B端ndner
Wald
Jahrgang 65 | Dezember 2012
Wald und Wild
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Inhalt
Wald und Wild Editorial.................................................. 4
Die Wiederherstellung des Arvengürtels
Notmassnahmen für das Wild –
Comic Theo & Heinz.................................. 82
eine forstliche Konzession............................ 5
Interview mit Rolf Manser und
Notmassnahmen – ein Rückblick
Reinhard Schnidrig.................................... 83
auf den vergangenen Winter....................... 8
Untersuchung zum Höhenwachstum
Luchs und Wolf sind willkommen.............. 11
der Weisstanne......................................... 89
im hinteren Rheinwald.............................. 78
Luchse in der Region................................. 14
Buchbesprechung «Tatort Wald»............... 93
Rotwild-Überwinterungskonzepte
Vorschau................................................... 95
in Österreich............................................. 19 Verbissprozente – theoretisch fundiert und praktisch bewährt............................... 27 Zu hoher Wilddruck – die Antwort liefert der Wald...................... 32
Titelbild: Der Puls der Forstpraktiker ist
Wie sieht Andreas Moser
zurzeit grossflächig ruhig, regional aber erhöht
Wald und Wild?........................................ 41
oder steigend – insbesondere in Gegenden,
Wald-Wild-Konflikte als Chance................ 46
wo der Rothirsch neu einwandert oder seine
So sehe ich Wald,
Population zunimmt.
Wild und Jagd........................................... 48
(Bild: naturpix.ch/k.gansner)
Jagdplanung baut auf Fakten.................... 52 Nachhaltige Hege
Bild Inhaltsverzeichnis: Für den einen das
ruft nach Flexibilität!................................. 57
Frassbild eines Schädlings, für den anderen Kunst
Jagdsysteme der Schweiz........................... 60
aus der Hand der Natur. Bei manchen Dingen
Sicht eines Wildhüters mit
entscheidet der Blickwinkel des Betrachters über
forstlichem Hintergrund............................. 63
«Gut oder Böse».
Vollzugshilfe Wald-Wild............................ 67
Wie auch immer, der «Bündner Wald» wünscht
Wachsen junge Weisstannen im
Ihnen eine frohe Weihnachtszeit und einen guten
Nebenareal anders?................................... 72
Start ins neue Jahr.
Hegepreis JagdSchweiz 2012..................... 74
(Bild: Manuela Clavadetscher) Bündner Wald 6/2012 3
Editorial
Wald und Wild – Konfliktthema oder Le bensgemeinschaft? Der Standpunkt ent scheidet über unsere Ansicht. Betrachten wir die Thematik aus naturkundlicher Sicht, so ist kein eigentlicher Konflikt auszuma chen. Die Konfliktsituation entsteht erst, wenn wir den Faktor Mensch ins Spiel brin gen. Der Mensch ist ebenfalls Nutzer der Natur, und er hat der Natur grosse, oder sogar riesige Flächen entzogen und zu seinem Lebensraum gemacht. Diesen Le bensraum gestaltet sich der Mensch mehr oder weniger frei nach seinem Willen und Ermessen. Er braucht Elemente der Natur, um sich vor sogenannten Naturgefahren zu schützen. So verhält es sich auch mit dem Wald. Der Wald dient dem Menschen als Schutzeinrichtung, als Rohstofflieferant und auch als Freizeitarena. Und genau hier entstehen auch Konflikte, in welche unter anderem auch das Wild (unverschulde terweise) einbezogen wird. Die Wildtiere regulierten sich einst selbst. Wie auch wir, so gestalteten sie sich ihren Lebensraum je nach Art mehr oder weniger aktiv. Erst als der Mensch überall sesshaft wurde, seine technischen Mittel ungehindert ausbaute und seine Ansprüche an die Natur immer grösser wurden, verschob sich das Gleich gewicht in der Natur (zu) massiv. Konkur renten wie die grossen Raubtiere wurden systematisch verfolgt und ausgerottet oder verdrängt. Die Bestände der Nahrungsliefe ranten (oder Beutetiere) wurden zu Zeiten knapper Ressourcen sehr stark und auf ein absolutes Minimum reduziert. Heute steht der Mensch an einem Punkt, an dem er alles möchte. Wir verlangen vom Wald ei nen hohen Schutz vor Naturgefahren, wir wollen uns in unserer Freizeit bewegen wie
und wo es uns gefällt, wir möchten maxi male Wildbestände für Jagd und Tourismus, usw., usw. Und schlussendlich sind wir so weit vom ursprünglichen System der Natur abgerückt, dass wir alles in Geld und Zahlen umrechnen und bewerten. Dieses Verhalten speist eine kaum versiegende Quelle von Konflikten zwischen verschiedenen Inte ressengruppen dauernd aufs Neue mit gu ter Nahrung. Der Wald soll gewinnbringend bewirtschaftet werden und unsere Siedlun gen und Infrastruktur schützen. Die Spuren der Bewirtschaftung wollen nicht alle se hen. Im Schutzwald wird eine weitgehend natürliche Verjüngung mit verschiedenen Baumarten gefordert. Hier stellen zu hohe Wildpopulationen ein Problem dar. Deshalb werden vom Forstdienst angepasste Wild bestände und Ruhezonen im Winter gefor dert. Als Jäger möchte ich jagdlichen Erfolg und somit hohe Wildbestände. Diese ver suchen einzelne Jäger in unserem Kanton mit privaten Fütterungseinrichtungen (und leider ohne Absprache mit AJF oder AWN ) möglichst hoch zu halten. Ex treme Tier schutzkreise wollen die Jagd auf das arme Wildtier schon längst verbieten, womit die Wildschäden wohl kaum geringer ausfallen würden. Und so dreht sich die «Konflikt mühle» stetig weiter. Auf wessen Kosten und zu wessen Nutzen, soll hier nicht weiter kommentiert werden …
Jörg Clavadetscher, Redaktor Bündner Wald Ruinas, CH-7535 Valchava forestal-muestair@bluewin.ch
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Notmassnahmen für das Wild – eine forstliche Konzession
Am Südhang findet das Wild auch in strengen Wintern meist genügend Nahrung, sofern es in Ruhe gelassen wird. (Bild: Sandro Krättli)
Warum braucht es Notmassnahmen? Der Kanton Graubünden verfolgt seit über 20 Jahren die Strategie eines Verzichtes auf Winterfütterungen. Dieser Verzicht hat viele Gründe. Aus forstlicher Sicht steht sicher das Vermeiden von Wildmassierungen und der damit verbundenen Schälschäden in der Nähe von Futterstellen im Zentrum. Für mich entscheidender ist hingegen der ökologische Ansatz, indem die Natur respektive der Winter regulierend auf die (noch) nicht angepassten Wildbestände Einfluss nimmt. Wild soll Wild bleiben – wir richten die Waldbewirtschaftung auch auf die natürlichen Gegebenheiten aus. Damit wird der Bündner Jäger noch mehr motiviert, die zweistufige Bündner Jagd zu nutzen und das jagdbare Wild abzuschöpfen. Aus forstlicher Sicht drängen sich deshalb aus dem ökologischen Blickwinkel prinzipiell keine Notmassnahmen auf, die den natürlichen Lauf der Dinge beeinflussen; zumal die Schalenwildbestände aus Sicht der Waldverjüngung zu hoch sind. Es ist offensichtlich, dass die Jagd die wirksamste Massnahme ist, um die Schalenwildbestände ihren Lebensräumen anzupassen. Es ist deshalb offenkundig, dass die Forstwirtschaft in einer Art Schicksals-
gemeinschaft mit der Bündner Jagd verbunden ist. Das lässt sich unschwer aus der Tatsache folgern, dass wir ein vitales Interesse haben, dass die Bündner Jäger erfolgreich sind und dass die Bündner Jagd eine hohe Akzeptanz bei der nichtjagenden Bevölkerung besitzt, die sich notabene in der Mehrheit befindet. Die gleiche Bevölkerung, welche die Bündner Jagd akzeptiert und auch in einem gewissen Sinne stolz ist auf dieses Kulturgut mit einer erheblichen Ausstrahlung über die Kantonsgrenzen hinaus, reagiert sehr empfindlich, wenn sie sich mit den Folgen eines harten Winters – mit Bildern von verendeten Wildtieren – konfrontiert sieht. Solche Bilder lassen niemanden kalt! Es ist deshalb auch richtig und zielführend, wenn für solche Situationen, die wir als Notsituationen bezeichnen, Konzepte entwickelt werden, mit denen sich in sehr strengen Wintern erbärmliche Bilder von in grosser Zahl verendenden Tieren (wenn möglich noch in Dorfnähe) vermeiden lassen. Letztlich geht es in solchen Situationen nicht darum, Schalenwildbestände auf einem den Wintern unangepassten Niveau zu halten, sondern um die Akzeptanz der Jagd als wichtigstes Mittel zur Anpassung der Schalenwildbestände an ihre natürlichen Lebensgrundlagen. Bündner Wald 6 /2012 5
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Erste Erfahrungen mit den Notmassnahmen Meine Ausführungen beziehen sich auf die Erfahrungen, die wir im Winter 2011/12 gemacht haben. Das gesamte Vorgehen wurde im Nachgang des aussergewöhnlich harten Winters 2008/09 in Zusammenarbeit zwischen AJF, BKPJV und AWN erarbeitet und als Richtlinien im Rahmen einer Verfügung am 16. November 2010 vom BVFD genehmigt. Das AJF und das AWN hatten in den Richtlinien definiert, dass sich ein Entscheid, wann Notmassnahmen in einem Bezirk zu ergreifen sind, auf mehrere Indikatoren abzustützen hat. Es sind dies: – ein früher Winterbeginn – die Art des Einschneiens – lang anhaltende Kälteperioden – hohe Schneemengen – das Verhalten des Wildes – der konditionelle Zustand der Tiere – die Entwicklung der Fallwildzahlen. Es wurde vereinbart, dass Notmassnahmen jeweils frühestens ab Mitte Januar ins Auge zu fassen seien. Die Beurteilung der mehrheitlich qualitativen und somit nicht messbaren Kriterien sollte durch die Mitarbeiter der beiden Ämter vor Ort zusammen mit dem jeweiligen Bezirkshegeobmann ( BKPJV) erfolgen. Aufgrund dieser Beurteilung wurden dann von den Jagdbezirken Anträge nach Chur geschickt, die vom AJF und AWN beurteilt werden sollten. Kamen beide Amtsleiter zum Schluss, dass sich aufgrund der vor Ort getroffenen Beurteilung Notmassnahmen aufdrängten, wurden diese vom Bau-, Verkehrs- und Forstdepartement im Rahmen einer Departementsverfügung verfügt bzw. genehmigt. Die darauf lancierten Massnahmen basierten auf den bereits bestehenden Konzepten.
