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84. GGB-Mitgliederversammlung in Stralsund

Mit einem spannenden Gesamtprogramm fand vom 23. bis 25. September 2022 nach zwei Jahren pandemiebedingter Pause die 84. Mitgliederversammlung der Gesellschaft für Geschichte des Brauwesens e.V. (GGB) als gut besuchte Präsenzveranstaltung in der Hansestadt Stralsund statt.

Der Einladung in die Räumlichkeiten der Störtebeker Braumanufaktur folgten mehr als 80 Teilnehmer. Zwei abwechslungsreiche Tage boten jenseits des formellen Teils reichlich Gelegenheit, sich mit neuen Mitgliedern auszutauschen und auch mit Vertretern des Vorstands der Gesellschaft für Geschichte des Branntweins e. V. (GGBW) das Gespräch zu suchen. Dabei entdeckte man nicht wenige Schnittmengen beider Vereine, die eine zukünftige Zusammenarbeit erwarten lassen.

Beachtliche Kapazitäten

Gastgeber Jürgen Nordmann, Inhaber der Störtebeker Braumanufaktur, skizzierte die erfolgreiche Entwicklung des Brau- und Getränkeunternehmens seit 1990

Am Freitag, 23. September, ging es im Vorfeld der Mitgliederversammlung unter fachkundiger Begleitung der Braumeister Christoph Puttnies, Julian Walker und Jens Reineke auf Entdeckungstour durch die Störtebeker Braumanufaktur. Die Herausforderungen der beeindruckenden Biervielfalt der Brauerei spiegeln sich bereits im Sudhaus wider. Während die Brauerei noch im Jahr 1999 lediglich 34 000 hl produzierte, werden heute 18 verschiedene Malzsorten

Brauerei eingesetzt, um mittels je zweier Läuterbottiche und Würzepfannen im Rhythmus von 16 Suden pro Tag alle 90 Minuten 120 hl Würze für die Herstellung von inzwischen 24 Biersorten bereitzustellen. Beeindruckend ist auch die Tatsache, dass vier Hefesorten einer guten Pflege bedürfen und die Verwendung von 20 Hopfensorten die Brauerei vor einige Herausforderungen stellen dürfte. 70 % der Biere werden nur separiert, nicht jedoch filtriert.

Die Brauerei verfügt über eigene Brunnen, die als Mineralbrunnen qualifiziert sind und deren Wasser auch als eigenes Mineralwasser in Glasflaschen im regionalen Umfeld angeboten wird. Für die Verwendung als Brauwasser wird das Brunnenwasser von 20 °dH auf 3 °dH aufbereitet.

Imposant ist der gigantische Neubau des Abfüll- und Logis- tikzentrums, in dem aktuell 35 000 Flaschen pro Stunde befüllt werden und in dem ausreichend Platz für zukünftige Erweiterungen besteht. Ein besonderes Highlight der Führung war das über 30 m hohe vollautomatische Hochregallager, in dem ca. 40 000 hl Bier Platz finden und aus Gründen des Brandschutzes gut 15 000 Sprinkler verbaut sind. Durch die Biertemperatur wird das Hochregallager ganz natürlich auf 15 bis 20 °C temperiert. Alle Gänge werden unterschiedlich belegt, um eine maximale Flexibilität zu bieten. Beim Ein- und Auslauf wird die Palettenqualität durch Umlagerung jeweils angepasst. Im Hochregallager selbst kommen nur Neupaletten zum Einsatz, um einen störungsfreien Betrieb zu gewährleisten. Um einen bestmöglichen Wirkungsgrad der Gesamtanlage im Einklang mit der Abfüllung zu erzielen, werden die unteren drei Reihen von vorsortiertem Leergut belegt.

