ANALYSE
INTERVIEW
DOSSIER
Warum Biosprit an der Börse versiegt. Finanzanalysten bewerten die Chancen der Hersteller skeptisch. seite 22
„Abenteuer mit vielen Risiken“. GE-Vorstand Stephan Reimelt kritisiert die OffshorePläne der Bundesregierung. seite 54
Keine Energiewende ohne Energieeffizienz. Doch das Potenzial bleibt weitgehend ungenutzt. seite 46
Das Wirtschaftsmagazin für die Entscheider der Energiezukunft
bizzenergytoday.com
Die Konzern-Grünen Die Strombosse Johannes Teyssen (Eon, oben), Peter Terium (RWE, unten) und Frank Mastiaux (EnBW) entwerfen neue Strategien. Sie wittern in der Industrialisierung des Ökostroms ganz nüchtern ein Milliardengeschäft weiter auf seite 16
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OKT Ausgabe 1. Jahrgang
03/2012 9,80 €
NEUER WIND BEI DEN DINOS
DIE AKTIEN STEHEN SCHLECHT
„DAS GRENZT AN ERPRESSUNG“ BNE-Vorstandschef Hans-Martin Huber-Ditzel über Notmaßnahmen und Kapazitätsmärkte seite 32 KOLUMNE FRIEDBERT PFLÜGER
Für die Stromkonzerne war die Energiewende ein Schock. Jetzt streben sie selbst nach Wachstum durch Ökostrom seite 16
Harte Börsenzeiten für Produzenten von seite 22 Biodiesel und Ethanol KOLUMNE GERARD REID Der BIZZ energy today Chefökonom über brachiales Stromsparen seite 28
QUICK LUNCH mit Joachim Pfeiffer (CDU)
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FRAGE DES MONATS Ist die Energiewende noch finanzierbar?
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LINDE HEBT AB Der DAX-Konzern im BIZZ energy today Unternehmenscheck seite 30
Der frühere Verteidigungs-Staatssekretär über das Autarkie-Streben der USA und seite 36 Chinas Energieimperialismus
AUS HOLZ WIRD KLEBER
ENERGIEEFFIZIENZ ANSPRUCH UND WIRKLICHKEIT
IM INTERVIEW: Stephan Reimelt, CEO der deutschen Energiesparte von General Electric, über die Tücken der Energiewende seite 54 SAUBER ABGELIEFERT Automobilzulieferer wittern das Geschäft mit grünen Antrieben
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Alle reden von der Energieeffizienz, seite 46 aber es passiert wenig HERR WOLF HILFT BEIM SPAREN Für Energieberater gibt es eigentlich genug zu tun. Doch die Nachfrage stagniert seite 50 Die Chemiebranche sucht fieberhaft nach Alternativen zum Erdöl. Nachwachsende Rohstoffe rücken dabei immer stärker in den Blickpunkt. Eine Raffinerie in Leuna soll den Durchbruch bringen seite 40
PIMP MY HOME Waschen über die App? Im Smart Home ist das kein Problem. Noch scheuen die Verbraucher die Vollvernetzung daheim seite 52
MEHR PERSONAL FÜR RÖSLER? Wirtschaftsminister will neue Truppen für die Energiewende seite 63 AUF- UND ABSTEIGER DES MONATS Elmar Degenhart (Continental) und Thorsten Grenz (Veolia) seite 62 EDITORIAL IMPRESSUM FOTO DES MONATS INNOVATION DES MONATS ZAHL DES MONATS MAL GANZ GRUNDSÄTZLICH GEFRAGT
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FRAGE DES MONATS ... … ANGESICHTS DER STEIGENDEN EEG-UMLAGE: IST DIE ENERGIEWENDE NOCH FINANZIERBAR? 3,5 Cent pro Kilowattstunde – mehr sollte die Umlage für den Ausbau der erneuerbaren Energien nicht kosten. Kanzlerin Angela Merkel hatte die Marke im letzten Jahr persönlich in Stein gemeißelt. Nun muss sie einräumen, dass es doch teurer wird. Mitte Oktober werden die Netzbetreiber ihre Prognose für 2013 verkünden. Die Umlage für das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) dürfte auf mindestens fünf Cent steigen. Ist die Energiewende noch finanzierbar? Die Debatte darüber ist bereits in vollem Gange: Verbraucherschützer kritisieren, viele Bürger können die steigenden Kosten nicht mehr tragen, die Stromsteuer gehöre abgeschafft. Der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) sieht wieder den Standort Deutschland in Gefahr und die Erneuerbaren-Branche weist wiederholt alle Schuld von sich. Solar- und Windstrom senken laut ihrer Argumentation die Preise an der Strombörse und schaffen Arbeitsplätze.
