Quartalsbericht Deutschland QI/2022: Ukraine-Krieg dämpft Investitionsbereitschaft

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QI-2022 QUARTALSBERICHT DEUTSCHLAND

Ukraine-Krieg dämpft Investitionsbereitschaft Konjunkturelle Unsicherheit gefährdet Erholung 2022

Der Ukraine-Krieg dämpft die wirtschaftlichen Erwartungen und die Investitionsbereitschaft der Industrie erheblich. Die Ausrüstungsinvestitionen dürften 2022 stagnieren.

Eine Störung bei den Gaseinfuhren aus Russland wird komplexe Kaskadeneffekte für Produktionsstörungen in vielen Branchen auslösen.

Die hohen Energiepreise verursachen erhebliche Kaufkraftverluste, die privaten Konsumausgaben werden nur geringfügig zulegen.

Auch die Außenwirtschaft dürfte das Wachstum belasten. Während der Wert der Importe aktuell deutlich zulegt, fällt Wachstum bei den Exporten schwer. Stark gestiegene Rohstoff- und Energiepreise treiben die Einfuhren in die Höhe. Dagegen schwächen weltweite Wachstumseinbußen und Sanktionen die Ausfuhren made in Germany.

Der Ausblick sieht trübe aus. Wegen immenser Unsicherheiten verzichten wir auf eine aktuelle Prognose. Die reale Wirtschaftsleistung ist im vergangenen Jahr um 2,9 Prozent gestiegen. Dabei hat die Industrieproduktion um vier Prozent zugelegt. Die Unternehmen konnten ihren hohen Auftragsbestand aufgrund anhaltender Lieferengpässe nur zum Teil abbauen. Neue Engpässe kommen nun hinzu – daher bleibt die Lage schwierig.

Der heftige Rückgang des ifo-Geschäftsklimaindex signalisiert Verunsicherung in der Wirtschaft. Nur in den ersten Corona-Monaten März und April 2020 fiel das Stimmungsbarometer noch stärker. Die Erwartungen für die kommenden sechs Monate sind sogar so stark gesunken wie noch nie zuvor.

schwierig.


Ukraine-Krieg dämpft Investitionsbereitschaft | Konjunkturelle Unsicherheit gefährdet Erholung 2022 01/04/2022

Inhaltsverzeichnis Konjunktur in Deutschland ................................................................................................................ 3 Vierte Pandemiewelle bremst Wachstum im vierten Quartal aus ......................................................... 3 Außenhandel: Jahresendspurt im vierten Quartal................................................................................. 4 Arbeitsmarkt: Beschäftigungsaufbau setzt sich weiter fort ................................................................... 5 Auftragseingang nimmt nach Jahreswechsel weiter zu ........................................................................ 6 Industrieproduktion auch nach zwei Jahren immer noch unter Vorjahresniveau ................................. 8 Kapazitätsauslastung steigt zum Jahresbeginn leicht an ................................................................... 10 Umsatz im vierten Quartal 2021 unter Vorkrisenniveau ..................................................................... 10 Ukraine-Krise dürfte konjunkturelle Erholung in der Industrie ausbremsen ........................................ 11 Geschäftsklima bricht wegen Krieg in der Ukraine ein ....................................................................... 11 Perspektiven ...................................................................................................................................... 12 Kriegsfolgen und ihre Einschätzung .................................................................................................... 13 Fahren auf Sicht .................................................................................................................................. 14 Wirtschaftspolitische Maßnahmen zur Schadensbegrenzung im Unternehmenssektor .................... 15 Quellenverzeichnis ............................................................................................................................ 16 Impressum ......................................................................................................................................... 16 Grunddaten zu den Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen .................................................. 17

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Ukraine-Krieg dämpft Investitionsbereitschaft | Konjunkturelle Unsicherheit gefährdet Erholung 2022 01/04/2022

Konjunktur in Deutschland Vierte Pandemiewelle bremst Wachstum im vierten Quartal aus Durch die vierte Corona-Welle wurde die wirtschaftliche Erholung zum Jahresende 2021 ausgebremst. Das Bruttoinlandsprodukt sank im vierten Quartal 2021 nach Berechnungen des Statistischen Bundesamtes in der preis-, kalender- und saisonbereinigten Betrachtung im Vergleich zum Vorquartal um 0,3 Prozent. Im dritten Quartal war es noch um plus 1,7 Prozent gestiegen. Der Vorjahresvergleich weist für das vierte Quartal einen Anstieg der realen Wirtschaftsleistung um 1,8 Prozent aus, nach zuvor plus 2,8 Prozent im dritten Quartal. Im Vergleich zu den Ende Januar veröffentlichten Daten (minus 0,7 Prozent) ist der BIP-Rückgang deutlich geringer ausgefallen. Auch das Jahresergebnis fiel mit plus 2,9 Prozent etwas günstiger aus. Im vierten Quartal 2021 wurde die Wirtschaftsleistung von 45,4 Millionen Erwerbstätigen erbracht. Das waren 434.000 Personen oder ein Prozent mehr als vor einem Jahr. Schaut man auf die Entstehungsseite des BIP ist die Bruttowertschöpfung in realer Rechnung im vierten Quartal 2021 im Vorjahresvergleich um zwei Prozent gestiegen. Ein kräftiger Wachstumsschub ging dabei von den Unternehmensdienstleistern und den sonstigen Dienstleistern aus, bei denen die Bruttowertschöpfung im Vorjahresvergleich um 7,7 Prozent bzw. 5,5 Prozent gestiegen ist. Überdurchschnittliche Zuwächse gab es auch in den Bereichen Handel, Verkehr, Gastgewerbe (plus 3,9 Prozent), Information- und Kommunikation (plus 3,8 Prozent) und im Erziehungs- und Gesundheitswesen (plus 3,3 Prozent). Leichte Zuwächse verbuchten die Finanz- und Versicherungsdienstleister (plus 1,4 Prozent) und das Grundstücks- und Wohnungswesen (plus 0,8 Prozent). Im Verarbeitenden Gewerbe sank die Bruttowertschöpfung nach kräftigen Zuwächsen im Sommerhalbjahr um 1,7 Prozent und im Baugewebe sogar um minus 3,1 Prozent. In der verwendungsseitigen Betrachtung des BIP sind die preisbereinigten privaten Konsumausgaben zwar im vierten Quartal im Vergleich zum Vorjahr um 2,6 Prozent gestiegen. Sie fielen damit aber immer noch saison- und kalenderbereinigt um 3,8 Prozent geringer aus als vor Ausbruch der Pandemie. Die Verbraucher erhöhten vor allem ihre Ausgaben für Bekleidung und Schuhe (plus 13,4 Prozent), für Freizeit, Unterhaltung und Kultur (plus 7,6 Prozent) sowie für Beherbergungs- und Gaststättendienstleistungen. Letztere stiegen aufgrund des starken Einbruchs im Vorjahr sogar um knapp 60 Prozent. Für Einrichtungsgegenstände und Haushaltsgeräte sowie für Nahrungs- und Genussmittel gaben die Haushalte zum Jahresende etwas weniger aus als im Jahr 2020. Die Ausgaben für Wohnen, Energie- und Wasserversorgung legten in realer Rechnung leicht zu (plus 0,4 Prozent). Die Konsumausgaben des Staates sind zum Jahresende nochmal um 2,6 Prozent gestiegen. In saison- und kalenderbereinigter Rechnung lagen die staatlichen Konsumausgaben damit 6,2 Prozent über dem Vorkrisenniveau. Die Bruttoanlageinvestitionen verminderten sich im vierten Quartal um 1,5 Prozent. Während die Ausrüstungsinvestitionen um minus 2,6 Prozent und Bauinvestitionen um 1,6 Prozent nachgaben, legten die Investitionen in sonstige Anlagen (u.a. Software und Patente) im Jahresendquartal mit plus 0,8 Prozent leicht zu. Darüber hinaus kam es zu umfangreichen Vorratsveränderungen, aus denen ein positiver Wachstumsbeitrag von 1,4 Prozentpunkten resultierte. In der Summe steigerten die Bruttoinvestitionen das BIP-Wachstum um einen Prozentpunkt. Die Exporte stiegen im Vergleich zum Vorjahresquartal um real 8,2 Prozent. Dabei war der Anstieg der Dienstleistungsexporte mit plus 20,3 Prozent deutlich stärker als der der Warenexporte mit plus 5,5 Prozent. Die Importe stiegen im gleichen Zeitraum um plus 12,2 Prozent. Während der Bezug von Waren nur um 6,6 Prozent zulegte, erhöhte sich

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der Importe von Dienstleistungen um mehr als ein Drittel. Aufgrund der deutlich stärker gestiegenen Importe ergab sich für den Außenhandel ein negativer Wachstumsbeitrag von einem Prozentpunkt.

Entwicklung des realen BIP in Prozent 12 10 8 6

2,7

4

1,1

2,9

1,1

2 0 -2 -4 -6

-4,6

-8 -10 -12 I

II

III

IV

I

2017

II

III

2018

IV

I

II

III

IV

2019

I

II

III

2020

IV

I

II

III

IV

2021

Veränderung ggü.Vorjahresquartal Veränderung ggü. Vorquartal, saison- und kalenderbereinigt Veränderung ggü. Vorjahr Quelle: Statistisches Bundesamt

Außenhandel: Jahresendspurt im vierten Quartal Der deutsche Außenhandel hat sich zum Jahresende nochmals beschleunigt. So sind die Ausfuhren von Waren im vierten Quartal 2021 im Vergleich zum Vorjahreszeitraum (saisonbereinigte Werte mit Länderdifferenzierungen sind nicht verfügbar) um 11,9 Prozent gestiegen. In absoluten Werten betrachtet verzeichneten die Ausfuhren in die Niederlande mit plus 5,1 Milliarden Euro oder 22,7 Prozent und in die USA mit plus 4,05 Milliarden Euro bzw. 14,2 Prozent die mit Abstand stärksten Zuwächse. Um jeweils mehr als ein Fünftel und mehr als drei Milliarden Euro stiegen die Ausfuhren nach Italien und Österreich. Zweistellige Zuwachsraten waren auch beim Handel mit unseren Nachbarn Frankreich, Polen, Schweiz, Tschechien und Belgien zu beobachten. Im Gegensatz dazu hat das ChinaGeschäft etwas nachgelassen. Die Ausfuhren dorthin gingen um 480 Millionen Euro bzw. 1,8 Prozent zurück. In die Türkei wurden wertmäßig 15,6 Prozent weniger Waren geliefert. Die Ausfuhren in das Vereinigte Königreich nahmen um 1,47 Milliarden Euro oder acht Prozent ab. Die deutschen Warenimporte sind im vierten Quartal 2021 im Vergleich zum Vorjahreszeitraum mit plus 21,7 Prozent fast doppelt so stark gestiegen wie die Ausfuhren. Die in absoluten Zahlen stärksten Zuwächse stammten dabei aus dem Handel mit China (plus 10,53 Milliarden Euro oder 33,4 Prozent), gefolgt von den Niederlanden mit plus 8,79 Milliarden Euro (plus 39,1 Prozent) und Belgien mit plus 4,24 Milliarden Euro (plus 43,6 Prozent). Aus den starken Preissteigerungen für Energierohstoffe resultieren wertmäßig höhere Einfuhren aus den Rohstofflieferländern Russland (plus 74,2 Prozent) und Norwegen (364 Prozent). Zweistellige Zuwachsraten ergaben sich auch aus dem Handel mit unseren

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Nachbarn Frankreich, Polen und Österreich sowie mit Italien. Gegen den Trend gingen die Einfuhren aus Mexiko um 23,8 Prozent und aus Großbritannien um 10,1 Prozent zurück.

Deutsche Ex- und Importe im vierten Quartal 2021 nach ausgewählten Ländern Veränderung gegenüber Vorjahresquartal Exporte Zu- (+) bzw. Abnahmen (-)

Importe Zu- (+) bzw. Abnahmen (-)

in Million Euro

in %

in Million Euro

in %

Niederlande

27 423

+ 5 104

+

22,9

China

42 052

+ 10 543

+

33,4

USA

32 622

+ 4 055

+

14,2

Niederlande

31 275

+ 8 791

+

39,1

Italien

20 357

+ 3 875

+

23,5

Norwegen

9 432

+ 7 397

+ 363,5

Österreich

19 184

+ 3 406

+

21,6

Belgien

13 975

+ 4 244

+

43,6

Frankreich

26 725

+ 2 688

+

11,2

Russland

9 869

+ 4 202

+

74,2

Polen

20 778

+ 2 664

+

14,7

Italien

17 320

+ 2 507

+

16,9

Schweiz

16 426

+ 2 429

+

17,3

Österreich

12 712

+ 1 935

+

18,0

Tschechien

12 684

+ 1 997

+

18,7

Polen

18 547

+ 1 718

+

10,2

Belgien

13 215

+ 1 391

+

11,8

Frankreich

17 014

+ 1 581

+

10,2

7 107

+ 1 199

+

20,3

USA

18 673

+ 1 459

+

8,5

Russland Spanien

11 166

+

935

+

9,1

Spanien

9 524

+ 1 077

+

12,7

Ungarn

7 487

+

860

+

13,0

Taiwan

3 452

+

980

+

39,7

Schweiz

12 610

+

905

+

7,7

Mexiko

1 887

-

589

-

23,8

Großbritannien

8 331

-

932

-

10,1

China

26 748

-

483

-

1,8

Türkei

5 339

-

990

-

15,6

16 825

- 1 466

-

8,0

364 194

+ 38 710

+

11,9

Großbritannien Insgesamt

Insgesamt

333 281

+ 59 349

+ 21,7

Quellen: Statistisches Bundesamt, eigene Berechnungen

Arbeitsmarkt: Beschäftigungsaufbau setzt sich weiter fort Nach ersten vorläufigen Berechnungen des Statistischen Bundesamtes ist die Zahl der Erwerbstätigen im Januar 2022 saisonbereinigt um 80.000 Personen gestiegen, nach einem Zuwachs um 56.000 im Dezember 2021. Im Vergleich zu Vorjahresmonat stieg die Zahl der Erwerbstätigen um 636.000 oder 1,4 Prozent auf 45,06 Millionen.

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Die sozialversicherungspflichtige Beschäftigung hat am aktuellen Rand ebenfalls zugenommen. Nach Hochrechnungen der Bundesagentur waren im Dezember des vergangenen Jahres (letzter verfügbarer Wert) insgesamt 34,3 Millionen Personen sozialversicherungspflichtig beschäftigt. Das waren in saisonbereinigter Betrachtung 82.000 Personen mehr als im November. Im Vorjahresvergleich waren sogar 603.000 Personen mehr beschäftigt. Die sozialversicherungspflichtige Vollzeitbeschäftigung nahm dabei im Vorjahresvergleich um 318.000 Personen oder 1,3 Prozent zu, die sozialversicherungspflichtige Teilzeitbeschäftigung um 286.000 Personen oder 2,9 Prozent. Die sonstigen Formen der Erwerbstätigkeit haben am aktuellen Rand saisonbereinigt abgenommen. Die Zahl der Selbstständigen einschließlich mithelfender Familienangehöriger ist vom dritten auf das vierte Quartal 2021 saisonbereinigt nochmals leicht gesunken. Im Vergleich zum Vorjahr hat die Selbstständigkeit um 69.000 oder 1,7 Prozent auf 3,91 Millionen abgenommen. Die Zahl der ausschließlich geringfügig entlohnten Beschäftigten nahm nach ersten Hochrechnungen der Bundesagentur nochmals leicht ab. Sie sank im Dezember 2021 im Vorjahresvergleich um 9.000 oder minus 0,2 Prozent auf 4,11 Millionen. Die Zahl der Arbeitslosen ging im Februar 2022 um 476.000 oder 16,4 Prozent auf 2,43 Millionen (Vorjahresvergleich) zurück. Damit lag die Arbeitslosenquote im Februar 2022 nach Systematik der Bundesagentur bei fünf Prozent und nach ILO-Systematik bei einem Wert von drei Prozent. Arbeitsmarkt in Deutschland* 4 34 Arbeitslose (rechte Achse) 3

32

2 Sozialversicherungspflichtig Beschäftigte (linke Achse) 1

30 0

28

2014 2012

2015 2013

2016 2014

2017 2015

2018 2016

2019 2017

2020

2021

2 2022

-1

Veränderung der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten zum Vorjahresmonat (rechte Achse) *saisonbereinigt in Million Quelle: Bundesagentur für Arbeit

Auftragseingang nimmt nach Jahreswechsel weiter zu Im Januar 2022 sind die Auftragseingänge in der Industrie nach vorläufigen Berechnungen preis-, kalender- und saisonbereinigt gegenüber dem Vormonat um 1,8 Prozent gestiegen. Während die Inlandsaufträge um 8,3 Prozent zurückgingen, legten die Bestellungen aus dem Ausland mit 9,4 Prozent kräftig zu. Während die Nachfrage aus Drittländern um 17 Prozent anstieg, gingen die Orders aus der Eurozone um 2,6 Prozent zurück.

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Nach Revision der Dezember-Daten sanken die Neuaufträge gegenüber dem dritten Quartal saisonund kalenderbereinigt um 4,2 Prozent. Das erste Mal seit dem Sommer 2020 bzw. nach fünf Quartalen weist der Vergleich zum Vorquartal einen Rückgang aus. Gegenüber dem Vorjahreszeitraum (viertes Quartal 2020) stieg das Auftragsvolumen allerdings mit plus 2,8 Prozent weiter an. Mit Blick auf die Herkunft der Aufträge stiegen im vierten Quartal 2021 die Auftragseingänge aus dem Inland binnen Jahresfrist mit plus 3,7 Prozent deutlich stärker als die aus dem Ausland (plus 2,1 Prozent). Innerhalb der Auslandsbestellungen gab es jedoch große Unterschiede. Während die Nachfrage aus dem Euroraum um 5,6 Prozent zulegte, sanken die Bestellungen aus Drittländern um minus 0,1 Prozent. Unter den industriellen Hauptgruppen verzeichneten die Konsumgüterhersteller im Vorjahresvergleich mit acht Prozent das kräftigste Auftragsplus. In- und Auslandsnachfrage entwickelten sich dabei ähnlich. Die Hersteller von Investitionsgütern erhielten 2,8 Prozent mehr Aufträge, die hauptsächlich aus dem Inland stammten (plus 7,6 Prozent). Die Auslandsnachfrage trat mit plus 0,3 Prozent auf der Stelle. Bei den Herstellern von Vorleistungsgütern fiel das Auftragsplus mit 1,5 Prozent am geringsten aus. Diese profitierten vor allem von der starken Auslandsnachfrage, die um plus 4,2 Prozent zulegte, während die Nachfrage aus dem Inland etwas nachgab (minus 1,2 Prozent).

Auftragseingang, Verarbeitendes Gewerbe 120

75

115

65

110

55

105

45

100

35

95

25

90

3,2

85

15

5,0

1,2

5

80

-5 -4,2

75

-15

70

-25

65

-35 2018

2019

2020

2021

2022

Veränderung zum Vorjahr, 2-Monats-Vergleich, in Prozent (rechte Achse) Index des Verabeitenden Gewerbes, 2-Monats-Durchschnitt, saisonbereinigt (linke Achse) Veränderung im Vergleich zum Vorquartal (q-o-q), in Prozent Quelle: Statistisches Bundesamt

Die deutsche Industrie hat am Ende des zweiten Corona-Jahres ein kräftiges Auftragsplus verbucht. Da Lieferengpässe weiterhin die Produktion in den Unternehmen beeinträchtigen, können diese ihren Orderzuwachs nicht gänzlich abbauen. Dies hat einen Anstieg der Auftragsbestände zur Folge. Nach Angaben des ifo Instituts stieg die Reichweite des Auftragsbestands im Verarbeitenden Gewerbe zu Beginn des vierten Quartals 2022 das dritte Mal in Folge auf ein neues Rekordhoch von nunmehr 4,5 Produktionsmonaten. Verantwortlich für den starken Zuwachs waren die Investitionsgüterhersteller. Hier füllten sich die Orderbücher weiter und übertrafen mit 6,4 Produktionsmonaten das bisherige

