Meister werke
Stück
Ingrid Swenson & Mary Auld
Aus dem Englischen von Sarah Pasquay
King Verlag für Stück Urheberrechtlich geschütztes Material
Laurence
unbekannte südamerikanische Künstler*innen • unbekannte*r altrömische*r Künstler*in • unbekannte*r englische*r Künstler*in • Shepard Fairey • Diego Velázquez • Élisabeth Vigée-Le Brun • Augusta Savage • Alice Neel • Seite 6 2 Landschaften • Joachim Patinir • Caspar David Friedrich • • J.M.W. Turner • Katsushika Hokusai • • Claude Monet • Wassily Kandinsky • • Georgia O’Keeffe • Emily Kame Kngwarreye • Seite 20 5 Geschichten • unbekannte*r altägyptische*r Künstler*in • Giovanni Bellini • Pieter Bruegel der Ältere • Zheng Zhong • Sahib Din • Joan Miró • Dorothea Tanning • Grayson Perry • Seite 62 Galerien im Überblick Seite 118 Nützliche Kunstbegriffe Register und Bildnachweise Seite 126 Einleitung Seite 4 6 Historische Ereignisse • Jacques-Louis David • unbekannte englische Künstler*innen • Paulo Uccello • Farrukh Beg • Ford Madox Brown • Pablo Picasso • Faith Ringgold • Cristóvão Estevão Canhavato (Kester) • Seite 76 Urheberrechtlich geschütztes Material
1 Porträts •
3 Tiere
• Leonardo da Vinci • unbekannte*r altägyptische*r Künstler*in • Albrecht Dürer • Maria Sibylla Merian • George Stubbs •
Tani Bunchō • Edward Hicks • Franz Marc •
Seite 34
• Caravaggio • Jean-Baptiste-Siméon Chardin • Paul Cézanne • Vincent van Gogh • Georges Braque •
Henri Matisse • Roy Lichtenstein • Njideka Akunyili Crosby •
Seite 48
• Quentin Metsys • Rembrandt • John Everett Millais • Jean-François Millet • Natalja Gontscharowa • Diego Rivera •
Jonathan Borofsky • Andreas Gursky •
Seite 90
• Unbekannte*r altgriechische*r Künstler*in • Su Hanchen • Sofonisba Anguissola • Hendrick Avercamp •
Francisco de Goya • John Singer Sargent •
Georges Seurat • Kerry James Marshall •
Seite 104
Letzte Werke
• Claes Oldenburg und Coosje van Bruggen • Giovanna Garzoni • Dong Qichang • El Greco • Édouard Manet •
Hans Holbein der Jüngere • Gillian Wearing • Gechū • Edvard Munch • James Abbott McNeill Whistler •
John Constable • Michelangelo • Gustav Klimt • Jan Vermeer • Kasimir Malewitsch • Angelica Kauffman •
Paul Gauguin • unbekannte chinesische Künstler*innen • Berthe Morisot • unbekannte*r Künstler*in aus Benin • Amedeo Modigliani • Yayoi Kusama • Artemisia Gentileschi • Jan van Eyck • Louise Bourgeois •
Seite 120
7 Arbeit
4 Stillleben
8 Spiele
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Einleitung
In diesem Buch geht es darum, große Kunst in kleine Teile zu zerlegen und Stück für Stück zu betrachten. Es richtet sich an alle, die sich einige der beeindruckendsten Kunstwerke der Welt genauer ansehen und mehr über sie erfahren möchten. Wir haben Details herausgesucht, die Hinweise darauf liefern, was die Schöpfer*innen der Werke uns sagen wollten. Und wir möchten euch zeigen, wie Künstler*innen uns – mit Kreativität, Vorstellungskraft, Entschlossenheit und manchmal auch Mut – helfen, die Welt mit anderen Augen zu betrachten.
Aber woher wissen wir, wann ein Kunstwerk wirklich ein Meisterwerk ist? Die Frage ist nicht leicht zu beantworten und zieht viele andere Fragen nach sich. Ist es der Fall, wenn uns ein Kunstwerk aus früheren Zeiten über viele Jahre oder sogar Jahrhunderte immer wieder aufs Neue begeistert und fasziniert? Oder kann auch ein Werk, das letztes Jahr oder gerade gestern geschaffen wurde, ein Meisterwerk sein?
Und wo findet man Meisterwerke? Muss man dafür in Museen oder Galerien gehen, oder kann man sie auch an anderen Orten entdecken, etwa in einem Wohnhaus, in einem Buch, einem Grab, einer Höhle oder mitten in einer Stadt? Die Antwort lautet: So gut wie überall und natürlich überall auf der Welt! Jede Kultur hat ihre Meisterwerke.
Eine weitere Frage könnte lauten: Was ist die wichtigste Zutat eines Meisterwerks? Sind es das Talent und die Kreativität der Person, die es geschaffen hat – selbst wenn wir nicht wissen, wer diese Person war? Oder sind es die Bedeutung und die Botschaft, die der/die Künstler*in zu vermitteln versucht? Vielleicht ist es eine Mischung aus beidem. Das Gleiche gilt für die Frage: Muss ein Meisterwerk schön und feierlich oder darf es auch schwierig, traurig und aufwühlend sein? Oder kann es all das zugleich sein?
