Das Magazin des Bund Deutscher Pfadfinder*innen
THEMA: Der Corona-Ausnahmezustand – Perspektiven und Möglichkeiten Räume für Alle – Eine sexualpädagogische Bestandsaufnahme EINBLICK: Der Weg der Rassismuskritik INTERNATIONAL: Aktion Bürger*innenasyl – Solidarität praktisch leben!
BLATT AUSGABE 01 / 2020
B L AT T LIEBE LESER*INNEN
IST POLITISCHE BILDUNG NICHT MEHR GEMEINNÜTZIG? Eine Stellungnahme des BDP Bundesvorstands AUSEINANDERSETZUNG MIT DER EIGENEN (politischen) IMPERFEKTION
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CORONA Krise, Chance, Stress, Transformation?
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RÄUME FÜR ALLE Eine sexualpädagogische Bestandsaufnahme
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KOMM MA‘ KLAR! Das BDP Sommercamp 2019 AKTION BÜRGER*INNENASYL Solidarität praktisch leben! WILDWÜXIG UNTERWEGS DER BDP PRÄVENTIONSAUSSCHUSS Auf dem Weg zu einem BDP Präventionskonzept PORTRAIT Praxis einer Utopie
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DER WEG DER RASSISMUSKRITIK Bericht aus Hamburg
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RECHTSEXTREMISMUS BEKÄMPFEN! Möglichkeiten einer antifaschistischen Jugendarbeit
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BLÄT TCHEN
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TIPS & INFOS
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TERMINE
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KAMPAGNE Wo bleibt das Leben?
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Liebe Leser*innen, bei uns allen bestimmt der Umgang mit dem Corona-Virus gerade unseren Alltag, unser Schul-, Uni- oder Arbeitsleben, die sozialen Kontakte, Familie, Reisen, Planungen, usw. Wir vom Redax-Team haben uns schon ein wenig an die Umstände gewöhnt, und trotzdem warten wir sehnsüchtig darauf, dass sich wieder eine gewisse Normalität einstellt, und wir uns alle wieder sehen können. In den vergangenen Monaten haben wir dennoch am neuen BLATT gearbeitet. Passend zur derzeitigen Situation liegt der Schwerpunkt auf Transformation: alles verändert sich immer wieder, gerade aber besonders stark. Und dies bietet auch die Chance, innezuhalten und zu überlegen, wie diese Transformation aussehen soll: was soll sich wie verändern, was ist wichtig und wo liegen die Chancen von Veränderung? Diesen Fragen nähern wir uns im Kontext von verschiedenen Themen:
das blatt ist das Verbandsmagazin des Bund
Deutscher Pfadfinder*innen und erscheint ein bis zwei Mal im Jahr. Es dient dem Austausch, der politischen Debatte und der gegenseitigen Information über die BDP-Kinder- und Jugendarbeit in allen Bereichen.
das blatt wird mit Mitteln des Bundesministe-
riums für Frauen, Senioren, Familie und Jugend (bmfsfj) gefördert. Namentlich gekennzeichnete Artikel geben nicht immer die Meinung der Redaktion wieder. Aus Gründen des Datenschutzes werden nur die Vornamen der Autor*innen angegeben, auf Nachfrage kann der Kontakt für inhaltlichen Austausch hergestellt werden.
herausgeber*in:
BDP Bundesverband e. V.
redaktion Carla Weena, Manu, Michelle, Tabea, Mirjam
gestaltung Atelier Hurra Kollektiv,
Gestaltung Inlay (S 19 – 22): packagentin.de
kontakt zur redaktion: blatt.bdp.org blatt@bdp.org
weitere exemplare können bestellt werden bei: Bund Deutscher Pfadfinder*innen Bundesverband – BLATT Baumweg 10 60316 Frankfurt am Main fon (069) 431030 mail bundesverband@bdp.org
Es braucht eine persönliche Auseinandersetzung mit der eigenen (politischen) Imperfektion ebenso wie die Schaffung von Räumen für Alle. Das Bürger*innenasyl ist eine Möglichkeit, ganz konkret an einer Transformation von rassistischen Strukturen mitzuwirken, was einhergehen muss mit einer stetigen rassismuskritischen Auseinandersetzung sowie antifaschistischer Arbeit . Auch auf verschiedenen BDP Veranstaltungen wie beispielsweise dem Sommercamp und der WildwuX-Tour steht das praktische Umsetzen einer Utopie im Mittelpunkt, also der Wunsch, möglichst wertschätzend und hierarchiefrei miteinander umzugehen und die Welt so ein Stückchen zu verändern. Ein wichtiger Aspekt dabei ist die Thematisierung und Prävention von sexualisierter Gewalt, welche gerade vom Präventionsausschuss vorangetrieben wird. Und nicht fehlen darf natürlich ein Corona-Special, welches verschiedene Umgänge und Perspektiven auf die derzeitige Situation beleuchtet. Im letzten Jahr gab es wieder einige Abschiede und Begrüßungen, und wir möchten hier die Gelegenheit nutzen euch allen ganz herzlich zu danken für eure tolle Arbeit und euren Einsatz. Dies gilt natürlich für euch alle, die ihr euch ehren- oder hauptamtlich im BDP einbringt, Zeit, Energie und eure Perspektiven mitbringt, und einfach toll seid. Nur gemeinsam schaffen wir es, etwas zu verändern. Merci! Ein ganz besonderer Dank geht an Gabriela Mayungu, die eine große Bereicherung und Hilfe für uns in der Bundesgeschäftsstelle war, und uns fehlt. Ein herzliches Dankeschön auch an Aretta Mbaruk vom Mädchen_kulturhaus Bremen, die eine neue Herausforderung angenommen hat und der wir alles Gute wünschen! Yannik Kessler hat sein Amt als Geschäftsführer der Wilden Rose abgelegt und wir wünschen ihm alles Gute. Wir freuen uns aber auch über neue Menschen im BDP und begrüßen euch ganz dolle, und zwar Lisa Wassermann, , die den BDP in Sachsen und anserswo voranbringt, Franziska Borgböhmer im Mädchen_kulturhaus und Volker Land verstärkt den LV Thüringen als Referent für politische Bildung. Willkommen! Aber es war auch nicht alles schön im letzten Jahr, und zwar hat uns Ende 2019 die Nachricht des frühzeitigen Todes von Georg Landenberg erreicht. Georg war bereits als Jugendlicher im BDP aktiv und hat dies später wieder aufgenommen. Er hat sich in der Gliederung Wilde Rose engagiert und wurde Ende 2013 in den BDP Bundesvorstand gewählt. Dort hat er sich tatkräftig mit seiner fachlichen Erfahrungen eingebracht und den BDP bereichert. Georg, wir denken an dich!
Kommt gut durch diese Zeit und liebe Grüße, die BLATT Redaktion und die BDP-Bundeszentrale Editorial
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THEMA
IST POLITISCHE BILDUNG NICHT MEHR GEMEINNÜTZIG? Eine Stellungnahme des BDP Bundesvorstands In den letzten Monaten sind uns mehrere Fälle zu Ohren gekommen, in denen die Gemeinnützigkeit von Vereinen, die im Bereich der politischen Bildung tätig sind, durch den Bundesfinanzhof (BFH) in Frage gestellt wurde. Für uns als Bundesvorstand des BDP wirft dies grundsätzliche Fragen zur demokratischen Grundordnung und zur Rolle von politischer Bildung auf.
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Thema
Hier der Versuch einer Zusammenfassung: Im Jahr 2019 wurden den Vereinen Attac und Campact die Gemeinnützigkeit entzogen. Die Begründung des BFH: Im Vordergrund der Arbeit müsse der gemeinnützige Zweck stehen, nicht die allgemeinpolitische Arbeit, wie in Form von Kampagnen oder Mobilisierungen der Gesellschaft. Attac und Campact setzen sich für demokratische Mitbestimmung ein. Sie fördern u.A. demokratische Teilhabe, Bildungsgerechtigkeit und den Abbau von Diskriminierung. Bei der Entscheidung hat der BFH politische Bildung sehr viel enger definiert, als das bisher der Fall war. Politische Bildung müsse demnach neutral sein und dürfe nicht „im Sinne eigener Auffassungen“ beeinflusst sein oder „die politische Willensbildung beeinflussen“. 2019 wurde auch dem Bundesverband der VVN-BdA (Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten) die Gemeinnützigkeit entzogen, mit der Begründung, dass der Verein „im bayrischen Verfassungsschutzbericht wiederholt als linksextremistisch beeinflusst dargestellt“ werde. Vorgeschrieben ist, dass Vereine, die in Verfassungsschutzberichten als extremistisch bezeichnet werden, nicht gemeinnützig sein könnten. Jedoch wurde lediglich der Landesverband Bayern der VVN-BdA als „linksextremistisch beeinflusst[er]“ Verdachtsfall dargestellt, also nicht als „linksextremistisch“ bezeichnet. Außerdem kann die Aussage des bayerischen Berichts nicht für andere Untergliederungen oder gar den Bundesverband gelten. Dennoch erhielt die Bundesvereinigung Anfang November den Bescheid über die Aberkennung ihrer Gemeinnützigkeit. Die Ehrenvorsitzende Esther Bejarano, die die KZs Auschwitz und Ravensbrück überlebte, schrieb in einem offenen Brief an Finanzminister Olaf Scholz und Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier:
„Das Haus brennt – und Sie sperren die Feuerwehr aus!, [sic] wollen der größten und ältesten antifaschistischen Vereinigung im Land die Arbeit unmöglich machen? Diese Abwertung unserer Arbeit ist eine schwere Kränkung für uns alle. […] Nie habe ich mir vorstellen können, dass die Gemeinnützigkeit unserer Arbeit angezweifelt oder uns abgesprochen werden könnte! Dass ich das heute erleben muss!“ – Esther Bejarano – Die Urteile könnten Vorbild für weitere Einschränkungen sein. Ende November wurden Pläne von Olaf Scholz öffentlich, „wonach gemeinnützige Vereine ihre Zwecke nur noch ‚weit im Hintergrund‘ mit politischen Mitteln verfolgen dürften“. Dies wurde in einer gemeinsamen Presseerklärung von Attac, Campact und DemoZ kritisiert, weil es dazu führen kann, dass Vereinen aufgrund ihrer ‚politischen Tätigkeiten‘ die Gemeinnützigkeit entzogen wird.
Thema
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Auswirkungen auf Vereine und die Zivilgesellschaft
Gemeinwohlorientiertes Engagement muss pluralistisch und divers sein und vor allem gegen anti-demokratische und menschenverachtende Tendenzen vorgehen. Eine Demokratie, die widerstandsfähig bleiben soll, braucht kritische Bürger*innen und Organisationen, die Menschen politisch bilden. Politische Was bedeutet das nun konkret für die Vereine? Einerseits dürfen Bildung bedeutet für uns die Aufklärung über gesellschaftliche keine Spendenbescheinigungen mehr ausgestellt werden und Zusammenhänge, sowie historische und soziale Hintergründe. Spenden werden steuerrechtlich nicht mehr anerkannt. AußerDie Ziele unserer Arbeit im BDP sind es, das Urteilsvermögen jundem sind damit Nachzahlungen verbunden, da das gespendete ger Menschen zu schärfen und ihnen einen kritischen Blick auf Geld nun rückwirkend versteuert werden muss. Machtverhältnisse und gesellschaftliche Schieflagen zu ermögliDoch das sind nur die direkten ökonomischen Folgen. Viel chen. Die Teilhabe an der Demokratie – durch Wissensaneignung, schwerwiegender sind unserer Meinung nach die Auswirkungen Meinungsbildung und aktives Handeln, um Veränderung zu beauf demokratische Beteiligung und eine politisch interessierte wirken – muss gelernt werden. Deshalb möchten wir mit unserer Zivilgesellschaft. Wir empfinden diese Urteile als einen weiteren politischen Bildungsarbeit demokratische Strukturen stärken Baustein einer Diskursverschiebung nach rechts und als ein Warn- und junge Menschen dazu ermutigen, die Gesellschaft aktiv mitsignal an die kritischen Bürger*innen, die von ihrem demokrati- zugestalten. schen Recht Gebrauch machen und mitsprechen und -gestalten möchten. Denn nach den vergangenen Urteilen wird immer deut- Wenn sich Gemeinnützigkeit zukünftig auf – in Scholz Worten – licher, dass sich die Maßnahmen gegen ganz bestimmte, nämlich ‚unpolitische‘ Freizeit- und Kirchenvereine beschränkt, ist das ein erheblicher Eingriff in die demokratische Ordnung und ein Erfolg gesellschaftskritische Vereine richten. für konservative Politiker*innen, die bereits länger versuchen, Dem gegenüber gilt z.B. das rechte Netzwerk Uniter – von dessen emanzipatorische Organisationen mithilfe des GemeinnützigMitgliedern „Todeslisten“ für politische „Feinde“ veröffentlicht keitsrechts mundtot zu machen. Diese Tendenzen sind natürlich wurden – als gemeinnützig und bittet im Internet um Spenden. auch eine Gefahr für den BDP und andere Verbände, die vor dem Auch international agierende wirtschaftliche Unternehmen mit Hintergrund der aktuellen politischen Entwicklung wichtige Akeindeutig finanziellen Interessen genießen steuerrechtliche Vor- teur*innen für eine liberale Gesellschaft darstellen. züge. Vereinen jedoch, die unabhängig, unentgeltlich und überparteilich für Interessen wie Umweltschutz, Demokratieförderung oder Menschenrechte eintreten, werden zunehmend Steine in den Weg gelegt. Wir sehen in diesen Entscheidungen einen massiven Einschnitt in die demokratische Grundordnung, freie Meinungsbildung und ganz besonders in die Arbeit gegen Rechtsextremismus, Rassismus und andere autoritäre Formierungen und Ansichten. Für eine demokratische Zivilgesellschaft braucht es Vereine wie Attac, Campact, die VVN-BdA und viele andere!