Wandlung zur Erlebnisbrauerei Vor der eigentlichen Mitgliederversammlung standen für die Mitglieder im Veranstaltungssaal der Brauerei, dem Kühlschiff, zwei Fachvorträge auf dem Programm. Jürgen Nordmann, Geschäftsführer und Inhaber der Störtebeker Braumanufaktur, skizzierte in seiner Präsentation die Geschichte der 1827 gegründeten Brauerei bis in die Gegenwart. Wie so oft gab es auf dem Weg zum Erfolg zahlreiche Umbrüche. Die Brauerei, die seit 1890 am heutigen Standort liegt, war einst Hoflieferant der Kaiserbäder, kämpfte jedoch zu DDR-Zeiten mit Demontage und Verfall, sodass nach 1990 ein Neuaufbau erfolgen musste. Bei allen zurückliegenden Investitionen galt es stets – ob auf der grünen Wiese oder im historischen Gebäudebestand – Markenkern, Firmenhistorie und Innovation erlebbar zu kombinieren. Der fortwährende Erfolg stellte sich insbesondere mit der Positionierung der Marke als zu entdeckendes maritimes Abenteuer ein, das hanseatische Braukunst mit Genuss, hohem Qualitätsanspruch auf Weltniveau sowie Innovation mit Alleinstellungsmerkmalen vereint. So entstanden in der hauseigenen Ide - enschmiede zahlreiche gewerbliche Schutzrechte, die die Störtebeker Braumanufaktur auch ohne Fernsehwerbung zu einer wertigen nationalen Marke heranwachsen ließ, die trotz der hohen Produktvielfalt heute 99,9 % Verfügbarkeit in der Logistik erzielt. Seit 2011 werden Mitarbeiter zu Bierbotschaftern und Biersommeliers ausgebildet, was sicher auch einen Anteil daran hat, dass die Brauerei seit Jahren ein zweistelliges Wachstum aufweist und ihren Bekanntheitsgrad stetig erweitert.

Qualitätsanspruch im Wandel

Die Entwicklung des heutigen Qualitätsanspruchs hat das GGBMitglied Bernd Birkenstock in verantwortungsvollen Positionen in der Brauereilandschaft maßgeblich mitgestaltet. In seinem Vortrag ging er auf die Entwicklung der Qualitätssicherung ein, indem er die Teilnehmer an einer Zeitreise teilhaben ließ, die die Ausstattung und Arbeitsweise in den Brauereilaboren im Laufe der zurückliegenden Jahrzehnte schilderte. Aus heutiger Sicht ernüchternd ist, dass nach 1945 vielerorts die Möglichkeiten zur Datenbestimmung lediglich auf Bier- und Würzespindeln oder Thermometern zur Bestimmung von Gärund Raumtemperatur fußten, die zudem bei der Temperaturmessung Ergebnisse in den unterschiedlichsten Maßeinheiten lieferten. In besser ausgerüsteten Brauereien war für Laborgeräte wie Mühlen oder Sortiereinrichtungen nicht selten lediglich ein Transmissionsantrieb vorhanden, sodass parallele Bestimmungen kaum möglich waren. Farbbestimmungen nach Brand/EBC für Würze und Bier fanden mit Referenzscheiben im visuellen Verfahren statt und im mikrobiologischen Labor wurde als Nährmedium kleistertrübes Bier eingesetzt. Ab 1968 kam der erste Spektralfotometer zur Bestimmung der Bitterstoffe zum Einsatz. Ab 1970 gelang die Bestimmung der Gärungsnebenprodukte mittels Gaschromatografie. Ab 1985 ermöglichte diese Methode zudem den Nachweis und die Quantifizierung von DMS (Dimethylsulfid). Mit der Hochdruckflüssigkeits-Chromatographie wurden nun erstmalig Analysen von Zuckern, Aminosäuren und Hopfen möglich.

Auf der Suche nach einer einheitlichen Sys tematik der Qualität

GGB-Geschäftsführer Alexander Hofmann blickte in seinem Vortrag auf die zurückliegende Vereinsarbeit wurden 1980 im Mitteilungsblatt des Deutschen Brauer-Bundes die 14 Teilqualitäten definiert, die u.a. Kriterien zu Herstellung, Transport, Haltbarkeit, Gesundheitswert oder Image befeuern sollten. 1983 wurde dann das vorläufige Biergesetz der Bundesrepublik Deutschland auf den Weg gebracht, das eigentlich aus einem Vertragsverletzungsverfahren der EG-Kommission gegen die Bundesrepublik Deutschland wegen des Reinheitsgebots für Bier entstammte. Die Zeitreise durch das Brauereilabor bis in die Gegenwart fesselte die Zuhörer und zeigte auch, wie nahe an der Perfektion heutzutage gearbeitet wird, verglichen mit den empirischen Vorgehensweisen vorangegangener Jahrhunderte.

Blick in die Vereinsarbeit

Die eigentliche Mitgliederversammlung eröffnete der GGB-Vorsitzende Dr. Josef Fontaine mit der Vorstellung des im Vorjahr in virtueller und schriftlicher Abstimmung gewählten Vorstandes, bevor er GGB-Geschäftsführer Alexander Hofmann das Wort erteilte. Hofmann begann mit einem Rückblick auf die zurückliegende Vereinsarbeit. Durch Neuankäufe aus Antiquariaten und durch die Sicherung von werthaltigen Nachlässen wurden die Literaturbestände in der GGB-eigenen Schultze-Berndt-Bibliothek vergrößert. Die Webpräsenz (unter www. ggb-berlin.de) gibt es nun auch in englischer Sprache. Mit der Veröffentlichung der deutschsprachigen

Im Veranstaltungssaal der Störtebeker Braumanufaktur fand die GGBMitgliederversammlung statt – genau dort plant die VLB Berlin, im März 2023 ihre 107. Frühjahrstagung abzuhalten

Übersetzung einer der frühesten bekannten Publikationen über die Malzbereitung und Bierherstellung wurde 2021 ein umfassender GGB-Sonderdruck in attraktiver Hardcover-Optik veröffent licht. Das Besondere an der auf den böhmischen Universalgelehrten Tadeás Hájek z Hájku (1526-1600) zurückgehenden Neuauflage ist, dass jeweils der lateinische Originaltext der deutschen Übersetzung gegenübergestellt wird. Das ideale Geschenk für Bierenthusiasten kann unter der ISBN 978-3-921690-96-3 über den VLB-Buchshop (vlb-books. myshopify.com/) bezogen werden.

Die Relevanz der GGB gegenüber der Zivilgesellschaft zeigt das Beispiel, dass erst jüngst durch Recherche innerhalb der GGB-Bibliotheksbestände ein Rechtsstreits um das zugrundeliegende Herstellverfahren einer regionalen Bierspezialität beigelegt werden konnte. Als neueste Anschaffung besitzt die GGB einen Buchscanner vom Typ „Bookeye 5“, mit dem Bücher oder Zeitschriften schonend und qualitativ hochwertig gescannt werden können. Er steht den Nutzern der Biblio thek und den GGB-Mitgliedern zur Verfügung. Die GGB wird seitens der Finanzverwaltung auch weiterhin als gemeinnütziger Verein eingestuft. Nach der einstimmigen Entlastung des Vorstands und der Geschäftsführung wurde über eine Erweiterung der bisherigen Satzung um die Möglichkeit zur zukünftigen Durchführung von Nicht-Präsenzveranstaltungen abgestimmt, die einer besonderen Voraussetzung bedürfen.

Die Mitgliederversammlung fand Ihren Ausklang mit einem reichhaltigen Büfett, einer Auswahl an Störtebeker-Spezialitäten, guten

Gesprächen und der Verkostung eines holzfassgereiften Spezialsudes. Im Anschluss begab sich ein großer Teil der Anwesenden in eine der ältes ten Hafenkneipen Europas und genoss vor und in der „Zur Fähre“ hansea tische Wohlfühlatmosphäre beim Austausch mit Kollegen.

Ausklang

in Stralsund

Am Samstag startete für die Mitglieder am Vormittag eine eindrucksvolle Altstadtführung durch die 1234 gegründete Hansestadt Stralsund, die 2002 Welterbestatus erlangte. Ihr aus dem 13. Jahrhundert stammendes Rathaus, dessen Inneres als Passage konzipiert wurde und einst 40 Geschäfte zählte, begeisterte ebenso, wie die zahlreichen Schmuckfassaden einzelner Häuser und die imposante Backsteinarchitektur der Kirche St. Nikolai oder der St.-Marienkirche, die mit 151 Metern Höhe zur Zeit ihrer Erbauung als das höchste Ge - bäude der Welt galt. Die inneren Werte alter Kaufmannsarchitektur konnten die GGB-Mitglieder beim gemeinsamen Mittagessen im Restaurant „Zum Scheele“ genießen, dessen Name auf den in Stralsund geborenen Apotheker und Wissenschaftler Carl Wilhem Scheele zurückgeht, dem u.a. die Entdeckung von Sauerstoff und Milchsäure zugeschrieben wird.

Mit einer Highlightführung durch das Ozeaneum endete der offizielle Teil eines unvergesslichen Wochenendes, das nicht wenige Mitglieder mit einem Spaziergang am Strelasund, einem gemeinsamen Abendessen und einem Ausflug auf die Insel Rügen ausklingen ließen. Die nächste Mitgliederversammlung findet am 8. September 2023 im Umfeld der GGB-Geschäftsstelle und der GGB-eigenen SchultzeBernd-Bibliothek an der VLB in Berlin statt.

GGB-Jahrbuch 2022

Gesellschaft für Geschichte des Brauwesens (GGB) e.V.: Jahrbuch 2022, 272 S., Paperback, 20 €, ISSN 1860-8922 www.ggb-berlin.de oder vlb-books.myshopify.com

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