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Auf keine dieser Fragen gibt es klare Antworten –und genau das macht sie so interessant! Ihr werdet in diesem Buch viele berühmte und beliebte Meisterwerke finden, aber wir haben auch einige weniger bekannte, überraschende Werke ausgewählt. Sie sollen euch einen Einblick in die Welt der Möglichkeiten geben, die die Beschäftigung mit der Kunst uns eröffnet.
Am besten, ihr lest dieses Buch so, als würdet ihr ein Museum besichtigen, in dem ihr durch die verschiedenen Räume geht und euch an den wunderbaren Objekten erfreut. Wir haben acht Räume – oder Galerien – eingerichtet, die sich jeweils einem Thema oder Motiv widmen. Wir beginnen mit PORTRÄTS und enden mit SPIELE, aber ihr könnt an jeder beliebigen Stelle in dieses Buch eintauchen und so lange schauen, wie ihr mögt. Je länger ihr ein Kunstwerk betrachtet, desto mehr werdet ihr entdecken. Ihr werdet Lieblingswerke finden und eigene Verbindungen zwischen Kunstwerken herstellen, die ganz verschiedene Themen, Stile, Länder und Jahrhunderte abdecken.
Damit es euch leichter fällt, diese Verbindungen herzustellen, haben wir für euch in jeder Galerie eine NIMM ZWEI-Seite eingerichtet. Dort seid ihr eingeladen, zwei Werke miteinander zu vergleichen. Ihr könnt auch nach den FINDE-Kästen Ausschau halten, die auf Querverbindungen zwischen den Galerien verweisen. In den WIRF EINEN BLICK AUF-Kästen findet ihr Anregungen, die über das Buch hinausführen und denen ihr im Internet oder in einer Bibliothek nachgehen könnt.
Nachdem ihr die Meisterwerke in den Galerien betrachtet habt, könnt ihr euer Wissen auf weitere Kunstwerke anwenden. Dafür haben wir für euch am Ende des Buchs eine vollgepackte Galerie namens LETZTE WERKE zusammengestellt. Aber es gibt noch viel, viel mehr Kunstwerke, die es sich anzuschauen lohnt. Wir konnten sie unmöglich alle in diesem Buch unterbringen. Das Aufregendste am Betrachten von Kunst ist, auf eigene Faust Kunstwerke zu entdecken. Wir hoffen, euch mit diesem Buch für das Abenteuer des Kunstbetrachtens und -zerlegens zu begeistern und euch darin zu bestärken, selbst zu entscheiden, was ihr als Meisterwerk bezeichnen wollt.
FINDE die Kunstwerke in diesem Buch, aus denen die Ausschnitte auf dieser Doppelseite stammen. Kleiner Hinweis: Ihre Formen verraten, in welchen Galerien sie sich befinden.
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Porträts
Wir Menschen sind von uns selbst fasziniert – davon, wie wir aussehen und wie andere aussehen. Deshalb machen wir Porträts. Denk nur an all die Fotos von Freund*innen und die Selfies, die wir mit unseren Handys machen.
Kinder zeichnen oft einfache Figuren, wenn sie sich selbst und ihre Familie darstellen. Diese haben vielleicht keinerlei Ähnlichkeit mit den echten Eltern, dem Bruder oder der Schwester, aber für das Kind, das die Zeichnungen gemacht hat, stellen sie genau diese Menschen dar. Es sind Porträts. Ein Porträt muss nicht genauso aussehen wie eine bestimmte Person, es muss die Person nur irgendwie symbolisieren.
Wir beginnen unsere Galerie der Porträts mit Händen.
In Argentinien, Südamerika, gibt es Höhlen, deren Wände mit Händen bedeckt sind, die aussehen als würden sie winken – als sei hier eine große Gruppe Menschen zusammengekommen, die alle „Hallo“ rufen. Diese Hände wurden vermutlich vor mehr als 10.000 Jahren gemalt. Man kann sich schwer vorstellen, wie lange das her ist, aber es liegt ungefähr 125 Urgroßelterngenerationen zurück.
Die Hände sehen eher aus wie Schatten als wie gemalte Bilder. Das liegt daran, dass es sich um Schablonen oder Silhouetten handelt. Was wir sehen, sind also nicht die Abdrücke der Hände, sondern ihre Umrisse.
Um die Handformen herum sind verschiedene Farben zu sehen: Rotbraun, Dunkelgelb, Schwarz und Weiß. Sie wurden aus natürlichen, in der Erde vorkommenden Mineralpigmenten hergestellt, die zermahlen und mit einer Flüssigkeit zu einer dünnen Paste oder Farbe vermischt wurden.
An den Rändern ist die Farbe gesprenkelt. Kannst du dir vorstellen, warum das so ist? Hast du schon mal versucht, Farbe durch einen Strohhalm zu pusten? Genau das haben die Künstler*innen hier getan, allerdings benutzten sie Blasröhrchen aus Knochen, um die Farbe auf die Wand zu pusten.
