N O V. / D E Z . 2 0 1 3 F R. 8 . 5 0
G Ä R T N E R N
•
G E S T A L T E N
RÄUCHERN
DAS AUFLEBEN EINER ALTEN TRADITION – MIT LESERANGEBOT
•
G E N I E S S E N
BIOWEIN
DOMAINE CRUCHON: ZERTIFIZIERTE WEINE VOM FEINSTEN
VAL BREGAGLIA
IM TAL DER KASTANIEN _01_bt_Titel_h.indd 1
18.10.13 10:46
Ed itor i a l
Liebe Leserin, lieber Leser
Daniel Gürber Geschäftsführer Bioterra
Die Herbstarbeiten im Garten sind grösstenteils erledigt und so können wir uns fragen: Was gefiel uns, was ist gelungen und was nicht? Was soll geändert werden? Oder wollen wir lieber dem Bio- und Naturgarten seine Zeit lassen und den Pflanzen die Wahl, sich auszubreiten oder aber still und leise zu verschwinden? Die Entscheidung liegt bei uns. Diese Selbstbestimmung dürfte mit ein Grund sein, warum Gärtnern immer beliebter wird. Denn in Politik und Wirtschaft wird fast alles durch die Brille der Ökonomie bewertet. Was nützt jedoch reines, profitgetriebenes Wirtschaften, wenn das Befriedigende und Befreiende dabei auf der Strecke bleibt? Im Bergell zeigen ansässige Familien, wie Sinnvolles und Rentables sorgsam kombiniert werden kann. Der Kastanienbaum war früher als Nahrungslieferant wichtig. Heute hat der Baum diese Bedeutung verloren. In der Titelgeschichte «Das Tal der Kastanien» lesen Sie, wie das Brauchtum gepflegt wird und diese Tradition zu einem lohnenden, touristischen Event avanciert ist. Der Verein Bioterra will, dass möglichst alle Gärten biologisch und naturnah gepflegt werden. Dafür setzt er sich seit 1947 mit Kursen, Bioberatungen und der informativen «Bioterra»-Zeitschrift ein. Damit Bioterra das Gedankengut noch besser verbreiten kann, bitten wir um Ihre Unterstützung: Helfen Sie mit Ihrer Spende! Die wichtigsten Projekte stellen wir in dieser Ausgabe vor, damit Sie sich selber überzeugen können, wie Ihre Spende wirkt. Ich wünsche Ihnen besinnliche Wintertage und freue mich, wenn Sie uns mit Ihrer Spende unterstützen. Herzlich Ihr
IM Team
stefan keller
clemens Bornhauser
markus neubauer
Für unsere Reportage über Schweizer Biowein und das Familienweingut Cruchon im Waadtland konnten wir Stefan Keller als Autor gewinnen. Seit Jahren publiziert er Beiträge vor allem zu den Themen Wein und Gastronomie.
Freuen Sie sich! Clemens Bornhauser vom Bioterra-Team hat zum Thema «Bewegte Gärten & bewegte Gärtner» den Bioterra-Naturgartentag konzipiert. Wir laden Sie auf Seite 7 ein, am 8. November daran teilzunehmen.
Zurzeit begegnet man wieder bis zur Unkenntlichkeit gestutzten Bäumen. Dieser Ärger darüber muss nicht sein. Gartenfachmann Markus Neubauer plädiert auf Seite 32 für ein sorgfältiges und bedachtes Schneiden.
Titelbild: Kastanienernte im Bergell , Foto: Benedikt Dittli
_03_bt_Edi-Team_h.indd 3
Bioterra 7 / 2013
3 18.10.13 09:00
in h a l t
Naturgartentag 2013
Thema: Bewegte Gärten & bewegte Gärtner am 8. November an der ZHAW, organisiert von Bioterra ........................................................ 7 Gartensaison
Acht Seiten Gartentipps für Bio-, Naturgarten und Balkon ........................................................ 8 Titelgeschichte
Bergell: Das Tal der Kastanien Die Bewohner und ihre Spezialitäten rund ums Kulturgut Kastanie ...................................................... 2 0
Die Kastanienernte im Herbst ist für viele Bergeller der Höhepunkt des Jahres und ein fröhliches Fest für die Familien des Tales SEite 20
Bio- und Naturgarten
Serie: Sandras Garten «Bitte nicht aufräumen!» und wie man ein Igelhaus baut ...................................................... 1 8 Amaryllis – festliche Blüten Blumenpracht für Weihnachten mit Leserangebot Biozwiebeln ...................................................... 3 0 Gehölzschnitt: Wie und wann soll man Sträucher und Bäume schneiden? Ratschläge vom Fachmann ...................................................... 3 2 Schweizer Biowein: Das Familienweingut Cruchon im Waadtland setzt auf biodynamischen Rebbau und produziert Spitzenweine ...................................................... 3 4 Räuchern: Eine uralte Tradition lebt auf. Wir zeigen, womit und wie man räuchert mit Leserangebot ...................................................... 3 8
Amaryllis Aus Zwiebeln erblüht die Pracht für Weihnachten – mit Leserangebot SEite 30
Bioterra – Spenden
Porträt Joan Davis engagiert sich seit Langem fürs Wasser als Grundlage allen Lebens SEite 46
Unterstützen Sie unsere Projekte für eine gesunde und lebenswerte Umwelt! ...................................................... 4 2 PORT r ä T
Joan Davis: «Der Biolandbau ist für das Wasser unentbehrlich» – das Porträt zum Abschluss des BioterraJahresthemas Wasser ...................................................... 4 6 RU B RI K E N Beratung: Urs Streuli weiss Rat............... 2 8 Notizen: Ute Studers Seite....................... 29 Im Focus.................................................. 41 Kurse....................................................... 44 Vorschau/Impressum................................... 48 Leserservice/Bestelltalon..................... 49
Magische Rauchzeichen Düfte durch Räuchern wirken auf Sinne und Gefühle – mit Leserangebot SEite 38
F o t o s : B e n e d i k t d i t t l i , S t e f a n W a l t e r , H a n s - p e t e r S i ff e r t , G AP - Ph o t o s
_05_bt_Inhalt_h.indd 5
Raoul Cruchon: «Biodynamisch erzeugte Weine besitzen eine andere Seele.» SEite
Bioterra
34
7 / 2013
5 18.10.13 09:01
saison —
Weihnachtssterne – S EITE 8 Wacholderdrossel – S EITE 9 orchideen umtopfen – S EITE 10 stauden durch Wurzelschnittlinge vermehren – S EITE 11 Gemüse richtig lagern – S EITE 12 rosmarin-Fussbad – S EITE 13 Peperoncini überwintern – S EITE 15 Bitterorange – S EITE 17 Vo n B r igitte B o s s hard u n d Ute Studer
weihnaChtsstern
Worauf beim Kauf zu achten ist Damit die Freude am Weihnachtsstern lange anhält, ist es ratsam, bereits beim Kauf auf Qualität zu achten: Die kleinen Blüten in der Mitte der farbigen hochblätter müssen noch knospig sein. Von Pflanzen, die im Grossverteiler oder in der Gärtnerei an der Kälte stehen, ist abzuraten, denn die südpflanzen sind sehr kälteempfindlich und brauchen einen hellen, gleichmässig warmen standort bei temperaturen von 20 °C. ist zudem die erde im topf sehr trocken oder völlig durchnässt, verzichtet man besser darauf. im Wohnraum braucht der Weihnachtsstern einen hellen warmen Platz ohne direkte sonneneinstrahlung und Zugluft. Gegossen werden die Pflanzen mit lauwarmem Wasser. Die erde darf nicht austrocknen.
8
Bioterra
7 / 2013
_08-17_bt_Gartensaison_h2.indd 8
18.10.13 09:04
s sa a i s on
Bunte waCholderdrossel
aus dem osten eingewandert
gartenkids
Blühende schneeglöckchen zur Weihnacht Kleine töpfe mit blühenden schneeglöckchen sind hübsche Weihnachtsgeschenke, die einfach herzustellen sind: Zusammen mit den Kindern gräbt man anfang Dezember im Garten einen schneeglöckchenhorst aus. Danach teilt man diesen und setzt mit den Kindern die Pflanzen in tontöpfe, die sie vorhergehend weihnächtlich bemalt oder verziert haben. Zunächst bleiben die Pflanzen noch etwas draussen, bis sie die ersten Frostnächte überstanden haben. Dann kommen die töpfchen für 14 tage an einen kühlen ort mit etwa 16 °C. anschliessend stellt man die Pflanzen auf die Fensterbank eines beheizten Zimmers, damit sie an Weihnachten blühen und sich Gotte und Götti daran freuen können.
obwohl Zehntausende von Wacholderdrosseln Turdus pilaris in der schweiz leben, ist der hübsch gefärbte Vogel hier nur wenig bekannt. Der ursprünglich in osteuropa lebende Vogel ist anfang des 20. Jahrhunderts von Nordosten in die schweiz eingewandert. Die Wacholderdrosseln sind an ihrem bunten Gefieder leicht zu erkennen. ihr Kopf, Nacken und Bürzel sind hellgrau, der Mantel rotbraun, die Brust und Flanken schwarz gefleckt und die Unterflügel sind weiss. im sommer ernähren sie sich hauptsächlich von insekten, Würmern und schnecken. als standvogel wandert die Wacholderdrossel nur bei extremen temperaturen in richtung südwesten. im Winter sieht man sie oft auch in Gärten die Früchte der Vogelbeere, des Weissdorns und des sanddorns fressen. sie picken aber auch rosinen und apfelstückchen, die man ihnen anbietet.
BuChtipp:
alles über Naturgarten Von reinhard Witt liegt ein neues und umfangreiches Naturgartenbuch vor. es ist an Gärtnerinnen und Gärtner gerichtet, die mehr Natur in ihr kleines Paradies bringen möchten. in zehn praxisnah aufbereiteten Kapiteln lernen die einsteiger einheimische Wildpflanzen und ökologische Grundlagen kennen, erfahren wie ein Naturgarten geplant, gebaut, bepflanzt und gepflegt wird. Dazu viele, viele ratschläge und tipps angereichert mit Fotos, die die Vielfalt des Naturgartens sichtbar machen. Bioterra empfiehlt dieses Buch und ist Kooperationspartner. Natur für jeden Garten, 10 schritte zum Natur-erlebnis-Garten, reinhard Witt, Verlag Naturgarten, ottenhofen, Fr. 32.50. Bestelltalon seite 51.
Fotos: GaP-Photos, iLLUstratioN: aNNa-Lea GUarisCo
_08-17_bt_Gartensaison_h2.indd 9
Bioterra
7 / 2013
9 18.10.13 09:04
S A ND R AS G ARTE N
Werden die Tage kürzer und kälter, begeben sich nicht nur Igel, sondern auch Gärtnerinnen und Gärtner in die wohlverdiente Winterruhe. Vorher gibt es aber noch eine Menge zu tun. Oder etwa nicht?
hingegen müssen auf die Zähne beissen: Sie bleiben draussen. Wenn auch im Wintermantel. Eingetopft wird noch das zäheste Gewächs zum Gfröörli. Sinken die Temperaturen auch tagsüber unter null, frieren die Wurzelballen in den Töpfen durch. Dann können sie kein Wasser mehr aufnehmen und die Pflanzen vertrocknen. Nachdem ich letzten Winter deswegen fast die Hälfte meiner Schützlinge verloren habe, stelle ich dieses Mal alle Töpfe auf eine Schilfmatte nahe an die windgeschützte Hauswand und packe sie mit Verpackungsfolie ein. Weil das fürchterlich aussieht, kommt darüber je ein Jutesack, den ich mit einer bunten Schleife festmache. Die Erde bedecke ich mit einer Schicht Laub. Und die Rosen? Da die Jutesäcke alle sind, decke ich sie mit Reisig ab, um ihre Triebe vor dem kalten, austrocknenden Wind zu schützen. Leider bin ich ja fast zwanghaft ordentlich. Das gilt auch für den Garten. Nicht dass ich ein Fan von Golfrasen und gepützelten Rabättli wäre, aber ich will mich auch nicht vor der eigenen Haustür verirren. Entsprechend schwer fällt es mir, jetzt nicht mit der Schere im Staudenbeet zu wüten. Einiges hat der letzte Sturm niedergedrückt, der Rest ragt schwarz, zerfleddert und traurig aus dem Beet. Auch die Bäume sind nicht ungeschoren aus dem Kampf gekommen. Der Herbstwind hat ganze Äste durch den Garten gepustet. Und Laub. Jede Menge Laub. Der Garten schreit förmlich nach Rechen,
BITTE NICHT ! N E M U Ä R F AU vo n Sa n d ra Weber
Von draussen höre ich merkwürdige Geräusche: Plopp. Plopp-plopp. «Aufhören!», rufe ich in den Garten. «Die brauche ich doch zum Verpacken der Topfpflanzen!» Mein Mann legt beschämt die Polsterfolie zur Seite und widmet sich wieder der Demontage seines Tomatenhäuschens. Nun, da die Tage kürzer werden, sind wir dabei, den Garten auf die kalte Jahreszeit vorzubereiten. Das Tomatenhäuschen kommt in den Keller – es würde der Schneelast nicht standhalten. Dort warten auch die ausgebuddelten Dahlienknollen auf den Frühling. Die Kübelpflanzen STEP BY STEP
1 IGELHAUS BAUEN Igel nützen für ihren Winterschlaf gerne Ast-Laubhaufen, Hohlräume unter Gartenhäusern und Holzbeigen – oder ein einbruchsicheres Igelchalet.
18
BIOTERRA
7 / 2013
_18-19_bt_Sandras-Garten_h.indd 18
Benötigt werden 6 unbehandelte 1,8 cm dicke Holzbretter: Vorder-/Rückseite à 43,7 × 40 cm, Boden u. Seitenwände à 56 × 40 cm, Einschubbrett à 36,4 × 39,6 cm. Auf Vorderseite und Einschubbrett je einen Eingang von 10 cm Durchmesser zeichnen.
FOTOS: SANDRA WEBER, BENEDIKT DITTLI, GAP-FOTOS
18.10.13 09:20
eite tenub-
rett
Häcksler, Scheiterhaufen und Grüngutcontainer. Meine tierischen Mitbewohner sehen das anders: Der Garten kann ihnen gar nicht chaotisch genug sein. Die Vögel zum Beispiel lieben meine scheinbar verwahrlosten Beete: Im Winter sind die trockenen Samenstände wichtige Futterquellen, ausserdem verstecken sich im Dickicht der vergilbten Blätter schmackhafte Spinnen und Insekten vor der Kälte. Aber auch von Wildbienen werden die ungepflegten Rabatten geschätzt: Einige Arten überwintern am liebsten in hohlen Pflanzenstängeln. Grosse Ast- und Laubhaufen wiederum bieten Erdkröten, Igeln und Blindschleichen ein behagliches Plätzchen für den Winterschlaf. Also schichte ich die Äste zusammen mit dem Laub zu einem Haufen auf und schneide nur ein paar Staudenstängel zurück, die in den Weg hineinragen. Den Tieren zuliebe versuche ich also meinen Putzfimmel weitgehend auf die eigenen vier Wände zu beschränken. Dort gibt es schliesslich genug zu tun. Als ich am nächsten Morgen zum Kompost gehe, erkenne ich mein hässliches Staudenbeet kaum wieder: Über Nacht hat es der erste Frost in ein prächtig glitzerndes Kunstwerk verwandelt.
GÄRTNERLATEIN
«Anhäufeln»?
Werden Rosen im Herbst gepflanzt, sollten sie 20 cm hoch mit Erde bedeckt werden. So sind ihre Triebe vor Frost und Austrocknung geschützt. Nach dem Austreiben im Frühling kann die Erde entfernt werden.
SANDRAS TIPP Der Novembergarten ist ein Sammelsurium an Dekorationsmaterial: Aus Hagebutten, Aroniabeeren und Samenständen von Akelei, Päonien und Waldreben habe ich einen Kranz gesteckt. Wer nicht fündig wird, darf vom 25. bis 29. November zum Kranzen in die Biogärtnerei Frei nach Wildensbuch, www.frei-weinlandstauden.ch.
3
2 Mit Bohrmaschine je ein Loch durch Eingänge bohren, mit Stichsäge «einfädeln» und vom Loch her der gezeichneten Linie nach ausschneiden. Bretter zu Kiste verschrauben und auf zwei Dachleisten montieren.
Mithilfe von Einschubbrett und Leisten entsteht ein verwinkelter Eingang, der vor Hunden und Füchsen schützt (Gangbreite 15 cm). Brett nicht festschrauben, damit die Kiste im Frühling besser gereinigt werden kann.
Weitere Bauanleitungen und Informationen unter www.igelzentrum.ch
_18-19_bt_Sandras-Garten_h.indd 19
Buchtipp: Blumenkränze, 60 Inspirationen für das ganze Jahr, Cristina Cevales-Labonde, 2013, Verlag Freies Geistesleben, Stuttgart, ca. Fr. 29.90, Bestelltalon Seite 51.
4 Als Dach ein Brett aus Schnitzelpressholz (80 x 90 x 1,2 cm) mit Leisten fixieren, mit wetterfester Folie decken und mit Sturmhaken festmachen. Haus mit Stroh füllen und an ein ruhiges, schattiges Plätzchen stellen.
BIOTERRA
7 / 2013
19 18.10.13 09:20
Im Tal der KASTANIEN
20
B i o te r r a
7 / 2013
_20-27_bt_Bergell_LA_h2.indd 18
18.10.13 09:21
be rge l l
Ivana Engler, Kastanienernte in Brentan.
