ANALYSE
INTERVIEW
KOLUMNE
REPORTAGE
Warum Telekom-Boss René Obermann für seinen Angriff auf den Energiemarkt gut aufgestellt ist. seite 54
Thüga-Chef Ewald Woste wagt den Helikopterblick auf die Energiewende. seite 24
Matthias Kurth, Ex-Präsident der Bundesnetzagentur, warnt vor „nebulösem Zweckoptimismus“. seite 28
Ein Blick in die Forschungslabors von Daimler und Evonik zeigt Fortschritte bei der Batterieentwicklung für E-Autos. seite 36
Das Wirtschaftsmagazin für die Entscheider der Energiezukunft
bizzenergytoday.com
Energiewende: Woher kommen die Milliarden? KfW-Vorstandschef Ulrich Schröder gilt bei der Finanzierung der Energiewende als Schlüsselfigur. Im Exklusiv-Interview spricht Schröder über die Vertrauenskrise der Banken und beschreibt, welche anderen Finanziers als Investoren für Großprojekte in Frage kommen. Schröder hofft auf einen „grünen Kapitalismus“. weiter auf seite 12
Juli/August 2012
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1. Jahrgang
9,80 €
inhalt. INTERVIEW: KFW-CHEF ULRICH SCHRÖDER Die Energiewende braucht langfristige Investitionen – und entsprechende Kreditangebote. KfW-Chef Ulrich Schröder über die Rolle der Staatsbank und anderer Finanziers dieser Jahrhundertaufgabe seite 12
INTERVIEW: THÜGA-CHEF EWALD WOSTE
KOLUMNE: POWER TO THE PEOPLE BIZZ energy today Chefökonom Gerard Reid über den Siegeszug der Erneuerbaren – und die Sicht angelsächsischer Investoren auf Deutschland seite 18 IM PORTRÄT: CRISTINA BÜLOW
ELEKTROMOBILITÄT: JAGD AUF DIE JAPANER
Mit einer Hightech-Fabrik in der sächsischen Provinz wollen die Konzerne Daimler und Evonik zur Weltspitze aufschließen seite 36 Ein Gespräch über Gleichbehandlung, die Rolle der Stadtwerke und den russischen Energieriesen Gazprom seite 24
KLIMAKILLER RELOADED
KOLUMNE MATTHIAS KURTH: DIE NEUE UNÜBERSICHTLICHKEIT Eine Zwischenbilanz der Energiewende, vom langjährigen Präsidenten der Bundesnetzagentur seite 28
Geschlossene Fonds für erneuerbare Energiequellen sind in. Diesen Trend hat Cristina Bülow mitgeprägt seite 20
KOLUMNE FRIEDBERT PFLÜGER: DIE WELT IN ZEHN JAHREN Ein Blick voraus in Bezug auf Klimaschutz, Konflikte und Hoffnungsträger seite 31
Wie die Chemiebranche Kohlendioxid nutzt, um Erdöl zu ersetzen. Ein Gastbeitrag seite 40
MESSEN, BEAMEN, AUFRÜSTEN: DREI WEGE ZU STABILEN NETZEN
DIE TELEKOM WILDERT IM FREMDEN REVIER
JOBMARKT: WO SIND DIE GRÜNEN INGENIEURE? Die Erneuerbaren-Branche sucht neue Fachkräfte oft vergeblich seite 62 INSIDERHANDEL: UNTERSCHÄTZTES RISIKO Eine Umfrage unter europäischen Energiehändlern offenbart bizarre Sorglosigkeit gegenüber der neuen EU-Richtlinie seite 62
Wie der Windstrom von Nord- nach Süddeutschland fließen kann – auch ohne neue Stromnetze seite 44
Telekom-Chef Obermann drängt mit imposanter Schlagkraft in die angestammten Marktgebiete von Eon, RWE und Co. seite 54
INTERVIEW: PETER TERWIESCH
AUFSTEIGER UND ABSTEIGER DES MONATS: Volkmar Denner (Bosch) und Hans-Peter Villis (EnBW) seite 63
GRÜNE WEGBEREITER: PATENT DURCH DIE KRISE Einige Firmen verdienen trotz schwierigem Umfeld weiter gutes Geld mit Ökoenergie seite 58
Der ABB-Deutschland-Chef spricht über effiziente Stromspeicher, die Rolle Norwegens und gesellschaftliche Akzeptanz seite 48
EDITORIAL IMPRESSUM KURZ & GUT: MELDUNGEN ZAHL DES MONATS FOTO DES MONATS MAL GANZ GRUNDSÄTZLICH GEFRAGT
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„Grüner Kapitalismus“ BIZZ energy today Interview mit KfW-Chef Ulrich Schröder zur Finanzierung der Energiewende – und zur Bankenkrise _Das Gespräch führten JOACHIM MÜLLER-SOARES und NIELS HENDRIK PETERSEN
DIE KFW-BANK wurde 1948 als staatliche „Kreditanstalt für Wiederaufbau“ mit Sitz in Frankfurt am Main gegründet. Heute ist die KfW-Bankengruppe mit einer Bilanzsumme von rund 450 Milliarden Euro hierzulande das drittgrößte Kreditinstitut, nach der Deutschen Bank und der Commerzbank. Die KfW hat den Auftrag, Förderprogramme in den Bereichen Wirtschaft, Umwelt, Wohnen und Bildung zu unterstützen. Im vergangenen Jahr flossen knapp ein Drittel ihres Fördervolumens von 70,4 Milliarden Euro in Umwelt- und Klimaschutzprojekte.