HOLGER KRAWINKEL Verbraucherzentrale Bundesverband
„Es ist die Frage, wie belastbar Wirtschaft und Bevölkerung sind. Unter finanziellen Gesichtspunkten muss es für den Teil der Bevölkerung, der Transferleistungen erhält, einen Ausgleich geben. Die steigenden Energiekosten können sonst dazu führen, dass die Energiewende von einem immer größeren Teil der Bevölkerung in Frage gestellt wird. Da
kurz & gut. seite 14
SMA
„Die Energiewende ist von Politik und Bevölkerung gewollt, der Übergang in eine dezentrale regenerative Energieversorgung aber nicht zum Nulltarif zu haben. Investitionen zahlen sich bereits aus: 400.000 Arbeitsplätze im Bereich der Erneuerbaren und eine Vielzahl innovativer Technologien sind entstanden. Lösungen für die zukünftige Energieversorgung wie Smart Grid, Netzintegration oder Speicherung werden vorangetrieben, unsere Technologieführerschaft bei den Erneuerbaren ausgebaut. Zudem werden die Kosten für Klima- und Umweltschäden aus der konventionellen Stromerzeugung zurückgeführt, die Preise an der Strombörse sinken mit wachsendem Anteil der Erneuerbaren. Gleichzeitig setzt die im EEG verankerte kontinuierliche Senkung der Fördersätze Anreize zu Kostenreduktion. Die erneuerbaren Energien werden so zunehmend wettbewerbsfähig gegenüber den fossilen Energieträgern, deren Preise weiterhin unabsehbar steigen. Allein bei der Solarenergie wurde die Förderung in den vergangenen drei Jahre mehr als halbiert. In ein bis zwei Jahren werden erste Anlagen keine Förderung mehr benötigen. Die Energiewende stellt daher mittelfristig ein Kostensenkungsprogramm dar.“
Fotos: Gert Baumbach
GÜNTHER CRAMER Aufsichtsratsvorsitzender und Gründer der SMA Solar Technology
sehe ich das wirkliche Problem. Ich glaube, dass es jetzt darauf ankommt, sich die bisher gemachten Fehler einzugestehen, vor allem im Umweltlager. Man hat nicht das umgesetzt, was das Gesetz verlangt: Eine Vergütung, die kostendeckend ist. In vielen Bereichen, etwa bei Windenergie an Land in Schleswig-Holstein, ist sie schon jetzt mehr als kostendeckend. Da werden übermäßig hohe Renditen erwirtschaftet. Vertreter von Umweltschutz und Ökologie müssen hierzu jetzt Vorschläge machen. So wichtig es ist, über die Industriebefreiung oder den Merit-Order-Effekt zu diskutieren, das ist nicht der Kern des Problems. Der besteht darin, dass sich die durchschnittliche Einspeisevergütung für Erneuerbare seit 2000 verdoppelt hat: von 8,5 Cent auf über 16 Cent pro Kilowattstunde.“
RUDOLF MARTIN SIEGERS Leiter Siemens Deutschland
„Dass wir heute einen so hohen Anteil an erneuerbarer Energie haben, verdanken wir dem EEG. Es diente auch in einigen anderen Ländern als Vorbild für eine Starthilfe beim Aufbau regenerativer Quellen. Regelmäßige Anpassungen, je nach Ausbaustatus und technologischer Entwicklung, sind dabei ganz natürlich. Als weiterer Schritt ist das Marktprämienmodell ein guter Ansatz, um die Direktvermarktung zu fördern. Es gibt Anlagebetreibern Anreize, ihren erneuerbar erzeugten Strom statt über das EEG lieber direkt zu vermarkten. Aber die Erneuer-
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baren müssen schnell lernen, damit sie sich zukünftig auch ohne solche Anreize am Markt zurechtfinden. Und es müssen die nächsten Schritte zur Marktintegration vorbereitet werden. Da aufgrund der hohen PhotovoltaikEinspeisung in Deutschland Neubau und Betrieb hocheffizienter Gas- und Dampf-Kraftwerke unrentabler geworden sind, muss das Marktmodell angepasst werden. Ein neues Design sollte so marktbasiert wie möglich sein und die Kosten verursachungsgerecht verteilen.“
Fotos: Christian Kruppa; Siemens AG
Julia Puder
HUBERT WEIGER Vorsitzender des Bundes für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND)
