10 minute read

BOX: Geldpolitik in der Pandemie

Zudem kommt es entscheidend auf die phasengerechte Dosierung der Fiskalpolitik in den großen Volkswirtschaften an. Je nach Land bleibt die Stützung von Unternehmen und Arbeitnehmern noch einige Monate auf der Agenda, aber gezielte Anreize für Investitionen und Nachfrage sind zur Ankurbelung der Wirtschaft in der Regel fiskalpolitisch sinnvoll. Hier gibt es noch Spielraum in einigen großen Ländern. Neben Maßnahmen zugunsten höherer öffentlicher und privater Investitionen wird auch stärker darauf geachtet werden müssen, dass in den Branchen, in denen sich Strukturbrüche der Nachfrage ergeben haben, Arbeitnehmer in neue Aktivitäten wechseln können. Hier sind ggf. gezielte arbeitsmarktpolitische Instrumente flankierend einzusetzen, um den Strukturwandel befördern zu können. In vielen Ländern wird es zudem zu einer Welle an Insolvenzen in den nächsten beiden Jahren kommen, die wiederum notleidende Kredite in den Bankbilanzen erzeugen. Auch hier ist eine Lehre der Vergangenheit, dass solche Schieflagen möglichst rasch und umfassend und mit wirtschaftspolitischer Flankierung angegangen werden müssen, um die hart gewonnene Stabilität des Bankensystems und der Finanzmärkte nicht erneut zu gefährden. Die Corona-Pandemie stellt unbestreitbar den größten Wirtschaftsschock für die Weltwirtschaft seit Jahrzehnten dar und muss konsequent in allen Feldern gemanagt werden. Der wirtschaftspolitische Auftakt war in diesem Sinn weltweit zwar nicht übermäßig koordiniert, aber doch weitgehend zielgerichtet und adäquat. Der gesundheitspolitische Auftakt blieb bislang viel schwerer.

Geldpolitik in der Pandemie

Die EZB stellt umfassend Liquidität und Kapitalerleichterungen bereit

Die Europäische Zentralbank hat in einem Doppelpack an Entscheidungen am 12. und 18. März 2020 umfassende Maßnahmen beschlossen, um die bereits eingetretenen und die derzeit absehbaren Störungen der Wirtschaftsaktivität, insbesondere der Finanzierung von Unternehmen über das Bankensystem oder den Kapitalmarkt, abzumildern. Die EZB hat zunächst am 12. März zielgenaue und weitreichende Entscheidungen zur Stabilisierung des Bankensystems und der Finanzmärkte getroffen. Folgende Punkte sind zentral:

Erleichterte Refinanzierung der Banken: die EZB stellt über Vollzuteilung Mittel zu einem Zinssatz von minus 0,5 Prozent bis Juni bereit. Ab Juni setzt dann das dritte langfristige Refinanzierungsprogramm ein (TLTRO 3 = Targeted long-term Refinancing Operations). Dies wird bis zu diesem Zeitpunkt nun günstiger ausgestaltet (bis Juni 2021). Damit lässt sich die Mittelstandsfinanzierung von Banken deutlich leichter sicherstellen. Der Zinssatz für die Refinanzierung für Banken, die ihre Ausleihungen über bestimmten Schwellenwerten halten, kann bis auf etwa minus 0,75 Prozent sinken. Mit diesem Paket stellt die EZB den Geschäftsbanken ungefähr 1,2 Billionen Euro an zusätzlicher Liquidität bereit und verzichtet über die Konditionensetzung auch teilweise auf Notenbankgewinne aus diesen Transaktionen.

Zeitlich begrenzte Erhöhung des Kaufprogramms für Wertpapiere: einmalig hat die EZB den Rahmen für zusätzliche Wertpapierkäufe in Höhe von 120 Milliarden Euro (über die derzeit 20 Milliarden Euro pro Monat hinaus) bis zum Jahresende aufgestockt.

Kapitalerleichterungen für Banken: Die EZB erleichtert den Banken die Nutzung von Kapital und Liquidität vorübergehend unterhalb der Sollwerte von bestimmten Kapital- und Liquiditätspuffern, vor allem in der Säule-2-Leitlinie, bei dem Kapitalerhaltungs- und dem Liquiditätserhaltungspuffer. Zudem dürfen Banken bestimmte Kapitalanteile schon jetzt auf die Säule 2 anrechnen lassen, obwohl das erst ab Januar 2021 gesetzlich gelten wird.