Was das alles mit dem BDP zu tun hat Die Forderung der Neutralität der politischen Bildung wirft bei uns als Bundesvorstand eines basisdemokratischen Kinder- und Jugendverbandes die Frage auf, wie es möglich sein soll, unsere Arbeit nicht von unseren eigenen Auffassungen beeinflussen zu lassen. Der Wunsch nach einer demokratischeren, offeneren, diversen Gesellschaft, die verschiedensten Menschen Teilhabe und Perspektiven bietet, ist das was uns dazu antreibt, ehrenamtlich Zeit und Energie in den BDP zu stecken. Die Vorstellung, in einem rassismuskritischen Arbeitskreis auch rassistischen Äußerungen Raum zu bieten, weil wir weltanschaulich offen und 'neutral' sein sollen, lässt uns einen Schauer über den Rücken laufen.
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Thema
Fazit An den genannten Beispielen wird deutlich, dass wirtschaftliche Interessen in der Bundesrepublik höhere Relevanz genießen als die zivilgesellschaftliche Stärkung der Demokratie. Obwohl wir als BDP (noch) nicht unmittelbar betroffen sind, sehen wir darin eine gefährliche gesellschaftliche Entwicklung, der wir entgegentreten wollen. Deshalb solidarisieren wir uns mit den Organisationen, die aufgrund ihrer emanzipatorischen, politischen Bildung Repression erfahren und in ihrer Arbeit behindert werden. Bleibt solidarisch und mischt euch ein! Euer BDP-Bundesvorstand Von Carla, Tabea, Michelle, Manu
THEMA
AUSEINANDERSETZUNG mit der eigenen (politischen) Imperfektion
In BDP Kreisen habe ich schon viele Gespräche miterlebt, die sich auf „Blasen“ beziehen. Doch was bedeutet es, in einer „Blase“ zu leben?
Oftmals, wenn von diesen oder auch von „Kreisen“ und „Kontexten“ die Rede ist, geht es um etwas, das sich nach außen hin abgeschlossen anfühlt. Ein Wohlfühlraum, in dem sich Menschen mit ähnlichen Interessen und Weltbildern bewegen. Es gibt wenige Streitpunkte; außer vielleicht Diskussionen über die nächste gemeinsame Aktion.
Tut weh zu lesen? Tut auch weh zu schreiben! Denn ich schließe mich nicht aus. Ich konfrontiere mich. Tagtäglich. Denn genau so und nur so kann ich etwas daran ändern. Ich lasse es zu, dass Menschen mich auf meine Sprache aufmerksam machen und führe weiterhin Diskurse, die mir zu den Ohren raus hängen. Es kostet mich Kraft, schürt potentiell Selbstzweifel und dauert. Und zwar lang. Sehr lang!
Aber es gibt sie sehr wohl, die Konflikte – meist sind sie größer als wir annehmen.
Es geht darum, Gewohnheiten umzuwerfen, Menschen zu kritisieren, zu denen ich aufblicke und mir ab und zu einzugestehen, Hinzu kommt ein weiteres Problem: Es wird sich außerhalb unse- dass Gedanken, die mir in den Kopf schießen, manchmal nicht mit rer Blasen nichts ändern, wenn wir unsere internen Diskussionen meinen Utopien zusammenpassen. nicht auch in die Welt da draußen tragen und unsere Gespräche Das Spannende: ich weiß, dass ich mittlerweile wichtige Veränweiterhin exklusiv gestalten (z.B. durch Sprache). derungen angestoßen habe. Trotzdem tun sich bei jedem Schritt Ich habe das Gefühl, dass wir uns gegenüber Kritik verschließen. in die Richtung, die ich für richtig halte, weitere Baustellen auf. Wir leisten in unserer Freizeit wertvolle Arbeit, sitzen in Plena, engagieren uns in der Geflüchtetenhilfe oder in queeren Projek- Mein Ansatz: Höre Betroffenen zu, schaffe ihnen Rederäume, ten. Dass dadurch internalisierter Rassismus und geschlechtliche nehme sie ernst und ihre Kritik an. Außerdem: Höre aufmerksam Normvorstellungen nicht einfach verschwinden ist schmerzhaft. deinen Gedanken zu. Schäme dich nicht, sondern sei froh, dass Wir müssen uns eingestehen, dass wir nicht perfekt sind. Weder du Probleme erkennst! Und dann steh dazu und frag andere nach Hilfe. Denn nach etlichen Gesprächen, die mir echt nicht leicht in unserer Sprache, noch in unserem Handeln. gefallen sind, kann ich dir versichern: es geht allen Menschen so, Es ist wichtig, zu verstehen und zu benennen, dass es auch in lin- die sich auf diesen immens wichtigen Prozess einlassen! ken Kreisen Sexismus, Rassismus, Ableismus und andere Diskriminierungsformen gibt. Wenn du jetzt denkst: Ja, ich kenne da wen… Lass uns doch hier beginnen: Wir alle sind (politisch) imperfekt und werden es vermutlich auch bleiben. Ist das schlimm? Nein! So lange wir das nicht vergessen, bereit sind zu Lernen und das ...kann ich dir sagen: Ja! Dich zum Beispiel! Beste aus uns machen. Von Carla
Thema
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EINBLICK
WILDWÜXIG UNTERWEGS Eine Parkwiese in Bremerhaven, ein großer Zirkuswagen, eine improvisierte Bar, zwei Hocker. So sieht heute die Theaterbühne aus.
Lisa und Fine laufen sich in in dieser Kulisse, nämlich einer Kneipe, über den Weg. Die beiden sind Schwestern und haben sich schon ein paar Jahre lang nicht mehr gesehen. „Willst du was trinken?“ „Ich hätte gern ein alkoholfreies Bier, bitte.“ „Oh. Das hätte ich von dir nicht erwartet...“ Und schon wird klar: Beide haben viel erlebt und sich verändert. Zu Beginn noch ganz vorsichtig kommt die Unterhaltung ins Rollen. Gemeinsame Erlebnisse werden in Erinnerung gerufen und... „erinnerst du dich noch an die Zuckerwatte, damals auf dem Herbstmarkt?“ Aber schon bald geht es um Zukunftspläne, um Träume und Ängste. Lisa ist viel gereist, hat bei Projekten mitgeholfen und Musik gemacht. Sie ist ruhelos und will „raus aus dem deutschen Kaltland“. Und Fine kann das mittlerweile nachvollziehen. Auch wenn sie sich nicht so mutig fühlt wie ihre Schwester Lisa. Die erzählt ganz begeistert davon, wie sie vor Kurzem zum ersten Mal Stage Diving ausprobiert hat und dabei einen richtigen Klickmoment hatte. Wir alle haben manchmal solche Klickmomente. Wenn wir erkennen, dass Wut eine produktive Kraft ist oder wir nicht immer aus Prinzip handeln wollen. Oder wenn wir lernen, Rosenkohl unten kreuzweise einzuschneiden, damit er nicht bitter wird. Fine geht’s nicht gut. Das haben wir – da draußen im Publikum – bereits gespürt.
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Einblick
Sie hat sich von ihrer Freundin getrennt und irgendwie ist gerade ‚eh alles anders‘. Nachdem sie das ausspricht, herrscht bedrücktes Schweigen. Beide Schwestern müssen sich dazu durchringen, ihre Verletzlichkeit zu zeigen, aber nach einem Zögern nehmen sie sich in den Arm. Lisa will raus aufs Mittelmeer. Sie kennt da ein paar Leute in einer Seenotrettungscrew, die Unterstützung gebrauchen können. Nach kurzem Zögern sagt sie: „Aber, wenn ich ganz ehrlich bin... hab ich Angst.“ Natürlich, Angst ist kein Grund dafür, sich von Menschen abzugrenzen. Und ganz bestimmt ist sie auch kein Grund dafür, nicht einfach mal etwas durchzuziehen. Aber vielleicht ist es auch eher die Angst vor der Veränderung. Und Veränderungen gibt es halt immer, ganz besonders wenn wir in Gemeinschaft leben. Dann fragt Fine: „Wie geht es dir eigentlich?“ Und plötzlich fasst Lisa all meine wirren Gedanken in Worte und ich sitze im Park auf der Wiese, und fühle mich wie eine Sitznachbarin dort in der Kneipe, die das Gespräch der Schwestern aufschnappt. „Keine Ahnung, ganz unterschiedlich.“ Das Gespräch am Tresen hält immer wieder inne und wird dann untermalt von Performances der Theatercrew, einer Zuckerwattemaschine, dem Klimawandel, Stage Diving, Selbsthilfegruppen und herzerwärmenden Punksongs.
Das Chamäleon im Spiegelkabinett. So heißt das Stück, das die Menschen der WildwuX Theatergruppe dieses Jahr gemeinsam geschrieben und geprobt haben. Jeden Sommer fahren sie, nach ausgiebigem Schreiben und Proben, mit den BDP-eigenen Zirkuswägen durch Niedersachsen und treten in Parks und an anderen öffentlichen Plätzen auf. Meist dient einer der Wägen als Kulisse, der Rest der Requisite muss gut verstaubar sein. Denn in den Wägen wird auch gekocht, geschlafen und natürlich von A nach B gefahren. Mit 20 Stundenkilometern wohlgemerkt, denn mehr geht mit den Treckern einfach nicht. Es gibt ein paar Leute, die jetzt schon seit einigen Jahren immer wieder bei den Proben und der Tour dabei sind. Nicht nur auf der Bühne, sondern natürlich auch dahinter. Zum Kochen, Rangieren oder zur moralischen Unterstützung. Manchmal kommt Besuch vorbei und bringt Kuchen mit. Im Publikum sitzen fast immer auch Freund*innen und die sieht man besonders gern Lachen und Staunen. Jedes Jahr ist die Gruppe anders. So ergeben sich aufregende Zusammenarbeiten, wie etwa 2018 mit den zwei Bands „Hörzu!“ und „Zerreißprobe“, die Teil der Rotzfrechen Asphaltkultur (RAK) sind. Manche können turnen, manche Songs schreiben, manche besonders gut Chamäleon sein – alles wird eingebaut. So ist das Theaterstück jedes Jahr anders und neu.
All das geschieht aus keinem anderen Grund, als dem, dass es da ein paar Leute gibt, die richtig Bock haben. So, wie ich das eben vom BDP kenne. Der Alltag auf Tour scheint auf den ersten Blick eine ganz schön romantische Angelegenheit zu sein. Viel frische Luft, jeden Tag gemeinsam Essen, in der Sonne rumliegen und auf der Bühne austoben und Zuschauer*innen verzaubern. Allerdings braucht es auch eine ganze Menge Kommunikation, Arbeit und Geduld, damit alles funktioniert. So einen zehn Meter langen Wagen mit einem Trecker zu rangieren kann eine echt haarige Angelegenheit werden. Und die Einkäufe, die Wasserbeschaffung, das Kochen und das Abwaschen wollen auch koordiniert werden. Eigentlich gibt es immer viel zu tun und die Momente des Durchatmens sind dann besonders wertvoll. Zwischen Besprechungen und Aufbau/Abbau gibt es zum Glück immer auch ein bisschen Zeit zum Zusammensitzen und Quatschen, Briefchen schreiben, oder für Wattwanderungen. Und selbst als Besucherin wird ein bisschen handgemachte Utopie spürbar. 31.03.2020 Ein Update aus der Crew: Nach kurzer Corona-Schockstarre versuchen wir nun alternative kreative (Theater-)Formate zu entwickeln. Denn gerade jetzt ist es wichtig, öffentliche Diskurse auch auf künstlerischer und emanzipatorischer Ebene zu führen. Es bleibt also spannend.
WildwuX ist ein Projekt im BDP Niedersachsen, das es schon seit fast 40 Jahren gibt. Für diesen Sommer (2020) werden bereits seit einigen Monaten ganz besondere Pläne geschmiedet. Denn dieses Jahr zieht WildwuX deutlich größere Kreise. Getourt wird durch Niedersachen, Thüringen, Nordhessen und Nordrhein-Westfalen. Das Ganze wird etwa drei Monate dauern (Treckergeschwindigkeit…) und darin sind die ausgiebigen Proben noch nicht inbegriffen. Die Gruppe will sich mehr Zeit nehmen und länger an den Orten verweilen, die sie besucht. Die Zeit soll dann auch dazu da sein, sich mit anderen Projekten und Menschen auszutauschen und Ideen für die Zukunft zu spinnen. Um dem Ganzen die Zipfelmütze aufzusetzen, hat WildwuX auf der großen Tour gleich zwei Theaterstücke, sowie jede Menge Workshops im Gepäck. Von Showkampf über Backen und Wagenbau bis zur theoretischen Auseinandersetzung mit Wut & Gender gibt es da Einiges zur Auswahl.
von Tabea und Neele
aktuelle infos findet ihr auf unserer website www.wildwux.org oder auf Instagram @wildwux_theater
Einblick
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EINBLICK
DER BDP PRÄVENTIONSAUSSCHUSS Auf dem Weg zu einem BDP-Präventionskonzept Seit nun fast 2 Jahren beschäftigen wir uns im BDP verstärkt mit der Prävention sexualisierter Gewalt. Die Initiative kam aus dem Arbeitskreis Gender*Queer und wurde schnell auch in anderen Gremien aufgegriffen. Sophie und Torsten haben im BLATT 1/2019 über die Notwendigkeit der stärkeren Thematisierung von Sexismus und sexualisierter Gewalt geschrieben, ich empfehle euch diesen Text zu lesen. Bei JuleiCa-Schulungen ist das Thema bereits seit einiger Zeit präsent und wird ausführlich besprochen. Das Vernetzungstreffen politische Bildung hat das Thema aufgegriffen und einen Antrag an die BDV gestellt. Im Antrag war ein erster Entwurf für ein Präventionskonzept enthalten sowie der Vorschlag, einen Präventionsausschuss zu gründen. Dieser Antrag wurde angenommen und der Präventionsausschuss hat die Arbeit aufgenommen. Anfang 2020 wurde das Präventionskonzept vom Präventionsausschuss überarbeitet und erweitert. Unten könnt ihr die Kurzversion des Konzepts bereits lesen, bei der BDV Ende 2020 wird aber erst darüber abgestimmt. Im Herbst wird eine Schulung zur Prävention von und Intervention bei sexualisierter Gewalt stattfinden. Alle, die sich zu dem Thema fortbilden und austauschen wollen sind herzlich eingeladen teilzunehmen.
