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Die Scham der Singularität
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Die Scham der Singularität Von Anspruch und Realitäten in der vernetzten Moderne
Der Begriff der Singularität und des Singulären kann vieles umfassen. Er kann wie in der Oper Singularity im Sinne des KI-Forschers Ray Kurzweil auf das ganze Universum ausgreifen, oder er kann sich wie im Falle eines schwarzen Lochs auf einen unendlich kleinen Punkt konzentrieren. Eine Singularität kann etwas besonders Herausragendes ebenso sein wie ein absolutes Nichts.
1. Über die Welt, in der Miroslav Srnkas und Tom Holloways „Space Opera for Young Voices“ spielt, erfahren wir schon in der ersten Szene, dass sie große Sprünge an technischer Entwicklung hinter sich hat: Unsere Galaxie scheint zum Teil kolonisiert, die Menschen kommunizieren über Neuroschnittstellen direkt von Gehirn zu Gehirn, Therapien mit Dunkler Materie versprechen ewige Jugend, und selbst eine Künstliche Intelligenz, die nur noch als digitaler Wegweiser in einer Wellness-Raumstation dient, verfügt über ein eigenes Bewusstsein. Was wir als Zuschauer aber vor allem beobachten, sind oft peinliche Momente scheiternder Kommunikation. Menschen, die sich nicht miteinander aussprechen können, die lügen oder schweigen, um nicht ihre eigenen Fehler eingestehen zu müssen. Ein zentrales Moment in dieser Zukunftsvision scheint die Scham zu sein: eine Scham, die sowohl die Charaktere erfasst als auch die Zuschauer. Woher aber rührt sie?
2. Scham ist ein überwältigendes Gefühl. Wen es befällt, kann sich ihm nicht entziehen. Man möchte davonrennen, im Erdboden versinken. Scham kann eine zentrale Erfahrung für ein Individuum genauso wie für eine Gruppe oder gar eine ganze Gesellschaft darstellen. Autoren wie Franz Kafka und Michel Houellebecq sowie unzählige amerikanische Teenie- und Liebeskomödien halten uns mit der Fremdscham bei der Stange, die uns angesichts des unmöglichen Verhaltens ihrer neurotischen Charaktere überkommt. Selbst angesichts der Fiktion möchten wir am liebsten davonrennen, das Buch aus der Hand schleudern oder uns tief in unseren Kinosessel verkriechen. Eine kontraintuitive, aber treffende Definition der Scham liefert der Philosoph Günther Anders in seinem Hauptwerk Die Antiquiertheit des Menschen: „Nichts dagegen tun können, dass man nichts dafür kann“. Er weist selber auf die scheinbare Paradoxie dieser Aussage hin: Wie vielen Leuten hat man wohl bereits so ihre Scham auszureden versucht? Du kannst doch nichts dafür! Ja, aber genau das ist der Punkt: Man kann nichts dafür – man kann aber auch nichts ändern: „Gerade dasjenige, was der Ethiker als Absolution von der Scham in Anspruch nimmt, stellt das Grundmotiv der Scham dar.“ In solchen Situationen erfährt das Individuum, so Anders, seine „ontische Mitgift“: Man ist ein Ich und ein Es; man ist verwiesen auf das, was einem Natur und Gesellschaft mitgegeben haben, und auf das eigene
Handeln, dass nicht mehr rückgängig zu machen ist. Die Erfahrung überkommt einen wie ein Schock: Man schämt sich. Im amerikanischen Exil stößt Günther Anders auf einen speziellen Typus dieses Gefühls, den er als „prometheische Scham“ bezeichnet. Vor dem Nationalsozialismus in die USA geflohen, muss er aus Geldnot am eigenen Leib erfahren, was es heißt, sich gegenüber einer Maschine unterlegen und imperfekt zu fühlen: „Wem es niemals zugestoßen ist, dass er den fälligen Griff an der Maschine verfehlte und dem wortlos weiterwandernden Fließband ungläubig nachblickte, […] wessen Blick niemals befremdet auf seine Hände fiel, auf diese tölpelhaften, deren Obsoletheit und unverbesserliche Inkompetenz seinen Fall verschuldet hatten – der weiß nicht, welche die Scham von heute ist, welche Scham heute täglich tausende Male ausbricht.