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err Schröder, ist die Energiewende und insbesondere der Atomausstieg für die deutsche Wirtschaft ein segensreicher Innovationsmotor – oder ein Fluch? ULRICH SCHRÖDER: Die Energiewende ist ein historisches Projekt mit weitreichenden Auswirkungen. Kurzfristig werden wir uns sicherlich am stärksten mit der Frage der Energiesicherheit auseinandersetzen müssen. Hierin sehe ich das größte Innovationspotenzial für unsere Volkswirtschaft. Warum? SCHRÖDER:
Ein Ressourcen-Engpass und steigende Preise führen immer dazu, dass sich ein Unternehmen oder ein Privathaushalt mit der Frage beschäftigt: Wie komme ich mit weniger Ressourcen zurecht oder wie lassen sich alternative Ressourcen verfügbar machen? Dieser Prozess setzt in der Regel immer Ideen, Kreativität und Innovationen frei. Die Orientierung hin zu einer nuklearfreien Energieversorgung wird deshalb sicherlich Innovationsschübe bei neuen Verfahren zur Energieversorgung und zum effizienten Einsatz von Energie auslösen.
Welche Branchen und Unternehmen zählen Sie zu den Gewinnern der Energiewende – und wer sind die Verlierer? SCHRÖDER: Ich sehe weitaus mehr Gewinner als Verlierer. Stromkonzerne erscheinen zwar zunächst als Verlierer, werden sich aber künftig zu Gewinnern entwickeln. Sie müssen ihre Atomkapazitäten zwar derzeit zurückfahren, auf die sie in ihrer betriebswirtschaftlichen Planung gesetzt haben. Andererseits engagieren sie sich alle bereits auch im Bereich der erneuerbaren Energien und werden dort auch Erfolge verbuchen. Die Stadtwerke und Stadtwerksverbünde werden, wenn sie es richtig anpacken und die Rahmenbedingungen geschaffen werden, sicher auch zu den Gewinnern zählen. Ich erwarte eine gewisse Rekommunalisierung der Energieerzeugung. Was ist mit den Industriebranchen außerhalb der klassischen Energiewirtschaft? Wer wird dort profitieren? SCHRÖDER: Die Technologiekonzerne sind potenzielle Gewinner, aber auch sie müssen sich erst einmal umstellen. Wir sehen gerade, welche enormen technischen Hürden Konzerne wie
ULRICH SCHRÖDER begann seine Karriere 1983 bei der WestLB und stieg dort im April 2002 in den Vorstand auf. 2006 rückte der promovierte Jurist an die Spitze der NRW-Bank. Den Posten des KfWChefs übernahm Schröder am 1. September 2008 und beerbte Ingrid Matthäus-Maier. Die frühere SPD-Politikerin war nach dem Debakel um die angeschlagene IKB-Bank zurückgetreten, an der die KfW damals 38 Prozent hielt. Kurz nach Amtsantritt musste sich Schröder gleich mit der nächsten Panne auseinandersetzen: der Überweisung über 320 Millionen Euro an Lehman Brothers, als der Zusammenbruch der US-Investmentbank bereits bekannt war. Seitdem hat Schröder die KfW in deutlich ruhigeres Fahrwasser geführt. In der Berliner Politik ist er gut vernetzt, insbesondere in der CDU. Früh übt sich: 1974/75 war er Bundesvorsitzender des unionsnahen Studentenverbandes RCDS.
Repower, Areva und Siemens etwa im Bereich Offshore-Windkraft überwinden müssen. Der Maschinenbau wird in der Breite zu den Gewinnern zählen, insbesondere Firmen aus dem Mess- und Regeltechnikbereich. Auch für die Chemie- und Automobilbranche eröffnen sich viele neue Geschäftschancen. Die Branchen, in denen die deutsche Industrie auf den Weltmärkten führt, können und werden profitieren. Ich bin fest überzeugt: Die Energiewende wird Deutschland als Innovationsstandort stärken.
Konditionen bekommen wie heute – für kurze und mittelfristige Kredite. Aber für Unternehmen, die großvolumige, langfristige Investitionen wie im Rahmen der Energiewende finanzieren müssen, ist das Angebot an Krediten sehr schwach. Denn Banken können sich ihrerseits nicht ausreichend oder zumindest nicht zu vernünftigen Konditionen am Kapitalmarkt refinanzieren. Warum? SCHRÖDER:
Die Lage hat sich nach dem LehmanBrothers-Zusammenbruch im Jahr 2008 verändert: Vorher konnten Geschäftsbanken ihren Refinanzierungsbedarf verlässlich auf den Märkten decken. Heute herrscht viel Unsicherheit und Misstrauen auf den Märkten; die langfristige Refinanzierung der Banken leidet stark dar-
Werden Banken von der Energiewende profitieren? SCHRÖDER: Wir stehen vor einem Dilemma: Alle Energiewende-Investitionen sind langfristig. Ob Sie Stromtrassen oder Speicher bauen, Geld in neue Kraftwerke oder für Forschung und
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Fotos: Denny Rosenthal
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Entwicklung neuer Technologien investieren: Wir reden immer über Investitionen, die erstens langfristig und zweitens großvolumig sind ... ... und da herrscht die vielzitierte Kreditklemme? SCHRÖDER: Unternehmen haben in Deutschland zurzeit kein Problem im Bereich der kurz- und mittelfristigen Finanzierung. Hier sorgen die Banken, unterstützt durch kurzfristige Einlagen und die Tender der Europäischen Zentralbank für genügend Liquidität im Markt. Mittelständler haben in Deutschland noch nie so gute
unter. Die KfW als Förderbank hat allerdings eine Sonderposition: Da wir über eine Garantie des deutschen Staats verfügen, gelten unsere Anleihen auch in schwierigen Märkten als sichere Investition. Ebenso wie die Bundesrepublik Deutschland selbst können wir uns deshalb weiter außerordentlich gut auch im langfristigen Bereich refinanzieren. Dies ermöglicht es uns, der deutschen Wirtschaft nach wie vor langfristige und großvolumige Kredite zur Verfügung zu stellen.