bundesweites konzept für die prävention von und intervention bei sexismus und sexualisierter gewalt im bdp grundverständnis des bdp Ein umfassendes Konzept für die Prävention von Sexismus und sexualisierter Gewalt ist ein Qualitätsmerkmal guter Kinder- und Jugendarbeit und auch uns im BDP sehr wichtig. Durch die offensive Thematisierung dieses Themengebiets auch unabhängig von akuten Vorfällen signalisiert der BDP, dass wir körperliche Gewalt, sexualisierte Grenzverletzungen, Mobbing, sexistische und rassistische Bemerkungen und diskriminierendes Verhalten nicht bagatellisieren und dulden. Unabdingbar für unser Präventionskonzept ist eine feministische Grundhaltung, die zuallererst Betroffene schützt und diskussionslos als glaubwürdig anerkennt. Dazu gehört auch, sexualisierte Gren-
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Einblick
züberschreitungen, egal welcher Form, als Problem zu benennen. In der Rechtsprechung gilt der Grundsatz: Im Zweifel für die_den Angeklagte*n. Wir sind jedoch kein Gericht und brauchen deshalb nicht aufdecken, ermitteln oder die Situation beurteilen, sondern müssen danach handeln, was im Interesse der betroffenen Person ist. In der Aufarbeitung von Verdachtsmomenten bzw. beobachtetem Fehlverhalten und Aussagen mit einer sozialpsychologischen Herangehensweise gilt für uns folglich der Grundsatz: Im Zweifel für die Betroffenen! Im Zweifel für die uns anvertrauten Kinder und Jugendlichen! Dieser Grundsatz kommt aus dem Verständnis, dass es nicht einfach ist, solche Erfahrungen mitzuteilen. Deshalb ist es wichtig, Aussagen oder Beobachtungen nicht zu relativieren oder kleinzureden, sondern ernst zu nehmen und danach zu handeln. Ein Team aus unterstützenden Personen entscheidet dann in Absprache mit Fachpersonen über die erforderlichen Konsequenzen.
was ist sexismus? Wenn wir über sexualisierte Gewalt sprechen ist es notwendig, bei Sexismus anzufangen. Sexismus bezeichnet jede Form der Diskriminierung von Menschen aufgrund ihres zugeschriebenen Geschlechts. Darüber hinaus liegt diesem Phänomen eine Ideologie zugrunde, welche Geschlechterrollen festschreibt und hierarchisiert. Sexismus bezieht sich auf gesellschaftlich erwartete geschlechtsspezifische Verhaltensmuster (Geschlechterstereotype), wobei Männer eine privilegierte Position haben (Patriarchat) und deshalb primär Frauen als von Sexismus betroffen gelten. Aus sozialpsychologischer Perspektive können gleichwohl auch Männer von Sexismus betroffen sein. Patriarchale Verhältnisse führen dazu, dass sexualisierte Übergriffe strukturell eher möglich sind und erschwert es Betroffenen, diese zu benennen und sich dagegen auszusprechen. Darüber hinaus sprechen wir uns gegen Queer-feindliche Aussagen und Handlungen aus. Diese reichen von herabsetzenden Sprüchen gegenüber Trans*-, Inter*-, nicht-binären Menschen sowie Homo-, Bi-, Pan-, A-sexuellen und A-romantischen Personen hin zur Relativierung oder Negierung dieser Identitäten. Auch lehnen wir das Festhalten an einer klaren Dichotomie zwischen ‚männlich‘ und ‚weiblich‘ ab, die weitere Geschlechtsidentitäten nicht berücksichtigt. Wir fördern eine Auseinandersetzung mit verschiedenen Identitäten, damit sich alle Kinder und Jugendlichen bei Veranstaltungen des BDP wohlfühlen und wahrgenommen werden.
was ist sexualisierte gewalt? Sexualisierte Gewalt ist eine individuelle, alters- und geschlechtsunabhängige Grenzverletzung. Sie bezeichnet jede sexuelle Handlung, die an einer*m Anderen entweder gegen der*ssen Willen vorgenommen wird, oder der sie*er aufgrund körperlicher, seelischer oder sprachlicher Unterlegenheit nicht zustimmt. Dabei geht es um Machtausübung durch sexualisiertes Verhalten/ sexualisierende Sprache. Sexualisierte Gewalt kann sowohl von Teamenden, Hauptamtlichen, als auch von Teilnehmenden und Dritten ausgehen. Bei sexualisierter Gewalt wird zwischen „Hands-Off“-Formen (Kommentare, Gesten, Exhibitionismus, etc.) und „Hands-On“Formen (ungewollte Berührungen, nicht einvernehmliche sexuelle Handlungen, etc.) unterschieden.
prävention als aufgabe der kinder- und jugendarbeit Es ist eine zentrale Aufgabe von Kinder- und Jugendverbänden, die ihnen anvertrauten Personen zu schützen und ihnen einen möglichst diskriminierungsfreien Raum zu bieten. Deshalb finden wir es wichtig, dass • die Ehren- und Hauptamtlichen sowie Teilnehmenden für die Problematik sensibilisiert sind • P räventionsmaßnahmen stetig weiterentwickelt und umgesetzt werden • V erbandliche Strukturen bestehen, die angemessene und fachliche Intervention bei Verletzungen des Kindeswohls (Schutz auftrag bei Kindeswohlgefährdung nach §8a) sowie Verstöße gegen die sexuelle Selbstbestimmung von Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen vorsehen. •b ei akuten Übergriffen direkt und schnell eingegriffen und die*der Betroffene vor weiteren Gewalthandlungen geschützt wird.
s trukturelle rahmenbedingungen für prävention von und intervention bei sexualisierter gewalt Der Präventionsausschuss wurde 2019 gegründet, um ein Konzept für Prävention von und Intervention bei Sexismus und sexualisierter Gewalt zu erarbeiten. Er setzt sich aus mindestens einer*m Delegierten jeder Gliederung, je einem Mitglied der Bundeszentrale und des Bundesvorstands zusammen. Die Mitglieder des Präventionsausschusses sind Ansprechpersonen für jene, denen sich ein*e Betroffene*r offenbart hat, bei Beobachtungen, die ein „flaues Gefühl“ hinterlassen, bei Fragen zu sexualisierter Gewalt und Machtmissbrauch und bei sonstigen Problemen und werden diese vertrauensvoll behandeln.
Darüber hinaus bilden sich die Mitglieder des Präventionsausschusses fortwährend weiter, halten das Thema in den unterschiedlichen Gliederungen präsent, beraten sich gegenseitig bei auftretenden Vorfällen und fällen gegebenenfalls Entscheidungen hinsichtlich des Umgangs mit bestimmten Situationen und Konsequenzen. Ein weiterer wichtiger Aspekt der strukturellen Rahmenbedingungen sind regelmäßige Schulungen zu Prävention und Intervention sexualisierter Gewalt. Diese Schulungen werden vom Bundesverband organisiert und stehen allen offen, die im Verband aktiv sind und sich mit der Thematik auseinandersetzen möchten. Von Mirjam
präventionsmassnahmen können sein: • Regelmäßige Schulungen zum Themenfeld Sexismus und sexualisierte Gewalt, aber auch Diskriminierungsformen wie Rassismus, Diskriminierung von queeren Geschlechtsidentitäten, Diskriminierung von Menschen mit Behinderung, etc. • Sensibilisierung und Qualifizierung von Teamenden • Verhaltenskodex für Teamende • Maßnahmen zur Stärkung von Kindern und Jugendlichen, der Festigung ihres Selbstvertrauens, der Förderung ihrer Selbstständigkeit und das Informieren der Kinder und Jugendlichen, um beispielsweise Übergriffssituationen zu erkennen, einzuordnen und zu beenden • Thematisierung von und Sprechen über Sexualitäten, Identitäten, Grenzen und Konsens • Schaffung einer Awareness-Struktur als Teil der Vorbereitung und Durchführung von Veranstaltungen • Schaffen von geschützten Räumen • Atmosphäre schaffen, welche Sexismus nicht fördert bzw. reproduziert (z.B. durch Musik) • Klare Aufgabenverteilung, Transparenz den Teilnehmenden gegenüber • Sichtbarmachung der Gremien zur Prävention und Intervention
Einblick
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THEMA
CORONA Krise, Chance, Stress, Transformation? SARS CoV-2 ist ein neuartiges Coronavirus, welches sich seit Ende 2019 in China und dann über die ganze Welt ausgebreitet hat. Das Virus löst die Krankheit COVID-19 aus, welche auch tödlich verlaufen kann. Die Verläufe der Krankheit sind unterschiedlich und führen v.a. bei Angehörigen der Risikogruppe zur Notwendigkeit von intensiver Betreuung in der Intensivstation. Dies führte in vielen Ländern zu drastischen Maßnahmen, um die Ausbreitung zu Verlangsamen und die Intensivstationen nicht zu überlasten. Maßnahmen reichen von der Schließung von Kinderbetreuungseinrichtungen und Schulen, starke Einschränkungen für Restaurants und einer weitgehenden Schließung von Geschäften, Ausgangsbeschränkungen für Einzelpersonen und ein Verbot von Gruppenveranstaltungen. Diese Maßnahmen wurden sehr schnell getroffen mit Blick auf Länder wie Italien und Spanien, wo das Virus schon sehr früh vielen Menschen das Leben gekostet hat. Die Auswirkungen dieser plötzlichen und weitreichenden Veränderung des täglichen Lebens sind sehr unterschiedlich. Allen gemeinsam ist wahrscheinlich ein Gefühl von Stress, Unsicherheit und der Verlust von sozialem Kontakt und Austausch. Der Alltag ist von einem Tag auf den anderen anders und die Möglichkeiten, dies zu teilen, sind eingeschränkt bzw. müssen nun über digitale Medien organisiert werden. Gleichzeitig haben manche auch mehr Zeit und konzentrieren sich auf die positiven Nebeneffekte dieser Krise.
Für Selbstständige sowie jene, in deren Berufen starke Einbußen zu verbuchen sind, kommt die Existenzangst hinzu: wie zahle ich die nächste Miete, wie lange habe ich noch einen Job, wann ist die Ausübung meiner Tätigkeit wieder möglich? Viele fühlen sich allein gelassen, trotz der Direkthilfe des Staates, die aber auch nicht auf alle zugeschnitten ist. Gemeinnützige Vereine beispielsweise gehen großteils leer aus, obwohl sie wahrscheinlich über eine lange Zeit nicht wie gewohnt arbeiten können und dadurch unklar ist, wie sie weitermachen können. Dies hängt natürlich davon ab, wie die Vereine strukturell aufgebaut sind, aber trotzdem bleibt die Unsicherheit, wie sie ihre Arbeit fortsetzen können bzw. wie sie den wichtigen Kontakt zu Kindern und Jugendlichen aufrecht erhalten können.
Und nicht zu vergessen natürlich all jene Menschen, die in den sog. systemrelevanten Berufen arbeiten: Krankenpfleger*innen, Ärzt*innen, Altenpfleger*innen, aber auch Kassierer*innen etc. Schüler*innen und Studierende lernen zuhause, was auch soziale Berufe, in denen seit Jahren für bessere Arbeitsbedingungen und Ungleichheiten stärker zutage fördert. Nicht alle haben nämlich Anerkennung ihrer Leistung gekämpft wurde, rücken nun in den die gleichen Voraussetzungen, an einem digitalen Unterricht Mittelpunkt. Es ist Zeit, strukturelle Änderungen umzusetzen und teilzunehmen, z.B. aufgrund von Laptops, Drucker, Materialien die Arbeitsbedingungen in diesen von Frauen dominierten Beruoder Platz. Gleichzeitig steigt aufgrund von Stress die Gewalt ge- fen zu verbessern. Und wieder: Das Patriarchat lässt grüßen. gen Frauen und Kinder in den Wohnungen. Besonders hart trifft es auch jene, die sowieso viel zu oft vergesAuch für jene, die nun die Kinder 24 Stunden am Tag betreuen, sen werden: Geflüchtete, Wohnungslose, Drogenabhängige, etc. bedeutet dies eine große Umstellung und Chaos. Plötzlich muss Leider werden leerstehende Hotels nicht oder nur sehr wenig geBetreuung, Unterricht, Lohn- und Care-Arbeit unter einen Hut öffnet für jene, die gerade eine Unterkunft brauchen, um den Abgebracht werden, ohne Unterstützung vom sozialen Umfeld. Tja, stand einhalten zu können. Und die Lage von Geflüchteten an den viel Spass. Und wen triffts am meisten? Frauen-alte Rollenmuster EU-Aussengrenzen wie z.B. in Griechenland ist verheerend: von lassen grüßen. Schutzmaßnahmen gegen das Coronavirus ist nichts zu hören. Gleichzeitig ordnen Staaten an, die Seenotrettung einzustellen und Menschen auf See sterben zu lassen. Eine Katastrophe! Und Rassismus vom Feinsten. 12
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Dagegen regt sich natürlich Widerstand, wobei auch Protest von der Polizei unterbunden wird und Grundrechte ausgehebelt werden. Trotzdem gibt es immer wieder kreative Formen des Widerstands sowie neue, auch digitale Aktionen.
Die Arbeit macht mir Spaß, das ist meine Leidenschaft, ich möchte den Leuten tolle Sachen bauen. Und ich hab keine Lust, mich wieder in ein Lohnarbeitsverhältnis zu begeben. Aber das wäre im Notfall noch eine Option.
