WIR 01 vom 10/01/2022

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POLITIK Brief aus Rom

Geschätzte Leser,

Spaß beiseite! von Robert Adami

Vorsätze und Ausreden

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Das neue Jahr hat begonnen, und damit auch die Einhaltung der vielen guten Vorsätze, die wir zu diesem Zeitpunkt immer fassen. Ich für meinen Teil hab mir vorgenommen, in dieser ersten Kolumne des Jahres nicht über Corona zu schreiben. Ich widme mich lieber einem Thema, das sehr eng mit guten Vorsätzen verwoben ist, nämlich der perfekten Ausrede. Denn je fester ein guter Vorsatz ist, desto besser muss die Ausrede sein, die mich überzeugt, ihn nicht einzuhalten. Was schwierig ist, denn Sie wissen ja, alles wird teurer, nur die Ausreden werden immer billiger. Deshalb an dieser Stelle eben ein Crash-Kurs im Erfinden von Ausreden, ergänzt mit den entsprechenden Übungsanweisungen. Nun, die Kunst einer guten Ausrede ist die: Sie muss so schräg sein, dass ihr Gegenüber denkt, dass man so etwas einfach nicht erfinden kann. Wenn Sie ungebetenen Besuch abwimmeln wollen, probieren Sie es z.B. mit dieser Ausrede: „Na, i hon leider koan Plotz mehr in der Wohnung, weil schun mein Ego und meine Persönlichkeit drein sein.“ Oder wenn Sie zu spät zu einem Termin kommen, dann sagen Sie: „Na porzellana, jetzt hot sich glot die Tram verfohren“. Und wenn Sie irgendwann mal die Arbeit schwänzen wollen, könnten Sie Folgendes anbringen: „I hon net Orbeiten kemmen kennen, weil der Kurier meine Motivation net rechtzeitig gliefert hat.“ Sie werden sehen, ihr Chef wird begeistert sein, bevor er sie feuert. Ja, gute Ausreden machen das Leben einfacher, und wenn Sie mal ihre Mitmenschen mit Leichtigkeit überzeugen können, dann macht es auch keine Mühe mehr, sich die eigenen blöden guten Vorsätze erfolgreich auszureden – und wie sagte noch der gute Ehemann so schön: „Ausreden? Tat i gern, ober meine Frau losst mi jo net ...“ Aber Spaß beiseite. Eine gute Ausrede kann so manch unangenehme gesellschaftliche Situation retten, da wollen wir uns nichts vormachen. Aber was unserer Gesellschaft noch besser bekäme, wären nicht Ausreden, sondern: ausreden lassen. Das ist mein ernstgemeinter, guter Vorsatz für 2022: Meinen Mitmenschen zuzuhören, egal welcher Meinung sie sein mögen.

das neue Jahr steht vor der Tür, das Bilanzgesetz ist verabschiedet und nun gibt es keinen Grund mehr, sich der seit Wochen schon immer stärker aufdrängenden Frage nach dem neuen Staatspräsidenten zu verweigern. Die Situation ist komplex (aber wann ist sie das nicht in Italien?) und die Szenarien sind vielfältig. Draghi würde zweifelsohne einen sehr guten Staatspräsidenten abgeben, sein internationales Ansehen hat Italien schon während seiner Funktion als Ministerpräsident an die Spitze Europas katapultiert und die institutionelle Rolle als Staatspräsident super partes könnte ihn von den Querelen der Tagespolitik befreien. Es ist mittlerweile wohl offensichtlich, dass er dieses Amt gerne übernehmen würde und dennoch wäre die Wahl dieses Staatsmannes, der eine unglaubliche Mehrheitskoalition möglich gemacht und auch an der Leine gehalten hat, alles andere als gewiss. Die Befürchtungen, dass es ohne ihn als Ministerpräsident zu vorgezogenen Neuwahlen kommen könnte, halten sich hartnäckig und diese Sorge könnte viele der ‚großen Wähler‘ davon abhalten, ihm trotz Vertrauensbekundung ihre Stimme zu geben. Was geschieht, wenn Draghi sich der Herausforderung stellen und aus kurzsichtiger Sesselkleberei nicht gewählt würde, bleibt außen vor. Unvorstellbar ist es doch, dass Draghi in einem solchen Fall weiterhin Ministerpräsident bleiben würde, weshalb die Neuwahlen dann tatsächlich im Raum stehen würden. Alternative Köpfe stehen mittlerweile aber auch zur Diskussion: Giuliano Amato, derzeit Verfassungsrichter und politi-

