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U. Prettenhofer
from Jahrbuch 2008
by bigdetail
Ulrike Prettenhofer
Natürliche Strahlenexposition im Vergleich zu diagnostisch – therapeutischer Strahlenbelastung
Natural radiation exposure in comparison to diagnostic/therapeutic radiation exposure
SUMMARY
Radiation is a natural part of our life. There are two main contributors to naturally occurring radioactivity: high energy ray particles from outer space (cosmic radiation) and radioactive nuclides in the earth’s crust (terrestrial radiation). The largest fraction of terrestrial radiation we receive comes from the radioactive gas Radon. About 30% of background radiation dose comes from man-made sources (X-rays and nuclear medicine). Both, natural and artificial radiation is identical in their physical nature and biological effects. The following review shows a comparison between natural and artificial radiation sources to define the relevance for human being.
Keywords: cosmic radiation, terrestrial radiation, artificial radiation, radioactivity
ZUSAMMENFASSUNG
Strahlung ist ein natürlicher Bestandteil des Lebens. Die in der Natur auftretende Strahlung besteht aus zwei Hauptkomponenten: hochenergetische Teilchen aus dem Weltraum (Kosmische Strahlung), und radioaktive Nuklide aus der Erdkruste (Terrestrische Strahlung). Der größte Anteil an terrestrischer Strahlung, die auf uns einwirkt, stammt vom Edelgas Radon. Etwa 30% der Umgebungsstrahlung kommt von durch Menschen erzeugter Strahlung (Röntgenstrahlen und Nuklearmedizin). Beide, sowohl natürliche als auch künstliche Strahlung, sind identisch in ihren physikalischen Eigenschaf-
ten und biologischen Auswirkungen. Die folgende Arbeit soll einen Vergleich von natürlicher und künstlicher Radioaktivität bezüglich ihrer Relevanz für den Menschen ermöglichen.
Schlüsselwörter: Kosmische Strahlung, Terrestrische Strahlung, Künstliche Strahlung, Radioaktivität
EINLEITUNG
Die Erde ist seit ihrem Bestehen Strahlung ausgesetzt. Alles Leben auf diesem Planeten hat sich im Laufe der Jahrmillionen durch Evolution dieser Strahlenexposition angepasst. Allerdings sind wir Menschen erst seit etwas mehr als hundert Jahren in der Lage, diesen Einflussfaktor zu erkennen und zu bewerten. Ende des 19. Jahrhunderts konnte Wilhelm Conrad Röntgen in seinen Experimenten mit Kathodenstrahlröhren Strahlung künstlich erzeugen. Kurz danach gelang Becquerel der Nachweis natürlicher Strahlung bei Uran und Marie Curie erhielt ihren ersten Nobelpreis für die Messung und Erforschung der Radioaktivität. Acht Jahre später erfolgte diese Auszeichnung ein zweites Mal für ihre Entdeckung der Elemente Radium und Polonium. Der Umgang mit radioaktivem Material war in Unkenntnis seiner Gefährlichkeit anfangs geradezu fahrlässig. Eine Reihe von Todesfällen im Zusammenhang mit künstlicher Strahlung führte die Wissenschaft jedoch bald zu jenen Maßnahmen im Strahlenschutz, die auch heute zum Teil noch Gültigkeit haben. Rolf Sievert, einem schwedischen Mediziner, gelang die Berechnung der biologischen Wirksamkeit der Strahlung. Er schaffte somit die Möglichkeit, die verschiedenen Strahlenarten hinsichtlich ihrer Gesundheitsgefährdung zu beurteilen und zu vergleichen. Die nach ihm benannte Einheit der Äquivalentdosis -Sievert (Sv)- ist daher „der“ Maßstab im Strahlenschutz (1). Traurige Berühmtheit erhielt die Radioaktivität durch den Abwurf der ersten Atombomben und die sich bis in die heutige Zeit erstreckenden Atomversuche. Die sogenannte friedliche Nutzung der Kernenergie hat seit ihrer Anwendung Hunderttausenden das Leben gekostet und die Langzeitfolgen dieser „Unfälle“ werden noch Generationen von Erdenbürgern gesundheitlich beeinträchtigen (2). Im Gegensatz dazu haben die Weiterentwicklung der Röntgenröhre sowie Randprodukte der atomaren Waffenherstellung zu Hochpräzisionsgeräten wie z.B. Computertomographie-Geräten und Linearbeschleunigern geführt, die ein unverzichtbarer Bestandteil der modernen Medizin in Diagnostik und Therapie geworden sind.
PHYSIKALISCH-BIOLOGISCHE GRUNDLAGEN
Unter dem Begriff Strahlung wird die Ausbreitung von Teilchen oder Wellen verstanden. Diese werden nach Teilchenart bzw. Energie (ionisierend – nicht ionisierend) unterschieden (Tab.1). Für den Menschen entscheidend ist das jeweilige Strahlenrisiko der einzelnen Strahlenarten. Dieses Risiko entsteht durch Wechselwirkung mit Materie, wobei die Schädigung direkt durch Herausschlagen von Atomen aus Molekülverbindungen (Primärschaden) oder indirekt durch Bildung reaktionsfreudiger Radikale (Sekundärschaden), die wiederum im nm–Bereich ionisierend wirken, erfolgt (1). Komplexe Reparatursysteme im Organismus können diese entstandenen Schäden zwar rückgängig machen, in Abhängigkeit von Dauer und Stärke der Strahlenexposition kann es allerdings sowohl zu somatischen als auch genetischen Veränderungen kommen. Die relative biologische Wirksamkeit (Sievert, Sv) ist abhängig von der Strahlenart und beträgt bei Alpha-, Protonen- und Neutronenstrahlen ein Vielfaches von Gamma-, Röntgen- und Elektronenstrahlen (1).
Elektromagnetische Strahlung Wellenlänge (m)
Rundfunk 1 bi 103
Mikrowellen 10-2
Infrarotstrahlung 10-5
Sichtbares Licht 10-7
UV - Strahlung 10-8
Röntgenstrahlung 10-10
Gammastrahlung 10-12
Teilchen- Korpuskularstrahlung
Alphastrahlung (2 Protonen + 2 Neutronen)
Betastrahlung (Elektronen, Positronen)
Neutronenstrahlung
Tabelle 1:
Strahlenarten (Ionisierend und nicht ionisierend)(1)
NATÜRLICHE STRAHLUNG
Schon vor knapp fünfhundert Jahren wurden die Auswirkungen von Radon –einem Edelgas und Uranspaltprodukt - bei Bergarbeitern in Schneeberg (Sachsen) von Paracelsus in seinen drei Büchern „Von der Bergsucht und anderen Bergkrankheiten“ beschrieben (3, 4, 5). Die von den Römern bereits angewandte Technik der Glasfärbung mit Uran wurde im 19.Jht. zur Hochblüte gebracht.
Dafür wurden Uranerze in großen Mengen in Böhmen abgebaut. Die Arbeiter in diesen Uranminen hatten nur eine geringe Lebenserwartung. Heute findet der Uranabbau für Kernwaffen und Kernenergie großteils auf indigenem Gebiet statt (Kanada, Australien, Russland), wobei der Abraum, der ein Zig-Tausendfaches der gewonnenen Uranmenge beträgt und noch 80% der ursprünglichen Aktivität enthält, durch oberflächliche Lagerung zu einer erhöhten Krebsrate in diesen Regionen geführt hat (6, 7). Die von Radionukliden in den Böden abgegebene Strahlung wird als terrestrische Strahlung bezeichnet und tritt weltweit in unterschiedlicher Stärke auf. Generell ist kalkhältiger Boden weniger strahlungsaktiv als Granit (8). Der mit Abstand höchste Wert wurde im Iran (Ramsar, Radon) gemessen, weitere Gebiete mit hoher terrestrischer Strahlung wurden in Indien (Kerala, Monazitsand) und Brasilien (Guarapari, Monazitsand) untersucht (9, 10) (Tab.2). In Österreich erbrachte 1989 eine Erhebung des statistischen Zentralamts zum Todesursachenatlas eine fast 40% höhere Bronchialkarzinomsterblichkeit in der Region Imst in Tirol. Untersuchungen ergaben, dass neben einer erhöhten Porosität des Bodens für Radon, möglicherweise ein Bergsturz vor mehr als 8000 Jahren Massen an uranhältigen Granitgneisen als Sturzschutt im Ötztal bei Umhausen abgelagert hat und große Exhalationsraten des Zerfallsprodukts Radon aus diesem Bodenmaterial für die Krebshäufigkeit verantwortlich sind (11, 12). Forschungsergebnisse aus Langtang Himal in Nepal mit ähnlicher geologischer Konstellation scheinen diese These zu bestätigen (13, 14). Aufgrund baulicher Energiesparmaßnahmen nimmt die Radonkonzentration stetig zu. In Österreich beträgt die jährliche Radonbelastung in Innenräumen durch Inhalation im Mittel 2 mSv und stellt somit den größten Anteil der natürlichen Strahlenbelastung dar (8). Im Gegensatz dazu beträgt die Belastung der durch Ingestion (Wasser, Nahrung) aufgenommenen natürlichen Radionuklide (14C, 40K, 210Po 238U) nur ein Zehntel davon (1). Jedoch kann es bei Wasser regional unterschiedliche Schwankungen geben die einen 100000-fach höheren Wert erreichen vergleicht man Grund- und Quellwässer mit Mineralbrunnen oder Radonquellen (Gastein). Quellen mit derart hohen Aktivitätskonzentrationen sind daher als Trinkwässer nicht zugelassen. Derzeit wird untersucht, ob Rauchen wegen des hohen Poloniumgehalts und der damit verbundenen Alphastrahlung der Tabakpflanzen nicht nur aufgrund der chemischen Kanzerogene sondern auch der Radioaktivität zu Lungenkrebs führt (15, 16).
Als Kosmische - oder Höhenstrahlung wird eine hochenergetische, atomare Teilchenstrahlung aus dem Weltall bezeichnet, die 1912 erstmals vom dem öster-
reichischen Physiker Viktor Hess in 5000 m Höhen von einem Heißluftballon aus gemessen wurde. Durch die Wechselwirkung mit der Atmosphäre entstehen Sekundärteilchen, von denen aber nur ein geringer Anteil die Erdoberfläche erreicht. Die Höhenstrahlung hängt allerdings nicht nur von der Entfernung zur Erdoberfläche ab, sondern ist im Bereich der Pole fünf Mal so hoch wie über dem Äquator. Relevanz erhält die Kosmische Strahlung durch die Zunahme an Flugfrequenz und Flughöhe im Flugverkehr, wo eine strikte Einhaltung von Grenzwertbestimmungen gefordert ist. Mehrere Studien an Flugpersonal konnten aber bislang noch keine erhöhte Krebshäufigkeit in Zusammenhang mit der Höhenexposition feststellen. Allerdings scheint sich einerseits die Art der Freizeitgestaltung (Sonnenbäder in den Flugpausen) auf das Hautkrebsrisiko auszuwirken, andererseits wird ein Anstieg des Mammakarzinoms bei Flugbegleiterinnen auf die berufsbedingten Störungen des circadianen Rhythmus und Nulliparität zurückgeführt (17, 18, 19). Für den Menschen ist die wichtigste natürliche Strahlenquelle die Sonne, wobei nur ein kleiner Anteil der UV Strahlung ionisierend wirkt (Abbildung 1). Dieser als UV C bezeichnete Teil des elektromagnetischen Spektrums wird derzeit noch zum Großteil von der Ozonschicht absorbiert (20). Jedoch sind auch UV A und UV B Strahlen in der Lage, Schäden an der DNA von Hautzellen zu verursachen. Aufgrund des wachsenden Interesses an sportlich ausgerichteter Freizeitbeschäftigung stellt der Hautkrebs somit ein zunehmendes Public Health Problem dar (21). In mehreren Studien wurde eindeutig ein Zusammenhang zwischen UV Exposition und Risiko sowohl für Melanome als auch für Basaliome und Plattenepithelkarzinome bei Sportlern belegt (22). Besonderes Augenmerk wird inzwischen auf Berufsgruppen mit langer Aufenthaltdauer im Freien gerichtet. In einer deutschen Studie wurde die UV Belastung an neun Bergführern mittels Dosimeter, die am Stirnband befestigt waren, über ein ganzes Jahr gemessen. Dabei zeigte sich, bedingt durch die Höhe und die starke Reflexion von Strahlen auf Schnee und Eis, eine bis zu zwanzigfache Überschreitung des von der ACGIH (American Conference of Govermental Industrial Hygienists) vorgegebenen UV- Grenzwertes. Weitere Studien und unermüdliche Aufklärungsarbeit über Hautkrebsrisiko und entsprechenden Sonnenschutz sind dringend gefordert (23).