Absolut zentral war und ist auch heute noch die Tatsache, dass Notmassnahmen erst dann ergriffen werden, wenn von Chur aus die Erlaubnis dafür gegeben wird. Dies ist im letzten Winter deutlich nicht erreicht worden durch den Alleingang von Privaten im Prättigau, die sich nicht an die Appelle der Wildhut gehalten haben. Der viel zu frühe Start der Notmassnahmen baute in den restlichen Regionen mit hoher Schneelage einen enormen Druck auf. Meine Schlussfolgerungen Insgesamt sind die Erfahrungen positiv, insbesondere auch aus forstlicher Sicht. Sehr wichtig ist, dass sich Förster, Wildhüter und Jäger geschlossen auf die Grundsätze eines ökologischen Wald-und-Wild-Managements verpflichten. Tatsächlich sind Ruhe und naturnah ausgestaltete Lebensräume nebst einer ausreichenden Bejagung die wichtigsten Voraussetzungen für ein erfolgreiches Überwintern des Schalenwildes, insbesondere bei harten winterlichen Bedingungen. Es ist deshalb sehr wichtig, dass unsere Forstdienste die ausreichend bekannten Anliegen des naturnahen Waldbaus konsequent befolgen. Anderseits muss in besonders harten Wintersituationen zuerst bei der Beruhigung der Einstandsgebiete (reguläre und temporäre Ruhezonen) angesetzt werden. Unterstützt oder begleitet werden soll dies allenfalls mit der Bereitstellung von Prossholz oder mit vorgezogenen Holzschlägen. Dass im vergangenen Winter überwiegend nach diesem Prinzip vorgegangen wurde, stimmt mich zuversichtlich. Durch den insgesamt massvollen Start der Notmassnahmen konnte der Druck aus der Bevölkerung gut abgefangen werden. Es gab keine Forderungen in den Medien, der Kanton oder die Jägerschaft solle endlich etwas zur Linderung der Not unternehmen.
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Vor allem mit Blick auf die öffentliche Meinung, die ja eines der zentralen Anliegen der Notmassnahmen ist, müssen die kantonalen Stellen einerseits Einigkeit in der Beurteilung der Indikatoren zum Start der Notmassnahmen ausüben und anderseits einmütig hinter den geplanten Massnahmen stehen. Dies erfordert gegenseitigen Respekt, Toleranz und Einfühlungsvermögen. Wo Vereinfachungen bei den Verfahrensabläufen möglich sind, werden diese in die
Wege geleitet – schliesslich will es niemand kompliziert. Die gemachten Erfahrungen zeigen, wo Vereinfachungspotenzial liegt.
Reto Hefti Kantonsförster, Amt für Wald und Naturgefahren GR Loëstrasse 14, 7001 Chur reto.hefti@awn.gr.ch
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Notmassnahmen – ein Rückblick auf den vergangenen Winter Die im vergangenen Winter ergriffenen Notmassnahmen haben sich grundsätzlich bewährt. Die Umsetzung vor Ort erfolgte gemeinsam durch die Wildhut, die Hegeorganisation des Bündner Patentjägerverbandes und den regionalen Forstdienst. Notmassnahmen sollen auf ausserordentliche Situationen beschränkt bleiben. Die negativen Folgen von Winterfütterungen gilt es zu beachten und zu verhindern. Das Motto «das Wild braucht Ruhe» muss zum Leitsatz der Hegebemühungen im Winter werden. Ausserordentlicher Winter 2011/2012 erfordert punktuelle Notmassnahmen Der vergangene Winter 2011/2012 muss mindestens in den höheren Lagen der oberen Surselva, des Prättigaus, in Davos und Mittelbünden und dem Unterengadin als ausserordentlich bezeichnet werden. Der spezielle Verlauf, extreme Schneemengen und die anhaltende Kälteperiode im Februar bedeuteten für das Wild schwere Zeiten. Glücklicherweise folgte ein milder Monat März und wenig Niederschläge im Laufe des Frühjahres. In den erwähnten Regionen wurden die Notmassnahmenkonzepte mindestens teilProssholz: Gefälltes Laubholz, dessen Rinde und kleine Zweige vom Schalenwild gefressen werden. (Bild: H. Guler)
weise umgesetzt. Ich lege Wert auf die Bezeichnung Notmassnahmen, was nicht gleichzusetzen ist mit Heufütterung. Man muss sich zudem bewusst sein, dass in Graubünden rund 60 000 Stück Schalenwild überwintern und nur ein kleiner Teil des Wildes mit Notmassnahmen überhaupt erreicht wird. Der grösste Teil des Wildes profitiert hingegen bedeutend mehr von den wichtigsten Massnahmen, nämlich der konsequenten Anpassung der Wildbestände an ihren Winterlebensraum, der Umsetzung der Jagdplanung und dem Verhindern von Störungen in den Wintereinständen. Wie viele Tiere dank der Massnahmen überlebt haben, lässt sich nicht beziffern. Noch schwieriger zu beurteilen ist, wie viele Tiere dank der Massnahmen zur Beruhigung des Wintereinstandes oder dank des Anbietens von Prossholz überlebt haben. Entscheidend ist aber wohl der Versuch, mit einer vernünftigen Hege die Chancen für das Überleben des Wildes in ausserordentlichen Situationen zu erhöhen. Die emotionale Komponente von leidenden Tieren in Winternot darf nicht unterschätzt werden. Die Bevölkerung erwartet entlastende Hilfsmassnahmen, weiss jedoch meist wenig über die Fähigkeiten des Wildes, auch harten Wintern zu begegnen. Die im vergangenen Winter getroffenen Massnahmen wurden in den Medien vorwiegend wohlwollend kommentiert. Erhöhte Fallwildzahlen Harte Winter sind immer mit erhöhten Fallwildzahlen verbunden, das zeigen auch frühere Erfahrungen. Die Fallwildmengen vom vergangenen Winter sind bei allen Schalenwildarten deutlich höher als im Durchschnitt, aber deutlich tiefer als im Winter 2008/2009. Allerdings mit beträchtlichen
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Unterschieden je nach Region. Einmal mehr stellen wir fest, dass unter einem harten Winter insbesondere die Jugendklasse zu leiden hat. Einmal mehr stellen wir ausserdem fest, dass Wintersterben vor allem in Teilgebieten mit ausserordentlichen Schneehöhen, hoch gelegener Talsohle und hohen Wildbeständen stattfindet. Selbst da, wo täglich gefüttert wurde, hat es deutlich höhere Fallwildzahlen gegeben. Notmassnahmen 2012 Die für alle Regionen vorbereiteten Notmassnahmenkonzepte haben sich grundsätzlich bewährt. Gerade in ausserordentlichen Situationen und aufgrund der eingeschränkten Bewegungsmöglichkeiten steht das Wild oft auf kleinem Raum und oft nicht mehr im gewohnten Wintereinstand. Das erfordert eine Anpassung der vorgesehenen Massnahmen an die aktuelle Situation vor Ort. Im vergangenen Winter hat sich gezeigt, dass es in den meisten Fällen genügt, sich auf einzelne der zahlreichen im Notmassnahmenkonzept aufgeführten Massnahmen zu beschränken, diese aber konsequent umzusetzen. Die Zusammenarbeit zwischen dem Amt für Jagd und Fischerei, dem Amt für Wald und Naturgefahren und der Hegeorganisation des Bündner Patentjägerverbandes hat weitgehend gut funktioniert. Dafür danke ich allen, die sich an der Umsetzung der Notmassnahmen beteiligt haben. Je nach Region wurde vor allem auf Massnahmen zur Lebensraumberuhigung gesetzt, so beispielsweise in der oberen Surselva, im Unterengadin und im äusseren Albulatal. Mit Plakaten vor Ort und unterstützt mit einem Aufruf in den lokalen Medien wurde viel erreicht. Selbst da, wo diese nur als Aufruf zum freiwilligen Verzicht des Betretens von Wildeinstandsgebieten erfolgten, wurden sie weitgehend
beachtet. Diese Ergänzung der zahlreichen bereits bestehenden Ruhezonen hat sich ausgezeichnet bewährt. Andernorts erfolgte eine Notfütterung mit Heu, meist beschränkt auf einige Standorte gemäss Notmassnahmenkonzept. So beispielsweise in Davos, dem Prättigau und dem Innerschanfigg. Bereits im Januar war eine Konzentration insbesondere des Hirschwildes an Heufütterungen zu beobachten. In nicht wenigen Fällen mussten private Fütterungen unterstützt werden, weil sie plötzlich ohne Futtermittel dastanden oder sich immer mehr Wild an der Fütterung einfand. In fast allen Regionen erfolgte eine Unterstützung der Äsung durch Prossholzschläge. Diese wurden vom Wild sehr gut angenommen. Insbesondere für Rehwild bildet das Fällen von Weichhölzern eine ideale Winteräsung. Im Gegensatz zu Heufütterungen tragen Ruhemassnahmen und Prossholzschläge nicht zu einer Konzentration des Wildes bei. Wo Heufütterungen erfolgten, fand sofort eine Konzentration des Wildes an den Fütterungen statt. Insgesamt hat der Kanton rund 60 000 Franken für Notmassnahmen zur Verfügung gestellt, 40 000 Franken aus der Jagd-, 20 000 Franken aus der Forstkasse. Es besteht ein erhebliches Risiko, dass die im Zuge der Notmassnahmen erfolgten Heufütterungen im nächsten Winter nach Nachahmung rufen. Das bleibt das grösste Risiko von Fütterungen, seien es Notfütterungen oder gut gemeinte private Fütterungen. Ich betone, wir wollen keine Rückkehr zur Winterfütterung! Notmassnahmen und insbesondere Heufütterungen sollen eine Ausnahme bleiben und nur in ausserordentlichen Notzeiten erfolgen. Weder Ruhezonen noch Prossholzschläge haben zu einer unnatürlichen Konzentration des Wildes geführt oder die unter natürliBündner Wald 6/2012 9
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chen Überwinterungsbedingen erfolgende Reduktion des Stoffwechsels beeinträchtigt. Ganz im Gegensatz zu Heufütterungen. Korrekturen Wichtigste Korrekturmassnahme bleibt der Aufruf zur Einstellung der privaten Fütterungen. Das soll in erster Linie mit Information über die negativen Konsequenzen einer Winterfütterung erreicht werden. An Fütterungen besteht zudem ein erhöhtes Risiko für Krankheitsübertragungen. Der vergangene Winter hat erneut gezeigt, dass mit privaten Fütterungen oft Wild angelockt, mit fortdauerndem Winter aber nicht mehr täglich gefüttert werden kann. Oft werden
ungeeignete Futtermittel eingesetzt. Häufig führt das Anlocken in die Nähe von Siedlungen zu Verkehrsopfern. Massnahmen, die zu möglichst ungestörten Verhältnissen in Wintereinständen führen, sind zu fördern. Das Motto «das Wild braucht Ruhe» muss zum Leitsatz der Hegebemühungen im Winter werden.