„Die EEG-Umlage als Sündenbock für hohe Stromkosten zu denunzieren, ist interessengeleitet. Es gibt weit stärkere Treiber: zunehmend teure Ressourcen sowie die Steuern auf Energie. Seit 2002 sind die Verbraucherpreise für Strom um zehn Cent pro Kilowattstunde gestiegen. Die EEG-Umlage hat sich aber nur um drei Cent erhöht. Folglich haben mehr als zwei Drittel der Preiserhöhungen nichts mit den Erneuerbaren zu tun. Peter Altmaier unternimmt zu wenig, um sämtliche Vorteilsnehmer der Energiewende an den Kosten zu beteiligen. Über 700 stromintensive Unternehmen sind von der EEG-Umlage befreit. Sie verbrauchen fast ein Fünftel des deutschen Stroms, zahlen aber nur 0,3 Prozent der EEG-Umlage. Es ist daher an der Zeit, die Ausnahmen von der EEG-Umlage zu beschränken.“
Meine smarte Oma
Intelligente Zähler haben viele Vorteile. Doch Energieversorger erschweren ihren Start _Text GERARD REID
finance. seite 28
K
ürzlich fand ich einen Brief von Vattenfall auf meinem Schreibtisch. Eine Zahlungserinnerung für meine Stromrechnung, dachte ich mir und beschloss, den Brief nicht zu öffnen. Meine fehlende Empathie für deutsche Energieversorger rührt wohl daher, dass ich in Irland aufgewachsen bin. Monatliche Abrechnungen des Versorgers waren die Norm,
ebenso wie stark schwankende Rechnungsbeträge. Eine meiner prägendsten Kindheitserinnerungen ist, dass meine Großmutter die elektrische Heizung in meinem Schlafzimmer kaputt schlug: Ich heizte zu oft und die Rechnung vom Januar übertraf die vom Juni um das Dreifache. Natürlich macht es mir der Energieversorger hier angenehmer, indem er den Konsum über das Jahr schätzt. So kann ich besser kalkulieren
und zahle jeden Monat denselben Betrag. Aber diese Bequemlichkeit geht zu Lasten des Verbrauchers, weil er sich nicht mehr mit seinen Energiekosten auseinandersetzen muss. Monatliche Kostenschwankungen würden dagegen zum Nachdenken anregen und zu drastischen Einsparlösungen, die ja nicht gleich so brachial wie die meiner Großmutter damals ausfallen müssen. Aber Energiesparen ist natürlich schlecht für das Geschäft der Unternehmen. Zudem schätzt der Versorger den Verbrauch oft zu hoch ein und erhält so einen zinslosen Kredit, mit dem er ein Jahr lang arbeiten kann. Als meine Frau erzählte, dass wir neue Besitzer eines Smart Meters werden, las ich den Brief von Vattenfall schließlich doch. Im Kopf spulte ich die Vorteile eines digitalen Zählers ab: Die direkte Erfassung meines Stromverbrauchs würde eine exakte Abrechnung ermöglichen.
mer. Nicht einmal der Versorger hat Zugang zu den Daten und muss deshalb im September wieder jemanden vorbeischicken, um vor Ort abzulesen. Warum installiert Vattenfall den Smart Meter dann überhaupt? Sicherlich nicht freiwillig, sonst hätte der Versorger Werbematerial beigelegt, eine Kampagne gestartet oder die Infos auf seiner Webseite leichter zugänglich gestaltet. Er tut es ganz einfach, weil der Gesetzgeber ihn dazu zwingt. Diese Zurückhaltung ist eigentlich logisch. Das Geschäftsmodell der Versorger basiert auf dem Verkauf von Strom, sie wollen nicht weniger absetzen. Der Verbraucher sollte aber ein Interesse an direkter Erfassung haben, denn er muss jedes Jahr Preiserhöhungen hinnehmen
Meine Großmutter schlug den Stromfresser kaputt
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Und auch Vattenfall könnte sich das Personal sparen, um die Zähler abzulesen. Endlich könnte ich meine Waschmaschine so programmieren, dass sie bei einem niedrigen Strompreis anspringt, dachte ich. Umso mehr wurde ich vom Inhalt des Briefs enttäuscht. Ich wurde nur informiert, dass ein digitaler Stromzähler auf meinem Grundstück installiert worden sei. Dazu bekam ich eine PIN-Nummer. Im Brief stand, der Vertrag über den neuen Zähler sei unabhängig von meinem bestehenden Vertrag – das war‘s. Nicht verraten wurde, wo sich der Zähler befand und was ich mit der PIN machen sollte. Nach eigener Recherche auf der Webseite von Vattenfall erfuhr ich, dass die PIN nicht zum weiteren Strombezug notwendig war, sondern nur, um meine Verbrauchsdaten vor neugierigen Blicken zu schützen. Wo waren also die erhofften Vorteile für mich? Ich hatte nach der digitalen Umstellung auf Zugang zu meinen Daten am PC oder per Smartphone gehofft. Vergeblich. Aber es kam noch schlim-
