Künstler etwas Neues ausprobiert haben und Musiker wie Claudio Monteverdi jenes Musikgenre erfunden haben, das wir heute Oper nennen. Bei einer Uraufführung wie der von Singularity geht es weniger um eine Interpretation als darum, wie der Stoff optimal realisiert wird. Der Plot ist im Grunde verhältnismäßig simpel. Es ist die berühmte Dreierkombination: Geh zu dritt auf eine Reise, und du wirst den Krach erleben. Denn zwei gegen einen führt immer zu Fraktionierung. Es ist von den Autoren geschickt angelegt, dass wir zuerst ein gewissermaßen normales Paar sehen, das in den in der Oper klassischen Ehepaar-Stimmlagen Sopran und Bariton besetzt ist. Dann wird dieses Paar durch einen Programmierfehler getrennt, und eine komplett neue Konstellation entsteht – in diesem Fall eben nicht in einem Café, sondern in einem Space-Spa. Das ist schon raffiniert, weil es mit dem Instrumentarium und dem Personal der Oper spielerisch umgeht. Damit sind wir beim dritten Punkt: junge Stimmen. Die Art und Weise, wie diese jungen Sängerinnen und Sänger mit den musikalischen Schwierigkeiten umgehen, mit den vielen Details und Rhythmusverschiebungen, ist wirklich

beglückend. Im Grunde werden hier die Grenzen zwischen Schauspiel und Oper aufgehoben, womit wir wieder bei Monteverdi sind. Ich glaube, dass wir gerade das 19. Jahrhundert abstreifen und in einen neuen Sektor von Oper vorstoßen, wo sich die Narrative auflösen, die uns die Romantik aufgedrückt hat – ihr Personal mit feststehenden gesellschaftlichen Formierungen, Ehe, Kirche und so weiter. Diesen spannenden und spielerisch schönen Vorgang offeriert uns diese kleine große Oper. Sie nutzt bekannte Strukturen, beleuchtet sie neu und wirbelt sie auseinander. MK Es war das erklärte Ziel von Miroslav Srnka und Tom Holloway, eine Komödie zu schreiben. Was für komödiantische Mittel benutzt die Oper? NB Miroslav Srnka schildert Menschen in einer bestimmten Situation der Zukunft, und das auf eine zum Teil sehr komische Weise. Alles, was mit Kommunikation zu tun hat, ist immer mit der Gefahr des Missverständnisses behaftet. Verständnis und Missverständnis: Aus dieser Doublette ergeben sich die lustigsten Kombinationen und Unfälle. Es ist – zum Glück! – keine Komödie im Sinne des Boulevardtheaters mit viel Text und Geplapper. In dem Sinne gibt es keinen Dialog mehr. Das Ganze sind nur Splitter. Aber auf eine andere Weise als in der klassischen Oper, wo die Musik den leeren Raum zwischen den Charakter- und Wortsplittern auffüllt. Hier ist die Musik ein Dialogpartner. Sie untermalt nicht nur und ist auch nicht bloß das Gebäude, in dem sich die Charaktere mit ihren Worten ausbreiten. Es ist alles eigenständig. Und diese Splitter fügen sich fast puzzleartig zusammen. Im Zusammenhang funktioniert das verblüffend gut, sowohl die Komik als auch die Stellen, an denen die Charaktere von ihrem Innenleben erzählen und uns plötzlich berühren: Es geht um das alte Thema der Sehnsucht, jemanden zu haben, den man liebt und von dem man wiedergeliebt wird. MK Im Personenverzeichnis liest man keine Namen, sondern nur Buchstaben. Wie werden aus diesen Kürzeln griffige Figuren oder Menschen? NB Klassischerweise spricht man ja von Sängerdarstellern, die das, was sie singen, gut verkörpern können. Aber hier braucht man Schauspieler und Sänger. In einer Oper zu spielen wird oft für einfacher angesehen als im Sprechtheater, weil Sänger nie so tief fallen könnten wie Schauspieler: Sie haben immer das Sicherheitsnetz der Musik. Das trifft hier überhaupt nicht zu. Die Sänger müssen als Charaktere agieren und diese in jeder Situation neu beleben, a cappella oder im Dialog mit dem nicht illustrierenden Instrumentalpart. Wenn man wirklich den Augenblick erlebt, wird es ganz reich, weil jeder der Charaktere eine Geschichte hat. So leicht die Story daherkommt und thematisch keine große Bedeutung behauptet – es ist eine neue Form von Oper. Damit meine ich nicht in erster Linie den Prozess der Klangerzeugung, sondern die Art und Weise des Nebeneinanders verschiedener erzählerischer Elemente. Dazu

