Ausgabe Schweiz Nr. 2 (Sommer) 2010 | CHF 15.–
Best Practice für Manager
www.bi-magazine.net
Neugeburt der Banken – Kunden im Fokus
FINGERspitzen-
Gefühl
GOTTVATER DER FINANZBRANCHE Oswald Grübel CEO UBS
Editorial
«Für das Management besteht die Herausforderung, wertvolle Informationen eng mit dem Geschäft zu verbinden.»
Geburt des Wissens
Wolf K. Müller Scholz Herausgeber
Informationsmanagement wird an IT-Spezialisten delegiert. Natürlich. Aber oft fehlt die Verbindung zur Unternehmensleitung – und damit die Transformation in Managementwissen. Liebe Leserinnen, liebe Leser
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issen ist das, was Menschen in ihren Köpfen speichern und nicht das, was im Ozean der unendlichen Informationsflut zwischen Unternehmenscomputern oder im Internet herumschwirrt. Sei es auch noch so leicht, sich dieser unzähligen Informationen zu bedienen – verwertbares Wissen entsteht daraus erst, wenn es in den Köpfen ankommt. Bis aber die richtigen Informationen zur angemessenen Zeit in der geforderten Dosis zu den Entscheidungsträger gelangen, dauert es meist. Denn immer komplexere Organisationen und immer mehr Daten bremsen. Benötigen Unternehmen dazu «Wissensmanagement»? Dieser Begriff blendet Tausende Manager, besonders in seiner neudeutschen Variante «Knowledge Management». Eine schwammige Beschwörungsformel, die Projekte füllt, aber von den Aufgaben ablenkt. Denn Wissen lässt sich nicht managen, sondern nur das Arbeiten mit Wissen. Dies behauptet der renommierte St. Galler Professor Fredmund Malik, der sich dabei an den Managementpapst Peter Drucker anlehnt, dem Entdecker der «Wissensgesellschaft».* Ob nun «Wissensmanagement» als wissenschaftlicher Begriff letztlich Sinn macht (es gibt auch andere Lehrmeinungen), können wir hier nicht klären. Die Zuspitzung Maliks deutet aber sehr präzise auf eine Herausforderung, die sich in den meisten Unternehmen dramatisch zuspitzt: Es fehlt an Informationslogistik. Immer höhere Berge gespeicherter Daten türmen sich auf. Zwar sammeln und ordnen, analysieren und verteilen Heerscharen fleißiger IT-Spezialisten diesen so wertvollen Rohstoff – mit immer raffinierteren Methoden. Doch eine systematische Verbindung zum operativen und strategischen Management gibt es nur in seltenen Fällen. Die Beantwortung von Anfragen der Geschäftsleitungen oder Fachabteilungen dauert immer noch meist Tage, oft Wochen. Wenn die Informationen überhaupt je geliefert werden…
Erst kürzlich hörte ich von einem weit verzweigten deutschen Konzern, dessen IT es nicht schaffte, dem CEO die Namen der Geschäftsführer sämtlicher Unternehmen aufzulisten, an denen Kapitalbeteiligungen bestehen. Wie dieser Holding-Chef angesichts derartig erschreckender Informationslücken seine Organisation verantwortlich führen kann, erscheint mir schwer vorstellbar. Verschärfend hinzu kommt jetzt, dass die IT-Leitungen ihre Data Wareshouses zusätzlich mit Informationen aus der überbordenden Welt des Internets und des E-MailUniversums füttern. Dies macht ja auch Sinn, weil hier oft verborgene betriebswirtschaftliche Werte schlummern – seien es Marktdaten, sei es die Kommunikation zwischen Forschern. Das Problem ist nur: Hier handelt es sich um unstrukturierte Daten, die erst noch aufwendig bearbeitet werden müssen, um im Unternehmen verwendbar zu sein. Für die Unternehmensleitungen besteht die Herausforderung nun darin, die wirklich wertvollen Daten im Sinne einer effektiven Informationslogistik eng mit dem Geschäft zu verbinden. Nur so landet Wissen jederzeit in den Köpfen der verantwortlichen Manager – dort, wo es hingehört. Wer dies nicht durchsetzt, hütet betriebswirtschaftlich nur totes Datenkapital. Ich wünsche Ihnen eine lebendige Lektüre.
Wolf K. Müller Scholz wms@bi-magazine.net
* F. Malik: Richtig Denken – wirksam managen. (2010)
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Controlling kann so einfach sein!
„Wir sparen wertvolle Arbeitszeit, unsere Planung und betriebswirtschaftliche Überwachung haben seit der Einführung von Corporate Planner enorm an Qualität gewonnen.“ Jens Schünemann, Wohnungsbaugesellschaft Pasewalk GmbH
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Inhalt
SICHER-MACHER.
TREND-MACHER.
WERT-MACHER.
SICHT-MACHER.
Harald Steeger, Risikomanagementchef der JohanniterUnfall-Hilfe, geht voran.
IDL-Manager Harald Frühwacht (li.) und Bernward Egenolf visualisieren.
Oswald Grübel, CEO der UBS, saniert nun schon die zweite Großbank.
Andrew Mountfield, Kolumnist, beobachtet eine britische Großoffensive.
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MANAGEMENT
27 Liquiditätsplanung: Wie Entscheidungsträger Cash Flow und Außenfinanzierung sicherstellen
TRENDS
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Marketing: Dirk Nowitzki und die Dallas Mavericks
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Städtevergleich: Was Berlin und Luzern verbindet
BEST PRACTICE
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Chemieindustrie: Warum Clariant mit neuer Budgetplanung und rollierenden Vorhersagen punktet
10 Assekuranz: Wie die DEVK mit qualifiziertem Data Mining ihr Direktmarketing verstärkt
28 Kundenbeziehungen: Warum innovative Unternehmen auf die Methode Advanced CRM Analytics setzen 30 Projektmanagement: Wie sich systematisches Vorgehen bei Business Intelligence auszahlt 34 E-Government: Weshalb die Schweizer Arbeitsmarktstatistik eine Messlatte für politische Effektivität ist 37 Vertriebsmanagement: Was Manager von Fußballtrainern in puncto Teamleistung lernen können 38 Glosse: Patricia van den Secheren über neugierige Chinesen, aufmerksame Kanadier sowie begehrte Deutsche und Schweizer
12 Hilfsorganisationen: Was der Johanniter-Unfall-Hilfe ein umfassendes Risikomanagementsystem bringt
41 Strategische Unternehmensplanung: Wie große Ziele in detaillierte Teilpläne heruntergebrochen werden können
14 Handel: Wie Dodenhof tagesgenaue saisonale Faktoren in die Verkaufsplanung e inbezieht
42 Kolumne: Andrew Mountfield über britische A ngriffspläne gegen die Schweizer Banken
Titelthema: BANKEN & CRM
RUBRIKEN
16 Neuschöpfung: Warum der Veränderungsdruck auf die Finanzwirtschaft nicht nachlassen wird
11 Unternehmensregister
19-26 D ossier: Welche Faktoren den Wandel an Bankenstand orten in der Schweiz und Deutschland treiben
39 Termine für Manager und Unternehmer
33 Impressum
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Trends Cloud
Sport
Korbwunder. Basketball ist schön und bewegt Geschäfte – wenn die Datenintegration stimmt.
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as «Wunderkind» nennen ihn die Amerikaner ehrfurchtsvoll. Dirk Nowitzki, gebürtiger Würzburger, ein Hüne von stattlichen zwei Meter dreizehn Körpergröße und seit 1998 als Basketballprofi in den USA, gilt seit Jahren als einer der besten Spieler der National Basketball Association (NBA). Und sein Verein, die Dallas Mavericks, ist einer der führenden Clubs – auch wenn es in dieser Saison mit dem erhofften Championat nichts wurde. Nicht nur sportlich, auch betriebswirtschaftlich zeigen sich die Texaner stets auf der Höhe der Zeit. So beschloss das Management jüngst eine umfassende Integration der Daten als On-Demand-Service (Cloud Computing): Diese ermöglicht es dem Club, die Besucherzahlen der Spiele und den Erfolg von Promotions nachzuvollziehen und den Kundennutzen für Prämien und besondere Dienstleistungen zu ermitteln, um für die Dallas-Fans das bestmögliche Erlebnis zu schaffen. Informationen werden dabei aus unterschiedlichen Systemen konsolidiert. Dazu zählen sowohl die Verkäufe von Saison- und Einzeltickets als auch die Internetseiten für das Merchandising (Mavsgear.com) und das Jugendbasketball-Camp. Dabei setzt der Club auf die Lösung Informatica Cloud Services. Diese integriert nahtlos die gesamte Palette der Unternehmens-IT: das CRMProgramm und verschiedene Anwendungen zum Austausch von Applikationsprogrammen ebenso wie E-Commerce- und Backoffice-Systeme. Eine Echtzeit-Integration erlaubt es den Dallas Mavericks, die Daten zwischen dem extern per Cloud Computing verwalteten Kundenbeziehungsmanagement und den hausintern installierten
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Basketball-Ikone: Dirk Nowitzki ist ein Juwel im globalen Sportmarketing. Sein Wert steigt. Und er passt zum Marketingsystem der Dallas Mavericks.
Programmen zu synchronisieren. Dabei werden Daten verschiedener Kundenkontaktpunkte der Mavericks konsolidiert – vom Ticketverkauf und dem Merchandising bis hin zu den clubeigenen Youth Development Hoop Camps. Ken Bonzon, CIO der Dallas Mavericks, hat noch viel vor: «Wir verkaufen nicht nur Basketball, sondern liefern unseren Fans ein umfassendes Erlebnis – die Informatica Cloud ist dabei ein Schlüsseltreiber unseres erfolgreichen Kundenbeziehungsmanagements.» Und er hofft, dass Teamstar Dirk Nowitzki auch künftig weiter an Bord der Mavericks sein wird.
Steueroasen. Wo werden Unternehmen am wenigsten mit Steuerbürokratie beläs tigt? Laut einer Studie von Weltbank und PricewaterhouseCoopers ergibt sich für 2010 folgendes Ranking: 1. Malediven 2. Qatar 3. Hongkong 4. Vereinigte Arabische Emirate 5. Singapur 6. Irland 7. Saudi Arabien
Regionen Trends
Städte im Vergleich
Luzernschwung.
Nordostwind.
Reich und aufstrebend: Luzern mit der Kappelbrücke.
Arm, aber busy: Berlin mit der Humboldt-Universität.
Deutschland. Die Joblandkarte ändert sich dramatisch: Wie eine Studie des Wirtschaftsforschungsinstituts DIW zeigt, wuchsen bei der Beschäftigungsentwicklung zwischen 2005 und 2009 vor allem Hamburg, Berlin und Leipzig. Sie lagen deutlich über dem Durchschnitt von knapp zwei Prozent. Arbeitsplätze entstanden hier vor allem in den neuen wissens- und forschungsintensiven Bereichen.
Die viele Jahre prosperierenden süddeutschen Metropolen München und Stuttgart hingegen verloren im gleichen Zeitraum sogar an Arbeitsplätzen. Laut DIW partizipierten diese Städte nicht am Aufschwung der Jahre 2005 bis 2008; von der nachfolgenden Krise aber waren sie als traditionelle Industriestandorte stärker betroffen.
Vom generellen Trend der Zuwanderung in Großstädte profitierte zwischen 1999 und 2008 laut DIW vor allem München, gefolgt von Hamburg, Berlin sowie – mit etwas Abstand – Dresden, Leipzig und Köln. Doch dies hat einen Haken: Die Zuwanderung umfasst auch arbeitslose und nicht berufstätige Menschen.
Überraschende Schere
Berlin Dresden Düsseldorf Frankfurt/M. Hamburg Leipzig Köln München Stuttgart
5%
Beschäftigungsentwicklung in deutschen Städten. Angegeben ist die Abweichung vom deutschen Durchschnitt in Prozentpunkten.
4% 3% 2% 1% - 1% - 2% - 3% - 4%
Teradata EMEA CTO Road Show Innovations in Data Warehousing
Quelle: DIW (2010)
Schweiz. Zug ist laut neuestem BilanzRanking weiter die attraktivste Stadt der Schweiz – dank exzellenter Noten bei den Kriterien Arbeitsmarkt, Reichtum, Gesundheit, Sicherheit und Soziales. Dahinter folgt wie im Vorjahr Zürich auf Platz zwei. Aufsteiger Luzern kletterte auf Platz drei.
Stockholm Moscow London nd don Brussels Warsaw W Wa r aw rs Paris is s
Frankfurt
Madrid
• Workload Management
Zurich
Vienna
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7 Finanzmärkte im Wandel
Bankenschöpfung. Die alten, eher gemächlichen Zeiten kehren nicht zurück. Ob UBS oder Deutsche Bank, Credit Suisse oder Commerzbank – alle Institute müssen sich neu erfinden, wenn sie auch künftig in der internationalen Finanzliga mitspielen wollen.
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uro-Turbulenzen, staatliche Regulierungswut und immer anspruchsvollere Kunden (11) – die Finanzbranche kommt nicht zur Ruhe: Banken benötigen verlässliche Systeme (4), besseres Risikomanagement, feineres Kundenverständnis und – starke Führungspersönlichkeiten. Solche wie Deutsche Bank-Lenker Josef Ackermann (5) oder Oswald Grübel (6), der vor
«Die Schere zwischen Starken und Schwachen öffnet sich immer mehr.» Jahren als CEO Credit Suisse sanierte und nun den Konkurrenten UBS wieder zum Leben erweckt. Dennoch scheiden sich an Grübel die Geister: Hat er einfach nur Glück gehabt oder ist er wirklich ein Turnaround-Genie? Die UBS-Fakten sprechen für sich: Nach neun quälenden Quartalen, in denen die UBS nur Verluste verbuchte, fand sie unter Grübel im vierten Quartal 2009 erstmals wieder in die schwarzen Zahlen zurück und wies sogar einen Ge-
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winn in Höhe von 1,2 Milliarden Franken aus. Mit Glück hat das wenig zu tun, sondern mit harter, konsequenter Arbeit: Erst sieben Wochen im Job, kurbelte er sofort ein Sparprogramm an, durchkämmte ineffiziente Strukturen, entließ unproduktives Personal. Viel früher als geplant verkündete er, dass die operativen Kosten der UBS um 3,3 Milliarden Franken gesenkt worden waren. Und im ersten Quartal übertraf der Reingewinn mit 2,2 Milliarden Franken sogar knapp den des Konkurrenten Credit Suisse. Diese positiven Zahlen werden nach Ansicht vieler Experten schon bald auch die abgewanderten Kunden wieder anlocken. Diese fühlen sich derzeit bei Konkurrenten wie vor allem der unter CEO Martin Scholl (8) erstarkten Zürcher Kantonalbank (ZKB) gut aufgehoben. Der Wettbewerb um die Kunden ist hart. Systematische, analytisch unterstützte Kundengespräche (7) werden unentbehrlich. Dabei öffnet sich die Schere zwischen starken und schwachen Banken immer mehr. In den USA zeigt sie sich schon sehr deutlich: Laut einer Studie der Federal Deposit Insurance Corp. (FDIC) stieg zwar die Zahl der pro-
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in Basel (9). Bei nachhaltigen Geldanlagen positionieren sich auch Newcomer wie zum Beispiel die Bochumer GLS Bank. Dort werben unkonventionelle Vorstände wie Andreas Neukirch (10) damit, dass ihr Tagesgeldkonto sowie ihre Spar- und Termineinlagen im Vergleich zu konventionellen Bankprodukten mit 67 Prozent weniger Emissionen wesentlich klimafreundlicher sind – belegt von einer offiziellen Studie des Bundesumweltministeriums. Überhaupt der Staat: Er drückt dem internationalen Finanzmarkt zunehmend seinen Stempel auf: Nachdem die Regierungen 2008/2009 viele Banken vor dem Ruin retteten und teils verstaatlichten, schreiben sie ihnen jetzt im-
blembeladenen Banken im ersten Quartal von 702 auf 775, die entsprechende Asset-Summe von knapp 403 auf 431 Milliarden US-Dollar. Gleichzeitig jedoch verzeichnete das Kreditgeschäft aller US-Banken in Summe erstmals wieder einen Gewinn von erstaunlichen 18 Milliarden Dollar. Im Quartal zuvor hatte es noch ein herbes Minus von 1,3 Milliarden Dollar gehagelt. Auch gewinnen neue Themenfelder wie etwa nachhaltige Kapitalanlagen vor allem in ökologisch oder sozial verträgliche Projekte deutlich an Fahrt. Institute wie die Bank Sarasin (siehe auch BUSINESS INTELLIGENCE MAGAZINE Nr. 4/09) fahren mit dieser Spezialisierung sehr gut und leben die Öko-Orientierung im eigenen Hause – beispielsweise mit einem Solardach auf dem Hauptsitz
«Obama mit der radikalsten Banken reform seit den 1930er Jahren.»
Zusätzliche Regulierung kommt Als wahrscheinlich oder sehr wahrscheinlich sehen Schweizer Bankleader laut einer Umfrage von Accenture und dem Verband Schweizerischer Kantonalbanken Striktere Corporate Governance und Haftungsregeln Zusätzliche Transparenzanforderungen Geringere Löhne durch Eingriff in das Vergütungssystem Verstärkung der Konsumentenrechte Rationierung von Krediten nach Sektoren Richtlinien zu Preisgestaltung und Kreditvergabe * Angaben in Prozent
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Quelle: Accenture: Der Schweizer Bankenmarkt 2015 (Zürich 2010)
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mer mehr Regeln vor – vom Risikomanagement bis zum Aktienhandel. Berlin untersagte bereits die Leerverkäufe. Washington geht unter Barack Obama (1) noch viel systematischer vor: mit der radikalsten Bankenreform seit den 1930er Jahren, die unter anderem die Institutsgröße begrenzt, mehr Verbraucherschutz garantiert und höhere Transparenz festlegt. Und Ende Juni trifft sich die G-20Runde in Kanada, um über die Initiative von Obama, Angela Merkel (2) und anderen zu einer globalen Bankenabgabe zu beraten. Länder wie Kanada und die Schweiz, vertreten durch Bundesrat Hans-Rudolf Merz (3), stemmen sich dagegen. So wird das internationale Aktionsfeld für Bankmanager immer weniger kalkulierbar. Business Intelligence ist gefragt.
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Banken Compliance
Risikomanagement mit Business Intelligence
Wettbewerbsvorteil. Von Giuseppe Calabrese und Mathias Walter*
Neue Compliance-Regulatorien verschärfen die Anforderungen an das Risikomanagement. Dadurch steigen Infrastrukturkosten, Analyse- und Reportingaufwand. Mit der Erfahrung aus mehr als 150 Business Intelligence-Projekten zeigen die Autoren, wie sich durch geschickte Umsetzung signifikante Wettbewerbsvorteile erzielen lassen.
D
ie Betrachtung von Markt-, Kredit-, Liquiditätsund operationellem Risiko ist zwar seit langem ein etablierter Bestandteil der Risikostrategie und der Gesamtbanksteuerung. Jedoch steigen die Anforderungen durch die Aufsichtsbehörden deutlich, etwa in den Bereichen Stresstesting, Liquiditätsrisiko oder Risikokonzentrationen. Mit weiteren Neuerungen oder Anpassungen ist auch künftig zu rechnen: So strebt die EU derzeit zum Beispiel im Verbriefungsmarkt eine stärkere Beteiligung der Emittenten am Ausfallrisiko an (neue Capital Require ments Directive, kurz CRD, III und IV). Die Konsultationen hinsichtlich Basel III haben basierend auf der CRD bereits begonnen. Die Erhöhung der Transparenz – insbesondere im Verbriefungsmarkt – ist ein weiterer Schwerpunkt der Europäischen Zentralbank (EZB). Im Risikomanagement vollzieht sich in der Folge ein tiefgreifender Wandel. Dieser stellt Kreditinstitute vor vielfältige Aufgaben – vor allem bei der Identifikation, der Modellierung, der Aggregation sowie der Kontrolle der Risiken, aber auch der Kapitalallokation und der Einbindung der Aufsichtsorgane. Um diesem Wandel Rechnung zu tragen, sind Kreditinstitute darauf angewiesen, die richtige Information zur richtigen Zeit am richtigen Ort verfügbar zu haben. Damit jedoch nicht genug: Neben den fachlichen Herausforderungen stellen zunehmend veraltete IT-Infrastrukturen ein bedeutendes Handlungsfeld dar. Historisch gewachsene IT-Landschaften müssen plötzlich – das bedeutet oft mit wenigen Monaten Vorlaufzeit – zum Bei spiel aus Compliance-Gründen völlig neuartige Anforderungen erfüllen. Besonders kritisch sind in diesem Zusammenhang die Faktoren Datenverfügbarkeit, Datenqualität sowie Datenbereitstellung.
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Genau hier braucht es clevere Business Intelligence-Lösungen, die solche Probleme bewältigen – etwa durch ein Data Warehouse. Dabei punkten solche Ansätze besonders im zweiten Schritt. Denn neben der Lösung dieser Aufgabenstellung können nun auch Szenarien oder Modellanpassungen auf der Datenbasis simuliert werden. Die SpanWas hängt am Prozess «Kreditvergabe»? Antragsprüfung
BDSG (z.B. Score-Auskunft)
Bilanzierung (HGB, IAS, US-GAAP, IFRS etc.)
PEP
Basel II (EK, Bestands-Scoring)
SCHUFA (externes Scoring)
Mahnwesen
Fraud Detection & Prevention
Kreditvergabe
Inkasso ABS (Forderungsverkauf)
AML Internes Scoring Konditionenermittlung
Sicherheitenverwaltung Kreditakte Monitoring
ne der Möglichkeiten reicht von der analytisch basierten Vorhersage («Predictive Analysis»), beginnend beim Scoring, über Stresstests bis hin zur unternehmensweiten Planung. So lassen sich selbst aus gesetzlichen Anforderungen heraus echte Wettbewerbsvorteile erzielen, die zudem noch flexibel und damit zukunftssicher sind. Beispiel Kreditrisiko: Business Intelligence spielt eine dominante Rolle im Kreditrisiko-Management. Dies bezieht sich nicht nur auf die Analyse des finanziellen Risikos jedes Kunden, sondern auch auf das Compliance-Um-
Unter der Lupe: Data Mining-Algorithmen geben zum Beispiel früh Hinweise auf Betrugsaktivitäten. feld und auf die Betrugsbekämpfung (siehe: Was hängt am Prozess «Kreditvergabe»?). Business Intelligence ist die einzige Technologie, die dem Risikomanager ein umfassendes und detailliertes Verständnis des Kreditrisikos für sein Institut ermöglicht. Ursache dafür ist vor allem die zunehmende Komplexität der mit dem Kredit verbundenen Finanzprodukte sowie die Explosion der auszuwertenden Datenmenge, die sowohl aus internen als auch teilweise aus externen Quellen resultiert. Moderne Business Intelligence-Lösungen erlauben dem Finanzinstitut, den kompletten Lebenszyklus des Produkts «Kredit» zu beobachten, zu analysieren und geben rechtzeitig Hinweise auf erforderliche Maßnahmen bis hin zur Berechnung eines Inkasso-Scores, sollte es zum Beispiel zu Zahlungsstörungen kommen. Dank BI wird somit eine leis tungsfähige Entscheidungsfindung unterstützt, die das Risiko wesentlich reduziert. Der erste Schritt, um dieses Ziel zu erreichen, besteht darin, ein Data Warehouse einzurichten, um die unterschiedlichen Datenquellen zu konsolidieren und zu historisieren, wie zum Beispiel das Customer Relationship Management (CRM), die Kreditanwendung, das Core Banking, das Portfoliomanagement-System oder auch externe Daten und Listen (zum Beispiel Schufa-Auskunft oder PEP-Listen). Eine einheitliche Schicht von Metadaten («Metadata Layer») und übereinstimmende Dimensionen können die Qualität der Daten und die vom Regulator geforderte Genauigkeit für den Compliance-Teil gewährleisten. Besonders wichtig ist in dieser Phase der Aspekt der schnellen Datenlieferung («Real/NearTime»). Dies muss nach Kredittyp und Zuweisungsprozess durch das Finanzinstitut ab der Konzeptionsphase des Data Warehouse berücksichtigt werden. Der zweite Schritt besteht darin, unterschiedliche Typen von Management Dashboards zu bestimmen, die der Risikomanager benötigt. Derzeit haben nur wenige Man ager Zugang zu den richtigen Informationen, im korrekten Format und zum angemessenen Zeitpunkt. Ursache ist die Silobildung in der Banken-IT: Zwar sind die Daten vorhanden, aber nicht verfügbar – schon gar nicht in der gewünschten Granularität. Mit dieser Herausforderung – meist verursacht durch historisch gewachsene und inzwischen veraltete IT-Landschaften – kämpfen nahezu alle Banken. Dank der Bereitstellung eines Data Warehouse wird es nun möglich, Dash boards nach den Ansprüchen des Risikomanagements zu entwerfen. Diese geben den Instituten einen Überblick über
die Kreditrisiken – und zwar in unterschiedlichen Dimensionen: geographische Verteilung, Produkte, betroffene Produkte, Sicherheiten, Kundenbetreuer, besondere Umstände (zum Beispiel Foreclosure, Repossessions) bis hin zum Drill Down auf die Einzelkredit- oder Transaktionsebene. Ein anderer wichtiger Aspekt von Business Intelligence im Management des Kreditrisikos ist die Berechnung von Kredit-Scores (internes Scoring). Diese können durch verschiedene Data Mining-Algorithmen berechnet werden wie zum Beispiel das «Clustering» oder «Predictive Modelling». Die Algorithmen sagen die Wahrscheinlichkeit vorher, mit der ein Kredit als zahlungsgestört einzustufen ist, oder geben frühe Hinweise auf Betrugsaktivitäten. Data Mining ist hier mittlerweile unentbehrlich geworden und eignet sich speziell für solche Finanzprodukte, die einerseits hohe Volumina an Roh- und Transaktionsdaten besitzen, andererseits aber auch viele Abhängigkeiten zu anderen Systemen aufweisen und dadurch eine hohe Komplexität verursachen (wie etwa die Kreditvergabe). Fazit: Risikomanagement ist für Banken nicht nur essentiell. Durch neue Initiativen infolge der Finanzkrise ist zusätzlich eine deutliche Verschärfung der regulatorischen Rahmenbedingungen zu erwarten. Bereits heute stoßen manche Kreditinstitute an ihre Grenzen, die durch Systemsilos verursacht werden. Im BI-Bereich sind Data Warehouse-Lösungen prädestiniert dafür, mehrere Fliegen mit einer Klappe zu schlagen. So werden nicht nur ComplianceAnforderungen erfüllt, sondern es entstehen weit umfassendere Analysemöglichkeiten, die entscheidend zur Verbesserung der eigenen Wettbewerbsposition beitragen.
*Die Autoren Mathias Walter, Industry Manager Finance Germany mathias.walter@trivadis.com Giuseppe Calabrese, Solution Manager Business Intelligence giuseppe.calabrese@trivadis.com www.trivadis.com
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Management CRM
Kundenanalysen
Wissensnutzung. Von Heinz D. Schultz*
Profitable Kundenbeziehungen werden immer wichtiger. Innovative Unternehmen setzen dabei vor allem auf Advanced CRM Analytics.
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as gute alte Kundenbeziehungsmanagement – neudeutsch CRM (Customer Relationship Manage ment) – erklimmt durch immer stärkeren Wettbewerbsdruck und Marktrisiken eine neue Stufe: In Form von Advanced CRM Analytics werden die Methoden der klassischen Business Intelligence (BI) mit operationellen Verfahren kombiniert. Hintergrund ist, dass Unternehmen zunehmend bestrebt sind, Innovationen zu stärken und trotzdem Kosteneffizienz voranzutreiben. So jedenfalls lautet die Quintessenz einer Befragung des Controller-Vereins und des Beratungshauses Roland Berger, bei der mehr als 50 Finanzchefs (CFO) und kaufmännische Leiter zu ihren strategischen Schwerpunkten für das Jahr 2010 interviewt wurden. Viele Unternehmen sind laut Studie wieder bereit zu investieren und Innovationen voranzutreiben. Voraussetzung ist jedoch, dass Innovationen in die Optimierung der eigenen Prozesse fließen, um die Effizienz zu steigern. Vor dem Hintergrund eines sich ständig verschärfenden Konkurrenzkampfes rückt in der Unternehmenssteuerung die Kenntnis der Kundenwünsche immer stärker in den Mit-
«Wissen über Menschen, das Angebot und das Geschäft akkumulieren.» telpunkt. Dabei geht es einerseits um die Nutzung dieses Wissens zur Gewinnung neuer oder zur Bindung bestehender Kunden, andererseits muss dieses Wissen dazu genutzt werden, um im Absatz konkrete Käufe zu generieren. Um diese Ziele zu erreichen, lohnt sich der Einsatz der Methode der sogenannten Advanced CRM Analytics. So können Unternehmen, die eine Internetseite betreiben, jeden Schritt der Besucher erfassen und analysieren. Auf diese Weise schaffen sie die Möglichkeit, umfangreiches Wissen über die Menschen, aber auch über das Angebot und
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das Geschäft zu akkumulieren. Wie viele Leute betreten ihre Seite, gehen aber sofort wieder heraus? Verlassen sie den Onlineshop erst nach genauer Begutachtung des Angebots? Durch die Analyse des Verhaltens können Kundenwünsche erkannt und Maßnahmen zur Optimierung der Geschäftsprozesse umgesetzt werden. Das Data Warehouse bietet dafür bereits eine fundierte (historische) Analysegrundlage für zahlreiche Fragestellungen. Durch Anreicherung mit den Daten über das Verhalten des Kunden und den Abgleich mit ähnlichen Kundenprofilen lassen sich fundierte Informationen über die Wünsche und Präferenzen der Kunden gewinnen. Beispiel: Der Betreiber eines Online-Schuhladens verzeichnet für diverse Modelle eines amerikanischen Herstellers eine hohe Retourenquote. Bei der Analyse der Daten fällt ihm auf, dass gerade die Käufer dieser Modelle vor dem Kaufabschluss die Größentabelle auf der Internetseite gelesen haben. Der Wunsch dieser Kunden ist offensichtlich: Sie legen starken Wert auf die passende Schuhgröße. Nach weiterer Analyse fällt auf, dass nach dem Rückversand der Schuhe diese oft nochmals eine Größe kleiner bestellt werden und erst danach die Kunden wirklich zufrieden sind. Derart anspruchsvolle Onlinegäste können durch Behavioral Targeting in Echtzeit angesprochen werden: Während des Seitenbesuchs werden sie anhand des Klick-Verhaltens in Zielgruppen eingeordnet – anonym und datenschutzkonform. So können die erwähnten Interessenten für den amerikanischen Schuh nun frühzeitig erkannt und zugleich sofort beraten werden. Die Unsicherheit bei der Größenauswahl verschwindet. Hat sich ein Seitenbesucher für den Schuh entschieden, könnte zum Beispiel der Hinweis erfolgen, dass dieses Modell sehr groß ausfalle und es zu empfehlen sei, diesen eine Nummer kleiner zu bestellen. Hierdurch lässt sich die Retouren-Quote reduzieren; die Kosten für die Bearbeitung von Rücksendungen sinken.
CRM Management
Umfassend: Das Prozess modell Advanced CRM Analytics integriert tradi tionelle und operative Business Intelligence.
System aus traditioneller und operativer Business Intelligence Sammeln der Nutzerdaten
Anreicherung Umsatz/DB/Kosten
Reporting
Nutzbarkeit
Internetseite
Verarbeitung
BI / Data Warehouse
Kunde
MarketingMassnahmen
Prozesse
Mehrwertgenerierung Anwender Ansprache entwickeln
Operative BI
Steuerung
Internetseite optimieren
Auslöser CRM – ERP
Traditionelle BI
Ein derart ausgeklügeltes CRM-System lässt sich indes nur durch den integrierten Einsatz von traditioneller und operativer Business Intelligence (BI) realisieren. Im Rahmen dieses integrierten Gesamtansatzes soll durch die Integration von Strategien, Prozessen und Technologien aus
«Anspruchsvolle Onlinegäste durch Behavioral Targeting in Echtzeit ansprechen.» verteilten und inhomogenen Unternehmens-, Markt- und Wettbewerberdaten erfolgsrelevantes Wissen über Status, Potentiale und Perspektiven erzeugt und für Entscheidungsträger nutzbar gemacht werden. Folgende Kernbereiche lassen sich unterscheiden: • Analytische Datenhaltung: Die Datenhaltung transaktionaler ERP-Systeme ist für die Unterstützung der zugrunde liegenden Geschäftsprozesse optimiert. Für die Entscheidungsunterstützung hat sich mittlerweile jedoch eine separate, speziell am jeweiligen Entscheidungsobjekt wie etwa Kunden, Produkte oder Regionen orientierte Datenhaltung bewährt. Derartige Data Warehouses bieten vielfältige Auswertungsmöglichkeiten der Informationen. • Analytische Modell- und Methodenbanken: Moderne Informationssysteme ermöglichen die Abbildung einer Vielzahl analytischer Funktionen, die weit über die Möglichkeiten etablierter Controlling-Werkzeuge hinausgehen. • Visualisierung und Informationsaufbereitung: Neben klassischem Reporting ermöglichen spezielle Visualisierungswerkzeuge die Darstellung komplexer Zusammenhänge sowie das Erkennen von Ursachen und Wirkungen durch mehrdimensionale Analysen oder statistische Algorithmen sowie Data Mining. • Operationelle BI und analytische Prozessunterstützung: Die Abbildung von Prozessen ist zwar schon lange eine
Domäne traditioneller transaktionaler ERP-Systeme. Eine neue Softwarekategorie integriert jedoch darüber hinaus die Möglichkeiten analytischer Programme und die Anforderungen der Prozessunterstützung. Primäres Ziel ist die Unterstützung zeitkritischer Entscheidungen während des Prozessablaufes. Der Trend geht jedoch in Richtung eines Closed Loop-Ansatzes, bei dem die Erkenntnisse aus der Analyse von Prozessen in deren Optimierung zurückfließt und so kontinuierliche Verbesserungen ermöglicht. Die Nutzenpotentiale aus der Integration von traditioneller und operationeller BI für eine ausgereifte CRM-Analyse sind vielfältig. Sie reichen von der Optimierung des Produkt- und Serviceangebotes aufgrund besserer Kenntnis der Kundenwünsche über die Reduktion von Call CenterAusgaben bis hin zu höheren Konvertierungsraten.
*Der Autor Heinz D. Schultz ist CEO der Mindlab Solutions GmbH. Der Absolvent der Harvard Business School verfügt über 28 Jahre Erfahrung als Senior Manager in internationalen Unternehmen wie zum Beispiel ITT, dem Schweizer Bankverein oder EMC². heinz.d.schultz@mindlab.de
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Management BI-Praxis
Projektmanagement
Modellfall. Von Hilmar Buchta*
Systematisches Vorgehen entscheidet in Business Intelligence-Projekten besonders über den Erfolg. Anwender und Entscheider müssen von Beginn an eingebunden werden.
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Analyse
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Konzept
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Realisierung
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Bereitstellung
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Betrieb
Klare Logik: Phasen eines Vorgehensmodells. ihr Ergebnis hinsichtlich der Auswertung zu reduzieren. Dies wird in der Praxis leider oft ignoriert – und führt zu überfrachteten, schwer bedienbaren Systemen. Dies wiederum akzeptieren nur noch wenige Anwender. Denn der Dialog mit ihnen ist aufwendiger als die reine Ist-Analyse der vorhandenen technischen Systeme. Ein Vorgehensmodell kann hier Anleitungen und Moderationsmethoden bereitstellen, um die fachlichen Anforderungen in Workshops und Interviews leichter zu verstehen. Aber inwieweit können Projektmanager besser auf die Anforderungen der Anwender eingehen? Bringt es denn etwas, hier über Strukturen zu sprechen, die sich mit den vorhandenen Daten gar nicht abbilden lassen? Diese Vorbehalte sind in den meisten Fällen unbegründet. Im Gegenteil findet man sich häufiger in der Situation, dass Anwender sich über die rasant wachsenden technischen Möglichkeiten
Quelle: Oraylis
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Qualitätsmanagement
Business Intelligence-Projekt
Projektmanagement
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ehr als bei anderen IT-Vorhaben sollten die Verantwortlichen bei Business Intelligence-Projekten (BI-Projekten) alle notwendigen Voraussetzungen klären. Auch der Projektverlauf muss sich iterativ an schnell ändernde Geschäftsanforderungen anpassen. Klassische Methoden wie etwa das V-Modell oder das Prince 2-Verfahren allein können diese Aspekte nicht abdecken. Diese basieren zwar auf mehreren Jahrzehnten an Erfahrung mit IT-Großprojekten und bilden im Hinblick auf Projektorganisation und Rollen, Verantwortlichkeiten, Dokumentationen und Freigabeprozesse eine wichtige Grundlage. Da ihr Fokus jedoch auf dem Vorgehen liegt, unterstützen diese Modelle nicht die eigentlichen Projektinhalte. Tatsächlich können ein BI-Projekt und ein Release-Wechsel im ERP-System organisatorisch sehr ähnlich behandelt und gesteuert werden, fachlich gibt es jedoch gravierende Unterschiede. Um den Projekterfolg in einer wiederholbaren Weise sicherzustellen, sollte neben der organisatorischen Herangehensweise ganz besonders auch das fachliche Vorgehen, zum Beispiel durch Werkzeuge, Checklisten, Fragebögen und Dokumentenvorlagen, standardisiert werden. Dadurch vermeidet das Management im Projekt Fehler und gelangt schneller zu einer hochwertigen Lösung. Dafür ist es wichtig, die wesentlichen Erfolgsfaktoren und Risiken der konkreten Projektsituation zu kennen. Ein verbreiteter Fehler in BI-Projekten liegt vor allem in einer rein technischen Wahrnehmung der Herausforderung: Weil die Quelldaten in den unterschiedlichen Systemen bereits vorliegen, unterstellen die Verantwortlichen, dass es gar keinen Spielraum dafür gebe, wie diese Daten den Anwendern bereitgestellt werden können. Die Praxis zeigt, dass dieser Spielraum nicht nur besteht, sondern sogar den eigentlichen Kern des BI-Projekts ausmacht. Die Projektmanager müssen den Mut aufbringen, die operative Komplexität zu vereinfachen, Kennzahlen bereichsübergreifend einheitlich zu benennen und viele Sonderfälle auf
Hohe Aufmerksamkeit: In Business Intelligence-Projekten lohnt sich die Entwicklung von Prototypen. nicht im Klaren sind und die Anforderungen eher zu einer IT-Landschaft aus dem vorherigen Jahrzehnt passen. Ein Indiz für diesen Umstand ist die häufige Anforderung, Datenextrakte oder Berichte mit unglaublich vielen Spalten (sogenannte Datentapeten) bereitzustellen. In der Vergangenheit war es häufig so, dass die Fachabteilung sich selbst bei der Aufbereitung und Auswertung der Daten helfen musste, da die IT hierzu nicht die technischen und zeitlichen Möglichkeiten hatte. Aber gerade bei Business Intelligence wächst das Angebot an gut bedienbaren Analyse- und Auswertungswerkzeugen unglaublich schnell. Im BI-Projekt sollte man daher immer einplanen, die Anwender vor der eigentlichen Aufnahme aller Detailanforderungen mit den aktuellen Möglichkeiten vertraut zu machen. Sehr gut bewährt haben sich hier Prototyp-Entwicklungen oder Pilotprojekte, aber auch Schulungen in BI-Methodik. Nur wer die Möglichkeiten kennt, kann vernünftige Anforderungen formulieren. Anstatt eine Datentapete mit 30 Spalten zu fordern, aus denen sich manuell die benötigten Kennzahlen berechnen lassen, kann Business Intelligence jetzt direkt die Kennzahlen liefern – und zwar ohne zusätzliche Fehlerquellen und mit sehr viel geringerem Zeitbedarf. Ein weiterer wichtiger Grund, warum Fachbereiche dazu tendieren, ihre Rohdaten komplett eigenständig zu analysieren statt dies einer zentralen BI-Lösung zu überlassen, liegt häufig in der Angst vor einer erhöhten Transparenz der Kennzahlen. Denn während früher die Fachbereiche die Zahlen selbst ausrechneten, aufbereiteten und erst nach genauer eigener Prüfung kommentiert weiterleiteten, kann heute das Management diese Daten einfach per Knopfdruck ermitteln. Diese Ängste dürfen nicht ignoriert werden. Denn ein BI-Projekt gedeiht am besten in einer Atmosphäre der Begeisterung und der Aufbruchstimmung. Oft ist es hilfreich, direkt zu Projektbeginn den Betriebsrat einzubinden, ein Konzept für die Datensicherheit zu erstellen und sich mit allen Beteiligten genau über die Möglichkeiten und ge-
wollten Grenzen der BI-Lösung abzustimmen. Kommunikation kann vielen Problemen vorbeugen. Eine dritte Hürde ist oft das fehlende Vertrauen in die Datenqualität – was das BI-Projekt fast sicher die Akzeptanz kostet. Deshalb müssen die Verantwortlichen bereits während der Modellierung Testverfahren konzipieren, die jederzeit die absolute Korrektheit der Ergebnisse sicherstellen. Glücklicherweise lässt sich hier sehr viel automatisie-
«Bereits während der Modellierung Testverfahren konzipieren.» ren (zum Beispiel Vergleiche auf Vollständigkeit der Daten oder der Abgleich von Zwischensummen). Daneben ist es aber auch wichtig, alle Berechnungen genau zu definieren und für Anwender nachvollziehbar zu machen. Spätestens bei der Konsolidierung aller Anforderungen wird jedoch schnell klar, dass praktisch jedes BI-Projekt die Unterstützung des Topmanagements benötigt. Prozesse betreffen nur selten eine einzige Abteilung. Entscheidungen müssen auf einer höheren Ebene getroffen werden können. Sehr wichtig ist an dieser Stelle auch das Erwartungs management: Je konkreter sich Management und Anwender die spätere Lösung vorstellen können, umso weniger wird es anschließend zu Überraschungen kommen. Da sich die Anforderungen an BI-Projekte direkt aus den Wertschöpfungs- und Geschäftsprozessen des Unternehmens ergeben und das Projekt vielfach inklusive Planung, Analyse und Realisierung etliche Monate dauert, ist es eher untypisch, dass die fachlichen Anforderungen während der Umsetzung konstant bleiben. Geänderte Voraussetzungen und Anforderungen nicht zu berücksichtigen, führt deshalb zu einer schlechteren Anwendbarkeit der Lösung, Nutzen und Akzeptanz sinken. Hier ist ein solides Anforderungsund Änderungsmanagement notwendig, um nicht den Projekterfolg zu riskieren.
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Management Statistik
Analytisches E-GovernmenT
Staatsstärke. Von Dr. Elmar Benelli*
Öffentliche Stellen setzen in puncto Business Intelligence (BI) zunehmend Benchmarks. Ein starkes Beispiel ist Lamda X, das BI-System der Schweizerischen Arbeitsmarktstatistik.
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as System beeindruckt Schweizer Nutzer wie deutsche Partner gleichermaßen: Täglich können zahlreiche Entscheider aus Politik und Verwaltung mittels einer modernen BI-Lösung flexibel über das Internet auf die Daten der Arbeitsmarktstatistik des Staatssekretariates für Wirtschaft (Seco) zugreifen. Per E-Mail und SMS informieren sie sich dort über die neuesten Arbeitslosenzahlen. Das war nicht immer so. Das Arbeitslosenversicherungsgesetz (AVIG) von 1995 brachte einen Paradigmenwechsel von der passiven Verwaltung der Arbeitslosen zu einer aktiven Arbeitsmarktpolitik, beispielsweise mit dem Aufbau der regionalen Arbeitsvermittlungszentren RAV. Diese Neuerung führte dazu, dass nicht nur das Seco-Management immer mehr zusätzliche Daten für den Vollzug des AVIG benötigte, sondern auch die Kantone hatten Bedarf an Daten zu Steuerungszwecken. Die Experten der Arbeitsmarktstatistik stießen mit den damaligen Methoden jedoch bald an Grenzen. Mittels pa rallel verlaufender, individueller Programmierungen muss ten mühsam Tausende von Papiertabellen erzeugt und an die interessierten Stellen versandt werden: allein für den Bereich der offiziellen Arbeitsmarktstatistik monat-
«Informationen mit weniger Aufwand kundengerechter präsentieren.» lich 17’000 Seiten. Es galt, den stetig steigenden Anforderungen der unterschiedlichen Bedarfsträger aus Politik, Vollzug und Öffentlichkeit nachzukommen und die Informationen mit weniger Aufwand kundengerechter und aktueller zu präsentieren. Aus diesen Gründen entschied sich das Seco-Manage-
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Mit spitzem Stift: Die Schweizerische Arbeitsmarktstatis tik misst die Erfolgsindikatoren sehr genau. ment für den Aufbau eines ersten BI-Systems – in der Form eines klassischen Data Warehouse (DWH). Die föderalen, heterogenen Strukturen des Seco erleichterten den Verantwortlichen die Entscheidung, die Auswertungen vollständig internetbasiert anzubieten. Ab 2003 konnten die Benutzer in den Kantonen und bei den Arbeitslosenkassen *Der Autor Dr. Elmar Benelli ist Leiter Lamda bei der Arbeitsmarktstatistik des Schweizerischen Staatssekretariats für Wirtschaft (Seco) in Bern. elmar.benelli@seco.admin.ch
Mit Argusaugen: Auch junge Arbeitssuchende profitieren von dem flexiblen System. Es hilft zu erkennen, wenn zum Beispiel keine Plätze mehr in Beschäftigungsprogrammen frei sind, dafür aber bei Sprachkursen. (ALK) mit ihren Browsern die ersten, monatlich aktualisierten Auswertungen vornehmen: vor allem beim Standard-, teils auch beim Ad-hoc-Reporting. Die Ablösung des für die Vermittlung benutzten Systems machte die Erneuerung des DWH erforderlich. Die Grundstrukturen (Oracle und Informatica) hatten sich bewährt und wurden übernommen, aber im Bereich des Front End entschieden sich die Verantwortlichen, mittels einer WTOAusschreibung eine neue Lösung zu suchen. Nach einer in-
Innovative Brücke Schweiz – Deutschland Das BI-System der Seco profitiert auch von der Zusammenarbeit der Ausgleichsstelle der Schweiz erischen Arbeitslosenversicherung (ALV) und deutschen Bundesagentur für Arbeit (BA): Beide Organisationen haben die Aufgabe, die Arbeitslosigkeit zu vermeiden und ihre Dauer zu verkürzen. Entsprechend gibt es auch einen regelmäßigen Austausch unter anderem über Kennzahlen. Die deutsche BA ist nicht nur zuständig für die deutsche Arbeitslosenversicherung (Vermittlung und Zahlungen), sondern auch für die Berufsberatung und die Förderung der beruflichen Eingliederung behinderter Menschen. In der Schweiz werden zentral nur Regeln vorgegeben und die Kantone und unabhängigen Arbeitslosenkassen für die Ausgaben (entsprechend der Anzahl der betreuten Stellensuchenden) entschädigt. Die Kantone erhöhen oder verringern die Zahl der Mitarbeiter je nach Konjunkturverlauf. Das BI-System der Arbeitsmarktstatistik verbindet die Daten der operativen Systeme der sehr unterschiedlichen Organisationen.
tensiven, anforderungsreichen Evaluation begann mithilfe des Ausschreibungsgewinners Microstrategy die Entwicklung der neuen Auswertungen. Schon im April 2009 wechselten die Projektverantwortlichen auf die gerade eingeführte
«Das BI-System passt sich an die dezentralen politischen Strukturen an.» neueste Version 9.0, um den mehrsprachigen Benutzerkreis besser ansprechen zu können. Nach kurzer Realisierungsund Schulungszeit konnten ab Juli 2009 die Statistiken mit den neuen Strukturen und dem neuen BI-Front End in allen drei Landessprachen ausgewertet werden. Die für die Arbeitslosenversicherung (ALV), neben den offiziellen Arbeitslosenzahlen, wohl relevanteste Anwendung ist die Wirkungsmessung. In der schweizerischen ALV überwiegen, im Gegensatz zu Deutschland, föderalistische Strukturen und Organisationsformen. Die Ausgleichsstelle kann nur mit Überzeugungsarbeit versuchen, alle beteiligten Organisationen – 26 kantonale Amtsstellen, 43 ALK – auf eine gemeinsame Strategie festzulegen und anschließend die Ziele über eine Art Staatsvertrag mit jedem einzelnen Kanton zu vereinbaren. Zuerst überwog die Leistungsmessung, die sogenannte Input-Steuerung, bevor alle Beteiligten realisierten, dass es sinnvoller wäre, das Erreichen gewisser Ziele zu messen – also den Output. In der Folge wurden die heute verwendeten vier Wirkungsindikatoren vereinbart: Neben der raschen Wiedereingliederung und dem Verhindern von Langzeitarbeitslosigkeit umfasst dies das Vermeiden von Aussteuerungen und Wiederanmeldungen – also der Rückkehr in die Arbeitslosigkeit. Der Nutzen der Wirkungsmessung orientiert sich nicht am klassischen Zielvereinbarungssystem, das einen be-
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