und zahlt im europäischen Vergleich bereits heute Spitzenpreise pro Kilowattstunde. Transparenz beim Verbrauch wäre für ihn ein Vorteil. Technisch ist eine mobile Steuerung der Geräte möglich und für mich als Berufspendler auch eine praktische Lösung. Mancher Energieversorger scheint den Zug zu verpassen. Wer auf meine Bedürfnisse eingeht, dem bleibe ich doch als Kunde eher treu. Zusätzlich könnten Versorger neue, nützliche Dienstleistungen anbieten, so wie das moderne Telekommunikations-Dienstleister heute schon praktizieren. Damit könnten sie ihre Gewinne steigern und so dem schrumpfenden Kerngeschäft vorbeugen. Denn dort werden die Margen sicher sinken, wenn Smart Meter erst einmal flächendeckend Standard sind und von den Kunden auch genutzt werden. Vielleicht ändert Vattenfall im nächsten Brief seine Strategie. Wenn nicht, hätte ich gern meinen mechanischen Zähler mit dem kleinen Laufrad wieder: „Give me back my old fashioned Ferrari-Meter.“
Die Zurückhaltung der Versorger ist logisch: Sie verdienen am Stromverkauf
GERARD REID zählt zu den TopFinanzanalysten für erneuerbare Energien weltweit. Für die Wall-Street-Investmentbank Jefferies baute er den Bereich Renewables auf. Anschließend gründete er mit Alexa Capital seine eigene Beratungsgesellschaft. Im vergangenen Jahr erschien sein Buch „Asiens Energiehunger – Rohstoffe am Limit“. Reid hat am Imperial College in London eine Finance-Professur. Privat wohnt er seit einigen Wochen in Berlin-Friedrichshain und macht dort seine Erfahrungen mit Stromrechnungen. Last but not least: Gerard Reid ist Chefökonom bei BIZZ energy today.
„Das grenzte an Erpressung.“ Ein Interview mit Hans-Martin Huber-Ditzel, der Enovos Energie und den Branchenverband BNE führt, über Notmaßnahmen und Kapazitätsmärkte _Das Gespräch führte JOACHIM MÜLLER-SOARES
Welche Rolle sollten dabei die viel zitierten Kapazitätsmärkte spielen? _Huber-Ditzel | Niemand in der Branche bezweifelt, dass wir Kapazitätsmärkte brauchen. Über deren Ausgestaltung kann man zwar trefflich streiten, fest steht aber: Das Abnahme- und
Verbrauchsverhalten von Haushalten und der Industrie ist relativ starr. Wenn die Sonne mal nicht scheint oder der Wind nicht weht, muss trotzdem Leistung zur Verfügung stehen. Das ist die zentrale Herausforderung der Energiewende. Mit Kapazitätsmärkten kann man Angebot und Nachfrage aneinander anpassen. Reicht es dazu nicht aus, bestehende Gas- und Kohlekraftwerke entsprechend hochzufahren? Das hat früher doch auch funktioniert… _Huber-Ditzel | Das Problem liegt in der Größenordnung der in den Markt strömenden erneuerbaren Energien und dem politischen Ziel, deren Anteil zügig auf 50 bis 80 Prozent hochzuschrauben. Mit der Abhängigkeit von fluktuierendem Strom aus Sonne und Wind wird das Thema Kapazitätsmärkte immer wichtiger. Sonst werden neue Gaskraftwerke erst gebaut, wenn es bereits Versorgungsengpässe gibt – also zu spät. Wenn es aber einen Bedarf gibt, dann werden doch Unternehmen automatisch Kraftwerke bauen, insbesondere flexible GuD-Anlagen, oder?
Foto: Jan Pauls Fotografie
_BIZZ energy today | Herr Huber-Ditzel, die Bundesregierung will Energieerzeuger zwingen, Kraftwerke auch dann am Netz zu lassen, wenn sie damit kein Geld verdienen – zum Schutz vor Stromausfällen im kommenden Winter. Macht das Sinn? _Hans-Martin Huber-Ditzel | Im nächsten Winter soll niemand frieren müssen, daher geht das als kurzfristige Notmaßnahme in Ordnung. Das Vorgehen einzelner führender Konzerne, bei der Bundesnetzagentur Prämien für den Weiterbetrieb einiger Kraftwerke zu erzwingen, war hingegen nicht in Ordnung. Das grenzte an Erpressung – die Bundesregierung musste handeln. Allerdings doktert sie mit der jetzt angekündigten Maßnahme nur an Symptomen herum. Insgesamt müssen wir die Versorgungssicherheit durch mehr Wettbewerb im Erzeugermarkt erhöhen.
