8 minute read
Mehr als ein Leben – der neue Roman von Milena Moser
Was wäre gewesen, wenn
… fragt die erfolgreiche Schweizer Schriftstellerin in ihrem neuen Roman und erzählt davon, wie wegweisende Entscheidungen den Lauf des Lebens verändern können
Advertisement
Jeder kennt Situationen, in denen er sich entscheiden muss. Und die Frage: Wie wäre mein Leben verlaufen, wenn ich mich anders entschieden hätte? So ergeht es auch Helen, allerdings ermöglicht es Milena Moser ihrer Protagonistin, Mehr als ein Leben zu leben.
Helens Kindheit verläuft keineswegs unbeschwert. Die Trennung von Helens Vater Luc verarbeitet die Mutter vornehmlich mit Alkohol. Luc kümmert sich zwar hin und wieder um seine Tochter, doch überwiegend ist er auf seinen Job und seine Freundinnen konzentriert. So lernt Helen schon früh, sich allein für den Kindergarten fertig zu machen und die Ausbrüche der Mutter vor den Nachbarn zu vertuschen. Glücklicherweise findet sie im Nachbarsjungen Frank einen Freund, der ihre Hand hält und sein Lunchpaket mit ihr teilt.
Als Luc eines Tages das Sorgerecht für sich beansprucht, wird das zehnjährige Mädchen vor eine tiefgreifende Entscheidung zwischen Vater und Mutter gestellt. Wie wird diese Entscheidung den weiteren Verlauf ihres Lebens bestimmen? Wird sie in Europa bleiben oder nach Amerika gehen? Wird sie die Verantwortung oder die Freiheit wählen? Die Autorin erzählt zwei mögliche Versionen von Helens Leben. Als Elaine heiratet Helen ihre Sandkastenliebe Frank und bekommt Kinder mit ihm. Jedoch ist sie mit einer Schuld belastet, die das Familienglück trübt. Als Luna will Helen einfach nur weg, frei und unabhängig sein, sich erproben – und geht als Au-pair in die USA. Auf beiden Wegen wird sie mit den Ecken und Kanten des Lebens konfrontiert. Mosers tiefgehender Roman wirft auch die Frage nach Identität auf und danach, inwieweit wir angesichts unserer Prägungen unser Glück tatsächlich in die Hand nehmen können. Eine spezifische Botschaft möchte die Autorin nicht vermitteln: „Ich erzähle eine Geschichte und hoffe, dass sie berührt und verzaubert.“ Das tut sie!
„Später würde sie oft darüber nachdenken. Was, wenn. Was, wenn sie etwas später nachhause gekommen wäre, oder etwas früher.“
Milena Moser
Milena Moser
Die 1963 in Zürich geborene Milena Moser gehört zu den erfolgreichsten Schriftstellerinnen der Schweiz. Sie hat zahlreiche Bücher, Essays, Hörspiele und Beiträge in Anthologien veröffentlicht. Moser lebte in der Schweiz und den USA und zog 2019 nach San Francisco. Das Glück sieht immer anders aus und Hinter diesen blauen Bergen über ihr Leben in den USA wurden Bestseller. Milena Moser Mehr als ein Leben 560 S., 27,00 € eBook 20,99 € Kein & Aber
LITERATUR
Catalin Dorian Florescu Der Feuerturm 358 S., 25,00 € eBook 18,99 € C.H.Beck
Porträt eines Jahrhunderts
1892 errichtet, wird der Feuerturm von Bukarest Zeuge eines ereignisreichen Jahrhunderts. Über Generationen hinweg stellt die beim Turm lebende Familie Stoica Feuerwehrmänner. Zwar ist Victor der Erste, der mit dieser Tradition bricht. Dennoch steht sein Leben, von einem tückischen Verrat gebrandmarkt, ganz im Zeichen des Turms. Als Opfer der Repression geht Victor durch die Hölle – bis er 1989 wider Erwarten erlebt, dass Hoffnung auf Freiheit und Glück berechtigt ist. Florescu fängt ein Jahrhundert wechselvoller Geschichte ein, die sich in der Familien Stoica und dem sich wandelnden Leben in Bukarest widerspiegelt. Unvergessliche Figuren, ein unbestechlicher Blick und leiser Humor zeichnen diesen großartigen Roman aus.
Einzigartige Neuentdeckung
Unter allen literarischen Debüts in den USA gehört Milch Blut Hitze zu den aufregendsten. Die gefeierten Erzählungen von Dantiel W. Moniz entführen uns auf die Schattenseiten des Sunshine State, in Alltagswelten, in denen es keinen Platz für große Träume gibt. So erzählen sie von einer Teenagerin, die sich der Kirche widersetzt und den Preis dafür am eigenen Leib erfährt. Oder von zwei Geschwistern, die die Asche ihres verstorbenen Vaters nach Santa Fe bringen und sich während der Reise auf dem unendlich langen Highway den Abgründen ihrer Vergangenheit stellen müssen. Mit großer Aufrichtigkeit und Wärme erkundet Moniz Schwächen und Ängste ihrer Protagonisten. Dabei stellt sie sich den Lebensgefühlen unserer Zeit in einer Sprache, die gleichermaßen kompromisslos wie feinfühlig ist. Ein magisches Buch – nominiert für die Pen America Literary Awards.
Dantiel W. Moniz Milch Blut Hitze 230 S., 23,00 € eBook 17,99 € C.H.Beck
Vendela Vida Die Gezeiten gehören uns 288 S., 22,00 € eBook 16,99 € Hanser Berlin
Subtiles Drama
Die Straßen von Sea Cliff mit ihren prächtigen Häusern und wilden Stränden gehören ganz Eulabee und ihrer Freundin Maria. Als die beiden Dreizehnjährigen eines Morgens dort auf dem Weg zur Mädchenschule unterwegs sind, hält sie ein Mann im Auto an und fragt nach der Uhrzeit. Darüber, was dann passiert, sind sich die Mädchen uneinig. Während Maria erzählt, der Mann habe sie angefasst, widerspricht Eulabee dem und wird plötzlich zur Ausgestoßenen … Der neue Roman der preisgekrönten Autorin Vendela Vida erzählt von verlorener Unschuld, Lügen und Verrat in der Jugend vor der Kulisse San Franciscos der 1980er-Jahre – „scharfsinnig, traurig, überraschend und fesselnd. Und außerdem lustig.“ (Nick Hornby)
Eine Frage der Ehre Folgenreiche Herkunft
Das letzte offizielle Duell fand hierzulande 1937 statt – in den Heilanstalten Hohenlychen in Brandenburg. Im deutschen Strafrecht wird das Duell seit 1969 nicht mehr gesondert, sondern wie Körperverletzung oder Totschlag behandelt. Umso verblüffter ist man auf der Polizeiwache am Alexanderplatz, als der Psychiater Oskar B. Markov Anzeige erstattet, weil er zum Duell gefordert wird. Der Beleidigte ist ein Antiquar, der über der Lektüre alter Duellbücher offensichtlich den Realitätsbezug verloren hat. Dass seine Ex-Freundin jetzt mit dem Psychiater liiert ist, erklärt er zur Beleidigung dritten Grades – also zum hinreichenden Grund für ein Duell. Nur: Wie soll das funktionieren? Markov will partout nicht begreifen, warum er sich freiwillig erschießen lassen soll – doch die Polizei weigert sich zu ermitteln. Eine rasante, herrlich skurrile Geschichte. Diversität muss sichtbar sein, lautet die Devise. Dafür hält die Ich-Erzählerin Vorträge an Schulen, Unis, Frauen-Panels, Fachmessen – und muss die für ihren tatsächlichen Job verlorenen Stunden akribisch nacharbeiten. Sei’s drum: Nach oben zu kommen war schließlich stets der Plan. Seit Jahrhunderten. Dafür hat sie, dafür haben alle vor ihr gekämpft. Und als schwarze Frau stand ihr letztlich nur ein Weg offen: völlige Verausgabung, Oxbridge, Londoner Hochfinanz, ein Freund mit Geld, so alt und dreckig wie das Empire. Doch als sie endlich eingeladen wird, Mitglied einer Familie, Angehörige einer Klasse, Teil eines Landes zu werden, muss sie am eigenen Körper erfahren, dass die erlittenen Ungerechtigkeiten tiefere Wurzeln geschlagen haben. So virtuos wie verstörend: Zusammenkunft gilt in England als das erfolgreichste literarische Debüt es Jahres 2021.
Rayk Wieland Beleidigung dritten Grades 320 S., 24,00 € eBook 19,99 € Kunstmann Nicolò Targhetta Alles spricht 288 S., 22,00 € eBook 17,99 € Kunstmann
Im Dialog mit den Dingen
Von Social-Media-Storys zum Debütroman: Mit täglichen Kurzgeschichten auf Facebook wurde Nicolò Targhetta in Italien bekannt, nun wagt er sich an die große Form. Alles spricht handelt von einer jungen Frau, der von heute auf morgen das Leben zerbröselt: Freund weg, Wohnung weg, Job weg. Sie ist allein – zumindest fast. Die Dinge sprechen mit ihr, schon seit ihrer Kindheit. So weiß der Aschenbecher lange vor ihr, dass sie ihren ExFreund nicht wirklich liebt, und der Bademantel kräht: „Starke Frauen sind immer gearscht! Immer!“ Lässig und klug führt Nicolò Targhetta in eine wunderbare Welt aus spöttischen Plakaten, philosophischen Fotos, zu Tode gelangweilten Plastikpflanzen, aufmüpfigen Handys und selbstverliebten Tätowierungen. Dieser ebenso witzigen wie tiefgründigen Geschichte gebührt ein dickes Like!
Natasha Brown Zusammenkunft 113 S., 20,00 € eBook 16,99 € Suhrkamp
LITERATUR
Thor Kunkel
Thor Kunkel Im Garten der Eloi – Geschichte einer hypersensiblen Familie 448 S., 24,00 € Europa Verlag
Geboren 1963, zählt Thor Kunkel zu den meistdiskutierten deutschsprachigen Schriftstellern. Er studierte Bildende Kunst in Frankfurt/Main und San Francisco und arbeitete lange in der Werbung. Dabei stellte er sein Talent ehrenamtlich in den Dienst von Non-Profit-Organisationen.
Der Subversive
Thor Kunkel versetzt uns mit seinem neuen Roman ins Berlin des Jahres 2016: Die Welt von Harro Grunenberg, dem Leiter einer Agentur für ethische Werbung, wird erschüttert, als er zufällig erfährt, dass seine Tochter Opfer einer Vergewaltigung wurde. Im woken Milieu, in dem er und seine Frau ihre Brötchen verdienen, aber ist der Fall anscheinend „unsagbar“; vermutlich, weil der Täter Migrant ist. Verstört von der Gelassenheit seiner Umgebung, die darauf beharrt, es „sei doch nichts passiert“, und irritiert von seiner Zeit, in der das Maß der Meinungsfreiheit von Eliten bestimmt wird, begibt sich Harro Grunenberg auf einen ebenso subversiven wie aberwitzigen Rachefeldzug: Mithilfe einer säkularisierten Muslima und Modemacherin versucht er, durch die Neuauflage des Keuschheitsgürtels ein Zeichen zu setzen gegen „die importierte Frauenfeindlichkeit und die Schattenseiten der Kulturbereicherung“. Doch die Gutmenschen Berlins haben längst die Ratte gewittert – und das System hat für diese Sorte Zivilcourage kein Verständnis. Der enttarnte Konterrevolutionär wird verbannt und als Unperson geächtet. Grunenberg findet Zuflucht in einer dunkeldeutschen Ost-Männer-WG, aber ob dies für ein Happy End reicht, soll hier nicht verraten werden.
Zwei mutige Frauen
Zwei Frauen, zwei Leben, eine Fotografie. In ihrem Roman erzählt Katharina Fuchs die Geschichte der ersten deutschen Foto-Journalistin und einer Leistungsturnerin aus der DDR: Angelika Steins Traum scheint geplatzt, als sie mit 15 von der Schule fliegt. Kein Fotograf in Kassel will einem Mädchen ohne Schulabschluss eine Lehrstelle geben. Doch Angelika gibt nicht auf – und bekommt schließlich eine Chance von einem Fotografen, der vor Kurzem aus der DDR gekommen ist. Zur selben Zeit wird in Ostberlin die junge Leistungsturnerin Christine Magold darauf gedrillt, die DDR bei den Olympischen Spielen zu vertreten. Doch ist das wirklich ihr Traum? Beim Bau der Berliner Mauer 1961 treffen die beiden jungen Frauen unter dramatischen Umständen aufeinander. Mit viel Feingefühl erzählt Katharina Fuchs die Geschichte zweier so eigensinniger wie mutiger Frauen.
Erscheint am 01.04.2022
Katharina Fuchs Lebenssekunden 416 S., 10,99 € eBook 14,99 € Droemer Verlag