sches Urgestein ebenso wie Pier Ferdinando Casini, der seit 1983 in unterschiedlicher Weste sein politisches Überleben vortrefflich zu steuern wusste, stehen für Verlässlichkeit, Marta Cartabia, Justizministerin, oder Letizia Moratti, frühere Bürgermeisterin von Mailand, als mögliche Kandidatinnen mit Aussicht auf Erfolg, erlauben die Koketterie, sich eine Frau im Quirinal vorzustellen, während bei dem Gedanken, Berlusconi zum Staatspräsidenten zu krönen, bereits deutlich weniger Begeisterung aufzukommen scheint. Aber wenn auch heute der letzte Abend des Jahres verstreichen wird, ist dies noch nicht aller Tage Abend und die Mäander italienischer Politik bleiben unergründlich. Wer weiß, ob nicht Mattarella trotz allem noch einen Nachschlag nehmen muss? Ende Jänner werden wir es wissen, bis dahin einen guten Start in ein neues Jahr mit hoffentlich weniger Sorgen und großer Zuversicht aus Kaltern, am 31. Dezember 2021.

Manfred Schullian Kammerabgeordneter

Brief aus dem Landtag

Liebe Leserinnen und Leser Ein neues Jahr liegt vor uns. Bemerkenswert, mit welch anderer Stimmung wir diesen Jahreswechsel erleben. Auf 2021 hatten wir alle „große Hoffnungen“ gesetzt. Heuer erlebe ich uns eher als resigniert. Müde und besorgt hören wir täglich die neuen Coronazahlen. Die Omikron-Variante greift um sich. Wir beginnen zu fürchten, dass es nie mehr wird wie „früher“. Wir erleben, wie wir mit Freunden und Verwandten plötzlich nicht mehr reden können, weil sie in der Impffrage „auf der anderen Seite“ stehen. Man versteht sich nicht mehr. Der Energiepegel in unserer Gesellschaft ist so niedrig wie nie zuvor. Und die wenige Energie, die wir haben, geht vielfach in Aggression und Streit verloren. Der Landtag, ich sage es immer wieder, spiegelt die Dynamiken der Gesellschaft wider. Wir tragen in unserem Landesparlament genau die gleichen Auseinandersetzungen aus, die es in der Gesellschaft gibt. So haben auch wir während der Haushaltsdebatte am Ende des Jahres 2021 das Coronathema erörtert. Es gab auch manche böse Entgleisung. Auch im Landtag liegen die Nerven blank. Wir Abgeordneten werden nun seit vielen Monaten von besorgten Anfragen, erbosten Rückmeldungen und zornigen Anrufen „bombardiert“. Einige Politiker:innen haben das felsenfeste Gefühl, alles absolut richtig zu machen. Ich gehöre nicht zu ihnen. In meiner Haushaltsrede habe ich deshalb gesagt, dass ich der Landesregierung in Sachen Coronamanagement wenig vorhalte. „Wir hätten wahrscheinlich nicht viel anders gemacht als ihr, wir hätten‘s vielleicht anders

gemacht.“, so habe ich es zusammengefasst. In dieser Zeit braucht es besonders viel Empathie. Von der Wissenschaft können wir lernen, wie wichtig es ist, den Zweifel hochzuhalten und Gewissheiten immer in Frage zu stellen. Dieser Ansatz wird uns auch in der nächsten großen Frage hilfreich sein, wenn wir endlich auch bei uns über die Maßnahmen gegen die Erderwärmung reden werden. In der Nachtsitzung im Landtag haben wir uns lautstark gestritten darüber, ob man damit anfangen soll, die nächtliche Schaufensterbeleuchtung auszuschalten. Es gab scharfe Kritik gegen dieses Vorhaben. Ich halte es für eine kleine Maßnahme, an der wir etwas Wichtiges üben können: Nämlich uns die Frage zu stellen, was überflüssig ist. Was brauchen wir wirklich? An dieser alten Frage können wir uns abarbeiten. Aber wir können auch daran wachsen. Und unsere Welt und das Leben darauf schützen. Mit diesem Gedanken der Zuversicht möchte ich Sie ins neue Jahr begleiten. Es grüßt Sie herzlich

Brigitte Foppa


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