“ Anders spielt mit dem Bild des Prometheus, des Prototypen des Menschen als schöpferischen, sich selbst setzenden, mithin selbstaffirmativen Wesen. Laut der Mythologie stellte Prometheus sich selbstbewusst gegen die Götter, als er die Menschen nach seinem Bilde schuf. Die Menschen hingegen würden sich nun von ihren eigenen Schöpfungen herausgefordert sehen, sich geradezu vor ihnen schämen: „Maßlos anmaßende Ansprüche erheben auch sie zwar – nur eben so anmaßend, dass sie sich selbst als unangemessen verwerfen.“ Der Mensch hat sich für Anders quasi aufgespalten: In das, was er ist, und das, was er sein könnte; in das Bild von sich als Gattungswesen, mit seiner Möglichkeit zu Perfektion, zu Transzendenz und technischer Optimierung, und dem körperlichen Lebewesen, das an diese Idee von Mensch immer noch nicht heranreichen kann. Die Übermacht dessen, was sein könnte, degradiere das Individuum zum Auslaufmodell. Für die menschliche Seele werde das zur Herausforderung, denn es tue sich ein Gefälle auf zwischen dem, was wir zu tun, und dem, was wir zu verarbeiten in der Lage sind. „Zerbomben können wir zwar hunderttausende; sie aber beweinen oder bereuen nicht.“
3. Heute sind es die Digitalkonzerne und -startups, die an dem Bild des Menschen arbeiten, von dem wir glauben, dass wir ihm gerecht werden müssen. Sie versprechen nichts Geringeres als mit jedem ihrer Produkte die ganze Welt zu verbessern – selbst wenn es nur um eine App geht, dank der uns ein schlecht bezahlter und durch keinerlei Tarifvertrag abgesicherter „Gig-Worker“ die Pizza vom Italiener um die Ecke vor die Haustür liefert. Herausstechendes Beispiel dafür ist Facebook samt seiner Behauptung, mit seinem sozialen Netzwerk die ganze Welt zu einer „Global Community“ zu vernetzen und damit zur Lösung der großen Menschheitsprobleme beizutragen. Zwar schränkt Mark Zuckerberg in seinem Memorandum Building Global Community ein: „The
answers to these questions won’t all come from Facebook, but I believe we can play a role.“ Aber ist das nicht sehr viel versprochen von einem Unternehmen, dessen Geschäftsmodell darauf beruht, unsere sozialen Bedürfnisse auszunutzen, um uns mit personalisierter Werbung zu überschütten? Der Soziologe Andreas Reckwitz betont allerdings, dass „die Technik soziale Strukturen nicht in einem strengen Sinne“ determiniert. Sie liefere vielmehr ein Angebot an Nutzungsmöglichkeiten, das soziale Akteure auf verschiedene Arten für sich adaptieren können. In einem sozialen Netzwerk kann genauso eine Revolution organisiert werden wie das Cybermobbing gegen den ungemochten Arbeitskollegen. In seinem Buch Die Gesellschaft der Singularitäten analysiert Reckwitz die Digitalisierung als Teil des von ihm betrachteten Wandels von der Moderne zur Spätmoderne und seinen Anforderungen an das Individuum. Singularität steht bei Reckwitz für das neue Paradigma der Spätmoderne: War es bislang einfach, ein angepasstes und durchschnittliches Leben zu führen, besteht nun in vielen Gesellschaftsbereichen verstärkt ein Anspruch an den Einzelnen, besonders zu sein, eben eine Singularität. Doch auch die Singularität sei weiterhin in die Logik des Allgemeinen eingebunden: Besonders ist das neue Normal. Und das heißt leider, dass nicht jede Besonderheit singulär ist – es besteht immer noch die Möglichkeit, als peinliche Idiosynkrasie durch alle gesellschaftlichen Raster zu fallen. Die Netzkultur ist für Reckwitz eines der entscheidenden Felder, auf denen sich dieser Wandel abspielt. Zwar biete das Internet einerseits neue Räume zur Selbstentfaltung, insbesondere für Minderheiten oder Personen mit ausgefallenem Spleen, gleichzeitig erzeuge es aber einen Zwang, sich als besonderer Mensch mit besonderen Interessen und Fähigkeiten und einem großen sozialen Netzwerk zu präsentieren. Es bestehe die Gefahr, durch