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Der genetische Finger abdruck in der Forensik: Genanalyse gestern, heute und morgen

GENANALYSE GESTERN, Vor 37 Jahren revolutionierte die Genanalyse die HEUTE Kriminaltechnik, seit 2005 regelt in der Schweiz das DNA-Profil-Gesetz ihren Einsatz. Geht es nach dem Bundesrat, soll die DNA-Analyse mittels Zulassung der DNA-Phänotypisierung UND künftig eine weitaus potentere Rolle spielen. Wir beantworten die zehn wichtigsten Fragen. MORGEN

Pop Tika Shutterstock

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Der Bundesrat gibt Gas beim Thema DNAPhänotypisierung: Strafverfolgungsbehörden sollen künftig weit mehr Informationen aus DNASpuren extrahieren und für Ermittlungszwecke nutzen dürfen als bisher. Die Botschaft zur Änderung des DNAProfilGesetzes, die der Bundesrat als Antwort auf die Motion 15.4150 «Kein Täterschutz für Mörder und Vergewaltiger» von Altnationalrat Albert Vitali (FDP/LU) erarbeitete (siehe Box Seite 47), wurde am 4. Dezember 2020 zuhanden des Parlaments verabschiedet.

Das Gesetz würde der Schweiz nicht weniger als einen Paradigmenwechsel in der polizeilichen Ermittlungsarbeit bescheren – und der Genanalyse käme eine neue Rolle zu. Statt wie bisher nur dazu zu dienen, Verdächtige mittels DNAAbgleich zu identifizieren oder auszuschliessen, würde der genetische Fingerabdruck zum potenten Ermittlungswerkzeug, mit dem äusserliche Merkmale unbekannter Personen abgeschätzt und die Herkunft nicht identifizierbarer Opfer eingegrenzt werden könnte. Das wäre der zweite Quantensprung der genetischen Forensik – nach der Entwicklung der Genanalyse durch den Briten Sir Alec Jeffreys anno 1984.

» Diese Autoradiografie des ersten, von Sir Alec Jeffreys von der University of Leicester angefertigten genetischen Fingerabdrucks markierte 1984 einen Quantensprung für die kriminalistische Forensik.

1. Welche Änderungen sind geplant?

Insgesamt sind drei wesentliche Änderungen vorgesehen. Am wenigsten revolutionär – auch wenn die administrativen Aufwände markant sinken werden – ist die Vereinfachung der Löschregelung von DNAPersonenprofilen. Deren Aufbewahrungsdauer in der DNADatenbank soll künftig einmalig im Urteil festgelegt werden und einzig noch bei Verwahrungen und therapeutischen Massnahmen vom Vollzug der Sanktion abhängig bleiben.

Die zweite Änderung ist eher technischer Natur: Gestützt auf die Rechtsprechung des Bundesstrafgerichts soll die Suche nach Verwandtschaftsbezug explizit im Gesetz verankert werden. Finden Ermittler beim Abgleich einer DNASpur in der DNADatenbank keinen Treffer und sind alle weiteren bisherigen Ermittlungen ergebnislos verlaufen, soll ein erweiterter Suchlauf klären helfen, ob in CODIS Personen vermerkt sind, die mit der Person, von der Spuren gefunden wurden, verwandt sein könnten. So wird die Chance eröffnet, die gesuchte Person unter diesen Verwandten zu identifizieren. Ein solcher zusätzlicher Suchlauf soll nur für die Aufklärung von Verbrechen (Freiheitsstrafe von mehr als drei Jahren; etwa Vergewaltigung, Mord oder Raub) zulässig sein und müsste durch die Staatsanwaltschaft angeordnet werden.

Die dritte Änderung ist die wichtigste: Ebenfalls nur im Fall von Verbrechen sowie auf Anordnung der Staatsanwaltschaft soll die DNAPhänotypisierung, die Rückschlüsse auf Aussehen, Alter und biogeografische Herkunft eines Menschen zulässt, erlaubt werden. Damit will der Bundesrat, so seine Botschaft, «eine ermittlungstechnische Lücke schliessen, damit die Strafverfolgungsbehörden ihre Ermittlungsarbeit besser und rascher fokussieren können».

