2018
MITTELBUCHEN
REDE VON OBERBÜRGERMEISTER CLAUS KAMINSKY
stavo top 9.1 bauleitplanung mittelbuchen nordwest 27.11.2017
Sehr geehrte Frau Vorsteherin, meine Damen und Herren, Verfahren kaum eine Planung für ein Wohngebiet hat in jüngerer Vergangenheit in Hanau zugleich so viel Bürgerbeteiligung erfahren und so hohe Wellen geschlagen wie die für das Neubaugebiet »Mittelbuchen Nordwest – Vor dem Lützelberg«. Ein Jahr ist es jetzt her, dass die erste von zwei Bürgerinformationsveranstaltungen mit großer Beteiligung stattfand; die zweite folgte im Juni diesen Jahres; eine dritte ist im nächsten Frühjahr terminiert, bevor per Satzungsbeschluss die Stadtverordneten endgültig das Signal zum Baubeginn geben sollen. Heute steht der Offenlagebeschluss auf der Tagesordnung. Findet er die Mehrheit, wovon ich ausgehe, folgt von Dezember bis Ende Januar das öffentliche Auslegen der Planungsunterlagen – und damit das eigentliche Beteiligungsverfahren, das wir aufgrund der intensiven Bürgerinformationspolitik mit öffentlichen Veranstaltungen und vielen Treffen im kleinen Rahmen im Grunde schon vorgezogen haben. Im Februar 2018 sollen die städtischen Fachleute die eingereichten Stellungnahmen auswerten, dann soll das Erarbeiten eines Abwägungsvorschlags folgen und im Mai der Satzungsbeschluss. Soweit zum Gang des Verfahrens. Bürgerinitiativen – Gesellschaftliche Interessen Anhand des Fallbeispiels Mittelbuchen-Nordwest erleben wir eine ambivalente gesellschaftliche Entwicklung: Kritische Bürgerinnen und Bürger haben in den vergangenen Monaten den Vorplanungs- und Diskussionsprozess um das Neubaugebiet intensiv, kritisch und engagiert begleitet. 3
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Es ist letztendlich auch dieser Initiative zu verdanken, dass noch bevor ein konkreter Planungsentwurf in die abschließende inhaltliche Debatte und Abwägung eingebracht werden konnte, eine umfassende Prüfung aller relevanten Planungsthemen bereits in einem Umfang und einer Detailtiefe stattgefunden hat, der für dieses Planungsstadium mehr als ungewöhnlich war. Die BIEN RIES AG als Vorhabenträger zusammen mit Müller Terramag als Projektentwickler und die städtischen Fachdienststellen haben zu Recht keinen Aufwand und keine Kosten gescheut, den betroffenen Bürgerinnen und Bürgern die Belange zu erläutern, die hinter dem Planungsentwurf und den damit verbunden Auswirkungen stehen. Sie sind sich ihrer großen Verantwortung bewusst, die ich in diesem Planungsprozess einfordere. Alle Fachbeiträge und Gutachten liegen vor, die eine Beurteilung jedes Sachverhaltes und eine Gewichtung diametraler Interessenlagen wie in diesem Fall tatsächlich zulassen. Jedoch: Unsere Mühen sind hier das eine, doch die Partikularinteressen derer, die grundsätzlich legitimen Protest anmelden, das andere. Hieß es anfangs noch, gegen die Art der Bebauung zu sein, wird sie nun gänzlich abgelehnt. In diesem Zusammenhang bin ich auf einen interessanten Kommentar der FAZ vom September 2017 gestoßen, bei der es um einen ähnlich gelagerten Fall eines beabsichtigten Neubaugebiets in einer Kommune des Main-Taunus-Kreises geht. Der Titel: Wider das Gemeinwohl. Darin der Satz: »Fast in allen Städten und Gemeinden des Main-Taunus-Kreises setzen sich Bürgerinitiativen aus denjenigen zusammen, die selbst erst vor zehn bis 15 Jahren ein Einfamilienhaus oder ein Reihenhaus bauten und damit ihrerseits anderen den freien Blick auf Feld und Flur verstellten. Heute sind sie es, die ein schönes Heim mit hohem Wertzuwachs besitzen, und wehren sich gegen neue Nachbarn. Oft müssen dann bedrohte Steinkäuze, Bechsteinfledermäuse und Sorgen um Frischluftschneisen als 4