soziale Netzwerke den Blick für das Andere zu verlieren: Da jede Minute, die wir dort verbringen, für die Bilanz der Unternehmen wichtig ist, neigt der Algorithmus dazu, einem die immer wieder gleichen Dinge zu präsentieren: Wenn dir Videos von Katzenbabys gefallen haben, werden dir wahrscheinlich ebenso Videos von Pandababys gefallen. Das Internet fördere eine „Affektkultur der Extreme“: In einem Teil des Internets herrsche Friede, Freude, Eierkuchen, wobei ernste Themen wie „Enttäuschung, Scheitern, schwere Erkrankungen, Lebenskrisen“ unter den Tisch fielen, während anderswo aggressive Trolle mit harten Bandagen ihrer regressiven Wut gegenüber der Moderne freien Lauf ließen. In den Figuren von Singularity treffen wir auf Verlierer dieser Entwicklung: Das Versprechen, dass uns die Annehmlichkeiten der Technik zu besseren und glücklicheren Menschen machen, hat sich an ihnen nicht erfüllt. Mit verblüffender Selbstverständlichkeit kommunizieren die Charaktere
dank Gehirnimplantaten parallel über gesprochene Sprache und geteilte Gedanken. Die Vielzahl an Kommunikationsmöglichkeiten führt aber keineswegs zu einem besseren Verständnis des Anderen. Es werden mal versehentlich, mal offensiv Beleidigungen ausgesprochen, hinterm Rücken anderer heimlich Mitteilungen ausgetauscht, bewusst gelogen und das Gegenüber ignoriert. Das Libretto zeichnet ein Bild von dünnhäutigen Menschen, die sich schon durch harmlose Bemerkungen angegriffen fühlen. Angesichts dieser Beschreibung könnte uns die prometheische Scham überkommen: Man hat alle Möglichkeiten, zu kommunizieren und vernetzt zu sein, aber man weiß sie einfach nicht zu nutzen. Mit Günther Anders wäre zu konstatieren: Die Charaktere schämen sich – und wir uns über sie –, weil sie nicht an das Bild des Menschen heranreichen, wie es die digitale Welt geschaffen hat. Sie sind nicht besonders, sondern einfach nur erbärmlich. Sie sind Singularitäten, aber nicht im Sinne von Reckwitz; sie sind lediglich vereinzelt, einsam.
4. Einsamkeit pflegt eine paradoxe Doppelbeziehung zur Scham: Es gibt sowohl Einsamkeit aus Scham als auch Scham über die eigene Einsamkeit. Ein extremes Beispiel für ersteres finden wir in Japan: Manche jungen Männer ziehen sich hier – vorwiegend im Laufe der Pubertät – komplett zurück und verlassen ihr Zimmer im Elternhaus nicht mehr. Für den Japanologen Florian Coulmas verkörpern diese sogenannten Hikikomori „die Leiden der Gesellschaft an ihrer eigenen Metamorphose“. Teil einer Gesellschaft zu werden ist ohnehin ein schmerzvoller Prozess, der im Laufe der Moderne nicht leichter geworden ist: Während der Wiederaufbau und das Wachstum der Nachkriegszeit einen Kollektivismus beförderten, weiche der Konformitätsdruck nun einer Ideologie des Individualismus. Einen gut bezahlten Job zu finden werde immer schwieriger, gleichzeitig nehme auf persönlicher Ebene der Anspruch zu, besonders und einzigartig zu sein. Wenn eine Gesellschaft die damit verbundenen Unsicherheiten und sozialen Ängste nicht auffangen kann, drohen ihr psychische Schäden, die man nicht mehr auf die jeweils persönliche Krankheitsgeschichte eines einzelnen Individuums reduzieren kann. Gleichzeitig ist der Gedanke an Einsamkeit immer noch stark mit dem Gefühl von Scham verbunden. Dabei wird Einsamkeit in westlichen Gesellschaften zu einem Problem, nicht nur aufgrund der zunehmenden Überalterung. Soziologische und medizinische Studien belegen, dass selbst unter Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen die Einsamkeit zunimmt. Einsamkeit macht nachweislich krank. Großbritannien hat im Rahmen einer Kampagne gegen Einsamkeit den Posten des „Minister for Loneliness“ geschaffen. Und in Japan kommen schon seit einiger Zeit Roboter für alleinstehende ältere Menschen zum Einsatz, gerade angesichts der Corona-Pandemie.