Ergänzende Maßnahmen der Mitgliedstaaten erwartet: Die EZB erwartet zudem, dass der antizyklische Kapitalpuffer, sofern dieser eingesetzt ist, von den Mitgliedstaaten herabgesetzt wird. Dies ist z.B. in Deutschland auch erfolgt.

Keine Zinsänderungen: Die Zinssätze sind beibehalten worden (Einlagenzinssatz bei minus 0,5 Prozent, Hauptrefinanzierungssatz 0,25 Prozent und Spitzenrefinanzierungssatz bei null Prozent). Eine weitere Absenkung hätte eine noch komplexere Regelung für die Banken notwendig gemacht.

um die Kosten der Maßnahmen möglichst niedrig zu halten. Genau dies ist auch die Lehre aus der letzten Krise. Die EZB hat zudem am 24. März klargestellt, dass sie Störungen im geldpolitischen Transmissionsprozess in Zeiten der Pandemie nicht zulassen will und daher die üblichen Grenzen für die Aufkaufprogramme für das PEPP aufhebt (EZB 2020a).

Am 18. März hat die EZB mit einem weitreichenden Programm nachgelegt. Dieses Paket ist vorbeugend, vorsorglich und „vor der Kurve“ der Markterwartungen und stemmt sich gegen mögliche Finanzierungsengpässe auf den Kapitalmärkten. Damit stabilisiert die EZB die Erwartungen an den Märkten im Hinblick auf die Risiken für Staatsanleihen insbesondere Italiens, aber auch im Hinblick auf mögliche Liquiditätsstopps auf bestimmten Segmenten des Finanzmarkts im Euroraum, etwa bei kurzfristigen Schuldtiteln oder Anleihen von Banken bzw. von nicht-finanziellen Unternehmen.

Die wesentlichen Bestandteile des Pandemienotfall-Kaufprogramms (Pandemic Emergency Purchase Programme (PEPP)) sind:

Großes Kaufprogramm. Das Programm hat einen Umfang von bis zu 750 Milliarden Euro bis Jahresende 2020, ggf. mit weiteren Volumina und längeren Fristen, falls erforderlich. Alle unter dem bisher existierenden Wertpapierkaufprogramm bestehenden Unterprogramme können genutzt werden. Die bisherigen Volumina der Kaufprogramme (20 Milliarden Euro pro Monat und einmalig 120 Milliarden Euro) bestehen fort. EZB-Angaben zufolge stellt man über die Kaufprogramme insgesamt 1,3 Billionen Euro (gut sieben Prozent des BIP) zur Verfügung.

Flexibilität im Einsatz. Für die Kaufprogramme von Staatsanleihen gilt weiterhin der Kapitalschlüssel der EZB als Maßstab für die Aufteilung. Käufe werden nach Bedarf flexibel durchgeführt. Für Griechenland gibt es eine Sonderbestimmung, die höhere Käufe ermöglicht.

Ausweitung auf kurzfristige Schuldtitel der nicht-finanziellen Unternehmen. Besonders wichtig ist die Ausweitung des Kaufprogramms für Unternehmensanleihen, das um non-financial commercial paper, also kurzfristige Schuldtitel der Realwirtschaft, ergänzt wird. Damit kann die Refinanzierung leichter sichergestellt werden.

Erleichterung bei Standards für Kreditsicherheiten für die Beleihungsregeln der Geschäftsbanken werden gelockert, um die Refinanzierung sicherzustellen.

Das Maßnahmenpaket dient dazu, die Finanzierung über das Bankensystem für alle Kundengruppen in der akuten Situation sicherzustellen. Die EZB kann darüber Liquiditätsengpässe bei Staats- oder Unternehmensanleihen, bei kurzfristigen Schuldtiteln und auf bestimmten anderen Marktsegmenten gezielt angehen, in dem sie als Käufer auftritt und den Markt liquide hält. Der mehrfache Hinweis darauf, dass diese Maßnahmen auch ausgeweitet werden könnten, sofern notwendig, dient ebenfalls dem Ziel, Panikreaktionen an den Märkten zu vermeiden. Anders als in der großen Finanz- und Wirtschaftskrise von 2007 reagiert die Notenbank in diesem Fall von Beginn an mit maximaler Feuerkraft, um die Kosten der Maßnahmen möglichst niedrig zu halten. Genau dies ist auch die Lehre aus der letzten Krise. Die EZB hat zudem am 24. März klargestellt, dass sie Störungen im geldpolitischen Transmissionsprozess in Zeiten der Pandemie nicht zulassen will und daher die üblichen Grenzen für die Aufkaufprogramme für das PEPP aufhebt (EZB 2020a).

Am 7. sowie am 22. April hat die EZB zudem die Regelungen für zentralbankfähige Sicherheiten geändert, um die Refinanzierung der Geschäftsbanken zu erhöhen. So können Bankschuldner mit niedrigerer Kreditwürdigkeit, weitere, bisher nicht zugelassene Schuldner und Fremdwährungskredite einbezogen werden. Weitere Regelungen stützen Pfandbrief- und ABS-Marktsegmente. Alle Vermögenswerte, mit Ausnahme von ABS, müssen Investmentgrade sein. Werden von den Ratingagenturen zukünftig Herabstufungen vorgenommen, so werden diese Vermögenswerte nicht im Sicherheitenregime der EZB herabgestuft, sofern diese die Schwelle des Investmentgrades nicht unterschreiten. Diese Maßnahmen sollen mindestens bis September 2021 gelten (siehe EZB 2020a).

Die EZB hat am 4. Juni nochmals nachgesteuert und weitere Impulse gesetzt. So wurde der Umfang des Pandemie-Notfallankaufprogramms um 600 Milliarden Euro auf 1.350 Milliarden Euro erweitert und der Zeithorizont auf mindestens Ende Juni 2021 verlängert. Zudem werden die Tilgungsbeträge bis Ende 2022 reinvestiert. Mitte Juli bestätigte die EZB lediglich ihren Kurs. Die Finanzierung der nicht-finanziellen Unternehmen stieg in den letzten Monaten kräftig an, da viele Unternehmen Betriebsmittelkredite benötigten, um über die Einbrüche bei der Wirtschaftsaktivität hinwegzukommen. Zudem bauten einige Unternehmen Liquiditätspuffer auf. Diese Effekte waren stärker als die rückläufige Nachfrage nach Investitionskrediten (EZB 2020b).

Die Kreditvergabe an private Haushalte verlor dagegen an Schwung, weil viele Einkommenseinbußen erlitten. Die von der EZB erwartete Inflation wurde für 2020 um 0,8 Prozentpunkte auf noch 0,3 Prozent herabgestuft, bei moderater Erholung auf 0,8 Prozent 2021.

Die US-Notenbank steuert gegen

Die US-Notenbank hat in mehreren Maßnahmenpaketen im Laufe des März eine Reihe sehr wichtiger Stützungsmaßnahmen für die US-Wirtschaft beschlossen. Am 15. März senkte sie den Leitzins erneut auf eine Spanne von null bis 0,25 Prozent. Anfang März hatte sie bereits den Leitzins um 50 Basispunkte reduziert. Der Diskontsatz wurde am 15. März um 150 Basispunkte auf 0,25 Prozent gesenkt, eine Maßnahme, die seither gut angeschlagen hat. Zudem starte die FED ein neues Wertpapierkaufprogramm in Höhe von 700 Milliarden US-Dollar. Sie senkte darüber hinaus die Kapitalanforderungen an das Bankensystem. Die FED erneuerte zudem Mitte März in mehreren Schritten Refinanzierungsfazilitäten für Geldmarktfonds, für kurzfristige Schuldtitel der Unternehmen und für Investmentbanken (Primary Dealer), um Liquiditätsengpässen in diesen Marktsegmenten entgegenzutreten. 43

In einem dritten Schritt legte sie am 23. März nochmal nach und gab bekannt, sie werde Staatsanleihen und staatlich garantiert verbriefte Hypothekenforderungen solange aufkaufen, bis die Märkte richtig funktionieren. Sie weitete den Kreis der Wertpapiere auch auf kommerzielle Hypothekenverbriefungen aus und erweiterte den Kreis der Wertpapiere, die unter den Geld- und Primärfazilitäten erworben werden können. Zudem nahm die FED das ABS-Kaufprogramm aus Krisenzeiten wieder auf und führte ein Sekundärmarktprogramm für Unternehmensanleihen neu ein. Die neuen Programmelemente könnten einen Umfang von bis zu 300 Milliarden US-Dollar erreichen, so die FED.