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Argumente für eine schlichte Wahrheit herhalten: Wer schön wohnt, für den ist die Stadtentwicklung seiner Kommune mit dem Tag des Einzugs abgeschlossen.« Und weiter: »Es sind die parlamentarischen Vertreter, die sich sachkundig machen, die Varianten prüfen und kontrovers diskutieren. Sie sind es auch, die bei Fehlplanungen von den Wählern abgestraft werden.« Kein Abwehranspruch bei Wohnen gegen Wohnen Meine Damen und Herren, das rasante Bevölkerungswachstum im Rhein-Main-Gebiet ist auch in Hanau deutlich zu spüren. Aufgabe der Politik ist es, den Anforderungen dieser Bevölkerungsentwicklung durch Bauleitplanung Rechnung zu tragen. Dies schließt nach den Vorgaben des Baugesetzbuchs insbesondere auch die Fortentwicklung vorhandener Ortsteile ein. Hierbei sind vorrangig Flächen zu entwickeln, die im Regionalen Flächennutzungsplan bereits jetzt als Zuwachsfläche für die Siedlungsentwicklung vorgesehen sind. Diese Voraussetzungen liegen hinsichtlich des Baugebiets »Mittelbuchen Nordwest – Vor dem Lützelberg« vor. Bei der Aufstellung eines solchen Bebauungsplans sind die öffentlichen und privaten Belange gegeneinander und untereinander gerecht abzuwägen. Hierbei können Eigentümer von Grundstücken, die außerhalb des Plangebiets liegen, keine Verletzung ihrer Eigentumsrechte rügen, sondern allenfalls einen Verstoß gegen das Abwägungsgebot geltend machen. Allein der Umstand, dass der vorhandene Wohnstandort Mittelbuchen zur Schaffung weiteren Wohnraums erweitert wird, stellt aber keine Verletzung des Abwägungsgebots dar. Im Gegenteil: Das Städtebaurecht bezweckt gerade, neue Wohnbaugebiete an vorhandene Wohngebiete anzugliedern. Hierdurch werden städtebauliche Konflikte vermieden, wie sie bei unterschiedlichen Nutzungsarten – z. B. bei einem Nebeneinander von Wohnen und störendem Gewerbe – auftreten können.
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Mit anderen Worten: unsere Rechtsordnung gewährt aus gutem Grund keinen Abwehranspruch im Verhältnis »Wohnen gegen Wohnen«. Wer vor Ort wohnt, muss also hinnehmen, dass in der näheren Umgebung weiteres Wohnen entsteht, solange die heranrückende Wohnbebauung – wie hier – die bauordnungsrechtlichen Vorgaben über Abstandsflächen einhält. Weiter ist geklärt, dass hierbei der jeweilige Haustyp bzw. die darin vorhandene Zahl der Wohneinheiten rechtlich ohne Belang ist. Das bedeutet, dass z.B. der Bewohner eines Einfamilienhauses nicht verhindern kann, dass in seiner Nachbarschaft Doppel-, Reihen- oder Mehrfamilienhäuser in Form des Geschosswohnungsbaus entstehen, solange jeweils der Gebäudeabstand gewahrt ist. Schließlich gilt, dass der Eigentümer eines bislang in Randlage zum Außenbereich gelegenen Grundstücks keinen Anspruch auf dauerhafte Erhaltung dieses Zustandes besitzt. Hier gilt vielmehr die Planungshoheit der Kommune. Sie hat es hierüber jederzeit in der Hand, die planerischen Voraussetzungen für die Festsetzung neuer oder die Erweiterung vorhandener Baugebiete in den Außenbereich hinein zu schaffen. Feldhamster Meine Damen und Herren, was im Main-Taunus-Kreis die Steinkäuze und Bechsteinfledermäuse die Objekte der Instrumentalisierung sind, ist in Mittelbuchen der Feldhamster, der die Protestierenden nun gänzlich 122 neue Wohneinheiten ablehnen lässt. Um nicht missverstanden zu werden: Der Schutz des vom Aussterben bedrohten Feldhamsters ist eine gesamtgesellschaftliche Herausforderung, an der sich nicht zuletzt auch die Baugebietsausweisung orientieren muss. Die Stadt nimmt das sehr ernst und fordert das auch vom Vorhabenträger ein. Wir sind sicher, dass das Projekt allen gesetzlichen Anforderungen genügt. Wer das nicht so sieht, muss den Rechtsweg beschreiten.
