BIZZ energy today 04/2015

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interview

Analyse

KolumneN

schwerpunktthema

EU-Kommissions-Vize Maroš Šefčovič über die Energieunion, Russland – und Irans künftige Rolle

Warum nachhaltige Geldanlagen populärer werden – obwohl die Abgrenzung schwierig bleibt

Gerard Reid über die Fehler der Ölpreis-Bullen, Ferdinand Dudenhöffer über das VW-Dilemma

Kohle: Klimaabgabe, globale Zunkunftsmärkte und der Kampf der IG BCE gegen den Ausstieg

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seiten 26 und 62

seiten 12, 54 und 60

Das Wirtschaftsmagazin für die Entscheider der Energiezukunft

bizzenergytoday.com

Die Welt sonnt sich Solarstrom ist schon bald billiger als Kohlestrom. Innovative Speicher werden den Siegeszug noch beschleunigen. Doch ausgerechnet die Photovoltaik-Pioniere aus Europa fallen zurück weiter auf seite 42

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MAI

4. Jahrgang

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editorial.

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Sonne ist günstiger als Kohle Das zeigt eine neue Studie der Deutschen Bank. EU-Kommissionsvizepräsident Šefčovič pocht indes auf verlässliche Gasimportrouten aus dem Osten _von joachim müller-soares

Foto: Roy von Elbberg

Titelbild: Patrick Hofer/Flickr

Liebe Leserinnen und Leser,

alle reden vom Kohleausstieg. Wir widmen ihm in diesem Heft drei Artikel, darunter die Frage des Monats zur geplanten Klimaabgabe ab Seite 12. Der Hintergrundbericht über den erbitterten Widerstand der Gewerkschaft IG BCE ab Seite 54 beschreibt das exzellente Netzwerk ihrer Vizechefin Edeltraud Glänzer. Das Interview mit Alstom-Vorstandschef Alf Henryk Wulf ab Seite 60 dreht sich – neben der Übernahme durch den US-Giganten GE – um die weltweiten Kohlemärkte der Zukunft. Dabei prognostiziert eine aktuelle Studie der Deutschen Bank, dass Solarstrom bereits in den nächsten 12 bis 18 Monaten günstiger produziert werden kann als Kohlestrom. Unsere Titelgeschichte ab Seite 42 identifiziert die Gründe für den globalen Trend der Preisstürze bei der Photovoltaik. Europa droht die Abkopplung von dieser Entwicklung, dabei spielen die umstrittenen Strafzölle der EU gegen Module aus China eine unrühmliche Rolle. Energiepolitik ist eben immer auch große Welt(handels)politik. Der Vizepräsident der Brüsseler EU-Kommission, Maroš Šefčovič, spricht im Interview mit BIZZ energy today ab

Seite 28 über das Verhältnis zu Russlands Präsident Wladimir Putin und zum griechischen Ministerpräsidenten Alexis Tsipras. Šefčovič betont das Potenzial iranischer Quellen für den globalen Gasmarkt – und die herausragende Rolle des Südlichen Korridors für Europa. Für den fordert er starke Unterstützung der EU-Mitglieder, um einen erneuten Flop wie beim Nabucco-Projekt zu vermeiden. „Wir sind aus Schaden klüger geworden“, sagt Šefčovič. Auch private Investoren müssen den Klimaschutz fördern, das verlangt UN-Generalsekretär Ban-Ki Moon – und wird sogar vom Papst unterstützt. Der Artikel über Chancen und Risiken nachhaltiger Geldanlagen beginnt auf Seite 14. Bei der Lektüre dieser 25. Ausgabe von BIZZ energy today wünsche ich Ihnen in jedem Fall neue Erkenntnisse und natürlich auch Lesespaß. Ihr

Herausgeber und Chefredakteur P.S.: Anregungen sind willkommen, unter muellersoares@ringvier.com


„Das wäre extrem teuer“ EU-Vizepräsident Maroš Šefčovič über seinen Weg zur Europäischen Energieunion, über Russland – und Irans künftige Rolle seite 28

Druck von ganz oben Nachhaltige Geldanlage wird populärer, sogar der Papst forciert das Thema. Aber nach wie vor fehlen Mindeststandards und eine klare Definition seite 14 wall street inside Green Bonds sind derzeit in New York sehr angesagt. Doch einheitliche Kriterien sind Mangelware seite 22 Kolumne Gerard reid Warum die Ölpreise nach dem Absturz dieses Mal vermutlich nicht wieder ansteigen seite 26