Und kannst du sagen, ob es sich um linke oder rechte Hände handelt? Die Daumen befinden sich an der rechten Seite der Hände, daher müssen es linke Hände sein. Das verrät dir auch etwas über die Künstler*innen: Sie hielten ihre Knochenröhrchen in der rechten Hand. Sie waren also Rechtshänder*innen.
Höhle
6 Porträts Urheberrechtlich geschütztes Material
der Hände unbekannte Künstler*innen um 8000 v.
C hr
Manche Hände überlappen einander. Man geht davon aus, dass verschiedene Menschen, die im Laufe der Jahre die Höhlen besuchten, ihre Hände auf die ihrer Vorgänger*innen schablonierten. Dadurch entstand eine sehr schöne Schichtung übereinanderliegender Hände. Es fühlt sich an, als würden wir in die Vergangenheit greifen, um unseren Ahn*innen die Hand zu schütteln.
WIRF EINEN BLICK AUF die Kunstwerke von Richard Long (1945–), der mit Naturmaterialien wie Erde und Steinen Kunst in der Landschaft gestaltet. Er schuf kreisförmige Schlammbilder mit hunderten eigenen Handabdrücken, die er in großen Kreisen oder anderen eindrucksvollen Mustern anordnete.
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Porträt des Terentius Neo und seiner Frau Unbekannte*r Künstler*in
um 79 n . C hr .
Die Römer*innen schmückten die Wände ihrer Häuser mit Fresken – Bildern, die direkt auf die Wände gemalt wurden. Sie beauftragten Künstler*innen, diese Arbeiten auszuführen. Die Fresken erzählen uns eine Menge über das Leben im Alten Rom, angefangen bei den Kleidern, die sie trugen, bis zu den Spielen, die sie spielten. In diesem Fall sehen wir sogar noch mehr: Es wird nicht nur gekonnt gezeigt, wie ein wohlhabendes römisches Paar aussah, sondern es werden auch die Persönlichkeiten der beiden enthüllt.
Terentius steht auf gleicher Höhe mit seiner Frau und ein wenig hinter ihr. Ihre Beziehung vermittelt den Eindruck von Gleichheit und Partnerschaftlichkeit. Ihre Augen, die ebenfalls auf einer Höhe liegen, ziehen den/die Betrachter*in in das Bild hinein. Terentius sieht uns direkt an, seine Frau dagegen blickt zur Seite. Auf was schaut sie wohl, fragen wir uns. Woran denkt sie?
Ein Mann und eine Frau blicken uns aus diesem Doppelporträt an, das als eines der ältesten naturgetreuen Bildnisse gilt, die je gemalt wurden. Die beiden lebten in Pompeji, einer römischen Stadt, die bei einem Vulkanausbruch im Jahr 79 n. Chr. unter Schlamm und Asche begraben wurde. Das Paar starb vermutlich in der Vulkanasche, aber ihr eindrucksvoll realistisches Porträt blieb auf wundersame Weise erhalten. Auch der Name des Mannes ist überliefert: Terentius Neo.
FINDE den Geldwechsler in der Galerie der Arbeit als weiteres Beispiel für ein Bild eines verheirateten Paars. Worauf sind die Blicke dieser beiden Personen gerichtet?
Was verraten die Gegenstände, mit denen die beiden dargestellt sind, über die Personen? Terentius’ Frau hält einen Griffel und eine aufklappbare Wachstafel zum Beschreiben. Das bedeutet, dass sie gebildet ist und lesen und schreiben kann – anders als viele andere Frauen jener Zeit. Die Schriftrolle, die Terentius hält, und die Toga, die er trägt, deuten darauf hin, dass er in seiner Gemeinde eine wichtige Rolle spielt. Vielleicht ist einer ein lokaler Politiker.
Einige Bereiche hat der/die Künstler*in in helleren Farben gestaltet, um dem Gesicht des Terentius’ Form zu geben und seine Nase zu betonen. Ist sie vielleicht gebrochen? Mit dem dünnen Bart, der mit feinen Linien dargestellt ist, wird angedeutet, dass Terentius jung ist.
Die Frau des Terentius ist gut gekleidet und trägt lange Perlenohrringe. Ihre Frisur und ihre schweren Augenbrauen waren damals im Römischen Reich sehr modern. Ihr nachdenklicher Blick und ihr angedeutetes Lächeln machen aber deutlich, dass sie sich für mehr interessiert als nur für Mode.
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Porträts Urheberrechtlich geschütztes Material
Künstler*innen, die im Auftrag arbeiten, versuchen manchmal, ihren Kund*innen zu schmeicheln, indem sie sie attraktiver aussehen lassen als sie sind. Glaubst du, dass diese*r Künstler*in Terentius und seiner Frau zu schmeicheln versucht? Wie, glaubst du, würden sie aussehen, wenn du sie treffen würdest?
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WIRF EINEN BLICK AUF das Doppelporträt American Gothic (1930) von Grant Wood (1891–1942). Wie ist das Paar im Bild angeordnet? Was halten die beiden in Händen?