kommt, dass das Ensemble aus acht gleich wichtigen Sängerinnen und Sängern besteht. Daraus ist etwas, wie ich finde, Neues entstanden. MK Das Stück arbeitet mit einer Dopplung der Figuren: Es gibt reale Menschen und deren digitale Stimmen. Wie zeigt man das auf der Bühne? NB Das war die große Herausforderung. Dass es dank Nanotechnologie demnächst solche Implantate gibt und man keine Maschine mehr braucht, auf die man tippt, sondern einfach den Impuls denkt, und die Nachricht wird gesendet, kann man sich vorstellen; es ist fast schon real und nicht nur Science-Fiction. In Filmen und Serien ist das schon lange ein Thema. Aber wie macht man auf der Bühne deutlich, dass es in ein und demselben Menschen eine analoge und eine digitale Ebene gibt? Lösungen, die mit den heute üblichen LED-Impulsen arbeiten, sind theatral eher uninteressant. Wir stellen den Sängern der vier Menschen ihre digitalen Doppelgänger als Schatten zur Seite, die auch miteinander kommunizieren. Das ist im Theatersinne viel lebendiger und sinnlicher. Die digitalen Stimmen als Emojis zu gestalten, wäre wahrscheinlich ziemlich langweilig geworden, denn stell dir vor, die hätten immer nur das eine Gesicht. Und Emojis machen die Kommunikation auch nicht wirklich einfacher. Man kann sich nur besser verstecken und braucht keinen Ausdruck mehr zu finden. MK Sonst müsste man in der Lage sein, die Ironie nachvollziehbar auszudrücken. Ein Emoji ist schnell hinterhergeschickt, um zu zeigen, dass etwas nicht so ernst gemeint war. NB Ich bin ein überzeugter Gegner von Ironie in dem Sinne, wie sie heute gebraucht wird. Es ist etwas anderes, wenn Ironie aus der Dekadenz herrührt, als wenn sie aus Feigheit kommt. Die Ironie der Dandys wie Oscar Wilde entstammt einer ganz anderen Kultur: Diese hat sich die Welt durch bewusste Überschreibung und eine Art von Hochmut im Bewusstsein des Todes verfügbar gemacht. Ironie heute ist nur Faulheit oder die Angst davor, etwas nicht richtig ausdrücken zu können, und die sich deshalb von vornherein vor der Anstrengung drückt. Für ein wirkliches Gespräch braucht es das Ringen um den richtigen Ausdruck und die Anstrengung, einander zu verstehen, indem man nicht nur seinen Monolog führt, sondern auch vom Anderen etwas empfängt. Debatten und Gespräche, wie sie in Salons wie dem von Rahel Varnhagen im 19. Jahrhundert stattfanden, sind Beispiele auch für die Kunst des Zuhörens, einer Kultur, die verschwindet. Ich glaube ganz tief, dass wir nur überleben können und überleben werden, wenn wir das Digitale für das Analoge zu nutzen lernen und nicht umgekehrt. MK Die elektronischen Kommunikationsmittel bieten uns jedenfalls immer mehr Möglichkeiten, einander misszuverstehen. Geht es in Singularity in diesem Sinne um den menschlichen Impuls, sich auszutauschen und miteinander in Kontakt zu kommen? NB Es gibt keine eigentliche Botschaft. Das zeichnet das Stück auch aus. Die

Singularität endet wieder im Streit. Nicht mal in der totalen Auflösung gibt es Ruhe. Es ist eine seriöse Frage, ob der Mensch die Maschine weiterentwickeln und kontrollieren kann und soll, oder ob er sie besser abgibt, sich selbst überlässt, weil sie intelligenter ist als er und sich selbst kontrolliert. Man kann davon ausgehen, dass die Maschine von sich aus keine böse Absicht haben kann, wenn sie nicht mehr vom Menschen programmiert wird. Wenn sie sich selbst optimiert, versucht die Maschine nur, zwischen dem Guten und dem noch Besseren zu unterscheiden. Die Maschine kann von sich aus nichts Schlechteres wünschen. Wenn es zur Singularität kommt, der Selbstoptimierung der Maschinen, stellt sich die Frage, ob das wirklich von Nachteil ist. Auf der anderen Seite ist die Möglichkeit für den Menschen, mit den Maschinen Unheil anzurichten, immens. Gleichzeitig kann ich mir Menschsein ohne Risiko nicht vorstellen. Ich kann mir nicht vorstellen, in einem Zustand zu leben, in dem mir alles abgenommen wird und ich nur noch ein Teil der Maschine bin; wo man nur noch sein bisschen Hirn behält, das aber viel schwächer ist als die Maschine. Vielleicht tut einem die Maschine nichts, und vielleicht kann man die auch vögeln. Aber ich glaube nicht, dass das lebenswert ist. MK Die Oper war schon vor über einem Jahr fertig entworfen. Dann ist auf einmal das Thema Quarantäne und Isolation auf bizarre Art konkret geworden. Hat das den inhaltlichen Zugriff verändert? NB Die Pandemie hat eigentlich überhaupt keinen Einfluss gehabt. Aber mich interessieren gerade in der Kunst besonders Umbruchzeiten wie die der Renaissance. Was machte eine solche Situation mit den Menschen: die Entdeckung des Individuums, des Einzelnen, damit auch der Eigenverantwortung, und alles, was sich daran gesellschaftlich angeschlossen hat? Es ging bei der Idee der Terra incognita damals um eine Weltbetrachtung in mehrfacher Hinsicht: nicht nur um die Entdeckung der anderen Seite des Erdballs, sondern auch die der unbekannten Welt in uns selbst. Klassisches Beispiel ist Hamlet, der sich öffentlich anders verhält, als wenn er alleine seine Monologe spricht. Die Renaissance hat die Trennung des Menschen in eine öffentliche und eine private Person entdeckt. Das 19. Jahrhundert hat sich ganz ins Innere zurückgezogen, mit allem, was sich da an Wolfsschluchten auftut. Obwohl wir uns gerade in einer riesigen technologischen Revolution befinden, frage ich mich, ob wir uns nicht als Individuum wieder in die seltsame mittelalterliche Form der Oberfläche zurückverwandeln. Das Innere und Äußere ist kein Widerspruch mehr, wir sind, wie es heutzutage so oft proklamiert wird, transparent. Wir sind alle öffentliche Menschen geworden. Und der öffentliche Mensch ist zweidimensional, denn er kann nur seine

Oberfläche zeigen; dabei verkümmert das Andere, das Unbekannte. Wir haben nun wieder eine Entwicklung wie im Mittelalter, wo alles nach außen gestellte Oberflächen sind. Im Mittelalter hat man emblematisch gemalt: Der Fürst ist oben, der Knecht unten, da gibt es nichts zu rätseln. Aber als Giotto im Übergang zur Renaissance den Kindermord zu Bethlehem malt, benutzt er auf einmal Perspektive. Damit kommt Empathie ins Spiel. Das greift das veränderte Menschenbild auf, zeichnet eine neue Rolle für den Menschen in der Gesellschaft, wie es die Aufklärung dann philosophisch zu fassen versucht hat. In Singularity sind diese Rudimente von den Individuen noch da und bleiben, selbst wenn sie letztlich zermalmt werden, trotzdem als Erinnerung vorhanden. MK Die Zukunft scheint fast mehr der Hintergrund zu sein, vor dem sich eine ganz realistische Suche nach dem eigenen Platz in der Welt abspielt. Da durchschreiten T, M und B Lernkurven, die wir ganz konkret mitverfolgen. Wie erzählt die Inszenierung durch den Einsatz von Raum und Video das Nebeneinander von digitaler und analoger Welt? NB Wir – der Bühnenbildner Raimund Bauer, die Kostümbildnerin Andrea SchmidtFutterer und ich – haben versucht, etwas von der Faszination des Unbekannten zu retten. Bei allen Überlegungen zu Raum und Zeit faszinieren mich die schwarzen Löcher und die Wurmlöcher. Die sogenannte Einstein-Rosen-Brücke beschreibt die Möglichkeit, dass sich, würde man in ein schwarzes Loch geraten, ein Tunnel bildet, der von einer Galaxie in eine andere führt. Man kann wie ein Wurm in einem Apfel von der einen Seite auf die andere gelangen. Wir können ja Unendlichkeit nicht denken, aber der Begriff Brücke suggeriert, man könnte da drüber gehen. Es gibt Versuche, das, woran sich die Physiker angenähert haben, bildhaft zu fassen. Aus diesen Darstellungen der Wurmlöcher ist der Raum entstanden, der aus vielen schwarzen Punkten besteht. Schwarze Löcher haben etwas Üppiges an sich. Sie regen die Fantasie an, dass es dahinter noch mehr gibt. Dieser Raum steht im Kontrast zum CuvilliésTheater, das mit seiner rokokohaften Pracht im Grunde geheimnislos dasteht, gleichzeitig aber unendlich viel über Handwerkskunst erzählt, über den Wahnsinn von Menschen, die nicht aufhören, an ihren Werken zu arbeiten, sich nicht zufriedengeben, sondern immer weiter ins Detail gehen. Dieser Trieb hat etwas mit den schwarzen Löchern zu tun. Für eine nachgebaute Raumstation auf der Theaterbühne schien es uns dagegen schon genug Beispiele zu geben, von Stanley Kubrick über Andrej Tarkowskis Solaris bis zu den Serien mit ihren billigen Fernsehraumstationen. Das Cuvilliés-Theater hat durch seine Geschichte eine Aura: schon allein durch die Tatsachen, dass im Zweiten Weltkrieg alles abgebaut, versteckt und anschließend an anderer Stelle wiederaufgebaut wurde.

Mit den schwarzen Löchern verhält es sich ähnlich. Wir hoffen, dass sich zusammen mit dem Video eine Welt bildet, in der sich die Räume bildhaft erweitern: Einerseits ist es ein geschlossener Raum, andererseits ist hinter dem geschlossenen Raum immer noch etwas anderes.

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