5. Am Schluss von Singularity steht das Versprechen, dass die Scham und die Einsamkeit ein Ende haben könnten: Es ereignet sich eine Revolution, die unser Verständnis von Gesellschaft als Gemeinschaft einzelner Individuen in Frage stellt. Ein Update der Gehirnimplantate, über die die Menschen in der Oper kommunizieren, schlägt fehl – und plötzlich sind alle Menschen direkt miteinander verbunden. Nach einer kurzen Phase des Chaos und der Verwirrung bildet sich ein neues, gigantisches Bewusstsein. Die Vereinzelung, die Angst vor den unbekannten Gedanken der Anderen, vor der Gesellschaft, vor Unsicherheit und Spott sind mit einem Mal verschwunden. Die titelgebende Singularität ist eingetreten, eine Singularität in einem ganz anderen Sinne als die soziologische von Reckwitz oder das Singuläre einer schlichten Vereinzelung. Die Singularität in diesem Sinne wurde vor allem von dem amerikanischen Zukunftsforscher Ray Kurzweil populär gemacht, von dessen Prognosen viele Details der Oper Singularity inspiriert sind. Singularität meint hier einen Kipppunkt in der technischen Entwicklung, an dem die vom Menschen geschaffene Technik auf einem Niveau angekommen ist, an dem sie sich verselbstständigt, mit dem menschlichen Körper und Geist verschmilzt und schließlich das ganze Universum mit Intelligenz durchdringt. Die Folgen sowohl für die materielle Welt als auch das menschliche Bewusstsein seien so umwälzend, dass sie im Voraus gar nicht auszumalen wären. Eines stellt Kurzweil in seinem Buch The Singularity Is Near jedoch klar: „Die Singularität wird viele unserer ältesten Probleme lösen und die menschliche Schaffenskraft ins Unermessliche steigern. Wir werden grundlegende Schranken der biologischen Evolution übersteigen und dabei die Intelligenz, die uns die Evolution bescherte, bewahren und vermehren.“ Seine Vorhersagen begründet Kurzweil mit einem monumentalen Überblick über die gesamte Erdgeschichte, in der Komplexität in exponentiell steigendem Tempo zugenommen habe und die daher folgerichtig auf die Singularität zulaufe. Mit der technischen Entwicklung ist die Evolution in ein Stadium äußerster Beschleunigung eingetreten, und in der Computertechnik verdoppeln sich die Rechengeschwindigkeiten gemäß dem sogenannten „Moore’schen Gesetz“ in regelmäßigen Abständen. Kurzweil glaubt daher, die Singularität werde bereits in den kommenden Jahrzehnten eintreten. Dass Kurzweils Prognose eines nicht genau vorhersehbaren, aber sicher eintretenden Moments, der die Welt radikal verändern werde, einen prophetischen Unterton hat – wer „die Singularität verstanden und über ihre Auswirkungen auf sein Leben nachgedacht hat“, ist für Kurzweil ein „Singularitarist“ –, wurde wiederholt kritisiert. Um es mit Worten des Literaturwissenschaftler Adrian Daub zu sagen: „Es ist eine völlig durchgeknallte Vorstellung, aber sie ist strategisch durchgeknallt.“ Für Daub ist Kurzweil ein extremer
Vertreter der im Silicon Valley verbreiteten rhetorischen Strategie der Disruption. Sie besteht darin, ein bestimmtes Ereignis oder Produkt als etwas darzustellen, was alles verändern wird, sei es das E-Book, das Lufttaxi oder ein neues Tool für personalisierte Werbung. Wer auf die Rede von disruptiven Veränderungen setzt, versucht Menschen bei ihrer Lust am Neuen zu packen. Es ist eine affirmative Strategie, die Deutungshoheit über eine Geschichte zu gewinnen. Aus dieser Mentalität heraus wird am Anfang von Singularity das die Singularität auslösende Update mit „this will change humanity“ beworben, ohne zu berücksichtigen, welche Folgen es nach sich ziehen könnte. B entgegnet dem in der Oper: „Don’t want anything in my head.“ Mit der Scham, als technikfeindlich zu gelten, muss man allerdings umgehen können.