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_Huber-Ditzel | Wir wissen, dass sich neue Gaskraftwerke momentan nicht rechnen. Der Gaspreis ist noch relativ hoch, die Summe aus Strompreis und CO2-Zertifikatepreis relativ niedrig. Was ist, wenn die EU in den Markt eingreift und die CO2-Zertifikate verknappt? Bei steigendem CO2-Preis rechnen sich dann doch neue Gaskraftwerke, oder? _Huber-Ditzel | Durch die Verknappung von Zertifikaten den Preis zu manipulieren, ist zwar eine Möglichkeit, es wäre aber wieder ein Eingriff in den Markt, den wir als BNE lange nicht so gut finden wie eine Lösung über Wettbewerb im Markt. Ihnen wäre also ein politisch bestimmter Kapazitätsmarkt lieber? _Huber-Ditzel | Ja. Investitionen in Gaskraftwerke sind langfristig – die betriebswirtschaftlichen Investitionszeiträume liegen bei mehr als 20 Jahren –, deshalb brauchen wir verlässliche Rahmenbedingungen, die sind derzeit nicht gegeben. Kapazitätsmärkte könnten wie eine übergeordnete „fünfte Regelzone“ funktionieren.
Wir haben doch schon vier Regelzonen in Deutschland. Und Sie wollen noch eine? _Huber-Ditzel | Nein. Wir sagen nur, dass die Ausschreibungen für Kapazitätsmärkte ähnlich laufen und ebenfalls von der Bundesnetzagentur organisiert werden könnten. Wichtig ist ein Auktionsverfahren unter Wettbewerbsbedingungen, also diskriminierungsfrei. Zudem müssen möglichst viele Unternehmen an der Auktion teilnehmen. Nur aus Deutschland oder aus ganz Europa? _Huber-Ditzel | Aus ganz Europa. Bei der Regelenergie gab es dafür schon Beispiele. Wir hatten im vergangenen Winter, als es so kalt war, Netzengpässe. Damals hat ein altes Ölkraftwerk in Österreich, das noch in Reserve war, für die Netzstabilität in Deutschland gesorgt. Sollten bestehende Gas- und Kohlekraftwerke in die Auktionen einbezogen werden oder nur Neubauten? _Huber-Ditzel | Eine Begrenzung nur auf neue Kraftwerke ist in der Praxis schwierig. Zudem gibt es einen wichtigen energiewirtschaftlichen Aspekt: Wir müssen das Problem lösen,
HANS-MARTIN HUBER-DITZEL ist Vorstandsvorsitzender des Bundesverbandes Neuer Energieanbieter (BNE). In dem genau zehn Jahre alten Verband sind Töchter ausländischer Konzerne wie GdF Suez, mittelständische Energiehändler und Ökostromanbieter wie Lichtblick organisiert. Ihr gemeinsames Ziel: mehr Wettbewerb im Strom- und Gasmarkt. Der promovierte Maschinenbau-Ingenieur Huber-Ditzel führt hauptberuflich Enovos Energie Deutschland, eine Tochter des luxemburgischen Energiekonzerns.
dass viele Kraftwerksbetreiber nach und nach Kapazitäten abbauen, die sich nicht mehr rechnen. Die Anzahl der konventionellen Kraftwerke geht in Relation zu der wachsenden erneuerbaren Energieerzeugung zurück. Das verschärft das Problem der Netzstabilität. Sollten alle bestehenden Gas- und Kohlekraftwerke einbezogen werden? _Huber-Ditzel | Eher nicht. Es stellt sich sicher die Frage, ob es Sinn macht, alte Kraftwerke mit hohen CO2-Emissionen für die Stabilität einzusetzen. Immerhin ist der Klimaschutz ein Hauptargument für die Energiewende. Die Auktionen sollten also so gestaltet werden, dass alte CO2-Schleudern nicht mitmachen? _Huber-Ditzel | Ja, wobei wir wieder beim Thema CO2 wären. Bei höheren Zertifikatprei-
Meinung über eine einzige deutsche Regelzone verhandeln. Übrigens gibt es auch im Gasmarkt noch zu viele Marktgebiete. Deren Zahl ist seit der Liberalisierung immerhin von neunzehn auf zwei reduziert worden, nicht zuletzt auf ständigen Druck des BNE hin. Trotzdem gilt: Auch beim Gas wäre ein einziges Marktgebiet ideal für den Wettbewerb. Wieso gibt es eigentlich eine Primär-, Sekundärund Minutenreserve innerhalb der Regelzonen? _Huber-Ditzel | Es geht darum, die 50 Hertz Netzfrequenz konstant zu halten. Aus diesem Grund gibt es die verschiedenen abgestuften Vorhaltungen von Regelenergie: die Primär-, Sekundär- und Minutenreserve. Sofern man die Kriterien erfüllt, kann man in jedem Segment an Ausschreibungen der Bundesnetzagentur teilnehmen.