Nimm zwei Porträts der Macht
König*innen, Präsident*innen, Premierminister*innen und andere politische Führungspersönlichkeiten besitzen große Macht. Aber wie sollte eine mächtige Person aussehen? Stolz oder freundlich? Furchteinflößend oder fröhlich? In der Politik funktionieren Porträts wie eine Art Werbung: Sie sollen das Image oder die Marke einer mächtigen Person prägen.
Armada-Porträt von Königin Elisabeth I. Unbekannte*r Künstler*in 1588
Königin Elisabeth I. von England herrschte 45 Jahre lang über ihr Land (1558–1603). Zu jener Zeit wurde ein*e Monarch*in nahezu mit einem Gott, einem/r absoluten Herrscher*in gleichgesetzt. Als Tochter eines Königs nutzte sie ihre ererbte Autorität mit Geschick und Intelligenz. Im Elisabethanischen Zeitalter erlebte England eine Blütezeit.
Dieses Bild entstand, kurz nachdem die Flotte von Königin Elisabeth die Schiffe der spanischen Armada geschlagen und einen Überfall auf England verhindert hatte. Es ist eines der bekanntesten Gemälde von Elisabeth I.
Es gibt deutliche Hinweise auf Elisabeths Macht und ihren Reichtum: ihre Krone, ihr Schmuck und ihre eindrucksvolle Kleidung. Ihre Hand ruht auf einem Globus und ihre Finger deuten auf Amerika, damals bekannt als Neue Welt. Was sagt uns das?
Porträts
Es handelt sich um eine sehr förmliche Darstellung. Die Königin sitzt aufrecht in steifer Haltung da. Ihr Körper ist komplett unter dem aufwendigen Gewand versteckt. Ihre Augen sind leer, ihr Ausdruck verrät keine Emotionen. Welche anderen Wörter fallen dir ein, die ihren Ausdruck und ihre Haltung beschreiben?
Urheberrechtlich geschütztes Material
Das Bild feiert sowohl die Königin als auch den Sieg Englands über Spanien – mit den Bildern von der Seeschlacht hinter der Herrscherin. Von diesem Porträt wurden mindestens drei Versionen angefertigt (von verschiedenen Künstler*innen). Viele weitere Gemälde von Elisabeth wurden davon inspiriert. Was macht dieses Bild so ausdrucksstark? Was verrät es uns über Elisabeths Macht?
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Wenn ein*e Künstler*in ein Porträt einer mächtigen Person malt, besteht die Aufgabe nicht nur darin, ein möglichst ähnliches Abbild zu schaffen. Es soll auch andeuten, was diese Person so mächtig macht. Was sagen uns diese beiden Porträts über die Macht?
Barack Obama Shepard Fairey 2008
Barack Obama war acht Jahre lang Präsident der USA (2008–2016). Anders als Elisabeth konnte er nicht auf ererbten Reichtum und ererbte Privilegien aufbauen. Er kam durch demokratische Wahlen an die Macht. Der Sohn eines kenianischen Vaters und einer amerikanischen Mutter mit europäischen Vorfahren war ein fleißiger Student und besuchte eine angesehene Universität, bevor er Anwalt und Politiker wurde. Er war bekannt für sein Mitgefühl und kämpfte für Gleichberechtigung. Dieses Porträt wurde zu einem der bekanntesten Bilder von Obama. Der Straßenkünstler und Grafiker Shepard Fairey (1970–) schuf es als Plakat für Obamas erste Wahlkampagne.
Für das Poster veränderte Fairey ein Pressefoto am Computer und reduzierte es auf drei Farben – Rot, Weiß und Blau –, um auf die amerikanische Flagge Bezug zu nehmen. Bei dieser einzigartigen Version benutzte er handgefertigte Schablonen und Collagen aus dekorativem Papier und alten Zeitungsartikeln. Damit schuf er eine wunderschön strukturierte Oberfläche. Was verraten uns diese Entscheidungen?
Das einzelne, einfache Wort HOPE (dt. Hoffnung) ist eine direkte, starke Botschaft. Aber sieh dir auch Obamas Kopf an: Er ist leicht geneigt und seine Augen blicken nach oben. Mit welchen Worten würdest du seinen Ausdruck und seine Haltung beschreiben?
Im Laufe des Jahres 2008 wurden rund 300.000 Exemplare von Faireys Plakat gedruckt und Zehntausende T-Shirts und Aufkleber produziert. Das Bild konnte auch im Internet heruntergeladen werden und verbreitete sich schnell. Die Version, die wir hier sehen, hängt heute in der National Portrait Gallery in Washington. Es ist wahrhaftig Kunst für das Volk. Was glaubt du, warum das Porträt so beliebt ist? Was sagt es über Obamas Macht aus?
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Las Meninas Diego Velázquez 1656
Der Titel dieses Gruppenporträts bedeutet übersetzt „Die Hoffräulein“. Das Bild stellt also jene Frauen dar, die sich um die Königin am spanischen Königshof kümmerten, wo Diego Velázquez (1599–1660) arbeitete. Aber es zeigt noch sehr viel mehr als das. Es wird häufig als eines der bedeutendsten Gemälde, die je gemalt wurden, beschrieben. Nicht wegen der Personen, die es darstellt, sondern weil es sehr viel mehr Fragen aufwirft als es beantwortet.
Kannst du elf Personen (und einen Hund) entdecken? Was tun sie? In welche Richtung blicken die einzelnen Personen? Die auffälligste Figur ist das Mädchen im Zentrum der Gruppe, das ein helles Kleid mit einer wunderschönen Brosche trägt. Es handelt sich um Margarita Teresa, die fünfjährige Tochter des Königs und der Königin von Spanien.
Wer ist der Mann, den wir im Hintergrund in der Tür sehen? Hat er diese Versammlung gerade gestört, oder hat der Künstler ihn aus einem anderen Grund hinzugenommen? Was passiert mit dem Bild, wenn du deinen Finger auf das helle Licht legst, das aus dem Raum hinter dem Mann dringt?
Kannst du die beiden Personen entdecken, die im Hintergrund unscharf in einem Rahmen dargestellt sind? Es könnte ein weiteres Gemälde innerhalb des Gemäldes sein, aber es ist ein Spiegel, und im Spiegelbild sehen wir den König und die Königin. Der Künstler, der Pinsel und Palette hält, blickt sehr aufmerksam aus dem Gemälde heraus, und links im Bild sehen wir die Rückseite der Leinwand, auf die er malt.
WIRF EINEN BLICK AUF die Gemäldereihe Las Meninas von Pablo Picasso, die von diesem Bild inspiriert ist. Picasso geht dabei spielerisch vielen Fragen nach, die Velázquez stellt, kommentiert aber auch Ereignisse aus seiner eigenen Zeit.
Aber wen malt der Künstler und wo stehen seine Modelle? Sind wir es, die Betrachter*innen, oder der König und die Königin? Dass wir sie in dem Spiegel im Hintergrund sehen, bedeutet, dass sie in der echten Welt neben uns stehen! „Reflektieren“ meint, dass ein Spiegel ein Abbild von jemandem oder etwas gibt. Es kann aber auch meinen, dass man über etwas sehr intensiv nachdenkt. In diesem Bild bedeutet er beides.
Dieses Bild regt die Menschen seit mehr als 350 Jahren zum Nachdenken an und bleibt doch bis heute ein Rätsel. Fast scheint es, als würde uns der Künstler direkt in die Augen sehen und mit uns darüber sprechen, was es bedeutet, Bilder zu malen.
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Porträts
Urheberrechtlich geschütztes Material
13 Urheberrechtlich geschütztes Material
Selbstporträt mit Strohhut Élisabeth Vigée-Le Brun 1782
Élisabeth Vigée-Le Brun (1755–1842) war in ihren späten Zwanzigern, als sie dieses Selbstporträt malte. Sie war damals bereits eine bekannte Porträtmalerin in Frankreich und wurde besonders von MarieAntoinette, der französischen Königin, sehr geschätzt. Zu jener Zeit gab es nur wenige professionelle Porträtmalerinnen, und die Künstlerin musste hart kämpfen, um akzeptiert zu werden. Aus diesem Bild blickt sie uns lächelnd und voller Zuversicht an.
Was glaubst du, warum Künstler*innen häufig Selbstporträts malen? Vielleicht versuchen sie herauszufinden, wer sie sind oder wer sie gern wären. Vielleicht ist es eine gute Möglichkeit, um so schwierige Dinge wie Hände und Gesichtsausdrücke zu üben? Manche Künstler*innen möchten vielleicht gern ihr Talent zeigen. In diesem Selbstporträt scheint die Künstlerin all diese Dinge auf einmal zu machen.
Vigée-Le Brun zeigt ihre Zähne, was damals als ein wenig schockierend empfunden wurde, denn für Künstler*innen galten strenge Regeln. Dazu gehörte auch, dass man die (möglicherweise) schlechten Zähne der Leute nicht abbildete. Doch sie hatte den Mut, anders zu sein – und sorgte natürlich dafür, dass ihre Zähne gut aussahen.
Die Palette und die Pinsel, die sie hält, verraten uns, welchen Beruf sie ausübt. Wir spüren ihre Begeisterung für ihre Arbeit. Sie scheint mitten im Malprozess zu sein, denn an den Pinselborsten klebt Farbe und die Farbkleckse auf der Palette sehen feucht aus. Erkennst du, wie sie diesen Eindruck mit winzigen weißen Farbtupfen erzielt?
Sieh nur, wie genau sie die Spitze an ihrem Schultertuch ausarbeitet! Das gesamte Gemälde demonstriert ihr technisches Können, sowohl in Hinblick auf mögliche Kund*innen als auch auf andere Künstler*innen. Vermutlich haben damals manche an ihren Fähigkeiten gezweifelt, denn anders als ihre männlichen Kollegen hatte Vigée-Le Brun keinerlei Ausbildung an einer Kunstschule erhalten.
WIRF EINEN BLICK AUF
Der Strohhut (1622–25) von Peter Paul Rubens (1577–1640).
Das Bild brachte Vigée-Le Brun auf die Idee, für dieses Porträt einen Strohhut zu tragen.
Porträts
Vigée-Le Brun trägt einen frivolen Hut und war ganz offensichtlich froh gestimmt, als sie dieses Bild malte. Im Laufe ihres Lebens schuf sie viele Selbstporträts, mit denen sie ihr gutes Aussehen und ihre feine Kleidung ebenso zur Schau stellte wie ihren Erfolg und ihre künstlerische Begabung. Andere Künstler*innen haben sich selbst kritischer dargestellt, mit dem Ziel, sich selbst besser kennenzulernen. Der niederländische Maler Rembrandt (1606–1669) malte mehr als 40 Selbstporträts, in denen er sich mal zuversichtlich, mal ernst, mal als König, mal als Bettler zeigte.
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WIRF EINEN BLICK AUF die Selbstporträts anderer Frauen, die uns direkt ansehen, etwa Angelica Kauffman (1741–1807), Frida Kahlo (1907–1954) und Chantal Joffe (1969–).
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Büste des John Henry Augusta Savage um 1940
Seit dem Altertum haben Künstler*innen mit den Mitteln der Bildhauerei dreidimensionale Abbilder geschaffen. Wenn sie einen Kopf oder den Kopf einschließlich des oberen
Teils der Brust zeigen, spricht man von Büsten. Diese sind häufig groß und staatstragend und würdigen die Mächtigen. Dieses kleine (18,6 cm hohe) Werk wirkt eher privat, transportiert aber dennoch eine starke Botschaft. Es ist hier in Originalgröße abgebildet.
Augusta Savage (1892–1962) war eine afroamerikanische Bildhauerin. Ihre Eltern waren als Sklav*innen geboren worden. Augusta wuchs in ärmlichen Verhältnissen auf und musste hart kämpfen, um in New York und Paris Kunst studieren zu können. Eine französische Kunstschule lehnte sie ab, weil einige Studierende sich weigerten, zusammen mit einer Schwarzen unterrichtet zu werden. Savage durchlief eine traditionelle europäische, an der klassischen griechischen und römischen Skulptur orientierte Ausbildung und wandte das Erlernte anschließend auf ihr eigenes Erbe an. Sie wurde ein führendes Mitglied der Harlem Renaissance, einer einflussreichen Gruppe Schwarzer Schriftsteller*innen, Künstler*innen und Musiker*innen, die in den späten 1920er Jahren im New Yorker Stadtteil Harlem arbeiteten.
John Henry ist ein afroamerikanischer Volksheld des 19. Jahrhunderts. Es heißt, er sei als Tunnelbauer gegen eine Maschine angetreten, um herauszufinden, wer den Stein schneller heraushämmern könne. Er gewann, starb aber kurz darauf an Erschöpfung. Niemand weiß genau, wie John Henry aussah. Wie würdest du einen jungen Helden darstellen?
Du fragst dich vielleicht, ob Savage für ihre so lebensechte Büste mit einem Modell gearbeitet hat. Sieh dir die feinen Details um die Augen herum an und deren nichtsymmetrische Form. Ihr Ausdruck deutet auf Intelligenz und Durchhaltevermögen, aber da wir nur den Kopf sehen, offenbart die Künstlerin hier eher die geistige als die körperliche Stärke eines Alltagshelden.
Was glaubst du, woraus die Büste gemacht ist? Sie spiegelt das Licht wie das Metall Bronze, besteht aber aus hartem, weißem Gips, der anschließend patiniert (mit metallbasierten Farben überzogen) wurde. Mithilfe dieses Verfahrens konnte Savage Details hervorheben und ein sehr realistisches Porträt schaffen. Gleichzeitig verleiht der Bronzeeffekt ihrem heroischen Motiv Würde. Büsten berühmter Menschen wurden oft in Bronze gegossen.
Savages Entscheidung hatte möglicherweise auch Kostengründe. Bronze ist teuer, Gips dagegen billiger, aber auch weich und leicht formbar. Oft machen Künstler*innen das Beste aus leicht verfügbaren Materialien. Wir wissen, dass Savage schon in jungem Alter Skulpturen aus lokalem Ton herstellte.
16 Porträts Urheberrechtlich geschütztes Material
FINDE in der Galerie der Arbeit das Werk Hammering Man. Es zeigt einen weiteren dreidimensionalen, hart arbeitenden Helden, der auf völlig andere Art dargestellt wird.
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WIRF EINEN BLICK AUF die Büste von Martin Luther King Jr. von Charles Alston (1907–1977), der ein Schüler von Savage war.
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Die De Vegh-
Zwillinge Alice Neel 1975
Neel malte ihre vielen Porträts auf direkte, informelle Art. Zusammengenommen bilden sie die damalige bunte Vielfalt der amerikanischen Gesellschaft in ihrer Heimatstadt New York ab. Als alleinerziehende, zu Hause arbeitende Mutter musste sie das Malen mit der Kinderbetreuung und dem Haushalt in Einklang bringen. Zu ihren eindrucksvollsten Bildern gehören die von Müttern und Kindern. Genau wie die Zwillinge hier zeigen sie keine Scheu, sondern betrachten uns auf Augenhöhe, mit dem gleichen reifen Blick wie Erwachsene.
Zwei dunkle Augenpaare blicken uns aus diesem eindrucksvollen Porträt eineiiger Zwillinge direkt an. Gemalt hat es die amerikanische Künstlerin Alice Neel (1900–1984), eine der berühmtesten Porträtmalerinnen des 20. Jahrhunderts. Neel zog es vor, ihre Porträts „Menschenbilder“ zu nennen und malte alle möglichen Menschen: Künstler*innen, Schriftsteller*innen, Musiker*innen, politische Aktivist*innen und – vielleicht noch wichtiger – ihre Familie und Freund*innen. Manchmal malte sie auch völlig fremde Menschen, die sie auf der Straße traf. Die De Vegh-Zwillinge lebten bei ihr nebenan.
Das eine Mädchen sitzt fest und sicher auf dem Stuhl, während das andere sich neben sie drückt, halb sitzend, halb an die Stuhlkante gelehnt. Ihr dunkles Haar ist gleich geschnitten und sie tragen das gleiche leuchtend rote Schürzenkleid mit weißer Rüschenbluse und weißer Strumpfhose. Hinter ihnen steht ein lilafarbenes Möbelstück, das aber genau wie die anderen starken Farben nur dazu dient, unsere Aufmerksamkeit auf die identisch aussehenden Zwillinge zu lenken. Aber sehen die Mädchen wirklich genau gleich aus?
Mit ihren kühnen, breiten Pinselstrichen bildet Neel nicht nur die Formen der beiden Mädchen ab, sondern auch ihre emotionale Verbundenheit. Das linke Mädchen hat seine Hand sanft um die Schulter der Schwester gelegt, die ein wenig vor ihr positioniert ist und deren rechte Hand etwas unbeholfen vor ihr liegt. Der Moment, den Neel für ihr Porträt ausgewählt hat, bringt die große Zärtlichkeit im Verhältnis der beiden Schwestern zum Ausdruck.
Neel war bereits in ihren Sechzigern, als sie in der Kunstwelt endlich Anerkennung und Bewunderung fand. Sie interessierte sich nicht für die nicht-figurative, abstrakte Kunst ihrer Zeitgenoss*innen. Vielmehr wollte sie die Menschlichkeit ihrer Modelle einfangen und bezeichnete sich als „Seelensammlerin” – vielleicht fangen alle guten Porträts die Seele der Abgebildeten ein.
WIRF EINEN BLICK AUF einige andere Doppelporträts von Alice Neel. Beginne mit Two Girls, Spanish Harlem (1959), Linda Nochlin and Daisy (1973) oder Geoffrey Hendricks and Brian (1978).
18 Porträts
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19 Urheberrechtlich geschütztes Material
Landschaften
Woran denkst du bei dem Wort Landschaft? An Wälder, Berge, Flüsse, Felder und Küsten? Vielleicht auch an das Wetter und die Jahreszeiten? Vielleicht wimmelt es in deiner Landschaft von Menschen und Gebäuden – dann hast du eine Stadtlandschaft vor Augen. Vielleicht siehst du aber auch eine ländliche Landschaft vor dir, ein Dorf mit nur wenigen Häusern, umgeben von Natur. In der Kunst ist Landschaft häufig mehr als nur der Hintergrund für etwas anderes, das geschieht. Für viele Künstler*innen ist sie das Hauptthema des Bildes und dient dazu, ganz verschiedene Stimmungen und Gefühle auszudrücken. Gerade in jüngerer Zeit war Künstler*innen daran gelegen, Natur und Landschaft als etwas darzustellen, das wir respektieren und gut behandeln müssen.
Patinirs Bild gründet sich auf einen römischen und griechischen Mythos, nach dem die Toten bei ihrer Reise ins Jenseits den Fluss Styx überqueren müssen. In seiner Fantasielandschaft sind links das Paradies und rechts die Hölle dargestellt. Durch die Bildmitte fließt ein tiefer blauer Fluss, der Styx.
Eines der frühesten Gemälde, in denen Landschaft eine sehr wichtige Rolle spielt, stammt von dem flämischen Künstler Joachim Patinir (um 1480–1524). Es ist keine Landschaft, die Patinir wirklich gesehen hat, sondern eine, die seiner Fantasie entsprungen ist. Er nutzt sie, um das Wesen von Gut und Böse zu ergründen.
Die große Figur in dem Boot ist Charon, der Fährmann. Der kleinere Mann, der gerade gestorben ist, wird von Charon in die Unterwelt gebracht. Dem Engel am linken Flussufer hat er den Rücken zugewandt und Charon steuert auf die andere Seite zu.
Siehst du den runden Turm mit dem bogenförmigen Tor, das von einem dreiköpfigen Hund bewacht wird? Das ist der Eingang zur Hölle und der Punkt, an dem sich der wunderschöne grüne Garten in eine brennende, ausgedörrte Landschaft verwandelt, die von furchterregenden Wesen bevölkert wird.
20 Landschaften
Unterwelt Joachim Patinir
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Überfahrt in die
1520–1524
FINDE Die Ekstase des heiligen Franziskus in der Galerie der Geschichten. Dort kannst du sehen, wie Landschaft für einen religiösen Zusammenhang genutzt wird.
WIRF EINEN BLICK AUF die Darstellungen von Paradies und Hölle des niederländischen Malers Hieronymus Bosch (um 1450–1516).
Der Fluss auf der linken Seite ist sehr viel länger als die kurze Überfahrt zur Hölle. Er windet sich durch eine üppige Landschaft mit Obstbäumen, Engeln, Vögeln und anderen Tieren. Erkennst du in der Ferne den kuppelartigen Springbrunnen und die schimmernde Stadt? Die Reise zu diesem paradiesischen Ziel ist sehr viel weiter, aber die Belohnung auch viel größer.
Warum also wird der Mann in die Hölle gebracht? Weil es einfacher ist, dorthin zu gelangen. Er hat zu Lebzeiten nicht hart genug daran gearbeitet, ein guter Mensch zu sein. Patinir hat eine sehr schöne, dramatische Landschaft geschaffen, um die Menschen zu ermutigen, ein gutes Leben zu führen, sich also für den Weg zum Paradies und nicht für den zur Hölle zu entscheiden.
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Nimm zwei romantische Landschaften
Wanderer über dem Nebelmeer Caspar David Friedrich um 1818
In diesem Bild steht eine einzelne Figur mit dem Rücken zum/r Betrachter*in auf einer Klippe. Ihre dunkle Silhouette zeichnet sich dramatisch gegen den helleren Hintergrund ab. Das Gesicht des Mannes können wir nicht sehen, aber vermutlich ist er jung und stark. Sein Haar wird zur Seite geweht und er stützt sich auf seinen Spazierstock. Der deutsche Künstler Friedrich (1774–1840) malte hier keine echte Landschaft, sondern ließ sich von seinen Bergwanderungen inspirieren.
Diese beiden Gemälde von eisigen Berglandschaften wurden im Abstand von nur sechs Jahren gemalt. Das eine in Deutschland, das andere in England. Sie sind in einem damals sehr populären Stil gehalten, der sogenannten Romantik. Nicht nur Künstler*innen, auch Schriftsteller*innen und Musiker*innen waren von der menschlichen Vorstellungskraft fasziniert und davon, wie sehr die gewaltige, unendliche Kraft der Natur uns anrühren kann. Der Begriff, den sie dafür verwendeten, war „das Erhabene“.
Die Blau-, Weiß- und Grautöne, die der Maler benutzt hat, vermitteln uns das Gefühl einer kalten, gefrorenen Landschaft. Die Wolken in diesem Nebelmeer wirbeln sanft um die felsigen Ausläufer und lenken unseren Blick auf die Berge in der Ferne. Wie tragen die Wolken zur Dramatik des Bildes bei?
Der Wanderer steht allein und betrachtet die weite Landschaft, die vor ihm liegt. Er ist losgelöst von der Landschaft, die er betrachtet, gleichzeitig aber auch Teil von ihr. Hat er gerade den Gipfel eines Berges erreicht oder will er noch einen weiteren besteigen? Welche Gedanken gehen ihm wohl durch den Kopf?
Wenn dieses Bild eine Szene in einem Film wäre, welche Art Soundtrack könntest du dir dazu vorstellen? Wie würde er sich von dem Soundtrack des Turner-Bildes auf der gegenüberliegenden Seite unterscheiden?
22 Landschaften Urheberrechtlich geschütztes Material
Auf unterschiedliche Art drücken beide Bilder die Schutzlosigkeit des Menschen angesichts der überwältigenden Kraft der Natur aus. Welches zeigt deiner Meinung nach Landschaft als schön und erhaben und welches stellt sie als angsteinflößend und erhaben dar?
Schneesturm: Hannibal und sein Heer überqueren die Alpen
J. M. W. Turner 1812
Die Sonne versucht verzweifelt, sich einen Weg durch den großen Schneestrudel zu bahnen, den der Wind aufgewirbelt hat. Genau wie Friedrich hat Turner Blau-, Grau- und Weißtöne benutzt, um die eisige Landschaft darzustellen, aber auch, um eine bedrohliche Wirkung zu erzielen. Wie tragen die Wolken zur Dramatik des Bildes bei?
Der britische Künstler J. M. W. Turner (1775–1851) macht im Titel seines Gemäldes klar, welches Thema er behandelt. Vor mehr als 2.000 Jahren überquerte der Feldherr Hannibal mit einer riesigen Armee die Alpen in Richtung Italien, um mit den Römern Krieg zu führen. Die Personen in Turners Bild sind nicht gleich zu erkennen, aber wenn wir den unteren Rand des Gemäldes näher betrachten, sehen wir mehrere Menschen in einem brutalen Kampf. Nach und nach können wir weitere Kämpfe erkennen.
Turner scheint sich fast mehr für die Dramatik des Himmels zu interessieren als für die Kämpfe, die darunter stattfinden, aber je länger du hinsiehst, desto mehr kämpfende Soldaten kannst du erkennen. Was glaubst du, wie sie sich fühlen? Wie fühlt es sich wohl an, unter diesen Bedingungen zu kämpfen?
Turner hat seinem Werk zwei Titel gegeben – einer verweist auf die Landschaft, der andere auf das geschichtliche Ereignis. Was glaubst du, warum er das getan hat? Ist dies ein historisches Gemälde oder ein Landschaftsgemälde oder beides?
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