Am 9. April erhöhte die FED nochmals kräftig die Dosis und kündigte ein Programm in Höhe von 2,3 Billionen US-Dollar an, unterstützt von einer Risikoübernahme durch das US-Schatzamt in der Größenordnung von 450 Milliarden US-Dollar. Zu diesem Programm zählt der Erwerb von Schuldtiteln von Unternehmen bis zu einem Umfang von 75 Milliarden US-Dollar Risiko (ca. 750 Milliarden US-Dollar Volumen), der sich auch auf Papiere (Anleihen und syndizierte Kredite) unterhalb eines Investmentgrade-Ratings und auf hochverzinsliche Unternehmensanleihen erstrecken kann. Weitere 75 Milliarden US-Dollar sind für Kaufprogramme von Krediten (bis zu 600 Milliarden US-Dollar), 35 Milliarden US-Dollar für Darlehen von Kommunen und Einzelstaaten (bis zu 500 Milliarden US-Dollar) vorgesehen (Deutsche Bank Research 2020a). Die beiden vorherigen Fed-Chefs Bernanke und Yellen haben betont, dass allein die Existenz der Kaufprogramme für Unternehmens- und Kommunalanleihen dafür gesorgt hätte, dass sich die entsprechenden Marktsegmente stabilisiert haben (Bernanke und Yellen 2020).

Die FED rechnet mit einem Einbruch der Wirtschaftsleistung in Höhe von 6,5 Prozent und einem Anstieg der Arbeitslosenquote auf über neun Prozent in diesem Jahr. Auf den Sitzungen im Juni und Juli wurde daher kein Zweifel daran gelassen, dass die FED die Wirtschaft weiter stützen wird. Im Juni weitete sie die Kreditprogramme auch auf gemeinnützige Institutionen wie öffentliche Krankenhäuser und Schulen aus. Ende Juli entschied sie, die Kreditfazilitäten bis Ende des Jahres laufen zu lassen und die Swap- und Repolinien für ausländische Zentralbanken bis Ende März 2021 fortzuführen.

Die anderen großen Notenbanken

Die Bank of England hat im März mit einem massiven Programm von Leitzinssenkung, Wertpapierkäufen und Liquiditätshilfen an Unternehmen reagiert. Zudem wurde der antizyklische Kapitalpuffer auf null herabgesetzt. Im Juni stockte die Notenbank das Programm zum Kauf von Staats- und Unternehmensanleihen von zuvor 200 auf dann 300 Milliarden Pfund auf; Zielgröße ist ein Wertpapierbestand von 745 Milliarden Pfund. Eine weitere Erhöhung im zweiten Halbjahr ist nicht auszuschließen. Zwar haben sich die Konsumausgaben im Juli wieder erholt, die Investitionsnachfrage ist aber noch sehr schwach.

Die japanische Notenbank hat zunächst Anfang März Maßnahmen zur Stützung der Wirtschaft ergriffen, u.a. die Bereitstellung von Dollar. Ende April wurden weitere expansive Maßnahmen beschlossen. So hat die Notenbank das Kaufziel von 80 Billionen Yen aufgehoben, die Obergrenzen für Käufe von kurz- und langfristigen Schuldtiteln von Unternehmen stark angehoben und weitere Papiere zum Kauf zugelassen. Die japanische Notenbank verfolgt weiterhin die Strategie, die Zinsstrukturkurve zu steuern und über die Käufe von privaten Wertpapieren die Finanzierung der Wirtschaft zu stützen.

FED

Am 27. August beschloss die FED, ihre geldpolitische Strategie anzupassen. Dies folgte auf einen längeren Konsultationsprozess, den die Notenbank mit der Wissenschaft und der Gesellschaft abgehalten hatte. So soll zukünftig das geldpolitische Ziel als eine Inflationsrate von zwei Prozent über die Zeit definiert sein. Dies bedeutet vor allem, dass nach einer Phase einer tatsächlichen Inflationsentwicklung von weniger als zwei Prozent auch eine Phase von über zwei Prozent akzeptiert würde. Notenbankchef Powell hat betont, dass man sich nicht auf bestimmte Zeiträume einengen lassen wolle. Die neue Zielformulierung solle vielmehr dazu dienen, ein Abrutschen von Inflationserwartungen zu vermeiden und für eine besser ausgeglichene mittelfristige Orientierung in der Geldpolitik zu sorgen. Im Hinblick auf das zweite Ziel der Notenbank wird nun betont, dass das Unterschreiten eines maximalen Beschäftigungsniveaus die relevante Größe sei (nicht die Abweichung, wie vorher). Damit ist die FED die erste Notenbank unter den großen Spielern, die eine Überprüfung ihrer Strategie abgeschlossen und zu einem Ergebnis geführt hat. Diese partielle Korrektur an den Zielsetzungen wird vor allem dazu dienen, die Erwartungen an die Notenbank auch in Zeiten von sehr niedrigen Leitzinsen und sehr niedriger Inflation zu stabilisieren. Geldpolitisch verschafft sich die Notenbank dadurch etwas mehr Spielraum.

This article is from: