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Nutzungsraten von EUFreihandelsabkommen Vorschläge für eine bessere Nutzung
November 2022 Kernforderungen Laut der EU-Kommission nutzen europäische Exporteure und Importeure die Freihandelsabkommen (FHA) der EU zwar bereits in relativ hohem Maße (die Nutzungsrate deutscher Exporteure liegt bei 60 %), doch bleibt die Nutzung beständig hinter ihrem Potenzial zurück. Der BDI hat erstmals im Januar 2020 in einer Umfrage deutscher Unternehmen und Branchenverbände die Gründe hierfür untersucht und hieraus zusammen mit seinen Mitgliedern Handlungsempfehlungen abgeleitet. Diese Umfrage und die daraus resultierenden Handlungsempfehlungen wurden in einer erneuten Umfrage aktualisiert und abgepasst: ▪ Freihandelsabkommen mit strategischen Handelspartnern abschließen – die deutsche Industrie unterstützt das Ziel der Europäischen Kommission, Freihandelsabkommen mit strategischen Handelspartnern abzuschließen. Selbst bei nicht voller Präferenznutzung entfalten Zollsenkungen positive wirtschaftliche Effekte; hinzu kommen die wirtschaftlichen Vorteile aus den zahlreichen anderen Vereinbarungen eines modernen FHA. Diese Abkommen sollten deshalb umfassend sein und den Charakteristika des modernen Handels Rechnung tragen. Das heißt, dass sie neben dem Abbau von Zöllen (mit Ausnahmen für einige sensible Agrarprodukte) sogenannte WTO+ Themen wie den Abbau technischer Handelshemmnisse, die Öffnung des Vergabewesens oder auch Regeln für den digitalen Handel umfassen sollten. Gleichzeitig sollten Freihandelsabkommen nicht zu sehr überfrachtet werden, um auch bei den europäischen Handelspartnern die Ratifizierung sicherstellen zu können. Grundsätzlich müssen die FHA der EU den Regeln der WTO für Freihandelsabkommen entsprechen. ▪ Ursprungsregeln vereinfachen und Anreize zur Nutzung schaffen – um die Nutzung europäischer Freihandelsabkommen zu fördern, ist es entscheidend, die Ursprungsregeln zukünftiger Abkommen für die verschiedenen Industriebranchen zu vereinfachen und zu standardisieren. Wenn möglich, empfiehlt die deutsche Industrie bei den Warenkapiteln 25-96 einheitliche und industrieübergreifende Wertschöpfungsregeln. Bessere IT-Systeme könnten Ausfuhren in einem einheitlichen System klassifizieren und mit der Ursprungserbringung verbundene Ausgaben für Unternehmen reduzieren. Zudem sollte die Modernisierung älterer Abkommen der EU für eine größere Harmonisierung der Ursprungsregelwerke genutzt werden.
Anna Kantrup | Außenwirtschaftspolitik | T: +49 30 2028-1526 | a.kantrup@bdi.eu | www.bdi.eu Katherine Tepper | Außenwirtschaftspolitik | T: +49 30 2028-1499 | k.tepper@bdi.eu | www.bdi.eu Matthias Krämer | Außenwirtschaftspolitik | T: +49 30 2028-1562 | m.kraemer@bdi.eu | www.bdi.eu
Nutzungsraten von Freihandels-abkommen
▪ Entbürokratisierung und Digitalisierung – der BDI setzt sich für eine einheitliche europäische ITBenutzerplattform für den automatischen Austausch von Lieferantenerklärungen ein. Mit dem Direktbeförderungsprinzip und der Nutzung regionaler Hubs verbundene Herausforderungen könnte die EU mit innovativen Technologien oder Alternativnachweisen begegnen. Eine Prozess-Standardisierung, beispielsweise auf Basis einer Blockchain-Lösung, wäre wünschenswert. ▪ Bessere, präzisere und produktspezifische Informationen zu Freihandelsabkommen zur Verfügung stellen – Unternehmen müssen stärker dabei unterstützt werden, von den Vorteilen der EU-FHA zu profitieren. Dies kann durch verbesserte Kommunikation zwischen der EU-Kommission, den Mitgliedstaaten, den Zollbehörden und der Wirtschaft gewährleistet werden. Zudem sollte die Wirtschaft bereits während der Verhandlungen eines FHA einbezogen werden. So können potenzielle Stolpersteine für die Nutzung europäischer Freihandelsabkommen schneller und präziser identifiziert sowie möglichst verhindert werden.
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Nutzungsraten von Freihandels-abkommen
Inhalt Kernforderungen ................................................................................................................................. 1 Handlungsempfehlungen der deutschen Industrie ......................................................................... 4 Abschluss von umfassenden und modernen Freihandelsabkommen mit strategischen Handelspartnern .................................................................................................................................... 4 Ursprungsregeln vereinfachen und Anreize zur Nutzung schaffen....................................................... 4 Breitere Anwendung von Präferenzregeln bei den Warenkapiteln 25-96: Kumulierung, de minimis und prozentualer regionaler Wertanteil ........................................................................................................ 5 Entbürokratisierung und Digitalisierung ................................................................................................ 6 Bessere, präzisere und produktspezifische Informationen zu FHA zur Verfügung stellen ................... 7 Nutzung von Zollkontingenten ............................................................................................................... 7 Hintergrund: Nutzungsrate von Freihandelsabkommen innerhalb der EU ................................... 8 Umfrage: Ursachen der Nicht-Nutzung von Freihandelsabkommen ............................................. 9 Unübersichtliche Regeln ..................................................................................................................... 10 Komplexe Ursprungsregeln als entscheidender Faktor ...................................................................... 11 Neues Verfahren zur Nachprüfung des Ursprungsnachweises .......................................................... 12 Die Rolle von Wertschöpfungsketten .................................................................................................. 13 Zollgewinnmargen ............................................................................................................................... 14 Interne Kapazität sowie Expertise und Information ............................................................................. 14 Weitere Faktoren (In-Kraft-Treten, Direktbeförderungsprinzip, getrennte Lagerung, Zollkontingente) ............................................................................................................................................................. 16 Impressum ......................................................................................................................................... 20
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Nutzungsraten von Freihandels-abkommen