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Allzeithoch vom Oktober 2021 (5,7 Monate). Damit haben die Investitionsgüterproduzenten für 2,7 Produktionsmonate mehr Aufträge in ihren Büchern stehen als im Durchschnitt der letzten zehn Jahre. Bei den Herstellern von Vorleistungsgütern verharrte der Auftragsbestand auf dem bisherigen Allzeithoch. Diese Unternehmen haben noch Aufträge im Umfang von 3,7 Produktionsmonaten abzuarbeiten. Auch den Konsumgüterproduzenten gelang es, den Auftragszulauf zu bewältigen. Die Reichweite der Auftragsbestände verharrte bei 2,2 Monaten und lag damit nur leicht über dem langjährigen Mittel. Die seit dem Jahr 2015 vom Statistischen Bundesamt veröffentlichten Daten zum Auftragsbestand im Verarbeitenden Gewerbe weisen für den Monat Dezember 2021 einen saison- und kalenderbereinigten Anstieg um 1,5 Prozent gegenüber November aus. Der Auftragsbestand ist damit seit Juni 2020 kontinuierlich gestiegen und erreichte zum Jahresende 2021 seinen höchsten Stand seit Wiedereinführung der Statistik. Im Vergleich zum Februar 2020, dem Monat vor Beginn der Einschränkungen durch die Corona-Pandemie war der Auftragsbestand saison- und kalenderbereinigt sogar 29,3 Prozent höher. Die offenen Aufträge aus dem Inland erhöhten sich im Dezember um drei Prozent. Dies waren gleichzeitig 36,6 Prozent mehr als im Februar 2020. Der Bestand an Auslandsaufträgen stieg um 0,8 Prozent und übertraf das Vorkrisenniveau um 25,9 Prozent. Industrieproduktion auch nach zwei Jahren immer noch unter Vorjahresniveau Im Januar 2022 stieg nach vorläufigen Berechnungen die saison- und kalenderbereinigte Produktion in der Industrie gegenüber dem Vormonat um 1,3 Prozent. Darüber hinaus wurde der Produktionsentwicklung im Dezember 2021 auf plus 2,1 Prozent nach oben korrigiert (bisher: plus 1,2 Prozent). Dank des milden Januars gab es einen kräftigen Produktionsanstieg im Baugewerbe. Hier nahmen die Aktivitäten im Vergleich zum Vorjahresmonat um 12,5 Prozent zu. Bauhauptgewerbe und Ausbaugewerbe entwickelten sich ähnlich. Im Gegensatz dazu reduzierte die Energiewirtschaft die Produktion im Vormonatsvergleich leicht um 0,1 Prozent. In der Summe stieg die Produktion des Produzierenden Gewerbes im Vergleich zu Dezember 2021 um 2,7 Prozent und weist im Vergleich zum Vorjahresmonat ein Plus von 1,8 Prozent aus. Für das vierte Quartal 2021 ergibt sich hieraus für die Industrie ein saison- und kalenderbereinigter Anstieg der Produktion gegenüber dem Vorquartal von 2,2 Prozent. Damit endete der seit Jahresbeginn anhaltenden Abwärtstrend. Im Vergleich zum Vorjahr ist die Produktion allerdings um min us 1,6 Prozent gesunken. Die Energieerzeugung erhöhte sich saison- und kalenderbereinigt gegenüber dem vorherigen Quartal um 2,5 Prozent. Der Vergleich zum Vorjahr weist ein Produktionsplus von zwei Prozent aus. Im Baugewerbe sank die Produktion sowohl im Vorquartalsvergleich (minus ein Prozent) als auch im Vorjahresvergleich (minus 4,6 Prozent). Ursache für den Rückgang war die schwache Entwicklung im Ausbaugewerbe. Das Bauhauptgewerbe konnte seine Aktivitäten sowohl im Vergleich zum Vorquartal (plus 0,9 Prozent) als auch im Vergleich zum Vorjahr (plus 1,7 Prozent) ausweiten. In den einzelnen industriellen Hauptgruppen verfehlten die Hersteller von Vorleistungsgütern das saison- und kalenderbereinigte Ergebnis aus dem dritten Quartal 2021 mit minus 0,1 Prozent, konnten aber das Ergebnis des Vorjahres halten. Die Investitionsgüterproduzenten steigerten zwar die Produktion im Vergleich zum Vorquartal um fünf Prozent, verfehlten aber das Vorjahresergebnis mit minus 5,1 Prozent deutlich. Die Konsumgüterproduktion stagnierte gegenüber dem dritten Quartal (minus 0,1 Prozent). Im Vorjahresvergleich war ein Produktionsplus von drei Prozent zu verzeichnen.

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Produktionsentwicklung im Produzierenden Gewerbe Vergleich zum Vorjahr in Prozent 2020 2021 2021 Jahr Q2 Q3 Q4 Ursprungswerte kalenderbereinigt

Vergleich zum Vorzeitraum in Prozent 2021 2022 Q2 Q3 Q4 Nov Dez Jan saison- und kalenderbereinigt

Produzierendes Gewerbe

- 7,3

3,2

15,9

2,2

- 2,0

- 0,5

- 2,3

1,5

0,3

1,1

2,7

Industrie

- 9,6

4,3

19,7

2,5

- 1,6

- 1,2

- 2,3

2,2

0,5

2,1

1,3

Vorleistungsgüter

- 6,1

7,7

22,4

7,9

0,2

0,8

- 2,3

- 0,1

0,8

1,3

0,3

Investitionsgüter

- 14,6

1,8

22,8

- 2,7

- 5,1

- 4,0

- 4,0

5,0

- 0,1

4,4

1,2

Konsumgüter

- 3,7

2,7

7,6

3,6

3,0

1,1

1,6

- 0,1

1,4

- 0,7

4,0

Energie

- 6,1

2,7

11,9

2,2

2,0

2,5

- 1,1

2,5

- 0,8

0,5

- 0,1

Baugewerbe

4,2

- 1,2

2,0

0,8

- 4,6

2,6

- 2,5

- 1,0

- 0,3

- 4,0

10,1

Bauhauptgewerbe

5,4

0,9

2,5

1,1

1,7

2,7

- 1,6

0,9

0,2

- 3,0

6,3

Ausbaugewerbe

3,1

- 3,3

1,5

0,4

- 9,2

2,6

- 3,4

- 2,9

- 0,7

- 5,0

14,2

Quellen: Statistisches Bundesamt, eigene Berechnungen

Die Erholung in der Industrie dürfte auch im Jahr zwei nach Ausbruch der Pandemie nicht abgeschlossen sein. Verglichen mit dem Vor-Krisenjahr 2019 verzeichnet das Verarbeitende Gewerbe noch immer eine Produktionslücke von mehr als sechs Prozent, im Fahrzeugbau sind es sogar knapp 30 Prozent. Es gibt aber auch Branchen, die sich bereits gänzlich vom Corona -Schock erholen konnten, wie etwa die Elektroindustrie und die Bereiche Chemie und Pharmazie. Produktion, Verarbeitendes Gewerbe 110

40 30

100

20

2,2

90

3,0

10

0 -1,2

-2,3 -10

80

-20 70

-30 2018

2019

2020

2021

2022

Veränderung zum Vorjahr, 2-Monats-Vergleich in Prozent (rechte Achse) Index des Verarbeitenden Gewerbes, 2-Monatsdurchschnitt, saisonbereinigt (linke Achse) Veränderung im Vergleich zum Vorquartal (q-o-q), in Prozent Quelle: Statistisches Bundesamt

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Kapazitätsauslastung steigt zum Jahresbeginn leicht an Zum Jahresbeginn 2022 ist die Kapazitätsauslastung in der Industrie wieder gestiegen. Nach Angaben des ifo Institutes lag der Auslastungsgrad der Maschinen im Verarbeitenden Gewerbe zu Beginn des ersten Quartals bei 85,6 Prozent. Damit war der Auslastungsgrad nicht nur 0,7 Prozentpunkte höher als im Vorquartal. Die Kapazitäten waren gleichzeitig um 1,5 Prozentpunkte höher ausgelastet als im Durchschnitt der vergangenen zehn Jahre. Der Auslastungsgrad im Verarbeitenden Gewerbe ohne Ernährungsindustrie nahm mit 0,6 Prozentpunkten nicht ganz so stark zu, lag aber mit 86 Prozent ebenfalls 1,5 Prozentpunkte über dem Zehnjahresdurchschnitt. Blickt man auf einzelne Branchen zeigt sich ein sehr gemischtes Bild. So stieg der Auslastungsgrad im Fahrzeugbau zuletzt am kräftigsten, lag aber mit 84,1 Prozent noch immer 2,3 Prozent unter dem langjährigen Durchschnitt. Bei den Herstellern von Datenverarbeitungsgeräten sowie optischen und elektronischen Geräten ging die Auslastung zwar leicht zurück. Sie lag aber immer noch weit oberhalb des langjährigen Durchschnitts. In der metallverarbeitenden Industrie sank der Auslastungsgrad um 0,9 Prozentpunkte auf 79,3 Prozent. Im Maschinenbau lag der Auslastungsgrad mit 89,5 Prozent inzwischen deutlich über Vorkrisenniveau und dem langjährigen Durchschnitt. Textilgewerbe und Möbelindustrie meldeten eine gesunkene Auslastung. In der pharmazeutischen Industrie stieg die Auslastung zuletzt zwar kräftig, lag damit aber weiterhin deutlich unterhalb des langjährigen Durchschnitts. Umsatz im vierten Quartal 2021 unter Vorkrisenniveau Zum Jahresende 2021 sind die Umsätze im Verarbeitenden Gewerbe zwar im Vorquartalsvergleich gestiegen. Der Vergleich zum Vorjahr wies aber einen Rückgang von 0,6 Prozent aus. Während der Inlandsumsatz um minus 2,2 Prozent zurückging, stiegen die Erlöse aus dem Ausland um 0,9 Prozent. Für das gesamte Jahr 2021 ergab sich ein Umsatzplus von 10,2 Prozent. Dabei fiel der Umsatzanstieg aus dem Inlandsgeschäft mit 8,4 Prozent geringer aus als der aus dem Geschäft mit dem Ausland (plus 12,1 Prozent).

Umsatz* Januar bis Dezember 2021 Holzverarbeitung

22,0

Metallherstellung und -verarbeitung

20,4

Chemie

19,8

Elektroindustrie

14,9

Pharmazie

14,4

Papier und Pappe

13,2

Glas, Keramik, Steine, Erden

9,2

Fahrzeugbau

8,5

Maschinenbau

7,1

Textil Bekleidung Leder

7,0

Nahrung, Getränke, Tabak Druckindustrie sonstiger Fahrzeugbau

0,1 -1,4 -2,0

*Veränderung in Prozent zum Vorjahreszeitraum Quelle: Statistisches Bundesamt

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Unter den einzelnen Branchen war der Umsatzanstieg für das gesamte Jahr in der Holzindustrie (plus 22 Prozent), in der Metallerzeugung und -bearbeitung (plus 20,4 Prozent) und in der chemischen Industrie (plus 19,8 Prozent) am stärksten. Elektroindustrie, Papierindustrie und die Pharmaindustrie verbuchten ebenfalls Umsatzsteigerungen im zweistelligen Bereich. Umsatzzuwächse im oberen einstelligen Bereich erzielten die Baustoffindustrie, der Fahrzeug- und Maschinenbau sowie die Textilund Bekleidungsindustrie. In der Ernährungs- und Genussmittelindustrie stagnierten die Umsätze. In der Druckindustrie gingen die Umsätze dagegen um 1,4 Prozent und im sonstigen Fahrzeugbau um zwei Prozent zurück. Ukraine-Krise dürfte konjunkturelle Erholung in der Industrie ausbremsen Aufgrund des starken ersten Halbjahres und der Seitwärtsbewegung in der zweiten Jahreshälfte startet das Verarbeitende Gewerbe mit einem kleinen statistischen Überhang in das neue Jahr. Sollte die Produktion im Jahr 2022 auf dem Niveau des vierten Quartals 2021 verharren, würde dies im Jahresergebnis einen Produktionsanstieg von 0,1 Prozent bedeuten. In der Investitionsgüterproduktion fällt der statistische Überhang mit 0,5 Prozent etwas höher aus. In der Konsumgüterproduktion liegt der Wert bei einem Prozent. Die Produktion von Vorleistungsgütern würde jedoch zurückgehen (minus 1,1 Prozent). Der Einkaufmanagerindex für die Industrie gab im März 2022 leicht nach. Mit einem Wert von 57,6 bewegt er sich zwar deutlich oberhalb der Schwelle von 50 Indexpunkten, ab der eine Expansion angezeigt wird. Ob diese eintritt, ist inzwischen mehr als fraglich. Mit dem Ausbruch der kriegerischen Konflikte in der Ukraine ist nicht nur mit einer Verschärfung der Zulieferproblematik, sondern auch mit erheblichen Produktionsbehinderungen zu rechnen, deren Auswirkungen sich zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht abschätzen lassen. Geschäftsklima bricht wegen Krieg in der Ukraine ein Die Stimmung in der deutschen Wirtschaft hat sich im März 2022 aufgrund der russischen Invasion in der Ukraine dramatisch verschlechtert. Der ifo-Geschäftsklimaindex sank um 7,7 Indexpunkte. Nur in den Monaten März und April 2020 war das Stimmungsbarometer noch stärker gefallen. Während die befragten Unternehmen ihre aktuelle Geschäftslage nur etwas weniger günstig einschätzten, sind die Erwartungen für die kommenden sechs Monate so stark gesunken wie noch nie. Unter den einzelnen Sektoren hat sich das Geschäftsklima im Handel am stärksten eingetrübt. Die Händler waren zwar mit den laufenden Geschäften weiterhin zufrieden. Der Erwartungsindikator stürzte dagegen in Rekordgeschwindigkeit ab. Auch bei den Dienstleistern hat sich das Geschäftsklima merklich eingetrübt. Zwar wurde die aktuelle Lage gegenüber Februar noch etwas besser eingeschätzt. Dem stand aber ein starker Einbruch bei den Erwartungen entgegen. Vor allem die Logistiker blicken mit Sorge in die Zukunft. Auch im Bauhauptgewerbe gab das Stimmungsbarometer deutlich nach. Die befragten Bauunternehmer schätzten zwar ihre aktuelle Lage weiterhin mehrheitlich positiv ein. Die Geschäftserwartungen haben sich jedoch noch stärker eingetrübt als zu Beginn der Corona-Pandemie im Jahr 2020. Im Verarbeitenden Gewerbe ist die Stimmung komplett gekippt. Der Erwartungsindikator gab mit minus 19,8 Indexpunkten fast doppelt so stark nach wie im Frühjahr 2020. Die Erwartungen schlugen von Optimismus in einen deutlichen Pessimis mus um. Zudem schätzten die Unternehmen auch ihre aktuelle Lage schlechter ein als noch im Februar. Auch die Exporterwartungen sind im März komplett gekippt. Der Index sank von plus 17 Punkten auf minus 2,3 Punkte. Nur zu Beginn der Corona-Krise war der Einbruch noch stärker.

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ifo Konjunktur-Uhr Deutschland ifo Geschäftsklima-Index im Verarbeitenden Gewerbe*

30 Boom

Aufschwung Jan 2021

Erwartungen für die nächsten 6 Monate

20 10

Jan 2018

Jan 2022

Jan 2017

0 Jan 2020

Jan 2019

-10 -20

März 2022

-30 -40 -50 Rezession

Abschwung

-60 -60

-50

-40

* Salden, saisonbereinigt

-30

-20

-10

0

10

20

30

40

50

60

Beurteilung der Geschäftslage

Quelle: ifo Institut

Perspektiven Mit Beginn des Frühjahres wurden in Deutschland einige pandemiebedingte Einschränkungen gelockert oder sogar aufgehoben. Die Lockerungen allein hätten die sich für das Frühjahr abzeichnende wirtschaftliche Belebung noch beschleunigen können. Dieser Aufschwung dürfte aber durch den Ausbruch des Russland-Ukraine-Krieges jäh ausgebremst werden. Während wir zu Beginn des Jahres noch mit einem robusten Anstieg bei Exporten von Waren und Dienstleistungen gerechnet haben, dürften die deutschen Ausfuhren gleich durch mehrere Wirkungskanäle in Bedrängnis geraten. Allein das sich abzeichnende geringere weltwirtschaftliche Wachstum dürfte die weltweite Nachfrage nach deutschen Gütern dämpfen. So rechnet die OECD (2022) mit einer Dämpfung der weltweiten Wirtschaftsaktivität um gut einen Prozentpunkt, naturgemäß mit stärkeren Effekten in Europa als in den USA oder in Ostasien. Für den deutschen Außenhandel fallen vor allem die schwächeren Wachstumsaussichten in unseren EU-Partnerländern ins Gewicht. Angebotsseitig sind die bestehen Lieferengpässe noch nicht überwunden und werden durch die Embargomaßnahmen der Europäischen Union sowie durch erneute Covid-Schutzmaßnahmen in der Volksrepublik China noch verschärft. Selbst bei ausreichender Auslandsnachfrage dürfte diese aufgrund der bestehenden Liefer- und Produktionsbehinderungen nicht komplett bedient werden. Importseitig wird die abgeschwächte Produktion zwar einen geringeren Bezug von Vorleistungsgütern nach sich ziehen. Die stark gestiegenen Preise für energetische und nicht energetische Rohstoffe führen aber zu einer weiteren Verschlechterung der Terms of Trade und treiben die Importrechnung in die Höhe. In der

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Summe dürften diese Entwicklungen auf einen negativen Außenbeitrag hinauslaufen und das BIPWachstum belasten. Mit den Lockerungsmaßnahmen haben sich die Aussichten für eine steigende Beschäftigung, insbesondere im Dienstleistungsbereich, erhöht. Der Rückgang der Kurzarbeit, der geplante Anstieg des gesetzlichen Mindestlohns und der hohe Sparüberhang aus dem vergangenen Jahr könnten zwar zu einem Anstieg der Konsumausgaben der Privaten Haushalte beitragen. Die stark gestiegenen Preise für Energie, aber auch für Nahrungsmittel, dürften jedoch zu erheblichen Kaufkraftverlusten führen und dämpfend auf die Konsumnachfrage wirken. Dafür ist mit Blick auf die zu erwartende Unterstützung von Geflüchteten aus der Ukraine sowie durch absehbare Hilfsmaßnahmen der Bundesregierung zum Ausgleich von kriegsbedingen Belastungen auch im Jahr 2022 mit einem Anstieg der öffentlichen Konsumausgaben zu rechnen. In der Summe dürfte nach unseren Einschätzungen von den Konsumausgaben noch leichte Wachstumsimpulse ausgehen. Die Investitionstätigkeit dürfte sich trotz notwendiger Investitionen für die digitale und energetische Transformation im laufenden Jahr nur verhalten entwickeln. Der Anfang Februar veröffentlichte vierteljährliche Bank Lending Survey der EZB signalisierte zwar aufgrund der deutlich gestiegenen Kreditnachfrage von Unternehmen in Deutschland eine Belebung bei den Investitionen. Die mit dem Russland-Ukraine-Krieg gestiegenen Unsicherheiten dürften jetzt mit großer Wahrscheinlichkeit zu einer Zurückhaltung bei den Investoren führen, zumal sich auch die Exporterwartungen am aktuellen Rand dramatisch verschlechtert haben. Dementsprechend dürften sich die Wachstumsimpulse der Ausrüstungsinvestitionen verflüchtigen. Der hohe Bedarf an Wohnraum und die noch immer günstigen Finanzierungssituation spricht weiterhin für eine stabile Entwicklung beim Wohnungsbau, der den Großteil der Bauinvestitionen ausmacht. Bei gewerblichen Bauten hat es zwar im vergangenen Jahr ein Genehmigungsplus gegeben. Unsicherheiten bestehen aber im Hinblick auf deren Realisierung. Neben der kriegsbedingten Zurückhaltung der Investoren geht mit einer Zunahme an mobiler Arbeit auch der Bedarf an Büro- und Verwaltungsgebäuden zurück. Positive Signale kommen vom Wirtschaftstiefbau. Neben dem Ausbau des Schienennetzes durch die Deutsche Bahn AG stehen bei Ver- und Entsorgern Investitionen in den Bereichen regenerativer Energien sowie beim Netzausbau an. Im öffentlichen Bau sollten die Anlaufprobleme der Autobahn-GmbH des Bundes überwunden sein, damit die Mittel für den Neu- und Ausbau des Fernstraßennetzes auch umgesetzt werden. Bei den Investitionen in sonstige Anlagen (Software, Forschung und Entwicklung) rechnen wir wie in den beiden Jahren zuvor nur mit einem geringen realen Wachstum. In der Summe dürfte von den Bruttoanlageinvestitionen nur ein geringer Wachstumsimpuls ausgehen. Kriegsfolgen und ihre Einschätzung Durch die Folgen des Krieges in der Ukraine wird das Wachstum des Bruttoinlandsproduktes im laufenden Jahr erheblich belastet. Mögliche Wachstumseintrübungen für den Euroraum sind jüngst als Szenariobetrachtung von der EZB auf minus 0,5 bis minus 1,9 Prozentpunkte geschätzt worden, wobei weitere finanzpolitische Maßnahmen der Regierungen noch nicht berücksichtigt worden sind (EZB 2022). Auch die OECD (OECD 2022) hat berechnet, wie sich die seit Kriegsbeginn beobachteten Entwicklungen auf den Rohstoff- und Finanzmärkten auf das globale BIP auswirken, sollten diese von Dauer sein. Dies würde das globale BIP-Wachstum im laufenden Jahr um über ein Prozentpunkt vermindern und die globale Inflation um 2½ Prozentpunkte erhöhen. Die europäischen Volkswirtschaften wären dabei neben Russland und Ukraine am stärksten betroffen. Für den Euroraum beliefen sich die

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Wachstumseinbußen auf minus 1,3 Prozentpunkte verbunden mit einem Preisschub von zwei Prozentpunkten. Aufgrund der hohen Unsicherheit über den Kriegsverlauf und die Auswirkungen auf die Weltmärkte sehen wir derzeit von Prognosen im Kontext mehrerer Szenarien ab. Insbesondere eine Störung bei den Gaseinfuhren aus Russland könnte komplexe Kaskadeneffekte für Produktionsstörungen in zahlreichen Branchen auslösen, die nicht gut mit einem makroökonomischen Modell erfasst werden können (siehe z.B. Bachmann et al. 2022 und DIW 2022 und zur Einschätzung IMK 2022). Eine negative Auswirkung auf die gesamtwirtschaftliche Leistung in Höhe von einem halben Prozentpunkt bis zu drei Prozentpunkte unterschätzt unseres Erachtens die volle Wirkung von Produktionsstörungen beim Ausfall von Zwischengütern erheblich. Umfragen des Instituts der Deutschen Wirtschaft zeigen zudem auf, dass neben den höheren Energiebezugspreisen vor allem der Bezug von Gas und fehlende Vorleistungen einen sehr hohen Anteil von Unternehmen in fast allen Branchen der Industrie und der industrienahen Dienstleistungen betreffen (IW 2022). Erste Analysen eine möglichen Energierohstofflieferstopps deuten zudem darauf hin, welche komplexen Folgen dies haben würde und welche möglichen Reaktionen der Wirtschaft und der öffentlichen Hand in der EU zur Verfügung stünden (Bruegel 2022). Das ifo-Institut (ifo 2022) hat die Wachstumsprognose für das laufende Jahr auf 3,1 Prozent nach unten revidiert und unterstellt dabei, dass die Rohstoffpreise ihren Höhepunkt bereits überschritten haben und in den kommenden Monaten allmählich sinken. In einem alternativen Szenario haben die Münchener Forscher unterstellt, dass der Energiepreisanstieg erst in der Jahresmitte 2022 seinen Hochpunkt erreicht. Dies hätte ein geringeres BIP-Wachstum (plus 2,2 Prozent) und einen Preisanstieg um 6,1 Prozent zur Folge. Der Sachverständigenrat hat in seinem Frühjahrsgutachten (SVR 2022) die Prognose für das Wachstum der realen Wirtschaftsleistung in Deutschland dieses Jahr auf 1,8 Prozent heruntergenommen (3,6 Prozent 2023); für den Euroraum sieht der Rat immer noch 2,9 Prozent Wachstum in beiden Jahren vor. Der Rat traut der Weltwirtschaft in diesem Jahr noch ein Wachstum von 3,3 Prozent zu (3,1 Prozent 2023), was mit einer Expansion des Welthandels in Höhe von 1,8 Prozent einherginge (3,1 Prozent 2023). Fahren auf Sicht Es ist noch etwas zu früh, um die Effekte des Krieges verlässlich quantifizieren zu können. Klar ist auf jeden Fall, dass die Schwächung des weltwirtschaftlichen Wachstums und der Erholung im Euroraum bereits unvermeidbar ist. Auch der Außenhandel und die Investitionstätigkeit werden Einbußen erleiden. Ob und in welchem Umfang sich die Unsicherheit auch auf die Kaufentscheidungen der Privaten Haushalte auswirken wird, ist angesichts mangelnder historischer Erfahrungen offen. Zudem ist unklar, in welchem Ausmaß Unternehmen Investitionen aufschieben oder stornieren werden. Auch die Reaktion der Finanzpolitik ist noch in vollem Schwung. Die Koalition hat mit den Entlastungspaketen I und II bereits einen Mix an Maßnahmen beschlossen, der die Belastungen vor allem für Bürger mit niedrigem oder mittlerem Einkommen senken soll. In der Summe sind knapp 30 Milliarden Euro an Mehrausgaben und Entlastungen vorgesehen. Zudem sind erhebliche Mehrausgaben für die Verteidigung geplant; das noch dieses Jahr zu realisierende Volumen ist jedoch offen. Weitere Maßnahmen zur Unterstützung von besonders betroffenen Unternehmen sind bereits angekündigt worden, z.B. ein

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KfW-Programm durch Bundesminister Habeck. All dies spricht dafür, dass die Finanzpolitik gegenhalten wird. Zugleich könnten weitere Eskalationsschritte im Konflikt auch neue wirtschaftliche Probleme aufwerfen, auf die nicht in jedem Fall kurzfristige Maßnahmen zur Verfügung stehen werden. Das Risiko gravierender Störungen der Energieversorgung, der weltweiten Güterlogistik und der Industrieproduktion in den europäischen Ländern ist und bleibt voraussichtlich noch für längere Zeit erheblich.

