9 minute read

Auf Sand gebaut

Next Article
Bild der Ausgabe

Bild der Ausgabe

Der Tunnelbau zu Wien: Über ein Grabungsprojekt, bei dem es vielleicht vor allem darum geht, den Schatz nicht zu »finden«.

TEXT

Advertisement

Werner Sturmberger 8,2 Kilometer liegen zwischen den beiden Enden des geplanten und nun in neuerlicher Prüfung befindlichen Lobautunnels. Noch weiter sind die Positionen von BefürworterInnen und GegnerInnen des Riesenprojekts voneinander entfernt. Selbst nach zwei debattenreichen Jahrzehnten besteht keine Einigkeit darüber, ob das Straßenbauprojekt die richtigen Antworten auf die verkehrs- und entwicklungspolitischen Herausforderungen der Stadtregion Wien bereithält. Nicht zuletzt deshalb, weil zwischen Planung und möglicher Fertigstellung mehr als 30 Jahre vergehen würden. Aufgrund der stetigen Verzögerungen könnte der Tunnel frühestens in den 2030er-Jahren eröffnet werden. Also nur wenige Jahre bevor die selbsternannte Klimamusterstadt Wien CO2-neutral sein will. Das soll im Jahr 2040 passieren, geht es nach der rot-pinken Stadtregierung.

Für die ausführende Asfinag wird das Projekt zunehmend zum Spießrutenlauf zwischen Umweltverträglichkeitsprüfung, UmweltschützerInnen, BürgerInneninitiativen und GemüsegärtnerInnen. Doch nicht nur in juristischer Hinsicht bewegt sich die Asfinag auf unsicherem Terrain. Auch die Streckenführung des Tunnels ist aus technischer Sicht als zumindest herausfordernd zu beschreiben und lässt UmweltschützerInnen um das intakte Grundwasser bangen. In etwa einem Kilometer Entfernung vom Friedhof der Namenlosen sollen

die beiden Tunnelröhren unter die Erde abtauchen. Der Verlauf führt dabei unter dem Alberner Hafen, der Donau, dem Ölhafen Lobau und dem Nationalpark hindurch. Hinter dem Donau-Altarm Groß-Enzersdorf bahnt sich der Tunnel schließlich seinen Weg ans Tageslicht und soll so die Nordost-Umfahrung der Stadt Wien vervollständigen.

WIEN IST ANDERS – AUCH IM UNTERGRUND

Erschwert wird das von der sehr speziellen geologischen Beschaffenheit des Wiener Untergrunds – und vom Ölhafen Lobau. Wer im Geografieunterricht aufgepasst hat, weiß, das Wiener Becken ist ein inneralpines Einbruchsbecken. Starke Bewegungen des Untergrundes haben es in eine Vielzahl tektonischer Schollen zerbrochen, die sich bis zum heutigen Tag bewegen. Während es topografisch die Alpen von den Westkarpaten trennt, stellt es geologisch betrachtet über die Gesteine im Untergrund eine Verbindung her. Das sogenannte Zerrbecken verläuft in Rautenform von Gloggnitz in nordöstlicher Richtung bis hin nach Ungarisch Hradisch (Uherské Hradišt) in Tschechien. Es hat eine Länge von 250 km und eine Breite von 60 km. Der Wiener Stephansdom liegt etwa 1,5 km über dem alpinen Untergrund. Der tiefste Punkt im Raum Wien befindet sich aber unweit südwestlich: »Die Lobau liegt inmitten des Wiener Beckens über einer geologischen Tiefenstruktur, dem 5,5 km tiefen Schwechat-Tief. Genau hier sind die geologischen Schichten regional maximal abgesenkt und tektonisch verstellt«, erklärt Markus Fiebig, Geologe an der Universität für Bodenkultur (boku) Wien.

