J A N. / F E B. 2020 F R. 9. 5 0
GÄRTNERN | GESTALTEN | GENIESSEN
TOMATEN
15 SAMENSORTEN ZUM BESTELLEN
SERIE
SAISONSTART IM BIOGARTEN
JAHRESTHEMA
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FÜR DIE BIODIVERSITÄT _01_bt_Titel_1-20_wf02.indd 1
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E D IT O RIAL
IM TEA M
JAHRESTHEMA
2020
Blumen für die BIODIVERSITÄT
Christine Kunovits Chefredaktorin «Bioterra»
ARTENVIELFALT IM SCHATTEN
Nur langsam habe ich meinen Schattengarten unter Tannen und Haselnuss lieben gelernt. Als ich ihn vor zehn Jahren zu bepflanzen begann, zwang ich – mit Ausnahme diverser Farne – Pflanzen in die Erde, die nach Sonne gierten. Sonnen- und Eisenhut, Prachtkerzen, Mutterkraut und Lavendel, um nur einige zu nennen. Alle wuchsen gleich: lang und dünn. Wenn sie blühten, dann nur spät und spärlich. Oder sie verschwanden ganz im Folgejahr. Insekten gab es kaum in meinem Reich. Bis ich den Tatsachen ins Auge blickte und in der Folge Leberblümchen, Lungenkraut, Beinwell sowie etliches anderes pflanzte. Und siehe da: Im späten Februar brummte eine Hummelkönigin über das moosige Gras, später summten Wild- und Honigbienen zu den Blüten, flatterten Zitronen- und Aurorafalter durch die Luft. Artenvielfalt kann man in jedem Garten, auf jedem Balkon oder auf jeder Terrasse fördern. Sofern Stauden und Co. standortgerecht gepflanzt werden. Wie, das beleuchten wir 2020 mit unserem Jahresthema «Blumen für die Biodiversität» unter verschiedenen Aspekten. So im aktuellen Magazin in einer Serie zu gartentauglichen Wildstauden. Herzlich
Carmen Hocker – Sie gehört zum festen Team der «Bioterra»Autorinnen und schreibt seit fünf Jahren regelmässig für unser Magazin. Im letzten November hat die studierte Betriebsökonomin (links im Bild) beim Wettbewerb der Schweizer Fachjournalisten – kurz SFJ-Award – den zweiten Platz geholt. Und zwar mit ihrem Artikel «Wie Blüten auf sich aufmerksam machen», der in «Bioterra» 2/2019 erschienen ist. Besonders gelobt wurde der Text für Carmen Hockers Stärke, komplexe Themen anschaulich und mit Tiefgang in Worte zu fassen. Dieses Talent beweist sie auch im Interview mit der Landschaftsarchitektin und ZHAW-Dozentin Doris Tausendpfund (rechts im Bild) über Pflanzenverwendung. Seite 36
Wanda Keller – Erste Erfahrungen mit Gemüse machte die Gartenbauingenieurin als Kind. Für uns hat sie die Biogärtnerin Ursula Winistörfer durchs Nutzgartenjahr begleitet. Seite 24 Titelbild | Knautien im Spiel mit Gräsern und Echinaceen | Foto: B. Dittli
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I NHA L T
Saison
Acht Seiten aktuelle Gartentipps für Bio-, Naturgarten und Balkon
...................................................... 4 Färbergarten
Über 200 Pflanzenarten zum Färben wachsen in Altdorf UR
...................................................... 12
SERIE:
Biogarten
Durchs Nutzgartenjahr mit der Biogärtnerin Ursula Winistörfer
.................................................... 24 Gartenkinder
Auch im Winter gibt es für Mädchen und Buben im Garten etwas zu tun
...................................................
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Tomaten
Was Liebesäpfeln zu schaffen macht und wie sie gut gedeihen. Mit Angebot .................................................. 30 SERIE:
Wildstauden
Was die Grüne Nieswurz braucht, damit sie im Garten blüht
.................................................... 34 Das Gespräch
Landschaftsarchitektin Doris Tausendpfund über Staudenpflanzungen .................................................... 36 Historische Rosen Wie die dornigen Schönheiten wurzelnackt gepflanzt werden. Mit Angebot ..................................................... 42
FÄRBERGARTEN Die Liebe zu Färberpflanzen verbindet das Ehepaar Margrit und Eduard Indermaur seit über 40 Jahren. Die beiden haben in Altdorf UR den grössten Färbergarten der Schweiz erschaffen Seite 12
NEUE SERIE
Gartenwissen
Giersch, Brennnessel und AckerSchachtelhalm im Zaum halten
...................................................
WILDSTAUDEN Die Grüne Nieswurz fühlt sich in Gärten wohl Seite 34
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Einfache Küche
Wie Spitzenköchin Tanja Grandits Rezepte für sich privat kreiert
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Porträt
Wie Fabienne Bertschinger bei Pflanzenillustrationen vorgeht
................................................... Rubriken
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Notizen: Ute Studers Seite.................................. 22 Gartenberatung.............................................. 47 Bioterra leben................................................ 57 Vorschau/Impressum........................................ 62 Leserservice/Bestelltalon.................................... 64
LESERANGEBOT 15 robuste Tomatensorten zum Bestellen Seite 30
FOTOS: BENEDIKT DIT TLI, MARTIN STUDER, LUKAS LIENHARD
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EINFACHE KÜCHE Tanja Grandits kocht privat einfach, aber nicht schnell Seite 48
I LLU S T R AT I O N : DENISE SONNEY
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SAISON — Freuen Sie sich mit uns aufs neue Gartenjahr! Mit vielen
Anregungen und Tipps für Ihren Gemüse- und Blumengarten. Von Ute Studer und Jochen Elbs-Glatz
FRÜHBLÜHER FÜR INSEKTEN — Schon ab Mitte
Februar öffnen die nur 12 cm hohen Netziris Iris reticulata ihre typischen blauvioletten Blüten dicht über dem Boden. Ihre Heimat liegt in der Türkei, Vorderasien und im Kaukasus. Wie ihre grossen Schwestern zeigen die Winzlinge Dom- und Hängeblätter. Letztere tragen die wulstigen, orangegelben Saftmale, die für Hummeln, Bienen, Falter und Schwebfliegen die Blütelandebahn markieren, über die sie zur Nahrungsquelle gelangen. Damit die Insekten den Nektar schlürfen können, müssen sie tief in die Blüten hineinkriechen. Auf dem Weg dorthin nehmen sie die Pollen auf.