2. Was darf die DNA-Analyse heute?

Bis dato ist das Erstellen eines DNAProfils zur Aufklärung von Vergehen (Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe) und Verbrechen zulässig. Angeordnet wird sie durch die Staatsanwaltschaft (Erstellen des DNAProfils einer bestimmten Person) oder durch die Polizei (Erstellen eines Profils aus einer Spur). Dabei werden nur «nichtcodierende» Bereiche der DNA, die mit keinen persönlichen Eigenschaften verknüpft werden können, untersucht. Überdies dürfen DNAProfile nur zu zwei Zwecken verwendet werden: für einen Abgleich mit der DNADatenbank CODIS und zur Ermittlung des Geschlechts der spurengebenden Person.

3. Was soll die DNA-Analyse künftig dürfen?

Künftig sollen Ermittler auch «codierende» Bereiche der DNA analysieren und daraus äusserlich sichtbare Merkmale einer Person ableiten dürfen. Welche Merkmale dies betrifft, soll im Gesetz abschliessend festgelegt werden, wobei der Bundesrat spätere Ergänzungen nicht ausschliesst, falls in Zukunft weitere äusserliche Merkmale zuverlässig aus DNAProben herausgelesen werden können.

4. Welche Grenzen sollen gelten?

Das neue Gesetz definiert drei Leitplanken: Die DNAPhänotypisierung soll nur im Fall von Verbrechen zugelassen sein. Sie muss durch die Staatsanwaltschaft angeordnet werden. Das Analyseergebnis darf nur für die Ermittlungen in einem konkreten, aktuellen Fall verwendet werden. Es dürfte daher nur in den Ermittlungsakten des konkreten Falls vermerkt und nicht in der DNADatenbank CODIS gespeichert werden.

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» Wie gut DNA-Phänotypisierung heute schon funktionieren kann, zeigt dieses Muster des US-amerikanischen Unternehmens Parabon NanoLabs Inc.

5. Welchen Nutzen erhoffen die Befürworter?

Aus DNASpuren gewonnene Informationen zu äusseren Merkmalen einer Person können wertvolle Hinweise für die Ermittlungsarbeit liefern. Es entsteht ein präziseres Bild der Zielperson, der potenzielle Täterkreis (z. B. Asiate, ca. 50 Jahre alt) wird eingegrenzt, die Fahndungsarbeit fokussiert.

Info

So funktioniert die DNA-Phänotypisierung

Unser Aussehen ist, wie unser Geschlecht, genetisch bedingt. Allerdings sind die Beziehungen zwischen unserem Erbgut (Genotyp) und unserem Aussehen (Phänotyp) komplex. Die Erbsubstanz verschiedener Menschen ist einerseits zu 99,5 Prozent identisch. Andererseits ergeben sich – angesichts von mehr als drei Milliarden Basenpaaren, aus denen die menschliche DNA besteht – selbst bei nur 0,5 Prozent Variation Millionen von Unterschieden. Wie gewisse Muster oder Unterschiede in der DNA-Sequenz mit bestimmten Variationen des Aussehens korrelieren, wird mit genomweiten Assoziationsstudien, also Statistiken ermittelt. Daher sind auf einer DNA-Sequenzierung basierende Prognosen über das Aussehen eines Menschen immer nur mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit möglich. Je besser die Forschung den genetischen Code des Menschen verstehen lernt und umso mehr Daten in die Statistiken einfliessen, desto exaktere Aussagen werden möglich. Neben Augen-, Haut- und Haarfarbe, Alter und biogeografischer Herkunft sollen künftig noch weitere Merkmale bestimmt werden können: Beschaffenheit der Haare (lockig, kraus oder glatt), Vorhandensein von Sommersprossen, Neigung zu Haarausfall oder Kahlköpfigkeit, Form der Ohrmuschel, Körpergrösse sowie Gesichtsform respektive Aussehen und Grösse von Nase, Stirn, Kinn und Wangenknochen. Auch wenn es noch Jahre dauern wird: Das DNA-basierte Phantombild wird irgendwann kommen.

