BAZ Nr. 12 vom 21/06/2022

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STRASSENGESCHICHTEN

Drei Straßen, eine Familie Straßen erhalten ihre Namen u. a. nach bekannten Persönlichkeiten (Johann Wolfgang von Goethe, Claudia de Medici), historischen Daten (30. April, 4. November) oder Orten (Meran, Bozen). Auch Gebäude mit besonderer Bedeutung dienen gerne als Namengeber. So zum Beispiel der Ansitz Gaudententurm in Partschins.

Ein Straßenplan kann als histori­ sches Dokument gelesen werden, das aus verschiedenen Schichten besteht, entstanden aus Entschei­ dungen der vergangenen Jahrhun­ derte. Straßennamen folgen immer auch den Moden der Zeit und, wie schon früher an dieser Stelle ausge­ führt, lassen durchblicken, wer gerade vor Ort das Sagen hat. Herr­ scher und Verwalter hinterlassen ihre Spuren, nicht nur im Stadtbild, auch im Straßenbild. Trotz allem kann man im Wirrwarr der Stra­ ßennamen mitunter auch ein Sys­ tem erkennen. Wer in Meran in der Nähe des Krankenhauses einen Spaziergang macht und Freude an der Musik hat, der trifft eine Reihe guter Freunde: Rossini, Mozart, Haydn, Puccini, Donizetti. Auch in Sinich dürfte es wohl kein Zufall sein, dass die drei bekanntesten Irredentisten Cesare Battisti, Dami­ ano Chiesa und Fabio Filzi als Stra­ ßennamen nahe beieinander liegen. Ein weiteres schönes Beispiel dafür, dass Namen auch inhaltlich zusam­ menpassen können, finden wir in Partschins. Die Max-von-IsserStraße, die Dr.-Friedrich-von-Söl­ der-Gasse und die Gaudenten­ turmstraße bilden eine Art Dreieck, das vermuten lässt, dass die Na­ mengebungen ganz bewusst erfolg­ ten. Als „Der Burggräfler“ am 18. Oktober 1919 eine Todesanzeige veröffentlicht – halbseitig –, finden wir alle drei genannten Namen in einer einzigen Person vereint. Die „innigstgeliebte Mutter, Schwieger­ mutter und Großmutter“, die kurz vor ihrem 80. Geburtstag verstor­ ben war, hieß Bertha von Sölder zu Prakenstein geb. Isser von Gauden­ tenthurm. Sie wurde 1839 als Toch­ ter des Magistratsrat Anton von Isser und seiner Frau Elisabeth Putz geboren und war die Enkelin des Meraner Stadtschreibers Anton

Die Gaudententurmstraße in Partschins erhielt ihren Namen vom gleichnamigen Ansitz

Isser. 1794 erwarb dieser den Ansitz und wurde vier Jahre später mit dem Prädikat „von Gaudenten­ thurm“ geadelt. Der Ansitz Gau­ dententurm existiert seit dem 14. Jahrhundert. 1348 wurde von Meinhard, Edler von Gaudenz, ein Wohnturm erbaut, der im Laufe der Zeit starke bauliche Veränderungen erfahren hat. Die heutige Gestalt mit Erker, Ochsenaugen, Son­ nenuhr und Wappen geht im We­ sentlichen auf das 17. Jahrhundert zurück. Überhaupt ist die Ge­ schichte des Ansitzes eine sehr wechselhafte. Auf die Edlen von Gaudenz folgten die Hendl und die Stachlburg und noch sechs weitere Familien, bevor gegen Ende des 18. Jahrhunderts die Isser auftauchten. Unter den Nachkommen des ge­ nannten Stadtschreibers finden wir nicht nur die schon erwähnte Ber­ tha, sondern auch deren Cousin Max von Isser und ihren Sohn Friedrich von Sölder. Beide haben auf ihren Gebieten Großes geleistet. Nach dem Besuch der Bergmann­ schule in Klagenfurt und der Berg­ akademie in Leoben war Max von Isser (1851 - 1928) als Ingenieur tätig. Ob Kupfer in Prettau, Kohle in Fünfkirchen, Gold in Siebenbür­ gen, Blei und Zink in Nassereith oder Bitumenschiefer in Tirol – er

stellte sein Wissen zur Verfügung und steuerte zudem wertvolle Bei­ träge zur Geschichte des Bergwe­ sens bei. Nicht weniger imposant ist Friedrich von Sölder (1867 1943). Nach dem Studium der Medizin in Innsbruck und Graz spezialisierte er sich auf die Psych­ iatrie und wirkte als Gerichtsgut­ achter beim Landesgericht in der österreichischen Hauptstadt. Dort war er von 1908 bis zu seinem Ruhestand 1932 Direktor und Chef­­arzt der Nervenheilanstalt Ro­ sen­hügel. Bei der Errichtung der Anstalt zeigte sich sein besonderes Talent für Bauplanung und Orga­ nisation. Auch wissenschaftlich war er tätig. U. a. entdeckte er einen bis dahin unbekannten Reflex im Auge. Neben der Medizin gehörten auch Geschichte und Kunstge­ schichte zu seinen Leidenschaften. Nach seiner Pensionierung ging er nach Meran zurück und beschäf­ tigte sich mit heimatgeschichtli­ chen Themen. So entdeckte er bei­ spielsweise eine Wallburg am Sax­ nerknott oberhalb von Plars. Und der Gaudententurm? Ab 1872 be­ saßen ihn vier Schwestern. 1919 ging er dann durch Erbschaft und Kauf auf Friedrich über und ist seither im Besitz der Familie von Christian Zelger Sölder. BAZ 12/22

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