Volle Kraft voraus war einmal Die Schifffahrtindustrie kämpft seit Jahren mit dem Image des Klimaschädlings. Inzwischen hat sie umgedacht seite 34


Auf- und Absteiger des Monats Oliver Bäte (Allianz) und Venezuelas Staatschef Nicolás Maduro seite 64

solarwirtschaft party ohne europa Weltweit werden immer mehr Solarmodule installiert, die bald billiger Strom liefern als Kohlemeiler. Die Europäer werden allerdings abgehängt seite 42

Gewerkschaft will die kohle aus dem feuer holen Die IG BCE will mit Macht das Ende der Kohleverstromung verhindern – eine Frau kämpft an erster Front seite 54

Kaum Glas unter Strom Viel Potenzial für mehr Energieeffizienz birgt in die Fassade integrierte Photovoltaik. Doch noch fristet sie in Deutschland nur ein Nischendasein seite 52

„spannende entwicklung“ Alstom-Vorstandschef Alf Henryk Wulf über Export-Finanzierung, künftige Wachstumsmärkte und die aktuelle Übernahme durch GE seite 60 Kolumne Ferdinand Dudenhöffer Warum VW eine neue Strategie braucht – für seine Kernmarke und für mehr Nachhaltigkeit seite 62

news Per H. Utnegaard wechselt von Swissport zu Bilfinger, Martina Haus ist neuer Finanzvorstand bei N-Ergie in Nürnberg seite 65

tages akt New uelle s au bizze nergy f today . com

frage des Monats Wie sinnvoll ist die Klimaabgabe? editorial foto des monats zahl des monats innovation des monats inserentenverzeichnis impressum mal ganz grundsätzlich gefragt

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kurz & gut. seite 6

foto des Monats

Seit September 2014 brausen sie mit 272 PS weltweit um die Wette, allerdings ganz ohne Benzingeruch und ohrenbetäubende Motorengeräusche. Zehn Teams mit je zwei Fahrern und vier Autos fahren beim Formel-E-Weltcup gegeneinander, in unterschiedlichen Farben im gleichen Fahrzeugtyp: einem Spark-Renault SRT E10 (Foto). Der Sound des emissionsfreien E-Rennwagens erinnert an ein ferngesteuertes SpielzeugAuto – und liegt mit 80 Dezibel nur zehn Dezibel höher als die Motorengeräusche eines benzinbetriebenen Pkws. Die Fahrer müssen während des Rennens einmal umsteigen, nämlich dann, wenn die Autobatterie leer ist. Seit Jahresbeginn machte die Rennserie bereits Station in Buenos Aires (Argentinien), Miami und Long Beach (USA) sowie in Monte Carlo (Monaco). Jetzt kommt sie auch nach Berlin. Am 23. Mai ziehen die Elektroflitzer auf dem ehemaligen Flughafen Tempelhof ihre (Strom-)Kreise. „Die Strecke sieht sehr kurvenreich und anspruchsvoll aus, mit 17 Kurven und unter 2,5 Kilometern“, staunt der frühere Formel-1-Star Nick Heidfeld, der für das Venturi-Team elektrisch unterwegs ist.

Foto: Federico Eduardo Ratier

Stromkreis-Sieger gesucht


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Volle Kraft voraus war einmal _Text jochen bettzieche

Foto: ENERCON GmbH

Die Schifffahrtindustrie k채mpft seit Jahren mit dem Image des Klimasch채dlings. Inzwischen hat sie umgedacht und testet intensiv neue Treibstoffe nach dem Motto: Es muss nicht immer Diesel sein


Das E-Ship 1 von Enercon nutzt die nach ihrem Erfinder benannten Flettner-Rotoren und spart so beim Verbrauch rund 25 Prozent