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Buch —
Die Kultur der Baumnuss
Kultur, Geschichte und Tradition der Baumnuss sind in diesem Buch zusammengefasst. Vorgestellt wird neben der echten Baumnuss Juglans regia die grosse und formenreiche Pflanzenfamilie, die insgesamt rund sechzig Arten und einige Kreuzungen umfasst. Alle in Mitteleuropa kultivierten Arten und Hybriden sind reich bebildert porträtiert. Die Walnuss, alle in Mitteleuropa kultivierten Arten, Botanik, Geschichte, Kultur, Jonas Frei, AT-Verlag, Aarau und München 2019, Fr. 48.—, Bestelltalon Seite 67.
Kletterhortensien —
IM SCHATTEN DAHEIM Kletterhortensien Hydrangea anomala subsp. petiolaris sind schattenverträgliche Kletterpflanzen. Sie sind sehr robust, gut winterhart und pflegeleicht. Von Juni bis Juli öffnen sie ihre grossen, weissen Blütenschirme, die einen süssen Duft verströmen. Es können drei bis fünf Jahre vergehen, bis sie zum ersten Mal blühen. Sie lieben lockeren, frischen, feuchten und leicht sauren Boden. Im ersten Jahr sollte man die Triebe anbinden, später halten sie sich mit Haftwurzeln selber fest.
Christrosen —
Robuste Stehaufblüten
Bei Frost überraschen Christrosen Helleborus niger, die im Garten oder im Topf im Freien überwintern, mit einem aussergewöhnlichen Schauspiel: Kaum sinkt die Temperatur unter null Grad Celsius, senken sich ihre Blütenköpfchen zu Boden, als seien sie erfroren. Wird es wärmer, richten sie sich wieder auf und blühen weiter aufrecht, als sei nichts gewesen.
Schneelast —
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Mit Besen abschütteln
Fällt Schnee, darf man nicht vergessen, dass Gehölze unter der Last brechen könnten. Nadelgehölze und Immergrüne sind besonders gefährdet. Zum Abschütteln nimmt man einen Stossbesen oder Rechen. Die scharfe Kante der Schneeschaufel macht mehr kaputt, als dass sie hilft.
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Tipp des Biogärtners STEFAN RIESEN
Aloha Gartenpflege 3752 Wimmis www.aloha-gartenpflege.ch
ECHTER QUENDEL – Seine purpurvioletten Blüten verleiten mich immer dazu, mit der Hand über die üppigen, dichtbuschigen, niedrigen Matten zu streichen, um innezuhalten und seinen Duft zu geniessen. Diese kurzen Momente der Entspannung sind für mich wohl das Wertvollste am Echten Quendel Thymus pulegioides. Er ist einheimisch, weit verbreitet, auch bekannt als Feld-Thymian. Von Insekten wird diese Heilpflanze sehr geschätzt. Ich pflanze FeldThymian gerne in der Randzone zwischen Staudenbeet und Kiesplatz oder in Kombination mit Steinen und Holz. Am richtigen Standort ist er robust und pflegeleicht, deshalb lässt sich in fast allen Gärten ein geeigneter Standort finden. Der Feld-Thymian blüht von Juni bis August, mag sonnige, trockene Standorte und gedeiht, dank der tiefreichenden Wurzeln, auch auf nährstoffarmem Substrat. Ich brauche den Thymian gerne als Gewürz in der Küche.
Puffbohnen —
Verräterische Blütenfarbe
Sie sind ein Gemüse für Ungeduldige, da man sie schon ab Februar stecken kann. Von Puffbohnen Vicia faba gibt es viele verschiedene Sorten, einige färben sich nach dem Kochen braun, andere bleiben grün oder weiss. ‘Frühe Weisskeimige’, ‘Piccola’ und ‘Aguadulce’ beispielsweise haben weisse Blüten mit schwarzem Schlund; ihre Kerne verfärben sich braun. Die Sorte ‘Weisse’ hat weisse Blüten, die Kerne bleiben nach dem Kochen grün. Sorten mit violetten oder dunkelroten Blüten wie ‘Karmesin’ haben grüne Kerne. Und ein violetter Hauch auf weissen Blüten zeigt schliesslich eine Sorte an, deren Kerne vollreif rot-violett sind, wie die ‘Rotsamige’.
Kräuter —
MIT KAFFEESATZ DÜNGEN In der Regel brauchen Rosmarin, Salbei, Lavendel und Thymian weniger Nährstoffe als Zierpflanzen und Gemüse. Kaffeesatz in geringen Mengen eignet sich gut als Dünger für diese mediterranen Pflanzen. Auch Peterli, Schnittlauch und Basilikum können so versorgt werden, brauchen einen Tick mehr davon. Wichtig: Vor dem Ausbringen den Kaffeesatz gut trocknen, sonst kann sich Schimmel bilden.