Leider versuchen auch rechte Netzwerke, die Krise für sich zu nutzen und z.B. durch Verschwörungstheorien und fake news die Debatten zu beeinflussen. Also bleibt aufmerksam und lasst euch nicht manipulieren!
Von Marius (25), BDP NDS-Bremen
Aber natürlich gibt es auch positive Nebeneffekte dieser Zeit: so denken viele Menschen darüber nach, was ihnen wirklich wichtig ist, freuen sich über frei gewordene Zeit und nutzen diese produktiv und kreativ: Was machen wir jetzt damit? Wie gehts uns damit? Auf diese Fragen haben wir alle unterschiedliche Antworten, die von unterschiedlichen Faktoren abhängen. Deshalb findet ihr um diesen Text herum kleine Einblicke von verschiedenen Menschen, die erzählen wie es ihnen gerade geht, was sie bewegt und wie sie mit der Situation umgehen. Wir wünschen euch allen viel Kraft, und hoffen dass wir uns bald wieder sehen können!
Einblick 2 26. März 2020 13:00 Uhr, irgendwo und nirgendwo in der Bundesrepublik: Der BDP Vorstand hat sich zu einer virtuellen Vorstandssitzung verabredet. 34 Minuten und vier Videochat-Programme später klappt es dann auch irgendwie. Auf meinem Bildschirm tauchen unsere vier Gesichter auf und ich kann unser Lachen in der Leitung hören. Nach einer kurzen ‚Wie-geht‘s-mir‘-Runde, in der wir uns über die Ausgangsbeschränkungen, Einsamkeit und unsere allgemeine Überforderung hinsichtlich der Lage der Welt austauschen, finden wir in unseren Groove zurück. Unsere Tagesordnung ist nicht lang, aber es stehen wichtige Dinge drauf.
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Wie ist die Lage im BDP? Was muss abgesagt werden, was muss verschoben werden? Wie kann unsere Arbeit in diesen Zeiten überhaupt aussehen? Wofür haben wir Energie? Anrufe wollen An meinem Tagesablauf hat sich an sich erst mal nicht so viel ge- getätigt und Mails formuliert werden. Und unsere Stellungnahme ändert. Ich bin oft an der frischen Luft und gründliches Händewa- zur Gemeinnützigkeit ist auch noch nicht ganz fertig. Alle Aufgaschen war schon immer Bestandteil meines Arbeitsalltags. ben werden aufgeteilt. Vor dem Baumarkt muss ich nun Schlange stehen. Aber dafür komme ich mit meinem Lastenrad gut durch den Verkehr, da die Und zum Abschluss werden noch ein paar witzige Anekdoten Leute weniger Autofahren. ausgetauscht. In mir sticht es irgendwo ein bisschen… Vermissen und Dankbarkeit zugleich. Ich denke zurück an unsere letzte Der direkte Kontakt zu den Kund*innen ist mir wichtig und der Vorstandssitzung und freue mich auf den Tag, an dem wir wieder fällt jetzt oftmals weg. Und einige meiner Aufträge werden abge- gemeinsam ein Wochenende gestalten können. sagt, denn die Kund*innen sind oft schon älter und fühlen sich mit dem persönlichen Kontakt unwohl. Von Tabea, Bundesvorstand Neue, große Arbeitsaufträge zu finden, ist fast unmöglich geworden, und das bekommen auch alle mit. Die Bereitschaft mich anzuheuern ist innerhalb meines persönliches Netzwerkes zwar gewachsen; das sind aber immer nur Kleinigkeiten und auf Dauer ist das anstrengend. Vielen fehlt mittlerweile sogar das Geld, um mich zu bezahlen. Diese Leute hat es also noch vor mir getroffen. Das gibt mir einen Eindruck davon, wie das Geld in unserem System immer weitergereicht wird. Die Einschnitte in die Auftragslage sind also stärker, als anfangs von mir erwartet. Aber aufgeschoben heißt nicht aufgehoben. Sobald der normale Alltag zurückkommt, wird es richtig viel zu tun geben und Handwerker*innen werden noch stärker überlastet sein, als schon vor der Krise. Ich hab meinen Betrieb gerade erst gegründet, da ist noch alles ganz frisch. Alles ist davon abhängig, wie lange dieser Zustand noch anhalten wird.
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Einblick 3 Ich versuche, den Fokus zu verändern, von Angst und Schrecken abzuwenden und Stimmen zu hören, die die derzeitigen Maßnahmen und Zahlen hinterfragen und Anregungen geben. Experten, die mehr verstehen und erklären können, die mein Gefühl, dass es auch alles nicht immer wirklich schlüssig ist, mit ihren Einschätzungen unterfüttern.
Ja, ich erlebe auch eine durchaus positive Stimmung, Menschen sind mehr runtergefahren. Im Wald treffe ich Menschen, die einfach ruhiger sind, es ist eine sehr schöne Atmosphäre. Plötzlich haben Menschen Zeit. Auch in meinem Wohn-Umfeld erlebe ich eine sehr solidarische Atmosphäre, alle sind zuhause und wir wissen voneinander was gerade los ist, immer mal wieder ein Schoko-Glückskäfer vor der Tür oder Aroniabeeren-Ursaft zur Abwehrstärkung.
Ich halte mich an alle Vorgaben und umarme niemand mehr. Ich habe mir den Namasté-Gruß (aus dem Yoga bzw. Aikido) ange- Ich weiß, dass ich da sehr privilegiert bin und es für viele an die Exiswöhnt und das gefällt mir gut. tenz geht. Ich kriege es sehr nah mit, denn ich kenne viele Selbständige und Freiberufler*innen mit ganz kleinen Betrieben und weiß, Ich respektiere das Versammlungsverbot im Moment, weil ich ein- welche Themen da gerade präsent sind. Und ich kenne Menschen, fach zu wenig weiß. Ich warte bis zur nächsten Ansage ab, wie die schwere Erkrankungen haben und für die ich da sein möchte. sich die Situation entwickelt. Was uns diese Zeit auch sehr deutlich zeigt: es werden MenschenIch bin eigentlich sehr zuversichtlich, dass wir lernen mit der rechte in einer Weise eingeschränkt, wie wir es so noch nicht Situation umzugehen und aus dem Verzicht einen Gewinn ma- erlebt haben und es ist unsere Aufgabe, dies wachsam zu beobchen. Aus meiner Sicht braucht es dafür eine Immunstärkung auf achten und aufzuklären. Wir müssen mit dafür sorgen, dass dies allen Ebenen: Körper, Geist, Seele. Ich beschäftige mich gerade nicht zur Normalität wird. Dafür sind unsere Zusammenhänge intensiv damit, mich auf das Wesentlich zu besinnen, Kraft und hilfreich, die uns immer mal wieder darauf stoßen, kritische BeInspiration zu tanken und uns gegenseitig zu ermutigen, unsere obachter*innen zu bleiben. Dies alles will Aufmerksamkeit und beste Version zu entdecken und zu leben, mich zu erinnern, was ich muss sehr gut für mich sorgen und mich stärken lassen, um wirklich zählt, was uns als Menschen ausmacht und wie wir diese dann für andere sorgen zu können. Krise gemeinsam in eine Chance verwandeln können. Ich wünsche allen, dass sie in ihrem eigenen Rhythmus gelassen Es wird nämlich deutlich, dass es so in unserer Welt nicht weiter- durch die Zeiten kommen und immer im Blick haben: eine Krise gehen kann. Auch von Astrologen kommt die Anregung, uns der ist eine Krise und kein Dauerzustand… Aber es sind wirklich sehr Graswurzel-Bewegung anzuschließen und mitzuwirken, die Welt bewegte Zeiten. Und zum Glück ist Frühling! so zu gestalten, wie wir sie uns wünschen. Von Anita, BDP Rheinland-Pfalz Das Motto dabei heißt für mich gerade: in Verbindung bleiben. Da erlebe ich eine wundervolle Tiefe mit meinen Netzwerken, sei es Aikido, Frauenzusammenhänge, BDP oder andere Gruppen. Und P.S. von Anita: Danke an die Initiative vom BDP MV: ich versuche in engem Kontakt mit meinen nahen Freund*innen Spendenaufruf: #Power2VIOME – #LeaveNoOneBehind! zu bleiben, weil mir wichtig ist zu wissen, was gerade passiert. Unsere BDP-Arbeit in RLP geht weiter, wir gehen mind. 3 – 4 Stunden am Tag ins Büro- mit Abstand zu zweit in einem riesigen Raum, um immer zu schauen, was gerade zu tun ist. Und Ostern war eine komische, ganz neue Erfahrung für mich: Seit den 1980er Jahren war es das erste Mal, dass ich an Ostern nicht bei BDP-Veranstal- Für mein Praxissemester bin ich von Münster nach Berlin gezogen, um ein Praktikum beim ansässigen Landesverband des BDP tungen auf der Waldeck oder bei Teamschulungen war! zu machen und den Sommer in Berlin zu verbringen. Das klingt Außerdem gehe ich mindestens 1 – 2 Stunden pro Tag in den Wald. nach einem guten Plan, oder? Der BDP Berlin hat die Trägerschaft Letzte Woche habe ich die Idee entwickelt, dass ich BDP-Verab- für verschiedene Einrichtungen, zu denen z.B. zwei Kindergärten redungen zum Spazieren gehen mit Teamer*innen, Jugendlichen und verschiedene Jugendclubs gehören. Dann noch internatiound Multiplikator*innen mache. Ich habe gemerkt, dass es gut nale Reisen und Freizeitangebote. Außerdem sind die Mitarbeiist, in Kontakt zu sein und sich auszutauschen, was uns gerade ter*innen in verschiedenen Arbeitskreisen des BDP tätig. Erstmal musste ich mich zurecht finden zwischen Namen und Abkürzunbewegt und beschäftigt. gen und mit meinem Anleiter meine kommenden 6 Monate planen.
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Einblick 6 In einer fremden Stadt, in ungewohnter Umgebung, voller Ambitionen und ein bisschen Heimweh wurde dann nach nur 6 Wochen Praktikum das ernst, was wir bis dahin nur aus den Nachrichten kannten. Kurzarbeiter*innengeld, Schließungen und Kündigungen zerrten an den Nerven meiner Kolleg*innen, während ich 2 Wochen in Quarantäne verbringen musste. Test Negativ.
die bdp jugendgästeetage frankfurt in zeiten vom virus Von einem auf den anderen Tag alles zu. Nicht nur das: die einzigen Mails oder Anrufe handeln nur noch von Absagen. Und der Kalender war voll. Die Büros verwaist. Einzig das Rennrad fahren auf der B3 von Darmstadt nach Frankfurt wurde viel angenehmer. Aber eine Gästeetage ohne Gäste ist traurig. Und die Enge der Räumlichkeiten lässt einen bange in die Zukunft blicken. Dafür wird geputzt, gewerkelt und repariert. An Ideen für die Zeit danach gebastelt. Wie überall im Coronaland.
Die darauffolgenden Wochen verschwimmen zu einem einzigen Klumpen an Tagen. Wahllos aneinandergereihte Tage an denen jeder einzelne geprägt war von Konfrontation mit Stress, Unruhe und Unzufriedenheit, an denen das Praktikum und Berlin in weite Ferne gerückt sind. Permanente Auseinandersetzung mit aufbruch in neue zeiten „ich müsste ja jetzt“ und „ich sollte eigentlich“ und „ich wollte ja Es ist ruhig geworden um den Jugendhof Bessunger Forst am Ranschon immer mal“ endeten oft in Überforderung und Netflix. de von Darmstadt. Im Dezember 2019 wurde ein neuer Vorstand gewählt. Mit weiteren Helfer*innen wurde ein tatkräftiges Team Mein Praktikum läuft weiter, wenn auch anders als gedacht. An ei- gebildet. Viel zu tun, viel Hoffnung auf Belegungen und dann der nem Konzept für einen Sexismus Workshop arbeite ich von zu Hau- Lockdown. Aber seitdem wird nur noch mehr getan. Sanierungen se aus weiter und wenn es irgendwann wieder möglich ist, werde von Gebäuden, Anträge schreiben, ein Sonntags Hofcafe etablieich diesen auch anbieten. ren und Menschen zusammenführen, die etwas bewegen möchten. Kommt zum FORSTLOVE CAFE! Überforderung und Netflix sind nach vielen Wochen nicht mehr Von Torsten, BDP Hessen Alltag, sondern Ausnahme und langsam finde ich mich mit meiner Situation ab. Ich ziehe wieder zurück nach Münster. Berlin steht auf meinem Plan für 2021, denn eigentlich hatte ich richtig Lust auf das Praktikum. Jetzt brauche ich aber erstmal soviel Normalität, wie ich für mich gerade herstellen kann. Von Anne, BDP Rheinland-Pfalz
Einblick 5 Während Aktivist*innen mit #LeaveNoOneBehind-Transpis vom Fahrrad gerissen werden, versammeln sich die selbsternannten „Verschwörungsaufklärer*innen“ vor den Rathäusern und werden in Ruhe gelassen. Während das Zelt der Gruppe #Lampedusa abgerissen wird und Menschen auf Abstand für ihre Solidarität mit der Gruppe teure Platzverweise bekommen, fordern die so genannten Hygienedemonstrant*innen vor dem Reichstag lautstark Meinungsfreiheit. Sie können in Ruhe wachsen. Sie bekommen auf allen Kanälen ihre narzisstische Bühne, werden selbstverständlich von organisierten rechten Gruppen unterwandert und rufen offen zur Gewalt auf. Ohne klare Distanzierung gegen Rechts wird jede Kritik – egal wie wichtig sie ist – zum Instrument für Gewalt. Das ist leider nichts Neues, aber es ist erschreckend, egal wie absurd es ist. Von Malla, Klaus, Esther, BDP Hamburg
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Gerade verbreitet sich auf der ganzen Welt ein sehr ansteckender Corona-Virus und bringt alles ganz schön durcheinander. Um zu verhindern, dass sich das Virus zu schnell ausbreitet, gibt es ganz viele Einschränkungen, die ihr wahrscheinlich ziemlich doof findet. Ihr könnt eure Freund*innen nicht wie gewohnt treffen, die Freizeitangebote fallen weg, ihr seid vielleicht viel in der Wohnung, dürft keine oder weniger Freund*innen zum Geburtstag einladen, ... Deshalb haben wir eine Idee für euch: ihr könnt euch ein Dosentelefon bauen, mit dem ihr zum Beispiel über die Straße hinweg mit Freund*innen sprechen könnt. So seid ihr miteinander in Kontakt, ohne euch zu Nahe zu kommen.
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l.. e s t ä R s a D auch
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(Corona)Dosen-Telefon: Du brauchst: • Zwei leere Konservendosen oder Plastikbecher • Klebeband • Schnur oder dünner Draht • Nagel und Hammer Klebe den Rand der Dose mit Klebeband ab, falls sie scharfe Kanten hat. Sonst kannst du dich beim telefonieren schneiden. Schlage mit Nagel und Hammer ein Loch in die Mitte des Dosenbodens. Durch die Löcher fädelst du jeweils ein Ende des Fadens und machst innen einen Knoten. Schon ist das Dosentelefon fertig! Nun kann ein Kind auf einer Seite hinein sprechen, und über die gespannte Schnur hört das andere Kind die Botschaft. Wichtig ist, dass die Schnur immer ganz gespannt ist.
Experimente mit dem Dosentelefon: Das Dosentelefon funktioniert, weil der Boden der Dose durch den Schall in Schwingung versetzt wird. Diese Schwingung wird über die Schnur auf den Boden der anderen Dose übertragen, und das funktioniert über eine relativ weite Strecke. Mach ein paar Experimente: • Wie weit kann der Schall übertragen werden? • Was passiert, wenn die Schnur über eine Ecke läuft? • Welchen Unterschied merkst du bei verschiedenen Schnüren oder verschiedenen Dosen und Bechern?
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AUFLÖSUNG: Blatt: Monstera versteckte Lilien: sechs Rätsel:"Wer keinen Platz zum Pennen hat und wer bisher noch kein Zimmer fand Kommt alle mit, verdammt wir holen uns unser Nimmerland" Aus "Unser Haus" von Neonschwarz
INTERNATIONAL
KOMM MA‘ KLAR! Das BDP Sommercamp 2019 Das bundesweite BDP Sommercamp 2019 fand in Neubrandenburg in Mecklenburg-Vorpommern statt. Vom 27. Juli bis zum 4. August trafen sich Menschen aus ganz Deutschland und verschiedenen Ecken Griechenlands im AJZ (dem Alternativen Jugendzentrum) am Tollensesee. unser motto dieses jahr: komm ma´ klar! Damit wollten wir auf die aktuelle Weltlage aufmerksam machen. Denn wenn wir z.B. den Rechtsruck betrachten, der gerade überall auf der Welt stattfindet, haben wir häufig das Gefühl, nicht mehr klarkommen zu können. Das hat sich natürlich auch in den Workshops niedergeschlagen. Vor allem die theoretischen Workshops beschäftigten sich mit aktuellen politischen Diskursen. Besonders spannend war das Vergleichen von griechischen und deutschen Diskursen zu polizeilicher Repression und dem Umgang mit umweltpolitischen Themen. Abgesehen davon gab es mehrere Workshops zu Themen, die uns im BDP seit längerem beschäftigen. Wir befassten uns zum Beispiel mit Diskriminierungsformen, Trans*identitäten, Menstruation und Veganismus. Wir hatten auch die Möglichkeit, die Umgebung bezogen auf Rechtsextremismus und die NS-Zeit zu erkunden und an einem Stadtrundgang zu jüdischem Leben in Neubrandenburg teilzunehmen. Natürlich fanden auch praktische Workshops statt. Siebdruck, Batiken, kreatives Schreiben, Akrobatik und Thai Boxen waren einige davon. In der restlichen Zeit haben wir es genossen, in den See zu hüpfen, am Lagerfeuer zu sitzen und uns auszutauschen. Es war wunderschön, so viele spannende Menschen auf einem Haufen zu haben und die Gespräche fließen zu lassen. Begleitet wurde das Camp durch die feinste vegane Küche, die wir je kosten durften und den Klang von Jazzmusik aus dem Proberaum, den ein paar Menschen aus Korfu zur Verfügung gestellt bekamen.
fun even though we couldn´t talk to each other. This thought makes me understand that it doesn´t matter if you are German or Greek. It doesn´t matter if you are Muslim or Atheist. It doesn´t matter if you are Black or white. What matters is that we´re all people and share the same need to socialize and be good to each other. Was mir besonders gefällt: Es stimmt, Sprachbarrieren haben keine Rolle gespielt und wir waren gut zueinander! Und zwar so richtig! Außer vielleicht... : Bei einer Rally gab es zwei Teams und es wurde kompetitiv, was sich an folgenden Texten ablesen lässt: Team Green (Power Puff People) This camp is awfully nice though there are many mice the food tastes so good coming straight from the hood We gonna beat the other team cause our skills are so extreme Meet the power puff people we search the hay and find the needle The team can´t be any better That´s why we wrote this letter xoxo Team Blue (Dabedidabedei) We are Dabedidabedei our group is blue like the sky we are fighting green to win some snacks and are so funny and always drop gags you better run till we´re done I can´t think about the next rhyme But we have eight, so it´s fine
Gerade sitze ich zu Hause vor meinem Laptop, Bilder schießen mir durch den Kopf, ein Lächeln huscht mir über die Lippen und mir wird warm ums Herz. BDP Camps sind immer etwas ganz Besonderes. Neue Freund*innenschaften entstehen und das wieder Wegfahren ist niemals einfach. Nach den Aufgaben, in denen sie den Macarena vorgetanzt, etliche Rätsel gelöst, diese 8-reimigen Gedichte geschrieben und Im Schreibworkshop ist ein Text entstanden, den ich an dieser sich von Station zu Station über den Platz gekämpft haben, wurde Stelle für sich sprechen lassen möchte: dann auch die ersehnte Snackkiste in der selbstgebauten Outdoor Here is a story from my childhood. Every summer I go to a house Dusche gefunden und mit allen geteilt. in a village by the sea and spend some time. At the age of 4 to 10 I had no friends there so I played with random kids on the beach. Ich möchte jetzt noch eins mit euch teilen: Sometimes I was the only greek kid on the beach and I was playing Die Moral von der Geschicht´: Nächstes mal komm mit, es lohnt sich! with tourist kids. I didn´t know English, but I was having so much Von Carla 18
International
PORTRAIT
PRAXIS EINER UTOPIE Im Gespräch mit Nora vom BDP Jugendhaus am Hulsberg
hallo nora, wer bist du?
was sind deine aufgaben im bdp haus am hulsberg?
Ich identifiziere mich über das, was ich mache und darüber, wel- Ich bin hauptsächlich für das Projektmanagement verantwortlich. che Utopien ich in mir trage. Ich sehe mich als offene, selbstkri- Seien es Projekte, die hier vom Haus ausgehen, wie Bildungstische und undogmatische queerfeministische Person mit viel reisen, Jugendbegegnungen oder Gedenkfahrten oder sei es die Tatendrang. Ich bewege mich gern in Räumen mit flachen Hierar- Unterstützung von Ehrenamtlichen. Organisatorisches steht imchien und emanzipatorischem Anspruch. Selbstorganisation und mer an. Infoveranstaltungen, Sport, Fahrradwerkstatt, Siebdruck, DIY (do it yourself) sind mir wichtig. Ich habe das Proberaum, Seminare, Partys und Vieles mehr. Das Glück in so einem Raum, dem BDP Haus am meiste läuft zum Glück selbstorganisiert. Hulsberg in Bremen, auch zu arbeiten. Trotzdem braucht es oft Unterstützung aus dem Büro.
was hat dich dazu bewegt, "angewandte sexualwissenschaften" zu studieren?
Davor habe ich Kunsttherapie und Kunstpädagogik studiert. An dem Masterstudien gang reizte mich das Spannungsfeld zwischen Wissenschaft und Praxis. Ich befasse mich schon lange mit der Konstruktion und Dekonstruktion der Kategorie Geschlecht und mit der Sexualkultur im deutschsprachigen Raum – ich finde das unglaublich interessant. In diesem politisch umkämpften Bereich (Sexualpädagogik/Sexualkultur/Patriarchale Strukturen) möchte ich mit emanzipatorischen Perspektiven mitwirken.
was hat dich dazu bewegt, dich beim bdp bremen zu bewerben? Die Bewerbung beim BDP lag auf der Hand. Die Strukturen des BDP waren mir vorher schon bekannt. Das Haus am Hulsberg bespielte ich selbst als Nutzer*in. Meine inhaltlichen Schwerpunkte neben der Sexualpädagogik sind antifaschistische Bildungsarbeit, Erinnerungsarbeit und rassismussensible Bildungsarbeit und decken sich mit dem Leitbild des BDP. Das passte auf jeden Fall wie Arsch auf Eimer.
was wünschst du dir für die zukunft des bdp? was wünschst du dir für die zukunft der welt? Ich hoffe, dass der BDP bundesweit noch lange seine Arbeit machen kann – dass die Strukturen ausreichend finanziert werden und keine Projekte dem Rechtsruck zum Opfer fallen. Das ist jetzt natürlich sehr verkürzt ausgedrückt, aber manchmal holt mich schon eine Art Angst ein – eine Angst, dass die Rechten (wieder) Einfluss auf gesellschaftliche Strukturen und auch auf den BDP haben werden. In diesem Sinne wünsche ich der Welt, pathetisch gesprochen: Nie wieder Faschismus! Freiheit und Selbstbestimmung für ALLE!
welche projekte hast du zukünftig geplant? Die Zusammenarbeit mit anderen Landesverbänden liegt mir am Herzen. Ich hoffe, dass wir mit unserer Arbeit, mit unseren Reisen, Begegnungen und mit dem Blick in die Vergangenheit eine kritische Haltung im Jetzt fördern können. Hoffentlich werde ich noch mit vielen weiteren Menschen tolle Projekte auf die Beine stellen können. Nur in der Begegnung mit Anderen können wir uns selbst erfahren und nur gemeinsam mit Vielen können wir etwas schaffen. von Tabea Einblick
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EINBLICK
DER WEG DER RASSISMUSKRITIK Bericht aus Hamburg In der Wissenschaft wie auch in Zeitungen, Zeitschriften etc. gibt es die Tendenz, die Position der Autor*in nicht zu thematisieren, da sie objektiv sein solle. Wir finden aber, dass niemand aus einem neutralen Standpunkt schreiben oder sprechen kann. Deshalb ist es unerlässlich, unsere Position als weiße, in Deutschland aufgewachsene Studentinnen sichtbar zu machen, insbesondere wenn wir zu so einem sensiblen Thema wie Rassismus(kritik) schreiben, bei welchem wir immer die nicht-Expert*innen bleiben werden. Im Rahmen des BDP Seminars zu Rassismuskritik und Postkolonialismus mit Mirjam und Laura im Herbst 2019 haben wir beschlossen, den AK „Aktivismus gegen Rechts“ neu zu beleben und uns gemeinsam weiterzubilden, selbstkritisch zu hinterfragen und uns damit zu beschäftigen, wie wir den BDP rassismuskritischer gestalten können.
dafür trafen wir uns im februar in hamburg: Am Freitag haben wir nach dem ersten Ankommen und Kennenlernen mit einer thematischen Einführung gestartet und uns über unsere Wünsche, Erwartungen und Bedürfnisse bezüglich des Wochenendes ausgetauscht.
dem er schon immer ausgesetzt war und nach wie vor ist. Darüber hinaus zeichnete er die Geschichten von zahlreichen Schwarzen Menschen nach, welche seit über 400 Jahren in Deutschland leben, aber in der Geschichtsschreibung meist unsichtbar bleiben. Dieses Wissen über das Leben und die Erfahrungen anderer Schwarzer Menschen ist wahnsinnig wichtig, um das Narrativ des weißen Deutschlands hinterfragen und brechen zu können. Im Anschluss an den Vortrag fand eine Diskussion statt, in der hauptsächlich Schwarze Menschen den Raum nutzten, um sich auszutauschen. Eine Schwarze Person adressierte die weißen Menschen im Raum und forderte sie auf, nicht nur zu Vorträgen zu gehen und sich die Erfahrungen Schwarzer Menschen anzuhören, sondern aktiv zu werden. Als Beispiel dafür nannte Tsepo das Verlernen von rassistischen Denk- und Sprechweisen. Das ist eine der Voraussetzungen, um als weiße Person an einer rassismuskritischen Veränderung der Gesellschaft mitarbeiten zu können. Diese Aussage machte uns bewusst, dass Rassismuskritik ein Prozess ist, der für uns nie abgeschlossen ist. Wir waren uns einig, dass wir für eine rassismuskritische Öffnung des Arbeitskreises und des BDPs bei uns selbst anfangen und etwas über die Strategien und Mechanismen von Weißsein und Rassismus lernen müssen. Critical Whiteness ist eine Wissenschaft, die ebendiese Themen behandelt und zum Beispiel untersucht, welche Abwehrmechanismen weiße Menschen empfinden, wenn sie auf rassistisches Verhalten hingewiesen werden.
