8 minute read
Aus Patienten Kunden zu machen ist ein anspruchsvoller Weg
Text Jill Spalt
Selbstzahler zu gewinnen ist für viele Praxisinhaber eine naheliegende Möglichkeit, um die Wirtschaftlichkeit ihrer Praxis zu verbessern. Spätestens bei den ersten Umsetzungsschritten stellen sie dann fest, dass die Theorie deutlich einfacher ist als die Umsetzung in der Praxis. Jill Spalt berichtet aus der Praxis, was es braucht, um Patienten zu Kunden zu machen.
Vor fast zehn Jahren verfasste ich bereits meinen ersten Artikel zu diesem Thema. Voller Euphorie war ich der Meinung, dass der zweite Gesundheitsmarkt, der Begriff wirkte damals noch frisch und nicht so abgegriffen, von den Praxisinhabern und deren Teams einfach zu erobern sei. Heute, nach vierzehn Jahren als Beraterin in der Gesundheitsbranche, ist meine Euphorie nach wie vor vorhanden, jedoch betrachte ich das Thema abgeklärter. Das soll absolut nicht heißen, dass es nicht möglich ist, seine Patienten in langfristige Selbstzahlermaßnahmen zu überführen. Wir sprechen nur nicht von einer „Allroundlösung“ für den Markt, die bei jedem funktioniert und den Selbstzahlerbereich immer zu einer „Tausendprozentrakete“ macht.
Nicht abgeschlossener Prozess Das Thema Überführung auf die Trainingsfläche, wir nennen es mittlerweile liebevoll „langfristige Aktivierung des Patienten“, ist ein nicht endender und ständig zu justierender Prozess. Guckt man hinter die Kulissen vieler Praxen, dann fällt die Bilanz manchmal ernüchternd aus. Konzepte, die vorgestellt wurden, und die daraus vorgerechneten Umsätze konnten nicht umgesetzt werden und haben sich nicht realisiert. Abläufe haben sich verselbstständigt und das Team samt Inhaber ist wieder im bekannten Tagesgeschäft „gefangen“. Die Trainingsflächen werden häufig zu „stiefmütterlich“ behandelt und meist im Rahmen der Therapie eingesetzt, was eine Amortisierung der Geräteinvestition und zum Teil auch Investition für Umbauarbeiten fast unmöglich macht. Doch warum ist das Konzept nicht aufgegangen, wer hat Schuld? Die Schuld wird häufig im Team vermutet. Das Team kann nicht verkaufen, ein Teil des Teams ist nicht bewegungsaffin, sie wissen nicht, wie
In vielen Praxen steht der Mensch und dessen Behandlung im Vordergrund, nicht unbedingt die Wirtschaftlichkeit
sie die Geräte einsetzen sollen, es wird einfach so an die Geräte gegangen und und und … Die Erfahrung zeigt, dass viele Maßnahmen einfach keine Berücksichtigung gefunden haben und nicht in bestehende Abläufe und Unternehmensprozesse gebettet wurden, so als würde man versuchen, ein Bild ohne Nagel aufzuhängen.
Muss man sich zwischen Wirtschaftlichkeit und Patient entscheiden? Wer sich dem Selbstzahlerbereich widmen möchte und eine Notwendigkeit in seiner Praxis dafür sieht, sollte einige Dinge nicht aus den Augen lassen. Bevor ich mich diesen Dingen widme, noch kurz ein paar Zeilen zu den Beweggründen der Praxisinhaber. Sind wir doch mal ehrlich, die Mehrzahl der Physiotherapeuten hat ihren Job gewählt, um Menschen zu helfen, und das ehrt sie sehr. Seit Jahren entwickeln sich einige zu Unternehmern, die nach betriebswirtschaftlichen Aspekten vorgehen. Sie führen sehr erfolgreich große Gesundheitszentren. Dies ist aber nicht Wunsch eines jeden. Auch kleine Praxen funktionieren sehr gut und Praxisinhaber sowie das Team arbeiten hier mit Freude für die Patienten und sind mit dem Ergebnis der Praxis zufrieden. Zu unterstreichen gilt es, dass nicht immer die Wirtschaftlichkeit im Vordergrund steht. In den Praxen ist es meist der Mensch, insbesondere der Patient. Aus diesem Grund fängt der Prozess der Überführung schon bei der individuellen Zielsetzung des Inhabers an. Hier, und das zeigt meine Erfahrung als Beraterin, sollten schon die ersten Weichen gestellt werden.
Die gängigsten Ziele sind: • Etwas Gutes für den Patienten tun • Bessere Therapiemöglichkeit • Erweiterung des Leistungsspektrums • Alleinstellung am Markt • Refinanzierung der Anschaffung • Mehr Umsatz für die Praxis • Mitarbeiterbindung • Recruitment
Wissen, auf was man sich einlässt Kommen wir zu den Dingen, die nicht aus den Augen gelassen werden sollten. Das erste habe ich schon genannt, die individuelle Zielsetzung eines jeden Praxisinhabers. Auf Basis der Zielsetzung wird der passende Weg eingeschlagen und nutzbringende Controllingmaßnahmen werden erstellt, u. a. die Umsatzprognosen und somit auch die Rentabilitätsberechnungen. Diese Tools zeigen dem Praxisinhaber auf, was er nach seiner Zielsetzung erreichen kann, und unterstützen ihn im Tagesgeschäft bei der Kontrolle der Maßnahmen. Die Umsatzprognosen können nach dem Potenzial am Markt für Therapie und Medizinisches Gerätetraining erstellt werden, dürfen aber durchaus hinsichtlich der eigenen Zielsetzung angepasst werden. Ein Physiotherapeut, der einen höchstmöglichen Umsatz mit der Bewegungsfläche generieren möchte, wird sich am Potenzial des Marktes orientieren, was es somit auch als Erstes zu eruieren gilt, während ein Physiotherapeut, der ein „Add-on“ für seine Patienten zur Verbesserung der Therapie wünscht, diese Zahlen niedriger ansetzen kann, da er gegebenenfalls nur seine Leasinggebühr pro Monat einspielen möchte. Hier sollte jedem spätestens klar werden, dass das Thema „Aus Patienten Kunden machen“ sehr komplex ist.
Was ist der Startpunkt? Die Abläufe dieser beiden genannten Physiotherapeuten für ihre Praxen weichen voneinander ab. Somit kommen wir zum nächsten Punkt, der aus meiner Erfahrung in Betracht gezogen werden muss: der Status quo der Praxis. In erster Linie ganz simpel: die Praxis mit den Behandlungsräumen, die allgemeinen Ausrichtung, die Größe der Räume, die Größe des Bewegungsbereichs, die Ausstattung etc. Etwas komplexer wird es bereits bei der Anzahl der Mitarbeiter in Summe in Vollzeit, der Ausbildung der einzelnen Mitarbeiter, möglichen freien Kapazitäten der Mitarbeiter, aktuellen Kennzahlen der Praxis, derzeitigen Abläufen von der Rezeption bis hin zur Behandlung, der Personaleinsatzplanung etc. Wenn diese Informationen vorliegen, können Abläufe angepasst werden, sodass die neuen Leistungen oder Maßnahmen integrierbar sind. Der Rahmen der neuen Leistungen wird nun abgesteckt. Hier finden wiederum einige Merkmale Berücksichtigung und Möglichkeiten werden ausgelotet:
Die Mitarbeiter müssen die Entscheidung hin zu mehr Selbstzahlerleistungen mittragen – ansonsten kann das Unterfangen recht schnell scheitern
Patienten in den Selbstzahlerbereich zu integrieren ist ein langwieriger und komplexer Prozess
• Ausrichtung der Praxis und die
Abrechnungen im GKV- und
PKV-Bereich • Welche Patienten mit welchen
Indikationen können wie trainieren? • Welchen Nutzen haben diese davon? • Wie wird das Training zielführend aufgebaut: Betreuung, Ablauf etc.? • Wie hebe ich mich vom Wettbewerb und vom Fitnessmarkt ab? • Fachwissen des Teams
Nun ist über die Zielsetzung, deren Potenzial und den Status quo der Praxis der Rahmen des eigenen Konzepts für den Selbstzahlerbereich gesteckt. Jetzt gilt es, die größte Hürde zu nehmen: Das Team muss mit ins Boot geholt werden und Abläufe und Prozesse müssen gelebt werden. Mit Team sind nicht nur die Therapeuten gemeint, hier gehört der Bereich der Rezeption ebenso wie die gesamte Verwaltung dazu. Reicht eine interne Schulung aus, um das Vorhaben mit Leistungen und Preisen zu erläutern? Nein, auf keinen Fall. Wir sprechen von Individuen mit unterschiedlichen Sichtweisen, Auffassungen und vor allem Ängsten. Das große Ganze muss verstanden werden. Warum wird etwas an dem gefühlt funktionierenden Prozess geändert, wo liegt die Dynamik im Markt, was macht die Änderung notwendig? Wie wird diese dem Patienten, der in ihm antrainierten Mustern feststeckt, klargemacht? Nehmen wir das Team doch einfach mit auf die Reise und setzen es zudem noch nutzbringend ein, anstatt losgelöst von ihm Maßnahmen zu ergreifen, die angeblichen Erfolg bringen. Ein Unternehmen kann nur so stark sein, wie sein Team motiviert ist und Spaß an der Arbeit hat, auch das zeigt mir meine Erfahrung aus vielen Teamschulungen, -workshops und Gesprächen mit Inhabern in den letzten Jahren. Es gilt, auf keinen Fall jeden einzelnen Mitarbeiter zu fragen, was er sich denn wünscht und wie er die Prozesse gestalten würde. Das wäre eine absolute Überforderung und weder in seinem Sinne noch im Sinne des Inhabers der Praxis.
Strategie ist Chefsache Strategische Aufgaben und die Gestaltung des operativen Bereichs gehören immer noch in die „Chefetage“. Die Aufgabe des Inhabers liegt jetzt in der Weichenstellung für sein Team. Der IST- Zustand der Praxis wurde samt Kennzahlen und Abläufen ja bereits analysiert und die Struktur entsprechend der gewünschten Neuausrichtung in der Theorie vorbereitet. Dem strategischen Gestalten folgen die gangbaren operativen Abläufe. An diesem Punkt kreieren Mitarbeiter über geführte Workshops mit. In diesen entwickeln sie ihre eigenen Wege, die sie später mit ihren Fähigkeiten beschreiten können, um gewünschte Unternehmensziele zu erreichen. Die Wege führen durch alle Abteilungen der Praxis – vom Inhaber über die Empfangskräfte und die Angestellten in der Verwaltung bis hin zu den Therapeuten und Trainern. Den Mitarbeitern werden im Rahmen der Workshops Hintergründe für die Veränderungen und deren Nutzen erklärt. Sie dürfen verstehen, warum Prozesse umgestellt und neue
Maßnahmen ins Leben gerufen werden. Ihnen werden verschiedene Blickwinkel aufgezeigt, durch ein Denken „out of the box“ verstehen sie Beweggründe und ändern ihre teils eingefahrenen Sichtweisen, die häufig durch Nichtwissen und fehlende Aufklärung entstanden sind. Dem Mitarbeiter wird klar, was an den Änderungen gut für den Inhaber, das Unternehmen und vor allem auch die Patienten und Kunden ist. Wenn der Mitarbeiter diesen Vorteil nicht erkennt, kann er das Neue nicht erklären und empfehlen.
Wie eingangs erwähnt, verselbstständigen sich die Abläufe wieder und Trainingsflächen werden, was den Selbstzahlerbereich betrifft, „stiefmütterlich“ behandelt. Im schlimmsten Fall findet nur eine Umschichtung vom Behandlungsraum auf die Trainingsfläche statt, da teuer erworbene Trainingsgeräte nur im Rahmen der Therapie genutzt werden. Zum Schluss ein paar Topics, mit denen sich der Inhaber in diesem Zusammenhang im besten Fall auch befasst: • Überzeugung des Teams hinsichtlich der Geräteausstattung • Abklopfen der Affinität des Teams zum Thema Bewegung • Trainingskonzepte, die auf Patienten zugeschnitten sind; möglichst indikationsspezifisch • Verständnis des Teams, dass
Gerätetraining Geld kosten muss • Verständnis des Patienten, wo Behandlung aufhört und Selbstzahlerleistungen anfangen, und warum • Emotionales Führen durch den
Inhaber und Verständnis für Team und Patienten • Hintergründe/Kenntnisse der
Physiobranche (Ärztebudgets,
Wirtschaftlichkeitsgebot,
Abrechnungen etc.) • Vermeidung von Grauzonen • Abheben vom Fitnessmarkt • Steuerliche Hintergründe, insbesondere bezüglich umsatzsteuerfreier und umsatzsteuerpflichtiger
Leistungen • Regelmäßige Schulungen und
Workshops; interne Fortbildungen • Individualität • Fachkräftemangel/Recruitment/
Alleinstellung • Ärzte
Mein persönliches Fazit: Ja, aus Patienten kann man definitiv langfristig trainierende Kunden machen, aber nicht ohne das gesamte Team der Praxis.
Zur Autorin Jill Spalt ist Diplom-Betriebswirtin und bereits seit 2008 als Beraterin in der Gesundheitsbranche tätig. Seitdem begleitet sie Physiotherapeuten, Ärzte-, Reha- und Gesundheitszentren in Bezug auf klassische betriebswirtschaftliche Themen. 2020 gründete sie gemeinsam mit ihren Geschäftspartnern die crosscorpo consulting.
Machen Sie aus Ihren Patienten dauerhafte Kunden!
personalloser Selbstzahlerbereich sehr geringer Platzbedarf personalloses §20 Rückentraining
Ein Konzept der Power Plate GmbH für ein onlinegestütztes Selbstlernprogramm