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Verdichtung

»Wir Wollen nicht auf Die grüne WieSe«

Architekt Peter Nageler baut am liebsten dort, wo schon was steht.

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gemeinschaftsorientierung der BewohnerInnen ist keine zwangsläufige Voraussetzung für verdichteten Wohnbau. Und doch ist die spannendere Alternative zum Einfamilienhaus mit zwei Stockwerken, zwei Parkplätzen, Grünstreifen und Gartenzaun vermutlich nicht der klassische Wohnblock, sondern das Mehrfamilienhaus, in dem auch Gemeinschaftsflächen und gemeinsame Infrastruktur bestehen. Teilpartizipative Projekte, in denen sich die BewohnerInnen in unterschiedlichem Ausmaß in die Organisation von Gemeinschaftsaufgaben einbringen, könnten einen zukunftsfähigen Kompromiss zwischen dem Bedürfnis nach Wohnen mit »eigenem« Grün und dem nach funktionierender sozialer und infrastruktureller Anbindung für unterschiedliche Lebensabschnitte bilden. Niederösterreich hat in dieser Hinsicht aufgrund seines Bahnnetzes samt Nebenbahnen besonders gute Voraussetzungen, findet Peter Nageler, Gründer des auf Partizipation spezialisierten Archititekturbüros Nonconform. Nageler hat mit dem Projekt B.R.O.T in Pressbaum ein mit dem Kärntner Holzbaupreis prämiertes, aus sieben Gebäuden und 36 Wohneinheiten bestehendes Projekt verantwortet. Im Gespräch mit biorama erklärt er, warum ihn nur Partizipation noch mehr begeistert als Nachverdichtung.

Biorama: Warum gibt es nicht mehr Projekte mit dem architektonischen Konzept von B.R.O.T. in (Nieder-)Österreich?

pEtEr nagElEr: Wohnbaugesellschaften und andere Bauträger müssten einen Anreiz haben, Projekte anders zu entwickeln. Das sind aufwendige Dienstleistungen, die Büros wie unseres einplanen, weil es zu unserem Konzept gehört – die für die großen Wohnbauträger allerdings unüblich sind. Die sagen: »Wir wissen total gut, was die Menschen wollen. Diese antizipierten Wünsche lassen sich aber nur finanzieren, indem die Wohnungen sehr klein gehalten werden.«

Hinzu kommt: Für Gemeinschaftsflächen gibt es keine Wohnbauförderung, die gibt es nur für Wohnflächen.

Warum ist die Einbindung der späteren BewohnerInnen so entscheidend für das architektonische Vorhaben?

B.R.O.T. ist aus einem Verein aus Leuten entstanden, die bereit waren, gemeinsam Vorstellungen auszuarbeiten und dahinter zu bleiben.

intErviEW

Irina Zelewitz

peter nageler

ist auf partizipative Architektur und Raumentwicklung spezialisiert und hat 1999 das Architekturbüro Nonconform mitgegründet.

» aRcHiTekTuR in niedeRÖSTeRReicH 2010–2020«

von eva Guttmann, Gabriele kaiser und Franziska leeb, Park books, 2021. Der vierte band der vom orte architekturnetzwerk niederösterreich herausgegebenen reihe »architektur in niederösterreich« dokumentiert die baukultur niederösterreichs von 2010 bis 2020. b.r.o.t ist eines der dort präsentierten Projekte im bereich Wohnbau. Vor Ort in Pressbaum gab es eine Widmung für zwei Wohneinheiten pro Parzelle. Es war knifflig, eine mit dieser Flächenwidmung kompatible Lösung zu finden. Heute ist dort auch eine Food Coop angesiedelt und acht Wohnungen benützen die zwei Waschmaschinen im Haus, um ganz simple Beispiele zu nennen. Die BewohnerInnen des Projekts B.R.O.T. haben ein Carsharing-Modell. Um klassische niederösterreichische Verhältnissen zu erfüllen, müssten wir dort pro Wohnung zwei Stellplätze haben, also insgesamt 72. Die Menschen dort kommen aber mit 20 aus.

Man kennt sich, übernimmt Aufgaben und Verantwortung. Nicht zuletzt in der Kinderbetreuung, die durch die vorhandenen Gemeinschaftsflächen viel einfacher aufgeteilt werden kann. Gegenseitige Unterstützungsmöglichkeiten mitzudenken bedeutet außerdem auch eine Wertschätzung, die eine Gesellschaft älteren Menschen entgegenzubringen hat.

Muss die Bauherrin eine Baugruppe sein, damit sie zu spannenden Ergebnissen kommt?