Am Samstagvormittag nahmen wir an einem postkolonialen Stadtrundgang von Laura Mancheno teil und setzten uns mit der Frage auseinander, wie präsent die koloniale Vergangenheit Hamburgs im gegenwärtigen Stadtbild ist. Hamburg gilt als das „Tor zur Welt“. Häufig wird dabei ignoriert, dass der Wohlstand der Stadt zu einem großen Teil auf dem Kolonialismus beruht, der bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts reichte. Viele Hamburger*innen profitierten von der Versklavung und Ausbeutung der Menschen unter anderem in Tansania, Burundi oder Ruanda. Der Handel mit Kolonialwaren (z.B. Kaffee, Schokolade, …) und verschleppten Menschen machte viele Händler*innen und Kaufleute wohlhabend. Mit diesem Geld bauten sie in der Hamburger Innenstadt imposante Gebäude wie das Chilehaus, die nach wie vor erhalten sind. Gedenktafeln und Straßennamen erinnern an die mächtigen und einflussreichen Kaufleute, ohne jedoch auf die Die heutigen Critical Whiteness Studies waren ursprünglich eine problematische, kolonialrassistische Geschichte einzugehen. Schwarze Überlebenswissenschaft, indem Schwarze Menschen weißes Verhalten studiert und Strategien entwickelt haben, mit Am Nachmittag nahmen wir an einem Vortrag von Tsepo Bollwin- der alltäglichen Bedrohung durch Rassismus umzugehen. Wir kel über die Geschichte, Gegenwart und Zukunft Schwarzer Men- sehen diese wichtige und fruchtbare Denkrichtung als einen schen in Deutschland teil, der im Rahmen des Black History Month Schlüssel zu einer rassismussensibleren Weiterentwicklung des stattfand. Tsepo schilderte seine Erfahrung, als Schwarzer Südaf- BDPs und haben Tsepo Bollwinkel aus diesem Grund als Referent rikaner im Exil in Deutschland aufzuwachsen und berichtete ein- zu einem Treffen des AKs im Oktober 2020 eingeladen. Er wird mit drücklich von schmerzlichem und gewaltvollem Alltagsrassismus, uns darüber sprechen, wie die Tatsache, dass wir weiß sind, unser 24
Einblick
Aufwachsen, unser Denken und unser Handeln beeinflusst. Außerdem möchten wir daran arbeiten, die rassistischen Sprechweisen und andere Gewohnheiten, mit denen wir aufgewachsen sind und die wir als normal empfinden, aufzudecken und zu verlernen.
rassismuskritik und wie weiter? Am Sonntag haben wir uns mit der Frage beschäftigt, wie es jetzt nach dem Wochenende mit dem AK weitergeht. Schnell war für uns klar, dass wir als AK aber auch als Gesamt-BDP vor einem langen Weg der Selbstanalyse und Selbstkritik stehen. Wir haben uns gefragt, wie wir unserem Anspruch gerechter werden können, ein offener und demokratischer Jugendverband zu sein, der für Schwarze Menschen und People of Color ebenso attraktiv ist wie für weiße Personen. Dafür müssen wir uns vermehrt damit beschäftigen, wie wir mit unserem Sprechen und Handeln Ausschlüsse (re-)produzieren und Normalitäten und Privilegien voraussetzten, die nicht für alle Teilnehmende gelten. Gleichzeitig braucht es ein Bewusstsein dafür, dass Rassismus, wie überall, auch im BDP vorkommt. Ein klarer, offensiver Umgang damit ist deshalb wichtig. Nur so kann sich der BDP auf den langen, aber notwendigen Weg der praktischen Rassismuskritik machen, um dem Anspruch, solidarisch und antifaschistisch zu sein, gerecht(er) werden. Von Mitch und Lin
INFOBOX: rassismuskritik
hat zum Ziel, rassistische Strukturen aufzuzeigen und ihnen entgegenzuwirken. Dies bringt unterschiedliche Anforderungen für weiße und Schwarze Menschen mit sich und ist ein sehr langer, schwieriger Prozess. Dabei ist wichtig zu verstehen dass es unmöglich, bzw. ein langer Lernweg nötig ist, nicht rassistisch zu sein, wenn man als weiße Person in der westlichen Gesellschaft aufwächst. Koloniale Geschichtsschreibung und rassistische, verinnerlichte Denk- und Sprechweisen werden bereits im Kindesalter gelernt und als ‚normal‘ empfunden.
schwarz
ist eine politische Selbstbezeichnung von Menschen, die Rassismuserfahrungen machen. Dabei geht es um Erfahrungen und nicht um biologische Gemeinsamkeiten. Und es geht um die (gemeinsamen) Erfahrungen von Widerstand. Schwarz wird auch als Adjektiv groß geschrieben.
people of color (PoC) ist auch aus dem Selbstbezeichnungsprozess rassistisch unterdrückter Menschen entstanden und benennt die Erfahrungsgemeinsamkeiten zwischen Communities mit unterschiedlichen historischen Hintergründen. weiss
wird klein und kursiv geschrieben um darauf hinzuweisen, dass es sich um eine Positionierung und soziale Zuschreibung als weiß in einer rassistisch strukturierten Gesellschaft handelt. Die Begriffe sind politische und gesellschaftliche Konstruktionen, die jedoch reale Auswirkungen auf die Personen haben, die einer Gruppe (fremd-)zugeordnet werden.
literaturtipps: Tupoka Ogette: Exit Racism. Rassismuskritisch denken lernen. Noah Sow: Deutschland Schwarz Weiß. BLATT 1/2017: Artikel zu critical whiteness & white charity Amadeu Antonio Stiftung: Rassismus ist kein Randproblem Einblick
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THEMA
RÄUME FÜR ALLE eine sexualpädagogische Bestandsaufnahme Wie und wo entstehen Ideen über menschliche Sexualität und Identität? Wie und wo werden uns diese vermittelt? Und wie wandeln wir sie in Handlungen um?
Bücher, Zeitschriften, und soziale Medien agieren wie eine Art Anleitung für das Sexualleben und sagen uns, mit wem und warum wir Sex haben sollen oder nicht. Innerhalb der Gesellschaft begegnen uns immer wieder Handlungsanleitungen, z.B. in Form von Erzählungen, Kommunikationsweisen, Gesten, Orten, Rollen, Zeitpunkten, Objekten, Zielen, bis hin zu den passenden Empfindungen aller Beteiligten. In diesem Artikel möchte ich mich mit einem ganz konkreten Aspekt meiner sexualpädagogischen Arbeit beschäftigen. Dieser scheint mir für die aktuellen queer*feministischen Auseinandersetzungen im BDP und überall wichtig zu sein. Es geht um das Thema Gender und Identität.
Diese Geschlechterrollen beeinflussen unser ganzes Leben, unser Verhalten und unsere Sexualität. Geschlechterrollen zeigen sich in unserer Sprache, Gestik, in unseren Handlungen, unserem Auftreten, in der Art, wie wir uns kleiden oder auch in der Art und Weise, wie wir andere Menschen wahrnehmen, ansprechen und behandeln. Ein solches Geschlechtersystem bringt immer Ausschlüsse und Abweichungen hervor, denn alle, die sich jenseits von diesem System verhalten, werden als Normabweichung definiert.
Schauen wir auf den praktischen Alltag in Schule, Kindergarten, Freizeitzentrum oder Elternhaus, so ist dort eine hohe Anzahl von Kindern und Jugendlichen aufzufinden, die sich nicht geschlechtseindeutig verhalten. Es gibt viele Berichte von Kindern und Jugendlichen, die nicht in die ihnen zugeschriebene Rolle passen und/ oder Wie Identität und Gender entstehen und sich festigen ist ein lan- die nicht verstehen, warum sie bestimmte Kleidung tragen sollen. ger Prozess, den alle Menschen durchleben. Die genderorientier- Wer sich in diesen Rollen und Verhaltensweisen nicht wiederfindet, te Sozialisationstheorie (Gender Studies) geht davon aus, dass hat oft zunächst keine Wörter parat, um das zu beschreiben oder der Erwerb von Geschlechtsidentität und Geschlechterrollen ein trifft auf Unverständnis von Erwachsenen. sozialer Prozess ist. Das weltberühmte Zitat von Simone de Beauvoir bringt es auf den Punkt: Auch in Aufklärungsbüchern sind hauptsächlich cis-Mädchen* und cis-Jungs* zu sehen. Abbildungen von verschiedenen Geschlechtsidentitäten oder sexuellen Orientierungen sind in Aufklärungsbüchern kaum zu finden. Es scheint so, als würden nur Menschen angesprochen, die heterosexuelle Beziehungen führen. Hinzu kommt, dass auch Behinderungen, dicke Körper und Fluchtund Migrationshintergründe nicht angesprochen werden Die Unterscheidung zwischen biologischem Geschlecht (Sex) und sozialem Geschlecht (Gender) wird somit zu einem gesellschaftli- und die abgebildeten Personen meistens weiß sind. Somit werchen Konstrukt, also zu etwas Erlerntem und Anerzogenem. Über den die Realitäten und Bedürfnisse von Schwarzen Menschen und die Erziehung im Elternhaus oder durch Institutionen wie Kin- Menschen of Color nicht beachtet. Es gibt inzwischen immer wiedergarten, Schule oder Uni werden bestimmte „weibliche“ oder der Nischenbücher, Zeitschriften oder Zines für genau die oben „männliche“ Rollen und Funktionen vermittelt und verinnerlicht. genannten Zielgruppen. Aber leben wir nicht in einer Zeit, in Dabei sind es besonders die folgenden drei kulturellen Konstruk- der alle gleichermaßen, nebeneinander angesprochen und mit tionen, die unsere Geschlechterrollen scheinbar „natürlich“ be- abgebildet werden können? Ebenso beunruhigend ist es, dass Mädchen* und Frauen* immer noch nur eingeschränkten Zugang stimmen: zu sexuellem Wissen haben. Das Wissen um Körperfunktionen, Anatomie und auch zur sexuellen Lust ist theoretisch zugänglich, 1. B iologisch gibt es nur die zwei Geschlechter – Mann und Frau dennoch bestätigen sowohl meine Auseinandersetzung als auch 2. Es gibt dazu analog ein soziales Geschlecht (Gender) mit ganz Studien, dass es Kindern und Jugendlichen immer noch an grundlegendem Wissen fehlt. Dies beeinträchtigt die Möglichkeit, sexubestimmtem Verhalten und Rollen ellen Selbstwert und sexuelles Selbstbewusstsein zu entwickeln. Viele junge Frauen* entdecken ihre Sexualität weiterhin erst im 3. Männer und Frauen beziehen sich scheinbar selbstverständlich
„Man kommt nicht als Frau zur Welt, man wird dazu gemacht“.
aufeinander. 26
Thema
Kontakt in einer Beziehung mit einem jungen Mann*. Selbstbefriedigung und genitale Selbsterforschung sind immer noch ein mit Scham verbundenes Tabu unter Mädchen* und Frauen*. Daraus ergibt sich nun die Frage: Wie kann ein queerfeministischer, emanzipatorischer Zugang für Mädchen*, junge Frauen*, cis-, trans*, nicht-binäre, inter* und queere Jugendliche, für lesbische, schwule, bisexuelle und asexuelle Jugendliche sowie für alle, die sich diesen Kategorien nicht zuordnen, aussehen? Immer wieder gerate ich sowohl theoretisch als auch in der Umsetzung an Grenzen und in Konflikte. In emanzipatorischen Bewegungen gibt es da einerseits den Wunsch nach Veränderung und der Zerstörung der herrschenden geschlechtlichen Machtverhältnisse. Andererseits gibt es noch den starken Fokus auf Mädchen*-Arbeit. Die Adressierung von Mädchen* und Frauen* ist ein Balanceakt und bringt die Frage auf, ob es weiterhin geschlechtsspezifische Sexualpädagogik braucht. Und wie kann ich queere, nicht-binäre, trans*, inter* und asexuelle Personen erreichen? Wie können wir für eine Sexualpädagogik für alle und gleichzeitig für Schutzräume sorgen? Eine Möglichkeit kann die Schaffung von Orten für alle Geschlechter sein und zugleich das Angebot von Räumen für bestimmte Geschlechtsidentitäten, z.B. Transgenderräume oder Inter*Räume. Manchmal können diese weiter geöffnet sein für alle, die sich im queeren Spektrum verorten oder sich darüber austauschen möchten: Quasi Entwicklungs- und Möglichkeitsräume für performatives Denken – also für ein Querdenken, für ein Denken außerhalb von Geschlechtskategorien. Diese Räume können eine andere, offenere und unverbindlichere Wirklichkeit sein, in der die Akteur*innen frei von Zwängen und selbstbestimmt mit den Bausteinen der wirklichen Realität (sozusagen dem „da Draußen“) agieren können. Die Formate hierfür können ganz verschiedene sein: regelmäßige Cafés, Kunstaktionen, Workshops, Empowerment-Treffen und vieles mehr. Hier können Strukturen, verinnerlichte Rollen, persönliche Themen, äußere Eindrücke und innere Erlebniswelten in Beziehung gebracht und hinterfragt werden. Wir brauchen Orte, Orte der Veränderung. Freiräume, an denen unaufgeregte und emanzipatorische Auseinandersetzungen mit der Vielfalt an Gender und Identitäten geführt werden können. Seien es Autonome Zentren, lsbtq*i+ Räume, sei es der besetzte Kuhstall aufm Dorf oder seien es Angebote aus der emanzipatorischen Bildungsarbeit. Von Nora
INFOBOX: asterisk / sternchen (*): Das Sternchen stellt sich wie der Unterstrich (Gendergap) gegen den selbstverständlichen Gebrauch der männlichen Form bzw. zweigeschlechtlichen Bezeichnungen entgegen und gibt Raum für Menschen, die sich nicht eindeutig den Vorgaben ‚männlich‘ oder ‚weiblich‘ zuordnen, z. B. Akteur*in.
Das * kann auch hinter einer Bezeichnung, z.B. Mädchen*, gesetzt werden. Dies soll deutlich machen, dass sich hinter diesem Begriffen äußerst differente Menschen, mit unterschiedlichen sozio-ökonomische Merkmalen und gesellschaftlichen Positionen, verbergen. Darüber hinaus weist es auf die Konstruiertheit geschlechtlicher Kategorien hin, die sich oftmals nicht mit der eigenen Geschlechts identität deckt. Aktuell gibt es auch Kritik am *, v.a. wenn es leichtfertig verwendet wird, um verschiedene Geschlechtsidentitäten zu inkludieren, ohne sie aber zu nennen. So werden ganze Personengruppen zu einem Sonderzeichen minimiert.
cis-: Bei cis- Frauen und cis- Männern stimmt das ihnen
bei der Geburt zugewiesene Geschlecht mit der gelebten Geschlechtsidentität überein. Der Begriff wurde von der Trans*-Bewegung eingeführt, um die Vorstellung, Geschlechtsidentität und Körpergeschlecht müssten identisch sein, aufzubrechen, und um nicht immer nur „Anderssein“, sondern auch die Norm sichtbar zu machen.
lgbt*iq oder lsbq*ti+ (aus dem englischen): Les-
bian (Lesbisch), Gay (Schwul), Bisexual (Bisexuell) und Trans*gender (Trans*geschlechtlich), Inter* und Queer. Das Sternchen stellt in diesem Falle dar, dass sich nicht alle inter*und trans* Personen zu den Kategorien in der Abkürzung „lsbtqi“ zugehörig fühlen und dass es weitere queere Identitäten gibt. Das Plus (+) hinter diesem Sammelbegriff verdeutlicht, dass noch andere Identitäten dazu gezählt werden können (bspw. ‚a‘ für asexuell).
hier zwei links zu queeren menschen, die sich zum asterisk hinter frau* usw äussern: https://missy-magazine.de/blog/2018/05/11/ stars-und-sternchen/ http://ichbinslinus.de/2018/06/12/ich-moechtekein-sonderzeichen-sein/
Thema
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transgeschlechtlichkeit: Je nach der Selbstbezeich-
nung, Hintergrundprofession oder politischer Haltung wird Transgeschlechtlichkeit, Trans*, Transsexualität, Transgender, Transidentität benutzt. Alle Begriffe definieren unterschiedliche Aspekte, wie Menschen sich selbst bezeichnen oder wie die Begriffe Menschen mit ein- oder ausschließen. Trans*Identität wurde und wird oft als Alternative zur medizinischen Diagnose „Transsexualität“ verwendet, um deutlich zu machen, dass es dabei nicht um Sexualität, sondern um Identität geht. Das ist wichtig, da Trans*Personen genau wie cis-Personen hetero-, homo-, bi-, pan-, asexuell usw. sein können. Oft werden auch die Begriffe Trans* und Transgeschlechtlichkeit gewählt. Beide Begriffe wurden geprägt, um die Unterscheidung von transsexuell und transgender zu überwinden. Trans* lässt durch das (*) die Endung des Wortes offen und alle Personen können diesen Begriff für sich beanspruchen, die sich ihrem bei der Geburt zugeschriebenen Geschlecht nicht (vollständig) zugehörig fühlen. Ich verwende in der Regel den Begriff Trans*, der sich an der Sprachregelung der Bundesvereinigung Trans* orientiert.
inter*: Inter* ist ein Begriff, der sich aus der Community
entwickelt hat, und der als ein emanzipatorischer und identitärer Überbegriff die Vielfalt intergeschlechtlicher Realitäten und Körperlichkeiten bezeichnet. Inter* Personen weisen in der Regel gleichzeitig mehrere Geschlechtsmerkmale auf und sind deshalb bei der Geburt nicht klar einem der beiden binären Geschlechtern zuordenbar. Nun gibt es in Deutschland auch die Möglichkeit eines dritten Geschlechtseintrags bei der Geburt. Inter* kann eine Geschlechtsidentität sein im Sinne der Selbstdefinition als Zwitter, Hermaphrodit, Intergender etc sein. Inter*Menschen können sich aber auch als Männer, Frauen oder anders definieren.
hier findet ihr ein glossar mit weiteren begriffen: https://transintersektionalitaet.org/ ?page_id=36#sdfootnote15sym
hier zwei links zu queeren menschen, die sich zum asterisk hinter frau* usw äussern: https://missy-magazine.de/blog/2018/05/11/ stars-und-sternchen/ http://ichbinslinus.de/2018/06/12/ ich-moechte-kein-sonderzeichen-sein/
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Thema
INTERNATIONAL
AKTION BÜRGER*INNENASYL Solidarität praktisch leben!
Seit einiger Zeit gibt es in Deutschland mehrere Initiativen, die Bürger*innenasyle organisieren. In einem Akt zivilen Ungehorsams werden Geflüchtete in privaten Haushalten aufgenommen und beherbergt, um sie vor der drohenden Abschiebung zu schützen. Ein Bürger*innenasyl kann die Überstellungsfrist bei Dublin-Abschiebungen überbrücken und/oder den Betroffenen Zeit verschaffen, um einen legalen Aufenthaltstitel zu bekommen. Das hat zweierlei Ziele: Zum einen die Solidarisierung mit Geflüchteten angesichts zunehmender Hetze und repressiver Abschiebepraktiken. Zum anderen soll mit dem Bürger*innenasyl Öffentlichkeit für die Situation von Menschen ohne Papiere geschaffen werden. Bürger*innenasyle verstehen sich damit als Teil antirassistischer Praxisarbeit, die ich im folgenden Artikel näher vorstellen möchte.
In der Stadt, in der ich seit einigen Jahren lebe, wurde Ende 2018 ein Freund während eines Spaziergangs am Hauptbahnhof bei einer ‚verdachtsunabhängigen Personenkontrolle‘ von der Polizei aufgegriffen. Er lebte zu diesem Zeitpunkt bereits seit knapp einem Jahr in dieser deutschen Stadt, lernte Deutsch, hatte einen großen Freund*innenkreis und eine Zusage für ein FSJ in einer Pflegeeinrichtung für das kommende Jahr. Sie nahmen ihn mit auf die Wache und verlangten nach seinen Personendaten und Meldeadresse. Nach einiger Zeit gab er nach. Er war „illegal“ in Deutschland und die Beamt*innen fanden sein Profil in einer europäischen Datenbank für Asylsuchende – vor knapp zwei Jahren war er über Italien in die EU eingereist. Ohne die Möglichkeit, irgendjemanden zu kontaktieren oder auch nur sein persönliches Hab und Gut zusammenzupacken, wurde er kurz danach mit zwei Be-
amten in einen Zug nach Mailand (Italien) gesetzt. Am dortigen Hauptbahnhof gaben ihm die zwei Begleitpersonen 50€ in die Hand und ließen ihn allein zurück, ohne Gepäck, ein Bett für die Nacht, irgendwelche Sprachkenntnisse oder die Adresse einer (staatlichen) Unterstützungseinrichtung. Sein Handyakku war auch leer und er hatte keine Möglichkeit, irgendwem in Deutschland von seiner Situation zu berichten. Er schlug sich nach Süd italien durch, da er dort bei seiner Erstankunft mit einem Boot aus Libyen für ein paar Tage lebte, in der Hoffnung, nun erneut irgendeine ihm bekannte Person anzutreffen. Nur mit Glück schaffte er es schließlich, über eine frühere italienische Unterstützerin Kontakt zu deutschen Unterstützer*innen aufzubauen, die bis dato keinerlei Ahnung hatten, wo er sich befinden könnte. Diese Geschichte kennen wir nur, weil er sie uns berichten konnte. International
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Die Dublin III Verordnung Rechtliche Grundlage für die Abschiebung nach Italien war die sogenannte Dublin-Regelung. Diese Verordnung regelt die Zuständigkeiten der EU-Staaten für Asylgesuche. Das Problem bei dieser Verordnung ist, dass Menschen in dem Land einen Asylantrag stellen müssen, in dem sie EU-Boden betreten haben. Dies führt zu einem Ungleichgewicht bei der Aufnahme von Asylsuchenden zwischen südeuropäischen Ländern wie Griechenland, Italien oder auch Spanien an der EU-Außengrenze und den zentral- bzw. nordeuropäischen Ländern. Die Verwaltungsapparate dieser Länder versagen deshalb seit Jahren, und so leben Asylsuchende in diesen Ländern oftmals auf der Straße, ohne jegliche staatliche Absicherung oder der Möglichkeit, legal zu arbeiten. Daher fühlen sie sich oftmals gezwungen, sich illegal zu prostituieren, sich im Drogenverkauf zu versuchen oder sich ohne Arbeitsvertrag für die landwirtschaftliche Saisonarbeit zu verpflichten und ausnutzen zu lassen (mit Stundenlöhnen um die 2€/h). Oft möchten Geflüchtete sich diesem Schicksal nicht hingeben oder sind gefährdet, nach einem negativen Asylverfahren in ihre Herkunftsländer abgeschoben zu werden und reisen daher weiter in andere Staaten der EU. Viele stehen auch in Kontakt mit Familienangehörigen oder Freund*innen, die bereits in diesen Staaten der EU leben und möchten daher z.B. in Deutschland einen Asylantrag stellen. Dort droht ihnen, wie im beschriebenen Beispiel, jedoch die Abschiebung in das EU-Einreiseland. Wenn sie sich vor der Abschiebung schützen möchten und untertauchen, haben sie keinen Aufenthaltsstatus mehr und sind somit ‚illegalisiert‘. Denn mit Verweis auf die Dublin-Regelung versuchen die Behörden sie innerhalb von 6 Monaten wieder in das EU-Land abzuschieben, in dem sie erstmals erfasst und registriert wurden.
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International
Wird eine asylsuchende Person einige Tage nicht in ihrer zugewiesenen Unterkunft angetroffen, gilt sie als ‚untergetaucht‘. Dadurch verlängert sich der Zeitraum der möglichen Abschiebung von 6 auf 18 Monate. Menschen werden dadurch sehr schnell ‚illegalisiert‘. Nur wenn es den deutschen Behörden nicht gelingt, innerhalb von 6 bzw. 18 Monaten die Abschiebung in das ‚zuständige‘ EULand durchzuführen, darf die asylsuchende Person ihren Antrag in Deutschland stellen.
Solidarität mit Geflüchteten Um innerhalb dieses Zeitraums nicht abgeschoben zu werden bedarf es der Unterstützung. Viele Menschen engagieren sich schon lange antirassistisch und zeigen sich solidarisch mit geflüchteten Menschen, indem sie vielfältige Unterstützung anbieten. Angesichts der aktuellen Asyl- und Migrationspolitik bleibt jedoch oft, sowohl bei geflüchteten Menschen als auch bei ihren Unterstützer*innen, nur Rat- und Hilflosigkeit. Denn viele der hierher Geflüchteten sind von Abschiebungen bedroht, die für sie bedeuten, mit Gewalt an Orte gebracht zu werden, die sie verlassen mussten, weil sie dort keine Perspektiven auf ein würdiges Leben sehen können. Schon seit langem stehen Gemeinschaften von Migrant*innen zusammen und engagieren sich gemeinsam gegen Abschiebungen, indem sie sich gegenseitig sichere Schlafplätze zur Verfügung stellen. Auch durch das Kirchenasyl können viele Abschiebungen verhindert werden. Um sich diesem Widerstand anzuschließen und ihn auszuweiten, haben sich in mehreren Städten in der gesamten Bundesrepublik Bürger*innenasyl-Initiativen gegründet.
Bürger*innenasyl Als Akt des zivilen Ungehorsams (denn es ist nicht legal, wissentlich jemanden ohne Papiere aufzunehmen) und der Solidarität mit Personen, die gegen ihre Abschiebung einstehen, öffnen Menschen ihnen ihre Wohnungen. Diese sicheren Orte bieten temporären Schutz, emotionale Entlastung und eröffnen Perspektiven. In Dublin-Fällen ermöglichen Bürger*innenasyle, dass die deutschen Behörden für die Bearbeitung des Asylantrags einer Person zuständig werden, anstatt die Verantwortung an das Land abzugeben, in welchem der*die Asylsuchende zuerst registriert wurde. In anderen Fällen müssen Personen Zeit überbrücken, um beispielsweise eine Geburtsurkunde zu bekommen, einen Sprachkurs abzuschließen oder eine Ausbildung zu beginnen, um damit einen Antrag in Deutschland stellen zu dürfen. Und manchmal brauchen die Betroffenen einfach nur einen Ort, an dem sie frei von Angst neue Kraft schöpfen können, um weiter für ihre selbstbestimmte Zukunft kämpfen zu können.
Das Bürger*innenasyl ist deshalb bewusst nicht geheim, sein Sinn und Zweck ist politisch. Ziel ist es, in einer solidarischen Stadt zu leben. Bürger*innenasyle verstehen sich dabei als Teil einer weltweiten Bewegung, die sich dafür einsetzt, dass Menschenrechte für alle Bewohner*innen einer Stadt gelten, unabhängig von ihrem rechtlichen Status im nationalen Kontext. Alle haben ein Recht auf Wohnraum, Bildung, Gesundheit, Einkommen und Mobilität– unabhängig von (Aufenthalts-)Status oder Pass! So gibt es in den USA bereits in einigen Städten sogenannte City-Identity-Cards, mit denen Menschen sich gegenüber lokalen Behörden (wie Polizei und Krankenhäusern) ausweisen können und Bankkonten eröffnen dürfen. Dies kommt auch den Städten selbst zugute. Schließlich würde eine ‚illegalisierte‘ Person z.B. niemals als Zeug*in einer Straftat aussagen, aus Angst davor selbst zum Ziel der Behörden zu werden. In Europa zählt z.B. Palermo auf Sizilien zu einer ‚Vorreiterstadt‘ der Solidarity-City Bewegung.
