INTERVIEW
ANALYSE
DOSSIER
Umweltbundesamts-Präsident Jochen Flasbarth über Mitnahmeeffekte beim Ökostrom und den Weltklimagipfel seite 34
Wie Autobauer mit spritsparenden Motoren und Superkondensatoren ihre Absatzkrise meistern wollen seite 40
Green Finance: Welche ökologischen Geldanlagen Banken, Fonds und Finanzinvestoren bevorzugen seite 44
Das Wirtschaftsmagazin für die Entscheider der Energiezukunft
bizzenergytoday.com
Smarte Chemie auf dem Vormarsch Biogasfilter, die wie Spaghetti aussehen. Batterien und Dämmstoffe, die auf Sauerstoff basieren. Der Wandel zu einer grünen Lebens- und Wirtschaftsweise birgt für die Chemiebranche Riesenchancen – aber weiter auf seite 16 auch Risiken
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DEZ Ausgabe 1. Jahrgang
05/2012 9,80 €
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editorial. seite 3
Smarte Chemie Die Kanzlerin setzt für die Energiewende auf Aerogele, Epoxidharze, Supraleiter – und Autolack _von JOACHIM MÜLLER-SOARES
Titel: Evonik/Dirk Bannert
Illustration: Valentin Kaden
Liebe Leserinnen und Leser,
beim Wort „Energiewende“ denken die Deutschen an Solar- und Windparks, vielleicht auch an Elektroautos, womöglich sogar an neue Stromnetze. An Chemie denken die meisten nicht. Dabei spielt die Branche eine Schlüsselrolle, um den Weg ins Zeitalter der Erneuerbaren und der Energieeffizienz zu ebnen. Sie produziert Aerogele, Epoxidharze und keramische Supraleiter – um nur ein paar der Stichwörter zu nennen, von denen unsere Titelgeschichte ab Seite 16 handelt. Übrigens zeigt unser Titelbild diesmal eine spaghettiähnliche Membran aus Polyamid-Hohlfasern, die Biogas wirksam reinigt, damit dieses als zu 98 Prozent reines Methan ins Erdgasnetz eingespeist werden kann. Immerhin steht diese smarte Chemie bei der Kanzlerin hoch im Kurs. Angela Merkel als promovierte Physikerin sieht „faszinierende Materialentwicklungen“ beim Klimaschutz, „zum Beispiel bei den Dämmmaterialien für Isolierungen in Häusern“. Für das Gelingen der Energiewende setzt Merkel insbesondere auch auf die Nanotechnologie, jene Disziplin, bei der es auf Milliardstel Meter ankommt. Mit ihr
verbindet die Kanzlerin eine Vision: „Mein Traum ist ja, dass eines Tages der Autolack eine einzige Solarzelle ist und die Autos dann ohne Aufladung fahren können.“ Apropos: Für die Gegenwart muss die Kanzlerin beim Thema Solarzellen erst einmal den drohenden Handelskrieg mit China entschärfen. Dass ihr das gelingt, hofft unter anderem Rudolf Staudigl, Vorstandschef von Wacker Chemie, im Interview ab Seite 22. Dort macht er auch einen Reformvorschlag zur EEG-Umlage. Die ist derzeit auch innerhalb der Branche heftig umstritten. Vor „erheblichen Mitnahmeeffekten“ warnt Jochen Flasbarth, Präsident des Umweltbundesamtes, im Interview ab Seite 32. Bei der Lektüre dieser fünften Ausgabe von BIZZ energy today wünsche ich Ihnen neue Erkenntnisse und natürlich auch Lesespaß. Ihr Herausgeber und Chefredakteur P.S.: Sie halten eine Doppelausgabe in Händen. Das nächste Heft erscheint am 31. Januar 2013.
SMARTE INNOVATIONEN
ENERGIE AUS DER TIEFE Tiefengeothermie ist aufwendig. Wer trotzdem investiert und wie sich Projekte rechnen seite 24
„IMPULS FÜR DEUTSCHLAND“
Die Energiewende beschert der Chemiebranche hohes Geschäftspotenzial, seite 16 aber auch Risiken „CHANCEN FÜR DIE GESAMTE BRANCHE“ Wacker-Chemie-Chef Rudolf Staudigl im Interview über neue Märkte und Produkte seite 24
KOLUMNE GERARD REID Warum Europa ein intelligentes Stromnetz mit grenzüberschreitenden Interkonnektoren braucht seite 30
QUICK LUNCH mit Michael Kauch (FDP)
seite 12
FRAGE DES MONATS Bringt Obamas Wiederwahl den Cleantech-Märkten neuen Schwung? seite 14
KRISENERPROBT Halbleiterriese Infineon im Unternehmenscheck von BIZZ energy today seite 32
Interview mit Jochen Flasbarth, Präsident des Umweltbundesamtes, über Netzausbau, Naturschutz und seite 34 Mitnahmeeffekte
SPRITSPARER AM START Not macht erfinderisch: Strengere Abgasvorgaben und die Absatzkrise in Europa fordern die Innovationskraft der Autobauer. Die reagieren mit einer
GREEN FINANCE
„ASIEN IM VORTEIL“ Interview mit Shawn Qu, Chef des Branchenriesen Canadian Solar, über die Krise der Solarindustrie und drohende Handelskriege seite 56 KOLUMNE FERDINAND DUDENHÖFFER Warum weiße Autos beliebt sind und sich grüne Autos schlecht verkaufen seite 60
GUTES GELD VERDIENEN In der Finanzbranche wächst das Interesse an Investments, die ökologisch, sozial und politisch korrekt sind seite 44
2,9L Technologie-Offensive und sorgen damit auch für eine Renaissance des Benzinmotors seite 40
DIE LANGSTRECKENLÄUFERIN Marie-Luise Wolff hat es als Frau in den Vorstand eines deutschen Energieversorgers geschafft seite 62
„ZU VIEL KAPAZITÄT IM MARKT“ Interview mit DWS-Fondsmanager Nektarios Kessidis über die Folgen des amerikanischen Schiefergasbooms für grüne Investitionen seite 48 STUNDE DER PROJEKTIERER Wie die Planer von Wind-, Solar- und Biogas-Projekten Geld für den Ökostromausbau organisieren seite 50
AUF- UND ABSTEIGER DES MONATS Jürgen Zeschky (Nordex) und Johannes Teyssen (Eon) seite 64 EDITORIAL IMPRESSUM FOTO DES MONATS INNOVATION DES MONATS ZAHL DES MONATS MAL GANZ GRUNDSÄTZLICH GEFRAGT
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kurz & gut. seite 14
FRAGE DES MONATS ... … BRINGT OBAMAS WIEDERWAHL DEN CLEANTECHMÄRKTEN NEUEN SCHWUNG? Mit dem Versprechen, grüne Energien zu fördern, war US-Präsident Barack Obama vor vier Jahren angetreten. Seine Bilanz ist durchwachsen. Der Windenergieausbau kam nur langsam voran. Die Steuervergünstigungen für Windstrom laufen Ende 2012 aus. Für negative Schlagzeilen sorgte auch die Pleite des staatlich geförderten Solarherstellers Solyndra. Der Boom des billigen Schiefergases stellt die Erneuerbaren in den Schatten. Wird der alte und neue Präsident zukünftig mehr für grüne Energie tun? Wir haben Entscheider in verschiedenen Unternehmen gefragt, wie sie den US-Markt im kommenden Jahr einschätzen und welche Länder noch attraktiv sind.
MILAN NITZSCHKE Vizepräsident Solarworld
„Obama hat sich auf die Fahnen geschrieben, mehr für erneuerbare Energien zu tun. In jedem Fall kann da noch mehr passieren als in seiner ersten Amtszeit. Allerdings sind die Folgen des Schiefergas-Booms weitaus wichtiger. Dieser senkt in den USA die Energiekosten – ganz unabhängig vom Ausbau der erneuerbaren Energien.“
Illustration: Valentin Kaden
RUDOLF STAUDIGL Vorsitzender des Vorstands Wacker Chemie
Fotos: PR
„Solarenergie ist das größte Wachstumsfeld in der Energietechnik weltweit. Deutschland ist hier Vorreiter mit inzwischen mehr als einer Million Solarstromanlagen. Andere Länder folgen, nicht nur in Europa, sondern auch in Afrika und Asien, wo dezentrale Solarstromerzeugung unmittelbar wirtschaftlich ist. Die zwischenzeitlich ins Stocken geratene Entwicklung im US-amerikanischen Markt wird nach der Wiederwahl von Barack Obama ebenfalls wieder an Fahrt aufnehmen.“
seite 15
BEN HILL Präsident Trina Solar Europa
„Die Wiederwahl von Barack Obama ist selbstverständlich eine Gelegenheit, um eine fortschrittliche, erneuerbare Energiepolitik voranzutreiben, welche den Kohlendioxid-Ausstoß verringert und die längerfristigen Effekte der globalen Erwärmung umzukehren vermag. Die Unterstützung des Präsidenten sowie auch der Öffentlichkeit für erneuerbare Energien, der Bedarf des Landes an sauberer und zuverlässiger Energie und das kürzliche Wachstum des Solarmarktes in den USA bestätigen die Vermutung, dass sich der amerikanische Solarmarkt in den kommenden Jahren noch weiter entwickeln wird.“
ALEX LEVRAN Präsident Renewable Energy Solutions, Power-One
„Obwohl sich die etablierten Märkte in Europa im Umbruch befinden, gehen Analysten davon aus, dass der weltweite Photovoltaik-Markt 2013 um neun Prozent wachsen wird. Bei dieser Entwicklung spielen vor allem Nordamerika und Asien eine maßgebliche Rolle. Wir beobachten gerade in relativ jungen Märkten wie Indien, Japan oder China eine signifikant steigende Nachfrage nach privaten und kommerziellen Solaranlagen. Auch der US-Solarmarkt, der momentan besonders vom Bau großer Photovoltaik-Kraftwerke profitiert, wird im nächsten Jahr weiter wachsen. Momentan bleibt abzuwarten, inwiefern Präsident Obama sein Versprechen umsetzen kann, den Ausbau der erneuerbaren Energien voranzutreiben. Wir sind jedoch optimistisch, dass die US-Solarbranche von seiner Wiederwahl profitieren wird.“
ANDREAS VON BOBART CEO Kenersys Europe
„Zunächst einmal ist der Heimatmarkt Deutschland für uns sehr wichtig. Hier wurden im letzten Jahr zwei Gigawatt Leistung neu installiert und die Entwicklung in den einzelnen Bundesländern stimmt uns positiv, dass Deutschland weiterhin ein stabiler Markt bleibt. Daneben bildet Schweden für uns einen verlässlichen Exportmarkt in Europa. Die USA haben zwar langfristig großes Potenzial, kurzfristig ändert
sich mit der Wiederwahl von Barack Obama nicht sehr viel. Sollte der Investitionsanreiz ‚Production Tax Credit‘ am Jahresende oder zu Beginn des neuen Jahres verlängert werden, ist der Schaden für das nächste Jahr zum großen Teil irreparabel. Im Bereich der ‚Community Wind‘-Projekte ist der Markt für uns allerdings weiterhin interessant. Der chinesische Markt ist fast komplett abgeschottet gegenüber internationalen Herstellern, die nur noch geringe Marktanteile aufweisen. Deshalb ist für uns in Asien der Wachstumsmarkt Indien extrem wichtig.“
Foto: BASF Pressefoto
Schรถne leichte Welt: Styroporkugeln, mit Carbonyl-Eisenpulver beschichtet, dienen als Leichtmetall zum Gewicht- und Energiesparen
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Ein Milliardstel Meter zum Erfolg Die Energiewende beschert der Chemiebranche viele neue lukrative Geschäftsfelder – aber auch Kopfzerbrechen _Text NIELS HENDRIK PETERSEN UND JOACHIM MÜLLER-SOARES
Foto: BASF Pressefoto
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On the rocks: Nanow端rfel als Speichermedium f端r Wasserstoff
cover.
D
er Nanotechnologe Rutger Schlatmann vom Wissenschaftszentrum Berlin-Adlershof sitzt im dritten Stock eines weißen Gebäudes aus den fünfziger Jahren, mit großer Fensterfront nach Süden. Dort scheint ihm die Sonne direkt ins Gesicht und Schlatmann genießt das sichtlich. „Zuhause in meinem Erdgeschoss-Altbau habe ich kaum Licht, im Büro ist es viel besser“, ruft er aus. Der Mann ist gewissermaßen in seinem Element, denn bei der internationalen Solarforschung mischt er ganz vorne mit. Schlatmann leitet in Adlershof das „Kompetenzzentrum Dünnschicht- und Nanotechnologie für Photovoltaik“. Zuvor arbeitete der aus Holland stammende Physiker lange für den Amsterdamer Chemieriesen Akzo Nobel. So unscheinbar der Neubau in Adlershof von außen erscheint, so spektakulär entfaltet sich unter dem High-Tech-Mikroskop jene Nanowelt, die Schlatmann erforscht und gestaltet. Sein Team verwandelt die Oberflächen der SiliziumFilme per Stempel in eine Art Mondlandschaft. Die wellenförmigen Erhebungen zwischen den Kratern erscheinen dabei extrem gleichmäßig. „Wir wollen effizientere Strukturen für die Oberfläche entwickeln“, erläutert Schlatmann: „Dadurch sollen die Solarzellen möglichst viele
Foto: Evonik/Dirk Bannert
Spezialität: Mit dieser Membran wird Biogas gereinigt
Sonnenstrahlen absorbieren.“ Das vorläufige Ergebnis stimmt ihn hoffnungsfroh: Durch die neue Nanostruktur könnten drei Viertel des Materials eingespart werden – ohne Leistungseinbußen. Effizienz ist nicht nur für Schlatmann das Schlüsselwort, sondern für die moderne Chemieforschung insgesamt. Bayer, BASF, Evonik und Co. entwickeln smarte Chemie-Produkte zur Flankierung der Energiewende – und zur eigenen Gewinnmaximierung. Es geht dabei unter anderem um Komponenten für Solar- und Windparks, um grüne Mobilität und immer um das Streben nach Energieersparnis. Mit Effizienz wird viel Geld verdient: So verkauft BASF zum Beispiel Gebäude-Dämmstoffe und Kunststoff-Leichtbauteile für die Autoindustrie – allein 2011 in Höhe von rund 6,7 Milliarden Euro oder neun Prozent des Gesamtumsatzes. Darüber hinaus entwickelt der Konzern organische Farbstoffe für Organic Light Emitting Diodes (OLEDs), die weniger als ein Zehntel so viel Strom verbrauchen wie herkömmliche Glühbirnen. Im Beleuchtungsbereich besitzt auch Merck lukrative Patente. Der Darmstädter DAX-Konzern ist mit einem Marktanteil von 60 Prozent und einer Milliarde Euro Jahresumsatz der weltweit dominante Hersteller von Flüssigkristallen, die Flachbildfernseher und Computer leuchten lassen. Nanotechnik ist auch im Gebäudebereich hilfreich. Bis zu 15 Prozent Heizöl kann man einsparen, indem die Alu-Bestandteile von Wärmetauschern mit Nanoschichten isoliert werden. Decken und Wände kann man inzwischen hervorragend mit Luft dämmen, genauer: mit Aerogel, das zu 95 Prozent aus Luft besteht. In dessen nur 20 bis 40 Milliardstel Meter kleinen Poren können sich Luftmoleküle kaum bewegen – und somit keine Wärme nach draußen übertragen. Aerogel wird aus Kieselsäuren hergestellt, also aus den Sauerstoffsäuren des Siliziums. Diese sind in der Chemie allgegenwärtig, etwa in Batterieseparatoren, bei der Isolation von Kühlschränken und sogar in Autoreifen, um deren Abriebfestigkeit zu erhöhen. Solche Produkte helfen nicht nur beim Energiesparen, sondern werden auch selbst immer effizienter produziert. Bereits Anfang der siebziger Jahre begannen Deutschlands ChemieUnternehmen, ihre energieintensive Produktion
Infografik: Inga Sineux
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im Verbund zu organisieren und dabei insbesondere die Abwärme aus den Fabriken nicht mehr ungenutzt in die Luft verpuffen zu lassen – sondern in Dampf umzuwandeln und damit benachbarte Prozesse zu versorgen. „Zur Herstellung des gleichen Produkts wird heute nur noch halb so viel Energie benötigt wie vor 20 Jahren“, resümiert Tony van Osselaer, Forschungsvorstand bei Bayer Material Science in Leverkusen. Diese Prozessoptimierung ist allerdings inzwischen in Deutschland nahezu ausgereizt. Und so warnt der Verband der Chemischen Industrie (VCI) fast gebetsmühlenartig davor, dass steigende Energiekosten die Wettbewerbsfähigkeit seiner Firmen gefährde. Nach seiner Schätzung steigen die Kosten der deutschen Chemiefirmen um rund 500 Millionen Euro – wenn der Preis für die Kilowattstunde nur um einen einzigen Cent steigt. „Der Verlust von Wettbewerbsfähigkeit durch hohe Strompreise lässt sich empirisch nachweisen“, sagt VCI-Chef Lutz Tillmann. Das sei etwa bei der stromintensiven Herstellung anorganischer, also kohlenstofffreier Grundstoffe zu beobachten. Laut Tillmann haben französische Unternehmen seit dem Jahr 2000 ihren Marktanteil von 11 auf 25 Prozent hochgeschraubt, während der deutsche Anteil von 33 auf 23 Prozent absackte.
Dieses deutsche Malheur gehe auf die niedrigeren, staatlich subventionierten Strompreise in Frankreich zurück. Für Unmut in der Branche sorgt zudem die Umlage des Erneuerbare-Energien-Gesetzes, mit der die Einspeisevergütungen von Solar-, Windund Biogasanlagen finanziert werden. An 90 Standorten in Deutschland werden derzeit Chemie-Unternehmen von der Bundesregierung als „energieintensiv“ eingestuft und von dieser Umlage befreit. Aber das Gros der rund 1.600 VCI-Mitgliedsfirmen schaut buchstäblich in die Röhre – und finanziert wie alle Stromkunden die Umlagenbefreiung der Branchenriesen mit. Das Zeitalter der Erneuerbaren hält für die Chemiebranche also nicht nur viele neue Chancen bereit, sondern auch Kostenfallen. „Die Energiewende ist für die Unternehmen ein zweischneidiges Schwert“, resümiert Sven Uwe Vallerien, Partner bei der Unternehmensberatung Booz & Company. Das Chemiegeschäft werde immer globaler, weil zunehmend Anbieter aus Schwellenländern wie Indien in den Markt drängen: „Je spezieller die Produkte wie Additive für Kunststoffe, Öle oder Katalysatoren sind, desto weniger fallen die Transportkosten ins Gewicht.“ Fazit: Die Bedeutung der Energiekosten nimmt tendenziell zu.
ANWENDUNGSBEREICHE FÜR SMARTE CHEMIE
Carbon Epoxidharz PolyurethanSprühschaum
organische Photovoltaikfolien
Sol-Gel
Membrane Silizium
Nanoröhren aus Carbon
Kieselsäure PolyurethanDämmung
Batterien: Lithium-Ionen
Strukturschaum
WEISSE CHEMIE... ... basiert auf der weißen, industriellen Biotechnologie. Diese nutzt den Werkzeugkasten der Natur für die industrielle Produktion. So hat zum Beispiel die Biotech-Firma Brain im hessischen Zwingenberg zusammen mit der Universität Mainz Mikroorganismen entwickelt, die Holzabfälle in ihre Bestandteile zersetzen und so Zellulose für Biokraftstoffe liefern. Als Vorbild dienten den Biotechnologen die Mikroorganismen im Darm von Termiten, die dort die Verdauung von Holz ermöglichen. Zu den Kooperationspartnern von Brain gehören bei unterschiedlichen Biotech-Projekten unter anderem BASF, Clariant, DSM, Evonik, Henkel, RWE, Sandoz und Südzucker.
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Und so betreiben viele Konzerne inzwischen eigene Kraftwerke, um ihre Abhängigkeit von steigenden Stromkosten zu verringern. Andere, wie der Wiesbadener Kohlenstoffproduzent SGL Carbon, bauen Fabriken in den USA, wo sich die Energiekosten als Folge des Schiefergasbooms im Sinkflug befinden. Dabei hat SGL Carbon als Lieferant von Carbon- und Glasfasern, etwa für Windrotoren und für Leichtbauteile in der Autoindustrie, daheim durchaus von der Energiewende profitiert. Auf den Trend zum Gewicht- und Spritsparen setzt auch Evonik. Seit 2010 demonstriert der Konzern in einem Leichtbau-Studio in Darmstadt, wie Strukturschäume, Kunststoffscheiben und Klebstoffe helfen, Autogewichte um bis zu 60 Prozent zu reduzieren. Bei solchen Entwicklungen kooperieren die Branchengiganten gern mit agilen Biotech-Firmen. Diese basteln an neuen Mikroorganismen, die zum Beispiel gut an Oberflächen haften oder Holz zersetzen, um daraus Biokraftstoffe zu gewinnen. Auch die E-Mobilität und ihre Stromspeicher sind integraler Teil der Energiewende – mit
Nanotechnik liefert immer höhere Energiedichten.
riesigem Potenzial. Eine neue Studie der Unternehmensberatung AT Kearney taxiert den Weltmarkt für Batteriezellen in Hybrid- und Elektrofahrzeugen bis 2025 auf rund 80 Milliarden Euro. Demnach wird Materialeinsatz und Gewicht der Batterien auch durch den Einsatz von Luft weiter reduziert. Professor Dirk Uwe Sauer von der RWTH Aachen hält es nach 2025 für denkbar, dass neue Lithium-Luft-Batterien die derzeit üblichen Lithium-Ionen-Akkus verdrängen. Die Energiedichte würde dabei „um den Faktor vier bis fünf höher liegen“, sagt Sauer. Höhere Energiedichten peilt auch der Nanotechniker Schlatmann an, indem er Oberflächen von Solarzellen optimiert. Solche Forschung ist oft die Basis für erfolgreiche Produkte. Das zeigen nicht zuletzt die neuen Glasabdeckungen für Solarzellen, die Merck inzwischen serienmäßig in Gerresheim bei Darmstadt produziert. Bei der Produktion wird das Solarglas in ein Sol-Gel-Bad mit 10 bis 35 Milliardstel Meter kleinen Körnchen getaucht. Beim Herausziehen entsteht ein dünner Film, der dann auf dem Glas eingebrannt wird. „Dies reflektiert danach weniger als ein Prozent des Sonnenlichts statt vier Prozent wie herkömmliche Module“, frohlockt Schlatmann.
AUSZÜGE AUS DEM WÖRTERBUCH DER SMARTEN CHEMIE Aerogel: Das zu 95 Prozent aus Luft bestehende Gel ist ein perfektes Isolationsmaterial. Es basiert auf den Sauerstoffsäuren des Siliziums und wird u.a. von Evonik und Stadur-Süd angeboten. Biogasfilter: Eine Membran aus Polyimid-Hohlfasern, die Spaghetti ähneln – wie auf dem Titelbild dieses Hefts. Sie reinigen Methan auf Erdgasqualität. Anbieter sind u.a. Evonik und Schmack. Carbonfaser: Für die Weltraumforschung entwickelt, stärkt die Kohlenstoff-Faser heute Fahrzeug-Karosserien und Wind-Rotorblätter. Anbieter u.a. Cobo Nautic, Lätzsch und SGL Carbon. Carbon Capture and Storage (CCS): CO2 wird aus der Luft oder in Kraftwerken gefiltert und in unterirdische Gesteinsschichten injiziert. Auf die Technik hoffen u.a. RWE und Vattenfall.
Carbon Capture and Usage (CCU): Das CO2 wird abgetrennt und zur Produktion von Kunststoffen oder Methanol verwendet. Forschung dazu läuft u.a. bei Bayer Material Science. Epoxidharz: Der farblose PolymerHarz wird u.a. von Dow Chemical produziert – als Korrosionsschutz für Windanlagen und Konstruktionskleber. Ethanol: Mit Zellulose aus Ernteabfällen gewinnt u.a. die niederländische Chemiefirma DSM Ethanol – und vermeidet so den Teller-Tank-Streit. Lithium-Ionen-Batterien: Sie kommen als Speicher für E-Autos oder Laptop-Akkus zum Einsatz. Komponenten liefern u.a. BASF und Wacker Chemie. Nanotechnologie: Dieses Zukunftsfeld verbindet Physik, Chemie und Materialwissenschaft. Anwender: u.a. Akzo
Nobel, Schott und Merck. Ein Nanometer entspricht einem Milliardstel Meter. Organische LEDs: Nanodünne Schichten (u.a. von BASF), extrem flexibel und biegsam, verbrauchen nur ein Zehntel soviel Strom wie Glühbirnen. Organische Photovoltaik: Die semitransparenten Folien erschließen der PV neue, kostengünstige Anwendungen auf großen Flächen wie Glasfassaden. Anbieter: u.a. Belelectric und Heliatek. Supraleiter: Mit flüssigem Stickstoff gekühlte Keramikschichten, u.a. von BASF, sollen Strom verlustfrei übertragen und winzige Magnetfelder orten. Weiße Biotechnologie: Einsatz von Mikroorganismen und Enzymen für energieeffiziente Verfahren und Produkte aus nachwachsenden Rohstoffen. Anwender sind u.a. Brain und Henkel.
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„Diplomatische Deeskalation“
Interview mit Wacker-Chemie-Chef Rudolf Staudigl über das Potenzial der Energiewende, das Verhältnis zu China und die konzerneigene Aktie
RUDOLF STAUDIGL... ... ist seit Mai 2008 Vorstandsvorsitzender der Wacker Chemie AG mit Stammsitz im bayerischen Burghausen. Der 58-Jährige studierte Chemie an der LMU München. Nach der Promotion und einem Forschungsaufenthalt in Harvard stieg Staudigl 1983 in den M-DAX-Konzern ein und führte dort unter anderem die Geschäfte der US-Tochter Wacker Siltronic in Portland.
NIELS HENDRIK PETERSEN
und JOACHIM MÜLLER-SOARES
_BIZZ energy today | Welche Geschäftschancen bietet die Energiewende für die Chemiebranche? _Rudolf Staudigl | Für jegliche Art der Energieversorgung ist auch Chemie nötig. Unsere Branche sieht ihre Chancen im Bereich der Erneuerbaren, als Hersteller von Materialien und Komponenten etwa für Solarmodule und Windrotoren. Vor allem setzt die Branche auf den weltweiten Trend zum Energiesparen. In diesen Bereich gehören etwa Dämmmaterialien für Gebäude, effiziente Haushaltsgeräte, aber auch die elektronische Steuerung von Geräten mit Silizium-Chips. _BIZZ e.t. | Ist die Energiewende also ein Segen für die Chemie? _Staudigl | Bei aller Begeisterung für die Energiewende darf man deren Risiken nicht ignorieren. Denn die Chemie nutzt die Energie quasi als Rohstoff. Fabriken in Deutschland sind nur bei international vergleichbaren Stromkosten konkurrenzfähig. _BIZZ e.t. | Muss das Erneuerbare-EnergienGesetz (EEG) reformiert werden?
_Staudigl | Das EEG muss neu überdacht werden. In der Vergangenheit kam es bei den Einspeisevergütungen zu Übertreibungen und dadurch zu hohen Kostensteigerungen. Die aktuellen Einspeisevergütungen stellen nach unserer Einschätzung aber keine Überförderung mehr dar. Allerdings existieren strukturelle Probleme. Eine vermehrte Einspeisung von Ökostrom senkt zwar den Börsenpreis, führt aber paradoxerweise zu einer höheren Belastung für die Endverbraucher. Ich plädiere daher für einen Referenzpreis, der nicht so stark schwankt; er sollte sich stattdessen am Strompreis orientieren, den moderne Gaskraftwerke brauchen, um Strom wirtschaftlich zu erzeugen. _BIZZ e.t. | Ist Ihr Unternehmen von der EEGUmlage befreit? _Staudigl | Bei uns ist nur ein kleiner Teilbereich von der Umlage ausgenommen. Und die Umlagen für die anderen Bereiche summieren sich: Wir haben 150 Millionen Euro seit der EEG-Einführung gezahlt – das Gros davon in den letzten drei Jahren. Aktuell beantragt Wacker die Befreiung für weitere Bereiche. Übrigens sehe ich ein generelles Problem: Unternehmen sind von der Umlage befreit, wenn die Energiekosten mehr als 14 Prozent der Bruttowertschöpfung betragen. In der Spezialchemie ist das aber oft nicht der Fall – obwohl viele Firmen dieses Segments energieintensiv arbeiten. _BIZZ e.t. | Wacker baut ein Polysilizium-Werk in Tennessee. Wie wichtig ist der US-Markt ? _Staudigl | Wir wollen das Werk aus mehreren Gründen: Erstens sind die Energiekosten um mehr als die Hälfte niedriger als in Deutschland. Zweitens ist Polysilizium ein Material, bei dem die Transportkosten keine große Rolle spielen. Eine weltweite Belieferung aus den USA ist somit gut möglich. Der Standort bietet zudem den Vorteil des Natural Hedgings und hilft uns, Währungsschwankungen zwischen Euro und
Foto: Andreas Pohlmann
_Das Gespräch führten
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Dollar abzufedern. Nicht zu vergessen: Der US-Chemiemarkt ist gut drei Mal größer als der deutsche, allein deshalb ist er interessant für uns. Langfristig wollen wir einen Silizium-Verbundstandort in den USA haben, wo wir nicht nur Polysilizium, sondern auch andere siliziumbasierte Produkte wie Silikone herstellen – ähnlich wie in Deutschland oder in China. _BIZZ e.t. | Welches Potenzial bietet China? _Staudigl | Wir machen dort rund 20 Prozent unseres Umsatzes, vor allem mit Polysilizium. Wir verkaufen auch Silikone, etwa für Dichtund Imprägniermaterial bis hin zu Beschichtungen und Kabelisolierung. Zudem stellen wir in China Polymerprodukte her, also Dispersionen und Dispersionspulver. Die gehen zum Beispiel in Klebstoffe, in die Bau- und Autoindustrie sowie in die Farbproduktion. Ein erheblicher Anteil unserer Dispersionspulver dient der Wärmedämmung, die von Chinas Staatsführung stark forciert wird. _BIZZ e.t. | China droht mit Strafzöllen auf polykristallines Silizium. Fürchten Sie einen Handelskrieg? _Staudigl | Wir haben uns frühzeitig gegen jede Form von Handelsbeschränkungen ausgesprochen. Wenn Geld für Strafzölle ausgegeben werden muss, fehlt es für Forschung und Innovationen. Die Photovoltaik würde damit künstlich verteuert und das würde die weltweite Energiewende bremsen. Der globale Siegeszug der Photovoltaik ist die Folge günstiger Preise. Als Unternehmen muss sich Wacker wappnen, um mit Anti-Dumping-Zöllen zurecht zu kommen. Trotzdem hoffe ich auf diplomatische Deeskalation. Differenzen sollten auf dem Verhandlungsweg ausgeräumt werden, so wie es die Bundeskanzlerin in Peking kürzlich vorgetragen hat. _BIZZ e.t. | Sind Batterien aus Ihrer Sicht ein lukrativer Zukunftsmarkt? _Staudigl | Der Markt bietet in der Tat riesige Wachstumschancen für die gesamte Chemiebranche. Aufgrund unseres Know-hows bei Silizium und Silikon hoffen wir, davon zu profitieren. Bei Lithium-Ionen-Batterien beispielsweise wird an allen Bestandteilen geforscht: Anode, Kathode, Elektrolyten und Trennmaterialien wie Membranen. Silikon bietet sich auch als Dichtmaterial in Batterien an. _BIZZ e.t. | Die Chemieindustrie ist auf der Suche nach alternativen Rohstoffen zu Mineralölprodukten. Sie auch?
_Staudigl | Ja, wir auch. Wacker produziert den einzigen Polymerwerkstoff, der ohne Erdöl auskommt, nämlich Silikon. Auch an der weißen Biotechnologie zur Herstellung von Rohstoffen aus pflanzlichen Materialien forschen wir. Noch sind diese Produkte im Vergleich zu erdölbasierten Materialen aber nicht rentabel. Immerhin zehn Prozent der weltweit hergestellten Chemieprodukte stammen bereits aus nachwachsenden Rohstoffen – mit steigender Tendenz. In Brasilien zum Beispiel produziert man heute im großen Stil Polyethylen aus Ethanol, das wiederum aus Zuckerrohr gewonnen wird. _BIZZ e.t. | Wie ist der Absturz der WackerAktie seit rund eineinhalb Jahren zu erklären? _Staudigl | In der Vergangenheit gab es Übertreibungen im Markt für Polysilizium, da es sehr knapp war. Phasenweise war Silizium sogar teurer als Silber. Nun ist das Pendel auf die andere Seite geschwungen, der Preis ist deutlich gesunken. Das haben wir so auch erwartet und immer wieder vorausgesagt. Aufgrund unseres Engagements bei Silizium werden wir oft in eine Kategorie mit Solarunternehmen gesteckt – fälschlicherweise. _BIZZ e.t. | Sehen Sie eine Trendwende für die Wacker-Aktie? _Staudigl | Darauf setze ich und betone deshalb bei jeder Gelegenheit, dass wir Wacker Chemie und nicht Wacker Solar sind. Unsere Produkte finden sich in allen Lebensbereichen − von der Körperpflege über Baumaterialien bis hin zur Automobil- und Medizintechnik. Das müssen wir dem Kapitalmarkt noch intensiver vor Augen führen.
WACKER-AKTIE: WARTEN AUF DIE TRENDWENDE Kurs in € 200
150
100
50
0
2010
Quelle: Comdirect Bank
2011
2012
Foto: Marcus Gloger
„Starker Impuls für Deutschland“ Jochen Flasbarth, Präsident des Umweltbundesamtes, über das Zusammenspiel von Naturschutz und Energiewende, Klimaschutz und den Emissionshandel _Das Gespräch führten JOACHIM MÜLLER-SOARES und KARSTEN WIEDEMANN
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_BIZZ energy today | Herr Flasbarth, ist es sinnvoll, den Ausbau der erneuerbaren Energien stärker an den Netzausbau zu koppeln? _Jochen Flasbarth | Es ist richtig, beides besser miteinander zu verzahnen. Am Ende darf sich die Katze aber nicht in den Schwanz beißen, sprich: Der Ausbau der Erneuerbaren und der Netzausbau dürfen sich nicht gegenseitig blockieren. _BIZZ e.t. | Plädieren Sie für einen staatlichen Netzbetreiber nach dänischem Vorbild? Flasbarth | Diese Frage stellt sich derzeit nicht. Allerdings gibt es im Bereich eines Netzbetreibers größere Probleme... _BIZZ e.t. | Bei Tennet nämlich, das die Stromnetze an der Nordseeküste betreibt und für Verspätungen beim Anschluss von OffshoreWindparks kritisiert wird. _Flasbarth | Sollten sich diese Probleme nicht lösen lassen, dann wird man auch über staatliche Beteiligungsmodelle nachdenken müssen. _BIZZ e.t. | Fehlt es denn an Investoren? _Flasbarth | Das sehe ich nicht. Institutionelle Anleger, etwa aus der Versicherungswirtschaft, sind an Investitionen in die deutsche
Netzinfrastruktur sehr interessiert. Zudem will Bundesumweltminister Peter Altmaier im Rahmen eines Fonds, der attraktive Renditen bietet, die Bürger finanziell am Netzausbau beteiligen. _BIZZ e.t. | Aber es dauert oft Jahre, bis neue Leitungen überhaupt gebaut werden dürfen. _Flasbarth | Stimmt, da müssen wir schneller werden. Das Netz darf am Ende nicht zum Engpass der Energiewende werden. Derzeit existieren leider einige neuralgische Punkte. _BIZZ e.t. | Wo genau? _Flasbarth | Es hakt beim Abtransport aus Norddeutschland, insbesondere bei der Trasse Osterath-Weißenthurm und der Thüringer Strombrücke. Die Bundesregierung hat zwar neue Regeln für den Ausbau der Netze eingeführt, die den Prozess beschleunigen werden. Viele Projekte, die derzeit stocken, stammen aber noch aus der Zeit vor dieser Gesetzesänderung. Generell gilt, die Bevölkerung muss frühzeitig miteinbezogen werden. _BIZZ e.t. | Nicht nur beim Netzausbau kollidieren die Interessen von Naturschutz mit den Zielen der Energiewende. Lässt sich dieser Konflikt jemals lösen?
JOCHEN FLASBARTH Der studierte Volkswirt ist seit 2009 Chef des Umweltbundesamtes. Zuvor war der gebürtige Duisburger sechs Jahre lang als Abteilungsleiter für Naturschutz und nachhaltige Naturnutzung im Umweltministerium tätig. Von 1992 bis 2003 stand Flasbarth als hauptamtlicher Präsident an der Spitze des Naturschutzbundes Deutschland.
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_Flasbarth | Naturschutz und erneuerbare Energien passen besser zusammen, als das derzeit allgemein diskutiert wird. Die stärkste Bedrohung für die biologische Vielfalt in den nächsten Dekaden ist der Klimawandel. Deshalb braucht auch der Naturschutz die Erneuerbaren. Bestehende konkrete Konflikte lassen sich zudem lösen. Ein gutes Beispiel sind die Schutzgebiete in Nord- und Ostsee. Dort dürfen keine Offshore-Parks entstehen. _BIZZ e.t. | Der Konflikt zwischen Naturschutz und Energiewende existiert auch an Land. Welche Lösungen schweben Ihnen da vor?
„Bei der EEG-Umlage gibt es Mitnahmeeffekte.“
_Flasbarth | Nehmen Sie die Windenergie – die süddeutschen Länder haben sich lange zurückgehalten und nun zu Recht ehrgeizige Ziele formuliert. Baden-Württemberg wird diese Ziele als waldreiches Land nur erreichen können, wenn es die Errichtung von Windkraftanlagen im Wald nicht grundsätzlich ausschließt. _BIZZ e.t. | Was sofort Proteste von Naturschützern provozieren wird... _Flasbarth | Auch hier lassen sich die Interessen zusammenführen. Tabu sein müssen natürlich naturnahe, ökologisch hochwertige Wälder. Aber es gibt immer noch viele Monokulturen. Hier können Windräder errichtet werden und
„Die EU sollte sich verpflichten, bis 2020 30 Prozent Treibhausgase einzusparen.“ und dadurch auch zusätzliche Steuereinnahmen geschaffen werden. _BIZZ e.t. | Man hat den Eindruck, dass der Energiewende die Luft ausgegangen ist, weil nur noch über Kosten diskutiert wird. Wurde das zu lange ignoriert? _Flasbarth | Es ist in jedem Fall notwendig, dass wir die Energiewende hinbekommen, ohne den Industriestandort Deutschland zu schwächen. Allerdings dürfen wir bei der
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Windkraft im Wald kann dem Naturschutz dienen
zugleich kann an solchen Standorten der ökologische Waldumbau vorangetrieben werden. _BIZZ e.t. | Eine andere Baustelle ist die Energieverschwendung. Es scheint, dass die von der Bundeskanzlerin proklamierte Effizienzsteigerung in Vergessenheit geraten ist. _Flasbarth | Ganz klar, wir müssen den Energieverbrauch auf breiter Front senken. Die Industrie hat hier aus meiner Sicht zwar in den letzten Jahren Fortschritte gemacht. Bei den Produkten und Endgeräten hakt es aber noch. Hier müssen wir besser werden und mehr verlangen. _BIZZ e.t. | Meinen Sie staatliche Zuschüsse beim Kauf effizienter Geräte? _Flasbarth | Zunächst einmal meine ich Anforderungen an die Produktgestaltung. Wir brauchen auf breiter Front energieeffizientere Geräte im Markt. Auf der Verbraucherseite steht an erster Stelle die Nutzung von Maßnahmen, mit denen sich schon viel Energie einsparen lässt, wie etwa der Einsatz von abschaltbaren Steckerleisten. Erst dann geht es an den Ersatz von Geräten, vor allem von Kühlschränken. Bei einkommensschwachen Haushalten sollte man darüber nachdenken, ob der Austausch finanziell gefördert werden kann. _BIZZ e.t. | Bund und Länder streiten über die steuerlichen Abschreibungen für die energetische Gebäudesanierung. Ihr Kommentar dazu? _Flasbarth | Das ist keine gute Situation und nicht nachvollziehbar. Zwar erfordert die Gebäudesanierung staatliche Förderung. Der Fiskus – auch auf Länderebene – profitiert unter dem Strich aber deutlich, weil neue Arbeitsplätze
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Weit draußen: Für OffshoreWindparks gelten strenge Vorgaben
Kostendebatte nicht die Chancen aus den Augen verlieren. Wir leisten mit der Energiewende einen sehr starken Modernisierungsimpuls für Deutschland. _BIZZ e.t. | Sind denn die Kosten gerecht verteilt? Die energieintensive Industrie wird ja entlastet und muss etwa die EEG-Umlage nicht zahlen. _Flasbarth | Wir als Umweltbundesamt weisen schon lange darauf hin, dass die jetzigen Regeln für die Privilegierung bei der EEG-Umlage erhebliche Mitnahmeeffekte ermöglichen. Derzeit werden auch Unternehmen privilegiert, die nicht im internationalen Wettbewerb stehen. Aber ehrlicherweise muss man sagen: Selbst wenn alle Industrieunternehmen die Umlage zahlen müssten, bliebe es bei einem spürbaren
_BIZZ e.t. | International scheint der Klimaschutz von der Agenda verschwunden zu sein. _Flasbarth | Ja, das ist leider so. Umso wichtiger ist es, dass wir konsequent an unseren Klimaschutzbemühungen festhalten. Deutschland kann mit der Energiewende zeigen, dass eine klimaverträgliche Wirtschaftsweise in einem hochentwickelten Industrieland möglich ist. _BIZZ e.t. | Die EU-Kommission will CO2-Zertifikate vom Markt nehmen, um den Emissionshandel wieder zu beleben. Freut Sie das? _Flasbarth | Die Kommission verfolgt nur die zweitbeste Lösung. Sie verändert ja nicht die Ziele, sondern nimmt lediglich – und zwar zunächst vorübergehend – Zertifikate aus dem Markt, ohne zu wissen, was später damit passiert. Der Emissionshandel funktioniert aber nur, wenn
Kostenanstieg, auch bei den Haushalten. _BIZZ e.t. | In diesen Tagen beginnt die Klimakonferenz in Doha. Wird die Wiederwahl von US-Präsident Barack Obama dem Klimaschutz helfen? _Flasbarth | Natürlich spielen die Amerikaner eine wichtige Rolle, sie waren in den vergangenen Jahren leider häufig die Bremser beim Klimaschutz. In der multipolaren Welt müssen sich aber auch China und die anderen Schwellenländer mit ihrer wirtschaftlichen Dynamik in die Pflicht nehmen lassen.
wir ehrgeizige Ziele formulieren. Daran mangelt es ganz klar. _BIZZ e.t. | Was schlagen Sie vor? _Flasbarth | Die EU sollte sich zum Ziel setzen, nicht 20, sondern 30 Prozent Treibhausgas-Emissionen bis 2020 einzusparen. Das wäre angemessen und würde die europäische Wirtschaft nicht überfordern. Wir würden damit Preissignale aussenden, damit Investitionen in Energieeffizienz stattfinden. Im Augenblick ist dies aber nicht einigungsfähig, weil Polen sich verweigert.
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Die Verbrauchsweltmeister kommen
seite 41
Mit Stecker: Der Ford Focus Electric kann auch Solarstrom tanken
Dreizylinder, Bremskraftrückgewinnung, Superkondensatoren – mit ihrer Technikoffensive sorgen Autobauer für sinkende Verbräuche bei Verbrennungsmotoren und hoffen auf gute Absätze in der Krise _Text KARSTEN WIEDEMANN
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VW Eco up!
3,5L
Toyota Yaris Hybrid
3,8L
Lexus CT 200h
3,8L
Toyota Auris Hybrid
3,9L
Toyota Prius
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orbert Reithofer, Chef des Autobauers BMW, geizt beim Thema Effizienz nicht mit Superlativen. „Wir brechen auf in neue Dimensionen“, verkündete der Autoboss bei der Präsentation der Quartalszahlen Anfang November. Bis Ende des Jahrzehnts will BMW die Kohlendioxid-Emissionen seiner Fahrzeuge im Vergleich zu 1995 halbieren. Ein Mix aus alternativen, aber vor allem aus konventionellen Antrieben soll dies ermöglichen. Zwei Entwicklungen sorgen für Innovationsdruck in der Branche. Zum einen werden die Abgasvorgaben immer schärfer. So dürfen Neuwagen in der EU ab 2020 nur noch 95 Gramm CO2 pro Kilometer ausstoßen. In Kalifornien soll jeder siebte Neuwagen ab 2025 ganz ohne Schadstoffe unterwegs sein. Zum anderen verlangt die Absatzkrise am Automarkt zusätzlich nach Reaktionen. „Werksschließungen allein sind nicht der richtige Weg, um erfolgreich zu sein“, sagt Felix Kuhnert, Partner bei der Wirtschaftsprüfungs- und Beratungsgesellschaft Price Waterhouse Coopers. „Besonders in Europa wird es wichtig sein, durch Investitionen in neue Technologien das Geschäftsmodell abzusichern.“ Der europäische Automarkt wird in den nächsten Jahren stagnieren, Wachstum wird es nur noch in Asien geben. Effiziente Antriebe sind ein Mega-Thema bei den Autobauern: Mehr Leistung aus immer weniger Hubraum. Ford hat kürzlich eine EinLiter-Maschine für den Focus vorgestellt. Von den Ausmaßen soll das Aggregat nach Firmenangaben auf ein Din-A4-Blatt passen, trotz seiner 100 PS Leistung. Ford setzt mit dem Ecoboost genannten Aggregat den vor einigen Jahren von Volkswagen initiierten Trend zum Downsizing der Verbrennungsmotoren fort. Die Mini-Maschinen werden dabei per Direkteinspritzung und Turboaufladung zu dynamischen Kraftpaketen getuned, bei deutlich reduziertem Verbrauch. Der Fokus mit Ein-Liter-Motor verbraucht im Schnitt nur 4,8 Liter Super, was einem CO2Ausstoß von 114 Gramm entspricht – Werte, die
sonst nur Dieselmotoren erreichen. Für diese Leistung gab es die Auszeichnung „Engine of the year“. Der Ford-Motor kommt mit drei Zylindern aus. Antriebe mit nur drei Brennkammern sind aufgrund ihrer guten Verbrauchswerte bei den Autobauern im Kommen. Lange Zeit galten sie als lahm und wenig attraktiv. Durch die Kombination aus Direkteinspritzung und Turboaufladung ist dieses Thema nun passé. Die Ford-Techniker konnten ein weiteres Dreizylinder-Problem ausmerzen: Die mangelnde Laufruhe. Sie bauten eine spezielle Unwucht in den Motor ein, die die Vibrationen reduziert. Das krisengeplagte Unternehmen setzt große Hoffnung auf den Sparmotor. Mindestens ein Drittel aller Kunden soll ihn kaufen. „Die zahlen durchaus etwas mehr dafür“, glaubt Wolfgang Booms, Vetriebschef der Kölner Ford-Werke. Eine aktuelle Studie der Commerzbank Finanz könnte ihm Recht geben: Demnach sind für 60 Prozent aller Käufer die Betriebskosten beim Kauf eines Neuwagens entscheidend. Auch BMW ist auf den Dreizylinder-Trend aufgesprungen. Der Autobauer bietet die geschrumpften Motoren ab dem kommenden Jahr in den EinserModellen an. Bei Volkswagen halten sie im Kleinwagen Up Einzug. Beim neuen Golf setzt VW dagegen auf Zylinderabschaltung. Im neuen 140-PS-Direkteinspritzer schalten Wunderkasten: Superkondensatoren stehen vor einer großen Zukunft
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2,9L
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Power auf A-4-Format: Die Einliter-Maschine von Ford spart Platz und Sprit
4,1L der zweite und der dritte Zylinder zwischen 1.500 und 4.000 Umdrehungen ab. Das Ergebnis: Bis zu einem Liter weniger Kraftstoffverbrauch. Ganz neu ist die Technik nicht. Schon vor 30 Jahren statteten BMW und Mercedes ihre Topmodelle mit variablen Brennkammern aus. Bei Audi läuft nun das Flaggschiff S8 wahlweise mit vier statt mit acht Zylindern. Nach AudiAngaben genehmigt sich der Zwei-Tonnen-Wagen mit 520 PS nun 10 statt bisher 13 Liter Super auf 100 Kilometer. Bis Tempo 100 braucht der Wagen im Spurt nur 4,2 Sekunden, dann allerdings mit acht Zylindern. Eine Start-StoppAutomatik gehört mittlerweile bei den meisten Neuwagen zum Standard. VW führt nun im Golf erstmals serienmäßig eine automatische Bremskraftrückgewinnung ein. Damit hält eine Technologie in Benzinoder Dieselfahrzeuge Einzug, die ihren Ursprung im Elektroauto genommen hat. Ein Generator wandelt dabei die bei jedem Bremsen frei werdende Energie in elektrische Energie um und speichert diese in einer Batterie. Im Fachjargon ist von Rekuperation die Rede. Der Zusatzstrom versorgt elektrische Bordsysteme wie Klimaanlage oder Radio. Der Generator wird entlastet, der Verbrauch sinkt. Mazda geht in der neuen Generation des Mittelklassewagens 6 noch einen Schritt weiter. Der Bremsstrom fließt hier nicht in eine Batterie. Die Japaner setzen erstmals in einem Serienfahrzeug sogenannte Superkondensatoren ein, Eloop nennt sich das System. Die Superkondensatoren speichern die Energie nicht via Elektrochemie, wie etwa Lithium-Ionen-Akkus, sondern rein elektrisch. Das geht deutlich schneller, in zwei Sekunden ist der Kondensator geladen und kann die Energie wieder abgeben.
Der LKW-Hersteller MAN testet die Superkondensatoren bereits in seinen Hybridbussen. Spritersparnis hier: bis zu 30 Prozent. Auch in der Formel-Eins kommen Superkondensatoren schon zum Einsatz. Eine Studie des US-Marktforschungsunternehmens BCC geht davon aus, dass sich das Marktvolumen für die Superkondensatoren bis 2015 auf 3,4 Milliarden US-Dollar verdreifacht. Tesla-Chef Elron Musk sieht in den Speichern sogar die Totengräber der Lithium-Ionen Akkus. Sie lassen sich nicht nur schnell laden, sondern arbeiten auch bei extremen Temperaturen zuverlässig. Das US-Startup Nanotune Technologies will die Superkondensatoren langfristig auch in E-Autos einsetzen. Noch sind Superspeicher mit Kosten von 2.400 US-Dollar und mehr pro Kilowattstunde sehr teuer, die Energiedichte noch vergleichsweise gering. Lithium-Ionen-Akkus liegen derzeit bei 650 US-Dollar pro Kilowattstunde. Die Speicherkosten bleiben ein Problem bei E-Autos. Auch ein Grund, warum der Benzinmotor auf mittlere Sicht noch eine dominierende Rolle spielen wird. „In den Benzin-Motoren steckt noch sehr viel Potenzial“, sagt Felix Kuhnert von PWC. Ähnlich sieht es Jürgen Pieper vom Bankhaus Metzler. „In EMobility wird viel investiert, Ergebnisse wird man erst in fünf bis zehn Jahren sehen.“ Ford bringt zwar mit dem Ford Focus Electric ab April 2013 ein Serienfahrzeug mit Batterieantrieb auf den Markt. Die Erwartungen sind aber angesichts des Verkaufspreises von rund 40.000 Euro nicht allzu hoch. „Elektromobilität ist ein wichtiges Thema, im Verkauf spielt es aber noch keine Rolle“, sagt Wolfgang Booms. Bei BMW soll die neue Dimension der Mobilität bereits im Jahr 2013 beginnen. Dann rollen im Werk in Leipzig die ersten Elektromodelle i3 und i8 vom Band, gefertigt aus mit Kohlenstofffasern verstärktem Kunststoff (CFK). Es sind die ersten nur für den Elektroantrieb konzipierten Fahrzeuge eines deutschen Herstellers.
Die Superkondensatoren kommen.
Toyota Prius +
4,1L
Honda Insight
4,3L
Nissan Pixo 1.0
4,4L
Toyota iQ 1.0 VVT-i
4,5L
Honda Jazz