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Buch —
Orchideen aus Kew Gardens
Sie gehören seit der Antike zu den beliebtesten Pflanzen. Nun gibt es für Orchideen-Begeisterte eine einzigartige Publikation mit 40 Orchideen aus aller Welt, die in den berühmten Royal Botanic Gardens von Kew, England, kultiviert werden. Nebst wunderschönen Illustrationen vermittelt der Bildband viel Interessantes über Herkunft, Namensgebung und spezielle Eigenschaften der Pflanzen und deren spannende Geschichten. Mit 40 hochwertigen losen Drucken zum Einrahmen. Orchideen, Schätze aus den Archiven der Royal Botanic Gardens, L. Gardiner, P. Cribb, Haupt-Verlag, Bern 2019, Fr. 68.–, Bestelltalon Seite 67
Flower Sprouts —
KOHLZÜCHTUNG AUS ENGLAND Flower Sprouts ‘Autumn Star’ ist eine Kreuzung aus Rosenkohl und Federkohl, die in den Blattachseln gekrauste Röschen ausbildet. Das Gemüse hat einen leicht nussigen Geschmack und wird im Herbst geerntet. Ausgesät wird ab März auf der Fensterbank.
Zwiebelgrün —
Im Topf antreiben Sommerblumen —
Auf der Fensterbank anziehen Weil manche Sommerblumen eine lange Anzuchtphase haben, bis sie uns mit ihren Blüten erfreuen, werden sie schon ab Mitte Februar auf der Fensterbank ausgesät. Dazu gehören etwa Männertreu Lobelia erinus, Leberbalsam Ageratum, Löwenmaul Antirrhinum (Bild) und Mehlsalbei Salvia farinacea.
Ab Mitte Februar kann man frisches Zwiebelgrün auf der Fensterbank antreiben. Dazu nimmt man am besten Steckzwiebeln. 8 bis 10 Zwiebelchen werden in einen 11 cm grossen Blumentopf mit nahrhafter Gartenerde gesteckt. Das obere Drittel der Zwiebeln sollte noch aus dem Boden schauen. Regelmässig giessen. Wenn das Zwiebelgrün etwa 15 cm hoch gewachsen ist, kann man ernten.
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Geheimnis
DER FÄRBERPFLANZEN
Aus dem Färber-Waid Isatis tinctoria wird Indigoblau gewonnen.
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Mehr als ein halbes Leben beschäftigen sich Eduard und Margrit O. Indermaur mit Pflanzen, die sich zum Färben eignen. Im grössten Färberpflanzengarten der Schweiz in Altdorf UR haben sie über 200 verschiedene Arten gesammelt. FOTOS: GAP-PHOTOS, IDI HÄBERLI
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F Ä R BE RG ARTE N
Johanniskraut Hypericum perforatum gibt seinen gelben Farbstoff über die Blätter ab.
Der Kalifornische Mohn - keine Färberpflanze - hat sich vor Jahrzehnten im Klostergarten versamt und durfte bleiben.
vielen mehr. Zu vielen weiss er Geschichten zu erzählen, zum Beispiel über die Amerikanische Kermesbeere, die ursprünglich aus Nordamerika nach Europa gebracht wurde, weil man damit den Wein schön dunkelrot färben konnte. Oder wie er mit Mädchenauge-Sorten experimentierte, aus denen es in der Regel ein wunderschönes Orange zu gewinnen gibt. Neuere Sorten hingegen scheinen das Potenzial als Färberpflanzen verloren zu haben, sagt er. «Die Blüten sind zwar wunderschön, aber will man damit färben, entsteht ein wässriges Braun.»
Indermaur entdeckt die Glasfusing-Technik, bei der verschiedene Glasstücke zusammengeschmolzen werden, und arbeitet nebenbei als freier Glasgestalter. Während ein paar Jahren entstehen auch gemeinsame Werke aus Wolle und Glas. Sie geben Kurse, verkaufen ihre Werke auf Märkten und Ausstellungen. Eine treue Kundin ist immer wieder Erna Bächi-Nussbaumer, die Färberin, die Eduard einst in die Grundlagen dieses alten Handwerks eingeführt hat. Eduard Indermaur steht jetzt auf und geht in seinen Färbergarten, den grössten, den er je angelegt hat. Es ist eine Schau von Pflanzen aus aller Welt. Margrit und er sind nicht so reisefreudig. Sie haben sich die Pflanzen, Samen oder Stecklinge von verschiedenen Gärten aus aller Welt schicken lassen. Einige haben sie auch selber gesammelt, insbesondere die einheimischen Arten.
Eduard Indermaurs Pflanzenschätze sind auf mehreren Terrassen verteilt. Der Garten ist in seiner Struktur erhalten geblieben, wie er wohl im 16. Jahrhundert als Klostergarten angelegt wurde. Das steile Gelände wurde terrassiert und diente den Mönchen während Jahrhunderten zum Anbau von Gemüse, Früchten und Blumen. Es war das erste Kapuzinerkloster nördlich der Alpen. 2009 wurde es nach 428 Jahren aufgrund fehlenden Nachwuchses geschlossen. Eduard Indermaur lernte die letzten Brüder noch persönlich kennen, liess sich von ihnen den Garten zeigen, der zum damaligen Zeitpunkt schon ziemlich überwuchert war. Die betagten Kapuziner hatten in den Jahren vor der Schliessung keine Ressourcen mehr, um sich um die Umgebung zu kümmern.
Auf der Terrasse vor dem Kursraum stehen diejenigen in Töpfen, die er im Winter vor der Kälte schützen muss. Kurkuma und Paprika stehen da, auch ein Granatapfelbaum, von dem er die Blätter zum Färben verwendet. Weiter geht es zu Krappwurzel, Tausendgüldenkraut, Schöllkraut, Schlüsselblumen, Himalaya-Indigo, Losbaum und
Besitzerin des Klosters ist die Korporation Uri. Margrit und Eduard Indermaur reichten zusammen mit einem anderen Ehepaar ein Nutzungskonzept für zehn Jahre ein. Sie bekamen den Zuschlag, zogen ins Kloster, das sie fortan Kulturkloster nannten, und boten diverse künstlerische Kurse an, unter anderem auch welche zum Erlernen
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Getrocknetes Pflanzenmaterial ist die Basis fürs Färben. Daraus wird zunächst ein Sud zubereitet. Damit die Farbe kräftig wird, braucht es immer wieder Pausen.
Pflanzenfarben werden aus Blüten, Blättern, Samen und Wurzeln gewonnen.
Das Ehepaar Indermaur hat sich fürs Färben Samen, Stecklinge oder Pflanzen aus aller Welt schicken lassen.
Die Werkstatt befindet sich im ehemaligen Waschhaus des Kapuzinerklosters.
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ACHT BEINE UND EIN
Kreischkonzert …
Von Ute Studer
Keine Beine: Raupen, Würmer, Schlangen und Blindschleichen Zwei Beine: Vögel oder Menschen Vier Beine: Säugetiere Sechs Beine: Insekten Acht Beine: Spinnen So habe ich meinen Schülergartenkindern die Tierwelt erklärt. Ihre Vorurteile gegenüber den Achtbein- und Nichtbeinträgern waren in etwa gleich verteilt, denn die Blindschleichen waren den Kindern ebenso suspekt wie die Spinnen. Während lange Beine auf den Laufstegen der Welt bewundernde Blicke auf sich ziehen, können sich Spinnentiere noch so Mühe geben – sie lösen Schrecken und Ekel aus. Das Zuviel an Beinen, vor allem, wenn diese abstehend, behaart und stachelig sind, ist das Bild der Abscheu erregenden Hässlichkeit schlechthin. Vergebens versuchte ich den Kindern die Harmlosigkeit der Krabbeltiere zu erklären. Obwohl die Kreuzspinne leicht giftig ist, sind ihre Beisswerkzeuge so klein, dass sie Menschenhaut gar nicht durchdringen können. Sie sind selbst für Kinder völlig ungefährlich. In einem Garten im Mittelland von einem achtbeinigen Wesen an Leib und Leben bedroht zu werden, ist unwahrscheinlich, denn von den gut hunderttausend Spinnenarten sind bei uns nur gerade eine Handvoll harmloser Spezies verbreitet. Arachnophobie, die krankhaft übersteigerte Angst vor Spinnen, kann daher nicht an deren Gefährlichkeit liegen. Nichtsdestotrotz: Tauchte irgendwo ein achtbeiniges Wesen auf, begannen besonders die Mädchen mit einem ohrenbetäubenden Kreischkonzert, als wäre ihre Lieblings-Rockband erschienen. Ausrufe wie: «Ihhh, ist die eklig! Bäh, gruusig!
Vom Spinnennetz … O sieh das Spinnennetz im Morgensonnenschein, wie es vom Tau noch voll kristallner Tropfen hängt! Im leichten Winde wiegt es seiner Perlen Pracht, die in den silbergrauen Maschen hier und dort so flüchtig sich wie sanft und zierlich eingeschmiegt. Sieh, so ist alles Glück. So hängt es flüchtig sich in unsrer Tage schwankendes Gespinst, und es erschauert unter seiner köstlichen Last des Majaschleiers weltdurchwallendes Geweb. Christian Morgenstern (1871–1914)
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Äh, widerlich!», zeigten jedoch, dass es sich nicht um eine Boygroup handeln konnte. Vielleicht kommt das Vorurteil der Kinder davon, dass bei «Biene Maja» die schwarze Kreuzspinne Thekla als alte, hinterhältige Figur dargestellt ist, die arme Bienen in ihrem Netz fängt und auf bösartige Weise zu Tode bringt. Dabei müssten eigentlich alle ins Schwärmen kommen, die ein in der Sonne in allen Regenbogenfarben schillerndes, kunstvoll gesponnenes Netz sehen. Besonders bezaubernd ist es, wenn solch ein Gespinst von Raureif überzogen ist, der in der winterlichen Morgensonne wie ein kostbares Diadem glitzert. Statt ängstlich zu kreischen, müssten die Kinder vor Bewunderung den Atem anhalten. Doch die Spinnenangst hat bei uns lange Tradition. Spinnen gelten schon seit dem Mittelalter als Symbol für Tod, Teufel, Pest und Hexen, während sie in anderen Kulturen als heilige Tiere verehrt werden. Verständlich, denn ihre Netze sind wahre Kunstwerke, die die Achtbeiner zum Fangen der Beute benutzen. Die Spinnseidenfäden werden mit den Spinndrüsen produziert. Die bei uns weit verbreitete Kreuzspinne, die ein Radnetz anfertigt, ist sogar eine Meisterin des Seidenfadens. Als grosse Künstlerin verfügt sie über eine ganze Batterie von Spinndrüsen: eine röhrenförmige, die den farbigen, starken Faden für den Eikokon liefert, flaschenförmige für das Netz, gelappte für die Fangfäden und beerenförmige für das Einwickeln der Beute. Gerne würde man die Spinnfäden der Achtbeiner kommerziell nutzen, so wie man das mit den Seidenraupen macht. Spinnenseide besitzt einen wunderschönen Goldglanz, wird auch nach Jahren nicht brüchig und weist eine hohe Reissfestigkeit auf. Zudem ist sie enorm zugfest und trotzdem hochelastisch, hundertmal belastbarer als ein Stahldraht gleicher Dicke. Da die Spinnen aber Kannibalen sind und ihresgleichen sofort als Beute verstehen, müssten die Tierchen in Einzelhaltung untergebracht werden. Für ein Pfund Seide bräuchte man dabei ungefähr 57 000 Spinnen, schön voneinander getrennt. Übrigens sind die liebestrunkenen Männchen der Kreuzspinne wahre Troubadoure, die an den Spinnfäden Liebeslieder zupfen, um die Aufmerksamkeit der Weibchen zu gewinnen. Grosse Pechvögel unter den Männchen werden auch schon mal vor dem Sex verspeist.
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NOTI Z E N
… UND ANDERE GARTENÄNGSTE
Von Jochen Elbs-Glatz
Der Pschyrembel, Wörterbuch der Medizin, definiert die Phobie als «Angststörung, die durch bestimmte Gegenstände oder Situationen (z. B. Orte, Personen) ausgelöst wird und meist mit ausgeprägtem Vermeidungsverhalten verbunden ist. Betroffene erkennen die Unbegründetheit ihrer Phobie.» Im Garten finden sich viele Gründe für unbegründete Ängste, die nach Anzahl ihrer Beine geordnet werden können. Tausendund Hundertfüssler sind einzeln herzig, erschrecken aber massenhaft im Kompost sehr. Acht Beine haben Spinnen, die die verbreitete Arachnophobie auslösen. Spinnmilben sind der Schrecken aller Hopfenbauern, Balkongärtnerinnen und Gewächshausgärtner.
Die Angst vor Zecken bringt Gärtner dazu, im heissen Sommer ein langhosiges und -ärmeliges Schutzgewand zu tragen, dessen Enden mit Einweckgummis abgedichtet werden. Bei den sechsbeinigen Insekten ist die Zahl der Ängste gleich der riesigen Artenvielfalt. Stechmücken, Bremsen, Wespen und Hornissen werden gefürchtet. Haarraufende Maikäfer ängstigen wie Ohrwürmer, denen angeblich nirgends wohler sein soll als tief im Menschenohr. Nehmen die Wanzen zu, verschiebt sich das Feindbild. Musophobie, die Angst vor Mäusen, ist häufig und geht gleich in die vor Ratten über. Eidechsen werden oft für giftig gehalten. Eine Katzenphobie bekommt
der Gärtner, der beim Bestellen seines Beetes in deren Hinterlassenschaft greift. Unter den Zweibeinigen sind oft Nachbarn Herren der Angst. Jeder kennt Situationen, in denen man sich lieber im Keller verschanzt, als in den nachbarsüberwachten Garten zu gehen. Gut, dass sich das in der Zeit ändert. Vögel sind Gartenzier, räuberische Elstern und Krähen eher nicht. Keine Beine haben Schlangen und Blindschleichen. Ringelnattern totzuschlagen, scheint noch vielen richtig. Der Garten selbst wird zum Angstort, wenn Eltern, die ihren Kindern den Garten näherbringen wollen, Gartenarbeit als Strafe einsetzen. Das hat schon manchem die Gartenlust lebenslang ausgetrieben.
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SERIE
| BIO G ARTE N
Ursula Winistörfer Die Bioterra-Kursleiterin zieht seit bald vier Jahrzehnten ihr eigenes Gemüse. Im ersten Teil unserer Biogarten-Serie erzählt Ursula Winistörfer, die mit ihrer Familie im luzernischen Malters lebt, aus ihrer eigenen Gartenbiografie. Zudem gibt sie Tipps, was im Januar und Februar im Garten zu tun ist.
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SERIE
| BIOGA RTE N
PASSIONIERT, ENGAGIERT und WISSENSDURSTIG Sie gärtnert seit ihrem 22. Lebensjahr. Das grosse Wissen, das sie seither erworben hat, gibt Ursula Winistörfer regelmässig in Kursen weiter. Und dieses Jahr auch in unserer Biogartenserie.
Maria Thun Rat von
Januar und Februar ist die ideale Zeit für Obstbaum-, Reben- und Heckenschnitt. Dafür geeignet sind die im Kalender von Maria Thun vermerkten Blüten- und Fruchttage.
Von Wanda Keller
«Mein Garten ist heute ein Ort der Ruhe. Das war nicht immer so», sagt Ursula Winistörfer mit einem verschmitzten Lachen. Früher war der rund 80 m2 grosse Bio- und Nutzgarten mit einem Umschwung von 400 m2, auf dem Kern-, Steinobst, ein Kakibaum und viele Beerensträucher gedeihen, Kinderstube und Kursraum in einem. Früher, das heisst Ende der 1990er-Jahre.
Gärtnern tut Ursula Winistörfer viel länger. Seit fast 40 Jahren bestellt die gebürtige Nidwaldnerin Beete, seit ihrer Heirat im Jahre 1997 im luzernischen Malters. «Und zwar von Anfang an biologisch und nach dem Aussaatkalender von Maria Thun.» Dieser richtet sich nach der ganzheitlich orientierten Betrachtung der Sternbilder – goetheanistisch genannt. Der Kalender gibt vor, an welchen Tagen Gemüse und Früchte gesät und gepflanzt werden, damit sie in ihrem Wachstum optimal unterstützt sind, wann es günstig ist, zu ernten, oder zu welchem Zeitpunkt die Beete gehackt und Gehölze zurückgeschnitten werden sollen. Als erfahrene Gärtnerin, deren erklärtes Ziel es ist, ganzjährig Salat zu ernten, handhabt sie solche Vorgaben mittlerweile sehr entspannt und rät allen Gärtnernden, es ihr gleichzutun und mit gesundem Menschenverstand zu werken: «Ich gehe natürlich nicht die Beete hacken, wenn der Boden nass ist, nur weil das so im Kalender von Maria Thun steht!» Ursula Winistörfers Biografie ist so vielseitig wie sie selbst und spiegelt ihren Wissensdurst und die Lust am
Doris Roth-Vonarburg (l.) und Ursula Winistörfer haben zusammen den BioterraJahresarbeitskalender entwickelt. Darin steht unter anderem, wann welche Gemüse-Samen gesät werden.