6. Welche Risiken befürchten die Kritiker?

Laut der 2020 von der Stiftung für Technologiefolgenabschätzung TASwiss publizierten Studie «Neue Anwendungen der DNAAnalyse: Chancen und Risiken» (Gesamtausgabe und Kurzversion auf www.taswiss.ch als PDF downloadbar) besteht das Risiko «uneindeutiger» Ergebnisse. Aktuell sei es «unrealistisch», zu erwarten, man könne aus einer DNAAnalyse ein Phantombild erstellen. Andererseits könnten Unschuldige lediglich aufgrund ihres Aussehens oder ihrer Herkunft ins Visier von Ermittlungen geraten. Stichworte dazu sind Racial Profiling und Rassismus. TASwiss empfiehlt daher, «die Vorteile und Risiken der DNAPhänotypisierung gesellschaftlich zu diskutieren und – im Sinn einer verhältnismässigen Nutzung – auszuhandeln» Überdies gelte es, «die Anwendungsfälle und Merkmale, für welche die Methode genutzt werden darf, genau festzulegen».

7. Wo wird die Methode bereits genutzt?

Als erste Nation der Welt schufen die Niederlande 2003 eine Rechtsgrundlage für die DNAPhänotypisierung. In Deutschland trat am 12. Dezember 2019 der aktualisierte Art. 81e Strafprozessordnung (StPO), Absatz 2, Satz 2 in Kraft: «Ist unbekannt, von welcher Person das Spurenmaterial stammt, dürfen zusätzlich Feststellungen über die Augen, Haar und Hautfarbe sowie das Alter der Person getroffen werden.» Im Freistaat Bayern darf die DNAPhänotypisierung seit der Novelle des bayerischen Polizeiaufgabengesetzes 2018 angewendet werden. Zwar nur zur Gefahrenabwehr (vorbeugend) und zu Zwecken des Personenschutzes, dafür aber inklusive der Ermittlung der biogeografischen Herkunft. Die StPO klammert diese explizit aus. In der Slowakei dürfen seit Mai 2018 äusserliche Merkmale zur Klärung besonders schwerer Delikte gegen Leib und Leben, die Freiheit und die menschliche Würde sowie zur Identifizierung einer Leiche oder abgetrennter Körperteile ausgewertet werden. In Grossbritannien und den USA, aber auch in Frankreich, Schweden, Polen, Spanien, der Tschechischen Republik und Ungarn wird das Verfahren angewendet, weil das Gesetz die

DNAAnalyse nicht ausdrücklich auf «nichtcodierende» DNAAbschnitte begrenzt oder anderweitigen Auslegungsspielraum lässt. In Österreich ist die Phänotypisierung bislang unzulässig. Dennoch engagiert sich der renommierte Innsbrucker Molekularbiologe Walther Parson an vorderster Front im 2017 lancierten EUProjekt «Visage» (Visible Attributes Through Genomics). In diesem arbeiten noch bis Ende dieses Jahres 13 europäische Forschungseinrichtungen an der Vision, die DNAAnalyse so weit zu entwickeln, dass die Erstellung von Phantombildern aus DNAProben «standardisiert» eingesetzt werden kann.

8. Wie zuverlässig ist die Methode?

Die Genauigkeit, mit der aus einer DNAProbe äussere Merkmale, Alter oder Herkunft eines Menschen bestimmt werden können, ist eine Frage der zugrunde gelegten Statistiken (siehe Box). Sie beträgt je nach Merkmal zwischen knapp 70 und nahezu 100 Prozent. Das statistische Modell für die Augenfarbe «IrisPlex» beispielsweise liefert für blaue oder braune Augen Resultate mit 95prozentiger Wahrscheinlichkeit. Die Zuverlässigkeit für korrekte Aussagen hinsichtlich der Pigmentierung von Haut und Haaren erstreckt sich von 67 Prozent (blonde Haare) über rund 75 Prozent (braune Haare; helle Haut) bis zu 93 Prozent (rote Haare) oder gar 99 Prozent (dunkle Haut). Zudem verraten die Gene recht genau, ob ein Mensch eher Europa, Afrika, Ostasien, Südasien, Südwestasien oder der indigenen Bevölkerung Ozeaniens oder Amerikas zugehörig ist – egal wo er letztlich geboren wurde. Beim Alter ist die Bestimmung auf vier bis fünf Jahre genau möglich. Allerdings nur für Personen im Alter von 20 bis 60 Jahren. Bei sehr jungen oder alten Menschen nimmt die Zuverlässigkeit ab.

9. Wo werden hierzulande DNA-Proben analysiert?

Die Auftraggeber von forensischem DNAMaterial (Polizei, Strafuntersuchungsbehörden, Strafgerichte) können bei sieben vom Bund anerkannten DNAAnalyselabors die Typisierung von DNAProben respektive Spuren in Auftrag geben: Bei den Instituten für Rechtsmedizin Aarau, Basel, Bern, St. Gallen und Zürich, am Universitätszentrum für Rechtsmedizin Lausanne und Genf sowie im Labor für Molekulardiagnostik in Gentilino TI.

10. Wie funktioniert die DNA-Datenbank CODIS?

Der Abgleich der von diesen Labors erstellten DNAProfile mit der DNADatenbank CODIS sowie die Analyse der Ergebnisse erfolgen im Auftrag des Bundes am Institut für Rechtsmedizin der Universität Zürich. Die Auswertungsresultate werden von diesem via gesicherte Datenleitung an die fedpolAbteilung «Biometrische Identifikation» übermittelt. Diese wiederum unterhält CODIS, ergänzt die pseudonymisierten Auswertungsresultate mit den entsprechenden Personen und Falldaten und übermittelt die so vervollständigte Meldung dem Auftraggeber.

KRIMINALGESCHICHTE Der weltweit erste dank DNA-Phänotypisierung geklärte Mordfall

2012 konnte in den Niederlanden der 1999 verübte Mord an Marianne Vaatstra dank DNA-Phänotypisierung geklärt werden. Zunächst suchten die Ermittler den Täter, der die 16-Jährige vergewaltigt und ihr mit einem Messer die Kehle durchtrennt hatte, aufgrund der «für europäische Verhältnisse ungewöhnlichen Tötungsart» im Kreis der Bewohner eines nahe gelegen Asylheims. Doch die Ermittlungen verliefen ergebnislos. Anhand einer DNAPhänotypisierung fanden die Ermittler dann heraus: Der Täter ist mit hoher Wahrscheinlichkeit Westeuropäer. In der Folge wurde ein neuerlicher Massen-DNA-Test durchgeführt – unter Einbezug der einheimischen Bevölkerung und verbunden mit der Suche nach mit dem Täter entfernt verwandten Personen. 2012 wurde ein Landwirt aus der Region verhaftet – und gestand das Verbrechen.

Der Mord, der eine Motion auslöste

Die anstehende Überarbeitung des DNA-Profil-Gesetzes geht zurück auf ein Verbrechen, das am 21. Juli 2015 die Schweiz erschütterte: In Emmen riss eine bis heute unbekannte Person eine 26 Jahre junge Frau vom Fahrrad, vergewaltigte sie und parlament.ch liess sie schwer verletzt zu© rück. Das Opfer ist seither » Altnationalrat Albert querschnittgelähmt. Ein Abgleich der sichergestellten DNA-Spuren ergab in CODIS Vitali brachte mit seiner Motion «Kein Täterschutz für Mörder und Vergewaltiger» den Bundesrat dazu, keinen Treffer und auch ein das DNA-Profil-Gesetz zu DNA-Massenscreening unter überarbeiten. rund 370 Männern mit Bezug zum Tatort blieb ergebnislos. In der Folge lancierte der zwischenzeitlich verstorbene Altnationalrat Albert Vitali am 16. Dezember 2015 die Motion «Kein Täterschutz für Mörder und Vergewaltiger». Sobald das als Antwort auf diese Motion neu formulierte Gesetz in Kraft gesetzt ist, will die Luzerner Staatsanwaltschaft den 2018 sistierten «Fall Emmen» neu aufrollen – und mittels DNA-Phänotypisierung neue Hinweise auf den Täter ermitteln. Bisher bekannt ist, dass dieser sich Aron/Aaron nannte, ca. 170 bis 180 Zentimeter gross, schlank und zwischen 19 und 25 Jahre alt ist, eher dunkle Hautfarbe und schwarzbraune, kurze und dicke, gekrauste Haare hat. Bekleidet war der Mann, der Raucher sein soll, mit einem dunklen LangarmKapuzenpullover und kurzen Hosen.

2019 wurden bei Abgleichen zwischen Personenprofilen und einer Spur von einem Tatort rund 5.000 Treffer (Hits) verzeichnet. Die häufigsten betrafen Einbruchdiebstähle (2.327) und Diebstähle (825), Betäubungsmitteldelikte (640), Sachbeschädigung (321), Körperverletzung (117), Sexualdelikte (89), Mord/Tötung (73) sowie Identitätsfeststellung (50), Brandstiftung (49) und Raufhandel (48).

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