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BR E NNN ESSE L
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PROTEINKRAUT D
Menschlicher und tierischer Urin enthält zahlreiche Stickstoffverbindungen. Da Brennnesseln stickstoffreiche Böden lieben, sollten sie in der Nähe von Spazierwegen über Kniehöhe abgeschnitten und nach der Ernte sehr gut gewaschen werden.
ie Brennnessel, die von vielen als Unkraut bezeichnet wird und besonders gut auf stickstoffreichem Boden wächst, ist voller Vitamine, Mineralstoffe und Proteine. Doch das Wildkraut beschränkt sich in seinem Standort nicht auf nährstoffreiche Waldböden. Auch in der Stadt ist die Nessel in Parks, auf Brachflächen oder auf Grünflächen neben Wohnhäusern anzutreffen. In Wien ist speziell die Donauinsel ein Brennnessel-Hotspot. Die Samen sind das Highlight der Brennnessel – zumindest was den Eiweißanteil angeht, denn sie enthalten drei Mal mehr Protein als Brennnesselblätter und schneiden mit rund 31 Gramm Eiweiß pro 100 Gramm Samen auch im Vergleich zu anderen pflanzlichen Eiweißquellen gut ab. Brennnesselsamen werden erst von Ende Juli bis November sichtbar und befinden sich sowohl in männlichen als auch in weiblichen Blütenständen. Für den Küchengebrauch sind eher die weiblichen Brennnesselsamen zu bevorzugen, da sie nährstoffreicher sind. Die frühreifen grünen Samen schmecken frisch, die
reiferen bräunlichen Exemplare haben einen nussigen Geschmack. Nesselsamen eignen sich entweder frisch in Pestos oder getrocknet in Salaten, Müslis und Aufstrichen. Außerdem lassen sich mit ihnen Müsliriegel herstellen und gemahlen ergeben sie ein einfach herzustellendes und handhabbares Proteinpulver. Auch wenn Brennnesselsamen einen hohen Eiweißgehalt haben, heißt das nicht automatisch, dass ihre Eiweißqualität gleichermaßen hoch ist. Da sie wie alle pflanzlichen Proteine eine geringere »biologische Wertigkeit« – ein Wert, der angibt, wie gut sich Proteine später in Körpereiweiße umwandeln lassen – als tierische Eiweiße haben, »ist es wichtig, pflanzliche Eiweißquellen gut zu kombinieren«, betont Regine Schönlechner, Lebensmitteltechnologin am Institut der Lebensmitteltechnologie an der Universität für Bodenkultur (Boku) Wien. Schönlechner zufolge enthält eine gute Kombination für ein eiweißreiches pflanzliches Gericht beispielsweise einen Mix aus Getreide und Hülsenfrüchten. Als Zuga-
BILD
TEXT Florian Jauk
ISTOCK.CO M/MADE LEINE STE INBACH
Manche Nährstoffe wachsen vor der Haustür.