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L

angsamer ist mehr. Zumindest im internationalen Schiffsverkehr. Dort ist „slow steaming“ angesagt: Nicht mit Höchstgeschwindigkeit übers Meer zu fahren, spart Geld. Diese Erkenntnis hat sich unter Reedern längst herumgesprochen – mit erfreulichen Auswirkungen für die Umwelt. Jahrzehntelang war für die Branche Klimaschutz ein Fremdwort. Inzwischen kann sie Fortschritte vorweisen. Nimmt man allein den Kohlendioxidausstoß zum Maßstab, gehen Containerschiffe im Vergleich zur Straße als Vorbild durch. Pro transportierter Tonne und Kilometer beziffern Umweltexperten die CO2-Emissionen von Lastkraftwagen auf rund 238 Gramm, die Konkurrenz auf den Weltmeeren kommt gerade einmal auf etwa 15 Gramm CO2 – 90 Prozent des globalen Warentransports werden über die Ozeane abgewickelt. Grund zum Jubeln ist das noch lange nicht, schließlich haben große Schiffe nach wie vor zurecht das Image als Dreckschleudern. Unter

dem Druck von Politikern und Klimaschützern hat sich der Sektor zwar ehrgeizige Ziele gesetzt. Der CO2-Ausstoß soll bis 2050 halbiert werden. Denn ohne konsequentes Umsteuern würden sich die Emissionen nach verschiedenen Prognosen bis 2050 in etwa verdreifachen. Allerdings gelten für die Weltmeere nach wie vor weniger strenge Richtlinien als im Straßenverkehr. Containerschiffe dürfen über weite Strecken mit Schweröl betrieben werden. Stickoxide, Schwefeldioxid, Ruß – aus den Schloten gelangt so einiges an ökologisch bedenklichen Substanzen ins Wasser und in die Luft. Die Toxität dieser Schadstoffe ist hundertfach höher als der vergleichbare Wert im Straßenverkehr. Immerhin wird nun gegengesteuert. Seit Januar gelten für die küstennahen Gebiete des Ärmelkanals, der Nordsee, der Ostsee, der Karibik und Amerikas verschärfte Vorgaben für den Schwefelgehalt in Schiffstreibstoffen. Er darf noch maximal 0,1 Prozent betragen. Allerdings: Im Mittelmeer und auf hoher See bleibt der Grenzwert bei 1,0 Prozent.

Foto: Lade AS

Beachtlich: 60 Prozent weniger Treibstoff als ein vergleichbares Schiff benötigt „Vindskip“. Der Ausstoß von CO2 ist 80 Prozent niedriger, der von Stickoxiden sogar 90 Prozent


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Die Neuerung und allgemeiner Sparzwang bewegen den einen oder anderen Reeder zum Umdenken, zumal mehr Energieeffizienz generell positive Folgen hat. Nach der Lehman-Pleite brach die Weltwirtschaft ein, die Unternehmer bekamen ihre Frachter nicht mehr voll und haben sich bis heute nicht völlig davon erholt. „Wenn die Schiffe langsamer fahren, erzeugen die Reeder eine künstliche Verknappung der Transportkapazität“, erklärt Björn Juhnke, Assetmanager für Schiffsfonds beim Emissionshaus Dr. Peters. Das Tempo zu drosseln, reduziert auch Kosten. Ist es mit 26 Knoten unterwegs, benötigt ein Schiff 240 Tonnen Treibstoff am Tag. Bei acht Knoten geht der Verbrauch laut Juhnke auf ein Drittel zurück. „Allerdings ist das Design der Schiffe auf 26 Knoten ausgelegt, bei niedrigeren Geschwindigkeiten sieht das Widerstandsprofil anders aus – und hier setzt Retrofitting an.“ So nennt die Branche den Umbau der Ozeanriesen. Die Reeder setzen vor allem auf zwei Veränderungen mit dem Ziel, den Verbrauch und den Schadstoffausstoß zu mindern: Der Bugwulst und der Propeller werden zusammen angepasst. Zwar kosten die Umbauten bei einem Schiff mit einer Kapazität von 6.500 Standardcontainern rund 1,2 Millionen Euro. Der Aufwand lohnt sich aber selbst bei dem derzeit niedrigen Bunkerpreis von 350 US-Dollar pro Tonne. „Dank der Einsparungen beim Treibstoff haben sich die Investitionen bereits nach 16 Monaten amortisiert, beim Propeller schon