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Ich will darauf hinweisen, dass das Projekt heute schon Gutes für den Feldhamster bewirkt hat, denn die Aufmerksamkeit und das Bewusstsein für den Schutz dieser Art waren nie so ausgeprägt wie heute. Wir wollen den derzeit drei bis fünf Individuen nach einer Umsiedlung über wenige hundert Meter im kommenden Frühjahr einen mindestens ebenso guten Lebensraum bieten wie bisher auf dem künftigen Baugebiet. Alle, die mit diskutieren, sollten sich fernab von starren Grundsatzpositionen auf einen Diskurs einlassen, wie mit dem Projekt am Ende vielleicht mehr für den erfolgreichen Feldhamsterschutz erreicht werden kann als ohne das Projekt. Nämlich durch die weitere Sicherung von Lebensräumen und eine gemeinsame Initiative, auch das Land Hessen zum Beispiel durch die Domäne Kinzigheimer Hof zu wirksamen Artenschutzmaßnahmen aufzufordern. Jeder, der sich in die Debatte über den Artenschutz einschaltet, sollte bereit sein, sich mit den Lebensraumbedingungen, den allgemeinen Gefahren, der Art und den Ursachen, warum der Feldhamster vom Aussterben bedroht ist, fair und umfassend auseinandersetzen. Zurück zum Gemeinwohl: Es ist meine Pflicht, diesen Prozess auch dann fortzuführen, wenn eine Anzahl direkt betroffener Bürger ihre Interessen gegen eine Planung artikuliert haben. Ohne den Abwägungen der Stadtverordneten vorgreifen zu wollen, will ich deutlich herausstreichen, dass nach derzeitigem Stand der Bebauung mit 122 Wohneinheiten aus rechtlicher Sicht nichts entgegensteht. Baudichte Das gilt auch für die immer wieder von Kritikern vorgebrachten Argumente zur geplanten Bebauungsdichte. Auf bundes- und landesplanerischer Ebene ist es maßgebliches Ziel, erst recht im Ballungsraum den Siedlungsflächenverbrauch zu reduzieren und dem wachsenden Wohnungsdruck zu begegnen. Dementsprechend ist auch die Rechtsprechung des VGH Hessen.
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Was die geplante Bebauungsdichte des Pioneer-Kasernenareal angeht, die von der BI angeführt wird, sei darauf hingewiesen, dass diese sich nicht mit den Dichtewerten kleinerer Baugebiete wie am Lützelberg vergleichen lässt. Bei der Pioneer Kaserne handelt es sich um ein städtebauliches Vorhaben mit rd. 45 ha Gesamtfläche, das einer komplexen Stadtteilentwicklung gleichkommt. Die zivile Folgenutzung dieses Quartiers löst erhebliche Flächenbedarfe für den Ausbau technischer und sozialer Infrastruktur sowie für weitere, nicht dem Wohnen zuzuordnende Nutzungen aus. Zudem sind bei der Entwicklung des Gesamtquartiers denkmalschutzrechtliche sowie naturund landschaftsschutzrechtliche Anforderungen zu berücksichtigen. Insgesamt sollen auf dem Gesamtareal unterschiedliche, in sich geschlossene Wohnquartiere (z.B. für bezahlbaren Wohnraum, Stadthäuser, Einzel,- Doppel- und Reihenhäuser) entstehen, die jeweils für sich betrachtet mindestens gleichwertige, meist aber deutlich höhere Dichtwerte aufweisen als vergleichbare Neubauflächen in den Stadtteilen. Die von der BI angeführten Dichtewerte von Neubaugebieten in Langenselbold und Bruchköbel sind ähnlich oder gar noch höher in vergleichbarer Lage. Ich bin der festen Überzeugung, dass selbst äußerst strittige Fragen »mit maximaler Fachlichkeit« behandelt und alle Argumente für eine Gesamtwürdigung zusammengetragen worden seien. Das gilt für den schon erwähnten Natur- und Artenschutz, ebenso für Klima, Verkehrsanbindung, Infrastruktur, Schallschutz, Einbinden in die Umgebung, Baugrund, Bodenschutz und Archäologie. Abschließend weise ich nochmals darauf hin, dass alle Kommunen im Rhein-Main-Ballungsraum ihre Hausaufgaben machen müssen, was neu zu schaffenden Wohnraum angeht.
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In der Region fehlen rund 180.000 Wohnungen, in Hanau sind derzeit rund 4.000 in der Planung oder im Entstehen. Im Vergleich dazu sind die 122 in Mittelbuchen-Nordwest vorgesehenen Wohneinheiten ein vergleichsweise kleiner, aber notwendiger Beitrag, um ein Kardinalproblem lรถsen zu helfen.
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