Es gibt auch Projekte mit reduzierter Form laufenden Engagements in der Gemeinschaft. Und was wir aus dem Projekt in Pressbaum gelernt haben, ist, dass es auch gleichzeitig unterschiedliche Stufen von Partizipation geben kann. Ich kann als Mitglied der Baugruppe von vornherein sagen, dass ich mich in die Gemeinschaftsprojekte nur begrenzt involvieren will. Genauso hatten wir unterschiedliche Anteile an Eigenmitteln, die eingebracht wurden – manche konnten mehr einbringen als andere und haben das auch gemacht.

Warum gibt es nicht mehr Baugruppen?

Ich gehe ein gemeinsames Risiko mit anderen ein. Die Menschen muss ich erst einmal wo kennenlernen und dann bereit sein, mir dieses Risiko mit ihnen zu teilen. Außerdem ist der Zugang zu entsprechenden Flächen nicht immer einfach. Der Markt ist stark dominiert von Bauträgern.

Wenn Sie für Ihre Projekte Orte mit öffentlicher Verkehrsanbindung suchen, wie leicht finden Sie noch Flächen?

Es gibt viele Orte in Niederösterreich, von denen aus man in einer halben Stunde in Wien ist. Also das öffentliche Verkehrsnetz ist im Grunde da. Der Wandel, dass Städte durch die Pandemie ein bisschen Dynamik verloren haben, wird für viele Gemeinden eine Chance sein. Und auch wenn nicht plötzlich alle aufs Land ziehen, bekommen viele Gemeinden eine neue Zukunftschance.

Wie groß ist der ehrliche Widerspruch zwischen Verdichtung und Individualverkehr?

In St. Pölten arbeiten wir gerade ein Projekt für 300 Wohnungen aus und diskutieren, ob wir unter 1,5 Stellplätze pro Wohneinheit kommen. Das ist absurd. Machen wir doch den Straßenraum frei von jenen Autos, die am Straßenrand rumstehen und nicht gefahren werden. Da müssen wir uns irgendwo von unserer Fixierung auf Eigentum lösen. Im urbanen Raum

brauch ich einfach kein eigenes Auto. Vom eigenen Auto geht eine erhebliche Eigendynamik aus. Es werden dadurch zum Beispiel auch Innenlagen des Wohnens und des Einkaufens unattraktiv.

Wie schaut der verdichtete Wohnbau aus – prototypisch?

Es gibt nicht das eine Bild, wir brauchen viele. Wir müssen einen Katalog von Möglichkeiten aufzeigen.

In Innenlagen wie St. Pölten – nicht in der Großstadt, aber in urbaner Struktur – wird es forciert in den Holzbau gehen. Es wird um gemeinschaftliche Nutzung gehen, im verdichteten Wohnbau etwa ein Public Home Office geben. Arbeiten und Wohnen werden sich weiter verknüpfen.

In den Immo-Teilen der Zeitungen wird nach wie vor das Einfamilienhaus gepusht. Der Wunsch nach dieser Wohnform ist zu respektieren, aber nicht zu forcieren. Aus raumplanerischer Perspektive kann man das nicht fördern wollen. Das kann noch so durchgeplant sein: Das Einfamilienhaus hat einen zu großen Flächenverbrauch pro Kopf. Verdichten klingt immer nach »Wir drücken noch was rein und wir kleschen noch was drauf«, aber es geht vor allem darum,Bestand zu aktivieren, statt auf der grünen Wiese zu bauen.

Die niederösterreichische Wohnbauförderung ist gut und notwendig, doch wir bräuchten eine Umschichtung Richtung Bestandssanierung. 25–50% der Förderungen sollten hier zweckgebunden sein, um Bodenverbrauch und Leerstand zu reduzieren. Laut Umweltbundesamt steht in Österreich die Fläche Wiens an gewidmeten Projekten leer, gemessen in bewohnbarer Fläche.

Was können Gemeinden tun?

Die Gemeinden müssen artikulieren, dass sie es wünschenswert finden, dass wer kommt. Dass man Zuzug unterstützt und die Menschen auch einbinden möchte. Die Kommunen sind sehr mit administrativen Dingen eingedeckt und die MitarbeiterInnen haben oft wenig Spielraum, Zukunftsideen zu entwickeln.

Ist diese Form des Wohnens ein elitäres Konzept? Wohin kann ich mich wenden?

Alles, was voraussetzt, dass man eine Menge Zeit investieren kann, ist derzeit leider ein tendenziell elitäres Konzept.

Es gibt einige Büros, die sich auf partizipative Projekte spezialisiert haben. Ich bin davon überzeugt, dass es für alle, die mit der Prämisse antreten, zukunftsfähig und entsprechend den Klimazielen bauen zu wollen, künftig mehr passende Angebote geben wird und wir sind dabei, uns hier auch für den Aufbau entsprechender Informationsplattformen zu engagieren.

»Verdichten klingt immer nach ›Wir drücken noch was rein und wir kleschen noch was drauf.‹«

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