Dass das Wiener Becken dennoch eine recht flache Angelegenheit ist, liegt an der Donau, die dieses seit Jahrmillionen durchfließt und mit Sedimenten und Wasser befüllt. Während man nur wenige Kilometer flussabwärts – etwa auf Höhe des Flughafen Schwechats – im Unter-

5 Milliarden Kubikmeter Trinkwasser

lagern in den weitläufigen Sandschichten tief unter der Lobau. Genug, um die Stadt Wien 35 Jahre lang mit Trinkwasser zu versorgen.

8,2 km lang

sollte der Lobautunnel werden und dabei den Alberner Hafen, die Donau, den Ölhafen Lobau, den Nationalpark und Donau-Altarm Groß-Enzersdorf unterqueren.

Damit wäre es nur eine Frage der Zeit, bis die Röhren undicht und zu einer Verunreinigung des Grundwassers führen würden. Diese würde aber wahrscheinlich nicht nur das strömende Grundwasser, sondern auch ein bislang kaum thematisiertes Grundwasserreservoir unter dem Nationalpark betreffen. grund der Donau bereits in geringerer Tiefe auf dichtende Schluffe und Tone stößt, herrschen unter der Lobau andere Voraussetzungen. Der Untergrund der Lobau zeichnet sich durch einen besonders massiven Grundwasserkörper aus. Dieser besteht aus einer etwa 30 Meter dicken Kies- und einer etwa ebenso starken, darunter liegenden Sandschicht. Erst in etwa 60 Metern Tiefe stößt man auf die wasserundurchlässige Schicht aus Schluff und Ton, die den Grundwasserkörper begrenzt. Die von der Asfinag geplante Routenführung soll bis zu 60 Meter tief in den Boden reichen. Damit berühren die Tunnelröhren die dichtende SchluffTon-Schicht, queren aber auch den durchströmten Grundwasserkörper darüber.

Der Tunnel unterquert zudem den stark verunreinigten Untergrund im Bereich der Altlast Zentraltanklager Lobau. Durch Bombardements im Zweiten Weltkrieg und Leckagen in den folgenden Betriebsjahren sickerten große Mengen Mineralölprodukte in den Untergrund. Um das Einsickern von Wasser aus der Neuen Donau zu verhindern, wurde dort 2009 eine 60 Meter tiefe Dichtwand errichtet. Der Lobautunnel soll quer durch diese verlaufen.

»VOR DER HACKE IST ES DUSTER«

Darum sorgen nicht nur die entwicklungspolitischen Implikationen, sondern auch die konkrete Routenführung des Projekts für Kritik. Die Asfinag versichert zwar, dass weder Tunnel noch Bauarbeiten den Grundwasserstrom beeinträchtigen würden, KritikerInnen teilen diese Zuversicht jedoch nicht. Eine so vermeintlich robuste Prognose sei aufgrund der komplexen geologischen Situation schlichtweg nicht haltbar. Die Umweltorganisation Virus, die selbst acht Gutachten zur Grundwassersituation in Auftrag gegeben hat, beschreibt die Grundwasserplanung als »Achillesferse aller Asfinag-Projekte«. Auch für Markus Fiebig stellt sich die Situation nicht so eindeutig dar: »Es gibt den alten Bergmannspruch: Vor der Hacke ist es duster. Was so viel heißt wie, dass man noch so viel untersuchen und noch so viel nachschauen kann – was dann wirklich kommt, das sieht man erst, wenn man dort am Graben ist. Wir verfügen nach wie vor nicht über die Werkzeuge, um ins Erdinnere, geschweige denn in die Zukunft zu blicken.«

Das gilt umso mehr für ein so komplexes und dynamisches System wie das Grundwasser: »Im Vergleich zum strömenden Grundwasserkörper ist die heutige Donau in puncto Wasserführung ein Zwerg. Allerdings strömt dieser blaue Grundwasser-Riese nicht überall gleichmäßig im Untergrund, sondern richtet sich nach den lokal verschiedenen Lockergesteinen, deren Porenräumen, deren Struktur, deren Material und deren Verfestigung«, so Fiebig.