Natürliche Strahlenquellen Effektivdosis (mSv/ Jahr) Kosmische Strahlung (Meeresniveau) 0.3 3000m 1.5 8000m 20 300km (Space Shuttle) 200 Flug Wien – Rio 0.05 /Flug Flugpersonal 5-6
Terrestrische Strahlung 0.3
Kerala (Indien) 30 Guarapari (Brasilien) 35 Ramsar (Iran) 120 Ingestion 0.2
Radoninhalation 1-2
Radonkur Gastein 2-5 /Kur 30 Zigaretten/d 80 (Lungendosis) Radioaktiver Fallout 0.01
Tabelle 2: Natürliche Strahlenquellen (1)
Abbildung 1: Die Sonne: wichtigste natürliche Strahlenquelle für den Menschen (Foto: Archiv W. Domej)
KÜNSTLICHE STRAHLENQUELLEN
Die Medizin trägt, neben Industrie und Forschung, den größten Teil zur zivilisatorischen Strahlenexposition bei (1, 2). Gesundheitlicher Nutzen und Risiko aller Arten von Strahlenanwendungen müssen abgewogen werden, um eine Untersuchung/Behandlung zu rechtfertigen. Dabei ist die Dosis des jeweiligen Eingriffs so niedrig wie möglich zu halten. In einer von Bundesamt für Strahlenschutz in Deutschland durchgeführten Trendanalyse im Zeitraum 1996- 2004 zeigte sich eine Zunahme an CT – Untersuchungen um 65% (auf ca. 7 Millionen Untersuchungen/Jahr), im Gegensatz zu einer Abnahme an konventionellen Röntgenuntersuchungen (135 Millionen Röntgengenuntersuchungen/Jahr) (24). Zusätzlich wurde ein Anstieg der kollektiven effektiven Dosis aufgrund häufiger und dosisintensiver Angiographie - Untersuchungen beobachtet. Dieser Trend wird nicht nur für Europa, sondern für sämtliche Länder mit hohem Gesundheitsstandard beschrieben (25). In einer Studie über Strahlenbelastung durch nuklearmedizinische Untersuchungen in Deutschland wurden alters- und geschlechtsspezifische Daten zwischen 1996 und 2000 ausgewertet. Der Altersgipfel an Untersuchungen war zwischen dem 40. und 65. Lebensjahr zu verzeichnen, wobei Männer aufgrund einer höheren Anzahl an kardiovaskulären Untersuchungen insgesamt pro Jahr durchschnittlich einer dreifach höheren Dosis als Frauen ausgesetzt waren (26).
Untersuchung/Behandlung Effektivdosis Relation zu Relation zu (mSv) Umgebungsstrahlung Thorax-Rö
Rö periph. Extremitäten 0,01 1.5 Tage 0.1
Rö Thorax 0,1 15 Tage 1
CT Abd/Becken 10 4.5 J 100
CT Schädel 2.3 1 J 23
CT Thorax 8 3.6 J 80
Kontrast CT / PAE Protokoll 14 6 J 140
Mammographie 0.5 3 Mo 5
Nierenangiographie 14 6 J 140
Koronardilatation 20 9 J 200
Bestrahlung Thorax 70 (70000 mSv 30 J 700 Lokaldosis!)
Jährliche Dosis Medizin 1.3 7 Mo 13 (Österr./D) Tabelle 3: Künstliche Strahlenquellen (1)
Strahlenschäden können schon bei geringer Dosis auftreten, jedoch nehmen die Schwere der Erkrankung und das Krebsrisiko mit der Höhe der Exposition zu (1). Die letale Dosis (LD50/30d, 50% Todesfälle nach 30 Tagen) ist für die verschiedenen Lebewesen unterschiedlich und beträgt beim Menschen 4 Sv bei einmaliger Exposition. Im Vergleich dazu beträgt die LD 50/30 Dosis bei der Schnecke 200 Sv, bei Insekten 1000 Sv, bei Bakterien und Viren bis 2000 Sv (18). Als Ursache für die Zunahme der Toleranzschwelle wird der unterschiedliche Gehalt an DNS im Zellkern vermutet (1). In Hiroshima gab es kein Überleben von Betroffenen mit mehr als 6 Sv Gesamtkörperdosis. Die derzeitige Belastung durch Atomversuche der letzten Jahrzehnte ist im Verhältnis dazu relativ gering und beträgt in Europa noch ca. 0.005 mSv (2) (Tab.4).
Dosis/einmalige Exposition Strahlenschäden
500 mSv Blutbildveränderung 1000 mSv Übelkeit, Erbrechen, Haarausfall 2000 mSv 10% Todesfälle, Durchfall, Gewichtsverlust 3000 mSv 20% Todesfälle, Blutungen, Entzündungen 4000 mSv 50% Todesfälle innerhalb von 6 Wochen 6000 mSv 90% Todesfälle
20 mSv Jahresgrenzwert für medizinisches Personal (Ö)
Tabelle 4: Strahlenschäden / Letale Dosis (1)
FAZIT
Die jährliche, für den Menschen relevante Gesamtbelastung durch radioaktive Strahlen beträgt in Europa 3-5 mSv. Der Anteil an natürlicher Radioaktivität ist mit durchschnittlich 2-3 mSv/Jahr etwas höher als der medizinische mit 1.3 mSv/Jahr. Radongas stellt, von regionalen Besonderheiten abgesehen, die größte natürliche Strahlenquelle dar (2, 8). Die kosmische Strahlung nimmt mit der Höhe zu, erreicht aber selbst in den höchsten von Menschen auf Dauer bewohnten Gebieten nie ein gesundheitsschädigendes Ausmaß (Gesamtjahresbelastung des Hüttenpersonals des Rifugio Regina Margherita in 4554 m beträgt 2.6 mSv). In der Medizin ist in den letzten Jahren ein deutlicher Anstieg an diagnostischer Strahlenexposition zu beobachten, trotz erfolgreicher Reduktion der Einzeluntersuchungsdosis durch fortschreitende Modernisierung der Geräte, Tendenz steigend. Verglichen mit der jährlichen Lungenbelastung durch Radon stellt ein Lungenröntgen nur ein Zehntel der Radonbelastung dar, ein CT – Thorax das Zehnfache, eine Lungenbestrahlung jedoch eine Zehntausendfache Dosis (Ver-
gleich der jeweiligen Organdosiswerte). Die nach den Kernwaffentests und dem Reaktorunfall in Tschernobyl verbliebene Radioaktivität im Boden hat sich mittlerweile auf ca. 0.01 m Sv/Jahr reduziert. Abschließend sollte erwähnt werden, dass jeder Mensch nicht nur aufgrund seines Charakters, sondern auch seines Kaliumgehalts im Körper eine „Ausstrahlung“ besitzt, die allerdings mit durchschnittlich 5000 Becquerel bei 80 kg relativ gering ist (1 Becquerel = 1 Atomkernzerfall/Sekunde; Vergleich: EU-Grenzwert für Lebensmittel = 600 Bq pro kg) (1, 27).
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Martin Leitl
Stresses and strains in civil and military foreign deployments
SUMMARY
Complex emergencies in countries with civil wars and similar crises like Sudan, Afghanistan, Iraq and Somalia present an increasing challenge for the international community. This article should provide an insight into the challenges and problems of civil and military personal, which is deployed in these crisis regions. The author refers apart from results of scientific studies to own experiences as medical doctor with a non-governmental organization in Darfur and during two tours with the German Bundeswehr in Northern Afghanistan. Despite a different recruitment and pre-departure training, different tasks und different challenges civil aid workers and soldiers are facing similar health problems in such missions: tropical diseases in dry-hot climate conditions play a minor role compared with mental disturbances (depression, burnout-syndrome, post-traumatic stress disorder, PTSD), which affect approx. 20% of the personnel and are be caused by the special burdens in the field. To assure a better detection and treatment of mission related psychological disorders in the future an intensive education and destigmatization must go along with further studies about this topic. Additionally a broader offer of psychological care and supervision plus anonymous contact and advice centers should be established.
Keywords: Stress, strain, civil foreign deployments, military foreign deployments
ZUSAMMENFASSUNG
Komplexe Notlagen in Bürgerkriegs- und Krisenregionen wie Sudan, Afghanistan, Irak und Somalia stellen eine zunehmende Herausforderung für die internationale Gemeinschaft dar. Dieser Artikel soll einen Einblick in die Herausforderungen und Probleme für in solchen Regionen tätiges, ziviles und militärisches
Einsatzpersonal geben. Der Autor stützt sich neben wissenschaftlichen Studienergebnissen auf eigene Erfahrungen als Arzt mit einer Nichtregierungsorganisation im Darfur und im Rahmen zweier Einsätze mit der deutschen Bundeswehr in Nordafghanistan. Trotz unterschiedlicher Rekrutierung, Einsatzvorbereitung, Aufgaben und Herausforderungen stehen ziviles Hilfspersonal und Soldaten in derartigen Einsätzen ähnlichen Gesundheitsproblemen gegenüber: tropenmedizinische Erkrankungen spielen hierbei in trocken-heißen Klimaverhältnissen eine deutlich geringere Rolle als psychische Beschwerden (Depressionen, Burnout-Syndrom, Posttraumatische Belastungsstörung, PTBS), welche rund 20% des Personales betreffen und auf die besondere Art der Einsatzbelastung zurückzuführen sind. Um in Zukunft eine bessere Erkennung und Behandlung zu gewährleisten, sind neben weitreichenderen Studien zur Problematik eine intensivere Aufklärung und Entstigmatisierung hinsichtlich einsatzbedingter psychischer Störungen erforderlich. Desweiteren sollte ein breiteres Angebot an psychologischen Betreuungsmöglichkeiten und anonymen Anlaufstellen geschaffen werden.
Schlüsselwörter: Stress, ziviles Einsatzpersonal, militärisches Einsatzpersonal
Die Hoffnung, dass nach Ende des Kalten Krieges und den Stellvertreterkriegen zwischen Ost und West die Welt friedlicher werden würde, hat sich längst in eine neue Realität verloren. Mit der schrittweisen Auflösung der bis dahin bestehenden Blockstrukturen veränderte sich der Charakter bewaffneter Konflikte. Schwerwiegende innerstaatliche Konflikte und Bürgerkriege (z.B. Afghanistan, Jugoslawien, Sudan, Somalia, Irak), in welchen sich die betroffene Bevölkerung oft in einer komplexen Notlage befindet, verlangen auch von der Weltgemeinschaft eine neue Art der politischen und militärischen Antwort: Zu dem seit den 50er Jahren existierenden Prinzip der rein passiven militärischen Beobachtermission durch entsprechende Friedenstruppen kam mehr und mehr ein multidimensionaler Auftrag (Polizeiarbeit, Verwaltungsaufbau, Mithilfe bei Wahlen, Rückführung von Flüchtlingen, DDR1, humanitäre Hilfe) bei UN-Missionen oder von der UN mandatierten Missionen hinzu. Nachdem Einsätze wie UNOSOM (Somalia) und UNAMIR (Ruanda) aufgrund einer nicht durchsetzungsfähigen militärischen Komponente scheiterten, wurden die Missionen zudem mit einem Mandat zum robusten Peacekeeping nach
1 Disarmament Demobilisation Reintegration
Kapitel VII der UN-Charta ausgestattet und somit die Anwendung von militärischer Gewalt über die reine Selbstverteidigung hinaus legitimiert (z.B. UNAMID2 im Darfur/Sudan und die NATO-Mission ISAF in Afghanistan).
Sowohl die Ausweitung der Aufgaben von Friedensmissionen und ihrer militärischen Anteile als auch das militärische Konzept der zivil-militärischen Zusammenarbeit (ZMZ, engl. CIMIC) gefährden seither mehr und mehr die Sonderrolle der humanitären Nichtregierungsorganisationen (NROs; engl. Non-Governmental Organizations, NGOs), welche bis dahin oft die ersten und einzigen Helfer in den von der Weltöffentlichkeit wenig beachteten Krisen und Konflikten waren bzw. noch immer sind.
Die öffentliche Debatte um die Sinnhaftigkeit des Eindringens des Militärs in nicht-militärische Aufgaben wie Wiederaufbau (Schulgebäude, Straßen, Brunnen) und medizinische bzw. (breiter gefasst) „humanitäre“ Hilfe bestimmt seither auch in Deutschland einen wichtigen Aspekt der Diskussion um den Nutzen solcher Militäreinsätze an sich. Die Politik unterliegt dabei allzu oft dem Glauben, dass die Bevölkerung den Einsatz der Soldaten nur dann unterstützt, wenn er im Deckmantel von Wiederaufbauhilfe verhüllt ist.
Humanitäre Akteure wie NGOs (z.B. Ärzte-ohne-Grenzen/MSF, MedAir, OXFAM) und UN-Agenturen (z.B. UNICEF, OCHA, WFP) stehen diesen Entwicklungen eher kritisch gegenüber, da für sie bereits der Begriff „humanitär“ an Prinzipien wie Unabhängigkeit, Neutralität und Unparteilichkeit geknüpft ist, welche der Realität militärischer Einsätze in Krisengebieten widersprechen. Für humanitäre Akteure stellt die Anerkennung durch die lokale Bevölkerung und die Konfliktparteien aufgrund der humanitären Prinzipien den wichtigsten Beitrag zu ihrer Sicherheit und Handlungsmöglichkeit dar, weshalb eine möglichst klare Distanzierung zu militärischen Akteuren und somit auch zu Friedenstruppen gesucht wird.
Im Rahmen dieses komplexen Gefüges zwischen ausländischen Akteuren in Kriegs- und Krisengebieten wird zwar über militärische Einsätze wie z.B. den ISAF-Einsatz der deutschen Bundeswehr in Nordafghanistan bzw. über zivile, humanitäre Einsätze von Nichtregierungsorganisationen in den Medien berichtet, diese Berichte konzentrieren sich jedoch meist auf den entsprechenden Einsatz bzw. auf die notleidende Bevölkerung.
2
3 United Nation-African Union Mission in Darfur International Security Assistance Force
Abb.1: Kinder – Hauptopfer von Armut und Krieg. Li.: Patienten an einer MSF-Klinik im Westdarfur. Re.: Wartende Kinder an einem dt. Feldlazarett in Afghanistan.