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Zauber ALTER ROSEN
Rosa ’Jacques Cartier’ blüht den ganzen Sommer.
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LES ERA NGE BOT
Wer sich im nächsten Frühsommer über neue Beetbewohner freuen will, bringt sie jetzt in die Erde. Beispielsweise sechs mehrmals blühende historische Rosen, die durch Anmut und mit Robustheit punkten. Von Ute Studer
Historische Rosen sehen mit ihrer Noblesse aus, als kämen sie aus einer längst vergangenen Zeit. Sie bringen einen Hauch von Romantik in den Garten und verleihen ihm, mit barocker Blütenfülle, einen besonderen Zauber, der schon seit Generationen zu faszinieren vermag. Aussergewöhnliche Anmut, Vitalität, Blütenfarben von Weiss über Rosa bis zu dunklem Purpurrot, Blattgesundheit, lange Blütezeit und betörende Duftnoten zeichnen die Rosen unseres Angebotes aus. Dank ihrer über Jahrhunderte erprobten Widerstandsfähigkeit sind sie ideal für den Biogarten geeignet. Mit ihrer Höhe von 90 bis zu 150 cm passen sie auch in kleinere Gärten, als Leitpflanzen in Staudenrabatten, Solitär oder dornröschenhafte Rosenhecke. Der gelernte Baumschulist und Rosengärtner Jürg Wildi aus dem aargauischen Schafisheim hat die Rosensorten auf Unterlagen okuliert und bietet sie nun wurzelnackt zum Bestellen an. HISTORISCHE ROSEN Die Bezeichnungen Alte oder historische Rosen stehen für Klassen, die es schon vor der ersten Teehybride – einer Kreuzung aus europäischen Remontant-Rosen und chinesischen Teerosen im Jahre 1867 – gab. Gallica-Rosen gibt es seit über 2000 Jahren und Alba-Rosen seit dem Mittelalter. Ähnlich alt sind die Damaszener-Rosen, die mit ihrem lieblichen Duft besonders für die Herstellung von Rosenöl gezüchtet wurden. PortlandRosen waren die ersten öfter blühenden Rosen. Bourbon- und andere remontierende Klassen entstanden im
19. Jahrhundert und zeichneten sich durch Merkmale moderner Rosen aus: Im Gegensatz zu den alten Sorten, die es nur in einer Farbpalette von Weiss über Rosa zu Dunkelrot gibt, zeigen moderne Rosen Signalrot, Gelb, Orange und Lachs. FÜNF ROSENPERSÖNLICHKEITEN Die Älteste in unserem Sortiment ist ‘Boule de Neige’ von 1867. Ihre weissen, rundlichen Blütenkugeln wirken wie Schneebälle über dem dunkelgrünen Blattkleid und überraschen mit intensiv würzigem Duft. Die aufrecht wachsende Schöne blüht schon früh im Juni und erfreut im Spätsommer mit einer Nachblüte. ‘Jacques Cartier’, die ebenfalls aufrecht wachsende Portland-Rose von 1868, trägt stolz ihre zartrosafarbigen, geviertelten Pausbäckchen-Blüten mit herrlichem Duft. Sie sitzen meist zu dritt oder viert, eng gedrängt an einem Stiel. Wenn es warm ist, geht das etwas blaustichige Pink in ein Zuckerwatterosa über. ‘Jacques Cartier’ blüht den ganzen Sommer. Die Bourbon-Rose ‘La Reine Victoria’ von 1872 erhebt ihre gefüllten, zartrosa Blütenschalen in dichten Dolden elegant über das Laub. Sie blüht und duftet unermüdlich bis in den Herbst. Die schottische Rose ‘Stanwell Perpetual’ von 1899 lässt ihre stark gefüllten Blüten mit dem Honig-Fruchtduft an überhängenden Zweigen über grüngrauem Laub bei Hitze in strahlendem Weiss erblühen. Bei kühlerem Wetter färben sie sich in ein Apfelblütenrosa. Diese Rose ist ein Abkömmling der BibernellRose. Die Jüngste im Rosenquintett ist ‘Rose de Resht’, die 1940 aus Persien nach
England kam und als typische PortlandRose von den Damaszener-Rosen abstammt. Ihre dicht gefüllten, violettpurpurroten Pompon-Blüten sitzen zu mehreren auf kurzen Stielen und verströmen einen atemberaubenden Duft. Sie blühen bis zum Herbst. WURZELNACKTE ROSEN PFLANZEN Wenn man die Rosen nicht sofort nach Ankunft pflanzen kann, sollte man sie im Garten in Erde einschlagen. Ideal zur Pflanzung ist ein humoser, lockerer Boden mit einem pH-Wert zwischen 5,5 und 7. Stark tonige und zu Verdichtung neigende Böden können mit Perlit, Kies und Sand aufgelockert werden. Man hebt ein Pflanzloch von circa 40 cm Durchmesser und einer Tiefe von 1,5 Spaten aus und lockert den Boden zusätzlich mit der Grabgabel. Ins Pflanzloch gibt man etwas Urgesteinsmehl. Vor der Pflanzung wässert man die Rosen ein bis zwei Stunden. Die Veredlungsstelle der Rose muss beim Pflanzen 5 bis 10 cm tief im Boden sein. Das Pflanzloch füllt man mit Gartenerde auf. Weder Rosendünger, Torf, Mist, Hornspäne noch frischer Kompost gehören ins Pflanzloch. Nach der Pflanzung häufelt man die Rose 3 bis 5 cm mit reifem Kompost an. Da der Boden im Frühjahr ausreichend feucht ist, sollte man die Rosen nur kurz einschlämmen, bis dass die Erde sich mit den Wurzeln verbindet. Wichtig zur Pflanzung von Rosen ist der Standort. Rosen sind sonnenhungrig, wobei ein halbtags sonniger Platz oft besser ist als Hitzestau vor einer Südwand. Der Standort sollte gut durchlüftet sein, damit sie nach Regen gut abtrocknen.
LESERANGEBOT: Wir bieten 6 Rosen von «Wildi natur-
nahe Gärten» zum Bestellen an. Übersicht Seite 65. FOTOS: GAP-PHOTOS, IDI HÄBERLI
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MAN MUSS DAS BESONDERE
erkennen und verstehen
Von Judith Supper
Intensives Beobachten steht am Anfang einer jeden botanischen Illustration. Erst wenn Fabienne Bertschinger eine Pflanze in ihrem Wesen erfasst hat, kann die Westschweizerin diese präzise zeichnen. Zum Juraplateau nach La Chaux-de-Fonds, hoch in die Rue de la République und eine steile Treppenflucht empor in die dritte Etage, dort lebt und arbeitet Fabienne Bertschinger. Zwei Zimmer ihrer Wohnung sind zu Ateliers umgestaltet – das kleinere, in dem sie mit Ölfarbe oder Pastellkreide malt, verbirgt sich hinter verschlossener Tür. Fabiennes Katzen würden überall buntfarbige Pfotenabdrücke hinterlassen, dürften sie hinein. Die anderen Räume stehen offen, mit deckenhohen Kratzbäumen und sparsamer Möblierung. Den grossen Zeichenraum beherrschen zwei Zeichentische. Auf ihnen reihen sich Behälter mit Zeichenstiften an Farbtafeln und Bleistiftspitzer. Zwei Wände zeigen florale Tapetenmuster – «noch von den Vormietern, aber sie gefallen mir» –, daran aufgehängt eine Handvoll selbst gefertigter Bilder: Pferde, Katzenporträts, in Öl gemalte Landschaftsbilder. Fabienne wirkt nicht wie jemand, der fürs Glücklichsein hochpreisige Inneneinrichtungsstücke benötigt. «An der Natur», sagt sie und lächelt, «und an Tieren hängt mein Herz.» Fabienne Bertschinger ist eine Spätberufene. Bevor sie mit dem professionellen Zeichnen begann, hatte sie fast alle Stationen eines Erwachsenenlebens durchlaufen, die sich als gutbürgerlich verstehen: Schulabschluss, Tätigkeit bei einem Reiseveranstalter, Heirat, ein Bürojob bei einer Bank. «Als Kind habe ich sehr gerne gemalt, schon damals am liebsten naturwissenschaftliche Bilder. Aber ich hätte niemals gedacht, dass das wirklich ein Beruf ist.» Jahre vergingen,
FABIENNE BERTSCHINGER – arbeitet als Illustratorin in den Bereichen Botanik, Zoologie, Archäologie und Infografik. 2018 brachte die Post anlässlich der 125 Jahre Schynige-Platte-Bahn und Wengernalpbahn zwei von ihr gestaltete Sondermarken heraus. Als Nächstes wirkt sie an einem Gemeinschaftsprojekt mit einer Illustratorin und einer Therapeutin zum Thema «essbare Pflanzen» mit. www.bertschinger-illustration.ch
bis sie wieder einen Zeichenstift ergriff. «Eine Freundin hatte Geburtstag. Für sie malte ich ein Pilzrezept – die Abbildung eines Pilzes inklusive seiner Zubereitung.» Die Zeichnung beeindruckte. Eine befreundete Grafikerin bestärkte Fabienne Bertschinger darin, das Zeichentalent weiterzuentwickeln; nach zehn Jahren Berufsleben kam die Kehrtwende. Zunächst besuchte sie einen gestalterischen Grundlagenkurs an der Zürcher Hochschule der Künste ZHdK. Dann entschloss sie sich mit 33 Jahren, an der Hochschule Luzern den Bachelor of Arts in der Studienrichtung «Visuelle Kommunikation mit Vertiefung in Illustration Nonfiction» abzulegen. Dem folgte ein weiteres Semester an der ZHdK. Hell gelocktes, etwas mehr als schulterlanges Haar umspielt Fabienne Bertschingers Schultern, die dunkel gerahmte Brille verstärkt das Grün ihrer Augen. Seit Oktober letzten Jahres, nach über zehn Jahren in Niederweningen ZH, lebt sie wieder in La Chaux-de-Fonds, dem Geburtsort von Le Corbusier – und ihrem eigenen. Die Liebe zum Zeichnen hat sie zu ihren Wurzeln zurückgeführt. Dass La Chaux-de-Fonds eine Uhrenstadt ist, in der präzise Getriebe gebaut werden, ist wohl Zufall.
Fabiennes Hände sind feingliedrig; am rechten Ringfinger blitzt türkisblau ein Ring aus Korfu. Diese Hände sind ihr Werkzeug. Doch um zu malen, was später als botanische Illustration Wissen vermittelt, muss sie dessen Wesen verstehen. Einen Pilz studiert sie zunächst in der Natur. Sie fotografiert ihn oder bringt ihn ins Atelier, wo er sich ohne Ablenkung betrachten lässt. Sie recherchiert, liest Bücher, betrachtet die Beschaffenheit, Struktur, die Verfärbungen des Fruchtkörpers. Analysiert. Und beginnt zu zeichnen: präzise da, wo es die botanischen Gegebenheiten erfordern, abstrahierend dort, wo sie die Betrachter informativ durchs Bild führen will. Ein, zwei Tage können dabei vergehen. «In der Arbeit verliere ich mich.» Auf eine gute Art. Mit Farbstiften, als Aquarell, in Mischtechnik oder digital entstehen dabei Illustrationen von Weissdorn-Zweigen, Eicheln, Mandarinen, Zypergras, von Pilzen oder Tieren. Jede Zeichnung ist eine Herausforderung. Als Person tritt Fabienne dabei hinter das Bild zurück – bis zu dem Moment, wo es um mehr geht als nur zu rekonstruieren. Porträtiert sie Tiere, möchte sie deren Seele einfangen. «Das funktioniert über den Blick, den das jeweilige Wesen hat. Sind die Augen nicht getroffen, ist das Bild misslungen.» Aus der wissenschaftlichen Illustratorin wird eine Schöpferin. Schauen, verstehen, ein Abbild anfertigen. Aus den Zeichnungen blicken uns die Tiere forsch, frech, aufmerksam oder liebevoll entgegen. «Das Studium hat mich nicht nur malerische Konventionen gelehrt. Es hat meine Art zu sehen verändert. Mir fallen andere Dinge auf als früher, ich beobachte, ich inszeniere anders. Man muss das Besondere eines Objekts erkennen, um es zu verstehen.»
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Cornel Rutz, Katharina Nüesch, David Huber, Fachstelle Bio-⁄ Bioterra leben ⁄ Fachstelle Julia Müller, Susan Wakeman, Jens Rohrbeck, Naturgarten Kommunikation Bio-⁄NaturKommunikation Gartenkind Geschäftsgarten Manuel online führer Rusterholz, Graziella Cappilli, Andrea Anja Edelmann, Nina Kunz, Christine Zivildienst Buchhaltung Fosco, Administration Projektleitung Kunovits, Shop Gartenkind Leitung Redaktion⁄ Verlag
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MISSION B – NEUE FLÄCHEN GESUCHT
Mit einer Auflage von 25 000 Exemplaren ist der «Bioterra»Gartenguide die ideale Plattform für Veranstaltungen rund um Gärten, Pflanzen und verwandte Bereiche. Einträge können bis 20. Januar via Website vorgenommen werden.
Wir suchen «Verwandlungen» hin zu mehr Biodiversität. Haben Sie letztes Jahr eine neue Fläche mit einheimischen Pflanzen angelegt und dies fotografisch festgehalten? Dann würden wir uns über einen Kurztext mit Fotos freuen.
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210 Teilnehmende verzeichnete der letztjährige BioterraNaturgartentag vom 8. November. So viele wie noch nie! Die Referate zum Thema «Lebendiger Boden» können auf der Website www.bioterra.ch/ngt heruntergeladen werden.
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Der Lehrgang «Naturnaher Garten- und Landschaftsbau» NGL richtet sich an Fachpersonen aus der grünen Branche oder Interessierte mit vergleichbarer beruflicher Kompetenz. Der nächste Lehrgang startet im August 2020.
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Ich habe den NGL gemacht, weil mir als gelerntem Baumschulisten der Naturzugang fehlte. Meine Erwartungen haben sich voll erfüllt! Nach wie vor arbeite ich bei der Gemeinde Köniz. Dank der Weiterbildung habe ich viel mehr Sicherheit in meiner Arbeitsweise und kann den Leuten erklären, warum ich beispielsweise das Laub liegen lasse. Und mein Chef unterstützt mich in meinem Tun, das ist toll. Info: NGL, siehe links
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LESERANGEBOT: Historische Rosen in Weiss, Zartrosa 3 und Purpurrot – ein Blickfang in jedem Garten. Alle fünf historischen Rosen schätzen einen guten Boden. Die von Wildi naturnahe Gärten in Schafisheim AG kultivierten Pflanzen werden wurzelnackt verschickt.
STANWELL PERPETUAL
Wildrose, Abkömmling von Rosa spinosissima 1899 Standort: Sonnig | Blütezeit: Öfter blühend, Frühsommer bis Frost | Blüten: Weiss bis zartrosa, gefüllt | Höhe: 100 bis 150 cm | Duft: Süss Sehr schöne Rose, kann als Hecke geschnitten werden, ansonsten braucht sie Stützen | Preis: Fr. 40.–
ROSE DE RESHT Portland-Rose 1940
BOULE DE NEIGE
JACQUES CARTIER
LA REINE VICTORIA
Standort: Sonnig bis lichter Schatten | Blütezeit: Frühsommer mit Nachblüte | Blüten: Kugelig gefüllt, weiss | Höhe: Bis 150 cm | Duft: Stark duftend | Eine Rose, die an Kamelien erinnert, schlanker, aufrechter Wuchs, trotz winterlichen Namens etwas frostempfindlich | Preis: Fr. 40.–
Standort: Sonnig | Blütezeit: Öfter blühend, Frühsommer bis Herbst | Blüten: Zartrosa, gefüllt in Büscheln | Höhe: 100 bis 150 cm | Duft: Stark duftend | Sehr schöne rosa Blüten am Ende der Zweige, kräftiger, aufrechter Wuchs | Preis: Fr. 40.–
Standort: Sonnig | Blütezeit: Öfter blühend | Blüten: Gefüllt, warmes Rosa | Höhe: 120 bis 150 cm | Duft: Stark duftend | Ausgezeichneter Dauerblüher, kugelige, gefüllte Blütenschalen, schlank aufrechter Wuchs | Preis: Fr. 40.–
Bourbon-Rose 1867
Standort: Sehr winterhart, sonnig | Blütezeit: Ab Ende Mai bis Frost | Blüten: Gefüllt, purpurrot | Höhe: 100 cm | Duft: Stark duftend | Die klassische Rose für Essenzen und Kulinarik, eher gedrungen, sehr gesund | Preis: Fr. 40.–
Portland-Rose 1868
Bourbon-Rose 1872
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FOTOS: GAP PHOTOS
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