Über den Grundwasserkörper der Lobau weiß man, dass seine Strömungen in Stockwerken verlaufen und miteinander verzahnt sind. Das Strömungsverhalten ist aber nur in Grundzügen bekannt: »Die Durchströmung des Grundwasserkörpers ist abhängig vom Wasserstand der Donau. Herrscht Niederwasser, bewegt sich der Grundwasserstrom aus dem Marchfeld in Richtung Donau. Herrscht ein höherer Wasserstand, ist es umgekehrt, dann füllen sich die Grundwasserkörper in der Au und in weiterer Folge auch im Marchfeld«, erklärt Severin Hohensinner, Gewässermorphologe an der boku Wien. Auch Niederschläge nehmen Einfluss auf den Grundwasserspiegel: Das abfließende Oberflächenwasser kann die Pegel von Bächen und Flüssen rasch ansteigen

lassen und so Druck auf das Grundwasser ausüben. Wie schnell Regenwasser in den Boden einsickert und so den Grundwasserspiegel direkt anhebt, hängt hingegen stark von der Art des Bodens ab. »In dieses komplexe System, dessen Details zwar an den einzelnen Bohrpunkten untersucht wurden, deren genaue Eigenschaften aber trotzdem in der großen Fläche weitgehend unbekannt bleiben, hat der Mensch bereits eingegriffen«, sagt Fiebig mit Blick auf die Donauregulierungen der letzten 150 Jahre und die Dichtwand der Altlast Zentraltanklager Lobau. Der Tunnel stellt einen weiteren Eingriff dar. Dass eine 8,2 km lange, wasserabweisende Barriere das Strömungsverhalten beeinflusst, dürfte unstrittig sein. Offen ist aber, wie sich Grundwasserströme und -niveau durch das Bauwerk verändern.

VERSTECKTER SCHATZ

Als Worst-Case-Szenario gilt den KritikerInnen des Projekts ein nachhaltiges Absinken des Grundwasserspiegels. Während UmweltschützerInnen ein sukzessives Vertrocknen des Nationalparks befürchten, sorgen sich die GemüsegärtnerInnen aus der Donaustadt, Simmering, Kaiserebersdorf und Schwechat um das Versiegen ihrer Brunnen. Für die rund 150 in der Region tätigen Unternehmen wäre das der »Todesstoß«, sagt Leopold Brazda, Bezirksobmann der Gärtnervereinigung Schwechat, in einem Interview mit dem »Kurier«.

Doch selbst wenn ein solches Szenario ausbleibt und der Tunnel das Niveau und Strömungsverhalten des Grundwassers nicht massiv verändert, ist der Grundwasserkörper in Gefahr. Zwar werden die Tunnelröhren

»Herrscht Niederwasser, bewegt sich der Grundwasserstrom aus dem Marchfeld in Richtung

Donau. Herrscht höherer

Wasserstand, füllen sich die

Grundwasserkörper in der Au und in Folge auch im Marchfeld«

— Severin Hohensinner,

Gewässermorphologe

22

»Wir sollten uns der Bedeutung von sauberem Wasser und sauberer Luft als wichtigstem und wertvollstem Schutzgut bewusst werden.«

— Markus Fiebig, Geologe an der

Universität für Bodenkultur

Der Grundwasserkörper unter der Lobau ist besonders mächtig. Bis zu 60 Meter Tiefe erreicht der oberste wasserführende Grundwasserkörper, bevor er von Schluff und Ton begrenzt wird.

Die Donau transportiert etwa 2000 m³/s. Der strömende Grundwasserkörper rund um den Strom transportiert ein Vielfaches dessen. wasserdicht ausgeführt, um Verunreinigungen des Grundwassers zu verhindern. Offen ist jedoch, wie lange die Dichtheit des Tunnels – in einem tektonisch nach wie vor aktiven Gebiet – gesichert werden kann. Zudem ist völlig ungeklärt, was nach Ablauf der Nutzungsdauer mit dem Bauwerk passieren soll. Eine övp-Gesetzesnovelle aus dem Jahr 2018 hat die Dokumentation von Maßnahmen zur Nachsorge, wie sie durch das Umweltverträglichkeitsprüfungs-Gesetz vorgeschrieben wäre, für Bundesstraßen und damit für die geplante Nordost-Umfahrung ausgehebelt. Da ein Rückbau des Tunnels technisch schwierig, aber vor allem teuer wäre, ist ein Verbleib des Tunnels im Untergrund das wahrscheinlichste Szenario.