Handlungsempfehlungen der deutschen Industrie Abschluss von umfassenden und modernen Freihandelsabkommen mit strategischen Handelspartnern Die deutsche Industrie unterstützt das Ziel der Europäischen Kommission, Freihandelsabkommen mit strategischen Handelspartnern wie Australien, Indien und Indonesien abzuschließen. Diese Abkommen sollten umfassend sein und den Charakteristika des modernen Handels Rechnung tragen. Das heißt, sie müssen beispielsweise globalisierte Wertschöpfungsnetzwerke oder auch die Nutzung zentraler Umschlag- und Lagerplätze berücksichtigen. Sie müssen entsprechend neben dem Abbau von Zöllen (mit Ausnahmen für einige sensible Agrarprodukte) sogenannte WTO+-Themen wie den Abbau technischer Handelshemmnisse, die Öffnung des Vergabewesens oder auch Regeln für den digitalen Handel umfassen. Auch Nachhaltigkeitskapitel gehören in moderne Handelsabkommen. Gleichzeitig sollten Freihandelsabkommen nicht zu sehr überfrachtet werden, um auch bei den europäischen Handelspartnern die Ratifizierung sicherstellen zu können. Wichtig ist zudem, dass Mechanismen zum Monitoring, zur schnellen und wirksamen Streitschlichtung und Mediation vorgesehen werden. Dies gilt umso mehr in einer Zeit, in der der Streitschlichtungsmechanismus der Welthandelsorganisation (WTO) nur noch eingeschränkt funktionsfähig ist. Grundsätzlich müssen die FHA der EU den Regeln der WTO für Freihandelsabkommen (GATT-Artikel XXIV, GATS-Artikel V, Ermächtigungsklausel für Entwicklungsländer) entsprechen. Ursprungsregeln vereinfachen und Anreize zur Nutzung schaffen Um die Nutzungsrate von FHA zu steigern ist es entscheidend, die Ursprungsregeln für die verschiedenen Industriebranchen zu vereinfachen und zu standardisieren. Ein besonderes Augenmerk sollte hierbei auf die IT-technische Umsetzbarkeit gelegt werden, um Prozesse zu vereinfachen und bürokratische Hürden abzubauen. Die deutsche Industrie setzt sich daher für einheitliche, industrieübergreifende Wertschöpfungsregeln in Höhe von 50 Prozent auf der Grundlage der EU-Berechnungsmethode (EEU) im Rahmen der Ursprungsregeln ein. Die landwirtschaftlichen Erzeugnisse der Kapitel 1-24 der Kombinierten Nomenklatur (KN) sind hiervon auszuschließen. Darüber hinaus spricht sich der BDI für eine stärkere Harmonisierung produktspezifischer Ursprungsregeln aus. So würden umfängliche und kostenintensive Vorabprüfungen im Rahmen der Ursprungsermittlung entfallen. IT-Systeme könnten Ausfuhren in einem einheitlichen System klassifizieren und so mit der Ursprungserbringung verbundene Ausgaben für Unternehmen reduzieren. Dies wäre ein positiver Anreiz gerade auch für kleine und mittlere Unternehmen, Zollpräferenzen unter FHA zu nutzen. Die einzelnen Sektoren sollten eng in die Ausgestaltung der produktspezifischen Ursprungsregeln einbezogen werden, um sicherzustellen, dass Unternehmen die Regeln umsetzen können und die Produktionsprozesse widerspiegeln. Wenn möglich sollten zukünftige Freihandelsabkommen rechtssichere Anreize zur Selbstzertifizierung geben und damit verstärkt zur Kostenreduktion in der Ursprungserbringung beitragen. Bei Verifizierung und Nachprüfung muss ein besonderes Augenmerk auf Vertraulichkeit und Rechtssicherheit gelegt werden. Der Schutz von Know-how ist für die deutsche Industrie von besonderer Bedeutung und darf keinesfalls durch die Nutzung von Freihandelsabkommen gefährdet werden. Die deutsche Industrie setzt sich zudem für eine Abkehr vom Prinzip der getrennten Lagerung ein. Hiernach müssen im Herstellungsverfahren die Materialien mit Präferenzursprung von den Materialien ohne Präferenzursprung getrennt werden. Waren gleicher Beschaffenheit, aber unterschiedlichen Ursprungs physisch getrennt aufzubewahren, erschwert und verteuert die Lagerung und Herstellung
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Nutzungsraten von Freihandels-abkommen
erheblich. Eine strenge Trennung ist insbesondere bei Flüssigkeiten und kleinteiliger Massenware unwirtschaftlich. In der Konsequenz werden Unternehmen, die sich regionaler Verteilerzentren bedienen, tendenziell benachteiligt und damit globale Wertschöpfungsketten erschwert. Eine buchmäßige Trennung von Produktionsmaterial und Handelswaren sollte die bislang erforderliche physische Trennung von Ursprungswaren und Nichtursprungswaren in allen Präferenzabkommen ersetzen. Dies sollte nach den Maßstäben der ordnungsgemäßen Buchführung erfolgen und den Unternehmen eine unkomplizierte Anwendung ermöglichen. Zur Dokumentation der buchmäßigen Trennung sollten die in den Gesellschaften vorhandenen Dokumentationen, die den nationalen Rechtsvorgaben entsprechen, ausreichen. In der Regel können Präferenzzölle rückwirkend im Falle einer verspäteten Abgabe des Ursprungsnachweises erstattet werden. Um die Nutzungsrate von FHA zu erhöhen, sollte in allen Abkommen eine Regel enthalten sein, die beide Vertragspartner verpflichtet, entsprechende Rückvergütungen zu gewährleisten. Die bestehenden EU-Freihandelsabkommen sehen diese Möglichkeit bisher nur in begründeten Ausnahmefällen vor. In diesem Rahmen kann innerhalb der gesetzlichen Verjährungsfristen eine Rückerstattung bereits entrichteter Zölle beantragt werden, wenn der Nachweis erbracht werden kann, dass die eingeführten Waren präferenziellen Ursprungs waren. Die deutsche Wirtschaft schlägt vor, dass die Zollpräferenzvorteile grundsätzlich rückwirkend für einen Zeitraum von mindestens drei Jahren in Anspruch genommen werden können. Schließlich müssen Ursprungsregeln in europäischen FHA mit dem technologischen Fortschritt mithalten. Sie sollten daher regelmäßig überarbeitet werden. Nur so kann sichergestellt werden, dass sie moderne Produktionsprozesse widerspiegeln und Unternehmen von den gewährten Zollpräferenzen Gebrauch machen können. Breitere Anwendung von Präferenzregeln bei den Warenkapiteln 25-96: Kumulierung, De minimis und prozentualer regionaler Wertanteil Kumulierung bedeutet, dass beim Ursprungserwerb Bearbeitungen, die in anderen Ländern durchgeführt wurden, angerechnet werden. Je nachdem, wie viele Länder beteiligt sind, unterscheidet man verschiedene Kumulierungsvarianten. Kumulierung trägt der Globalisierung von Wertschöpfungsnetzwerken Rechnung. Die deutsche Industrie begrüßt, dass die jüngsten EU-Freihandelsabkommen die vollständige Kumulierung erlauben. Entsprechend müssen Materialien und Teilprodukte nicht zwangsläufig eine Ursprungsverifikation bestehen, damit das Endprodukt den Vorteil von Präferenzzöllen erhält. Der EUGesetzgeber zeigt hierdurch seine Wertschätzung für die geistige Arbeitsleistung, die bei komplexen Herstellungsprozessen in den letzten Schritten der Wertschöpfungskette stecken. In jedem Fall sollten die Kumulierungsregeln zukünftiger Freihandelsabkommen vereinfacht werden. Bei der Modernisierung bestehender Abkommen sollten die Kumulierungsregeln ebenfalls auf die vollständige Kumulierung erweitert werden. Positive Anreize zur Nutzung von Abkommen würden auch durch höhere Grenzen bei den De minimis-Regeln gesetzt: Durch die Möglichkeit, einen höheren Anteil von Vormaterialien ohne Ursprung im Herstellungsprozess zu verarbeiten, würden mehr Produkte in den Genuss der Präferenzzölle gelangen. Hier können bereits kleine Änderungen wegen positiver Skaleneffekte große Wirkung für exportierende Unternehmen entfalten. Der BDI plädiert für eine einheitliche Toleranz von 15 Prozent in den FHAs der EU.
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Nutzungsraten von Freihandels-abkommen
Ein ähnlicher Effekt könnte möglicherweise erzielt werden, indem der prozentuale regionale Wertanteil (regional value content, RVC) herabgesetzt oder der maximale Wert der verwendeten Vormaterialien ohne Ursprungseigenschaft in Bezug auf den Ab-Werk-Preis (MaxNOM) angehoben wird. Dadurch könnten auch Produkte mit einer geringeren Wertschöpfung in der EU von Präferenzzöllen profitieren. Dies gilt es allerdings sektorspezifisch zu prüfen. Entbürokratisierung und Digitalisierung Lieferantenerklärungen spielen beim Ursprungsnachweis einer Ware eine entscheidende Rolle, werden jedoch in der Praxis unterschiedlich ausgestaltet und gehandhabt. Der BDI setzt sich daher für eine einheitliche europäische IT-Benutzeroberfläche ein, über welche Lieferantenerklärungen automatisch ausgetauscht werden können. Einzelne Wirtschaftsbeteiligte nutzen bereits untereinander digitale Verfahren, um ihre Prozesse zu vereinfachen. Solch kreative Einzellösungen sollten vereinheitlicht und zur Regel werden. Eine konsequente Digitalisierung auf Basis einer Prozess-Standardisierung bietet die Chance für signifikante Vereinfachungen. Davon profitieren nicht nur die Wirtschaftsbeteiligten, sondern auch die Zollbehörden. Eine Überprüfung der Lieferantenerklärungen würde dadurch ebenfalls vereinfacht. Dies würde insbesondere kleine und mittelständische Unternehmen ohne umfassende interne Systemlösungen entlasten und die Nutzung von Freihandelsabkommen vereinfachen. Darüber hinaus sollte der Ursprungsnachweis vereinfacht werden. Die Ausführer sollten frei wählen können, ob sie den sendungsbezogenen Nachweis (Präferenzerklärung auf der Rechnung und das förmliche Zeugnis wie EUR.1) oder ein Ursprungszeugnis vorlegen, das für mehrere Sendungen für einen bestimmten langfristigen Zeitraum gültig ist. Auch nicht-förmliche Ursprungsnachweise, wie die Erklärung auf der Rechnung, sollten zugelassen werden, da sie die Handhabung des Präferenzursprungs von Waren erheblich vereinfachen würden. Bis zu einem bestimmten Betrag sollte die Verwendung eines nicht-förmlichen Ursprungsnachweises immer möglich sein (beispielsweise 6.000 Euro wie im Freihandelsabkommen EU-Südkorea). Darüber hinaus sollte ein Ausführer, dem der Status eines „Ermächtigten Ausführers“ zuerkannt wurde, jederzeit eine Erklärung auf der Rechnung abgeben können, ohne durch einen Schwellenwert eingeschränkt zu sein. Dies wird bereits in mehreren Ländern wie Südkorea, Mexiko und der Schweiz praktiziert. Um den Ursprungsnachweis weiter zu vereinfachen, sollte die Verpflichtung zur Angabe von Ursprungskriterien in der Ursprungserklärung, wie sie im Wirtschaftspartnerschaftsabkommen (WPA) zwischen der EU und Japan eingeführt wurde, nicht in weitere Freihandelsabkommen aufgenommen werden. Die Verpflichtung zur Angabe von Ursprungskriterien stellt eine erhebliche zusätzliche administrative Belastung für die Unternehmen dar. Die Ursprungskalkulation sollte auf Basis von durchschnittlichen Material- beziehungsweise Produktpreisen erfolgen. Dies würde zu einer erheblichen Erleichterung für die Wirtschaftsbeteiligten führen. Die Waren sollten ihren Präferenzstatus unabhängig vom Beförderungsweg behalten. Der Nachweis des Präferenzstatus sollte als erbracht gelten, solange die Zollbehörden keine begründeten Zweifel am unveränderten Zustand/Status einer Ware äußern oder geltend machen. Diese Anpassung ist in Zeiten globaler Wertschöpfungsketten notwendig. In modernen Logistiknetzen werden die Waren oft nicht direkt vom Ursprungsland in das präferenzbegünstigte Bestimmungsland geliefert. Vielmehr werden sie zunächst an ein regionales Drehkreuz geliefert, das dann kurzfristig die Region beliefert und in der Regel nicht in den Anwendungsbereich des Präferenzabkommens fällt. Diese Art von Verteilungssystemen trägt wesentlich zur Verbesserung der Lieferströme bei und ermöglicht weit verbreitete Just-in-time-Lieferungen. Die mit dem Direktbeförderungsprinzip und der Nutzung regionaler Drehkreuze verbundenen Probleme könnten durch innovative Technologien, etwa Mikrochips, direkt an der
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Nutzungsraten von Freihandels-abkommen
Ware platziert, oder Alternativnachweise (beispielsweise Seriennummer und Chargenidentifikationsmerkmale) begegnet werden. Unternehmen könnten so Präferenzen erhalten, ohne direkte Beförderungsrouten nutzen zu müssen. Bessere, präzisere und produktspezifische Informationen zu FHA zur Verfügung stellen Der BDI setzt sich für die Unterstützung aller Unternehmen ein, insbesondere aber für kleine und mittelständische Unternehmen sowie jener Betriebe, denen die Erfahrung im Umgang mit Freihandelsabkommen fehlt. Dies kann durch eine gezieltere Informationspolitik seitens zuständiger Stellen bezüglich der regulatorischen Feinheiten bei der Umsetzung von Freihandelsabkommen erfolgen. Die Einführung des Access2Markets-Portals mit einer gezielten Anwendung für die in den unterschiedlichen europäischen Freihandelsabkommen anwendbaren Ursprungsregeln (Rules of Origin Self-Assessment, ROSA) ist ein guter Schritt für eine niedrigschwellige Bereitstellung von Informationen für Wirtschaftsbeteiligte. Darüber hinaus empfiehlt die deutsche Industrie einen intensiveren Austausch zwischen der EU-Kommission und der Wirtschaft, um potenzielle Probleme in der Nutzung europäischer Freihandelsabkommen schneller und präziser identifizieren sowie die angebotenen Lösungen besser verstehen und Informationslücken schließen zu können. Dazu gehört auch, dass die EU-Kommission die Wirtschaftsbeteiligten wieder stärker in den Verhandlungsprozess einbezieht. Eine zeitnahe Weitergabe von Informationen, beispielsweise zu geplanten Ursprungsregeln, könnte helfen, Anwendungsprobleme zu vermeiden sowie die wichtige Vorbereitungsphase für die Industrie zu ermöglichen. Nutzung von Zollkontingenten Laut der EU-Kommission sowie der BDI-Umfrage nutzen deutsche und europäische Exporteure Zollkontingente nur für wenige Produkte. Laut zoll.de bieten Zollkontingente die Möglichkeit, dass „Waren innerhalb eines festgelegten Zeitraums (Kontingentszeitraum) bis zur Höhe einer bestimmten Wertoder Mengengrenze (Kontingentsmenge) zollfrei oder zu einem ermäßigten Zollsatz eingeführt werden“1. Die EU und die Bundesregierung sollten daher die Kenntnis über relevante Zollkontingente in europäischen Freihandelsabkommen steigern. Da solche Quoten für viele Produkte der Warenkapitel 1-24 ungenutzt bleiben, hätte eine größere Ausschöpfung das Potential, Kosten im Export von Agrargütern zu senken.
1
Generalzolldirektion, Zollkontingente, <https://www.zoll.de/DE/Unternehmen/Warenverkehr/Einfuhr-aus-einem-Nicht-EUStaat/Zoll-und-Steuern/Zollermaessigung-befreiung/Warenart/Kontingente/kontingente.html> (eingesehen am 21. Januar 2022).
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Nutzungsraten von Freihandels-abkommen
Hintergrund: Nutzungsrate von Freihandelsabkommen innerhalb der EU
EU-Mitgliedstaaten, geordnet nach deren Exportnutzungsrate der 33 europäischen FHA (2021) Diagrammtitel Präferenznuzungsrate in Prozent 90 80
EU-Mitgliedsstaat EU-27 Durchschnittliche Nutzungsrate (%)
70 60 50 40 30 20 10 0
Europäische Exporteure ziehen einen erheblichen Nutzen aus Freihandelsabkommen der EU. Allerdings wird ihr Potenzial bislang nicht vollständig ausgenutzt. Dies belegt ein Blick auf die Nutzungsraten. Sie bilden den Anteil des Handels zwischen den Partnerländern, der unter den Präferenzbedingungen des Abkommens abgewickelt wird, am Gesamthandel der Partnerländer untereinander ab. Die durchschnittliche Präferenznutzungsrate (PUR) für die Ausfuhren der 27 EU-Mitgliedstaaten in 33 FHA-Partnerländer betrug im Jahr 2021 67 Prozent, wobei die Unterschiede zwischen den Handelspartnern, den EU-Mitgliedstaaten und den Wirtschaftszweigen erheblich sind. So lag die höchste PUR bei 90 Prozent mit Serbien und dem Vereinigten Königreich und die niedrigste bei 29 Prozent mit Vietnam. Die Präferenznutzungsrate der deutschen Unternehmen lag im Durchschnitt bei 60 Prozent und damit deutlich unter dem EU27-Durchschnitt. Die höchste Nutzungsrate erzielten deutsche Unternehmen mit 83 Prozent ebenfalls mit Serbien und die niedrigste mit nur 14 Prozent mit Madagaskar. Für die deutschen Ausfuhren lag die potenzielle Zollersparnis (bei voller Präferenznutzung mit 33 Partnerländern) im Jahr 2021 bei knapp über 6,7 Milliarden Euro. Die tatsächliche Zollersparnis lag bei fast 5,2 Milliarden Euro.2 Die UNCTAD und das Kommerskollegium Schweden (2018) sind zu dem Ergebnis gekommen, dass europäische Exporteure und Importeure die Abkommen in relativ hohem Maße nutzen, aber die Nutzungsraten der Exporteure der Partnerländer beständig höher sind. So lag beispielsweise die durchschnittliche Präferenznutzungsrate für die Ausfuhren von 77 FTA-Partnern in die EU27 im Jahr 2021 bei 81 Prozent, wobei die höchste PUR bei 100 Prozent lag (Ausfuhren von den Salomonen).
Europäische Kommission, EU exports under Free Trade Agreements surpass €1 trillion, 11. Oktober 2022, <https://ec.europa.eu/commission/presscorner/detail/en/ip_22_6069> 2
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Nutzungsraten von Freihandels-abkommen
Umfrage: Ursachen der Nicht-Nutzung von Freihandelsabkommen Der BDI hat in einer Umfrage mit insgesamt 70 Teilnehmern, darunter 66 Unternehmen und vier Branchenverbänden, aus insgesamt 18 Industriebranchen (inklusive u.a. die Auto-, Metall-, Elektro-, Pharma-, Stahl-, keramische und chemische Industrien)3 die Gründe hierfür untersucht.4 Bei dieser Umfrage handelt es sich um eine Aktualisierung einer im Januar 2020 erstmals veröffentlichten Umfrage unter 62 Teilnehmern. Wenn Sie ein FTA nicht nutzen, woran liegt das?
DIAGRAMMTITEL
Sehr relevant
Ziemlich relevant
Relevant
Wenig relevant
Nicht relevant
UNZUREICHENDE EXTERNE BERATUNG
32 6 0
12
37
UNZUREICHENDE INFORMATION ZU FTA
22 7 0
11
39
2 4 0
10
UNZUREICHENDE ERFAHRUNG MIT FTA BESTIMMTE SEKTOREN SIND VOM ZOLLABBAU DES ABKOMMENS DAUERHAFT AUSGENOMMEN.
0
DIE FTA-REGELUNGEN SIND FÜR MEINEN SEKTOR NOCH NICHT VOLLSTÄNDIG UMGESETZT.
0
RECHTLICHE UNSICHERHEITEN BEI DER W ARENABFERTIGUNG IM FTA-PARTNERLAND
0
W ILLKÜR IN DER W ARENABFERTIGUNG IM FTAPARTNERLAND.
0
KOMPLEXE VERFAHREN DER W ARENABFERTIGUNG IM FTA-PARTNERLAND.
0
PROBLEME DURCH MANGELHAFTE UM- UND DURCHSETZUNG DER FTA IN EU/PARTNERLAND
0
DIE HAFTUNGS-RISIKEN BEI DER URSPRUNGSERBRINGUNG SIND AUFGRUND KOMPLEXER W ERTSCHÖPFUNGSKETTEN ZU HOCH.
0
UNTERSCHIEDLICHE REGELN IN DEN FTAS DER EU
0
UNZUREICHENDE INTERNE KAPAZITÄT, UM DAS ABKOMMEN ZU BETREUEN.
0
DIE ZOLLGEW INNMARGEN SIND ZU GERING.
0
DIE MIT DER URSPRUNGSERBRINGUNG/VERBUNDENEN KOSTEN/BÜROKRATIE SIND ZU HOCH.
6
4 2
10
4 3
37 8
11
5
33 14
26
9
9
11
25
7
6
10
10
26
7
7
7
10
9
11 10
12 14
13 14 12
7
11
21
20 11
18
17 19
23
19 9
13 11
15
8
15
16 22
7 9
10 7
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Mehr als 80 Prozent der befragten Verbände und Unternehmen nennen die Höhe der mit der Ursprungsermittlung verbundenen Kosten und die Bürokratie als wichtigste Stolpersteine für die Nutzung von Präferenzen im Rahmen von Handelsabkommen. Im Vergleich zur Umfrage aus dem Jahr 2020 ist die Zahl um 20 Prozent gestiegen. Über die Hälfte der Befragten, von denen die Mehrheit Unternehmen mit mehr als 500 Mitarbeitern sind, nennen vor allem fehlende interne Kapazitäten, um die Einhaltung der Abkommen zu prüfen, als ursächlich. Mehr als 70 Prozent der Befragten geben zudem die geringen Zollgewinnmargen und mehr als 50 Prozent die Unübersichtlichkeit der unterschiedlichen Regelungen der europäischen Freihandelsabkommen sowie höheren Haftungsrisiken bei der Ursprungserbringung aufgrund komplexer Wertschöpfungsketten als Gründe an.
Sieben Befragte gaben an, dass ihr Sektor „Sonstige“ ist. Die Handlungsempfehlungen sind das Ergebnis der Umfrage wie auch der weitergehenden Analyse. Sie spiegeln den Konsens der gesamten Mitgliedschaft im Bundesverband der Deutschen Industrie wider. 3 4
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Nutzungsraten von Freihandels-abkommen
Laut Umfrage schätzen 87 Prozent der befragten Unternehmen und Verbände, dass die Unternehmen in der jeweils eigenen Branche die Freihandelsabkommen der EU nicht vollständig oder nur teilweise nutzten (2020: 73 Prozent). Nur 13 Prozent gehen von einer vollen Ausschöpfung der Vorteile durch die Abkommen aus (2020: 11 Prozent).
Glauben Sie, dassSie, deutsche Unternehmen in Ihrer Branche die Vorteile von europäischen FTAs voll Glauben dass deutsche Unternehmen in Ihrer ausschöpfen?
Branche die Vorteile von europäischen FTAs voll ausschöpfen? 70% 60% 60% 50% 40%
27%
30% 20% 13% 10% 0% Ja
Teilweise
Nein
Von den befragten Unternehmen gibt über die Hälfte (53 Prozent) an, dass es Freihandelsabkommen gibt, von denen sie keinen Gebrauch machen, obwohl sie Handel mit dem betreffenden Partnerstaat betreiben. Im Vergleich zum Jahr 2020 ist diese Zahl fast unverändert geblieben (54 Prozent). Unübersichtliche Regeln Laut einer Ecorys-Studie (2018)5 unterscheiden sich Ursprungsregeln in Freihandelsabkommen bezüglich ihrer Anforderungen wie Nachweispflichten und erforderlichen Unterlagen. Darüber hinaus unterscheiden sich produktspezifische Be- und Verarbeitungsregeln (PSRs) in Freihandelsabkommen. Dies führt zu einem immer komplizierteren Durcheinander von Ursprungsregeln. Ein Großteil der Befragten (62 Prozent) gibt an, dass die hohe Varianz an anwendbaren Regeln über die Vielzahl an Abkommen hinweg ein wichtiger Grund für die Nichtnutzung von Präferenzen sei. Im Vergleich zur Umfrage aus dem Jahr 2020 (47 Prozent) ist diese Zahl deutlich gestiegen.
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Nora Plaisier, Corine Besseling, Stephanie Bouman und Henri de Groot (Ecorys), Study on the Use of Trade Agreements, 2018, <https://www.ecorys.nl/sites/default/files/study-on-the-use-of-trade-agreements%20%283%29.pdf>, (eingesehen am 09.12.2019).
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Nutzungsraten von Freihandels-abkommen
Wenn Sie ein FTA nicht nutzen, woran liegt das? Unterschiedliche Regeln in den FTAs der EU Diagrammtitel 70% 62% 60%
50% 38%
40%
30%
20%
10%
0% Relevant
Nicht relevant
Komplexe Ursprungsregeln als entscheidender Faktor Als entscheidender Faktor für die Nutzung von FHA kristallisierten sich in der Umfrage die Ursprungsregeln für Waren heraus. Präferenzzölle werden nur Waren zugestanden, die nachweisbar begünstigte Ursprungswaren des Partnerstaates sind. Eine Reihe von Regeln in Freihandelsabkommen befassen sich dementsprechend mit den notwendigen Be- und Verarbeitungsschritten von Produkten, den Erfordernissen an Ursprungsnachweisen sowie der praktischen Zollabwicklung. Vielen deutschen Unternehmen und Verbänden zufolge sind die mit der Erbringung der Ursprungsnachweise verbundenen Kosten zu hoch. Besonders kostenintensiv sind dabei die EU-weite Einholung verschiedener Lieferantenerklärungen, die Anpassung und Aktualisierung von IT-Systemen und die eventuell anfallenden Gebühren für externe Berater sowie von Zertifizierungsbehörden. Dies ist auch in anderen EU-Mitgliedstaaten der Fall: Laut einer Studie der schwedischen Handelskammer (2012) 6 sind höhere administrative Kosten für Ausführer mit niedrigen Nutzungsraten verbunden. Eine Ecorys Studie (2018) 7 über Präferenznutzung kommt zu einem ähnlichen Ergebnis: Viele niederländische Ausführer nutzen Freihandelsabkommen nicht, weil die Kosten zu hoch sind. 66 Prozent der Befragten bewerten die Kosten, die mit der Ermittlung und Einhaltung von Ursprungsregeln verbunden sind, als sehr hoch oder hoch (2020: unter 60 Prozent). Von diesen 66 Prozent finden einige die Höhe der Kosten so erheblich, dass sie deswegen ein bestimmtes Abkommen nicht nutzen. Die befragten Unternehmen geben hier an, dass der Verwaltungsaufwand (insbesondere die Implementierung in IT-Systeme und die Einholung von Lieferantenerklärungen) die geringen Einsparungen durch die Nutzung der Zollpräferenzen nicht aufwiegt.
National Board of Trade Sweden, The Impact of Rules of Origin on Trade – a Comparison of the EU’s and US’s Rules for the Textile and Clothing Sector, 2012, <https://www.kommers.se/Documents/dokumentarkiv/publikationer/2012/skriftserien/reportthe-impact-of-rules-of-orgin-on-trade.pdf> (eingesehen am 09.12.2019). 7 Nora Plaisier, Corine Besseling, Stephanie Bouman und Henri de Groot (Ecorys), Study on the use of Trade Agreements, 2018, <https://www.ecorys.nl/sites/default/files/study-on-the-use-of-trade-agreements%20%283%29.pdf> (eingesehen am 09.12.2019). 6
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Nutzungsraten von Freihandels-abkommen
Überdies sind mehr als die Hälfte der Befragten (57 Prozent) der Ansicht, dass es Freihandelsabkommen der EU gibt, deren Ursprungsregeln zu komplex sind (2020: 48 Prozent). Nur 43 Prozent sind vom Gegenteil überzeugt. 40 Prozent der Befragten geben zudem an, dass die zuständigen nationalen Behörden, die für Ursprungsnachweise verantwortlich sind, unzureichend informiert und vorbereitet erschienen, diese Formalitäten zu unterstützen. Ein weiteres Problem sei, dass Ursprungsregeln in europäischen Freihandelsabkommen nicht mit dem technologischen Fortschritt mithielten. In der Folge seien Unternehmen, die sich in technologischen Umbruchsphasen befänden, im Nachteil, weil sie von den Vorteilen europäischer FHA ausgeschlossen würden. Sind Sie der Meinung, dass es FTA gibt, in denen Ursprungsregeln zu komplex sind? Sind Sie der Meinung, dass es Freihandelsabkommen gibt, in denen Ursprungsregeln zu komplex sind?
60%
57%
50% 43% 40%
30%
20%
10%
0% Ja
Nein
Neues Verfahren zur Nachprüfung des Ursprungsnachweises Einem Teil der Befragten zufolge verteilt sich der hohe Wert der Nicht- oder Unternutzung auf zwei Abkommen: das EU-Japan EPA und CETA mit Kanada. Laut eines Berichts der EU-Kommission liegt die Nutzungsrate von CETA durch europäische Exporteure bei nur 58 Prozent.8 Die BDI-Umfrage legt nahe, dass dies mit dem neuen Verfahren zur Nachprüfung von Präferenznachweisen zusammenhängt, das mit diesen beiden Abkommen eingeführt wurde. Fast die Hälfte der 53 Prozent der befragten Unternehmen, die angeben, dass sie bestimmte Freihandelsabkommen nicht nutzen, obwohl sie mit diesen Ländern Handel treiben, nennen Japan als eines dieser Länder, ein Drittel nannte Kanada.
Europäische Kommission, EU exports under Free Trade Agreements surpass €1 trillion, 11. Oktober 2022, <https://ec.europa.eu/commission/presscorner/detail/en/ip_22_6069> 8
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Nutzungsraten von Freihandels-abkommen
Wie schätzen Sie wird sich das neue Ursprungsverizifizerungsverfahren, wie in CETA und im EU-Japan EPA implementiert, auf die Nutzung von FTA auswirken? Wie, schätzen Sie, wird sich das neue Verfahren zur Überprüfung des Ursprungsnachweises, wie in CETA und im EU-Freihandelsabkommen mit Japan implementiert, auf die Nutzung von FTAs auswirken?
70% 61% 60%
50%
40% 34% 30%
20%
10% 4% 0% PUR wird steigen
PUR wird gleichbleiben
PUR wird sinken
Die geringe Nutzung von Präferenzen unter diesen beiden Abkommen wird von einem Teil der Befragten unter anderem an Änderungen der Ursprungsverifizierung festgemacht, der mit CETA seinen Anfang genommen hat. Laut der Umfrage gehen immerhin 34 Prozent der Befragten davon aus, dass die neuen Verifizierungsmodalitäten zu weiter fallenden Nutzungsraten führen werden. Deutlich mehr Befragte (61 Prozent) sehen allerdings keine erheblichen Auswirkungen mehr. Vergleichsweise wenige, vier Prozent, können sich höhere Nutzungsraten vorstellen. Im Vergleich zur Studie aus dem Jahr 2020 zeigen sich hier deutliche Veränderungen: Damals gaben noch 50 Prozent der Befragten an, dass die Nutzungsraten sinken werden. Nur 24 Prozent gaben an, dass sie gleichbleiben werden. Die Rolle von Wertschöpfungsketten Laut einer Studie der KPMG International und Thomson Reuters (2015) 9 zur steigenden Internationalisierung von Wertschöpfungsketten sind Ursprungsregeln immer schwerer zu erfüllen. In den meisten Fällen brauchen Unternehmen Ursprungserklärungen aller relevanten Lieferanten. Mit komplexen Wertschöpfungsnetzwerken wird die Beschaffung solcher Unterlagen immer aufwändiger. Mehrere Befragte nennen die Globalisierung der Wertschöpfungskette innerhalb ihrer Branchen als einen Grund für die Nicht-Nutzung von FHA. Auch weitere Aspekte der Ursprungsregeln, insbesondere die Regeln für Wertanteile, werden genannt. 52 Prozent der Befragten identifizieren die Haftungsrisiken bei der Ursprungserbringung aufgrund komplexer Wertschöpfungsnetzwerken als relevant für die Nicht-Nutzung eines Abkommens (2020: 48 Prozent).
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Thomson Reuters International und KPMG International, 2015 Global Trade Management Survey, 2015, <https://home.kpmg/content/dam/kpmg/pdf/2016/07/2015-global-trade-management-survey.pdf> (eingesehen am 09.12.2019).
13
Nutzungsraten von Freihandels-abkommen
Zollgewinnmargen Laut Studien von UNCTAD (2018), 10 Ecorys (2018), 11 Kommerskollegium Schweden (2012) 12 , Hayakawa (2012)13 und (2014)14 sind höhere Zollgewinnmargen mit einer höheren Nutzung von Freihandelsabkommen verbunden. Die Zollgewinnmarge ergibt sich aus der Differenz zwischen den Zollsätzen unter der Meistbegünstigungsklausel der Welthandelsorganisation (WTO, gebundener Zollsatz) und dem im Freihandelsabkommen vereinbarten Zollsatz. 73 Prozent der Befragten sind der Meinung, dass geringe Zollgewinnmargen ein relevanter Grund für die Nichtnutzung sind. Die hohen Kosten und der zusätzliche Aufwand für das Einholen von Lieferantenerklärungen, die Anpassung von IT-Systemen, mittel- und unmittelbare Auswirkungen solcher Prozesse auf Produktionsstrukturen und der Umgang mit nationalen Zollbehörden wirkten betriebswirtschaftlich abschreckend. Die geringen Zollgewinnmargen rechtfertigten oftmals nicht die innerbetrieblichen Zusatzkosten. Im Vergleich zu den Umfrageergebnissen aus dem Jahr 2020 ist diese Zahl deutlich gestiegen. 2020 gaben nur 47 Prozent der Befragen Nichtnutzung wegen geringer Zollersparnisse an. Interne Kapazität sowie Expertise und Information Laut Plaisier et al. (2018) sowie der EU-Kommission sind Informationsdefizite ursächlich für die NichtNutzung europäischer Freihandelsabkommen – das heißt, Unternehmen sind bestimmte relevante Abkommen nicht bekannt oder es ist ihnen nicht klar, wo sie relevante Informationen über die Verfahren finden können. Allerdings scheint dies in Deutschland eine untergeordnete Rolle zu spielen. Nur 18 Prozent der Befragten sind der Meinung, dass unzureichende Information zu Freihandelsabkommen eine wichtige Rolle für ihre Nicht-Nutzung spielen (2020: 16 Prozent). Mehr als vier Fünftel der Befragten geben an, dass dies nicht relevant ist. 64 Prozent der befragten Unternehmen begründen aber die Nicht-Nutzung mit unzureichenden internen Kapazitäten in der Betreuung von Freihandelsabkommen. Im Jahr 2020 lag diese Zahl noch bei 55 Prozent. In Sachen interner Expertise waren die befragten deutschen Unternehmen wie folgt aufgestellt: 17 Prozent geben an, dass sie mehr als zehn Experten haben (2020: 17 Prozent), 50 Prozent zwischen einem und vier Experten (2020: 64 Prozent) und dreizehn Prozent haben keine FHA-Experten (2020: 11 Prozent). Die Zahl der FHA-Experten in einem Unternehmen allein ist allerdings nicht ausschlaggebend dafür, ob ein FHA genutzt wird. Auf die Frage, ob es Freihandelsabkommen gibt, die von den Unternehmen
National Board of Trade Sweden und UNCTAD, The Use of the EU’s Free Trade Agreements: Exporter and Importer Utilization of Preferential Tariffs, 2018, <https://www.kommers.se/Documents/dokumentarkiv/publikationer/2018/Publ-The-use-of-the-eusftas.pdf> (eingesehen am 09.12.2019). 11 Nora Plaisier, Corine Besseling, Stephanie Bouman und Henri de Groot (Ecorys), Study on the Use of Trade Agreements, 2018, <https://www.ecorys.nl/sites/default/files/study-on-the-use-of-trade-agreements%20%283%29.pdf> (eingesehen am 09.12.2019). 12 National Board of Trade Sweden, The Impact of Rules of Origin on Trade – a Comparison of the EU’s and US’s Rules for the Textile and Clothing Sector, 2012, <https://www.kommers.se/Documents/dokumentarkiv/publikationer/2012/skriftserien/reportthe-impact-of-rules-of-orgin-on-trade.pdf> (eingesehen am 09.12.2019). 13 Kazunobu Hayakawa, Impacts of FTA Utilization on Firm Performance, 2012, <http://hdl.handle.net/2344/1182> (eingesehen am 09.12.2019). 14 Kazunobu Hayakawa, Impact of Diagonal Cumulation Rule on FTA Utilization: Evidence from Bilateral and Multilateral FTAs between Japan and Thailand, 2014, <https://doi.org/10.1016/j.jjie.2013.12.005> (eingesehen am 09.12.2019). 10
14
Nutzungsraten von Freihandels-abkommen
nicht genutzt werden, obwohl sie mit den betreffenden Partnerländern Handel treiben, gibt es keine großen Unterschiede in den Antworten, unabhängig davon, ob die Unternehmen intern über Fachwissen über Freihandelsabkommen verfügen. So antworten beispielsweise mehr Unternehmen, die über kein firmeninternes Fachwissen verfügen, mit "Nein", und genauso viele Unternehmen, die über mehr als 10 Experten verfügen, antworteten jeweils mit "Ja" und "Nein". Gibt es Freihandelsabkommen, die Sie nicht nutzen, obwohl sie mit dem Partnerland/mit den Partnerländern des Abkommens handeln?Diagrammtitel 25
21
20 14
15 10
8 6%
6
5
7
6
2
0 Ja
Nein
Unternehmen mit 10+ Experten für Freihandelsabkommen Unternehmen mit 5-10 Experten für Freihandelsabkommen Unternehmen mit 1-4 Experten für Freihandelsabkommen Unternehmen mit keinen Experten für Freihandelsabkommen
15
Nutzungsraten von Freihandels-abkommen
Weitere Faktoren (In-Kraft-Treten15, Direktbeförderungsprinzip, getrennte Lagerung, Zollkontingente) EU-Nutzungsraten von Freihandelsabkommen pro FHA-Partnerstaat (2021) PUR in chronologischer Reihenfolge nach In-Kraft-Treten des(%) Abkommens
Viet Nam (2020)
Vereinigtes Königreich (2021)
Japan (2019) Singapur (2019)
Kanada (2017)
Südafrica (2016)
Kosovo (2016) Moldova (2016)
Südkorea (2015)
Bosnien-Herzegovina (2015)
Peru (2013) Serbien (2013)
Panama (2013)
Guatemala (2013)
Ecuador (2013) El Salvador (2013)
Mauritius (2012)
Kolumbien (2013)
Albanien (2009)
Montenegro (2010) Madagaskar (2012)
Dominikanische Republik (2008)
Algerien (2005) Libanon (2006)
Ägypten (2004)
Nordmazedonien (2004)
Jordanien (2002) Chile (2003)
Mexiko (2000)
Marokko (2000)
Türkei (1995) Israel (2000)
Schweiz (1973)
Norwegen (1994)
100 90 80 70 60 50 40 30 20 10 0
Laut Daten der EU-Kommission (2022) sowie UNCTAD/Kommerskollegium Schweden16 sind die Nutzungsraten älterer europäischer Freihandelsabkommen allgemein etwa höher als die Nutzungsraten der neueren Abkommen. Das heißt, Abkommen, die bereits länger in Kraft sind, werden mehr genutzt als neuere Abkommen. Dieser Trend könnte auf mehr Erfahrung und Sachkenntnis innerhalb der Unternehmen mit einem Abkommen zurückzuführen sein.
15
Lars Nilsson und Nicolas Preillon (Europäische Kommission), Report from the Commission to the European Parliament, the Council, the European Economic and Social Committee and the Committee of the Regions on the Implementation of Free Trade Agreements, 2019, <https://ec.europa.eu/transparency/regdoc/rep/1/2019/EN/COM-2019-455-F1-EN-MAIN-PART1.PDF?utm_source=POLITICO.EU&utm_campaign=e88f8ee8c9-EMAIL_CAMPAIGN_2019_10_15_04_55&utm_medium=email&utm_term=0_10959edeb5-e88f8ee8c9-189626081> (eingesehen am 09.12.2019). 16 National Board of Trade Sweden und UNCTAD, The Use of the EU’s Free Trade Agreements: Exporter and Importer Utilization of Preferential Tariffs, 2018, <https://www.kommers.se/Documents/dokumentarkiv/publikationer/2018/Publ-The-use-of-the-eusftas.pdf> (eingesehen am 09.12.2019).
