Die erstickte Mahnung

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Die erstickte Mahnung 1933 beging Ernst Krenek eine Verzweiflungstat. Man könnte auch sagen, er unternahm einen Bestechungsversuch, und dies ausgerechnet zu Weihnachten. Auf Anraten des Verlegers Hans Heinsheimer fügte er in den bereits fertigen Klavierauszug seiner zur Uraufführung anstehenden Oper Karl V. ein ergänzendes Blatt ein. Es enthielt den Zusatz „Dieses Werk widme ich der Wiener Staatsoper und ihrem Direktor Clemens Krauss“, – eine diplomatische Wendung, zielte sie doch auf die Institution beziehungsweise den Dirigenten, von denen nicht nur der Anstoß zur Komposition ausgegangen war, sondern die sich auch bereit erklärt hatten, das anspruchsvolle Bühnenstück aus der Taufe zu heben. Und Krenek legte noch nach, indem er der gedruckten Widmung eine handschriftliche folgen ließ: „Und überreiche Ihnen dieses Exemplar in der Erwartung großer Taten zum Zeichen freundschaftlichster Erinnerung, ergebenst, Ernst Křenek“. Zudem ergriff der Komponist eine flankierende Maßnahme. Er ließ einige Exemplare des Klavierauszugs edel einbinden, um sie – gleichfalls mit persönlichen Widmungen – an hochgestellte Persönlichkeiten zu verschicken: unter ihnen Engelbert Dollfuß, der wenige Wochen später ermordete Bundeskanzler Österreichs, und Kardinal Innitzer, der Erzbischof von Wien. Kreneks „Bestechungsversuch“ lief jedoch ins Leere. Selbst sein Kniefall vor Clemens Krauss und den anderen Prominenten konnte nicht verhindern, dass Karl V. bei schon laufenden Proben, also noch vor der Uraufführung, abgesetzt wurde. Der Komponist hatte das Unheil kommen sehen. Aus eben diesem Grund wollte er mit den handschriftlichen Widmungen ja gute Stimmung machen, um so die Uraufführung zu retten. Aber offenkundig unterschätzte er die Macht und den Einfluss seiner Gegner, die vor allem aus dem Dunstkreis der sogenannten Heimwehr stammten, jenes paramilitärischen Verbandes, der sich gleich nach dem Ersten Weltkrieg gegründet hatte. Zu dessen rechtskonservativen und antisemitischen Mitgliedern gehörten auch zwei Musiker: Hugo Burghauser, der im Orchester der Staatsoper als Fagottist wirkte, und Joseph Rinaldini, ein Komponist, der wie Krenek bei Franz Schreker studiert hatte, jetzt aber zahlreiche Funktionärsposten bekleidete und sich auch publizistisch betätigte. Beide nahmen Clemens Krauss nun regelrecht in die Zange. Burghauser wiegelte seine Orchesterkollegen auf, sich der Uraufführung von Karl V. zu widersetzen, Rinaldini hetzte in den Medien gegen das Werk. In der Folge

Er hatte noch mal alles versucht: Über die Entstehungsgeschichte von Ernst Kreneks Bühnenwerk Karl V. – und warum es 1934 nicht zur Uraufführung kam.

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„Und überreiche Ihnen dieses Exemplar in der Erwartung großer Taten zum Zeichen freund­ schaftlichster Erinnerung, ergebenst, Ernst Křenek.“ Diese Worte ergänzte Ernst Krenek handschriftlich auf dem Klavierauszug seiner Oper Karl V. für Clemens Krauss, den designierten Dirigenten der für 1934 geplanten, dann abgesagten Uraufführung. (Privatbesitz Matthias Henke)

distanzierte sich Krauss Schritt für Schritt von Krenek. Zunächst ließ er verdächtig lange nichts von sich hören, dann jammerte er über zu wenig Probenzeit, später verlangte er Nachbesserungen. Aber obwohl Krenek nahezu all seinen Wünschen entsprach, sagte Krauss die für den Februar 1934 angesetzte Uraufführung schlussendlich ab. Den Nährboden für die von Burghauser und Rinaldini verantwortete Kampagne bot zweifelsfrei Kreneks 1927 uraufgeführte Oper Jonny spielt auf, ein Sensationserfolg, der das Publikum als eine der meistgespielten Opern der späten 1920er Jahre in Europa begeistert hatte. Dass hier ein schwarzer Jazzmusiker als Titelheld agierte und sich Krenek an den Idiomen der amerikanischen Unterhaltungsmusik orientierte, war den beiden Chauvinisten ein Dorn im Auge. Mehr noch dürfte sie allerdings Kreneks musikalischer Sprachwechsel erzürnt haben. Hatte er eben noch eine neoromantische Phase durchlebt, die in seinem Schubert-nahen Reisebuch aus den Österreichischen Alpen (1929) gipfelte, so bediente er sich jetzt, in Karl V., eines ultramodernen Verfahrens: der Methode, mit „zwölf nur aufeinander bezogenen Tönen“ zu komponieren, wie ihr Urheber Arnold Schönberg es formulierte, also Klänge jenseits von Dur oder Moll zu gestalten. Die „willigen Vollstrecker“ aber, die Burghausers und Rinaldinis und wie sie alle heißen mochten, witterten in diesem rein musikalisch begründeten Vorgehen so etwas wie „jüdische Zersetzung“, wenn nicht gar „Weltverschwörung“. Nach dem Desaster mit Clemens Krauss und der Wiener Staatsoper befand Krenek sich sozusagen im Auge des Taifuns, in einem gefährlichen Wirbel aus privaten, schöpferischen wie politischen Problemen, dem standgehalten zu haben wiederum seine mentale Stärke bezeugt. Privat, weil der im Jahr 1900 Geborene das zuvor geführte, bohemehafte Wanderleben, das ihn beruflich etwa nach Berlin, in die Schweiz, nach Kassel und Paris geführt hatte, hinter sich lassen wollte, sich ein behagliches Nest ersehnend, das er in seiner Heimatstadt Wien zu finden hoffte – letztlich vergeblich. Schöpferisch, weil er nach seinen zahlreichen Klangerkundungen – den Ausflügen in die Neoklassik, dem Spiel mit der Atonalität, dem Kokettieren mit sogenannten leichten Genres (etwa der Operette) oder der Neuen Sachlichkeit – sich auch kompositorisch

Text Matthias Henke

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