FRAGESTELLUNG
Welche Menschen stehen aber hinter den zahllosen kleinen oder großen Hilfsorganisationen, die jeweils ihren Beitrag zur Hilfe für das Einsatzland und seine Bevölkerung leisten wollen? Welcher Mensch verbirgt sich hinter dem Begriff „Soldat im Auslandseinsatz“? Wie werden diese Menschen rekrutiert, ausgebildet, auf den Einsatz vorbereitet und welche Belastungen und Probleme ergeben sich vor, während und nach dem Einsatz? Welche Rolle spielen hierbei klimatische und kulturelle Verhältnisse in wüstenartigen Einsatzgebieten wie dem Darfur bzw. in den extremen Bedingungen Afghanistans (wüstenartige usbekische Ebene bzw. karge, trockene Bergwelt im deutschen Einsatzgebiet im Norden). Diese Fragen können aufgrund ihrer Komplexität und der Vielzahl der täglich in Auslandseinsätzen arbeitenden Menschen nur unzureichend beantwortet werden. Dennoch möchte ich versuchen, meine Erfahrungen im Rahmen von zwei Einsätzen als Sanitätsoffizier der Reserve der Bundeswehr (Beweglicher Arzttrupp, ISAF) und zwei Aufenthalten im Sudan (vier Monate als verantwortlicher Projektarzt mit Ärzte-ohne-Grenzen/MSF im Darfur, drei Monate in Khartum zur wissenschaftlichen Studie über humanitäre Koordination und zivil-militärische Beziehungen im Darfur) darzustellen. Zudem werden ausgewählte Studienergebnisse bzw. Erkenntnisse im Rahmen einer Literaturrecherche herangezogen, welche v.a. über psychische Belastungen von Einsatzpersonal näher Auskunft geben sollen.
ENTSCHEIDENDE FAKTOREN BEI AUSLANDSEINSÄTZEN
Welche Spuren die Belastungen bei Einsätzen ziviler und militärischer Art beim Einsatzpersonal hinterlassen, hängt neben der physischen und psychischen Konstitution des Einzelnen von mehreren Faktoren ab:
1. Wie wurde das Personal rekrutiert und welche Motivation bringt es mit? 2. Welche Ausbildung bzw. Einsatzvorbereitung hat es durchlaufen, wie gut wurde es über die Gegebenheiten im Einsatzland informiert? 3.Betreuung, Herausforderungen und Probleme im Einsatz selbst. 4. Welche Nachsorge erfährt der Einzelne nach dem Einsatz? 5. Belastungen aufgrund der besonderen klimatischen Verhältnisse im
Einsatzland.
Bezüglich Rekrutierung und Motivation des Einsatzpersonales zeigen sich bereits erhebliche Unterschiede zwischen zivilem Personal und Soldaten. Bei NGO-Personal kann im Allgemeinen davon ausgegangen werden, dass sich die jeweiligen Teilnehmer einer Mission freiwillig hierzu entschlossen haben und teils erhebliche Nachteile (geringe Bezahlung, Aufgabe eines sicheren Arbeitsverhältnisses etc.) in Kauf nehmen. Nach Prüfung einer entsprechenden Qualifikation (meist ca. 2 Jahre Berufserfahrung, Fremdsprachenkenntnisse und Reiseerfahrung in Entwicklungsländern), Vorstellungsgespräch und Einsatzvorbereitungskurs (siehe unten) erhält der Bewerber (50% des Einsatzpersonales rekrutiert sich aus „First Missioners“) dabei einen entsprechenden Projektvorschlag (Job-Profile), welchen er allerdings auch ablehnen kann. Neben Hilfspersonal, welches evtl. nur einmalig oder selten an einem entsprechenden NGO-Einsatz teilnimmt, findet sich auch immer wieder der Typus „Mission-Junkie“, der von Einsatz zu Einsatz eilt und wohl in der „normalen“ Arbeitswelt zuhause kaum mehr integrierbar wäre. Aufgrund dieser auf Freiwilligkeit und einer gewissen Wahlmöglichkeit basierenden Rekrutierung kann von einer mindestens anfänglich relativ hohen Motivation und Identifizierung mit dem Einsatz ausgegangen werden. Militärisches Personal (Ausnahme: freiwillige Teilnahme von Reservisten bzw. freiwillige Meldungen von Soldaten zu besonderen Auslandseinsätzen wie z.B. Militärbeobachterposten in UN-Einsätzen) wird in der Mehrheit aufgrund eines entsprechenden Einsatzbefehles in den Auslandseinsatz entsandt, auch wenn finanzielle Anreize durchaus eine gewisse positive Motivation für Soldaten darstellen (z.B. steuerfreier Auslandsverwendungszuschlag in Höhe von 92,03 Euro/Tag bei ISAF, der jedoch neben der – offiziell betonten – Kompensation einer erhöhten Gefährdung alle weiteren Zuschläge wie Überstundenzuschlag
etc. beinhaltet). Die Mehrheit der Soldaten wird jedoch zum ersten Mal unfreiwillig einem Aufenthalt in einem entsprechend unterentwickelten Land entgegenblicken, weshalb der Einsatz mehr aus soldatischer Pflicht und Überzeugung angetreten wird als aus einsatzbezogener Motivation und freier Wahl. Selbst außergewöhnliche Einsätze wie die der deutschen Offiziere als Militärbeobachter im Südsudan (6 Monate in teils nur rudimentären Unterkünften in abgelegenen Gebieten) können nicht ausschließlich auf freiwillige Bewerber zurückgreifen sondern müssen durch mehr oder weniger zum Einsatz genötigtes Personal aufgefüllt werden. Eine gewisse Abenteuerlust werden dennoch etliche Soldaten in sich tragen. Für eine gewisse Vorbereitung auf die Einsätze wird sowohl von Militär als auch von den größeren NGOs eine Teilnahme an entsprechenden Lehrgängen verlangt. MSF bietet neben spezifischen Lehrgängen für Logistiker und Koordinatoren (Basic Management Course, Senior Management Training, Medical Management Course und Logistic Management Course) für alle Erstteilnehmer einen einwöchigen Pre Primary Departure Course (PPD) an. Hierbei stehen die Vorstellung allgemeiner Grundsätze der humanitären Hilfe, Schwerpunkt, Strukturen und Leitlinien der Organisation, die Diskussion über Herausforderungen des Einsatzes und auch praktische Übungen wie Orientierung (Karte & Kompass) und die kurze Simulation einer Geiselhaft auf dem Programm. Eine projektspezifische Vorbereitung geschieht über schriftliches Informationsmaterial zum Einsatzland/-Kontext (Zeitungsartikel, Länderberichte, interne Berichte) und über entsprechende mündliche Briefing-Gespräche vor Abflug ins Einsatzland. Medizinische Tauglichkeit und empfohlener Impfstatus werden obligatorisch geprüft. Die fachliche Qualifizierung des Teilnehmers für seinen zukünftigen Aufgabenbereich kann nur unter Berücksichtigung seiner Vorerfahrung und im gegenseitigen Gespräch festgestellt werden, da eine direkte Prüfung seiner fachlichen Qualitäten natürlich nicht möglich ist. Soldaten werden meist in geschlossenen Verbänden entsandt, wodurch der Ausbildungsstand eines jeden bekannt sein dürfte. Die strenge Normierung innerhalb der militärischen Ausbildung sorgt für eine gute Transparenz bzw. Eignungsfeststellung von Einsatzpersonal, welches außerhalb geschlossener Verbände einem entsprechenden Kontingent zugeordnet wird. Neben einer medizinischen Tauglichkeitsprüfung und ihrer militärfachlichen Ausbildung erhalten alle Soldaten vor dem Ersteinsatz eine spezielle dreiwöchige Einsatzausbildung (Einsatzvorbereitende Ausbildung für Konfliktverhütung und Krisenbewältigung EAKK und Zusatzausbildung ZA-EAKK). Im Rahmen dieser Kurse werden abermals essenzielle Fähigkeiten wie Umgang mit der Handwaffe, Schießübungen, Orientierungs- und Kommunikationsmittel (Funkgeräte, Kompass,
GPS), Massenanfall von Verletzten und Mine Awareness geschult. Das Thema „interkulturelle Kommunikation“ und Vorträge über kulturelle und religiöse Besonderheiten im Einsatzland spielen gerade seit den Missionen im ehemaligen Jugoslawien und Afghanistan eine zunehmend wichtigere Rolle. Fraglich ist allerdings, inwieweit Einsatzpersonal, welches unfreiwillig in einen Einsatz entsandt wird, dazu ermuntert werden kann sich für das Einsatzland und seine Menschen zu interessieren.
HERAUSFORDERUNGEN UND PROBLEME IM HUMANITÄREN EINSATZ Der Einsatzalltag stellt sicherlich den größten Belastungsfaktor für ziviles und militärisches Personal dar. Besondere klimatische Bedingungen, wie sie auch in Afghanistan und im Sudan bzw. Darfur anzutreffen sind, zehren an den Kräften des Einsatzpersonales: extreme Trockenheit und Sonneneinstrahlung sowie ungewohnte Temperaturunterschiede (Tagestemperaturen bis über 45°C, nachts bis unter 10°C). Die Einsatzdauer variiert bei den unterschiedlichen NGOs teils erheblich (wenige Wochen bis ein Jahr). Bei MSF wird normalerweise ein sechsmonatiger Aufenthalt im Projekt erwartet. Nach jeweils 6-8 Wochen (abhängig von der Arbeitsintensität und Schwere des Einsatzes) steht dem Mitarbeiter ein ca. fünftägiger Rest-and-Recreation-Aufenthalt (R&R) zumeist in der Hauptstadt des Einsatzlandes zu, nach weiteren 6-8 Wochen ein einmaliger Urlaub von bis zu drei Wochen (bei sechsmonatigem Einsatz). Da auch im Einsatz das Prinzip der Freiwilligkeit weiterhin gilt, kann der Einsatz nach Rücksprache mit der Projektleitung jederzeit abgebrochen werden. Eine medizinische Betreuung im
Abb.2: Li.: Mit Sandsäcken geschütztes Büro im Projekt. Funk und Satellitentelefon als Verbindung nach „draußen“. Re.: Mittlerweile im Darfur aufgrund der schlechten Sicherheitslage nicht mehr möglich: Transport von Mensch und Material mit MSF-Fahrzeugen.
Projekt ist meist gegeben, eine professionelle psychologische Betreuung hingegen fehlt in der Regel (evtl. Feldbesuche durch einen Psychologen). Der Kontakt in die Heimat wird durch eine Kommunikation per Email und eine vom Mitarbeiter zu bezahlende Nutzung des Satellitentelefons gewährleistet. Ein Internetzugang besteht meist nicht.
Die Herausforderungen in der täglichen Arbeit können unter folgende Stressoren eingeordnet werden:
1.Kultureller Stress: Die Projekte befinden sich meist an sehr entlegenen
Orten; die Mitarbeiter leben in der Regel sehr eng mit der lokalen Bevölkerung zusammen. Zudem müssen sich ausländische Projektmitarbeiter (Expatriates, kurz Expats) im Projekt mit einheimischen Mitarbeitern (Inpats) arrangieren.
2.Team-Stress: Die Teamgröße reicht vom dreiköpfigen Kleinprojekt bis zu großen Projekten bzw. dem Einsatz im Hauptquartier der NGO mit zahlreichen Mitarbeitern. Die Mitarbeiter lernen sich normalerweise erst im
Projekt kennen, wo die Privatsphäre äußerst eingeschränkt sein kann.
Außerdem herrscht auch bei NGOs eine mehr oder weniger strikte Hierarchie und Aufgabenteilung, durch welche z.B. medizinische Mitarbeiter kaum Mitsprache in Sicherheitsfragen haben, auch wenn der damit beauftragte Logistiker oder Projektkoordinator darin vielleicht selbst nicht versiert ist. Die angespannte Lage in Kriegs- und Krisengebieten mit erhöhtem Gefährdungspotential und Limitierungen für das Einsatzpersonal (Ausgangssperren etc.) kann bestehende Spannungen innerhalb des Teams verschärfen.
3.Lebensbedingungen vor Ort: Ungewohnte, teils einseitige Ernährung, rudimentäre Unterkunft, schwierige Trinkwassergewinnung (meist durch
Filterung bei Nutzung von Keramikfiltern), keine geregelte Versorgung mit
Strom und Nutzwasser, fehlendes Sexualleben.
4.Arbeitsstress: Vermutlich unabhängig von der medizinischen Vorerfahrung und Ausbildung wird in entlegenen Projekten (v.a. in Kriegsgebieten) jeder medizinische Helfer seine Grenzen erfahren. Zwar wird seitens der Entsendeorganisation vor allem gegenüber Neulingen immer darauf hingewiesen, dass aufgrund der begrenzten Mittel (Medikamente, OP-Ausrüstung etc.) und dem fehlenden, umfassenden fachlichen Wissen niemals alle zu erwartenden (v.a. medizinischen) Herausforderungen bewältigen werden können. Dennoch wird vor allem medizinisches Personal immer in
Gefahr sein durch die Kombination aus miterlebten Leid und begrenzter
Hilfsmöglichkeit zu verzweifeln. Je nach Personalstärke im Projekt kann die Arbeitsbelastung erhebliche Ausmaße erreichen: tägliche Arbeit ohne
Erholungsphasen, oft auch nächtliche Arbeit bei Notfällen bzw. schlechter
Schlaf durch Umgebungsgeräusche (Nutztiere, Generatoren in der Nachbarschaft etc.). 5.Traumatische Ereignisse: Diese können sich im Rahmen der medizinischen Arbeit (Umgang mit schweren Krankheitsbildern und Verletzungen, mit Schusswunden, Todgeburten, Opfern von Vergewaltigungen oder anderer Gewalt) oder durch die Unsicherheit im Einsatzgebiet ergeben (bewaffnete Überfälle auf NGO-Gelände oder Fahrzeuge, Schusswechsel zwischen
Kriegsparteien, etc.). Gerade im Darfur verschlechterte sich in den letzten
Jahren die Sicherheitssituation für humanitäre Organisationen erheblich.
Claire Colliard (Direktorin des Centers für humanitäre Psychologie in Genf) spricht zudem von ethischem Stress, welcher in manchen Einsatzsituationen entstehen kann (1): „Anyway the humanitarian worker adopts a kind of religion, a vocation, as a humanitarian worker, whatever may be the good or less good reasons for doing so. And this vocation rests upon an ethical choice which, when brought into question by circumstances, may create a dilemma. When this happens not only is the stress physiological, emotional and mental, but also stress which is infrequently recognised – ethical or moral stress. It is this which produces tension between on the one hand the initial idealism and the undue expectations in regard to oneself and one's organisation, and on the other hand the realities in the field, the wear and tear of harassing work and the determined resistance to disillusionment which will inevitably come one day; all leading to a refusal to abandon some fascination with the misery of the world, refusal to see the shady part of humanitarian work or to relinquish the myth which motivates one's action. Whenever humanitarian workers are faced with such tragedy, they would do well to question their scale of values. For some people this will almost be a trial of initiation.“
An diesem „ethischen Stress“ kann ein Helfer zerbrechen, wenn ihm durch die komplexen Umstände im Einsatz das genommen wird, was ihn trotz aller Belastungen die Herausforderungen auf sich nehmen lässt: die Überzeugung damit Gutes zu tun.
Abb.3: MSF-Projekt im Westdarfur. Li.: Improvisierte Versorgung von Schussverletzungen im rudimentären OP-Saal. Re.: Noch sehr leere Tagesklinik am frühen Morgen; an einem Tag werden dort bis zu 150 Patienten versorgt.
WELCHE PROBLEME UND RISIKEN ERGEBEN SICH HIERDURCH FÜR DAS EINSATZPERSONAL?
Hinsichtlich tropenmedizinischer Aspekte ist ein Erkrankungsrisiko in Halbwüsten bzw. Steppen wie denen des Darfur saisonal beeinflusst. Das Malariarisiko steigt während der Regenzeit erheblich an, wohingegen in der Trockenzeit eine deutlich geringere Infektionsgefahr besteht. Die Verwendung von Moskitonetzten wird zwar von den meisten Helfern strikt eingehalten, erfahrungsgemäß wird jedoch auf eine entsprechende Chemoprophylaxe bzw. Repellents während der Trockenzeit gerne verzichtet. Dennoch erscheint das Einsatzpersonal genügend bzgl. der Malariaproblematik sensibilisiert, was im Falle einer Erkrankung eine umgehende medikamentöse Behandlung sehr wahrscheinlich macht. Eine viel größere Problematik stellen gastrointestinale Infekte v.a. aufgrund von Protozoen dar (z.B. Giardia Lamblia). Mangelnde Hygiene der für die Einsatzkräfte tätigen lokalen Köche (Abwasch mit ungefiltertem Wasser, unzureichende Reinigung von Salat und Gemüse etc.) und das Verhalten des Einsatzpersonales selbst (Essen in dörflichen Kochstuben) lassen immer wieder Magen-/Darminfekte aufkommen. Zusammen mit der unzureichenden Nahrungsaufnahme (wegen hoher Arbeitsbelastung) und einseitiger bzw. ungewohnter Ernährung bewirken diese Faktoren einen schleichenden Gewichtsverlust bzw. eine allmähliche physische Schwächung. Leider liegen derzeit keine Statistiken über tropenmedizinische Erkrankungen bei NGO-Mitarbeitern vor. Das Zusammenwirken der oben aufgeführten Stressoren kann zu depressive Verstimmungen bzw. Burnout-Symptomen führen. Eine NGO-interne Studie hat
ergeben, dass 20% des Einsatzpersonals unter Burnout-Symptomen wie Verhaltensveränderungen, abnehmender Leistungsfähigkeit, Vertrauensverlust, Erschöpfung und negativer Weltsicht leidet und nahezu 5% der Rückkehrer im Rahmen eines psychologischen Debriefings unmittelbar an eine psychologische Betreuung verwiesen werden. Die tatsächliche Zahl dürfte allerdings viel höher liegen, da sich das Einsatzpersonal kurz nach der Rückkehr meist in einer euphorischen Phase befindet, welche zunächst negative Nachwirkungen verschleiert („Honeymoon Stage“) (2). Laut einer Studie des Deutschen Entwicklungsdienstes DED hatten 65% des Einsatzpersonales im Entwicklungsdienst ein traumatisches Erlebnis, für 22% bzw. 30% (je nach Diagnosekriterien) mündet dies in eine Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) (3). Interessanterweise zeigen sich weder in Studie (2) noch in Studie (3) Unterschiede zwischen Einsatzneulingen und erfahrenem Einsatzpersonal. Bei humanitären Nothilfeprojekten in Krisengebieten dürfte die Häufigkeit von PTBS ähnliche Werte erreichen. Eine pakistanische Studie zu den Folgen des Erdbebens 2005 stellte bei 12% des untersuchten Personales PTBS und bei weiteren 8% schwere Depressionen fest (4).
Die Einsatzdauer für deutsche Soldaten beträgt derzeit in der Regel vier Monate, wobei bestimmtes Personal auch kürzer (z.B. Ärzte: 2 Monate) oder länger (Sicherheitsexperten, Kommandeure: 6 Monate) im Einsatz verbleiben. Bei einer Einsatzdauer von bis zu vier Monaten verbleibt der Soldat in der Regel durchgehend im Einsatzland. Ein Abbruch bzw. eine Unterbrechung des Einsatzes ist nur aus medizinischen oder psychologischen Gründen oder aufgrund persönlicher Härtefälle möglich. Für eine medizinische Betreuung ist im Rahmen des ISAF-Einsatzes durch ein Feldlazarett am Einsatzort gesorgt, eine psychologische Betreuung wird durch Militärpfarrer und durch ein Psychiater/Psychologen-Team sichergestellt. Gebührenpflichtige Telefonkarten und Internetverbindungen ermöglichen den Kontakt zum Heimatland. Im Vergleich zu den Herausforderungen im Rahmen eines NGO-Einsatzes, stellt sich die Einsatzrealität im Rahmen eines militärischen Einsatzes unterschiedlich dar: Neben einer grundsätzlich verschiedenen Art des Auftrages (humanitäre Arbeit durch NGOs versus militärische Aufgaben der Bundeswehr) bedeutet der Einsatz in Afghanistan für die Soldaten ein Leben in zwei Welten: Das Leben im Feldlager (die Mehrheit der Soldaten verlässt es während ihres Einsatzes kaum oder nie) mit zwar beengten aber dennoch vergleichsweise komfortablen Unter-
künften wie Schlafcontainern oder gemauerten Unterkünften, fließend warmem und kaltem Leitungswasser in Trinkwasserqualität, heimischer Küche mit importierten Lebensmitteln, Betreuungseinrichtungen wie Sportzelt, Volleyballplatz, Bar (mit limitiertem Ausschank von alkoholischen Getränken) und Speisesaal. Während somit im Feldlager ein möglichst „heimatnahes“ Leben angestrebt wird, welches allerdings durch einsatzbezogene Besonderheiten (z.B. die vollständige nächtliche Abdunkelung des Lagers als Schutz vor Raketenangriffen) und einer teils aufreibenden Einsatzbürokratie bestimmt wird, werden die Soldaten beim Außeneinsatz, welcher bei Patrouillen im Hinterland mehrere Tage umfassen kann, umso mehr mit einer Parallelwelt konfrontiert: Hier wird in Notunterkünften (z.B. afghanischen Militärlagern, Polizeistationen oder „Save-Houses“) oder unter freiem Himmel übernachtet, wobei man sich entweder mit den typischen Standard-Verpflegungspaketen oder durch „Camping-Kochen“ versorgt. Ausreichend Trinkwasser wird in den Fahrzeugen mitgeführt, Körperhygiene ist nur sehr eingeschränkt möglich, da selbst das Waschen mit nacktem Oberkörper an Flüssen und Bächen von der afghanischen Bevölkerung kaum toleriert wird. Weitere wichtige Einflussfaktoren: Die afghanische Kultur, der Islam, patriarchalische Stammesstrukturen, die schwierigen Lebensumstände der Afghanen, die eingeschränkte Kommunikationsmöglichkeit mit ihnen, wechselhaft Sympathien der Dorfgemeinschaften gegenüber den ISAF-Soldaten, unerfüllbare Forderungen nach Hilfsprojekten (Brücken, Brunnen, Schulen), Drohgebärden, ein unklares Feindbild, eine nur schwer eruierbare Sicherheitslage mit einer beständigen, mehr oder weniger klar erkennbaren Bedrohung (versteckte Sprengladungen, Selbstmordattentate, Raketenangriffe).
Abb.4: Leben in zwei Welten im ISAF-Einsatz. Li.: Deutsche Standards im Feldlager (hier Speisesaal). Re.: Nachtlager im Rahmen der Patrouillentätigkeit in den Bergen Afghanistan.
Die Soldaten reagieren auf diese äußeren Einflüsse sehr unterschiedlich: teils mit Misstrauen, Distanz, ja sogar Verachtung der lokalen Bevölkerung gegenüber, teils mit der Motivation wirklich helfen zu wollen, was jedoch über die Erkenntnis des „helfen wollen aber kaum helfen können“ in Frustration münden kann. Ungleich mehr als der NGO-Helfer werden Soldaten durch die öffentliche Diskussion und Meinung zum Einsatz im Heimatland beeinflusst. Durch die Konfrontation mit der Einsatzrealität werden Wahrheit und Lüge von Äußerungen seitens der politischen und militärischen Führung zum Einsatz schnell erkannt, wodurch ebenfalls die eigene Motivation in Mitleidenschaft gezogen werden kann. Probleme und Risiken des militärischen Einsatzes weisen Ähnlichkeiten aber auch erhebliche Unterschiede zu zivilen Einsätzen auf. Auf die zunehmende Gefährdung durch Feindeinwirkung bzw. durch das unsichere Verkehrs- und Wegenetz in der afghanischen Bergwelt soll hier nicht eingegangen werden. Tropenmedizinische Erkrankungen wie kutane Leishmaniose, Malaria und Giardia-Infektionen stellen innerhalb der deutschen Truppen in Nordafghanistan bis auf sporadische Fälle laut Bundeswehrangaben kein Problem dar. Aufgrund des engen Zusammenlebens mehrerer hundert Soldaten im Feldlager treten allerdings gehäuft virale Durchfall- und Erkältungskrankheiten auf. Zudem sind Fußpilzerkrankungen, Akne vulgaris und Sonnenbrand ein Problem. Trotz Tropenkleidung und Wüstenstiefel trägt der Soldat meist verschwitzte Kleidung, das Tragen der ca. 16 kg schweren Schutzweste leistet hierzu ihren Beitrag. Häufig treten auch Beschwerden wie Muskelverspannungen und Lumbalgien auf, welche wohl ebenfalls auf die schwere Ausrüstung (Schutzweste, Waffen) und lange Fahrten in sehr unwegsamen Gelände zurückzuführen sind. Psychische Probleme wie PTBS und depressive Verstimmungen spielen seit dem zunehmenden Engagement der Bundeswehr eine nicht zu vernachlässigende Rolle. Die Häufigkeit von PTBS im Rahmen des ISAF-Einsatzes ist mit ca. 1,5% relativ niedrig (5), eine neuere Studie über 118 deutsche Soldaten, welche im Jahre 2005 in Afghanistan stationiert waren, zeigte einsatzbezogene PTBSRaten zwischen 0,8% und 2,5% (abhängig vom Fragebogenverfahren) (6) und somit lediglich Werte im Rahmen der Lebenszeitprävalenz der Allgemeinbevölkerung in Deutschland (7). Allerdings stieg die Anzahl der PTBS-Fälle unter den deutschen ISAF-Soldaten im Jahre 2007 im Vergleich zu den 55 Fällen im Vorjahr auf mehr als das Doppelte an (130 Fälle) - neben der Tatsache, dass die PTBS-Rate im Rahmen von ISAF (130 Fälle bei einer stationierten Truppenstärke zwischen 3200 und 3500 Mann) wesentlich höher war als z.B. im KFOREinsatz4 (2007: 12 Fälle bei einer Truppenstärke von ca. 2800 Mann) (Bundes-
4 Kosovo Force
wehrinterne Angaben). Von 1996 bis 2006 wurden insgesamt 671 PTBS-Fälle innerhalb der Bundeswehr registriert (8). Die wachsende Bedrohung der deutschen ISAF-Truppen durch Anschläge feindlicher Kräfte lassen durch eine zunehmende Wahrnehmung der Gefährdung und dem Miterleben von Anschlägen bzw. Anschlagsversuchen die Fallzahlen für PTBS weiter steigen. Laut Studie (6) wiesen außerdem rund 19,5% der deutschen ISAF-Soldaten nach ihrer Rückkehr depressive oder dysthyme Symptome auf, bei 15% ergaben sich Hinweise auf ein Alkoholproblem. Auch in den US-Streitkräften stiegen die PTBS-Fallzahlen im Jahre 2007 im Vergleich zum Vorjahr um 50% an (14.000 Fälle 2007 bzw. 9.500 Fälle 2006); seit 2003 wurden ca. 40.000 PTBS-Fälle verzeichnet (9). Die Zunahme ergibt sich aber auch aus einer besseren Erfassung der PTBS-Fälle. Zudem zeigte sich, dass die PTBS-Prävalenz bei Mehrfacheinsätzen von ca. 12% (nach Ersteinsatz) über 18,5% (Zweiteinsatz) auf 30% (Dritt-/Vierteinsatz) ansteigt (10).
Abb.5: Einsatzland Afghanistan. Li.: Die für den heißen Sommer taugliche Tropenkleidung eignet sich weniger für den afghanischen Winter. Re.: Für die meisten Soldaten stellt der Einsatz die erste Konfrontation mit einer völlig fremden Kultur dar.
Eine Erkrankung vergleichbar mit der des Burnout-Syndroms bei humanitären Helfern (siehe oben) dürfte derzeit bei deutschen ISAF-Soldaten dennoch geringer ausgeprägt sein. Für ausreichende Ruhephasen bei Arbeiten im Feldlager oder vor bzw. nach Außeneinsätzen ist in der Regel gesorgt und das Leben zusammen mit vertrauten Kameraden bietet einen gewissen Schutz. Ein negativer Nebenaspekt des Vorteiles einer guten Infrastruktur im Lager (Telefon, Internet) ergibt sich aus der Tatsache, dass hierdurch manche Soldaten stärker mit Problemen von zuhause in Kontakt bleiben und diese sozusagen in den Einsatz mitnehmen, ohne sich ausreichend um sie kümmern zu können. Häufig ergeben sich im Ein-
satz auch Beziehungsprobleme, auf welche der Soldat aus der Ferne ebenfalls kaum reagieren kann; Repatriierungen werden bei entsprechender psychischer Belastung jedoch durchgeführt. Leider kamen bereits Selbstmorde (auch deutscher Soldaten) im ISAF-Einsatz vor, wobei diese im Gegensatz zu Todesfällen durch Anschläge nicht an die Öffentlichkeit gelangen. Bei der US-Armee stellen Selbstmorde im Einsatz ein erhebliches Problem dar. Im Jahre 2007 wurden 115 Fälle verzeichnet, für 2008 wird eine noch größere Fallzahl erwartet (11). Eine Suizidproblematik im Rahmen von NGO-Einsätzen ist mir hingegen nicht bekannt.
DEBRIEFING/NACHSORGE
Sowohl bei Bundeswehr als auch bei größeren NGOs ist nach definiertem Zeitabstand im Anschluss an einen Auslandseinsatz eine entsprechende Tropenrückkehreruntersuchung zu durchlaufen. Bei Ärzte-ohne-Grenzen muss außerdem noch ein allgemeines und psychologisches Debriefing an der entsendenden MSF-Zentrale stattfinden. Obwohl man auch einige Zeit nach dem Einsatz nochmals durch ein Mitglied eines Einsatzrückkehrer-Netz-werkes kontaktiert wird, besteht dennoch die Gefahr, dass NGO-Mitarbeiter nach ihrer Rückkehr die erlebten Probleme und Belastungen nur unzureichend ver-arbeiten können bzw. das meist neue (Arbeits-) Umfeld mögliche Persönlichkeitsveränderungen nicht wahrnimmt. Bei Soldaten besteht hingegen die Hoffnung, dass sie im Kreise der Kameraden, welche evtl. sogar im selben Einsatzkontingent dienten, aufgefangen und so chronische psychische Störungen leichter erkannt werden können. Fachabteilungen an Bundeswehrkrankenhäusern (Abteilung Psychiatrie und Psychotherapie des Bundeswehrkrankenhauses Hamburg) und Selbsthilfegruppen tragen sicherlich zu einer besseren Thematisierung der Problematik bei. Ein guter sozialer Rückhalt zuhause und im Einsatz sowie die Begleitung des Partners in den Einsatz (meist nicht möglich) stellt laut Studie (3) einen wichtigen protektiven Faktor gegen psychische Erkrankungen im Einsatz dar. Kritisch ist hierbei anzumerken, dass manche Hilfsorganisationen in den ersten ein bis zwei Einsätzen eines Mitarbeiters eine gemeinsame Projektteilnahme zusammen mit einem entsprechend fachlich einsetzbaren Lebensgefährten oft nicht dulden; im Rahmen von militärischen Einsätzen ist ein gemeinsamer Auslandseinsatz nur in Ausnahmefällen bei Soldatenpaaren möglich. Die Dunkelziffer einsatzbedingter psychischer Störungen dürfte bei zivilem und militärischem Personal deutlich höher liegen als die in Studien festgestellten Zahlen, da das Eingeständnis einer vermeintlich stigmatisierenden psychischen Störung deutlich schwerer fällt als das einer somatischen Erkrankung.
SCHLUSSFOLGERUNGEN
Klimatische Bedingungen spielen bei Einsätzen in wüstenartigem Klima wie denen im Darfur oder in Afghanistan eine eher untergeordnete Rolle, da sowohl zivile als auch militärische Einsatzkräfte meist über eine entsprechende Ausrüstung und Versorgung verfügen. Lediglich NGO-Mitarbeiter in entlegenen Gebieten haben mit einer schwierigen Lebensmittel- und Trinkwasserversorgung und entsprechend einseitiger Ernährung zu kämpfen. Tropisches Klima (hohe Temperatur und Luftfeuchtigkeit) mit einem höheren Risiko hinsichtlich tropenmedizinisch relevanter Erkrankungen durch höhere Vektorenlast (Mücken etc.) dürfte sich belastender auswirken als Wüstenklima. Psychische Erkrankungen wie Depressionen, Burnout und posttraumatische Belastungsstörungen sind in schwierigen Einsätzen neben einer direkten Gefährdung durch die Sicherheitslage von großer Bedeutung. Nach eigener Erfahrung sind die Belastungen in einem NGO-Einsatz (hohe Arbeitslast, schwierige Lebensbedingungen, ethischer Stress, traumatische Erlebnisse) und einem militärischen Einsatz (traumatische Erlebnisse, Gefährdung, fehlende Eigenmotivation, fragliche Sinnhaftigkeit des Einsatzes, öffentliche Debatten und teils falsche Darstellung der Einsatzrealität im Heimatland) zwar unterschiedlich dominiert, die daraus folgenden depressiven Symptome zeigen jedoch bei militärischen und zivilen Einsätzen ähnlich hohe Prävalenzen von ca. 20%. PTBS-Raten von NGO-Mitarbeitern ähneln denen von Soldaten in Kampfeinsätzen (z.B. US-Soldaten in Afghanistan und Irak), deutsche Soldaten in Afghanistan sind bei steigender Tendenz jedoch derzeit noch wenig betroffen. Im Rahmen von NGO-Einsätzen könnten zur Vermeidung eines Burnout-Syndroms besonders belastete Projektstandorte mit mehr Personal und zahlreicheren bzw. längeren Rest-and-Recreation-Phasen für die Mitarbeiter ausgestattet werden. Eine Einsatzdauer von vier Monaten (ohne Urlaub) der deutschen Soldaten bzw. sechs Monaten (mit Unterbrechung durch einen Urlaub) von NGOArbeitern oder deutschen UN-Militärbeobachtern erscheint vertretbar. Die extrem langen Einsätze der US-Soldaten (12-15 Monate) in noch gefährlicheren Gebieten entsprechen sicherlich nicht psychologischen Erkenntnissen und sind daher sehr fragwürdig. Es muss angestrebt werden, einsatzbedingte psychische Erkrankungen zu entstigmatisieren und eine bessere Beachtung und Aufklärung vor, während und nach dem Einsatz zu gewährleisten. Vor allem im zivilen Sektor sind kostenlose und anonyme Beratungsstellen und Telefon-Hotlines sinnvoll, da die Betroffenen sich diesen vermutlich eher anvertrauen als den Mitarbeitern der Entsende-organisation. Auch eine engere Zusammenarbeit zwischen zivilen und militärischen PTBS-Experten und Beratungsstellen wäre wünschenswert sowie
weitere, breiter gefasste Studien über psychische Erkrankungen im Rahmen ziviler Auslandseinsätze. Allerdings lohnen sich diese Studien bzw. Befragungen von Einsatzrückkehrern nur, wenn die Entsendeorganisationen bzw. das Militär auch bereit sind, die entsprechenden Konsequenzen daraus zu ziehen.
Abb.6: Der Hindukusch: Unterwegs über den Salang-Pass (3400m) Richtung Kabul.
LITERATUR
(1) Colliard, C.: Ethical stress and humanitarian action: Burn-out for ethical reasons. Online verfügbar unter: http://www.humanitarian-psy.org/pages/articles_details.asp?id=12
(2) Vertrauliche Studie einer NGO, dem Autor vorliegend (2006)
(3) Bosse, B.J.: Traumatischer Ereignisse und deren Folgen für das Auslandspersonal des Deutschen Entwicklungsdienstes. DED interne Studie, dem
Autor vorliegend (2002)
(4) Paracha, N.R.: Psychological well-being and coping mechanisms of volunteers and aid workers in post-disaster situations. Online verfügbar unter: http://www.sungi.org/uploads/psychologicalwell-beingofaidworkers.pdf (2006)
(5) Zimmermann, P., Biesold, K.H., Barre, K., Lanczik, M.: Long-Term Course of Post-Traumatic Stress Disorder (PTSD) in German Soldiers: Effects of Inpatient Eye Movement Desensitization and Reprocessing Therapy and
Specific Trauma Characteristics in Patients with Non-Combat-Related
PTSD. Military Medicine. 172, 456-460 (2007)
(6) Hauffa, R., Brähler, E., Biesold, K.H., Tagay, S.: Psychische Belastungen nach Auslandseinsätzen. Erste Ergebnisse einer Befragung von Soldaten des Einsatzkontingentes ISAF VII. Psychother Psych Med, 57, 373-378 (2007)
(7) Maercker, A., Forstmeier, S., Wagner, B., Glaesmer, H., Brähler, E.: Posttraumatische Belastungsstörungen in Deutschland. Ergebnisse einer gesamtdeutschen epidemiologischen Untersuchung. Nervenarzt 79, 577586 (2008)
(8) Zahlen online verfügbar unter: http://www.bundeswehr.de * Einsatz *Vorbereitung * Psychologische Betreuung * FAQ
(9) Jelinek, P.: 40,000 US Solders With PTSD. Online verfügbar unter: http://healthandsurvival.com/2008/05/27/40000-us-soldiers-with-ptsd/ (2008)
(10) U.S. Soldiers Experience Increased Rates Of Depression, PTSD On Third,
Fourth Tours In Iraq, Study Finds. Online verfügbar unter: http://www.medicalnewstoday.com/articles/99981.php (2008)
(11) Zoroya, G.: VA report: Male U.S. veteran suicides at highest in 2006. Online verfügbar unter: http://www.usatoday.com/news/military/2008-09-08-Vet-suicides_N.htm (2008)
WEITERFÜHRENDE INTERNETSEITEN:
www.angriff-auf-die-seele.de (Hilfe für Soldaten) www.ncptsd.va.gov (US National Center for Posttraumatic Stress Disorder) www.humanitarian-psy.org (Centre for Humanitarian Psychology/Genf)
Gernot Brauchle, Claudia Eitzinger, Harald Stummer
Zur gesellschaftlichen Auseinandersetzung mit psychischen Traumatisierungen im historischen Kontext
The social discourse with traumatic experience – a historical survey
SUMMARY
Over the past few years a new standard in psychological first aid in primary care has been established. However, these psychological intervention for people with traumatic experiences are not a new concept. Its historical roots with all its disruptions, alterations and shifts can be traced back in history to the last century. One can observe, that the definition of traumatic experience and its treatment is associated with specific political and social conditions. Medical and psychological knowledge of psychic trauma as well as psychiatric diagnosis have been and still are influenced by society and its needs. That raises the question how society influences knowledge and the ideas of treatment of traumatic experiences and which are the blinds spots today.
Keywords: Posttraumatic stress disorder, PTSD, disaster helpers, traumatic neurosis, dissociation
ZUSAMMENFASSUNG
In den letzten Jahren hat sich besonders im Bereich der Erstversorgung von Unfallopfern ein zusätzlicher neuer Standard im Bereich der psychischen Ersten Hilfe etabliert. Diese so genannten notfallpsychologischen Interventionen sind jedoch keine „Erfindung“ des 20. Jahrhunderts, sondern lassen sich ihrer Entwicklungsgeschichte mit Veränderungen, Brüchen und Blindstellen, besonders in den letzten 100 Jahren nachzeichnen. Wie sich dabei zeigt, ist die allgemeine Diagnose einer psychischen Traumatisierung und deren Behandlung direkt von gesellschaftlichen Rahmenbedingungen beeinflusst. Das bedeutet, dass medizinische und psychologische Modelle psychischer Traumatisierung und deren Behandlungsformen auch als gesellschaftlich verformtes Wissen betrachtet wer-
den müssen und nicht als Stand wissenschaftlicher Erkenntnis zu sehen sind. Dies wirft die Frage auf, welche gesellschaftlichen Überformungen heute den Bereich der notfallpsychologischen Interventionen prägen und inwieweit Notfallpsychologie und Krisenintervention „blinde Flecken“ aufweisen. Schlüsselwörter: Posttraumatische Belastungsstörung, PTBS, Einsatzkräfte, traumatische Neurose, Dissoziation
EINLEITUNG
In den letzten Jahren hat sich besonders im Bereich der Erstversorgung von Unfallopfern ein zusätzlicher neuer Standard im Bereich der psychischen Ersten Hilfe etabliert. Diese so genannten notfallpsychologischen Interventionen sind aber keine „Erfindung“ des 20. Jahrhunderts, sondern lassen sich in ihrer Entwicklungsgeschichte mit Veränderungen, Brüchen und Blindstellen, besonders in den letzten 100 Jahren nachzeichnen. Wie sich dabei zeigt, ist die allgemeine Diagnose einer psychischen Traumatisierung und deren Behandlung direkt von gesellschaftlichen Rahmenbedingungen beeinflusst. Das bedeutet, dass medizinische und psychologische Modelle psychischer Traumatisierung und deren Behandlungsformen auch als gesellschaftlich verformtes Wissen betrachtet werden müssen und nicht als Stand wissenschaftlicher Erkenntnis zu sehen sind. Dies wirft die Frage auf, welche gesellschaftlichen Überformungen heute den Bereich der notfallpsychologischen Interventionen prägen und inwieweit Notfallpsychologie und Krisenintervention „blinde Flecken“ aufweisen (1). Die Festlegung eines Zeitpunktes des Beginns der Geschichte psychischer Traumatisierung ist aus der Sicht historischer Wissenschaft problematisch. Es mutet fast willkürlich an, wenn das 19. JH in Europa als ihr Beginn festgesetzt wird, da bereits Beschreibungen über das Erleben und Bewältigen von Kriegstraumata in der Ilias bei Homer (2), über Reaktionen auf Katastrophen in der sumerischen und griechischen Kultur (3) und nach dem großen Feuer in London, anno 1666 (4) oder von Langzeitverschütteten in den Italienischen Alpen, 1755 (5) vorliegen. Dennoch scheint eine Formation und Transformation der Geschichte psychischer Traumatisierung mit dem 19. JH zutreffend, da sich in diesem Jahrhundert in Europa differenzierte und einflussreiche Diskurse über psychische Traumatisierungen entwickelten. Diese Diskurse lassen sich jedoch keiner einzelnen Sinn gebenden Subjektivität zuschreiben oder in eine historische Gesamtentwicklung eingliedern. Sie entwickelten sich in den unterschiedlichen westeuropäischen Räumen mit differenter Geschwindigkeit, auf Grund jeweils eigener Problemstellungen und hinsichtlich spezifischer Ziele. Dennoch sind auch Referenzen und Überschneidungen festzustellen. Im Sinne der geschichts-wis-
senschaftlichen Konzeption, die Deformationen, Transformationen, Brüche und variable Ordnungen aufzeigen will (6), wird hier auf den üblichen „roten Faden“ der Geschichte bewusst verzichtet. Es werden die wesentlichen Teile der Geschichte der Thematisierung traumatischer Folgen in ihrem komplexen Netzwerk von Ähnlichkeiten, verkürzt dargestellt. Es soll auch deutlich werden, dass keine durchgehende Akkumulierung von Wissen im Zusammenhang mit traumatischen Ereignissen, ihren Auswirkungen und ihrer Behandlung in den letzten 150 Jahren erfolgte. Ähnlich wie Reaktionen auf traumatische Erlebnisse, entwickeln sich Wissen und Behandlungsmöglichkeiten, verändern sich diese durch externe Einflüsse, werden verdrängt und vergessen und tauchen an anderer Stelle in modifizierter Form wieder auf. Dieses komplexe „Entdecken“ und „Verleugnen“ im Europa des 19. JHs soll anhand von wenigen entscheidenden Diskursen dargestellt werden. So sind vor allem vier wesentliche Felder zu nennen, die die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Thema der psychischen Traumatisierung beeinflusst, vorangetrieben und verleugnet haben: die steigende Anzahl gerichtlicher Kompensationsklagen auf Grund nervöser Symptome nach Eisenbahnunglücken in England, die staatliche Verankerung der Unfallversicherung in Deutschland und die damit einhergehenden Probleme der psychiatrischen Beurteilung psychischer Folgeerkrankungen nach Industrieunfällen, die epidemische „Produktion“ von Kriegstraumatisierten durch den ersten Weltkrieg und die rigorose Verleugnung der Kriegsneurosen sowie die wegweisenden Erkenntnisse über dissoziative Phänomene durch Janet.
VON NERVÖSEN SYMPTOMEN ÜBER DAS EISENBAHNRÜCKGRAD-SYNDROM ZUR TRAUMATISCHEN NEUROSE
Im viktorianischen England des 19. JH galt die technische Progression, vorangetrieben durch die Dampfmaschine, als Maß für ökonomischen und sozialen Fortschritt. Symbol und äußerlich sichtbares Zeichen dieser technischen Revolution war die Eisenbahn, mit ihren weithin sichtbaren Rauchschwaden, die sich quer durch Städte und Länder zog, mit der Errichtung von bestaunten Viadukten und dem gesellschaftlichen Leben an Bahnhöfen. Sucht man hingegen ein Sinnbild für den Diskurs psychischer Traumata, findet man dieses in der schockierenden Gewalt und Grausamkeit von Eisenbahnunglücken. Obwohl im Vergleich zur Eisenbahn Schiffs- und Grubenunglücke wesentlich mehr Tote pro Jahr in England forderten, waren es vor allem Eisenbahnunglücke, die ins Bewusstsein der Bevölkerungen drangen. Dies hatte zwei wesentliche Gründe: 1) gefährliche Arbeitsplätze, die seit Generationen immer wieder Menschenleben forderten, wie in der Schifffahrt oder der Kohleindustrie,
waren seit langem ein Teil der Kultur. Jeder der dort Arbeit fand, war sich auch der Gefahren bewusst, die sich mit diesen Berufen verbanden. 2) Unglücke in diesen Bereichen betrafen nur einen Teil der Bevölkerung bzw. räumlich begrenzte Gebiete. Nur Grubenarbeiter waren betroffen und nur Gemeinden, deren Bevölkerung hauptsächlich mit Bergbau zu tun hatte trauerten. Aber Zugsunglücke geschahen in öffentlichen Regionen. Sie fanden in Städten, Dörfern oder am Land statt und betrafen alle Schichten von Menschen, die die Eisenbahn benützten: Arbeiter, Angestellte, die Oberschicht. Sie betrafen Menschen auf ihrem Weg zur Arbeit oder auf ihrem Weg zu einer Vergnügung. Das Eisenbahnunglück als Ereignis war somit keine Ursache „individueller Erfahrung“ oder begrenzter Gebiete, sondern eine öffentliche, kollektive traumatische Erfahrung (7). Mit der Zunahme von Eisenbahnunglücken veränderte sich deshalb die gesellschaftliche Sichtweise auf diese: von einem anfänglichen „tragischen Unglück der neuen Technologie“ hin zu einem kollektiven traumatischen Ereignis im Alltag der modernen, mechanisierten Industriegesellschaft. Gleichzeitig zeichneten sich Eisenbahnunglücke, im Vergleich zu bekannten Gefahrenquellen, durch eine Willkür des Todes aus. Waren im Bergbau und der Schifffahrt alle oder ein großer Teil der Mannschaften durch den Tod betroffen, so schien es, als wählte der Tod bei einem Eisenbahnunglück nur Einzelne aus. Während Personen, die vor einem oder neben einem saßen, beim Unglück schwer verletzt oder getötet wurden, konnte man selbst unverletzt überleben. Die Grausamkeit des Überlebens, die ausschließlich mit dieser neuen Errungenschaft der Eisenbahn verknüpft zu sein schien, zeigte entsprechend ihre Wirkungen bei den Überlebenden und brachte „nervöse Symptome“ bei diesen mit sich (8). Ab Mitte des 19. JH war der medizinische Diskurs über Traumata bzw. traumatische Störungen entscheidend durch die steigende Anzahl von Eisenbahnunglücken geprägt. Die medizinische Wissenschaft, vor allem englische Chirurgen, die in die Behandlung von Überlebenden nach Eisenbahnunfällen eingebunden waren, sahen sich einem neuen erklärungsbedürftigen Phänomen gegenüber. Unverletzte und physisch gesunde Überlebende zeigten eine Reihe von physischen Beschwerden, die augenscheinlich mit dem Unglück in Verbindung standen. Englische Chirurgen sahen die Ursache in den erheblichen Erschütterungen des Aufpralls beim Unglück und damit verbundenen, nicht sichtbaren Verletzungen am Rückenmark. Die Läsionen des Rückenmarks waren ihrer Meinung nach Auslöser für die späteren physischen Symptome. Somit erhielt die „neue Erkrankung“ den Namen „Eisenbahn-Rückgrat-Syndrom“ (railway-spine; 9). Als einflussreichster Vordenker dieser These galt John Erichsen, der den Diskurs mit seinen Arbeiten zum Eisenbahn-Rückgrat-Syndrom über 30 Jahre in England beherrschte. Er selbst spekulierte zwar in seinen späteren Schrif-
ten, ob nicht auch psychologische Faktoren, wie emotionaler Schock oder Schreck eine zeitweilige Beeinträchtigung der mentalen Fähigkeiten des Gehirns bewirken und damit einen Verlust der Kontrolle über das nervöse System mit bedingen (10) könnten. Dennoch waren für Erichsen die physiologischen Faktoren für die Symptombildung vorrangig. Nicht alle waren jedoch von einer reinen physiologischen Ursache als Auslöser für die Symptome überzeugt. Vor allem auf Grund der Beobachtung, dass ausreichend Schlaf nach dem traumatischen Ereignis eine Symptombildung verhindern bzw. abmildern konnte, stellte der Chirurg Herbert Page die dominierende Erklärung in Frage. 1883 veröffentlichte er eine eigene Theorie zum Eisenbahn-Rückgrat-Syndrom. In seiner Arbeit stellte er das Modell Erichsens auf den Kopf. Nicht mehr kleinste Läsionen des Rückgrates, im Zusammenwirken mit psychologischen Faktoren, waren Ursache der Erkrankung, sondern ausschließlich die psychologischen Effekte des traumatischen Ereignisses wurden als verantwortlich für spätere nervöse Symptome angesehen. Page sah in der erlebten Angst beim Unglück das primäre Element für eine physische - möglicherweise sogar chemische Veränderung des nervösen Systems - und der damit einhergehenden Störungen. Sein Modell, das gänzlich ohne organische Ursachen auskam und bereits Parallelen mit dem späteren Konzept der Hysterie Charcots aufwies, erhielt den Namen „general nervous shock“ (10). Obwohl beachtet und diskutiert, setzte sich dieses Modell im medizinischen Diskurs des 19. JH aber nicht durch. Zu dominant war die generelle Ausrichtung der Medizin und der wesentlichen wissenschaftlichen Akteure auf die Physis. Mit dem Ausbau des Eisenbahnwesens und der damit einhergehenden Zunahme der Unfälle stiegen die - zumeist erfolgreichen - Kompensationsklagen gegen die Eisenbahngesellschaften. Da die beklagten Verletzungen nervösen Charakter hatten, erst verspätet auftraten und augenscheinlich kein organischer Schaden vorlag, war ein Betrug durch die Kläger nicht auszuschließen. Um dem rapiden Anstieg und den immer höher werdenden Kompensationszahlungen entgegen zu wirken, wurden Ärzte erstmals umfangreich von den Eisenbahngesellschaften als Gutachter bei Gerichtsprozessen beigezogen. Sie sollten, in Verbindung mit Privatermittlern, über die tatsächlichen Störungen und die Rechtmäßigkeit der Rentenansprüche entscheiden. Der Umstand aber, dass Ärzte damit in den Ruf von Handlangern der Eisenbahngesellschaften gerieten und damit ein Schaden am Image des Arztstandes drohte, führte zu einigen eindringlichen Aufrufen in medizinisch einflussreichen Zeitschriften, mehr gesicherte Erkenntnisse in Bezug auf das Eisenbahn-Rückgrat-Syndrom bereit zu stellen (11). Der Anstieg an Fallbeschreibungen, theoretischen Diskussionsbeiträgen und Erklärungsversuchen blieb aber nicht nur auf die medizinische Wissenschaft
beschränkt. Auch in den Bereichen der Rechtssprechung, der neuen sozialen Politik sowie im Versicherungswesen, fanden die Diskussionen ihren Niederschlag in den entsprechenden Fachzeitschriften. Dies deutet auch an, dass nicht nur die wissenschaftliche Suche nach der Ätiologie traumatischer Erlebnisse und deren medizinischer Behandlung einen bedeutenden Einfluss auf die Geschichte traumatischer Störungen hatte. Einflüsse resultieren auch aus den juristischen und ökonomischen Problemlagen von Behandlungskosten und Abfindungskosten, mit denen sich die modernen Staaten nach der Französischen Revolution konfrontiert sahen. In Deutschland – aber auch anderen europäischen Staaten - zeichneten sich nach der Französischen Revolution enorme soziale Veränderungen ab. Im Jahr 1884 wurde nach erbitterten Kämpfen der Arbeiterklasse, die Unfallversicherung eingeführt. Diese weitreichende Entscheidung transformierte den neuen modernen Staat Deutschland in eine Art „Versicherungsgesellschaft“ und veränderte damit auch die Konzeption des Unfalls für die Überlebenden und die Wissenschaft der Medizin. Für Unfallopfer bestand nun erstmals die Möglichkeit, neben der Wiederherstellung der körperlichen Gesundheit auch die Abgeltung psychische Leiden vor Gericht geltend zu machen. Dazu wurden von den Gerichten ärztliche Sachverständige bestellt, die die Aufgabe hatten festzustellen, inwieweit ein Unfall eine ausreichende Bedingung für psychische Symptome sein konnte, wie groß das Leiden der Opfer war und welche Zahlungen für dieses Leiden angemessen waren. Die wissenschaftliche Beurteilungsgrundlage für ärztliche Sachverständige wurde 1889 von Hermann Oppenheim, einem einflussreichen Neurologen, publiziert. Sein Konzept der traumatischen Neurose sah eine medizinisch begründete Rechtfertigung einer Kompensationsleistung für traumatische Neurosen vor und wurde in der psychiatrischen Wissenschaft weithin anerkannt (12). Die terminologische Änderung als „traumatische Neurose“, anstelle der Bezeichnung „Eisenbahn-Rückgrat-Syndrom“, kennzeichnete auch einen Wechsel in der ätiologischen Auffassung. Nicht mehr Läsionen im Zentralnervensystem wurden für die Symptome verantwortlich gemacht, sondern zerebrale funktionelle Störungen auf molekularer Ebene wurden als Ursache angesehen. Da Oppenheims Auffassung weithin anerkannt war und das Reichsversicherungsamt sich auf die Expertise von Medizinern stützte, waren vor allem in den ersten Jahren eine Reihe von erfolgreiche Klagen bei Gericht zu verzeichnen. Damit kann festgestellt werden, dass bereits am Ende des 19. JH, in England und Deutschland, traumatische Störungen als Folge von Unglücken schon einen breiten Raum im medizinisch-juristischen Diskurs einnahmen: vom Eisenbahn-Rückgrat-Syndrom bis hin zur traumatischen Neurose (13).
VON DER RENTENNEUROSE ZUR RENTENKAMPFNEUROSE
Auf Grund der medizinischen Diagnostik und der gerichtlichen Klagen waren traumatische Neurosen, in ihren mannigfachen Formen, weithin bekannte Störungen. Dieses Wissen, verknüpft mit den Erfahrungen von Eisenbahnunfällen und den Arbeiten Oppenheims, veranlasste Ärzte, die entstehenden nervösen Leiden auch auf Industrieunfälle (14) zu übertragen. Ihnen gemeinsam war die allgemeine Ätiologie: der wesentliche Grund der Beschwerden lag in einer Art physischem und emotionalen Schock. Infolgedessen erscheint es folgerichtig, dass nach der Einführung der Unfallversicherung 1884 in Deutschland eine zunehmende Anzahl von Kompensationsklagen, auf Grund von traumatischen Hysterien, Neurasthenien und Hypochondrien nach Unglücken aber auch nach Unfällen, die Versicherungen und Gerichte beschäftigten. Die Versicherungen aber betrachteten die vor Gericht vorgebrachten nervösen Störungen in ihrer mannigfachen Gestalt eher als Massensimulation. Die so genannte Rentenneurose, wie Kritiker diese Störungen ab ca. 1900 allgemein bezeichneten, war den Versicherungsgesellschaften zufolge ein bekannter Versuch der Arbeiterklasse, den Anspruch einer lebenslangen Rente zu erwerben und sich damit der Arbeit zu entziehen. Demzufolge versuchten Versicherungen rigoros, Kompensationszahlungen für arbeitsscheue Subjekte zu verhindern. Dennoch war es auf Grund von Präzedenzfällen bei Eisenbahnunfällen und der Anerkennung der traumatischen Neurose als Erkrankung durch das Reichsversicherungsamt nicht möglich, alle Kompensationsforderungen abzuweisen. In den folgenden Jahren wurden deshalb erbitterte gerichtliche Auseinandersetzungen über die Aufrichtigkeit nervöser Symptome bei Klägern geführt. Letztendlich wurden auch die langjährigen Klagen selbst zur traumatischen Erfahrung für Kläger und zum Gegenstand von Klagen für auftretende Störungen. Da die so genannten Rentenkampfneurosen durch das Reichsversicherungsamt aber nicht anerkannt wurden, verschwanden sie schließlich als Diagnose (15) aus dem medizinischen Diskurs und aus den Gerichtssälen.
KRIEGSNEUROSEN
Die Kriegseuphorie vom August 1914 verlockte Hunderttausende dazu, sich kriegsfreiwillig zu melden. Mit dem angekündigten Krieg verbunden war die Aussicht ein Abenteuer und Gemeinschaft zu erleben sowie Weltgeschichte zu schreiben. Doch die Wirklichkeit des Krieges, mit den Schrecknissen der schweren Artillerie, des Stellungskampfes, den Granaten, Schrapnells und Maschinengewehren, der Gewalt von Explosionen, zerfetzter und verschütteter Menschen und der ständigen Möglichkeit der eigenen Verletzung und Tötung verüb-
te eine zerstörerische Wirkung auf die Psyche der Kriegsfreiwilligen. Scheinbar ohne körperlichen Befund zeigten „Kriegszitterer“ Lähmungen, Aphasien, Sehoder Gehörstörungen oder hatten Anfälle von Schmerz und Raserei für die keine organische Ursache gefunden werden konnte. Die Vorschläge der Psychiater zur Ätiologie, deren kriegswichtiges Ziel die schnelle Bereitstellung von Kampfkraft war, waren vielfältig. Sie bewegten sich zwischen arglistiger Simulation, hysterischer Übertreibung, Willensschwäche, Zweckneurose und neurasthenischer Erschöpfung durch Extrembelastung oder minderwertige Anlagen (16). Therapiert wurden diese seelischen Ausfallserscheinungen durch hypnotische Suggestion, Misshandlung, offene Drohung und mithilfe der so genannten „Kaufmannschen Kur“. Dabei wurden unter Zufügung extremer Schmerzen mit einem elektrischen Pinsel jene Körperstellen bestrichen, die Ausfälle aufwiesen. Psychiater leiteten Strom auf erblindete Augen, taube Ohren und gelähmte Glieder, sie spreizten Kehlköpfe und ließen zwangsexerzieren. Die Logik dieser Kuren war einfach. Soldaten wurden „repariert“ indem dem Trauma mit einem traumatischen Gegenschlag begegnet wurde, um die versagte Willenskraft wieder herzustellen. Der Kriegsneurotiker mit seinem Willen zur Krankheit hatte, so die herrschende Meinung der Psychiatrie, ein willkürlich gewähltes Ereignis als traumatisch empfunden und zum Anlass für seine Symptombildung genommen. Damit überwiegen beim Kriegsneurotiker Willensversagung, Angst, die „Begehrensvorstellung“, möglichst schnell der Front zu entfliehen oder gar die Gier nach einer Veteranenrente. Die dabei verloren gegangene Willenskraft – „das Stählerne“ - sollte durch Schmerzen und Zwangsmaßnahmen in der Behandlung wiederhergestellt werden. Der Terror der „Therapie“ zwang den Soldaten in die Gesundheit zu entfliehen (17).
SIMULATION UND AGGRAVATION
Während Gutachter und Gerichte im 19. JH selbst das Auftreten der unterschiedlichsten Nervenkrankheiten nach Bagatellunfällen noch für denkbar und entschädigungswürdig hielten, setzte nach dem I. Weltkrieg im Zusammenhang mit der Entschädigung der so genannten Kriegsneurotiker eine zunehmend restriktive Haltung von Gutachtern, Versicherungsgesellschaften und der Rechtsprechung ein. Staatliche Untersuchungen zeigten dabei auf, dass die überwiegende Mehrheit der vom Dienst entlassenen Kriegsneurotiker schnell wieder die Fähigkeit erlangte, einem Beruf nachzugehen und deshalb keine Rente benötigte. Bezug nehmend auf diese Untersuchungen weigerte sich die Deutsche Psychiatrische Gesellschaft Kriegsneurosen als eigenständige mentale Erkrankung anzuerkennen. Den Traumaopfern wurde hingegen häufig Aggravation und
Simulation unterstellt sowie in bereits bestehenden seelischen Abnormitäten, „Entartungen“ und „Psychopathien“ die eigentliche Ursache erkannt (18). Zusätzlich wurde von politischer, juristischer und medizinischer Seite eine Vielzahl von wissenschaftlichen Arbeiten vorgelegt, die einhellig belegten, dass schon die Möglichkeit einer lebenslangen Rente neurotische Symptome hervorrufen könne. Der führende deutsche Psychiater Bonhoeffer (1926) und seine Kollegen (15) schlussfolgerten aus ihren Untersuchungen, dass die traumatische Neurose eine soziale Krankheit sei, die nur mit sozialen Mitteln geheilt werden könne. Diese sozialen Heilkuren bestanden jedoch nicht aus einer Verbesserung der sozialen Bedingungen. Seine Untersuchungen an traumatischen Neurosefällen fanden als Ursache vererbliche Prädispositionen und inhärente Schwächen der Patienten. Der wirkliche Grund der traumatischen Neurose liege in der Verfügbarkeit von Entschädigungsleistungen und nicht in der Verbesserung ihrer Notlagen. Die Ursache der Störung lag somit im sekundären Krankheitsgewinn. Damit war die Kriegsneurose keine Krankheit, sondern ein Artefakt des Sozialstaates – und der Versicherungsschutz selbst die Ursache der Neurose (15). Die Reichsversicherungsordnung von 1926 stützte sich auf diese Aussagen und führte zu einer Festschreibung der Position, dass traumatische Neurosen nicht entschädigungswürdig sind. Hintergrund dieser Politik war die Überzeugung, dass traumatische Neurosen so lange unheilbar seien, solange Patienten eine Rente oder eine Entschädigung erwarten könnten. Nur unmittelbare und kurzfristige Schockreaktionen waren entschädigungswürdig, lang anhaltende oder verspätet auftretende Reaktionen wurden als Zusammenspiele von minderwertigen Anlagen, Konstitution und einer Entschädigungssucht gesehen. Mit der Machtergreifung der Nationalsozialisten verstummten auch die letzten kritischen Stimmen gegen die restriktive Handhabung der Entschädigungspraxis. Dennoch wird nach dem II. Weltkrieg mit der Frage der Entschädigung von KZ- und Vertreibungsopfern das Thema wieder aktuell. Die herrschende Lehrmeinung in Deutschland berief sich dabei auf eine Grundsatzentscheidung des Reichsversicherungsamtes von 1926, nach der eine Neurose als Unfallfolge nicht rentenpflichtig sei, da die Ausgleichsfähigkeit des Organismus nach psychischen Belastungen quasi unbegrenzt sei (13) und traumatische Neurosen unheilbar seinen, solange Patienten eine Rente oder andere Entschädigungen zugebilligt würde.
DIE ENTDECKUNG DER DISSOZIATION
Während in England und Deutschland die Diskussion über Ursachen, Folgen und Behandlung traumatischer Ereignisse im wesentlichen eine juristisch-medi-
zinische Diskussion, vor dem Hintergrund ihrer ökonomischen Konsequenzen für die modernen Staaten und privaten Eisenbahngesellschaften war, entwickelte sich die Diskussion in Frankreich in der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit dem Störungsbild der Hysterie. In den Hypnoseexperimenten und den therapeutischen Ansätzen Charcots zeigte sich, dass psychopathologische Auffälligkeiten und Symptombildungen, unter denen die Patienten litten, mit verdrängten Erinnerungen an traumatische Erlebnisse zusammenhingen. Dennoch war es Pierre Janet, der den Begriff der Dissoziation prägte und systematisch Dissoziation als den entscheidenden psychologischen Prozess bei der Transformation traumatischer Erlebnisse in psychopathologische Symptome untersuchte. Nach Janet werden unter gewöhnlichen Umständen bewusst erlebte Gefühle, Gedanken, Handlungen oder Sensationen, im Zusammenhang mit Erfahrungen bewusst erlebter Gefühle, in ein Bewusstsein integriert und kontrolliert. Eine erfolgreiche Integration ins Gedächtnissystem setzt eine kognitive Bewertung voraus. Demgegenüber können Erfahrungen in Zusammenhang mit Angst oder Schrecken möglicherweise nicht in bereits bestehende kognitive Schematas eingepasst werden. Diese Erinnerungen werden von der bewussten Wahrnehmung und Kontrolle als Fragmente abgespalten (dissoziiert) und können sich später als pathologische Automatismen bemerkbar machen (19). Die späteren Bemühungen der Patienten, die unkontrollierbar auftauchenden, fragmentierten traumatischen Erinnerungen von der bewussten Wahrnehmung fern zu halten, erodiert deren psychische Energie. Dieser Umstand wiederum vermindert die Fähigkeit, sich konzentrierten und kreativen Handlungen zu widmen und aus diesen neuen Erfahrungen zu lernen. Damit steigt die Wahrscheinlichkeit, dass Patienten eine langsame Verminderung personeller und funktioneller Fähigkeiten erleben (20). Die erste umfassende Beschreibung der Wirkung von Traumata auf die Psyche bestand demnach in der Auffassung, dass extreme emotionale Erregung eine Unfähigkeit zur Folge hat, die traumatischen Erinnerungen zu integrieren, da keine narrativen Erinnerungen vorliegen, jedoch beständig eine Konfrontation mit der schwierigen Situation stattfindet. Diese Erinnerungsspuren des Traumas bleiben als unbewusste „fixe Ideen“ bestehen, da sie nicht „verflüssigt“ (19) werden können, solange sie nicht in persönliche Erzählungen transformiert werden. Infolge dessen entfalten sie intrusive Aktivitäten in Form von Schreckensvorstellungen, zwanghaften Präokkupationen und Angstreaktionen als somatische Wiederholungserfahrungen (19). Janets klinische Beobachtungen wurden von vielen späteren berühmten Wissenschaftlern als korrekte Beschreibung der Effekte traumatischer Erlebnisse auf die Psyche akzeptiert. William James, Jean Piaget, Henry Murray, Carl Jung,
Charles Myers, William MacDougal oder Ernest Hilgard ließen sich von Janets Arbeiten für ihre Untersuchungen über mentale Prozesse inspirieren (21). Übereinstimmend, dass in der Dissoziation der wesentliche pathogene Prozess für posttraumatische Reaktionen zu sehen ist, lehnten alle die psychoanalytische Auffassung, dass Katharsis das entsprechende Mittel zur Behandlung sei, ab. Stattdessen betonten sie ihrerseits die wesentlichen Funktionen von Synthese und Integration (22). Dennoch verschwanden die profunden und einflussreichen Arbeiten Janets im Laufe der Jahrzehnte langsam aus dem Feld der psychologischen Wissenschaften.
„DISSOZIATION“ ALS GESELLSCHAFTLICHER PROZESS
Ein ähnlicher Prozess des „Dissoziierens“ muss auch für die Wissenschaft der Medizin in Bezug auf Reaktionen nach traumatischen Erlebnissen festgestellt werden. Die Medizin, insbesondere die Psychiatrie, erlebte im letzten Jahrhundert Perioden des Fasziniert-Seins von psychischen Traumata aber auch Perioden des verbissenen Leugnens der Relevanz traumatischer Erlebnisse. Eine Änderung dieses „gesellschaftlichen Vermeidungsverhaltens“ zeigte sich erst nach dem Ende des Vietnamkrieges 1980, mit der Festschreibung der Posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) als eigenständiges Störungsbild im Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders (DSM-III; 23). Ausschlaggebend waren die psychischen Folgen von Vietnamveteranen und die von der Frauenbewegung in die Öffentlichkeit gebrachte Thematisierung interpersoneller Gewalt. Die im Diagnosemanual definierte Posttraumatische Belastungsstörung, die traumatische Stressoren als Auslöser der Symptome annimmt, löste damit eine erneute wissenschaftliche Auseinandersetzung mit psychischen Folgen von Gewalt, Unfällen, Naturkatastrophen, Kriegserlebnissen, Folter und Verfolgung aus. Gegenstand der Untersuchungen sind Prävalenz- und Inzidenzraten, komorbide Störungen, Prädiktoren, Copingmechanismen, etc. bei unterschiedlichsten Bevölkerungsgruppen.
Dennoch muss festgestellt werden, dass eine Auseinandersetzung mit Belastungen und Bewältigungsstrategien von Einsatzkräften nach belastenden Einsätzen vor 1980 praktisch nicht existierte (24). Mitchell & Dyregrov (25) schreiben sogar, dass es den Anschein habe, als würden Forscher und Kliniker die potentiell schädliche Arbeit von Einsatzkräften gar nicht wahrnehmen. Erst ab ca. 1980 tauchen vermehrt Untersuchungen auf, die die Belastungen von Einsatzkräften thematisieren (26 - 31) und psychologische Unterstützung fordern (32). Die meisten Untersuchungen bleiben dabei noch auf Männer beschränkt. Weibliche ame-
rikanische Einsatzkräfte, die in Vietnam im Bereich des SRAO (Supplemental recreational activities overseas) als Krankenschwestern („donut dollies“) ihren Dienst versahen, und spätestens nach der Tet-Offensive der Nordvietnamesischen Armee traumatischen Erlebnissen ausgesetzt waren (Lebensbedrohung, die Versorgung schwerstverletzter Soldaten), wird erst 1990 – auch auf Grund der Untersuchungsergebnisse über Belastungen bei Einsatzkräften - der Zugang zu den Veteranencenters gewährt.
BELASTUNGEN VON EINSATZKRÄFTEN
Mit der Festschreibung der PTBS im DSM-III wurden posttraumatische Reaktionen aus den Anpassungs- und Belastungsstörungen herausgenommen und den Angststörungen zugeordnet. Die Begründung für diese Neukonzeption lag in der grundlegenden Komponente der Angst, die Verhalten, Kognition und Physiologie nachhaltig negativ beeinflussen kann (33; 34). Nach Barlow entwickeln Menschen, die eine biologische und psychologische Vulnerabilität aufweisen, nach belastenden Lebensereignissen die Überzeugung, dass diese belastenden Ereignisse unvorhersehbar und unkontrollierbar seien. Sind keine funktionalen Bewältigungsmechanismen vorhanden, wird ein erneutes Eintreten dieser Belastung ängstlich erwartet und setzt damit einen Kreislauf ängstlicher Besorgnis und chronischer Übererregung in Gang (33). Deshalb wird der Aspekt der Angst in vielen Modellen als entscheidender Faktor für die Entwicklung und Chronifizierung einer Posttraumatischen Belastungsstörung (35; 36) angesehen. Die Lebenszeitprävalenz einer Posttraumatischen Belastungsstörung beträgt in der Allgemeinbevölkerung 0.4 – 7,8 %, wobei ca. 60 % als chronisch zu beurteilen sind (37 - 39). Bei Frauen ist die Prävalenz doppelt so hoch wie bei Männern (10% vs. 5 %; 40). Im Vergleich dazu ist die Lebenszeitprävalenz für PTBS bei Risikopopulationen, wie Einsatzkräften, deutlich höher und wird mit Werten bis zu 58 % (DSM-IV; 41) angegeben. Ein Grund dafür kann in den belastenden Arbeitsbedingungen bzw. extremen Situationen gesehen werden, die Einsatzkräfte zu bewältigen haben. Neben Großschadensereignissen und Katastropheneinsätzen sind Einsatzkräfte auch im Alltag spezifischen Belastungen und Beanspruchungen ausgesetzt, die sich durch eine Reihe von Besonderheiten von anderen Berufen in der Arbeitswelt bzw. von Gesundheitsberufen unterscheiden (42). Zu den spezifischen Belastungen und Beanspruchungen von Einsatzkräften zählen unter anderem lange Wartezeiten bis zum Einsatz, mangelhafte Information und unklare Einsatzmeldungen, unvorhersehbares Einsatzgeschehen, Handeln unter Zeit- und Ereignisdruck am Einsatzort (43; 44), Konfrontation mit Leid, Trauer, Entstellungen, schweren Verletzungen und Tod (45; 46), extre-
men Sinneseindrücken und potentieller Eigengefährdung (47 - 50), Erleben von Hilflosigkeit und Misserfolg (47) oder 24-Stundenbereitschaften, Journaldienste und Nachtschichten (51; 52). Diese spezifischen Belastungen können zu gesundheitlichen Risikoverhaltensweisen, wie Substanzmissbrauch, psychischen und affektiven Störungen sowie Somatisierungsstörungen (37) führen. Resultieren Belastungen in den genannten psychischen Erkrankungen, so besteht eine hohe Komorbidität mit Depressionen und anderen Angststörungen, sowie generell ein erhöhtes Risiko für sekundäre Störungen (53; 54). Die Belastungen haben zudem Auswirkungen auf die Motivation, die Arbeitsleistung und die Arbeitszufriedenheit (25). Brauchle (44) und Marmar et al. (55) zeigen in ihren Untersuchungen über Einsatzkräfte der Polizei und Rettung, dass die Prävalenz für die Entwicklung einer Posttraumatischen Belastungsstörung bei 9 % liegt. Für Rettungskräfte werden Prävalenzraten von 15 – 22 % angegeben (43 - 57). Als Erklärung werden eine größere Nähe der Rettungskräfte mit den betreuten Opfern sowie eine schlechtere Einsatzvorbereitung angenommen. Prävalenzraten für Feuerwehrpersonal wurden von Teegen et al. (46) ermittelt. Auch sie entsprechen mit jeweils 9 % den Befunden von Marmar et al. (55). Hingegen finden Bryant & Harvey (50), Wagner et al. (57) sowie McFarlane (58) bei Einsatzkräften der Feuerwehr deutlich höhere Prävalenzraten (13%, 18% bzw. 32 %). Prävalenzraten für Einsatzkräfte wie Notfallpsychologen, Kriseninterventionsteams, Seelsorger oder Psychotherapeuten liegen bislang kaum vor (59). Da hier eine weitaus längere und intensivere Auseinandersetzung mit Opfern und Hinterbliebenen nach traumatischen Ereignissen im Vergleich mit Rettungssanitätern oder anderen Blaulichteinheiten vorzufinden ist, sind entsprechend hohe Werte zu erwarten.
ZUR WIRKUNG VON DEBRIEFING
Besonders in den letzten Jahren werden deshalb im Bereich der Einsatzkräftenachsorge vermehrt „flächendeckende“ Präventionsmaßnahmen mit fragwürdigem Nutzen angewendet. Als die am weitesten verbreitete Maßnahme wird das so genannte Critical Incidence Stress Debriefing (CISD) eingesetzt. CISD ist ein strukturiertes, gruppenbezogenes Gespräch, das mit Hilfe von Peers – psychologisch geschulter Einsatzkräfte - und im Beisein einer psychologischen Fachkraft im Anschluss an einen belastenden Einsatz durchgeführt wird. Mitchell (60) geht davon aus, dass durch die Verringerung der Intensität akuter Belastungsreaktionen, auch eine Verringerung nachfolgender, psychiatrischer Störungen bewirkt wird. Everly und Mitchell (61) erklären dies, dass auf Grund der frühen psychosozialen Unterstützung nach dem traumatischen Einsatz (in
der Regel 2 – 10 Tage nach Beendigung des Einsatzes), der Möglichkeit traumabezogene Gefühle und Gedanken zu artikulieren und der psychoedukativen Beratung über Stress, Coping und Stressmanagement, Belastungen verringert werden. Diesen Effekt konnten andere Studien nicht nachvollziehen. In ihrer kontrolliert randomisierten Studie (sic.) fanden Rose et al. (62) keinen Nachweis über die Wirkung des psychologischen Debriefings. Auch Conlon et al. (63) und Carlier et al. (64) finden keinen signifikanten Unterschied in der Häufigkeit posttraumatischer Belastungsstörungen zwischen Gruppen mit und ohne Debriefing. Darüber hinaus argumentiert Rachman (65), dass ein allzu frühes Erzählen traumatischer Erlebnisse – wie es im Rahmen eines CISD stattfindet - das Risiko erhöht, dass Personen erneut die Kontrolle verlieren und durch intrusive Erinnerungen "überschwemmt" werden. Eine erneute Überschwemmung mit traumabezogenen Intrusionen verstärkt Vermeidungsverhalten und erschwert in der Folge die Bewältigung traumatischer Erlebnisse.
BLINDE FLECKEN – KATHARSIS ALS INTERVENTIONSSTRATEGIE VON PTSD
Schaut man sich allgemein psychotherapeutische Gruppenmaßnahmen der späten 70iger und 80iger Jahre in Amerika an, kann man feststellen dass vielfach kathartische Modelle den Behandlungsformen zu Grunde lagen. Das CISD übernahm diese kathartische Grundidee als zentralen Interventionsschritt: das Aussprechen des Unaussprechlichen und das Zulassen von Gefühlen innerhalb einer Gruppe. Dieser „blinde Fleck der Interventionsform“ erscheint aber aus der Sicht kognitiv verhaltenstherapeutischer Maßnahmen (66) – mit einer entscheidenden Stabilisierungsphase am Beginn der Therapie, einer zweiten Traumakonfrontationsphase und einer dritten, abschließenden Traumasynthese und Integrationsphase (67) - einer der Kernprobleme des Debriefings zu sein. Eine Änderung des klassischen Debriefings, beispielsweise als „kognitives Debriefing“ greift somit nicht als Korrektur, ebensowenig wie die vielfache Versicherung, dass CISD Teil eines Maßnahmenpaktes sei und über eine einmalige „Behandlung“ hinaus gehen würde. Denn allgemein wird in einem Debriefing die entscheidende Stabilisierungsphase, die die notwendigen Ressourcen für die Konfrontation und insbesonders die Integration des traumatischen Erlebens schafft, außer Acht gelassen. Deshalb erscheint es notwendig, die paradigmatische Grundidee des CISD – das kathartische Erzählen, das aus historischen Behandlungsmodellen entlehnt wurde – kritisch zu hinterfragen und eine gänzlich neue Interventionsform zu entwickeln.
LITERATUR
(1) Brauchle, G., Wirnitzer, J., Mariacher, A., Ballweber, P. & Beck, Th.: Das „verdrängte“ Thema: Sekundäre Traumatisierungen von Notfallpsychologen. Psychologie in Österreich, 20, 287–292 (2000)
(2) Shay, J.: Achill in Vietnam. Kampftrauma und Persönlichkeitsverlust. Hamburg: Hamburger Edition (1998)
(3) Boehnlein, J. K. & Kinzie, J. D.: Commentary. DSM diagnosis of post traumatic stress disorder and cultural sensitivity: a response. Journal of Nervous and Mental Disease, 180, 597-599 (1992)
(4) Turnbull, G. J.: A review of post-traumatic stress disorder. Part I: Historical development and classification. Injury, 29, 87-91 (1998)
(5) Parry-Jones, B. & Parry-Jones, W. L. L.: Post-traumatic stress disorder: supportive evidence from an eighteenth century natural disaster. Psychological Medicine, 24, 15-27 (1994)
(6) Foucault, M.: Archäologie des Wissens (4. Aufl.). Frankfurt am Main, Suhrkamp (1990)
(7) Cooter, R.: The moment of the accident: Culture, militarism and modernity in the late-Victorian Britain. Clio Medica/The Wellcome Series in the
History of Medicine, 41, 107-157 (1997)
(8) Simmons, J.: The Victorian Railway. London, Thames & Hudson (1991)
(9) Harrington, R.: The railway accident: Trains, trauma, and technological crisis in Nineteenth-Century-Britain. In: M. S. Micale & P. Lerner (Eds.) Traumatic Pasts. History, Psychiatry and Trauma in the Modern Age, 1870 –1930, 31–56 Cambridge, University Press (2001)
(10) Harrington, R.: The “Railway-Spine” diagnosis and Victorian response to
PTSD. Journal of Psychosomatic Research, 40, 11-14 (1996)
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