Power to Gas auf hoher See Vortrieb und Stromgewinnung in einem Akt? Das klingt ein wenig nach Perpetuum mobile. Gibt es aber tatsächlich. Einem Team um Michael Sterner, Professor für Energiespeicher und -systeme an der Technischen Hochschule Regensburg, ist es gelungen, exakt diese zwei Fliegen mit einer Klappe zu schlagen. Die von ihnen entwickelte Technologie sorgt dafür, dass ein „Segel“-Schiff beim Rauschen durchs Wasser Strom erzeugt. Er wird mittels am Bootskörper angebrachter Turbinen generiert und an Bord zur Elektrolyse verwendet. Mit dem dabei gewonnenen Wasserstoff kann wiederum Methan erzeugt werden. Derartig ausgerüstete Schiffe fahren in erster Linie aufs Meer, um Energie zu gewinnen und zu speichern und nicht, um Dinge von A nach B zu bringen. Im Hafen liefern sie das gewonnene Gas an. Sterner nennt Windgeschwindigkeiten von sieben bis acht Metern pro Sekunde ideal für die Prozedur. Konkurrenz zu Transportschiffen dürfte kaum auftreten. Die Weltmeere sind groß genug und die Energieschiffe können abseits der großen Routen fahren. „Dem Wind folgen“, beschreibt der Professor den Ansatz. Spezielle Software kann auf Basis von Wetterdaten die ideale Fahrtroute berechnen. Darüber hinaus muss das Schiff nicht zu einem bestimmten Zeitpunkt Fracht in einem Hafen abladen oder aufnehmen, so dass die Route frei wählbar ist. Im Gegensatz zu starren Anlagen am Boden können die schwimmenden Anlagen zudem dorthin fahren, wo Wind bläst und so kontinuierlich Strom generieren. Diese höhere Flexibilität bietet Investoren auch mehr Sicherheit als ein Windrad, das bei der Wahl des falschen Standortes kaum Gewinn bringen wird. Eine erste wirtschaftliche Anwendung bieten Inseln. „Dort liegen die Gestehungskosten von Strom bei 50 Cent je Kilowattstunde und ein Liter Diesel kostet das zwei- bis dreifache wie bei uns. Mit unserem Konzept wäre es deutlich weniger – für Sprit etwa 1,5 € pro Liter““, sagt Sterner.


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nach 14 Monaten“, sagt Jan-Henrik Hübner, Leiter des Bereichs Schifffahrtsberatung bei der Klassifikationsgesellschaft DNV GL. Bei manchen Modellen werden auch die Motoren ausgetauscht. Zudem setzen die Unternehmen auf Alternativen nach dem Motto: Es muss nicht immer Diesel sein. „Bei der Frage, was die Schifffahrt tun könnte, um umweltfreundlicher zu werden, gilt Flüssiggas (LNG) langfristig als einer der wichtigsten alternativen Brennstoffe“, sagt Hübner. So investiere die arabische Schifffahrtgesellschaft UASC in eine Flotte neuer Containerschiffe, die „LNG-ready“ sind – was bedeutet, dass das Wassergefährt mit leichten Modifikationen komplett auf Flüssiggas umgestellt werden kann. Freilich hat das Antriebsmittel einen Haken: Es ist bei weitem nicht in jedem Hafen erhältlich. Experimentiert wird auch mit der Gleitfähigkeit der Ozeanriesen. Ziel ist die Reduktion der Reibung. Beispielsweise hat die britische Firma Silverstream Technologies ein Verfahren entwickelt, bei dem Kompressoren Kammern am vorderen Teil des Rumpfs mit Luft füllen. Das vorbeifließende Wasser nimmt kleine Luftbläschen mit einem Durchmesser von einem halben Zentimeter aus diesen Kammern mit. Das Schiff gleitet dann auf diesen Luftgebilden. Der Treibstoffverbrauch sinke dadurch um rund zehn Prozent, erklärt Firmenchef Noah Silberschmidt. Der Clou: Die Technik kann den Angaben des Unternehmens zufolge auch nachträglich eingebaut werden, in gerade mal 14 Tagen. „Zehn Prozent mehr Effizienz verkleinert den Abstand zu neuen und effizienteren Schiffen deutlich“, erklärt Silberschmidt. Allerdings muss nicht alles neu sein, um umweltfreundlicher zu werden. Zwar wird es wohl kaum eine Rückkehr zur Galeere geben. Aber die Windkraft, die Seeleute seit Jahrtausenden nutzen, erfährt auch im Transportgeschäft wieder reges Interesse. Seit Jahren bietet zum Beispiel die Firma Skysails Zugdrachen an, die ähnlich funktionieren wie die Segel der Kitesurfer, aber um ein Vielfaches größer sind. Vorne an ein Schiff montiert, unterstützen sie den Motor bei seiner Arbeit und sparen Sprit. Die Finanzkrise traf das Unternehmen mit

voller Wucht. Knapp schrammte es an einer Insolvenz vorbei. Ein bekanntes Verfahren sind die nach ihrem Erfinder Anton Flettner benannten Rotoren. Im Einsatz sind sie auf dem E-Ship 1, einem Transportschiff aus dem Hause Enercon. Den eigentlichen Antrieb liefern mehrere Dieselmotoren. Die Rotoren reduzieren den Verbrauch, laut Enercon um rund 25 Prozent. Der Ingenieur Flettner hatte schon in 1920er-Jahren Rotorschiffe entwickelt. Die hoch aufragenden Zylinder rotieren um ihre Achsen. Bläst der Wind, wird dieser auf der einen Seite des Zylinders beschleunigt, auf der anderen gebremst. Dadurch entsteht ein Vortrieb senkrecht zur Windrichtung. Fünf Unternehmen haben sich in dem Projekt Windship Technologie zusammengeschlossen. Sie bieten eine Art Segel als Zusatzaufbauten an. Drei Flügel werden dabei aufrecht an einem 35 Meter hohen, frei rotierendem Mast befestigt. Dieser richtet sich so aus, dass er aus der aktuellen Windrichtung und -geschwindigkeit das Beste für das Schiff herausholt. Zwei dieser Masten sparen nach Angaben des Konsortiums bis zu 30 Prozent der Treibstoffkosten. Hinter dem Konzept steht Simon Rogers, der bislang in erster Linie Yachten entwickelt hat. Die Erfahrung, die er dort mit Segeln gesammelt hat, setzte er bei Windship um. Weiter in die Zukunft gerichtet sind Konzepte, die mehr sind als eine bloße Unterstützung herkömmlicher Antriebsarten. Der Norweger Terje Lade hat ein vielleicht wegweisendes Modell entwickelt. Das Besondere: Es benötigt keine Segel, Rotoren oder andere Deckaufbauten. Der Rumpf selbst ist so entwickelt, dass er die Wind- in Bewegungsenergie umsetzt. Am Besten funktioniert das, wenn das Schiff hart am Wind fährt. Eine spezielle Software, entwickelt vom Fraunhofer-Center für Maritime Logistik und Dienstleistungen, berechnet auf Basis von Wetterprognosen den idealen Kurs. Zwar benötigt auch das „Vindskip“ einen zusätzlichen Antrieb. Aber hier hat Lade gleich auf Flüssiggas gesetzt. Ein Generator erzeugt damit Strom


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für einen Elektromotor. Die Bilanz ist beachtlich. 60 Prozent weniger Treibstoff als ein vergleichbares Schiff benötigt „Vindskip“. Der Ausstoß von Kohlendioxid fällt um 80 Prozent niedriger aus, der von Stickoxiden um 90 Prozent. Schwefeloxide sind erst gar nicht in den Abgasen enthalten. Lade hat einige Partner in der Branche gefunden und ist zuversichtlich: „Wir schätzen, dass wir 2019 in See stechen.“ Deutlich traditioneller sieht das Projekt der Energy9-group aus. Das Unternehmen ist ursprünglich Projektentwickler aus dem Bereich erneuerbare Energien, hat sich aber auch daran gemacht, ein windgetriebenes Frachtschiff zu entwickeln. Mit seinen Masten erinnert es an die großen Fregatten des 17. und 18. Jahrhunderts. Aber statt Matrosen in die Wanten zu jagen, werden die Segel von der Kommandobrücke aus gesteuert. Das Schiff kommt ohne Takelage aus. Ergänzt wird der Windantrieb durch einen Flüssiggasmotor. Dabei will Energy9 Biomethan verflüssigen. Eine eigene Unternehmenseinheit plant die dafür notwendigen Anlagen, die vor allem Lebensmittelreste zu Gas wandeln sollen. Natürlich kann man Treibstoff auch sparen, indem man weniger Besatzung an Bord mitnimmt. Zahlreiche Firmen forschen derzeit an fern- oder gar computergesteuerten Modellen. Das spart nicht nur die Gehälter für die Besatzung. Da die Aufbauten für die Mannschaft wie Unterkünfte, Kommandobrücke und Ähnliches entfallen und damit das Gewicht weniger wird, reduziert sich der Treibstoffverbrauch. Allerdings müssen die Initiatoren mit Gegenwind rechnen: Das internationale Seerecht steht dem Vorhaben entgegen. Das schreibt eine Besatzung vor. Boote und Transporter ohne einen Menschen an Bord gelten

auf hoher See als Geisterschiffe. Und das bedeutet: Wer sie entdeckt, darf sie behalten. Allerdings können Staaten für ihre nationalen Gewässer andere Regeln einführen. Roboterschiffe dürften daher vorerst lediglich für Fahrten entlang der Küsten eine Variante darstellen. Das Unternehmen DNV GL entwickelt ein robotergesteuertes Elektroschiff, das jedoch voraussichtlich alle 185 Kilometer an die Ladestation muss – ein Hindernis für weite Reisen. Noch sind Elektromotoren in der Schifffahrt selten. Denn für die Energie, die nötig ist, schwere Schiffe anzutreiben, braucht es große Batterien. Trotzdem kann auch das die Zukunft sein. In Norwegen ist künftig die mit Strom betriebene Fähre ZeroCat auf der 5,7 Kilometer langen Strecke zwischen Lavik und Oppedal über den Songefjord unterwegs. Bis zu 120 Fahrzeuge und 360 Passagiere kann sie aufnehmen. Das Wassergefährt ist auf einen niedrigen Stromverbrauch ausgelegt. Um das Gewicht zu reduzieren, besteht der Rumpf aus Aluminium. Eine Millionen Liter Diesel spart das Konzept nach Angaben der Betreiber. Die Lithium-Ionen-Batterien wiegen zehn Tonnen und haben eine Kapazität von 1.000 Kilowattstunden. Während die Fähre be- und entladen wird, kommt sie an die Steckdose. Während solche Antriebe auf dem Meer noch selten sind und die Oberfläche von großen Schiffen zu wenig Platz für Module bietet, um ausschließlich mit Solarstrom zu fahren, sieht es auf Binnengewässern schon anders aus. So kreuzt bei Heidelberg ein PassagierKatamaran auf dem Neckar. Zwei Elektromotoren treiben ihn an. 77 Solarmodule auf dem Dach liefern den dafür benötigten Strom.

Natürlich kann man Treibstoff auch sparen, indem man weniger Besatzung an Bord mitnimmt


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Kolumne

Bloß keine Ruhe für VW Warum der Konzern eine neue Strategie braucht – für seine Kernmarke und für mehr Nachhaltigkeit

N

och vor kurzem war VW ohne Ferdinand Piëch unvorstellbar. Jetzt wurden er und seine Ehefrau quasi vom Aufsichtsrat gekündigt. Auf der Hauptversammlung Anfang Mai wurden Piëchs historische Leistungen zwar von Aufsichtsratschef Berthold Huber (bezeichnenderweise früher IG-Metall-Chef) und vom VW-Vorstandsvorsitzenden Martin Winterkorn gewürdigt. Aber dieser kurze Moment der Ehrerbietung erinnerte eher an eine

Beerdigung. Ruck, zuck wurden anschließend die beiden leer gewordenen Stühle im obersten Kontrollgremium mit Mitgliedern der PiëchFamilie besetzt. Ferdinand Piëch selbst zweifelte sofort via Bild-Zeitung öffentlich an der Kompetenz der Nachrücker. Vorstandschef Winterkorn ließ sich feiern, sprach aber nur wenig über das Kerngeschäft, die Marke VW, obwohl die doch für die Hälfte des Umsatzes steht. Kein Wunder: Der Konzern verdient sein Geld an den Rändern, mit

Illustration: Valentin Kaden

_Text ferdinand dudenhöffer


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Audi, Porsche und Skoda sowie dem ChinaGeschäft. Das Herz des Konzerns ist schwach. Ein Vergleich illustriert das Dilemma. Die Marke VW hat im vergangenen Jahr pro Neuwagen 540 Euro Gewinn erzielt, Skoda 1.026 Euro und der Wettbewerber Toyota gar 1.650 Euro. Selbst GM und Ford lagen trotz großer Rückrufaktionen deutlich über VW. Warum ist das so? Mehr als 600.000 VWMitarbeiter bauen weniger Autos als der Weltmarktführer Toyota mit nur 350.000 Mitarbeitern. Ein Großteil der VW-Leute sitzt in Deutschland, ein bedeutender Teil in den Komponentenwerken. Dort werden Zulieferteile zu deutlich höheren Kosten produziert als bei den normalen Autozulieferern. Dazu kommt ein blamables US-Geschäft trotz neuer Fabrik und US-Passat. Sogar Subaru hat VW in den USA überholt. In Europa kämpft die Marke in einer Sandwich-Position und muss hohe Rabatte gewähren. Die Stammkunden wandern entweder zu Skoda oder Audi ab. Zusätzlich schwächt sich jetzt auch noch das enorm wichtige China-Geschäft ab. Die seit Jahren angekündigten Kostenvorteile durch die Baukasten-Architekturen, den Längs- und den Querbaukasten, sind nicht zu erkennen. Das hatte Piëch lange beobachtet und intern moniert. Schließlich wollte er Vorstandschef Winterkorn auswechseln, weil der die Probleme der Marke VW nicht in den Griff bekam. Winterkorn ist ein Detailfanatiker, der sich persönlich um die Schraube an der Rücksitzverstellung kümmert, aber keine erfolgreiche US-Strategie vorweisen kann. Sein Effizienzprogramm geriet im Sommer 2014 zur Farce. Bereits nach drei Tagen wurde McKinsey vom Betriebsrat vor die Tür gesetzt. Piëch ist weg, aber die Probleme bleiben. Betriebsratschef Bernd Osterloh ist das neue Machtzentrum, von seiner Gunst lebt Winterkorn nach der gescheiterten Revolte.

Sollte Piëch seine VW-Aktien verkaufen, verschiebt sich das Kräfteverhältnis noch weiter. Kaum vorstellbar, dass ein starker Großinvestor bei VW einsteigt. Das Vetorecht des Landes Niedersachsen im noch dazu paritätisch besetzten Aufsichtsrat macht jede Strategieumkehr unmöglich. Kleinaktionäre haben gegen den VW-Betriebsrat eh keine Chance. Volkswagen könnte sich zu einer Art „Verteilgesellschaft“ entwickeln. Diese Gefahr ist jedenfalls groß, solange der Aufsichtsratsvorsitzende und der Vorstandsvorsitzende auf ihren Posten kleben. Wer fünf Jahre keine Besserung bei der Kernmarke VW erzielt, dem gelingt es auch in den nächsten zehn Jahren nicht. VW braucht den starken Oberaufseher im Aufsichtsrat, als Gegenpol zum mächtigen Betriebsrat. Der kann nur von außen kommen. Ob sich etwa Ex-Linde-Chef Wolfgang Reitzle für solch eine Rolle hergibt, darf bezweifelt werden, denn der Machkampf mit Gewerkschaft und Betriebsrat ist zermürbend. VW bräuchte jemanden vom Schlage des Fiat-Chrysler-Chefs Sergio Marchionne, der mit seiner rauen, zupackenden Art und seinem hohen Tempo Fiat gerettet hat. Der VW-Aufsichtsrat beschwor auf der Hauptversammlung: Ruhe solle einkehren. Genau das ist es, was der Konzern jetzt nicht braucht. Er muss die Probleme der Kernmarke VW angehen – und die Versäumnisse beim Thema Nachhaltigkeit. VW braucht eine neue Strategie: Emissionslose Mobilität, Elektromobilität, Brennstoffzellentechnik und neue Systeme – wie Multi-Nutzungen von Fahrzeugen, die Sharing Economy – müssen bei Volkswagen endlich in den Fokus rücken. Der Konzern ist hier eben kein Vorreiter, sondern trottet hinterher. Mitarbeiter, Aktionäre und das Land Niedersachsen können langfristig nur durch den Strategiewechsel bei VW gewinnen.

Betriebsratschef Bernd Osterloh ist das neue Machtzentrum

ferdinand dudenhöffer ... ist Direktor des CAR-Center Automotive Research an der Universität Duisburg-Essen sowie Inhaber des Lehrstuhls für allgemeine Betriebswirtschaftslehre und Automobilwirtschaft an der Universität Duisburg-Essen.


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