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Herzratenvariabilität
Sportlern stehen verschiedene Trainingsmethoden zur Verbesserung ihrer Ausdauerleistungsfähigkeit zur Verfügung, die in Trainingsdauer, -intensität oder -häufigkeit variieren. Bekannte Trainingsmethoden sind z. B. das umfangsorientierte hochvolumige Dauertraining, das hochintensive (Intervall-) Training und auch Mischformen dieser Trainingsmethoden, wie z. B. das Fahrtspiel.
Im täglichen Trainingsprozess stellen sich Ausdauersportler oft die Frage, wie viel und welches Training angemessen ist, um optimale physiologische Adaptionen und Leistungsverbesserungen hervorzurufen. Die Frage nach der optimalen Belastungsintensität wird häufig aufgrund von (Körper-) Erfahrung oder nach dem Bauchgefühl entschieden. Gleichzeitig kommen Ausdauersportler aber auch vermehrt mit Technologien wie z. B. Apps, Smartwatches oder anderen „Wearables“ in Kontakt, die bei der Intensitätsfindung und Belastungssteuerung Unterstützung versprechen. Die Technologien verwenden dabei unterschiedliche Sensoren und Algorithmen und greifen darüber hinaus auf unterschiedliche Körperparameter zurück.
Einer der Parameter, der in diesem Zusammenhang häufig Anwendung findet, ist die Herzratenvariabilität (HRV). Die HRV (genauer gesagt die Pulsratenvariabilität) wird mithilfe optischer Sensorik am Handgelenk mit Smartwatches oder am Finger mit „intelligenten“ Ringen während Ruhebedingungen gemessen und mithilfe verschiedenster Algorithmen analysiert und interpretiert. Letztlich unterstützt die HRV-Messung dabei, eine (Über-) Belastung zu beurteilen. Viele Geräte erfassen die HRV ohne aktives Zutun des Nutzers automatisch während der Nacht und geben am Morgen ein Feedback zu dessen Belastungszustand. Es wird daher auch für Breitensportler ohne hochqualifizierten Trainer immer einfacher, diesen Parameter zu erfassen und für das Training zu nutzen.
TRAININGSSTEUERUNG MITTELS HERZRATENVARIABILITÄT
Parameter der Herzratenvariabilität erfassen Aspekte der Veränderung des autonomen Nervensystems (ANS), das sämtliche automatisierte Prozesse des menschlichen Körpers reguliert. Dazu zählen z. B. Herzfrequenz, Atmungsfrequenz und Körpertemperatur (Baynard, Goulopoulou, Sosnoff, Fernhall, & Kanaley, 2014; Vesterinen et al., 2016). Verändert sich das autonome Nervensystem, verändert sich auch die Herzratenvariabilität. Damit kann eine Beurteilung der körperlichen und mentalen Beanspruchung erfolgen. Dies wiederum kann zur Steuerung von Trainingsprozessen genutzt werden (Vesterinen et al., 2016). In diesem Zusammenhang sei erwähnt, dass die Zeit zwischen zwei Herzschlägen im Millisekundenbereich variiert. Das individuelle Stress- bzw. Erholungslevel des Athleten beeinflusst, wie groß die Variation der Zeit zwischen zwei Herzschlägen ist. Kurz gesagt: Stress, wie z. B. eine hohe Trainingsbelastung, geringe Erholung, Alltagsstress, ein Infekt etc. (Koeneman et al., 2021), verringert die individuelle HRV. Entspannung führt zu einer individuell höheren HRV.
HRV ALS INDIKATOR
In der Trainingspraxis wird angenommen, dass ein „gestresster“ Athlet (gekennzeichnet durch eine individuell niedrige HRV) eine Regenerationspause oder zumindest eine Reduktion des Trainings benötigt. Anders ausgedrückt: Erscheint der Sportler erholt (angezeigt durch eine individuell erhöhte HRV), ist er bereit für (intensive) Trainingseinheiten. Die individu-
HERZRATENVARIABILITÄT (HRV)
Die Herzratenvariabilität (HRV, heart rate variability – auch als Herzfrequenzvariabilität, kurz HFV bezeichnet) ist eine Messgröße, die die zeitliche Änderung von Herzschlag zu Herzschlag (RR-Intervall) charakterisiert.
Die Herzfrequenz (HF) gibt vor allem Auskunft über die Quantität (Intensität) der Herz-Kreislauf-Beanspruchung, während die Herzfrequenzvariabilität zusätzlich über die Qualität der Herz-Kreislauf-Regulation und über die darauf Einfluss nehmenden Größen informiert.
Bei gesunden Menschen erfolgt bei einer Ruheherzfrequenz von 60 Herzschlägen in der Minute nicht jeder Schlag nach exakt einer Sekunde. Variationen von über 100 Millisekunden in der Herzschlagfolge (von Schlag zu Schlag) sind eine normale Anpassungsreaktion des Herzens an äußere und innere Faktoren.
Mögliche Faktoren für eine Senkung der HRV
• Infekte und gesundheitliche
Beeinträchtigungen • Stress • Wiederholt hochintensives
Training ohne ausreichende
Erholungsphasen • Lange Wettkampfserie ohne kompensatorisches Training • Reisestress und
Zeitumstellungen • Schlafmangel
Möglich Faktoren für eine Erhöhung der HRV
• Aerobes Ausdauertraining • Regenerationsfördernde
Maßnahmen • Entspannungsübungen • Ausgeglichenheit,
Zufriedenheit
• Wohlbefinden
elle HRV kann also als Indikator zur Entscheidung angesehen werden, ob „Gas geben“ oder „Pause machen“ im Trainingsprozess angesagt ist. Demnach kann eine individuell erniedrigte HRV als Indikator für „Pause machen“ und eine individuell erhöhte HRV als Indikator für „Gas geben“ interpretiert werden.
EFFEKTE VON HRVGESTEUERTEM TRAINING
Verschiedene Forschungsgruppen sind in den letzten Jahren der Frage nachgegangen, wie effektiv ein Training, das mithilfe der HRV gesteuert wird, im Vergleich zu einem „vorgefertigten“ Trainingsplan in verschiedenen Ausdauersportarten ist (Javaloyes, Sarabia, Lamberts, & Moya-Ramon, 2018; Javaloyes, Sarabia, Lamberts, Plews, & Moya-Ramon, 2019; Nuuttila, Nikander, Polomoshnov, Laukkanen, & Hakkinen, 2017). Mittlerweile geben auch systematische Reviews und Metaanalysen (Duking, Zinner, Reed, Holmberg, & Sperlich, 2020; Duking et al., 2021) einen vergleichenden Einblick in die derzeitige Studienlage.
Bemerkenswerterweise zeigen mehr Studienteilnehmende eine höhere Responderrate nach einem HRV-gesteuerten Ausdauertraining im Vergleich zu einem vorgeplanten Ausdauertraining. Als Grundlage für diese unterschiedlichen Anpassungen wird in der Literatur derzeit ein individuell günstigeres Timing von Belastung und Erholung im Trainingsprozess diskutiert (Javaloyes et al., 2018; Javaloyes et al., 2019; Kiviniemi, Hautala, Kinnunen, & Tulppo, 2007).
LIMITATIONEN
Trotz dieser vielversprechenden Studienlage ist bei der Verwendung von Wearables wie Smartwatches oder „intelligenten“ Ringen zur Steuerung des Trainingsprozesses anhand der HRV in der Praxis noch Vorsicht geboten. Es ist zu berücksichtigen, dass die HRV nur einer von vielen Parametern ist, anhand derer ein optimaler Trainingsreiz bestimmt werden kann. In der Trainingspraxis sollte je nach Sportart, Trainingsschwerpunkt und Umweltbedingungen die HRV mit anderen Informationsquellen (beispielsweise subjektiven Parametern) zur Entscheidungsfindung verknüpft werden. Auch die derzeitige Studienlage ist noch unzureichend – es fehlen weitere Studien zu den langfristigen Effekten eines HRV-gesteuerten Trainings. Darüber hinaus können bei Weitem nicht alle Wearables die HRV reliabel und valide erfassen (Düking, Fuss, Holmberg, & Sperlich, 2018; Düking, Hotho, Holmberg, Fuss, & Sperlich, 2016). Wir empfehlen nachdrücklich, nur Wearables oder Smartphone-Apps zu verwenden, die – wissenschaftlich nachgewiesen – die HRV verlässlich erfassen können. Dazu zählen z. B. die App „HRV4training“ (Plews et al., 2017) oder die Elite-HRV-App (Chhetri, Shrestha, & Mahotra, 2022).
Zu den Smartwatches, die mithilfe ausreichender Validität die HRV erfassen können, zählen z. B. Modelle der Firma Polar Electro Oy (Nuuttila, Korhonen, Laukkanen, & Kyrolainen, 2021). Darüber hinaus sollten Sportler bei der Wahl des Wearables auf den Tragekomfort (insbesondere beim Schlafen) sowie die Batterielaufzeit des jeweiligen Geräts achten. Wird das Gerät nicht getragen, weil es den Schlaf behindert, oder können keine Daten aufgrund einer nicht geladenen Batterie erfasst werden, kann folglich auch kein Trainingsprozess optimal gesteuert werden.
DR. PETER DÜKING
Der Sportwissenschaftler arbeitet als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für integrative und experimentelle Trainings- und Bewegungswissenschaft am Institut für Sportwissenschaft der Julius-Maximilians-Universität Würzburg. www.uni-wuerzburg.de
Literatur:
Baynard, T., Goulopoulou, S., Sosnoff, R. F., Fernhall, B., & Kanaley, J. A. (2014). Cardiovagal modulation and efficacy of aerobic exercise training in obese individuals. Med Sci Sports Exerc, 46(2), 369-375. doi:10.1249/MSS.0b013e3182a66411
Düking, P., Fuss, F. K., Holmberg, H. C., & Sperlich, B. (2018). Recommendations for Assessment of the Reliability, Sensitivity, and Validity of Data Provided by Wearable Sensors Designed for Monitoring Physical Activity. JMIR Mhealth Uhealth, 6(4), e102. doi:10.2196/mhealth.9341
Düking, P., Holmberg, H. C., Kunz, P., Leppich, R., & Sperlich, B. (2020). Intra-individual physiological response of recreational runners to different training mesocycles: a randomized cross-over study. Eur J Appl Physiol, 120(12), 2705-2713. doi:10.1007/ s00421-020-04477-4
Düking, P., Hotho, A., Holmberg, H. C., Fuss, F. K., & Sperlich, B. (2016). Comparison of Non-Invasive Individual Monitoring of the Training and Health of Athletes with Commercially Available Wearable Technologies. Front Physiol, 7, 71. doi:10.3389/ fphys.2016.00071
Düking, P., Zinner, C., Reed, J. L., Holmberg, H. C., & Sperlich, B. (2020). Predefined vs data-guided training prescription based on autonomic nervous system variation: A systematic review. Scand J Med Sci Sports, 30(12), 2291-2304. doi:10.1111/sms.13802
Düking, P., Zinner, C., Trabelsi, K., Reed, J. L., Holmberg, H. C., Kunz, P., & Sperlich, B. (2021). Monitoring and adapting endurance training on the basis of heart rate variability monitored by wearable technologies: A systematic review with meta-analysis. J Sci Med Sport, 24(11), 1180-1192. doi:10.1016/j. jsams.2021.04.012
Javaloyes, A., Sarabia, J. M., Lamberts, R. P., & Moya-Ramon, M. (2018). Training Prescription Guided by Heart Rate Variability in Cycling. Int J Sports Physiol Perform, 1-28. doi:10.1123/ijspp.2018-0122
Javaloyes, A., Sarabia, J. M., Lamberts, R. P., Plews, D., & Moya-Ramon, M. (2019). Training Prescription Guided by Heart Rate Variability Vs. Block Periodization in Well-Trained Cyclists. J Strength Cond Res. doi:10.1519/JSC.0000000000003337
Kiviniemi, A. M., Hautala, A. J., Kinnunen, H., & Tulppo, M. P. (2007). Endurance training guided individually by daily heart rate variability measurements. Eur J Appl Physiol, 101(6), 743-751. doi:10.1007/ s00421-007-0552-2
Koeneman, M., Koch, R., van Goor, H., Pickkers, P., Kox, M., & Bredie, S. (2021). Wearable Patch Heart Rate Variability Is an Early Marker of Systemic Inflammation During Experimental Human Endotoxemia. Shock, 56(4), 537-543. doi:10.1097/ SHK.0000000000001827
Nuuttila, O. P., Nikander, A., Polomoshnov, D., Laukkanen, J. A., & Hakkinen, K. (2017). Effects of HRV-Guided vs. Predetermined Block Training on Performance, HRV and Serum Hormones. Int J Sports Med, 38(12), 909-920. doi:10.1055/s-0043-115122
Vesterinen, V., Nummela, A., Heikura, I., Laine, T., Hynynen, E., Botella, J., & Hakkinen, K. (2016). Individual Endurance Training Prescription with Heart Rate Variability. Med Sci Sports Exerc, 48(7), 1347-1354. doi:10.1249/MSS.0000000000000910 ■
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