Dies ist gegenwärtig immer notwendiger, denn das ohnehin rassis- Um diesen Zielen näher zu kommen, können Bürger*innenasyle tisch strukturierte Grenzregime Europas verschärft sich immer mehr. auf vielfältige Weise von uns allen unterstützt und mitgetragen werden: Die einen erklären sich durch ihre Unterschrift solidarisch mit dem Bürger*innenasyl und geben ihm ein Gesicht, andere engagieren sich in der Öffentlichkeitsarbeit und verbreiten durch Veranstaltungen, Interviews und Informationen unsere Ideen. Manche stellen für einen bestimmten Zeitraum ein Zimmer oder eine Wohnung zur Verfügung, andere helfen mit ihrer Geldspende, die Kosten für Lebensmittel, öffentliche Verkehrsmittel, medizinische Versorgung und Anwält*innen zu decken. Alle können eine Aufgabe übernehmen. So kann gemeinsam Widerstand gegen rassistische Strukturen und Stimmungsmachung und die unmenschliche Abschiebepolitik geleistet werden!
Von Muck
mehr infos und lokale initiativen in eurer nähe auf: h ttps://aktionbuergerinnenasyl.de https://solidarity-city.eu/de/
International
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EINBLICK
RECHTSEXTREMISMUS BEKÄMPFEN! Möglichkeiten einer antifaschistischen Jugendarbeit
Hetze im Netz, menschenverachtende Schmierereien, Naziaufmärsche und Gewalttaten gegenüber Menschen, die nicht ihrem Weltbild entsprechen. Rechte Ideologien und Strukturen sind im Aufmarsch, doch wie funktioniert ihr Netzwerk und was sind ihre Taktiken? Und was können wir dagegen tun?
Nazis heute Das Bild von gewaltbereiten Nazis mit Glatze und Springerstiefeln sieht man kaum noch in irgendwelchen Schlagzeilen. Stattdessen zeigen sich junge, freundlich und offen wirkende Personen in der Öffentlichkeit. Das Bild, welches sie zu vermitteln versuchen, ist ein trügerisches, denn im Hintergrund stehen diesselben rassistischen Personen und Inhalte wie früher. Das Netzwerk der Rechten geht von Parteien wie der AfD und Gruppierungen wie der Identitären Bewegung (IB) oder Burschenschaften bis hin zu Zeitschriften, in denen rechtspopulistische Texte und Ansichten veröffentlicht werden. Sie versuchen mit allen Mitteln, einen völkisch-nationalen Umsturz der bestehenden Verhältnisse herbeizuführen. Dabei knüpfen sie an vorhandene rassistische Ressentiments an und manipulieren mit verschleierten Aussagen und Falschmeldungen. Bei genauerem Hinsehen erschließt sich dennoch der rassistische, sexistische und nationalistische Kern ihrer Behauptungen. Als parlamentarischer Arm der Bewegung steht die AfD im Mittelpunkt. Sie gibt sich selbst als ‚bürgerliche‘ Partei, ist aber eindeutig nationalistisch und wird auch gerade wegen dieser Inhalte gewählt. Um sie herum gibt es aber noch viele weitere Kräfte, die aktiv an einer Änderung der herrschenden Verhältnisse arbeiten. Die IB inszeniert sich als eine starke und ‚moderne‘ Jugendbewegung. Dabei übernehmen sie ihre Taktiken von linken Gruppierungen. In Burschenschaften herrschen patriarchale Bedingungen und auch wenn sie eher unter sich bleiben, dienen sie doch als Sprungbrett und Rekrutierungsplattform einer elitären Rechten. Allgemein gibt es zwischen den verschiedenen Auswüchsen der Bewegung große personelle Überschneidungen. Das zeigt, wie gefährlich die AfD ist, die rechtsstaatlich geschützt und finanziert durch Steuergelder ihre Ziele vorantreiben und rassistische Stimmungsmache betreiben kann.
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Einblick
Antifaschistische Arbeit
Maßnahmen
Was können wir als Menschen, die für die allgemeine Umsetzung der Menschenrechte und ein friedliches Zusammenleben Aller kämpfen, dagegen tun?
Wir als antifaschistischer Jugendverband haben die Möglichkeit und den Willen, verschiedene Maßnahmen zur Unterstützung dieser Forderung zu ergreifen. Wir können beispielsweise Infoveranstaltungen anbieten oder Workshops zu dem Thema halten. Am wichtigsten ist es, Rechte als das zu entlarven, was sie sind: Es ist sicher sinnvoll, diese auch in Schulen durchzuführen, um antihumanistische Arschlöcher, die versuchen, die Menschen ent- Schüler*innen zu erreichen, die sich außerhalb der Schule nicht lang ihres rassistischen Weltbildes gegeneinander aufzuhetzen. damit beschäftigen (können). Dabei geht es ihnen darum, ihre eigene Macht und ihren Handlungsspielraum auszubauen. Wir müssen uns also genauestens Auch können wir Bildungsreisen zu verschiedensten Gedenkstätmit den Strukturen und Inhalte der „neuen“ Rechten beschäfti- ten des Holocausts anbieten und ausbauen, wie im letzten Jahr gen und diese dann mit verschiedensten Mitteln an die Menschen nach Lublin (Polen) oder dieses Jahr geplant nach Reggio Emilia bringen, damit sie die Hintergründe verstehen und sich nicht (Italien), Buchenwald und Ravensbrück. Außerdem sollten wir mehr durch Rassismus im Deckmantel der freien Meinungsäuße- unsere schon vorhandene Infrastruktur für Menschen öffnen, die rung beeinflussen lassen. aktiv werden wollen. Denn: Rassismus ist keine Meinung! Und auf komplexe Situationen und Probleme lässt sich nicht mit vermeintlich einfachen, jedoch lediglich rassistischen Parolen antworten. Diesen Vereinfachungen sollte gerade in der politischen (Jugend-)Bildung mit Gegenmaßnahmen und kritischen, öffentlichen Erläuterungen möglichst breit begegnet werden. So können auch Menschen erreicht werden, die sich in ihrem Alltag wenig mit Phänomenen wie z.B. strukturellem sowie alltäglichem Rassismus beschäftigen und die Strategien der Rechten daher nicht sofort erkennen.
Außerdem wollen wir unsere Räume so gestalten, dass sich auch Schwarze Menschen, People of Color sowie Menschen mit Fluchtoder Migrationsgeschichte wohl und ernst genommen fühlen. Dies ist sehr wichtig, um gemeinsam gegen Rassismus vorzugehen, voneinander zu lernen und uns gegenseitig zu unterstützen.
Wir müssen wieder anfangen, mit Menschen in den Dialog zu treten, die progressiv-emanzipatorischen Ansichten nicht gerade positiv gegenüber gestimmt sind und (radikale) Linke nur als autonomen, schwarzen Block wahrnehmen. Leider gibt es in der Gesellschaft im Moment keine breite Zustimmung für Protest gegen derzeitig stattfindende Prozesse wie den Rechtsruck, obwohl dieser Protest und Widerstand bitter notwendig ist. Deshalb ist ein inhaltlicher Austausch zur Verringerung der Abwehr wichtig. Denn wir sind überzeugt: es ist richtig und wichtig, menschenrechtliche Vorgaben eines respektierenden Umgangs mit allen Menschen radikal zu fordern.
Denn alle Menschen – unabhängig der Herkunft, Aussehen, sexuellen Orientierung, Geschlecht, Alter, etc. – haben es verdient, in einer für alle lebenswerten Welt zu leben!
Wir müssen noch deutlicher unsere Haltung zeigen und für eine bessere Welt kämpfen, raus auf die Straße gehen, mit Menschen sprechen.
Hoch die internationale Solidarität! Von Jan
Einblick
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TIPS & INFOS Kultur, Medien, Literatur
KIMYA DAWSON
SOLIDARITÄT MUSS PRAKTISCH WERDEN
OUR PIECE OF PUNK Unterstützung von illegalisierten Menschen (2019)
familienfreundlicher Anti-Folk Ein queerfeministischer Blick auf den Kuchen Das Buch Our Piece of Punk enthält Texte auf Deutsch und Englisch, die von ganz unterschiedlichen, vor allem queeren Menschen verfasst wurden. Hinzu kommen Interviews, Comics und viele tolle Illustrationen (und Abzieh-Tattoos!). Das Thema ist Punk. Punk als Musik, und Punk als Weltanschauung und Bewegung. Die Herausgeber*innen Barbara Lüdde und Judith „Jot“ Vetter versammeln unterschiedliche Standpunkte darauf, was Punk und Queer sein bedeuten kann, welche Probleme aktuell in der Punkszene herrschen und wie wir gegen das scheinbar allmächtige Establishment ankämpfen können. Wieso ist es so schwer, wenn frau* eine Band gründen will? Und: ist es das tatsächlich? (Ja und nein.) Die Stimmen hinter den Textbeiträgen hauen auf den Putz, fordern ein, und halten an ihren Utopien fest. Das Buch ist Liebeserklärung und Kampfschrift zugleich und ein Schmaus für Kopf, Herz und Augen. PS: Support your local bookstore! Ventil Verlag | 2018 | 20,00 EUR | SBN 978-3955750923 | www.ourpieceofpunk.net 34
Spielplatz
„The life I love is making music with my friends.“ Bekannt geworden ist Kimya vor allem als Mitbegründerin der Band The Moldy Peaches. Und im Soundtrack des Films Juno sind viele Songs von ihr und ihren Freund*innen zu hören. Kimyas Lieder sind recht einfach, meist hörst du sie Gitarre spielen und singen, und viele davon nimmt sie zu Hause selbst auf. Ihre Musik beschäftigt sich mit Freundschaft, Familie, schönen Bäumen und dem eigenen Körper, aber auch mit Drogensucht, dem Traurigsein und dem Niemals-Erwachsen-Werden. Die meisten Songs lassen sich schnell lernen und nachspielen. Das Album „Alphabutt“ hat sie speziell für Kinder gemacht und gemeinsam mit ihrer Tochter und anderen Kindern aufgenommen. Darin finden sich dann z.B. Lieder über Wackelzähne („Wiggle My Tooth“) oder Smoothies. Und auch auf den anderen Alben klingt ihre Stimme warm, roh und zart und paart sich wunderbar mit ihrer ganz eigenen Art des Dagegen-Seins. Kimyas Musik hüpft mir in vielen Lebenslagen tief ins Herz. Kimya Dawson | Musikerin | kimyadawson.com
Wir möchten euch auf diese neue Broschüre des Kollektivs „Solidarität organisieren“ aufmerksam machen. Durch die verschärfte Asylgesetzgebung und die rigorose Abschiebepolitik in Deutschland werden zunehmend mehr Menschen in die Illegalität gezwungen. Das macht eine praktische Unterstützung dieser Menschen wichtiger denn je. So soll diese Broschüre z.B. zur praktischen Umsetzung von Bürger*innen-Asylen beitragen. Über einen längeren Zeitraum ist ein Erfahrungswissen entstanden, wie eine Unterstützung in den Lebensbereichen Wohnen, Arbeit, Gesundheit und Finanzierung konkret aussehen kann. Die Broschüre enthält neben Texten zum Leben in der Illegalität auch praktische Tipps und Erfahrungsberichte von illegalisierten Menschen und Unterstützer*innen. Sie soll motivieren, sich mit Illegalisierten zu solidarisieren, Unterstützungsgruppen aufzubauen und auch die eigene Praxis zu reflektieren. Einen Einblick gibt es auf dem eigenen Blog, dort findet ihr auch die digitale Version der Broschüre. Wenn ihr gerne gedruckte Exemplare zum Verteilen in euren Orten, Räumen und Strukturen haben möchtet, schreibt uns die gewünschte Anzahl sowie eine Postadresse per E-Mail. Ab einer Stückzahl von 20 Exemplaren schicken wir euch die Broschüre zu. Spenden sind erwünscht, aber nicht notwendig (Die Druckkosten sind etwa 2,00€/Stk.). solidaritaetorganisieren.noblogs.org | solidaritaet-organisieren@riseup.net
termine Die wichtigsten BDP Termine für die zweite Hälfte von 2020 im Überblick. Mehr auf www.bdp.org Aufgrund des Corona-Virus müssen manche Veranstaltungen vielleicht abgesagt oder verschoben werden. Bitte fragt einfach nach!
WAS GEHT?
WANN?
WO?
Zine 2.0 How to… Zine und Beziehungen
28. – 30. August
Leipzig
Mirjam.tutzer @bundesverband.bdp.org
Präventionsausschuss Treffen
11. – 13. September
Frankfurt
Mirjam.tutzer @bundesverband.bdp.org
Betzavta in der Kommune Seminar
16. – 20. September
Escherode
Mirjam.tutzer @bundesverband.bdp.org
‚Identität und Medien‘ Interkulturelle Jugendbegegnung
September
Spanien
Tobias.dreizler @bundesverband.bdp.org
Geschäftsführender Ausschuss Treffen
02. – 04. Oktober
AK Gender*Queer Treffen
09. – 11. Oktober
Bremen
Mirjam.tutzer @bundesverband.bdp.org
AK Aktivismus: Critical Whiteness Seminar
16. – 18. Oktober
Lüneburg
Mirjam.tutzer @bundesverband.bdp.org
BundesDelegiertenVersammlung MV
20. – 22. November
Roßdorf
Charlie.morgenweck @bundesverband.bdp.org
Interkulturelle Grundausbildung Ausbildung
November
Marseille
Tobias.dreizler @bundesverband.bdp.org
Charlie.morgenweck @bundesverband.bdp.org
ONLINE TERMINE Rassismuskritisch Teamen Webinar
29. Juni
Mirjam.tutzer @bundesverband.bdp.org
‚ Wir sind doch alle gleich‘ Webinar
18. Juni
https://komplex-schwerin.de/
‚Kritische Männlichkeit*en‘ Webinar
22. Juni
mirjam.tutzer @bundesverband.bdp.org
Queer_Feminismen Webinar
10. Juli
https://komplex-schwerin.de/
Ajuca Jugendcamp
22. – 26. Juli
https://alternatives jugendcamp.wordpress.com/
Spielplatz
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