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sen würde das der Markt regeln, im Moment haben wir aber sehr niedrige CO2-Preise. Die großen Vier, RWE, Eon, EnBW und Vattenfall, pochen darauf, dass ihre bestehenden Gasund Kohlekraftwerke mit einbezogen werden. _Huber-Ditzel | Verständlicherweise, das würde ich an ihrer Stelle auch. Aber die CO2Emissionen einzelner Anlagen müssen dabei aus meiner Sicht zwingend berücksichtigt werden, wenn man es mit dem Klimaschutz ernst meint. Die großen Vier dominieren auch die Regelzonen. Weil Sie das Thema vorhin schon angesprochen haben: Wie viele Regelzonen halten Sie in Deutschland für angemessen? _Huber-Ditzel | Als BNE fordern wir seit langem, aus den vier bestehenden eine einzige bundesweite Regelzone zu machen. Der Status Quo ist historisch bedingt. Es gab vier große Versorgungsunternehmen, die auch die Versorgungsnetze betrieben und regelten; daraus resultieren die vier heutigen Regelzonen. Mittlerweile sind bei den Übertragungsnetzen teilweise neue Gesellschafter eingestiegen. Mit denen sollte die Bundesregierung nach unserer
Und dafür gibt es heute schon eine Prämie? _Huber-Ditzel | Der Besitzer eines Kraftwerksparks muss bestimmte Kriterien erfüllen. Dann kann er an den von der Bundesnetzagentur überwachten Ausschreibungen teilnehmen. Im Prinzip funktioniert das folgendermaßen: Werden Mengen nachgefragt, gebe ich ein Angebot ab. Wenn ich dann den Zuschlag bekomme, muss ich diese Leistung vorhalten, bis sie vom Übertragungsnetzbetreiber abgerufen wird. Dann muss ich mein Kraftwerk laufen lassen. Die geleistete Arbeit wird separat vergütet. Es gibt verschiedene Anbieter für Regelenergie im Markt, die alle gewinnorientiert agieren. Letztendlich werden die Übertragungsnetzbetreiber stets den günstigsten Anbieter auswählen. Die Stadtwerke fordern ebenfalls einen Kapazitätsmarkt. Wo liegen die Unterschiede zu Ihren Vorstellungen? _Huber-Ditzel | Die Energiewende ist vielfältig und geht dezentral vonstatten. Jedes der fast 900 Stadtwerke setzt sich zwar mit dem Thema Energiewende auseinander, aber leider sehr unkoordiniert. Das Vorantreiben der Energiewende mit so vielen nicht aufeinander abge-
stimmten Stadtwerken ist natürlich schwierig. Wir fordern anstelle dieses Flickenteppichs eine gesamteuropäische Betrachtungsweise, übrigens nicht nur für Kapazitätsmärkte, sondern auch für die Bereiche Netzausbau und Netzstabilität. Apropos Flickenteppich: Stört Sie die hohe Zahl kommunaler Verteilnetze? _Huber-Ditzel | Ja, und noch mehr stört mich die hohe Zahl der Ausnahmen bei der Regulierung. Die Zahlen sprechen für sich: 794 der 869 Stromverteilnetzbetreiber sind von vielen Bereichen der Regulierung ausgenommen, weil sie weniger als 100.000 Kunden haben. Das ist eine Folge der De-minimis-Regel, die Brüssel nicht zuletzt auf deutschen Druck in die EU-Richtlinie aufgenommen hat. Halten wir fest: Mehr als 90 Prozent der Stadtwerke müssen kaum Transparenzregeln befolgen und der
Bundesnetzagentur somit auch so gut wie nichts über ihre individuellen Netzausbaupläne oder über ihre Netzmodernisierung berichten. Das macht die bundesweite Koordination des Netzausbaus sicher nicht einfacher, um es diplomatisch zu formulieren. Anders gesagt: Diese Regel ist ein Unding.
Wenig Transparenzregeln für Stadtwerke
Wie viele Netzbetreiber braucht Deutschland? _Huber-Ditzel | Mit Sicherheit nicht 869 Verteilnetzbetreiber allein im Strombereich. 50 Betreiber genügen völlig, lieber wären mir sogar nur 30. Fusionen, Übernahmen und Kooperationen auf breiter Front würden Synergien heben, den Betrieb effizienter machen, die Energiewende vereinfachen – und letztendlich allen Kunden erhebliche Kostenvorteile bescheren.
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Energiewende. Wir fördern das. Fokussierung auf erneuerbare Energien, Klimawandel, Ressourcenschonung und Risikominimierung – es gibt viele Motive für die Energiewende. Die KfW hat im Jahr 2011 mit mehr als 22 Mrd. EUR den Umwelt- und Klimaschutz gefördert und somit vielen Einzelnen ermöglicht, einen Beitrag zur Energiewende zu leisten. Ganz gleich, ob Sie die Steigerung der Energieeffizienz Ihres Hauses anstreben oder Ihr Beitrag im Bau einer Offshore-Anlage besteht: Wir fördern das.
Mehr Informationen erhalten Sie unter www.kfw.de/energiewende
Bank aus Verantwortung
„Die Energiewende darf nicht sterben.“
Interview mit Stephan Reimelt, CEO der deutschen Energiesparte von General Electric, über Risiken im Offshore-Geschäft, die Banalität des Netzausbaus und die Folgen des Schiefergas-Booms in den USA _Das Gespräch führte JOACHIM MÜLLER-SOARES
_BIZZ energy today | Herr Reimelt, Ihr Konkurrent Siemens ist massiv ins Geschäft mit Offshore-Windparks eingestiegen. Wird General Electric (GE) jetzt nachziehen? _Stephan Reimelt | Manche bezeichnen die Offshore-Windparks als Pionierleistung – ich bezeichne sie eher als ein Abenteuer mit vielen Risiken. Wie man sieht, kann ein solches Abenteuer mehrere hundert Millionen Euro kosten und zu sinkenden Aktienkursen führen. Solche Hiobsbotschaften wird es bei GE nicht geben. Wir beteiligen uns zwar an einzelnen Projekten, beispielsweise vor der Küste Stockholms, dabei nehmen wir aber vorher die Wirtschaftlichkeit genau unter die Lupe. Im großen Stil werden wir nicht einsteigen. Die Bundesregierung setzt trotzdem unbeirrt auf den Offshore-Bereich. _Reimelt | Ja, und das sehe ich durchaus kritisch. Es ist nicht in Ordnung, dass die Kosten für den verspäteten Netzanschluss sozialisiert und am Ende über eine Umlage von den
Stromkunden beglichen werden sollen. OffshoreWindstrom ist dreimal so teuer wie OnshoreWindstrom. Und wenn dieser Strom mit vielen Transportverlusten endlich in Baden-Württemberg und Bayern ankommt, dann müssen dort trotzdem noch lokale Gaskraftwerke gebaut werden, um die Versorgung jederzeit zu sichern. Dieses Gaskraftwerk wird wegen des Einspeisevorrangs der Erneuerbaren aber die zum BreakEven benötigten 4.000 Volllaststunden nicht erreichen – und damit nicht wirtschaftlich zu betreiben sein. Welche Folgen hat diese Gemengelage? _Reimelt | Die Verbindung aus teurem Offshore-Wind, teurem Netzausbau und zusätzlichen Gaskraftwerken kann die Stromkosten explodieren lassen. Übrigens sind die Stromkosten seit 1998 zwar nur um neun Prozent gestiegen, die Strompreise in Folge höherer Steuern, Abgaben und Umlagen gleichzeitig aber um 190 Prozent. Bei weiter steigenden Preisen würde die Energiewende die breite gesellschaftli-
ben, andernfalls ist das nicht gut für Deutschland und auch keine Blaupause. Wir müssen uns auf den Ursprung der Energiewende zurück besinnen. Die Einführung erneuerbarer Energien sollte dezentral erfolgen und von Kommunen getragen werden; die zentrale, traditionelle Energiewirtschaft sollte dazu das Rückgrat bilden. Wenn wir die Energiewende jetzt auf den Netzausbau reduzieren, dann wären damit nur noch zwei Technologiekonzerne verbunden… … nämlich ABB und Siemens. _Reimelt | Und das wäre dann nicht wirklich zielführend. Denn an der Energiewende sollten ursprünglich tausende Firmen und Einzelpersonen beteiligt werden. Dieses Ziel muss wieder gelten. Mit dezentralen, intelligenten Lösungen könnte man im Übrigen viele Milliarden Euro einsparen. Derzeit sind 4.800 Kilometer an
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che Unterstützung verlieren, die sie derzeit genießt. Das wäre fatal! Wenn die Energiewende stirbt, dann stirbt das wichtigste technologische Projekt seit Bestehen der Bundesrepublik.
Foto: Lance Bellers
Warum ist die Energiewende so wichtig? _Reimelt | Sie ist eine Blaupause für die gesamte westliche Welt. Für General Electric ist der deutsche Markt wegweisend, für andere Auslandsmärkte, aber auch für den US-Markt. Deutschland ist das größte Energielabor der Welt. Daher ist es für uns alle wichtig, dass der innovative Charakter der Energiewende erhalten bleibt. Ist Ihnen die Energiewende aktuell nicht innovativ genug? _Reimelt | Wenn jemand ein Kabel im Boden verbuddelt oder an einen Stützmast hängt und das dann als innovativen Netzausbau verkauft, habe ich damit Probleme. Die Energiewende darf nicht zum banalen Netzausbau verkommen. Ihr innovativer Charakter muss erhalten blei-
neuen Stromnetzen im Gespräch. Mit intelligenter Steuerung und lokalen Gaskraftwerken könnte der notwendige Netzausbau deutlich auf 1.000 bis 2.000 Kilometer reduziert werden . Wie könnten konkrete Lösungen aussehen? _Reimelt | Betrachten wir folgendes Szenario: An einem Märztag knallt die Sonne auf schneebedeckte Dächer, zum Beispiel in Bayern. Plötzlich lösen sich Schneestücke und legen die Dächer frei. Dann werden schnell einige Gigawatt Strom eingespeist – in Netze, die dafür gar nicht vorgesehen sind. Darauf sind wir heute noch nicht vorbereitet, das müssen wir dringend regeln und mit innovativer Software intelligent steuern.
„Blaupause für die westliche Welt.“
Welche Rolle spielt Gas bei solchen intelligenten Lösungen? _Reimelt | Grundsätzlich ist es deutlich kostengünstiger, das Gasnetz anstelle des Stromnetzes auszubauen. Der Transport von 1.000 Megawatt kostet im Gasnetz nur zehn Prozent
Gasturbinenproduktion bei GE Wind im niedersächsischen Salzbergen
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STEPHAN REIMELT Der promovierte Wirtschaftsingenieur verantwortet bei General Electric seit 2011 die Strategie und Expansion auf dem deutschen Energiemarkt. Seit mehr als zehn Jahren lehrt er nebenbei als Dozent an der TU Berlin, die ihn 2010 zum Professor ehrenhalber ernannt hat. Vor seinem Wechsel zu GE war Reimelt Vorstand beim Anlagenbauer Lurgi.
Die New York Times hat Anfang 2010 eine Revolution durch Schiefergas prognostiziert. Hat sie übertrieben oder den Nagel auf den Kopf getroffen? _Reimelt | Die Folgen für die USA sind in der Tat sehr weitreichend. Der Schiefergas-Boom hat in den USA bereits 660.000 neue Jobs generiert. Der Sektor trägt heute 0,5 Prozent zum USBruttosozialprodukt bei – mit steigender Tendenz. Die Vereinigten Staaten werden vom Energieimporteur zum -exporteur. Und die Energiepreise sinken auf breiter Front. Das führt dazu, dass manches deutsche Unternehmen bereits darüber nachdenkt, lieber dort als in der Heimat zu produzieren. Schließlich hat Schiefergas auch einen Klimaaspekt: Weil die USA zunehmend Kohle durch das emissionsärmere Gas ersetzen, werden sie künftig ihre Klimaziele erreichen. Dieser Aspekt wird in Europa übrigens weitgehend ignoriert.
Umweltverbände mögen zwar diesen Aspekt begrüßen – kritisieren aber das Fracking, das zur Schiefergas-Förderung eingesetzt wird … _Reimelt | Fracking hat hohes Potenzial. Wir bohren heute nicht nur vertikal, sondern auch über hunderte Meter horizontal. Die betroffene Fläche wird also zunehmend kleiner, die Horrorbilder von Bohrtürmen aus der Anfangszeit entsprechen längst nicht mehr dem Stand der Technik. General Electric ist in den Vereinigten Staaten in diesem Bereich sehr aktiv und hat sich zum Ziel gesetzt, einen wichtigen Beitrag zum umweltbewussten Einsatz der FrackingTechnik zu leisten. Dabei ist natürlich auch die Wiederverwertung von Wasser ein großes Thema. Rechnen Sie in Europa mit einem kommerziellen Einsatz des Fracking? Wenn ja, wo? _Reimelt | Polen wird im großen Stil Schiefergasförderung betreiben. Auch in Frankreich und in Großbritannien hat man Lager entdeckt. Im Münsterland könnte man ebenfalls Schiefergas fördern. Aber vorher müssen wir bei dem Thema die Emotionen rausnehmen.
Foto: Bill Gallery
dessen, was es im Stromnetz kosten würde. Derartige Lösungen rücken weltweit in den Fokus, auch weil der Anteil von Gas am globalen Energiemix steigen wird – als Folge des Schiefergas-Booms, der in den USA seinen Ursprung hat.