16
Nutzungsraten von Freihandels-abkommen
Nutzen Sie ältere Freihandelsabkommen (z.B. mit Mexiko, Chile) mehr als moderne Freihandelsabkommen (z.B. mit Südkorea, Kanada)? Nutzen Sie ältere Freihandelsabkommen (z.B. mit Mexiko, Chile) mehr als moderne Freihandelsabkommen (z.B. mit Südkorea, Kanada)?
100% 87%
90% 80% 70% 60% 50% 40% 30% 20%
13%
10% 0% Ja
Nein
Die Ergebnisse der Umfrage stellen diese Vermutung allerdings infrage. 87 Prozent der Befragten verneinen eine stärkere Nutzung älterer Freihandelsabkommen (etwa mit der Schweiz, Israel oder Mexiko) im Vergleich zu neueren Abkommen. Im Jahr 2020 waren es immerhin noch 29 Prozent. Demgegenüber geben nur 13 Prozent an, dass mehr Erfahrung eine Nutzung wahrscheinlicher gemacht hat (2020: 58 Prozent). Die Befragten, die neuere Abkommen weniger als ältere nutzen, weisen auf neue Ursprungsnachweisverfahren, aufwändigere Umsetzung und die mit der IT-Anpassung verbundenen Schwierigkeiten sowie weniger Lieferungen an Handelspartner in Ländern, mit denen Freihandelsabkommen später abgeschlossen wurden und stark abweichende Ursprungsregeln, hin. Stellt das Direktbeförderungsprinzip ein Hindernis für die Nutzung von FTAs dar? Stellt das Direktbeförderungsprinzip – Präferenz wird nur für Ursprungserzeugnisse gewährt, die direkt zwischen den beteiligen Vertragsparteien befördert werden – ein Hindernis für die Nutzung von FTAs dar?
80% 69%
70% 60% 50% 40% 31% 30% 20% 10% 0% Ja
Nein
Freihandelsabkommen unterliegen bislang dem Direktbeförderungsprinzip: Eine Ware muss, um dem Präferenzzoll zu unterliegen, direkt von einem Partnerland des Abkommens in das andere geliefert werden. Viele deutsche Unternehmen nutzen jedoch bei langen Lieferwegen, wie beispielsweise in
17
Nutzungsraten von Freihandels-abkommen
den asiatischen Raum, sogenannte Hubs, also zentrale Umschlag- und Lagerplätze. Infolgedessen erhalten diese Unternehmen keine Präferenzen. In der Umfrage sehen fast ein Drittel der Befragten das Direktbeförderungsprinzip als problematisch an. Für diese 31 Prozent ist die Nutzung regionaler Verteilungszentren nach eigenen Angaben ein wichtiger Bestandteil ihrer modernen Logistikstrukturen (2020: 34 Prozent). Stellt die getrennte Lagerung von Vormaterialen mit Ursprungseigenschaft und Vormaterialen ohne Ursprungseigenschaft ein Hindernis zur Nutzung von FTAs dar? Bisher verlangen FTAs häufig eine getrennte Lagerung von Vormaterialen mit Ursprungseigenschaft und Vormaterialen ohne Ursprungseigenschaft, die gleich und untereinander austauschbar sind und in der Herstellung eines Erzeugnisses verwendet werden. Stellt
70% 60% 60% 50% 40% 40% 30% 20% 10% 0% Ja
Nein
Viele Freihandelsabkommen der EU fordern eine getrennte Lagerung von Vormaterialen mit und ohne Ursprungseigenschaft, die gleich und untereinander austauschbar sind und in der Herstellung eines Erzeugnisses verwendet werden. 60 Prozent der Befragten geben an, dass getrennte Lagerung ein Hindernis für eine stärkere Nutzung von Freihandelsabkommen darstellt. Dieses Prinzip mache Herstellungsprozesse deutlich aufwändiger und ist in der Regel nur schwer umsetzbar. Zudem spiegelt die getrennte Lagerung nicht die Funktionsweise moderner Logistikabläufe wider und führe für Unternehmen aus unterschiedlichen Sektoren zu einer ineffizienten Lagerhaltung. Dies ist nicht nur unwirtschaftlich und mit zusätzlichen Kosten und Lagerkapazitäten verbunden, sondern kann auch dazu führen, dass Unternehmen den durch ein FTA gewährten Präferenzzoll nicht in Anspruch nehmen können, wenn Waren nicht getrennt gelagert werden können. In der Umfrage aus dem Jahr 2020 gaben noch weniger als 50 Prozent der Befragten an, dass die getrennte Lagerung eine Hürde bei der Nutzung von Freihandelsabkommen sei.
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Nutzungsraten von Freihandels-abkommen
Nutzen Sie Zollkontingente in Freihandelsabkommen?
Nutzen Sie Zollkontingente in Freihandelsabkommen?
100% 91% 90% 80% 70% 60% 50% 40% 30% 20% 10%
9%
0% Ja
Nein
Viele moderne Freihandelsabkommen beinhalten Zollkontingente. Zollkontingente ermöglichen die zollfreie Einfuhr von Waren bis zu einer bestimmten mengenmäßigen Schwelle. Über der Schwelle fallen höhere Einfuhrzölle an. Den Berichten der EU-Kommission zufolge wird das Potential vieler Zollkontingente nicht vollständig ausgeschöpft. 17 Diese Einschätzung ist im Hinblick auf die Teilnehmer der Umfrage zutreffend. Ganze 91 Prozent der Befragten gaben an, keine Zollkontingente in Freihandelsabkommen zu nutzen (2020: 81 Prozent). Die geringe Nutzung durch die Befragten hat wahrscheinlich folgenden Grund: In europäischen Freihandelsabkommen (z.B. mit der Schweiz, Südkorea, Israel und den Westbalkanländer) gelten die meisten Zollkontingente für Agrargüter. Die Befragung wurde hingegen unter Unternehmen des Industriesektors durchgeführt. Diese sind größtenteils nicht oder nur indirekt am Agrarexport beteiligt.
17
Lars Nilsson und Nicolas Preillon (Europäische Kommission), EU Exports, Preference Utilisation and Duty Savings by Member State, Sector and Partner Country, 2018, <http://trade.ec.europa.eu/doclib/docs/2018/june/tradoc_156931.pdf> (eingesehen am 09.12.2019).
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Nutzungsraten von Freihandels-abkommen
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