6. Am Ende der Oper Singularity treten die Protagonisten in die Singularität ein. Nach einer kurzen Phase der Irritation gibt ihnen S den Rat, nicht mehr zu reden und ihre Nachrichtenfunktion auszuschalten. Noch einmal wird der gemeinsame schlechte Sex beklagt, dann verstummen sie für immer. Ist das nun die Erlösung? Ob Kurzweils Singularität eintreten wird oder nicht, lässt sich schwerlich beantworten. Der slowenische Philosoph Slavoj Žižek nimmt die Idee Kurzweils jedoch ernst und befragt in seinem Buch Hegel im verdrahteten Gehirn das Konzept der Singularität aus einer psychoanalytischen Perspektive. Žižek hat ein Hauptbedenken bei der Vorstellung, Gehirne in der Größenordnung einer Singularität miteinander zu verschalten: Seiner Meinung nach würde sich der entscheidende Teil unserer Persönlichkeit und damit unseres Menschseins der Singularität entziehen, nämlich unser Unbewusstes. Für ihn ist das Unbewusste nichts, was irgendwo in unserem Gehirn verborgen liegt und damit für eine maschinelle Intelligenz auslesbar wäre. Es entstehe vielmehr erst im Denken und im Gespräch über unsere Wünsche, Lüste und Beschränktheiten, beruhe ganz zentral auf Sprache sowie unserer Trennung von den Anderen und unserer Außenwelt. Es ist eine Form der Selbstaffirmation – womit es zu einem Raum von Möglichkeiten werde: In den Masken, die wir in unserer Fantasie, im gesellschaftlichen Handeln oder im Spiel einnehmen, steckt womöglich mehr von uns als das, dessen wir uns normalerweise bewusst sind. Was bleibt aber übrig, wenn neuronale Technologien direkte und ausschließlich durch die Gehirnschnittstelle vermittelte Erfahrungen der Anderen ermöglichen? Während Singularitaristen wie Kurzweil glauben, dass wir trotz enorm gesteigerten geistigen Niveaus doch irgendwie als diejenigen in die Singularität eintreten, die wir sind, vermutet Žižek, dass die Singularität ein absoluter Endpunkt wäre: Ein menschliches Subjekt könne hier nicht mehr existieren, da ein solches sich im Dialog mit Anderen und sich selbst konstituiert – um ein Mensch zu sein, muss man sich gerade über seinen
schlechten Sex beklagen. Neurotechnologie kann zwar die entsprechenden Stellen im Gehirn erregen und so vielleicht größere Lust auslösen, als Menschen sich jemals zu schenken in der Lage wären. Aber, so Žižek, reines Empfinden ohne die Umwege über das Zwischenmenschliche, über Sprache und Kultur – und die damit verbundenen Momente von Einseitigkeit, Einsamkeit, Missverständnis, Scham – führt schließlich zumindest für das Menschliche in uns zu einer anderen Form von Singularität, nämlich zum Tod.
7. Auch das Theater ist ein Ort der Scham: Hier kann man auf der Bühne vor aller Augen scheitern. Selbst als Zuschauer kann man sich klein und deplatziert vorkommen vor den monumentalen Fassaden, den weitläufigen Foyers und den damit verbundenen gesellschaftlichen Ritualen. Haben es aber alle in den Saal geschafft, gibt es kein Zurück mehr: Gemeinsam ist man der menschlichen Beschränktheit gnadenlos ausgeliefert. Die geniale Anmaßung, als gebrechlicher Körper nur mit seiner Stimme riesige Säle zu füllen – was wäre sie ohne die Möglichkeit, dass diese Stimme bricht und auf ihr Normalmaß zurückgestutzt wird? Hier kann man geschützt seine prometheische Qualität erfahren: Für den Moment kann man aus sich machen, was immer man will. Und falls man damit scheitert: Auch die Aufführung ist eine Singularität – mit ihrem Ende ist sie für immer verloren. Aber im Gegensatz zur technologischen Götterdämmerung bildet sich im Theatersaal am nächsten Abend bereits wieder eine neue Singularität.
Sören Sarbeck studierte Theater, Musik und Philosophie in Hildesheim und Bologna und realisierte währenddessen mit verschiedenen Gruppen Arbeiten in der freien Theaterszene. In seiner künstlerischen Abschlussarbeit beschäftigte er sich mit dem ästhetischen Moment im Denken des Physikers Werner Heisenberg. Hospitanzen führten ihn an die Opernhäuser in Hannover und Halle. Seit 2020 ist er Mitarbeiter in der Dramaturgie der Bayerischen Staatsoper.
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