Was muss passieren, damit Geschäftsbanken in diesem Langfristbereich wieder Fuß fassen? SCHRÖDER: Es braucht wieder Vertrauen der Investoren in Banken. Das ist leichter gesagt als umgesetzt. Investoren fragen sich: Welche Risiken stecken noch in den Bilanzen der Banken? Ich denke hier beispielsweise an die Folgen aus dem Platzen der Immobilienblasen in Spanien oder in Irland. Zudem ist die Bankenkrise auch eine Frage des mangelnden Vertrauens von Investoren in das Geschäftsmodell verschiedener Banken. Die aktuell niedrigen Kurse der Bankaktien spiegeln die Unsicherheit. Ich glaube, es wird noch einige Jahre dauern, ehe das Vertrauen in Banken wieder hergestellt ist und wir sagen können: Diese Bankenkrise ist endgültig überwunden.
dell beruht darauf, dass sie Kundengelder über lange Zeiträume wertbringend anlegen. Sie finden derzeit aber immer weniger langfristige, sichere Anlagen mit attraktiven Zinsen. Staatspapiere, in die sie früher sehr stark investiert haben, sind ihnen heute als Folge der Finanzkrise nicht sicher genug. Dort, wo Sicherheit gesehen wird, wie in Deutschland, liegen die Zinsen deutlich unter der garantierten Mindestverzinsung vieler Lebensversicherungen. Also suchen Versicherungen händeringend nach langfristigen und ordentlich rentierenden Investitionen. Versicherungen könnten in Infrastruktur investieren wie Netzausbau oder Windparks. Werden Sie diesen Schritt wagen?
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Also fallen die Banken als Finanziers der Energiewende in den kommenden Jahren leider aus? SCHRÖDER: Das ist mir zu spitz formuliert. Aber Banken werden sich einige Zeit nicht in dem von ihnen angestrebten Maße engagieren können. Wie ist das mit Finanzinvestoren und Versicherungen? Haben es die leichter als die Banken? SCHRÖDER: Die Versicherungen stehen vor ganz anderen Herausforderungen: Ihr Geschäftsmo-
SCHRÖDER:
Es gibt regulatorische Grenzen. Andererseits müssen Finanzierungen im Bereich der Energiewende auch so aufbereitet werden, dass sie für Versicherungen attraktiv sind. Das ist eine wichtige Aufgabe für die Bundesregierung und für Institutionen wie die KfW. Auf EU-Ebene wird aktuell in einer Pilotphase die Idee der Project Bonds getestet. Im Rahmen solcher Bonds will die EU-Kommission mithilfe der Europäischen Investitionsbank (EIB) das Anlagerisiko für Dritte reduzieren, in dem sie Teile der projektbezogenen Anleihen garantiert.
Und solche Project Bonds würden funktionieren? SCHRÖDER: Für die Versicherungen wird dadurch das Risiko prinzipiell überschaubarer und leichter zu tragen. Der Langfrist-Investor benötigt aber entsprechende Analysekapazitäten zur Bewertung des Anlagerisikos einer Project-Bond-Struktur. Stellen Sie sich vor, es geht um eine Investition in Höhe von 100 Millionen Euro, von denen Ihnen eine Förderbank 20 Millionen Euro abnimmt. Die restlichen 80 Millionen Euro würden Sie nur ausgeben, wenn Sie das Gefühl haben, dass dieses Geld sicher ist. Das müssen Sie analysieren und finanzmathematisch bewerten können. Der Project Bond allein reicht also nicht aus, er kann aber sehr wohl Teil der Antwort sein.
KfW: Insgesamt stellen wir fünf Milliarden Euro als Fremdkapital zur Verfügung. Dies ist so, weil insgesamt bei der OffshoreWindenergie technisches Neuland betreten wird: Installation und Betrieb von Windparks auf hoher See bergen viele potenzielle Risiken. Hier gibt die KfW als Förderbank über Risikoübernahmen Anreize, dennoch zu investieren. Bisher haben wir einen Windpark des Finanzinvestors Blackstone und einen Windpark von verschiedenen Stadtwerken finanziert, mit je rund 300 Millionen Euro. Zusätzlich engagieren wir uns über unsere Konzerntochter KfW IPEX-Bank. Sie ist eine der führenden Arrangeure bei der Offshore-Finanzierung in Europa. Sie bildet Konsortien von
Glauben Sie, dass Assekuranzen diesen Wechsel ihrer Anlagestrategie vollziehen werden? SCHRÖDER: Insgesamt handelt es sich um einen interessanten und wachsenden Markt. Daher bin sicher, dass etliche Investoren sich diesen Markt erschließen und die notwendigen Analysekapazitäten intern aufbauen werden. In persönlichen Gesprächen mit Vorständen und anderen Topmanagern spüre ich eine deutliche Offenheit für dieses Thema.
Fremdkapitalgebern und nutzt dabei auch das Fünf-Milliarden-Euro-Förderprogramm der KfW.
„Die Krise hat eine reinigende Wirkung.“
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Schlägt jetzt die Stunde der Private-Equity-Fonds? Sie brauchen für eine Finanzierung immer beides: Eigen- und Fremdkapital. Der größte Engpass bei der Energiewende liegt nach meiner Beobachtung derzeit beim Fremdkapital und nicht im Eigenkapital-Bereich, in dem die Private-Equity-Fonds tätig sind. Zudem stehen natürlich auch die großen Energieunternehmen oder die Stadtwerksverbünde als Eigenkapitalgeber bereit, etwa für Offshore-Windparks.
Lassen Sie uns über die Anlagestrategie der KfW sprechen. Sie haben 2006 die Principles for Responsible Investments der Vereinten Nationen (UN-PRI) unterschrieben. Welche praktischen Konsequenzen hat das? SCHRÖDER: Wir sind damit verpflichtet, im Investmentbereich Ökologie-, Sozial- und Unternehmensführungsthemen in die Analyse- und Entscheidungsprozesse einzubeziehen.
SCHRÖDER:
Apropos: Was bietet die KfW als Förderbank für den Ausbau der Offshore-Windparks? SCHRÖDER: Zunächst läuft das Offshore-WindFörderprogramm der Bundesregierung über die
Schröder, BIZZ energy today Redakteure Müller-Soares (li.) und Petersen
Für das Management unseres Liquiditätsportfolios, das rund 20 Milliarden Euro beträgt, haben wir daher ein eigenes Investitionskonzept entwickelt, bei dem die Emittenten neben der Bonitätsbewertung auch einer eingehenden Nachhaltigkeitsbewertung unterzogen werden. Daraus wird ein Ranking erstellt und – vereinfacht gesagt: Denjenigen 20 Prozent der Emittenten, die am unteren Ende des Rankings stehen, wird das Limit um 30 Prozent gekürzt. Im Ergebnis ist unser Anlagebestand zunehmend nachhaltig und unsere Strategie so ausgelegt, dass sie eine nachhaltige Ausrichtung der Emittenten fördert. Richten sich deutsche und ausländische Geschäftsbanken auch nach diesen Grundsätzen? SCHRÖDER: Sie agieren ähnlich. Die Orientierung an ethischen und nachhaltigen Kriterien wird
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immer mehr zu einer wichtigen Leitlinie von Banken. Wird der Kapitalismus jetzt grün? SCHRÖDER: Ich hoffe es und vieles spricht dafür, dass er in vielfacher Sicht nachhaltiger wird. Das ist eine positive Folge der Finanzkrise und der daraus resultierenden Diskussionen in den vergangenen Jahren. Letztlich trägt auch die öffentlichkeitswirksame Occupy-Bewegung dazu bei. Die Rolle der Banken, ihre Vergütungsstrukturen und vieles mehr stehen auf dem Prüfstand. Die Krise hat auch eine reinigende Wirkung und führt zur Rückbesinnung auf ethische und ökologische Werte. Das finde ich gut. Natürlich wird auch künftig nicht alles perfekt sein. Der Kapitalismus eröffnet viele Freiheiten, das muss auch so bleiben. Sind Banker und Finanzinvestoren ökologischer orientiert als Manager aus anderen Industriebranchen? SCHRÖDER: Nein, dafür sehe ich keine Anzeichen. Ich glaube aber, dass sich die Finanzmärkte der Realwirtschaft wieder annähern. In den letzten zwanzig Jahren ist eine Kluft entstanden.
Die Transaktionsvolumina der Finanzmärkte wurden im Vergleich zu denen in der Realwirtschaft immer höher. Das ist für mich auch der Kern der Vorwürfe an Banken und Finanzmärkte. Diese Entwicklung führte zu höheren Risiken, die am Ende die gesamte Gesellschaft abfedern muss – das ist ja das fatale Ergebnis der Bankenkrise. Jetzt gibt es eine Rückbesinnung unter den Bankern. Sie ist zum Teil regulatorisch erzwungen, zum Teil wächst sie aber auch aus eigener Verantwortung. Die Langfassung dieses Interviews auf: www.bizzenergytoday.com
Die neue Unübersichtlichkeit Eine Zwischenbilanz der Energiewende, mit einer Anleihe beim Philosophen Habermas _von MATTHIAS KURTH
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W MATTHIAS KURTH war bis Februar 2012 elf Jahre lang Präsident der Bonner Bundesnetzagentur und in dieser Funktion der oberste Regulator für Strom, Gas, Telekommunikation, Post und Eisenbahnen. Zuvor war er Topmanager bei der Firma Colt Telecom und WirtschaftsStaatssekretär in Hessen unter dem späteren Bundesfinanzminister Hans Eichel. Der Jurist, seit 1968 SPD-Mitglied, lebt heute wie damals in Dreieich im Landkreis Offenbach, für den er von 1978 bis 1994 im Hessischen Landtag saß.
as soll die Energiewende nicht alles erreichen ? Sie soll die Kernenergie überflüssig machen, hundert Prozent der Stromerzeugung auf erneuerbare Erzeugung umstellen und das Klima retten. Sie soll Innovations- und Exportschlager der deutschen Wirtschaft sein, Arbeitsplätze erhalten und neue schaffen. Sie soll die Bürger statt der Oligopole an den Gewinnen der Stromerzeugung beteiligen, energieautarke Kommunen und Länder schaffen und so die Stromerzeugung dezentralisieren und demokratisieren. Sie soll die Stromkosten bezahlbar halten, für private Haushalte ebenso wie für stromintensive Industriebetriebe. Kurzum: Die Energiewende ist das ideale Zukunftsprojekt schlechthin. Tatsächlich ist die Energiewende bislang vor allem eines: verwirrend. Sie ist ein Paradebeispiel für „Die neue Unübersichtlichkeit“, die
der Frankfurter Sozialphilosoph Jürgen Habermas in seinem 1985 erschienen Buch mit diesem Titel beschrieben hat. Schon werden die ersten enttäuschenden Erfahrungen gesammelt. Die Insolvenzen und Arbeitsplatzverluste in der Solarbranche vor allem in den neuen Bundesländern gehören dazu. Sie zeigen, dass trotz immenser Förderung nicht überall nachhaltige Jobs entstanden. Statt jetzt Schutzzölle oder Inlandskomponenten bei der Förderung einzuführen, sollte man auf Kooperationen und Zusammenarbeit mit den Schwellenländern setzen, auch mit China. Wie das geht, zeigt der US-Konzern
Apple eindrucksvoll. Er lässt seine iPhones in China montieren und ist auch deshalb so erfolgreich. Man muss auf die Felder setzen, in denen bestehende Innovationsvorsprünge gehalten werden können. Das ist offensichtlich beim Maschinenbau und in der Automobilindustrie der Fall, aber zum Beispiel auch bei Wechselrichtern, mit deren Hilfe Solarstromanlagen ans Netz angeschlossen werden. Nicht nur die Solar-, sondern auch die Windbranche spürt heftigen internationalen Wettbewerb. Doch das Bild ist hier differenzierter. Im Onshore-Bereich können diejenigen Hersteller, die gleichzeitig auch die Windparks errichten und betreiben, durch die garantierten Einspeisevergütungen des Erneuerbaren-Energien-Gesetzes (EEG) mit diesem (Preis-) Druck gut umgehen. Das gilt freilich nicht für den Bereich Offshore. Er ist im wahrsten Sinne des Wortes
tisch. Die Chance, das effizienteste und damit volkswirtschaftlich preiswerteste System erneuerbarer Energien zu schaffen, sind gering, so lange Kürzungen und Veränderungen der EEGFörderung vor dem Vermittlungsausschuss zwischen Bund und Ländern landen. Dort ist eher das altbekannte basarmäßige Geschacher zu erwarten, als eine sinnvolle Koordinierung der Energiepolitik im gesamteuropäischen Kontext.
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eine permanente Baustelle. Da wir uns in Deutschland aus Naturschutzgründen entschieden haben, die Windräder besonders weit draußen ins Meer zu stellen, sind nicht nur die Kosten hoch, sondern auch die Probleme beim Errichten der Parks und der landseitigen Anbindung alles andere als trivial. So fehlen Verlegeschiffe. Es gibt nur wenige Kabelproduzenten, und die sind teuer. Bei ungünstigem Wetter stockt der Bau der Windräder ganz und gar. Trotz aller Probleme: Langfristig bietet der Offshore-Bereich bessere Stromausbeute und Innovationschancen. Das große Plus gegenüber Onshore ist, dass die Räder einfach doppelt so lange laufen und weit mehr Strom produzieren werden als Anlagen, die man in Bayern, Baden-Württemberg oder Hessen aufstellt. Apropos: Unsere 16 Bundesländer starten gerade einen Wettlauf, wer die Erneuerbaren schneller ausbaut. Das ist unter dem Gesichtspunkt der Effizienz eher kontraproduktiv. Wenn wir schon hierzulande die Solarenergie forcieren, trotz geringer Sonnenstrahlung im Vergleich etwa zu Südeuropa und Nordafrika, dann sollten wir wenigstens beim Wind europäisch agieren, anstatt deutsch-föderalis-
Hier sind wir im Zentrum der Unübersichtlichkeit und Widersprüchlichkeit der Energiewende. Längst gibt es immer größere Kreise von finanziellen Gewinnern der Energiewende. Die sind, in den Worten des bayerischen Landwirtschaftsministers, am „Reibach“ beteiligt oder wollen zumindest noch beteiligt werden. Das sind nicht nur Kapitalmarktfonds mit beachtlichen Renditen, sondern auch Landwirte, die im Schnitt schon rund 15 Prozent ihrer Einnahmen mit Energieerzeugung erzielen.
Neuerdings gehören dazu auch Bürger, die mit finanziellen Beteiligungsmodellen zur Akzeptanz neuer Windanlagen bewogen werden sollen. Kein Wunder also, dass die Bundesregierung auch bei den ihr nahestehenden Landesregierungen auf Widerstand trifft, wenn sie die EEG-Förderung kürzen will. Hier rächt sich, dass man keine nachhaltige und langfristige Umsteuerung eingeleitet hat. Auch beim Netzausbau wurden Probleme lange verdrängt. Nun hat die Bundesregierung Maß-
als Akteur ins Spiel gebracht. Man stelle sich mal folgendes Szenario vor: Die niederländische Regierung privatisiert ihre Netzgesellschaft Tennet und dann steigt der deutsche Staat, trotz Schuldenbremse, direkt oder indirekt in das Netzeigentum ein. Das wäre schon paradox. Dabei ist der Zeitpunkt jetzt günstig, um Pensionsfonds und Lebensversicherungen für die Netzinvestitionen zu gewinnen. So könnte eine Art Deutsche Netz AG entstehen, die den Ausbau koordiniert, beschleunigt und finanziert. Ein ähnlicher Plan ist zwar vor ein paar Jahren gescheitert. Das darf aber jetzt nicht als Vorwand dienen, eine Deutsche Netz AG unter neuen Vorzeichen und mit anderen Eigentumsstrukturen nicht noch einmal anzugehen. Last but not least: Strompreise müssen bezahlbar bleiben. Energieintensive Industrien und seit neuestem auch immer mehr Stromgroß-
nahmen eingeleitet: Bis Ende 2016 sollen die für die Energiewende zusätzlich benötigten Leitungen einsatzbereit sein. Dieses Ziel ist ambitioniert. Viele Stromabnehmer sitzen traditionell im Süden der Republik, die Erzeugungsschwerpunkte liegen künftig in Norddeutschland – egal, ob die Windenergie offshore oder onshore ausgebaut wird. Die Kosten des Netzausbaus dürften mehr als 60 Milliarden Euro betragen. Es gibt zwar ausreichende Renditen und Anreize für Investitionen. Aber die hauptsächlich betroffene Netzgesellschaft Tennet und ihr Eigentümer, die Regierung der Niederlande, haben mehrfach auch öffentlich erkennen lassen, dass sie auf Dauer nicht gewillt sind, alle notwendigen Leitungen zu finanzieren – zumindest nicht allein. Es hat zu diesem Problem bereits zahlreiche Gespräche gegeben, bis hin zu Gipfeltreffen bei der Bundeskanzlerin. Dabei haben merkwürdigerweise auch CDU-Ministerpräsidenten den Staat oder zumindest die Staatsbank KfW
verbraucher werden durch ein schwer durchschaubares Regelgeflecht von der EEG-Umlage und den Netzkosten ganz oder zumindest teilweise befreit. Diese Kosten werden aber nur auf gewerbliche Kunden und private Verbraucher verlagert. Das Versprechen, die EEG-Umlage auf höchstens 3,5 Cent pro Kilowattstunde zu begrenzen, kann schon heute nicht gehalten werden. Die Mittelfristprognose lässt weitere erhebliche Steigerungen erwarten. Berliner Politiker verniedlichen diese Entwicklung gerne mit Sprüchen wie: „Die Energiewende ist nicht zum Nulltarif zu bekommen“. Ob man die Bürger damit auf Dauer beruhigen kann, bleibt abzuwarten. Solche wenig durchdachten Antworten und Lösungsansätze sind Teil der neuen Unübersichtlichkeit. Immer öfter ertönt inzwischen der Ruf nach einem Masterplan der Energiewende, einem zentralen Management oder einem Energieminister. Doch der kann alleine wenig ausrichten, so lange Bundesländer die Energiepolitik zu ihrer eigenen Profilierung nutzen. Wir brauchen klare Analysen, Mut zu Prioritäten, zu strukturierten und raschen Entscheidungen. Die Zeit des nebulösen Zweckoptimismus muss ein Ende finden.
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Obermanns Rache Der Telekom-Vorstandschef drängt mit imposanter Schlagkraft in die angestammten Marktgebiete von Eon, RWE und Co _von REINHARD KOWALEWSKY
W
enn Telekom-Chef René Obermann in den Angriff geht, kleidet er sein Ansinnen gerne in wohlfeile Worte – wie „Coopetition“. Diese sprachliche Mischung aus Cooperation (Kooperation) und Competition (Wettbewerb) nutzt Obermann gern, um seine Strategie zu erläutern: „Wir werden uns an coopetition gewöhnen müssen“. Dabei geht es besonders um Competition. Oder sogar auch um Rache? Fest steht: Die Telekom hat mit den Energieriesen noch eine Rechnung offen. Zum Start der Liberalisierung des deutschen Telefonmarktes vor 15 Jahren nutzten RWE und Eon-Vorgänger Veba ihre riesigen Rückstellungen, um mit sieben Milliarden Mark den eigenen Telefonkonzern Otelo inklusive des Mobilfunkablegers E-Plus aufzubauen. Das trieb die Preise in Deutschland massiv nach unten – zum Leidwesen der Telekom. Mittlerweile ist Otelo nur noch eine Marke des britischen Weltkonzerns Vodafone und E-Plus ein Ableger des holländischen Telefonunternehmens KPN. Die deutschen Stromanbieter haben sich aus dem Telefongeschäft zurückgezo-
gen. Jetzt beginnt die Revanche. Obermann drängt in den Markt der Energiedienstleistungen und Mini-Kraftwerke. Auch zu diesem Zweck hat sich Obermann vor einem Jahr in den Aufsichtsrat von Eon wählen lassen: So hat er Einblick in dessen Interna und kann die Coopetition zwischen beiden Konzernen fördern – nach seinem Gusto. Konzernintern hat sich Obermann seit Januar Innovationsthemen als persönliche Zuständigkeit im Vorstand gesichert. Strategie: Er will sich in den Bereichen Medizintechnik, Mobilität und Energie an einer Reihe kleiner Firmen beteiligen, die dann neue Geschäfte aufbauen. „Die Telekom hat sich klarer als viele Wettbewerber entschieden, höherwertige Dienstleistungen aufzubauen“, lobt Roman Friedrich, Strategieexperte bei der Beratungsfirma Booz & Company: „Die wollen nicht als reiner Transporteur von Bits und Bytes enden.“ Vier Trends flankieren Obermanns Vorstoß ins Energiegeschäft. Erstens erzwingt die Energiewende einen dezentralen und flexiblen Betrieb von Stromnetzen und Kraftwerken. Dazu sind die vielzitierten „Smart Grids“ notwendig. Deren Vernetzung und Steuerung können
die Stromkonzerne nicht alleine organisieren – fast jeder Stromverbraucher und erst recht jeder Anbieter muss an ein digitales Informationsnetz angeschlossen sein. Zweitens verdienen Telekomkonzerne generell im klassischen Geschäft rund um Telefonie, DSL und Mobilfunk immer weniger Geld – sie suchen neue Märkte. Drittens macht die Digitalisierung traditionelle Jobs überflüssig – bei der Telekom drängt die mächtige Gewerkschaft Verdi massiv auf den Aufbau neuer Geschäfte, um drohende Entlassungen zu verhindern. Das Management wiederum lastet die überzähligen Techniker lieber aus, als Telekom-übliche, extrem teure Abfindungen oder Frühpensionierungen zu zahlen. Und viertens wollen die Telefonunternehmen unbedingt verhindern, dass ihre digitalen Netze von anderen Firmen für lukrative Deals genutzt
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werden, während sie selbst nur relativ niedrige, regulierte Durchleitungsgebühren erhalten. „Es kann nicht sein, dass andere wenig investieren und viel verdienen, wir aber viel investieren und weniger verdienen“, wetterte Obermann im Februar vor Branchenkollegen auf einer Konferenz in Barcelona: „Dieses Missverhältniss kann nicht bleiben.“ Das Geschäftsfeld der Energie wollen auch andere Telekommunikationsanbieter erobern – insbesondere Vodafone, hierzulande zweitgrößter Telefonieanbieter mit einem Jahresumsatz von 9,3 Milliarden Euro – hinter der Telekom mit 25 Milliarden Euro.Vodafone verhandelt mit potenziellen Partnern, um Energieanlagen digital zu steuern: meistens per Mobilfunk, manchmal auch per Festnetz. Ein Pilotprojekt für Elektroautos betreibt Vodafone im Verbund mit RWE. Und zusammen mit dem US-französischen Netzanbieter Alcatel-Lucent bietet Vodafone intelligentes Auslesen von Stromlesern ab. Doch während sich Vodafones DeutschlandChef Fritz Joussen bisher eher als reiner Kommunikationspartner der Energieriesen sieht, positioniert sich Telekom-Boss Obermann deutlich kämpferischer. Er hat eine eigene Geschäfts-
einheit nur für den Vorstoß in das Energiegeschäft aufgebaut, die gemeinsam mit neuen Einheiten für Medizintechnik und die Vernetzung von Autos bis 2015 mindestens eine Milliarde Euro erwirtschaften soll. Dafür gibt es mehrere Gründe: Zum einen hat Obermann mit T-Systems eines der größten Computertechnik-Unternehmen der Welt im eigenen Konzern; Spartenchef Reinhard Clemens genießt in der Branche weltweit einen guten Ruf. Zum anderen besitzt der Ex-Monopolist weiterhin ein Festnetz in alle Haushalte Deutschlands – damit kann er rein technisch umfassendere Lösungen anbieten. Zudem sucht Obermann dringend neue Märkte daheim: Im Gegensatz zu Vodafone besitzt er nämlich keine Konzerntöchter in Wachstumsmärkten wie Indien oder Südafrika. „Wir stecken noch tiefer als unsere Konkurrenten in einer Wachstumsfalle“, resümiert ein Telekom-Aufsichtsrat, der verständlicherweise nicht genannt werden will. Und so drängt Obermann aggressiv in bundesdeutsche Haushalte. Bereits vor zwei Jahren kürte Obermann zu diesem Zweck Gabriele Riedmann de Trinidad zur Leiterin des Ge-
RWE die Kommunikationsboxen für 15.000 Smart Meter in Mühlheim installieren werde. Aus Cooperation wird dabei künftig immer häufiger Competition. Das zeigen seit April auch die neuen „Zuhause-Kraftwerke“ der Telekom. Diese Mini-Blockheizkraftwerke können gleichzeitig Strom und Wärme produzieren und über das Telekom-Netz in Sekunden hoch- und runtergesteuert werden – zum Lastspitzenausgleich. Diese Anlagen für Hausbesitzer nennt Obermann „virtuelle Kraftwerke“. Fast könnte man meinen, der mit TV-Moderatorin Maybrit Illner verheiratete Medienprofi Obermann wolle sein neues Projekt mit diesem Fachbegriff verklären, um die Stromkonzerne einzulullen. Tatsächlich sind die Geschäftschancen nicht „virtuell“ – sondern sehr real. Die Bundesregierung befeuert sie mit bis zu 3.450 Euro pro installierter Anlage und will den Anteil von Blockheizkraftwerken
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schäftsfeldes Energie. Die Dame sprüht geradezu vor Selbstbewusstsein: „Kein anderes Unternehmen in Deutschland kann auf ein so hohes Netz an Servicetechnikern zurückgreifen, um in jedem der 40 Millionen deutschen Haushalte Smart Meter zu installieren und zu warten.“ Einige Projekte geben bereits einen Vorgeschmack auf die Zukunft. So ließ iPhone-Fan Obermann die App Stromboxx entwickeln, um Heizkosten per Handy oder Computer zu sparen. Der Anwender steuert das mit Funk versorgte Heizungsthermostat laut Telekom-Angaben manuell oder mit Zeitschaltuhr. In Emden stattete die Telekom mehr als 100 Haushalte mit intelligenten Strom- und Gaszählern aus. Die Daten werden verschlüsselt übertragen, damit Hacker nicht herausfinden, wer gerade nicht zu Hause ist und dann möglicherweise zum Beispiel Jalousien per geknackter Online-Steuerung öffnen. In Friedrichshafen am Bodensee erprobt die Telekom unter dem Motto „T-City“ den Einsatz von intelligenten Zählern. Bundesweit will sie bis zu 100.000 Geräte des Messstellenbetreibers Voltaris digital anschließen. Und gerade erst verkündete die Telekom, dass sie im Auftrag von
am Strommix von derzeit 16 Prozent bis 2020 auf 25 Prozent hochfahren. Heruntergedrosselt werden im Gegenzug die Atommeiler von Eon, RWE, ENBW und Vattenfall. In den dortigen Vorstandsetagen nimmt man Obermanns Vorstoß sehr ernst. Kein Wunder: Die Telekom kann dank ihrer enormen Vertriebskraft auf Dauer mit ihren Kleinkraftwerken ein eigenständiger Player im Energiemarkt werden. Fazit: Die Stromkonzerne werden sich an Coopetition gewöhnen müssen – nach den Regeln von René Obermann.
ZUR TELEKOM HAT UNSER AUTOR REINHARD KOWALEWSKY EIN BESONDERES VERHÄLTNIS. Als Redakteur beim Monatsmagazin Capital veröffentlichte er zwischen 1999 und 2009 immer wieder Insidergeschichten über den Konzern. Die erzürnten Vorstand und Aufsichtsrat derart, dass der Werkschutz in einer geheimen Aktion auf ihn angesetzt wurde – die folgende illegale Überwachung von Kowalewskys Telefonen war Kern der 2008 aufgeflogenen„Telekom-Spitzelaffäre“. Der 52-Jährige studierte Volkswirtschaft, Politik und Geschichte in Köln und Pennstate, USA. Er war zunächst Energieexperte der „Wirtschaftswoche“, danach Pressechef des von Eon-Vorgänger Veba und RWE gegründeten Telefonablegers Otelo. Von dort wechselte er zu Capital. Seit 2009 ist Kowalewsky Reporter bei der „Rheinischen Post“, Deutschlands zweitgrößter Regionalzeitung.
MAL GANZ GRUNDSÄTZLICH GEFRAGT ...
Foto: acatech – Deutsche Akademie der Technikwissenschaften
... HENNING KAGERMANN
HENNING KAGERMANN war zwischen 1998 und 2009 Vorstandschef des Softwarekonzerns SAP. Seitdem ist er Präsident der Deutschen Akademie der Technikwissenschaften (Acatech) und führt zusätzlich seit 2010 die von der Kanzlerin gegründete Nationale Plattform Elektromobilität. Zudem ist der habilierte Physiker ordentlicher Professor an der TU Braunschweig.
Herr Kagermann, wo entsteht Innovation? HENNING KAGERMANN: Vor allem an den Schnittstellen zwischen zwei abgeschlossenen Bereichen – und nicht mehr wie früher innerhalb eines Bereiches. Ein gutes Beispiel ist die IT-Branche: Sie hat die größte Innovationskraft an den Schnittstellen zu anderen Technologien. Nehmen Sie die Gesundheitskarte, die Ärzte, Krankenkassen und IT-Firmen zusammen entwickeln, oder die Kooperation von IT und Geowissenschaften bei der Auswertung von Satellitendaten für die Präzisionslandschaft. SAP etwa ist durch Innovation an der Schnittstelle zwischen IT und Betriebswirtschaft groß geworden. Funktioniert dieses Innovations-Konzept auch bei der Energiewende? KAGERMANN: An einem Baustein der Energiewende zeigen wir das bereits – der Elektromobilität. Da sind mindestens sieben Branchen miteinan-
der verzahnt. Die Chemie entwickelt Batterien, Textil Carbonfasern und Metall arbeitet an Leichtbaumaterialien. Ausrüster liefern Informations- und Kommunikationstechnik. Die Energiewirtschaft stellt Ladestationen bereit. Und die Automobilbranche ist beim Thema Elektromobilität mitten drin. Branchen, die früher nichts oder wenig miteinander zu tun hatten, müssen jetzt kooperieren. Das fördert die Schnittstellenkultur in der Wirtschaft. Inwieweit müssen Wirtschaft und Politik dabei kooperieren? KAGERMANN: Eine nachhaltige Industriepolitik ist oft Innovationspolitik, die an den Schnittstellen ansetzt. Um im Beispiel zu bleiben: Wir wollen nicht nur Elektroautos auf unseren Straßen, wir wollen sie bauen und exportieren und dabei Jobs und Wertschöpfung in Deutschland schaffen – auch in der Batterieproduktion. Dazu müssen Branchen vorwettbewerblich kooperieren. Für Innovationspolitik an den Schnittstellen benötigt man konzertierende Plattformen: Privatwirtschaftliche und öffentliche Investitionen müssen zusammenpassen. Die Fragen stellte Joachim Müller-Soares.