Wirtschaftspolitische Maßnahmen zur Schadensbegrenzung im Unternehmenssektor Angesichts des Kriegs in der Ukraine muss die Bundesregierung jetzt die wirtschaftliche Stärke der Unternehmen bewahren und an schnell wirksamen, zielgenauen und befristeten Maßnahmen arbeiten, um die Krise abzufedern. Die deutsche Industrie sieht die Gefahr, dass Unternehmen wegen der Energiepreise oder aufgrund eines russischen Exportstopps von Energierohstoffen in existenzielle Schwierigkeiten geraten. Schon jetzt sind einige energieintensive Unternehmen gezwungen, ihre Produktion wegen überbordender Gas- und Stromkosten zu drosseln. In Einzelfällen sollten übergangsweise Instrumente wie Bürgschaften, Garantien, Kredite und staatliche Beteiligungen an gefährdeten Unternehmen nach dem Vorbild des Wirtschaftsstabilisierungsfonds in der Corona-Krise möglich sein. Die Koalition sollte ein KfW-Programm auf den Weg bringen, um stark betroffenen Unternehmen über Darlehen rasch Liquidität zu verschaffen. Der geplante Ergänzungshaushalt sollte rasch eine notwendige Bundesgarantie vorsehen. Absehbar werden die Netzentgelte der am schnellsten steigende Teil der wachsenden Stromkosten sein. Der Gesetzgeber sollte die ab dem kommenden Jahr vorgesehene Ko-Finanzierung auf das laufende Jahr vorziehen, um Bürgerinnen, Bürger und Unternehmen schneller zu entlasten. Als Bestandteil eines dritten Entlastungspaketes sollte die Bundesregierung gezielt befristet Zuschüsse für Unternehmen bereitstellen, die wegen der Energiepreise unverschuldet in eine wirtschaftliche Schieflage geraten sind. In der Steuerpolitik müssen Verluste infolge von Enteignung oder konzerninternen Forderungsausfällen in Russland und der Ukraine aufgrund der aktuellen Situation steuerlich abgezogen werden können. Bei den Energiesteuern ist eine Senkung der Stromsteuer auf den EU-Mindeststeuersatz überfällig. Dringend notwendig sind außerdem Anschlussregelungen für die nur noch in diesem Jahr geltenden Energiesteuer-Entlastungen.

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Quellenverzeichnis Bachmann et al. (2022). Was wäre, wenn …? Die wirtschaftspolitischen Auswirkungen eines Importstopps russischer Energie auf Deutschland. ECONtribute Policy Brief No. 029. DIW (2022). Stopp russischer Energieeinfuhren würde deutsche Wirtschaft spürbar treffe, Fiskalpolitik wäre in der Verantwortung. DIW aktuell Nr. 80. 29. März. Berlin. Europäische Zentralbank (2022). ECB macroeconomic staff projections for the euro area. 10. März. Frankfurt/M. Ifo (2002). Schnelldienst Digital 1/2022, 23. März. München. IMK (2022). Ukraine-Krieg erschwert Erholung nach Pandemie. IMK-Report Nr. 174. IW Köln (2022). Report 11/2022, Institut der deutschen Wirtschaft. Köln. März. OECD (2022). Economic Outlook, Interim Report. 17. März. Paris. SVR (2022). Aktualisierte Konjunkturprognose 2022 und 2023. 30. März. Wiesbaden.

Impressum Bundesverband der Deutschen Industrie e.V. (BDI) Breite Straße 29 10178 Berlin T: +49 30 2028-0 www.bdi.eu Lobbyregisternummer R000534 Autor Thomas Hüne T: +49 30 2028-1592 t.huene@bdi.eu Redaktion/Grafiken Dr. Klaus Günter Deutsch T: +49 30 2028-1591 k.deutsch@bdi.eu Marta Gancarek T: +49 30 2028-1588 m.gancarek@bdi.eu

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Grunddaten zu den Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen Verwendung des Bruttoinlandsproduktes (preis-, saison- und kalenderbereinigt) Veränderung zum Vorzeitraum in Prozent 2020 2020

2021

2021

Q3

Q4

Q1

Q2

Q3

Q4

-3,2

1,1

8,3

-1,7

-3,9

4,2

3,2

-0,9

-5,9

0,1

11,5

-2,7

-5,2

3,7

6,0

-1,8

3,5

3,1

1,5

0,8

-1,1

5,1

-2,8

1,0

-2,2

1,5

4,6

2,4

-0,5

1,3

-2,9

0,5

-11,2

3,4

16,7

1,9

-0,4

0,6

-3,9

0,9

-Bauinvestitionen

2,5

0,7

-0,9

2,9

0,2

1,7

-3,6

0,0

-sonstige Anlagen

1,0

0,7

2,8

1,7

-2,6

1,1

0,9

1,3

Inländische Verwendung

-4,0

2,2

5,6

-0,3

-1,0

2,8

1,7

-0,5

Exporte

-9,3

9,9

17,5

4,6

1,9

1,1

0,0

4,8

Importe

-8,6

9,3

9,3

2,7

4,3

2,3

-0,1

5,1

Insgesamt

-4,6

2,9

9,0

0,7

-1,7

2,2

1,7

-0,3

Konsumausgaben -Private Konsumausgaben -Konsumausgaben des Staates Bruttoanlageinvestitionen -Ausrüstungsinvestitionen

Wachstumsbeiträge zum preisbereinigten BIP (in Prozentpunkten) Konsumausgaben

-2,3

0,8

6,2

-1,2

-2,8

2,9

2,3

-0,7

-3,0

0,1

5,8

-1,4

-2,6

1,8

2,9

-0,9

0,7

0,7

0,4

0,2

-0,3

1,2

-0,7

0,2

-0,8

0,3

1,0

0,5

-0,1

0,3

-0,6

0,1

-0,9

0,2

1,0

0,1

0,0

0,0

-0,3

0,1

-Bauinvestitionen

0,2

0,1

-0,1

0,3

0,0

0,2

-0,4

0,0

-sonstige Anlagen

0,0

0,0

0,1

0,1

-0,1

0,0

0,0

0,1

Vorratsveränderungen u. Ä.

-0,7

1,0

-1,8

0,5

2,1

-0,6

0,0

0,1

Inländische Verwendung

-3,7

2,1

5,5

-0,2

-0,9

2,6

1,6

-0,5

Außenbeitrag

-0,8

0,8

3,6

1,0

-0,8

-0,4

0,1

0,2

-Private Konsumausgaben -Konsumausgaben des Staates Bruttoanlageinvestitionen -Ausrüstungsinvestitionen

Quelle: Statistisches Bundesamt

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