Damit wäre es nur eine Frage der Zeit, bis die Röhren undicht und zu einer Verunreinigung des Grundwassers führen würden. Diese würde aber wahrscheinlich nicht nur das strömende Grundwasser, sondern auch ein bislang kaum thematisiertes Grundwasserreservoir unter dem Nationalpark betreffen. Kaum jemand kennt den Wiener Untergrund so gut wie Godfrid Wessely, der jahrelang als leitender Geologe der omv tätig war. Im Zuge seiner Erkundungen stieß er auf weitläufige Sandschichten, die ein riesiges Grundwasserreservoir bilden. Die von ihm errechneten 5 Milliarden Kubikmeter Trinkwasser entsprechen dem 35-Fachen des Jahresverbrauchs der Stadt Wien im Jahr 2019. Damit wäre es möglich, in einer Notsituation die Metropolregion Wien über Jahre hinweg mit sauberem Trinkwasser zu versorgen. Im Falle von atmosphärischen Bedrohungen wären die Hochquellwasserleitungen von Rax und Hochschwab direkt betroffen. Dass so ein Unglücks-

Der Grundwasserkörper unter der Lobau ist besonders mächtig. Er besteht aus einer etwa 30 Meter starken Schicht aus Donauschotter (gelb) und einer etwa gleich dicken Schicht Sand (orange) darunter. Nach unten hin begrenzt wird der etwa 60 Meter tiefe Grundwasserkörper von Schluff und Ton (ocker). Die projektierte Route des Lobautunnels (violett schraffiert) quert den Grundwasserkörper und dringt an der tiefsten Stelle in den obersten Horizont des Grundwasserreservoirs ein. Grafik: Modifiziert nach wgm.wien.at/hydrogeologische-forschung/lobau.

Das Wiener Becken ist inneralpines Einbruchsbecken zwischen Alpen und Karpaten. Die alpinen Gesteinsmassen liegen hier tief unter der Oberfläche. Besonders stark abgesenkt sind sie im Südosten Wiens direkt unter der Lobau. Erst 5,5 Kilometer unter Tage stößt man dort auf festes Gestein. Grafik: Geologische Bundesanstalt Wien

fall keine graue Theorie ist, zeigte nicht zuletzt der Störfall im akw Tschernobyl. Seitdem hat die Anzahl der Reaktoren rund um Ostösterreich weiter zugenommen. Das tief liegende Wasserreservoir unter der Lobau ist dagegen vor solchen Bedrohungen zumindest mittelfristig sicher. Nicht aber vor dem Lobautunnel. Dieser würde in den obersten Horizont des Reservoirs eindringen. Damit riskiere man dessen Verschmutzung, erklärte Wessely im Rahmen einer Pressekonferenz der Umweltschutzorganisation Virus. Im schlimmsten Fall wäre das Grundwasserreservoir damit als Trinkwasserquelle verloren. »Godfrid Wessely hat einen unwiederbringlichen Schatz erforscht», ist sich Markus Fiebig sicher. »Jede Störung, jeder Eingriff ist dabei eine potenzielle Quelle von zukünftiger Verunreinigung. Wir sollten uns der Bedeutung von sauberem Wasser und sauberer Luft als wichtigstem und wertvollstem Schutzgut im Vergleich zu allen anderen Ressourcen bewusst werden.« Letztlich wirft die Debatte um den Lobautunnel die Frage auf, ob wir überhaupt Nachhaltigkeit und, wenn ja, in welcher Form wir sie wollen: Ist Nachhaltigkeit die Schaffung von Rahmenbedingungen für die Nutzung von oder die Koservierung natürlicher Ressourcen? Eine Option, die beide Perspektiven vereinen würde, ist derweil nicht in Sicht.

This article is from: