Globaler Wachstumsausblick 09/2020

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Gefährdete Erholung | Impulse für die Weltwirtschaft gesucht 08/09/2020

Zudem kommt es entscheidend auf die phasengerechte Dosierung der Fiskalpolitik in den großen Volkswirtschaften an. Je nach Land bleibt die Stützung von Unternehmen und Arbeitnehmern noch einige Monate auf der Agenda, aber gezielte Anreize für Investitionen und Nachfrage sind zur Ankurbelung der Wirtschaft in der Regel fiskalpolitisch sinnvoll. Hier gibt es noch Spielraum in einigen großen Ländern. Neben Maßnahmen zugunsten höherer öffentlicher und privater Investitionen wird auch stärker darauf geachtet werden müssen, dass in den Branchen, in denen sich Strukturbrüche der Nachfrage ergeben haben, Arbeitnehmer in neue Aktivitäten wechseln können. Hier sind ggf. gezielte arbeitsmarktpolitische Instrumente flankierend einzusetzen, um den Strukturwandel befördern zu können. In vielen Ländern wird es zudem zu einer Welle an Insolvenzen in den nächsten beiden Jahren kommen, die wiederum notleidende Kredite in den Bankbilanzen erzeugen. Auch hier ist eine Lehre der Vergangenheit, dass solche Schieflagen möglichst rasch und umfassend und mit wirtschaftspolitischer Flankierung angegangen werden müssen, um die hart gewonnene Stabilität des Bankensystems und der Finanzmärkte nicht erneut zu gefährden. Die Corona-Pandemie stellt unbestreitbar den größten Wirtschaftsschock für die Weltwirtschaft seit Jahrzehnten dar und muss konsequent in allen Feldern gemanagt werden. Der wirtschaftspolitische Auftakt war in diesem Sinn weltweit zwar nicht übermäßig koordiniert, aber doch weitgehend zielgerichtet und adäquat. Der gesundheitspolitische Auftakt blieb bislang viel schwerer.

Geldpolitik in der Pandemie Die EZB stellt umfassend Liquidität und Kapitalerleichterungen bereit Die Europäische Zentralbank hat in einem Doppelpack an Entscheidungen am 12. und 18. März 2020 umfassende Maßnahmen beschlossen, um die bereits eingetretenen und die derzeit absehbaren Störungen der Wirtschaftsaktivität, insbesondere der Finanzierung von Unternehmen über das Bankensystem oder den Kapitalmarkt, abzumildern. Die EZB hat zunächst am 12. März zielgenaue und weitreichende Entscheidungen zur Stabilisierung des Bankensystems und der Finanzmärkte getroffen. Folgende Punkte sind zentral: -

Erleichterte Refinanzierung der Banken: die EZB stellt über Vollzuteilung Mittel zu einem Zinssatz von minus 0,5 Prozent bis Juni bereit. Ab Juni setzt dann das dritte langfristige Refinanzierungsprogramm ein (TLTRO 3 = Targeted long-term Refinancing Operations). Dies wird bis zu diesem Zeitpunkt nun günstiger ausgestaltet (bis Juni 2021). Damit lässt sich die Mittelstandsfinanzierung von Banken deutlich leichter sicherstellen. Der Zinssatz für die Refinanzierung für Banken, die ihre Ausleihungen über bestimmten Schwellenwerten halten, kann bis auf etwa minus 0,75 Prozent sinken. Mit diesem Paket stellt die EZB den Geschäftsbanken ungefähr 1,2 Billionen Euro an zusätzlicher Liquidität bereit und verzichtet über die Konditionensetzung auch teilweise auf Notenbankgewinne aus diesen Transaktionen.

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Zeitlich begrenzte Erhöhung des Kaufprogramms für Wertpapiere: einmalig hat die EZB den Rahmen für zusätzliche Wertpapierkäufe in Höhe von 120 Milliarden Euro (über die derzeit 20 Milliarden Euro pro Monat hinaus) bis zum Jahresende aufgestockt.

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Kapitalerleichterungen für Banken: Die EZB erleichtert den Banken die Nutzung von Kapital und Liquidität vorübergehend unterhalb der Sollwerte von bestimmten Kapital- und Liquiditätspuffern, vor allem in der Säule-2-Leitlinie, bei dem Kapitalerhaltungs- und dem Liquiditätserhaltungspuffer. Zudem dürfen Banken bestimmte Kapitalanteile schon jetzt auf die Säule 2 anrechnen lassen, obwohl das erst ab Januar 2021 gesetzlich gelten wird.

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Ergänzende Maßnahmen der Mitgliedstaaten erwartet: Die EZB erwartet zudem, dass der antizyklische Kapitalpuffer, sofern dieser eingesetzt ist, von den Mitgliedstaaten herabgesetzt wird. Dies ist z.B. in Deutschland auch erfolgt.

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Keine Zinsänderungen: Die Zinssätze sind beibehalten worden (Einlagenzinssatz bei minus 0,5 Prozent, Hauptrefinanzierungssatz 0,25 Prozent und Spitzenrefinanzierungssatz bei null Prozent). Eine weitere Absenkung hätte eine noch komplexere Regelung für die Banken notwendig gemacht.

um die Kosten der Maßnahmen möglichst niedrig zu halten. Genau dies ist auch die Lehre aus der letzten Krise. Die EZB hat zudem am 24. März klargestellt, dass sie Störungen im geldpolitischen Transmissionsprozess in Zeiten der Pandemie nicht zulassen will und daher die üblichen Grenzen für die Aufkaufprogramme für das PEPP aufhebt (EZB 2020a). 42

Am 7. sowie am 22. April hat die EZB zudem die Regelungen für zentralbankfähige Sicherheiten geändert, um die Refinanzierung der Geschäftsbanken zu erhöhen. So können Bankschuldner mit niedrigerer Kreditwürdigkeit, weitere, bisher nicht zugelassene Schuldner und Fremdwährungskredite ein-


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