Hinter Maloja scheint die Zeit stehengeblieben zu sein. In Brentan, einem der schรถnsten und grรถssten Kastanienhaine Europas, wird die Ernte noch traditionell verarbeitet. Ein Besuch im Bergell lohnt sich aber nicht nur deswegen. F o t o s : B ene d ikt Ditt l i
_20-27_bt_Bergell_LA_h2.indd 19
B i o te r r a
7 / 2013
21 18.10.13 09:22
be r ge l l
Der Bergeller Kastanienkuchen aus der Pasticceria Salis in Castasegna.
Vittorio Scartazzini, in der zehnten Generation M端ller in Promontogno.
In der 300 Jahre alten M端hle vermahlen Scartazzinis Getreide f端r Gran Alpin.
Guido und Rita Picenoni mit ihrem beliebten Kastanien-/Lindenbl端tenhonig.
24
B i o te r r a
7 / 2013
_20-27_bt_Bergell_LA_h2.indd 22
18.10.13 09:23
Hof zum Chumen Hof zum Chumen
be rge l l
Köstlicher Kastanienkuchen.
Die «Stüa Granda» thront hoch über dem Tal in Soglio.
Mit Passion und Fantasie haben Köche und Bäcker Spezialitäten entwickelt. Schale, die pelzige Haut, bleibt dabei noch an der Kastanie. Sie wird später von Hand entfernt. Lange Winterabende gibt es genug. Es klingt nach harter, mühseliger Arbeit. «Ja, anstrengend ist es schon», bestätigt Ivana Engler, Gustavo Picenonis Tochter. «Aber der Tag des Dreschens ist auch ein Festtag, an dem sich Freunde und Verwandte, auch die längst ausgewanderten, treffen und einander helfen.» Fast wäre diese Tradition ganz verschwunden. «Weil die Verarbeitung der Früchte und die Bewirtschaftung der Selven so aufwändig und bei Weitem nicht rentabel ist, wurde sie von vielen aufgegeben», erklärt Ivana Engler und ergänzt: «Die Kronen der Bäume müssen regelmässig durch einen Spezialisten ausgelichtet werden, um eine ständige Verjüngung des Baums zu ermöglichen.» Nur so bliebe der Fruchtertrag erhalten. Und wenn die Wiesen nicht von Laub befreit und gemäht würden, machten sich sofort Erlen, Birken, Linden und dornenvolle Pflanzen breit. Um das Erbe ihrer Vorfahren zu retten, gründeten Romeo Gianotti, Mirko Beti, Manuela Marazzi und Ivana Engler 2006 die «Associazione Castanicoltori Bregaglia» mit dem Ziel, die traditionelle Pflege und Verarbeitungsweise zu erhalten und weiterzugeben und einen Absatzmarkt für frische und gedörrte Kastanien zu schaffen. «Wenn die Leute einen Teil ihrer Ernte verkaufen können, ist der Anreiz, die Bäume weiterzupflegen, grösser», erklärt Manuela Marazzi.
Spezialitäten aus Kastanien Manche der knorrigen Baumriesen in den Selven sind über fünfhundert Jahre alt. Die Kastanienkultur aber ist noch viel älter. Vermutlich waren es die Römer, die auf dem Weg über den Septimerpass nach Bivio die Bäume in die Gegend brachten. Weil in dem steilen, trockenen Tal kaum Ackerbau möglich war, etablierte sich die Kastanie rasch als Grundnahrungsmittel – und blieb es bis nach dem Zweiten Weltkrieg. Traditionell werden die Früchte mit einem Stück Speck in Wasser gekocht und mit Rahm serviert. So wird die Kastanie im Tal immer noch aufgetischt. Die einheimischen Köche und
F o t o s : B ene d ikt Ditt l i
_20-27_bt_Bergell_LA_h2.indd 23
Franca Iseppi-Pool, Wirtin der «Stüa Granda».
Bäcker haben sich mit viel Leidenschaft und Fantasie der Frucht angenommen und aus dem ehemaligen «Brot der Armen» eine gesuchte Spezialität gemacht. Heute gibt es von Kuchen und Guetzli über Brot und Bier bis zu Crèmes und Nudeln kaum noch ein Produkt, das nicht mit Kastanien angereichert wurde. Und kaum ein Restaurant, das nicht eine oder mehrere Kastaniengerichte auf der Karte führt. Besonders empfehlenswert ist das «Stüa Granda» in Soglio, wo Franca Iseppi-Pool ihren Gästen auf der sonnigen Terrasse unter anderem Kastaniennudeln mit gebratenen Steinpilzen und natürlich Kastanien serviert. Ebenfalls weitherum bekannt ist die «Lüganga passa alla castagna», die Kastanienwurst von Metzgermeister Renato Chiesa aus Vicosoprano. Und einen delikaten Kastanienkuchen, so heisst es, bekommt man einen Steinwurf von der italienischen Grenze entfernt in Castasegna, in der Pasticceria Salis. Ein verführerischer Duft dringt aus der Backstube, wenn Ursula Fogliada am Werk ist. Ihr Kuchen ist ein Geheimrezept, ausgetüftelt in einem regnerischen Sommer, als sich kaum ein Tourist ins Dorf verirrte. Immer wieder hätten die Gäste ihres kleinen Cafés nach Kastanienprodukten gefragt, erzählt die Bäckerin. «Da musste ich mir eben etwas einfallen lassen!» Heute hat sie Kastanienguetsli und drei verschiedene Kastanienkuchen im Sortiment, einer davon wird ohne Mehl zubereitet und im Einmachglas gebacken, was ihn lange haltbar macht. Gestohlen habe sie diese Idee von einem Bäcker in Maloja, erzählt sie mit einem Augenzwinkern. Aber erst als dieser gestorben sei. Schliesslich will man sich hier im Tal nicht gegenseitig das Leben schwer machen. Aber welcher Kuchen ist denn nun der beste? Ursula Fogliada lacht. «Die Torta di Castagna verkauft sich am besten.» Sie selber esse die Kuchen kaum noch. «Weil ich den ganzen Tag um sie herum bin, ist mir die Lust darauf etwas vergangen.» Lieber tüftle sie an neuen Rezepten, etwa für den nicht weniger köstlichen Brombeerkuchen. Eigentlich hat die Bäckerin ja Goldschmiedin gelernt. Aber, um im Beruf zu arbeiten, hätte sie das Tal verlassen müssen. So übernahm sie mit ihrem Mann Alberto von ihren
B i o te r r a
7 / 2013
25 18.10.13 09:23
A m a r y llis
Festliche Blüten Prächtige Amaryllisblüten machen dem winterlichen Grau den Garaus und verleihen der Weihnachtszeit festlichen Glanz. Wir bieten unseren Leserinnen und Lesern Zwiebeln von vier verschiedenen Amaryllissorten in Bio-Qualität zum Bestellen an. Von Ute Stude r
Die Amaryllis, botanisch Hippeastrum, auch Ritterstern genannt, ist eine der wenigen Blumen, die uns zu Hause mit eleganten Blüten erfreut, wenn draussen die Natur schläft. Hält man die faustgrossen Zwiebeln in der Hand, kann man sich kaum vorstellen, dass daraus innerhalb von 6 bis 8 Wochen ein faszinierender Blütenzauber entsteht. Bereits nach wenigen Tagen schiebt sich die grüne Knospenspitze ans Licht. Mit jedem Tag wird sie höher, um sich schliesslich halb nach aussen zu wölben und eines Morgens ihr Blütenspektakel zu entfalten. Die prächtigen Posaunenblüten der Amaryllis sind ein absoluter Blickfang auf der winterlichen Fensterbank. Sie gehören zu den schönsten Weihnachtsblumen überhaupt.
Pflegeleichte Diva Beim Pflanzen und Pflegen von Amaryllis kann man eigentlich nichts falsch machen. Da ihre Heimat in Steppengebieten Südamerikas liegt, muss man sich lediglich von dem dort üblichen Wachstumsrhythmus leiten lassen. Das heisst: Im Winter ist Blütezeit auf der warmen Fensterbank, im Frühling und Sommer Wachstumszeit im Garten oder auf dem Balkon
und im Herbst Ruhepause im dunklen Keller. Gepflanzt werden die Zwiebeln in einen Topf mit normaler Zimmerpflanzenerde. Man sollte die Zwiebel so ins Substrat setzen, dass sie höchstens zu zwei Dritteln mit Erde bedeckt ist und ihr Hals über das Erdreich hinaus ragt. Dann stellt man den Topf an einen hellen, warmen Ort und giesst die Erde einmal an. Regelmässig gegossen wird erst, wenn der Austrieb etwa eine Hand breit gewachsen ist. Bekommt die Zwiebel zu früh zu viel Wasser, treibt sie nur Blätter und keine Blüten aus. Nach der winterlichen Blütenphase wird der Blütenstiel über der Zwiebel abgeschnitten, damit die Kraft nicht in die Samenbildung geht. In der Wachstumsphase im Frühling und Sommer bevorzugt die Amaryllis einen warmen Standort, sollte regelmässig gegossen und ab und zu mit flüssigem organischem Dünger versorgt werden. Ab August wird nicht mehr gedüngt und das Giessen verlangsamt, bis es ab September ganz eingestellt wird. Die eingetrockneten Blätter werden abgeschnitten und die Zwiebel kann zwei Monate im Dunkeln schlummern, bevor sie zur Adventszeit ihren Blütenzauber erneut entfalten kann. Wird sie gut gepflegt, kann eine Amaryllis jahrelang Freude bereiten.
Leserangebot: Vier Sorten Amaryllis-Zwiebeln in Bioqualität In Zusammenarbeit mit Sativa, Rheinau, bieten wir vier Sorten Amaryllis-Zwiebeln in Bioqualität an. Die Pflanzen werden etwa 50 bis 60 cm hoch und haben einen kräftigen Stängel. Aus einer Zwiebel treiben 2 bis 3 Blütenstände. ‘Christmas Gift’: Reinweisse Blüten, in der Mitte gelb-grün.
30
Bioterra
7 / 2013
_30-31_bt_Amaryllis_LA_h.indd 30
18.10.13 10:12
A m a ry l l i s
‘Narange’: Diese grossblumige Amaryllis ist auch als ‘Naranja’ bekannt. Die Blüten erscheinen in einem warmen Orange mit dunklem Satin-Herz.
‘Red Lion’: Sehr grosse, leuchtend rote Blüten.
‘Minerva’: Bekannte Amaryllissorte mit rot-weiss gefärbten Blüten.
Bestelltalon Seite 51
Bioterra
_30-31_bt_Amaryllis_LA_h.indd 31
7 / 2013
31 18.10.13 10:12
Bio w e in
Der Königsweg führt über die Biodynamik Raoul Cruchon ist ein engagierter Weinbauer, der seine Meinung wortgewandt und lautstark vorträgt. Zusammen mit seinem Bruder Michel hat er sich dem biodynamischen Anbau verschrieben und das Familienweingut Henri Cruchon an der La Côte zu einem Vorzeigebetrieb gemacht. Von Stefan Kel le r
Die Waadtländer Winzer verkörpern die Kraft der Beharrlichkeit. Während ihre Genfer und Walliser Nachbarn die traditionsreiche Chasselas-Rebe mehr und mehr aus den Weinbergen vertreiben, halten ihr die Vaudois die Treue. Sie dominiert immer noch die meisten und die besten Anbauflächen zwischen Yvorne und Féchy. Chasselas ist in der ganzen Westschweiz verbreitet und bietet eine faszinierende Vielfalt an Duft und Geschmack. Ein Bonvillars aus dem Gros de Vaud schmeckt ganz anders als ein Lavaux. Doch das ist noch nicht alles: Selbst innerhalb einer so kleinen Appellation wie St-Saphorin unterscheiden sich die Weine deutlich. Das hängt von den Eigenarten der Lage und Winzer ab und ist das, was gemeinhin mit «Terroir» bezeichnet wird. Beim Chasselas kommt es besonders deutlich zum Tragen, da die Beeren viel neutraler schmecken als
ungelöstes Problem
Kupfer im Rebberg
Zur Bekämpfung von Pilzkrankheiten (Echter und Falscher Mehltau) wird auch im biologischen Rebbau Kupfer eingesetzt. Seit über 150 Jahren wird das Metall in der Landwirtschaft verwendet und seit über zwanzig Jahren sucht das Forschungsinstitut für Biologischen Landbau FiBL nach Wegen, um den Kupfereinsatz zu senken. Denn Kupfer reichert sich im Boden an und beeinträchtigt langfristig das Bodenleben. Im Weinbau führt eine Strategie über resistente Sorten, unterstützt durch spezifische Schnitt- und Hygienemassnahmen. Hier hat das FiBL bereits viel Forschungs- und Entwicklungsarbeit geleistet. Mithilfe von Prognosesystemen und verbesserter Applikationstechnik konnten Biobauern den Kupfereinsatz reduzieren und die Ertragssicherheit deutlich verbessern. Auch bei der Suche nach Ersatzprodukten gelang es den FiBL-Fachleuten, alternativen Mitteln auf Basis von Tonerde oder Kaliumbikarbonat zur Markteinführung zu verhelfen. Zurzeit sind laut den Richtlinien von Bio Suisse (Knospe) maximal vier Kilogramm pro Hektare und Jahr zugelassen. Diese Menge kann über einen Zeitraum von fünf Jahren bilanziert werden. Die Höchstmenge von sechs Kilogramm pro Hektare und Jahr darf auf keinen Fall überschritten werden.
34
Bioterra
_34-36_bt_Biowein_h.indd 34
etwa aromatische Muskat- oder Gewürztraminertrauben. Ja, Schweizer Chasselas ist ein wirklicher «Terroirwein», der einzige, und es gibt allen Grund, ihn mit grösster Achtsamkeit zu hegen und zu pflegen. Und damit sind wir mitten drin im Thema, das Könner wie Raoul Cruchon umtreibt: «Damit das Terroir seine Spuren im Wein hinterlassen kann, muss man in den Reben konsequent arbeiten. Die gegenwärtigen Standardmethoden und Techniken flirten jedoch mit der Logik von ‹Hors-sol›-Produkten, was dazu führt, dass auf diese Weise hergestellten Weinen die Mineralität fehlt», sagt Cruchon dezidiert. Mit Standardmethoden meint er, was in der Schweiz gang und gäbe ist: konventioneller Anbau, oft nach den Richtlinien der Integrierten Produktion (IP). Nur gerade 2,5 Prozent der gesamten Anbaufläche werden hierzulande nach biologischen Richtlinien bewirtschaftet und kontrolliert. In Spanien, Frankreich und Italien ist dieser Anteil dreimal so hoch. In Österreich liegt der kontrollierte Bioanbau schon fast bei zehn Prozent, innerhalb von nur fünf Jahren hat er sich verdoppelt. Hauptgrund dieser fulminanten Entwicklung ist, dass reihenweise Spitzenproduzenten auf biodynamische Produktion umgestellt haben. Und diese Art Herstellung meint Raoul Cruchon, wenn er sagt: «Konsequent mit den Reben arbeiten». Bei seiner Analyse nimmt er kein Blatt vor den Mund: «Viele Rebberge sind durch den übermässigen Einsatz von Düngern, synthetischen Fungiziden, Herbiziden und Insektiziden vergiftet.» Deshalb gehe er den Weg der Biodynamie, verzichte auf chemische Mittel, arbeite mit natürlichen Produkten sowie speziellen biologischdynamischen Präparaten und beziehe den Einfluss der Gestirne in den Arbeitsablauf mit ein. «Dadurch können die Böden revitalisiert und die Widerstandskraft der Pflanzen gestärkt werden», ist Raoul Cruchon überzeugt.
Ein neues Kapitel aufgeschlagen Cruchons Schlüsselerlebnis und Anstoss für die Umstellung war ein Besuch im Burgund. «Biodynamisch erzeugte Weine besitzen eine andere Seele», stellte er fest. Er konnte seinen Bruder Michel, der für die Bearbeitung der Reben zuständig ist, überzeugen, einen Versuch zu starten. Das liegt nun schon ein paar Jahre zurück. Heute ist bereits über die Hälfte ihrer 42 Hektaren auf biodynamische Bewirtschaftung umgestellt und 2010 kam denn auch der erste mit dem Demeter-Label
7 / 2013
18.10.13 09:28
Gamay-Trauben im Rebberg von Cruchon. Gegenüber das Château de Vufflens.
In Hörnern vergrabener Kuhmist ergibt im nächsten Jahr ein wertvolles Präparat.
Cruchon setzt bei der Vinifikation wenn möglich keine Zuchthefen ein und lässt die safteigenen Hefen bei der Vergärung wirken. Zudem verzichtet er auf die meisten Hilfsmittel, die auch beim Biowein erlaubt sind.
Die Brüder Raoul und Michel Cruchon in ihrem runden Barrique-Keller, einem ehemaligen Wasserreservoir.
Fotos: hans-peter Siffert
_34-36_bt_Biowein_h.indd 35
Bioterra
7 / 2013
35 18.10.13 09:28
R 채 uc h e r n
Magische
Rauchzeichen
38
Bioterra
7 / 2013
_38-41_bt_Raeuchern_LA_focus_h.indd 38
Foto: Kosmos/roberto bulgrin
18.10.13 09:38
Rä u c he r n
Das Verglimmen von Kräutern, Wurzeln und Harzen ist eine uralte Tradition, die heute wieder gepflegt wird. Madlen Neubauer von der Biogärtnerei Neubauer in Erlen TG bietet unseren Leserinnen und Lesern Räucherwaren und ein Stöfchen zum Bestellen an.
Von Ute Stude r
Räuchern, das Verglimmen von aromatischen Pflanzenstoffen, gehört zu den ältesten kultischen Handlungen der Menschheit. Besonders im Winter, der langen, dunklen Jahreszeit, dienten die Räucherungen mit den beruhigenden und heilenden Kräften der Pflanzen den Menschen dazu, die Luft zu reinigen, unangenehme Gerüche zu überdecken, zu desinfizieren, Ungeziefer oder dunkle Mächte zu vertreiben und ihre kultischen Handlungen zu vertiefen. Die Tradition, während der Raunächte vom 21. Dezember bis 6. Januar Haus und Stall zu räuchern, hat sich in einigen Teilen des Alpenraums bis heute erhalten. Das in unserem Kulturkreis fast verlorene Wissen um die Kraft des Räucherns lebt heute wieder auf und kann in unserer hektischen Zeit mit der hohen Stressbelastung hilfreich sein, um zu entspannen und innezuhalten. Denn Räuchern ist mehr als nur das einfache Verbrennen von aromatischen Pflanzenstoffen: Es ist eine Zeremonie, die an sich schon entspannend wirkt. Gerade im Winter hat das Räuchern etwas Magisches.
Lasst Rauch aufsteigen! Räuchern erfordert Lust am Pröbeln, Liebe zu den Pflanzen und vor allem Ruhe und Zeit. Es sind berührende Momente, die Kerze anzuzünden und die Wärme der Flamme zu spüren. Das darüberliegende Räuchergut beginnt zu glimmen. Der Rauch erhebt sich aus dem Räuchergefäss, verwirbelt kräuselnd, Spiralen und Bänder formend. Die Duftstoffe werden nach oben getragen, um sich im ganzen Raum zu verteilen. Die Düfte wirken unmittelbar auf die Sinne, Gefühle und Befindlichkeiten. Das gilt heute als wissenschaftlich erwiesen: Die im Rauch gelösten Duftmoleküle gelangen durch die Nase ins limbische System im Stammhirn, dem Sitz
der Emotionen, seelischen Zustände und Erinnerungen. Dort wirken sie auf unsere Psyche ein sowie das vegetative Nervensystem. Je nach Räuchergut beruhigen und entspannen, reinigen und klären, beleben und vitalisieren oder stimulieren sie als Aphrodisiakum die Libido. Sie fördern die Konzentration, Inspiration und Kreativität und unterstützen sowohl Heilungsprozesse als auch den erholsamen Schlaf. Sie eignen sich zum Reinigen von Räumen und Krankenzimmern und tragen ganz allgemein zum Wohlbefinden bei. Besitzt eine Pflanze Heilkräfte, werden diese beim Räuchern freigesetzt. Die Düfte von Räucherwerk wirken milder als die in der Aromatherapie verwendeten ätherischen Öle.
«Per fumum» zum Himmel Schon die alten Römer schickten ihre Bitten mit Kräutern «per fumum», zu Deutsch durch den Rauch, an die Götter. Daraus wurde der heutige Begriff Parfum abgeleitet. Früher war es relativ simpel, eine Räucherung durchzuführen: Man zog einfach glühende Kohlen aus dem Feuer, legte sie in eine Schale und streute duftende Kräuter darauf. Im Zeitalter der Zentralheizungen müssen wir uns anderer Methoden bedienen. Die bekanntesten zwei sind: • Räucherschalen. Sand einfüllen und obenauf eine Räucherkohletablette legen. Geeignet für Harze. Da die Kohletabletten mit Magnesiumsulphat und Salpeter getränkt sind, entstehen beim Brennen manchmal unerwünschte Nebenaromen. Kräuter verkohlen auf solchen Tabletten zu schnell. Die Wirkung ist suboptimal. • Räucherstöfchen. Teelicht anzünden und wenig Räucherwerk auf das darüberliegende Sieb legen. Die Stöfchen sind ähnlich wie Duftlampen aufgebaut, besitzen jedoch anstelle einer Schale ein Räuchersieb. Will man Harz
verräuchern, bedeckt man das Sieb mit einem Stück Alufolie. So gelangt es nicht durch die Maschen und entzündet sich. Auch wird das Sieb nicht verklebt. Auf einem Stöfchen verglimmen die Räucherwaren langsamer und feiner als auf Kohletabletten. Der Duft ist stärker und hält länger an, das Räucherwerk kann seinen Duft und seine Wirkung sanfter entfalten. Vorsicht: Der Umgang mit Feuer erfordert Achtsamkeit. Räucherungen sollten nicht in der Nähe von leicht brennbaren oder entflammbaren Gegenständen durchgeführt werden. Auch sollte man Räuchergefässe nicht unbeaufsichtigt lassen. Kleinkinder und Haustiere haben einen viel feineren Geruchssinn als erwachsene Menschen und sollten nicht dem Rauch ausgesetzt werden.
pflanzen aus dem Garten Für jede der Räuchermischungen im Angebot gibt es die entsprechende Anleitung. Wer bereits Erfahrung mit Räuchern hat, kann Pflanzen aus dem Garten verwenden. Zum Räuchern eignen sich alle aromatischen Pflanzen und Heilkräuter. Die verwendeten Pflanzenteile müssen gut getrocknet sein. Die Blätter von Rosmarin, Salbei, Majoran und Thymian stehen ganz oben auf der Liste. Aber auch die Früchte von Koriander, Anis, Brennnessel, Fenchel oder Dill sowie die Blüten von Lavendel, Kamille und Ysop eignen sich ausgezeichnet, ebenso die Wurzeln von Engelwurz, Alant und Baldrian. Zum Ausprobieren empfehlen sich Nadeln und Harze von Nadelbäumen. Um ein Räucherbündel herzustellen, hängt man die gewünschten Kräuter in Büscheln zum Trocknen auf und verschnürt sie, kurz bevor sie ganz trocken sind, fest mit Baumwollschnur zu einer Rolle. Danach müssen sie nochmals aufgehängt werden, bis sie richtig durchgetrocknet sind.
Bioterra
_38-41_bt_Raeuchern_LA_focus_h.indd 39
7 / 2013
39 18.10.13 09:38
p o r t r ät
Die bekannte Biochemikerin und Wasserforscherin Joan Davis setzt sich seit Jahrzehnten für Wasser als Grundlage allen Lebens ein. Im Gespräch erörtert sie, welche Massnahmen notwendig sind, um das existenzielle Element zu schützen und zu erhalten.
46
BIOTERRA
_46-47_bt_Portraet_h.indd 46
7 / 2013
18.10.13 09:40
porträ t
«Der Biolandbau ist für das Wasser unentbehrlich» Von Stefan Ha rt ma nn
Auf dem neu gebauten Bahnhofplatz Wallisellen ist «rush hour». Hinter den raumhohen Fenstern eines Restaurants winkt mir lebhaft eine Frau zu. Es ist Joan Davis, die ihr «outhome office» extra für mich ins Restaurant verlegt hat, wie sie mir lachend eröffnet. Eigentlich behage ihr das umtriebige Klima am Bahnhof nicht besonders. Sie liebe es eher ruhig. Aber das Restaurant am Bahnhof sei eben sehr praktisch für anreisende Gesprächspartner. Wasser ist das Lebensthema von Joan Davis, Berufung und Leidenschaft. Die amerikanische Biochemikerin lebt seit 1970 in der Schweiz. Damals entdeckte sie ihre Leidenschaft für das faszinierende Element Wasser. Während fast 30 Jahren forschte sie an der EAWAG in Dübendorf über die Belastung der grossen Fliessgewässer der Schweiz und lehrte an der ETH. Das wirbelnde, lebendige Wasser habe sie schon als Kind fasziniert, erzählt sie. «Später, als ich mich beruflich ganz mit Wasser auseinandersetzte, erfüllte es mich mit tiefgehendem Respekt.» Auch heute, lange nach dem Rückzug aus dem Berufsleben, setzt sie sich leidenschaftlich dafür ein. Sie nimmt an Tagungen teil, hält Vorträge, engagiert sich. Wasser werde weltweit mit industriellen und landwirtschaftlichen Substanzen belastet, sagt sie. Mit dem kostbaren Gut werde auf allen Ebenen fahrlässig umgegangen. «Obwohl Regierungen und meistens auch die Bürger selbst wohl wissen, dass Wasser gefährdet ist, fehlt es an schützenden Massnahmen und Verhaltensänderungen.» Für Joan Davis ist diese Passivität nicht nachvollziehbar. «Wasser ist doch die Grundlage allen Lebens.» Auch nach ihrer Forschungszeit an der EAWAG bleibt die Belastung von Wasser durch die intensive Landwirtschaft ein zentrales Thema für Joan Davis. Sorgen macht ihr nach wie vor der starke Einsatz von Stickstoffdünger. Er belastet die Gewässer und senkt den Humusgehalt der Böden, weil die humusbildenden Bakterien vertrieben werden. Dadurch wird auch das Wasserrückhaltevermögen des Bodens geschwächt. Es ist damit nicht nur weniger Wasser für das Pflanzenwachstum, sondern auch für die Anreicherung des Grundwassers vorhanden. Joan Davis kritisiert, dass diese Probleme in der intensiven Landwirtschaft meist technisch angegangen würden, etwa durch Bewässerungssysteme oder genetisch veränderte «more-crop-per-drop»-Pflanzen. Die Benutzung von humusaufbauenden Naturdüngern wie im Biolandbau wäre bedeutend nachhaltiger, sagt sie.
F oto : stefan walter
_46-47_bt_Portraet_h.indd 47
Die Bedeutung des Biolandbaus für das Wasser wird für Joan Davis viel zu wenig thematisiert. «Zwar wird betont, wie wichtig Wasser für die Böden ist, aber es wird kaum erwähnt, wie notwendig gesunde Böden für das Wasser sind.» Solche Böden nehmen Wasser auf und speichern es. Im Zeichen der globalen Klimaerwärmung gewinnen diese Böden gegenüber den harten, mechanisch bearbeiteten Böden der Monokulturen an Bedeutung. Wie wirksam gesunde Böden gegen Trockenheit sind, ist jetzt schon erkennbar, vor allem in ariden Gebieten, wo häufig der Tau mengenmässig grösser ist als der Niederschlag im ganzen Jahr. «Gesunde Böden fangen den Tau auf, was tagtäglich zum Pflanzenwachstum und Wassergehalt der Böden beiträgt.» «Die Sorge zum Wasser geht jede und jeden an», betont Joan Davis. Nur würden die meisten nicht erkennen, was sie zur Belastung des Wassers beitragen oder wie sie das Wasser besser schützen könnten. «Nur wenigen ist der grosse Anteil der Landwirtschaft am Wasserverbrauch und an der Gewässerbelastung bewusst.» Somit realisieren die meisten auch nicht, wie stark ihre täglichen Einkäufe, ihr Konsumverhalten, zu diesen Problemen beitragen. Auch wenn sie etwas über die positiven Auswirkungen des Biolandbaus gehört haben – es reicht nicht, dass sie die Bioprodukte auch wirklich kaufen. Viele Konsumenten entscheiden sich im Laden für billige Produkte. Deren Herstellung schädigt die Umwelt, was im Preis nicht enthalten ist. Hier könnte die Anwendung der Kostenwahrheit ein wirksames Signal für Entscheidungskriterien sein. Dies wurde im Schweizer Parlament vor mehreren Jahren vorgeschlagen, ist aber leider abgelehnt worden. Wasser ist Leben, sagt Joan Davis. «Heute anerkennen wir seine lebensfördernden Eigenschaften viel zu wenig. Wir sehen Wasser primär als Ware. Damit fehlt aber die Basis für seinen Schutz.» Das Gleiche trifft auch für die Böden, die Biodiversität und die Umwelt zu. Der Grad ihrer Gefährdung wurde lange Zeit unterschätzt. Dennoch sieht Joan Davis Hoffnung dank dem Umdenken in den letzten Jahren. Der Biolandbau werde gefördert und sei im Wachsen, beobachtet sie. Dies sei ein Segen für alles Lebendige – inklusive das Wasser. Wasser und Biolandbau, das sind eben Partner, die zusammengehören. Wasser – Jahresthema Bioterra 2013 Mit diesem eindringlichen Plädoyer zum Schutz des Wassers von Joan Davis beenden wir unsere Beiträge zum Jahresthema.
B ioterra
5 / 2013 7
47 18.10.13 09:40