Dr. Georg Brosi Amt für Jagd und Fischerei GR Loëstrasse 14, 7001 Chur georg.brosi@ajf.gr.ch
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Luchs und Wolf sind willkommen Der Schweizerische Forstverein (SFV) begrüsst die Präsenz von Luchs und Wolf in der Schweiz. – Der SFV betrachtet den Einfluss von Luchs und Wolf als erwünschten Beitrag zur Bestandesregulierung von Reh, Hirsch und Gämse. – Der SFV begrüsst die weitere Ausbreitung des Luchses in der Schweiz und fordert das Zulassen der natürlichen Einwanderung und Ausbreitung des Wolfes. – Der SFV befürwortet Schutzmassnahmen für Nutztiere und deren Unterstützungdurch den Bund. – Der SFV fordert die Erhaltung des Schutzstatus von Luchs und Wolf als geschützte Tierarten. Werden Luchs und Wolf ausnahmsweise jagdlich reguliert, ist ihr Nutzen für die Waldverjüngung in die Erwägungen einzubeziehen. Der SFV anerkennt die grosse Bedeu– tung und Notwendigkeit der Jagd für den Wald, da eine wirkungsvolle Bejagung den Einfluss von Reh, Hirsch und Gämse auf die Waldverjüngung reduziert. Der SFV fordert, dass die Waldverjün– gung ohne Schutzmassnahmen in ausreichender Zahl und in standortsgerechter Baumartenzusammensetzung aufwachsen kann und damit Wald und Jagdgesetz umgesetzt werden. Der SFV fordert die Erhaltung grossflä– chiger, strukturreicher und vernetzter Lebensräume, auch ausserhalb des Waldes. Weshalb bezieht der SFV Position zur Präsenz von Luchs und Wolf in der Schweiz? Knospen und Zweige junger Waldbäume gehören zum natürlichen Nahrungsspektrum von Rehen, Hirschen und Gämsen. Diese Wildarten beeinflussen dadurch die Waldverjüngung vielerorts im Schweizer
Wald derart stark, dass die von der Gesellschaft geforderten Waldleistungen beeinträchtigt werden. Wie die Jagd können auch Luchs und Wolf einen Beitrag zur Reduktion hoher Wildbestände leisten und damit zur Sicherung der Waldleistungen beitragen. Im Folgenden werden diese Zusammenhänge dargestellt. Luchs und Wolf gehören zur natürlichen Artenvielfalt Mitteleuropas Luchs und Wolf waren in der Schweiz heimisch, bevor sie im 19. Jahrhundert ausgerottet wurden. Um 1850 waren auch Reh, Hirsch und Gämse in der Schweiz praktisch verschwunden. Unterdessen haben sich ihre Bestände stark erholt. Dies ermöglicht auch die Wiederausbreitung von Luchs und Wolf. Luchs und Wolf beeinflussen das Wild Der Luchs erbeutet in erster Linie Rehe und Gämsen. Der Wolf jagt auch Hirsche. Luchs und Wolf leisten einen Beitrag zur Reduktion hoher Wildbestände und verhindern grosse Konzentrationen. Die Erfahrung mit dem Luchs ist aus Sicht des Waldes positiv. Wo Luchs und Wolf regelmässig vorkommen, werden weniger Schäden an der Waldverjüngung festgestellt. Reh, Hirsch und Gämse beeinflussen die Waldverjüngung Rehe, Hirsche und Gämsen leben ganzjährig oder zeitweise im Wald. Hier finden sie Nahrung und Rückzugsgebiete. Zu ihrem Nahrungsspektrum gehören neben Kräutern und Gräsern auch Knospen, Zweige und Rinden von Jungbäumen. Die Knospen namentlich von Weisstannen, Waldföhren, Eichen, Ahornen und Eschen werden besonders gerne gefressen. Das Abfressen kann so intensiv sein, dass einzelne Baumarten nicht mehr aufwachsen Bündner Wald 6 /2012 11
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Der Bund verlangt daher, dass auf 75 % der Waldfläche die Verjüngung ohne Schutzmassnahmen aufwachsen können muss. Wo der Wald der Holzproduktion dient, verlangsamt starker Wildeinfluss das Aufwachsen der jungen Bäume und kann so die produzierte Holzmenge vermindern.
Luchskatze mit Jungtier an gerissenem Reh. (Bild: KORA)
können und verschwinden. Dies verändert die Baumartenzusammensetzung unserer Wälder. In höheren Lagen der Alpen kann das Abfressen durch Reh, Hirsch und Gämse das Aufwachsen des Waldes um Jahrzehnte verzögern. Die Waldverjüngung ist für die Sicherung der Waldleistungen wichtig Unsere Gesellschaft verlangt vom Wald verschiedene Leistungen: Schutz vor Naturgefahren, Ruhe und Erholung, eine hohe Artenvielfalt und Holz zum Bauen und Heizen. Damit der Wald diese Leistungen erbringen kann, muss er sich verjüngen können. Starkes Abfressen durch Reh, Hirsch und Gämse kann die Waldleistungen gefährden. Im Schutzwald kann ein verzögertes Aufwachsen oder das gänzliche Ausbleiben der Waldverjüngung längerfristig zu einer Verminderung der Schutzleistung führen. Die Folge ist eine grössere Gefährdung der Bevölkerung durch Lawinen, Steinschlag und Murgänge. Fehlt die Verjüngung im Schutzwald, müssen die Waldeigentümer und Kantone zu teuren Massnahmen greifen: Bäume pflanzen, mit Zäunen vor dem Abfressen schützen oder sogar Schutzbauten im Wald erstellen (z. B. Lawinenverbauungen).
Jagen und holzen Die Jagd und die Holznutzung sind die wichtigsten Massnahmen, um Wald und Wild im Gleichgewicht zu halten. Ein wirkungsvolles Jagdsystem reguliert Wildbestände so, dass sie an ihren Lebensraum angepasst sind. Holzschläge lichten den Wald auf und erlauben durch den Lichteinfall das Aufwachsen der Waldverjüngung. Reh, Hirsch und Gämse brauchen auch ausserhalb des Waldes strukturreiche und vernetzte Lebensräume. Erschweren Verkehrswege die Wanderungen des Wildes sowie intensive Landwirtschaft und Freizeitnutzung die Nahrungsaufnahme, weichen die Tiere vermehrt auf den Wald aus. Insbesondere im Winter brauchen Reh, Hirsch und Gämse ungestörte Rückzugsgebiete. Jede Flucht kostet sie Energie, was sie durch Nahrungsaufnahme wieder kompensieren müssen. Störungen können so zu verstärktem Abfressen von Jungbäumen führen. Geeignete Wildruhezonen sind daher auch aus Sicht des Waldes wichtig. Neben Bejagung, Holzschlägen und Ruhegebieten können auch Luchs und Wolf zum Gleichgewicht zwischen Wald und Wild einen wichtigen Beitrag leisten. Dies ist im besonderen Masse für Schutzwälder in höheren Lagen von Bedeutung, da dort die Waldverjüngung von Natur aus nur langsam aufwächst und dadurch dem Wildeinfluss über Jahrzehnte ausgesetzt ist.
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Luchs und Wolf sind willkommen – Kommentar zum Positonspapier Im Juli 2012 ist die revidierte Jagdschutzverordnung in Kraft getreten, welche die Regulierungsmöglichkeiten von Luchs und Wolf erweitert. Treten bei jagbaren Tierarten hohe Einbussen durch Luchs- oder Wolfeinwirkung auf, können die Kantone mit Zustimmung des BAFU Regulierungsmassnahmen treffen. Die Sichtweise des Bundesrats, dass Luchs und Wolf «Schäden» an ihren natürlichen Beutetieren verursachen, ist einseitig und unterschlägt den Nutzen, dieser Raubtiere. Dies nahm die Arbeitsgruppe Wald und Wildtiere des Schweizerischen Forstvereins zum Anlass, das Thema aus forstlicher Sicht zu beleuchten und in einem Positionspapier festzuhalten. Es soll ein Beitrag zur Versachlichung und ganzheitlichen Betrachtung dieser volkswirtschaftlich wichtigen Thematik leisten. Umso erfreulicher ist es, dass der «Bündner Wald» dem Thema Wald und Wild eine Plattform bietet.
Konflikte mit Luchs und Wolf Die Kehrseite von Luchs und Wolf sind Konflikte mit Nutztieren und deren Haltern. Insbesondere Schafe auf unbehirteten Alpen sind gefährdet. Mit Hunden oder Elektrozäunen lassen sich die Nutztiere aber meistens wirkungsvoll schützen. Luchs und Wolf können die Jagd erschweren, da sich Reh, Hirsch und Gämse vorsichtiger verhalten. Anpassungen der Jagdmethode können den Jagderfolg wieder erhöhen.
Erarbeitet von der Arbeitsgruppe Wald und Wildtiere und dem Vorstand des Schweizerischen Forstvereins, verabschiedet vom Vorstand am 5. 7. 2012.
Maurus Frei Leiter Arbeitsgruppe Wald und Wildtiere | Schweizerischer Forstverein maurus.frei@forstverein.ch www.forest.ch
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Luchse in der Region Was erwartet den Wald? In vielen Wäldern ist die Verjüngung von Baumarten durch Verbiss gefährdet. Im Rahmen von Wald-Wild-Konzepten wird versucht, die Verbisssituation zu sanieren. Häufig taucht dabei die Aussage auf: «Wir haben ja den Luchs. Der wirds schon richten. Es braucht deshalb keine Konzepte, sondern einzig genügend Geduld.» Ein Berner Oberländer Wald in Krattigen Im Wirtschaftsplan der Gemeinde Krattigen, südlich des Thunersees, von 1950 ist der Hinweis zu finden, dass die Weisstanne keinerlei Probleme bei der Verjüngung biete und dass sie dort durch Eingriffe zurückzubinden sei, wo sie sich auf Kosten der Fichte zu stark ausbreite. Erste Hinweise auf Ver-
bissprobleme in der Verjüngung tauchen um 1970 auf. Sie verstärken sich in der Folge so, dass die Verjüngung der Weisstanne bald nur noch mit aufwendigen Schutzmassnahmen möglich ist. Das Gebiet wird 1991 als Wildschadengebiet mit prioritärem Handlungsbedarf bezeichnet, in den Jahren 1992 und 1993 wird eine Sonderjagd auf Gämsen durchgeführt und 1994 beginnen im Auftrag des Bundes Untersuchungen zur Waldgämse und zur Verjüngung. Die Verjüngungskontrolle in den Jahren 1995 bis 1997 ergibt folgendes Bild (Rüegg 1999 ): – Bis 0,1 m Grösse ist die Tanne die häufigste aller Baumarten. Von 0,1 bis 0,4 m ist eine erhebliche Abnahme feststellbar und von 0,4 bis 1,3 m fehlt die Tanne weitgehend. Auch nehmen mit zunehmender Grösse
Gebiet Greberegg (BE): Verbissintensität 1995 bis 2012 und Vergleich mit dem kritischen Wert. Der 95 %-Vertrauensbereich ist mit einer Linie angegeben. Der Verbiss hat von 1995 bis 1997 stark abgenommen und ist anschliessend auf tiefem Niveau konstant geblieben. Seit 1998 ist er bei sämtlichen Baumarten weitgehend unter dem kritischen Wert. (Bild: Rüegg 2012)
Verbissintensität 1995 (links) bis 2012 (rechts) 100% 90%
Verbissintensität Kritischer Wert
80% 70% 60% 50% 40% 30% 20% 10% 0% Gesamt
Buche
Ahorn
Vogelbeere
Fichte
Tanne
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Vorkommen der Baumarten auf den Probeflächen 2008 (weiss) und 2012 (grün) Anteil Probeflächen 100% 80% 60% 40%
Buche
Ahorn
Vogelbeere
1.0 - 1.3 m
0.7 - 1.0 m
0.4 - 0.7 m
total
Fichte
0.1 - 0.4 m
1.0 - 1.3 m
0.7 - 1.0 m
0.4 - 0.7 m
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0.1 - 0.4 m
1.0 - 1.3 m
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1.0 - 1.3 m
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0.4 - 0.7 m
total
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1.0 - 1.3 m
0.7 - 1.0 m
0.4 - 0.7 m
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0.1 - 0.4 m
20%
Tanne
Gebiet Greberegg (BE): Verbreitung der Baumarten von 0,1 m bis 1,3 m Grösse auf den Probeflächen 2008 und 2012. Angegeben als Anteile an den 53 Probeflächen. Es fällt auf, dass Tanne diejenige Baumart ist, welche zehn Jahre nach der Verbissabnahme ihr Aufwachsen am meisten zu steigern vermag. (Bild: Rüegg 2012)
die Baumartenanteile von Bergahorn und Vogelbeere stark ab. – Die Verbissintensität beträgt 1995 bei Tanne 44 %. Sie ist weit über dem kritischen Wert. An ein Aufwachsen der Tanne ist nicht zu denken, wenn der Verbiss längerfristig auf einem solch hohen Niveau ist. Auch bei Bergahorn mit 43 % und Vogelbeere mit 40 % ist der Verbiss deutlich über den kritischen Werten. Für alle Baumarten zusammen ist die Verbissintensität bei 23 %. – In den Jahren 1996 und 1997 nimmt die Verbissintensität stark ab. Sie beträgt 1997 bei der Tanne 8 %, bei Bergahorn 9 % und bei Vogelbeere 20 %. Für alle Baumarten zusammen liegt sie nun bei 8 %. In den folgenden Jahren bis heute konsolidiert sich der Verbiss auf einem noch tieferen Niveau. – Bei Tanne ist die Reaktion auf die rasch abnehmende und bis heute tief bleibende
Verbissintensität besonders ausgeprägt. Sie legt in Verbreitung, Stammzahl und Aufwuchs freudig zu. Auch Bergahorn und Vogelbeere geben Schub, wesentlich stärker als die schon in früheren Jahren weniger vom Verbiss betroffenen Fichte und Buche. Die hervorragende Verjüngungsentwicklung wurde in den späten Neunzigerjahren bis heute zusätzlich durch umfangreiche Holzschläge sowie durch den Sturm Lothar begünstigt, welche in der Region viel zusätzliches Licht auf die Waldböden brachten. Die natürliche Verjüngung aller Baumarten erscheint heute, zwanzig Jahre nach der ersten Sonderjagd auf Gämsen, gesichert. Halbierung der Wildbestände Bereits ab 1930 galt das benachbarte Suldtal als eines der gämsreichsten Täler des Berner Oberlandes, die Wälder sind Bündner Wald 6/2012 15
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Katze mit Jungem (Bild: KORA)
zusätzlich durch Rehbestände besiedelt und erst in neuerer Zeit tritt auch Rotwild vermehrt auf. Mit den wildkundlichen Untersuchungen von Baumann et al. ( 1999 ) wurde in den Jahren 1994 bis 1998 eine deutliche Abnahme der Wildtierbestände um rund die Hälfte festgestellt. Dieser Bestandesrückgang wird auf die jagdlichen Massnahmen sowie den Luchs zurückgeführt: – In den Jahren 1992 und 1993 wurde im Untersuchungsgebiet wegen des starken Verbisses eine Sonderjagd auf Gämsen durchgeführt. Zusätzlich zur regulären Jagd wurden 36 Gämsen, vorwiegend Geissen mit ihren Kitzen, sowie Jährlinge beiderlei Geschlechts erlegt. – Seit 1995 wird die Gämse im Kanton Bern nach einem Bejagungsmodell gejagt, welches den Abschuss von Tieren unterhalb 1600 m ü. M. und den Abschuss von Geissen erleichtert. Die Sonderjagd und das neue Bejagungsmodell haben dazu geführt, dass im Untersuchungsgebiet der Abschuss in der weiblichen Kategorie nach 1992 zirka doppelt so hoch geworden ist wie das Mittel der vorangehenden Jahre. – Der Einfluss des Luchses wurde mithilfe der Todesursachen von telemetrierten Gämsen geschätzt. Von 18 mit Sendern
ausgestatteten adulten Geissen starben elf Tiere in der Zeit vom Fang ab 1995 bis zum Beobachtungsende im Februar 1999. Vier Geissen wurden nachweislich durch den Luchs gerissen, in vier weiteren Fällen wird der Luchs als Ursache vermutet. Die luchsbedingte Mortalität schätzen Baumann et al in einer ähnlichen Grössenordnung wie die jagdliche. – Der Luchs in Kombination mit der Jagd kann also die effektiv beobachtete Bestandesabnahme an Rehen und Gämsen erklären. Dabei nutzten zumindest zeitweise drei adulte Luchse nebst nichtterritorialen Jungtieren das Gebiet partiell als Jagdgebiet. Auf und Ab beim Luchs Die Luchse kehrten dank der Wiederansiedlung im Kanton Obwalden ab 1971 und weiteren Aussetzungen in die Schweiz zurück. Sie breiteten sich in der Folge über die Zentralschweiz, das Berner Oberland, das Wallis und die schweizerischen Westalpen aus, deutlich ab 1994 in den Nordwestalpen, im Gebiet zwischen Rhonetal und Aaretal. Die Kontroverse um den Luchs verschärfte sich. Die Schafhalter beklagten eine Zunahme der Übergriffe auf Schafe, und die Jägerschaft machte den Luchs alleine für den Rückgang von
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Rehen und Gämsen verantwortlich. Dabei muss festgehalten werden, dass der Einfluss des Luchses in einem durch jagdliche Massnahmen bereits bewusst reduzierten Schalenwildbestand stattgefunden hat. In der Folge wurden verstärkt Luchse gewildert und die Wiederansiedlung des Luchses in der Nordostschweiz (Kantone Zürich, St. Gallen, Thurgau) mit Wegfängen von der Nordwestschweiz und dem Jura durchgeführt. Obwohl diese zweite Wiederansiedlungswelle nun mittlerweile auch zehn Jahre zurückliegt, sind in der Nordostschweiz keine vergleichbaren Fälle mit starken Verbissabnahmen wie im Berner Oberland bekannt. Das bestärkt die Vermutung, dass erst in einem bereits gesenkten Schalenwildbestand der Luchs auch tatsächlich zu weiteren Abnahmen beitragen kann. Was von Anfang an spürbar ist, ist das durch die Jägerschaft häufig beschriebene veränderte Verhalten von Rehen und Gämsen. In Jagdrevieren der Ostschweiz, wo nun der Luchs heimisch ist, wird das Schalenwild im Vergleich zu der Zeit vor der Wiederansiedlung als vorsichtiger beschrieben und der Anblick, insbesondere im Bereich der Ansitzjagd, als seltener.
Jagd, Holzerei und Luchs Das Beispiel Krattigen aus dem Berner Oberland zeigt, dass zwischen der ersten Aussetzung von Luchsen und den spürbaren Auswirkungen im Wald mit rund einem Vierteljahrhundert eine lange Zeit liegt. Zusätzlich sind andere Faktoren wichtig: – Die Verjüngung des Waldes verläuft in Wellenbewegungen, z. B. nach Samenjahren entstehen besonders viele Keimlinge, nach Verjüngungsschlägen Jungwaldflächen. Auch Extremereignisse wie der Sturm Lothar führen zu neuen Jungwaldflächen. – Nicht nur der Wald, auch Rehe und Gämsen wären ohne die ausgleichende Funktion der Jagd einem dynamischen Auf und Ab ausgesetzt. Der Luchs ist erst spürbar, wenn die Dichte von Rehen und Gämsen nicht zu hoch ist, speziell bei abnehmenden Beständen ist ein verstärkter Einfluss des Luchses möglich. Im Berner Oberland war dies der Fall, als wegen der anhaltend untragbaren Verbissbelastung ab den Neunzigerjahren jährlich zirka doppelt so viele Gämsgeissen erlegt wurden wie vorher. Erst zusammen mit dem verstärkten Einfluss
Literatur BAUMANN, M.; STRUCH, M., 2000 : Waldgemsen – neue Erscheinung der
Kulturlandschaft oder alte Variante der Naturlandschaft. Schlussbericht, BUWAL, Eidg. Forstdirektion, Bern. RÜEGG, D., 1999 : Erhebungen über die Verjüngung in Gebirgswäldern und den
Einfluss von freilebenden Paarhufern als Grundlage für die forstliche und jagdliche Planung. Diss. ETH Zürich. Nr. 88, Schweizerische Zeitung für Forstwesen / Beiheft. RÜEGG, D., 2012 : Verjüngungskontrolle Berner Oberland. Indikatorfläche Greberegg.
Ergebnisse 2012 . Für das Amt für Wald des Kantons Bern, Bern. 9 S., unveröffentlicht.
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des Luchses ist der Verbiss auf ein genügend tiefes Niveau gesunken und tief geblieben! Geplante Eingriffe und natürliche Ereignisse ergänzen sich sowohl in der Jagd wie in der Waldbewirtschaftung, ohne dass der Wert der Jagd oder der Waldbewirtschaftung geschmälert wird. Neben der eingangs erwähnten Geduld ergänzt der Luchs eine starke Jagd und Holzerei, um
die Verbiss- und Waldverjüngungssituation zu sanieren.
Dr. Dani Rüegg Wald Wild Umwelt, Geroldsegg 8722 Kaltbrunn dani.rueegg@rwu.ch
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Rotwild-Überwinterungskonzepte in Österreich Rechtlicher Hintergrund der Rotwildfütterung in Österreich Unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg waren die neun Landesgesetzgeber um eine Angleichung der Jagdgesetze bemüht und griffen dabei auf eine ministerielle Vorlage aus dem Jahr 1938 zurück. Drei Themenbereiche wurden ins Zentrum gestellt: die Interessen der Land- und Forstwirtschaft, die Abschussplanung sowie die Fütterung. Mit Ausnahme von Salzburg wurde eine generelle Fütterungsverpflichtung gesetzlich verankert. In diesem Kontext wird in den «Motivenberichten» die Bedeutung der jagdlichen Erträge für den Grundeigentümer als Jagdrechtsinhaber und für die Volkswirtschaft stark betont – und somit auch verständlich, warum sich die Wildbewirtschaftung meist stark an der Nachfrage der Jäger orientiert. In Österreich wird «Jagdwirtschaft» bis heute sowohl in den Jagdgesetzen als auch von den Grundeigentümern und vielen Jägern als integraler Bestandteil der Landund Forstwirtschaft gesehen – und nicht primär als aneignende Nutzungsform. Diese Grundeinstellung ist das zentrale Motiv zahlreicher jagdbetrieblicher und hegerischer Praktiken sowie monetärer jagdwirtschaftlicher Kalkulationen – vor allem von eigenjagdberechtigten Grundeigentümern, die alljährliche Erlöse aus der Jagd als Teil ihrer Nutzung von Grund und Boden erwarten. Weil das Jagdrecht mit Grund und Boden verbunden ist, resultiert daraus ein erheblicher Eigentümer-Freiraum für einen unterschiedlichen Umgang mit Jagd und Hege, der auch den verfassungsrechtlichen Schutz des Eigentums geniesst. Vom Tierschutz zum Waldschutz In den 1970er-Jahren ermittelte die österreichische Forstinventur erstmals das Ausmass
der Schälschäden und zeigte, dass diese nicht nur ein lokales, sondern ein überregionales Phänomen waren. An die Stelle der Fütterung aus Tierschutzgründen rückte ab damals zunehmend die Fütterung zur Vermeidung von Schäden im Wald. Mitte der 1970er-Jahre wurden die Wildforschungsinstitute in Wien an der Universität für Bodenkultur und an der Veterinärmedizinischen Universität etabliert. Ab diesem Zeitpunkt stieg die Anzahl an jagdlichen Fachpublikationen zum Thema Wildschaden stark an. Die stärkste Zunahme an Schalenwildabschüssen in Österreich hatte allerdings bereits stattgefunden, bevor noch in den jagdlichen Fachzeitschriften die Anzahl an Artikeln über die Wildschäden nennenswert anzusteigen begann. Bei der problemgetriebenen Anpassung der Rotwild-Überwinterungskonzepte wurden in der Folge unterschiedliche Wege beschritten: In der Steiermark und in Vorarlberg wurde die Vorlage von Saftfutter zusätzlich zum Heu an den meisten Fütterungen zum Standard (an > 90 % der Standorte), in Kärnten hingegen wurde die Vorlage von Saftfutter zur Ausnahme (< 15 % der Standorte, nur über behördlichen Auftrag) und die reine Heuvorlage zur Norm. Optimierung der Fütterungspraxis Angesichts der anhaltend massiven Wildschäden, für die der Jagdausübungsberechtigte und Fütterungsbetreiber haftet, kam es in den Achtziger- und Neunzigerjahren – zusätzlich zu Bemühungen um eine Wildstandsabsenkung – zu weiteren Anpassungen der Rotwild-Überwinterungskonzepte. Die Futtervorlage wurde optimiert und weiter professionalisiert – meist auch mit dem Ziel, die Trophäen zu «verbessern». Die Rotwildlenkung durch gezielte Verteilung der Fütterungsstandorte führte zu unBündner Wald 6 /2012 19
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Reviere mit Grossfütterungen haben eine deutlich erhöhte Verantwortung im Hinblick auf die erforderliche Wildstandsregulierung. Diese wird oft nicht entsprechend wahrgenommen, weil es zum herrschenden Verständnis von Weidgerechtigkeit gehört, Wild in Fütterungseinständen auch vor Winterbeginn nicht mehr in grösserer Stückzahl zu erlegen. (Bild: zVg. Fritz Völk)
terschiedlichen Ideologien, teilweise auch wenig sinnhaften Patentrezepten und Modewellen. In einigen Regionen konzentrierte man das Rotwild an Fütterungen in Tallagen bzw. am Unterhang der Bergwälder, um den schwer zu steuernden Störeinflüssen in den Hochlagen durch Skitourengeher, Variantenfahrer etc. auszuweichen und eine tägliche Futterversorgung mit geringerem Aufwand und ohne Lawinenrisiko sicherzustellen. In anderen Regionen verlegte man die Rotwildfütterungen an die Waldgrenze hinauf, um den besonders schälgefährdeten Wirtschaftswald vom Rotwild zu entlasten und die winterliche Erreichbarkeit des natürlichen Äsungsangebotes in den Hochlagen wieder zu verbessern, vor allem in inneralpinen, schneeärmeren Lagen. Wintergatter Die Hauptfunktion von Wintergattern besteht darin, im Spätwinter/Frühjahr sowie während milder Winterperioden ein Abwandern des Rotwildes in schälgefährdete Waldgebiete abseits der Fütterungseinstände zu verhindern. Denn erfahrungsgemäss ist das Schälrisiko in diesem Zeitraum am höchsten. Zusätzlich wird das Rotwild im
Fütterungsbereich vor touristischen Störungen geschützt und für rund sechs bis acht Monate an das jeweilige Revier gebunden. Die ersten Wintergatter entstanden vor rund 60 Jahren in der Steiermark, wo der Anteil an schälanfälligen Wäldern besonders hoch ist. Als Argument für die Einführung wurde damals von Grossgrundbesitzern die Verbindung der Zielsetzungen «Forstwirtschaft mit hoher Wertschöpfung und bewirtschaftbare Rotwildbestände» angeführt. Eine Rentabilitätsrechnung für Wintergatter in einem Waldgebiet mit überwiegender Wirtschaftswaldfläche ergab damals (Ehrlich 1963 ), unter Berücksichtigung der Verminderung zuvor extrem starker Schälschäden, dass sich die Neubaukosten einschliesslich der Fütterungs-Mehrkosten bereits nach fünf Jahren amortisierten. Derzeit werden in Österreich zwischen 150 und 200 Wintergatter betrieben, die meisten davon in der Steiermark (mehr als 130, das entspricht knapp einem Drittel der Rotwildfütterungen dieses Bundeslandes), gefolgt von Salzburg und Niederösterreich. In Tirol und Kärnten sind Wintergatter jagdgesetzlich verboten. In den letzten Jahren wurden einzelne Wintergatter wieder aufgelassen,
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insbesondere in Waldgebieten, wo mittlerweile das Wildschadenrisiko aufgrund veränderter Waldstruktur deutlich abgesenkt werden konnte. Kaum Wildruhegebiete Winterliche Wildruhegebiete konnten in Österreich bisher wegen des massiven Widerstands der österreichischen Alpinvereine nur in geringer Anzahl in Vorarlberg durchgesetzt werden, obwohl die rechtlichen Voraussetzungen dafür teilweise vorhan den wären. Deshalb nimmt die Anzahl der in klimatisch begünstigten Hochlagen noch vorhandenen ungefütterten Rotwildvorkommen weiterhin sukzessive ab. Allenfalls im Rahmen von Einzelprojekten konnten mit regionalen Sektionen des Alpenvereins einige Lenkungskonzepte für Skitourengeher ausgearbeitet werden. Diese sind aber im Regelfall nicht verbindlich, sondern beruhen auf Aufklärungsarbeit und einer freiwilligen Befolgung der vorgeschlagenen Routen. Statt der Lenkungswirkung von Ruhegebieten nutzt man vielerorts die Lenkungswirkung der «technischen Krücke» Winterfütterung und setzt dafür attraktive Futtermittel ein.
heitliche und statistisch abgesicherte Daten über das Ausmass der Wildschäden gibt es aber nur für grössere Auswerteeinheiten mit uneinheitlichen Überwinterungskonzepten, im Regelfall für ganze Bundesländer. Somit lässt sich die Auswirkung der Fütterung auf die Wildschäden am ehesten anhand von lokalen Fallbeispielen kausal analysieren. Schälschäden Die benachbarten Bundesländer Steiermark und Kärnten haben die relativ grössten Unterschiede hinsichtlich Intensität der RotWinterliche Wildruhegebiete konnten in Österreich bisher wegen des massiven Widerstands der Alpinvereine nur in geringer Anzahl durchgesetzt werden. Statt der Lenkungswirkung von Ruhegebieten nutzt man vielerorts die Lenkungswirkung der «technischen Krücke» Win terfütterung und setzt dafür attraktive Fut termittel ein. (Bild: zVg. Fritz Völk)
Auswirkungen der Fütterungspraktiken auf Wildschäden Je nach regionaler Ausgangslage und Professionalität der Fütterungsbetreuung sind die Auswirkungen auf die Wildschäden recht uneinheitlich. Bei grösseren winterlichen Rotwildansammlungen lösen meist bereits kleine Schwächen oder Fehler im Überwinterungsmanagement – wie zum Beispiel Bejagungsfehler, unzureichende Futtermengen, unregelmässige Betreuung, Störungen durch Outdoor-Freizeitaktivitäten im Fütterungsbereich oder im Einstand – erhebliche Wildschäden im Wald aus. EinBündner Wald 6/2012 21
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In Österreich wird «Jagdwirtschaft» bis heute als integraler Bestandteil der Land- und Forstwirtschaft gesehen – und nicht primär als aneignende Nutzungsform. Diese Grundeinstellung ist das zentrale Motiv zahlreicher jagdbetrieblicher und hegerischer Praktiken. (Bild: zVg. Fritz Völk)
wildfütterung. Laut aktueller Waldinventur ist der Anteil an jährlich frisch geschälten Baumstämmen im Bundesland Kärnten (primär Heuvorlage, keine Wintergatter) mit Abstand am höchsten, gefolgt von der Steiermark (Saftfuttervorlage vorherrschend, zusätzlich zum Heu, über 130 Wintergatter). Den höchsten Anteil geschälter Bäume (Summe aus alten und frischen Schälschäden) weist laut aktueller Waldinventur die %), den geringsten Steiermark auf ( 12,6 Anteil Vorarlberg ( 4,5 %) – bei ähnlich intensiver Fütterungspraxis der beiden Länder (Grossfütterungen, Saftfutter). Der Anteil geschälter Bäume ist im Ostalpenraum also nicht automatisch dort am höchsten, wo die höchsten Rotwilddichten sind oder wo am intensivsten gefüttert wird, sondern dort, wo der Anteil an einschichtigen Waldbeständen mit schälanfälligen, feinborkigen Fichten am höchsten und damit die wirtschaftliche Lebensraum-Tragfähigkeit am geringsten ist – in der Steiermark. Verbissschäden Ein Kausalzusammenhang zwischen un terschiedlichen Rotwild-Überwinterungskonzepten und der jeweiligen Verbissbelastung
des Gesamtwaldes lässt sich nicht mit brauchbarer Genauigkeit herleiten, weil die Verbisshäufigkeit von allen anderen vorkommenden Schalenwildarten massgeblich mitbeeinflusst wird und weil die fütterungsbedingte Verbissentlastung von fütterungsfernen Waldgebieten (also ausserhalb der Rotwild-Wintereinstände) nicht mit ausreichender Genauigkeit beurteilbar ist. Klar ist, dass in Gebieten mit winterlicher Rotwildkonzentration die Verbissbelastung im Regelfall deutlich erhöht ist, weil das Rotwild auch bei noch so guter und ausreichender Fütterung immer auch Natur äsung aufnimmt. Wildstandsregulierung Die Auswirkung der Winterfütterung auf die Wildbestandsdichte muss stets im Zusammenhang mit der Höhe des Abschusses gesehen werden. Siehe dazu die Analysen von Rotwilddaten aus dem Ostalpenraum zwischen 1945 und 1995 ( VÖLK 1998 ). Nach jahrzehntelanger Zunahme waren die Rotwilddichten z. B. Anfang der Neunzigerjahre in Graubünden mit rund neun Stück pro 1000 ha Rotwildgebiet ohne nennenswerte Fütterung höher als z. B. in Tirol, Vorarlberg oder Salzburg, wo trotz relativ intensiver Fütterung eine Wilddichte von
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rund acht Stück pro 1000 ha oder weniger gegeben war. Der Einfluss der Winterfütterung ist also zu relativieren. Der Abschusshöhe kommt offenbar wesentlich höhere Bedeutung hinsichtlich der Rotwilddichte zu als der Fütterung. Verminderte Abschussmöglichkeit Insbesondere Reviere mit grösseren Fütterungen haben wegen der Lenkungswirkung der Fütterung eine deutlich erhöhte Verantwortung im Hinblick auf die erforderliche Wildstandsregulierung, zumal häufig durch frühzeitiges Ausbringen von Lockfutter (bald nach der Brunft) das Rotwild schon vor Wintereinbruch in den Fütterungseinständen konzentriert wird und die umliegenden Reviere deshalb stark verringerte Bejagungsmöglichkeiten haben. Diese Regulierungsverantwortung wird vor allem dort nicht entsprechend wahrgenommen, wo es zum herrschenden Verständnis von Weidgerechtigkeit gehört bzw. Tradition ist, Wild im Umfeld von Fütterungen bzw. in Fütterungseinständen auch vor Winterbeginn nicht mehr in grösserer Stückzahl zu erlegen. Wildstandsregulierung im Wintergatter Kontroversiell diskutiert wird die Wildstandsregulierung im Wintergatter. Sie ist teilweise verboten, teilweise gesetzlich ungeregelt und in manchen behördlichen Bescheiden sogar konkret als Massnahme vorgesehen. Angesichts der erheblichen praktischen Schwierigkeiten in zahlreichen Rotwildgebieten, die Rotwildbestände im Rahmen der Freizeitjagd ausreichend in den Griff zu bekommen, fragen sich manche Kritiker zunehmend, warum das Kahlwild nicht im Wintergatter von Profis effizient reguliert wird (was nicht als «Jagd» zu bezeichnen ist), anstatt ihm dann in freier Wildbahn mit hohem Jagddruck nachzustel-
Diskussionen über Fütterung als Hauptgrund für ansteigende Rotwildbestände lenken vom primären Problem, dem mangelnden Abschuss, allzu sehr ab und verstellen den Blick auf den entscheidenden Lösungsasatz. Allerdings dürften in vielen Revieren die Freizeitjäger damit überfordert sein, entsprechend effizient zu jagen. (Bild: zVg. Fritz Völk)
len und alljährlich die Abschusspläne nicht erfüllen zu können. Denn die Folge hohen Jagddrucks ist im Regelfall scheues Rotwild, das entweder in schwer bejagbare Gebiete ausweicht, oder sich tagsüber verstärkt in schützenden Einständen aufhält und dort vermehrt Wildschäden verursacht – und jedenfalls immer noch schwieriger bejagbar wird – ein Teufelskreis. Unterschätzung der Bestandszahlen Für die Festlegung der erforderlichen Abschusshöhe in den einzelnen Revieren wird Bündner Wald 6/2012 23
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in den meisten Bergregionen aus Mangel anderer quantitativer Indikatoren hauptsächlich der Fütterungswildbestand bzw. dessen Entwicklungstrend herangezogen. Über die Dunkelziffer des an Fütterungen nicht zählbaren Rotwildes herrschen allerdings oftmals falsche Vorstellungen. Viele österreichische Rotwildbewirtschafter gehen davon aus, dass sie bei hoher Schneelage an sehr kalten Wintertagen ihren Fütterungsbestand fast vollständig in Anblick bekommen. Dass jedoch nicht das gesamte Rotwild gleichzeitig die Fütterung aufsucht und manche Tiere überhaupt nicht zur Fütterung gehen, wird offenbar nicht ausreichend einkalkuliert. Anhand von Rückrechnungen aus den Abschüssen auf den Rotwild-Mindestbestand konnte bereits mehrfach nachgewiesen werden, dass die angegebenen Bestandszahlen, inklusive einer gewissen Dunkelziffer, deutlich zu niedrig sein müssen. Auswertungen aus dem Ostalpenraum zeigen, dass bei grossräumiger Betrachtung die mittlere Dunkelziffer selbst bei sehr günstigen Zählbedingungen zwischen 30 und 45 % des zählbaren Fütterungsbestandes liegen muss. Diese Grössenordnung wird jedoch von den meisten Fütterungsbetreibern für «ihren eigenen» Rotwildbestand als unrealistisch hoch eingestuft. Diese hartnäckige Fehleinschätzung von Ortskundigen dürfte einer der wesentlichen Gründe dafür sein, warum auch in Regio nen mit Reduktionsbedarf die Sollzahlen der Abschussplanung nur selten der tatsächlichen Höhe des jährlichen Zuwachses nahe kommen. Oder wenn sie von der Behörde hoch angesetzt werden und dem Zuwachs entsprechen sollten, werden die Abschusspläne oftmals aus Angst vor unerwünschter «Jagdwertminderung» bewusst unvollständig erfüllt.
Verändertes Rotwildverhalten Wenn Rotwildkälber im Frühjahr im Nahbereich der Fütterungen gesetzt werden, wird dieser Bereich vielfach auch in den Folgejahren verstärkt als Sommerlebensraum genutzt, sofern nicht durch entsprechenden Jagddruck im Frühjahr das Rotwild jeweils in die Sommerlebensräume an und oberhalb der Waldgrenze gelenkt wird, die meist eine deutlich höhere Biotop-Tragfähigkeit aufweisen. Und wenn Wintergatter, die in Regionen mit hohem Schälrisiko ihre Hauptfunktion eigentlich erst im Spätwinter/Frühjahr erfüllen, bis Ende Mai oder Anfang Juni geschlossen bleiben, verändert das die sommerliche Raumnutzung des Rotwildes nachdrücklich. Aus diesem Grund kommt es im Umfeld langjährig bestehender Fütterungen mittlerweile vermehrt zur «äsungsmässigen Auszehrung» von Wintereinständen und fütterungsnahen Sommerlebensräumen und vereinzelt auch zur Sommerschäle. Vom Aufhege- zum Regulierungskonzept Die Freizeitjäger haben über Jahrzehnte ihren Auftrag zur Aufhege der Wildbestände wahrgenommen – und das war beim Schalenwild eine beachtliche Erfolgsgeschichte. Nachdem die Rotwildbestände in Österreich so hoch sind wie wahrscheinlich niemals zuvor und die Schälschäden weiter zunehmen, muss die generelle Aufhegeeinstellung nunmehr abgeändert werden – auch in den Köpfen und Herzen und nicht nur auf dem Papier. Seit der ersten Forstinventur wird mit eher bescheidenem Erfolg versucht, unsere Jagdgesetze und jagdlichen Traditionen zielorientiert zu transformieren – von der Vermehrung in Richtung Regulierung des Schalenwildes bzw. in Richtung Absenkung der Wildbestände in Wildschadensgebieten.
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Konfliktthema «Fütterungsideologie» In Österreich hat sich die Fütterung des Rotwildes als unverzichtbar erscheinender Bestandteil der Aufhege etabliert. In zahlreichen Diskussionen über die Ursachen der Wildschäden und über erforderliche Gegenmassnahmen nimmt daher einen zentralen Stellenwert ein. Sie ist ein Symbol für «Abhängigkeit» des Wildes vom Menschen – wird aber als Problemursache oder Problemlösung im Regelfall deutlich überbewertet. Wesentlich erscheint in dem Zusammenhang, dass der Fütterung, gleichsam als Kurzschluss, eines unserer Schlüsselprobleme – weiter ansteigende Rotwildbestände – zugeschrieben wird, das aber eigentlich aus dem unzureichenden Wildabschuss resultiert. Wer aber den Rotwildbestand erfolgreich absenkt UND professionell füttert, das heisst, das Wild ausreichend sättigt und gezielt lenkt, wird wahrscheinlich EHER tragbare Wildschäden erreichen, als wenn er bei identischer Wildstandsabsenkung NICHT füttert. Füttern bedeutet im Regelfall weniger Fallwild und mehr Zuwachs. Das macht höhere Abschüsse notwendig, wenn der Wildbestand nicht ansteigen soll. Andern-
falls läuft das System aus dem Ruder. Häufig wird verabsäumt, mit vermehrter Fütterung auch entsprechend mehr zu schiessen. Darin liegt wohl das Hauptproblem. Um auf bestehende Fütterungen verzichten zu können, muss der Rotwildbestand vorher entsprechend abgesenkt werden, damit nicht zusätzliche Wildschäden ausgelöst werden. Effizienter jagen, revierübergreifend planen Allerdings dürfte die überwiegende Mehrheit der Freizeitjäger innerhalb der langen Schusszeiten in unserem Reviersystem damit überfordert sein, entsprechend effizient zu jagen – genau zur rechten Zeit und mit gezielten Jagdpausen – sowie bezüglich Fütterung entsprechend revierübergreifend zu planen und zu handeln. Denn vielerorts dominieren weiterhin massive RevierEgoismen anstatt zielorientierter Kooperationen – auch und insbesondere bezüglich Fütterung. Wegen ihrer Missbrauchs- und Fehleranfälligkeit ist «die Fütterung» viel stärker in Misskredit als das von der Sache her nötig wäre. Dies lenkt vom primären Problem, dem mangelnden Abschuss, allzu
Immer häufiger wird eine Extensivierung der Fütterung gefordert, weil dieser Trend dem Idealbild der urbanisierten Gesellschaft entspricht, Wild auch möglichst «wild» sein zu lassen. Die Frage wird sein, ob sich dann das Rotwild dort einstellt, wo es toleriert werden kann. Denn die forstliche und gesellschaftliche Toleranz schwindet sehr rasch, wenn es um Objektschutzwälder geht oder um ver hungerndes Wild in Dorfnähe. (Bild: zVg. Fritz Völk)
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sehr ab und verstellt den Blick auf den entscheidenden Lösungsansatz. Zwischenbilanz und Ausblick Um in Zukunft Fehler und Missbrauch im Zusammenhang mit der Fütterung verringern zu können und damit auch die argumentative Angreifbarkeit der Jagd bzw. der Hege zu reduzieren, wird als möglicher Ansatzpunkt eine massive Extensivierung der Fütterung gefordert, die mit einer verminderten Lenkwirkung einhergehen soll. Dieser Trend entspricht einem Idealbild der urbanisierten Gesellschaft, Wild auch in der intensiv genutzten Kulturlandschaft möglichst «wild» sein zu lassen und die Jagd primär zur Wildschadensvermeidung und allenfalls als restriktiv aneignende Nutzung zuzulassen. Daraus resultiert die Frage, ob sich dann das Rotwild im Winter dort einstellt, wo es toleriert werden kann. Denn die forstliche und die gesellschaftliche Toleranz schwinden erfahrungsgemäss sehr rasch, wenn es um wildschadensanfällige Wälder und insbesondere um Objektschutzwälder geht, oder wenn hungerndes Wild in der Nähe menschlicher Siedlungen auftaucht oder in grösserer Zahl verendet. Es bleibt abzuwarten, wie in der Grundeigentümer-Revierjagd in Zukunft mit der Rotwildüberwinterung umgegangen wird und welche Rolle die Fütterung dabei spielen wird. Entscheidend für die Wildschadensvermeidung wird aber stets sein, dass das Rotwild effizient und zielorientiert bejagt und in ausreichender Anzahl erlegt wird. Literatur – Deutz, A., Gasteiner, J., Buchgraber, K., Völk, F., Haller, B., 2009 : Fütterung und Wildschäden. Der Anblick, Heft 4 : 24 – 27.
– L eitner, H., Reimoser, F., 2000 : Grundsätze der Winterfütterung. Österreichs Weidwerk ( 9 ): 8 – 12 ; Kärntner Jäger ( 131 ): 5 – 8 ; Jagd in Tirol 52 : 4 – 8 ; OÖ. Jäger 27 ( 88 ): 7 – 12. – Reimoser, F., Schulze, K., 2000 : Winterfütterung: Probleme, die es zu vermeiden gilt. Österreichs Weidwerk ( 10 ): 12 – 14 ; Der OÖ. Jäger 27 ( 88 ): 12 – 14 . – Völk, F., 1998 : Schälschäden und Rotwildmanagement in Relation zu Jagdgesetz und Waldaufbau in Österreich. Beiträge zur Umweltgestaltung, Band A 141. Alpine Umweltprobleme, Teil XXXIV. Berlin: Erich Schmidt Verlag. 514 Seiten. – Völk, F., 1999 : Bedeutung von Waldstruktur und Rotwildhege für die Schälhäufigkeit in den alpinen Bundesländern Österreichs. Z. Jagdwiss. 45 (1): 1 – 16.
Friedrich Völk Österreichische Bundesforste AG Pummergasse 10-12, A-3002 Purkersdorf friedrich.voelk@bundesforste.at
Friedrich Reimoser Universität für Bodenkultur Gregor-Mendel-Strasse 33 A-1180 Wien friedrich.reimoser@fiwi.at
Horst Leitner Büro für Wildökologie Anton-Gassner-Weg 3 A-9020 Klagenfurt horst.leitner@wildoekologie.at
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Verbissprozente – theoretisch fundiert und praktisch bewährt Wozu Verbisserhebung? Um das Beziehungsgefüge Wald / Wild in eine gewünschte Richtung lenken zu können, muss man wissen, was abläuft und wie sich realisierte Massnahmen auswirken. Das geht nicht ohne systematische Untersuchungen. Auch für den Vollzug des Gesetzes braucht es Kriterien, die objektiv und messbar sind. Artikel 272 des eidgenössischen Waldgesetzes lautet: «Sie (die Kantone) regeln den Wildbestand so, dass die Erhaltung des Waldes, insbesondere seine natürliche Verjüngung mit standortgerechten Baumarten, ohne Schutzmassnahmen gesichert ist.» Dieser Anspruch kann nur eingefordert werden, wenn er auf messbare Parameter zurückgeführt werden kann. Verbissintensität Die gebräuchliche Messgrösse ist die Verbissintensität. Das ist der prozentuale Anteil aller Bäume zwischen 0,1 und 1,3 m, der innerhalb eines Jahres am Terminaltrieb verbissen wird. Prof. K. Eiberle hat zwischen 1980 und 1990 an der ETH Zürich Richtwerte für die Verbissintensität erarbeitet, die im grossräumigen Durchschnitt aus Sicht des Waldbaus zulässig sind. Den Raumbezug hat Eiberle 1983 so umschrieben: «Es versteht sich von selbst, dass für die Überprüfung der Verbissbelastung nur die Durchschnittswerte grosser Waldflächen verwendet werden sollten. In der Regel von Gebieten, die einer einheitlichen jagdlichen Planung unterliegen. Allenfalls kommen auch grosse Teilareale infrage, wie etwa Sommer- oder Wintereinstandsgebiete des Rotwildes.» (Eiberle und Nigg 1983 ). Heute wird für ein derartiges Gebiet der Begriff Wildraum verwendet. Wildräume sind wildökologisch einheitliche Planungs-, Bewirtschaftungs- und Kontrollräume für eine bestimmte Wildart.
Das Verhältnis von Wildbestand und Nahrungsangebot soll ausgewogen sein. (Bild: zVg. Oswald Odermatt, WSL)
(Aste 1995 ). Es handelt sich dabei um das ganze Gebiet, das von einer Wildtierpopulation genutzt wird. Eine Wildtierpopulation ist eine Fortpflanzungsgemeinschaft. Das heisst, die Fortpflanzung der Tiere findet zum überwiegenden Teil innerhalb dieses Verbandes statt. In der Praxis ist die Verbissintensität inzwischen als Mass für den Wildeinfluss auf die Waldverjüngung fest verankert. Dass sie das zu Recht ist, lässt sich auch theoretisch begründen. Wildschaden eine Frage des Verhältnisses Zu einer übermässigen Beanspruchung der Waldvegetation kommt es, wenn mehr Tiere den Wald zur Nahrungsaufnahme nutzen, als dieser verträgt. Es handelt sich um eine Frage des Verhältnisses. Über ein grösseres Gebiet hinweg sollte nicht mehr abgefressen werden, als durch das Waldwachstum kompensiert werden kann. Verbissprozente geben nichts anderes wieder als dieses Verhältnis, nämlich den prozentualen Anteil von Bäumen, die in einem bestimmten Zeitabschnitt verbissen werden. Wenn das Verbissprozent ein gewisses Mass nicht überschreitet, sind keine nachteiligen Auswirkungen für die Waldverjüngung zu erwarten. Wenn trotzdem immer wieder Bündner Wald 6 /2012 27
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Kritik an Verbisserhebungen laut wird, zielt sie im Allgemeinen auf unzulässige Anwen dungsformen oder Interpretationen. Alle Massnahmen, die das Verhältnis von Nahrungsbedarf zu Nahrungsangebot sen ken, sind bei der Behebung von verbiss bedingten Verjüngungsproblemen wirksam. Bergahorn im März 2012. Der Verbiss stammt vom April 2010 und zählt nicht für die Verbissintensität. (Bild: zVg. Oswald Odermatt, WSL)
Da ein Verhältnis betrachtet wird, sind zwei Arten von Massnahmen denkbar. Einer seits Massnahmen, die die Wilddichte ver kleinern durch jagdliche Regulierung oder die Verteilung der Tiere auf eine grössere Fläche, andererseits Massnahmen, die die Stammzahl in der Verjüngung erhöhen, was insbesondere durch Auflichtung der Wald bestände möglich ist. Ungünstige Entwicklung frühzeitig erkennen Ein oft gehörter Einwand gegen die Ver wendung von Verbissprozenten ist der: «Es interessiert mich nicht, wie viele Bäume verbissen werden. Ich will wissen, wie viele Bäume aufkommen». Damit ist das ausge drückt, worauf es letztlich ankommt: eine ausreichende Stammzahl in der gewünsch ten Artenzusammensetzung, die aus dem verbissgefährdeten Höhenbereich heraus wächst. Ein Schaden besteht erst, wenn das nicht mehr der Fall ist. Man muss jedoch nicht warten bis der Schaden eintritt. Der Prozess, der zu einem Verjüngungsdefizit führt, kann frühzeitig anhand des Verbisses festgestellt und mit geeigneten Massnah men korrigiert werden. Dazu wird das Ver bissprozent erhoben. Einwirkung regional – Auswirkung lokal Wild ist mobil und nutzt ein grösseres Ge biet zur Nahrungsaufnahme. Der Verbiss muss deshalb als grossräumig wirkender Einflussfaktor aufgefasst werden. Ande rerseits wirkt sich der Verbiss an den ver schiedenen Stellen des Wildraumes ganz unterschiedlich aus. Das hängt von Wuchs bedingungen, Standort, Baumarten an der betreffenden Stelle und der Raumnutzung des Wildes ab. Je nach Wuchsbedingun gen ist innerhalb eines Wildraumes unter schiedlich viel Verbiss tragbar. Das Wild
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seinerseits hat bevorzugte Einstände und Äsungsplätze. Vielfältige Störungen tragen das Ihre dazu bei. Diese Heterogenität wird gelegentlich ins Feld geführt, um die Durchschnittsbildung bei stichprobenweise erhobenen Verbisszahlen infrage zu stellen. Der Kritik liegt ein nicht zutreffendes Verständnis der Bedeutung von Verbissprozenten zugrunde. Mit der Durchschnittsbildung wird nicht auf den Verbiss irgendwo im Wildraum geschlossen, sondern auf das Verhältnis von aufgenommener Nahrung zu verfügbarer Nahrung über den ganzen Wildraum hinweg. Je stärker das ganze Angebot im Wildraum genutzt wird, desto häufiger und stärker treten Fälle von beeinträchtigter Verjüngung auf. Wenn das Verhältnis von abgefressenen zu vorhandenen Individuen ein gewisses Mass überschreitet, kommt es bei der betroffenen Baumart zu einer Stammzahlabnahme. Abhängig von den Wuchsbedingungen kann diese Schwelle von Wildraum zu Wildraum etwas abweichen. In grösseren Höhenlagen sind die Grenzwerte tiefer anzusetzen. Auch wenn der grossräumige Durchschnitt innerhalb des tolerierten Rahmens liegt, können an exponierten Stellen immer noch verbissbedingte Verjüngungsschwierigkeiten bestehen. Diese können mit Wald-WildManagement nicht vermieden werden. Sie müssen in Kauf genommen werden oder können, wo untolerierbar, mit technischen Massnahmen verhütet werden. Abnehmende Stammzahl als kritischer Punkt Auch unter Fachleuten wird gelegentlich die Meinung vertreten, dass Verbissprozente ohne Angaben zur Gesamtpflanzenzahl keinen Informationswert haben. Diese Position leuchtet auf den ersten Blick ein, da
bei einer grossen Stammzahl mehr Ausfälle tragbar sind als bei einer kleinen. Bei näherer Betrachtung kann man aber sehr wohl zur Ansicht kommen, dass man einer verbissbedingten Reduktion auch bei einer grossen Stammzahl nicht den Lauf lassen sollte. In einem nachhaltig aufgebauten Wald bleibt die Stammzahl in einer Grössenklasse konstant (Odermatt 2009 ). Das Verbissprozent, bei dem die Stammzahlabnahme einsetzt, müsste in diesem Fall als kritische Schwelle gelten. Zumindest im Falle der Weisstanne muss vermutet werden, dass eine derartige Schwelle existiert. Aus vielen Beispielen ist bekannt, dass Wildverbiss zum gänzlichen Ausfall dieser Baumart führen kann. Das verbissbedingte Verschwinden der Tanne in der Jungwaldstufe kann man sich dabei nur so vorstellen, dass die Tannenverjüngung über eine längere Phase intensivem Verbiss ausgesetzt ist. In dieser Zeit nimmt die Stammzahl allmählich ab. Mit abnehmender Stammzahl erhöht sich der Verbissdruck auf die verbleibenden Bäume und der Prozess beschleunigt sich. In einem solchen Prozess wäre die kritische Schwelle da zu suchen, wo die Stammzahlabnahme einsetzt, unabhängig davon, wie gross diese Stammzahl am Anfang ist. Je länger man mit Massnahmen zuwartet, desto aufwendiger werden diese. Aussagekraft von absoluten Stammzahlen bescheiden Viele Einwände wurden gegen Verbissinventuren schon vorgebracht. Gleichzeitig wird dann jeweils gefordert, statt des Verbisses Stammzahlen zu erheben. Die Stammzahlen liefern aber nur sehr beschränkt Informationen zur Verbisssituation. Wenn die vorhandene Verjüngung dem Ziel entspricht, weiss man wohl, dass die Beeinträchtigung durch Verbiss in der Vergangenheit nicht zu gross Bündner Wald 6/2012 29
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Verbissintensität Der 95%-Vertrauensbereich ist mit einer Linie angegeben.
Verbissintensität Grenzwert
100% 90% 80% 70% 60% 50% 40% 30% 20% 10% 0% Alle Baumarten
Buche
Ahorn
Vogelbeere
Fichte
Tanne
Ausmass und Entwicklung der Verbissintensität im Gebiet Wisstannen, Kanton Schwyz. Verbissintensität 1999 bis 2012 (von links nach rechts). (Quelle: Rüegg 2012)
war. Aber bereits in diesem Fall ist keine Aussage dazu möglich, welchem Verbiss die Verjüngung in der Gegenwart ausgesetzt ist. Das Defizit als Kontrollgrösse wird aber besonders deutlich, wenn die Stammzahl den festgelegten Sollwert nicht erreicht. Wenn nicht bereits aussagekräftige Kontrollzäune vorhanden sind, lässt sich das festgestellte Verjüngungsmanko nicht einwandfrei auf Wildverbiss zurückführen. Aber auch wenn Verbiss als Ursache ausgemacht werden kann, ist der offensichtlich bereits eingetretene Schaden nicht die optimale Eingangsgrösse für ein qualifiziertes Wald-Wild-Management. Von einem solchen würde man erwarten, dass es die ungünstige Entwicklung, die dazu geführt hat, früher erkennt und ihr entgegenwirkt. Dieser Prozess
dauert insbesondere im Gebirgswald Jahre oder Jahrzehnte und kann nicht unbemerkt bleiben. Schliesslich erlauben Stammzahlen praktisch auch keine Wirkungskontrolle in nützlicher Frist. Es dauert zu lange bis eingeleitete Massnahmen sich in der Stammzahl niederschlagen. Indikatorflächen – der pragmatische Weg Für das praktische Vorgehen zur Erhebung der Verbissintensität hat in den letzten 20 Jahren in vielen Kantonen ein einheitliches Verfahren Eingang gefunden. Der Verbiss wird dabei auf 30 ha grossen Indi katorflächen aufgenommen, die repräsentativ sind für den Wildraum. Koordiniert durch das Büro RWU in Kaltbrunn sind inzwischen im Schweizer Wald 262 Indikatorflächen eingerichtet. Pro Hektare ist eine
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Probefläche permanent eingerichtet, auf welcher der Verbiss erhoben wird (Rüegg und Nigg 2003 ). Die folgende Grafik zeigt die Verbissentwicklung in einem Gebiet des Kantons Schwyz (Abbildung links). 1999 war der Verbiss im Gebiet sehr hoch. Im Jahr 2000 wurde das Wildschadenverhütungskonzept Wisstannen genehmigt. Die eingeleiteten forstlichen und jagdlichen Massnahmen zeigten schnell Wirkung. Zurzeit besteht einige Hoffnung, dass das beschriebene Messverfahren allmählich gesamtschweizerisch in die Wald-Wild-Planung der Kantone Eingang findet. Grafik 1 zeigt auf einen Blick Verbissausmass und -entwicklung getrennt nach Baumarten. Diese kompakte Darstellung aller wichtigen Grössen ist bezüglich Beanspruchung durch Wildverbiss bereits jetzt für viele Wälder eine Art Visitenkarte (vgl. Beitrag D. Rüegg in diesem Heft). Wünschbar wäre, dass in Zukunft eine solche Visitenkarte für möglichst viele Wälder vorliegt. Literatur – ASTE, C. 1995: Hebschuss gefallen. Der Anblick 68: 19 – 20 – EIBERLE, K.; NIGG, H. 1983 : Daten zur tragbaren Verbissbelastung bei der Fichte. Schweiz. Förster 119, 7/8; 368 – 382 – ODERMATT, O., 2009 : Wildtiereinfluss auf die Waldverjüngung messen: mit Stammzahlen oder mit dem Verbissprozent? Schweiz. Z. Forstwes. 160,10: 303 – 310 – RUEEGG, D., NIGG, H.: 2003 : Mehrstufige Verjüngungskontrollen und Grenzwerte für die Verbissintensität. Schweiz. Z. Forstwes. 154 (2003) 8: 314 – 321
Auch der Ahorn zählt zu den bevorzugten Äsungsgehölzen. (Bild: zVg. Oswald Odermatt, WSL)
– RÜEGG, D. 2012 : Verjüngungskontrolle
im Kanton Schwyz. Ergebnisse: Stichproben in Indikatorflächen. Bericht 2012 für das Amt für Wald und Naturgefahren des Kantons Schwyz. 29 Seiten.
Oswald Odermatt Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft, WSL Zürcherstrasse 111, 8903 Birmensdorf oswald.odermatt@wsl.ch
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Zu hoher Wilddruck – die Antwort liefert der Wald
Klosters – Schutzwald oberhalb Mezzaselva (Bild: Osi Odermatt)
Einleitung Die Notmassnahmen während des Winters 2012 für das Prättigau und Davos wurden von den zuständigen Ämtern AJF und AWN analysiert und ausgewertet. Die Situation im letzten Winter hat gezeigt, dass Wildfütterungen ein grösseres Problem sind als bisher angenommen, es aber in Zeiten der verkündeten Not nicht der richtige Moment ist, gegen sie vorzugehen. In Zusammenarbeit mit weitsichtigen Revierförstern und verantwor tungsbewussten Waldeigentümern konnten in den vergangenen vier Jahren jedoch einige Futterstellen aufgehoben werden. Auch wenn der Entscheid und die öffentliche Kommunikation der Notmassnahmen 2012 im Prättigau aus Sicht des AWN suboptimal abgelaufen sind, ist dies bei der regionalen Wald-Wild-Thematik nur ein Nebenschauplatz. Das eigentliche Problem im Prättigauer Wald ist der weitgehend wildbedingte Verlust des waldbaulichen Spielraums beim Verjüngen der Schutzwälder. Anlässlich der gemeinsamen Nachbereitung des letzten Winters und der anschliessenden Besichtigung eines für die «schlechte» Waldverjüngung eindrücklichen und für das Prättigau leider auch repräsentativen Objekts am Putzerberg waren sich die Vertreter von AWN und AJF einig, dass diese problematische Verjüngungssituation vermehrt 32
an die Öffentlichkeit getragen und damit die Notwendigkeit für eine starke Bejagung der derzeitigen Wildbestände inklusive der Herbstjagd aufgezeigt werden müssen. In diesem Zusammenhang ist von forstlicher Seite der folgende Artikel entworfen worden, der vor Beginn der Herbstjagd 2012 im «Prättigauer und Herrschäftler» vorgesehen war, letztendlich den Weg in die lokale Presse leider nicht gefunden hat:
Hochzeitsgeschenk hinter Gittern – Müssen im Prättigau wirklich alle Bäume eingezäunt werden? In Bälde wird ein frisch vermähltes, junges Bündner Paar in Seewis sein neues Wohnheim beziehen. Zur Hochzeit schenkten ihnen Freunde eine ebenfalls noch junge Eiche. Die weitsichtigen Schenker erweiterten das Präsent mit einem Zaun, da in den Gärten von Seewis einheimische Bäume ohne Schutz nur schwerlich aufkommen. Leider ist es eine Tatsache, dass diese Eiche nur zu einem Lebensbaum werden kann, wenn man sie frühzeitig vor Hirsch und Reh schützt – Jugendjahre hinter Gittern als einzige Zukunftschance? Mit dieser Verbannung hinter Gitter – möchte man nun glauben – ist in diesem Fall das Problem mit etwas finanziellem Mehraufwand gelöst. Nur, ist dies wirklich
Tendenz gesicherte Verjüngung
Baumart
Bemerkungen/Zusammenfassung
Fichte
Bereits bei der Erstaufnahme erfüllen die Soll-Stammzahlen die Werte, welche für eine gesicherte Verjüngung definiert sind. Die Fichte erweist sich als sehr konkurrenzstark (trotz teilweise hoher Verbissintensität).
Weiss tanne
Seit den Aufnahmen Anfang der Neunzigerjahre zeigt sich keine Verbesserung der Situation für die Weisstanne. Totalausfall ab der Baumhöhenstufe « 40 cm».
†
Lärche
Nur im Areal Seewis-Herrschaft kommt die Lärche auf den Untersuchungsflächen in nennenswerter Zahl vor, mit abnehmender Tendenz.
Föhre
In den Neunzigerjahren wurden im Areal Seewis-Herrschaft Föhren aufgenommen (Baumhöhenstufe bis 40 cm ). Bei Folgeaufnahmen keine mehr vorhanden.
†
Eibe
Bei der Erstaufnahme wurden Eibenkeimlinge gezählt. Heute keine mehr vorhanden.
†
Buche
Bereits bei der Erstaufnahme erfüllen die Soll-Stammzahlen die Werte, welche für eine gesicherte Verjüngung definiert sind. Die Buche erweist sich als sehr konkurrenzstark. Tendenziell eine Zunahme dieser Baumart.
Ahorn
Ungenügende Soll-Stammzahlen. Keine gesicherte Verjüngung in Untersuchungsflächen. Leicht positive Entwicklung im Jagdareal Seewis-Herrschaft.
Esche
Niedrige Soll-Stammzahlen und markante Abnahme im Areal Mittel-/Hinterprättigau.
Eiche
Seit den Neunzigerjahren nur einzelstammweise.
Vogelbeere
Ungenügende Soll-Stammzahlen. Keine gesicherte Verjüngung in Untersuchungsflächen (meist nur Neben baumart im Untersuchungsgebiet).
Abb. 1: Zusammenfassung aller Jagdbezirke nach Baumarten, Zwischenbericht Folgeaufnahmen Waldverjüngung 2010 (Bild: Sandro Krättli, AWN)
der einzig logische Schluss oder steckt mehr dahinter? Das Seewiser Rot- und Rehwild lebt wie im übrigen Prättigau während des Winterhalbjahrs nicht vorwiegend im Dorf, sondern im Wald. Das ist grundsätzlich auch richtig, denn der Wald hat eine wichtige Rolle als Lebensraum für das heimische Wild. Neben seiner Rolle als «Wildtierstube» erwarten wir von unserem Wald gleichzeitig aber auch noch, dass er uns vor allen natürlichen
Bedrohungen wie Lawinen, Rüfen und anderen Naturge fahren – am liebsten überall und zu jeder Zeit – zuverlässig schützt. Diesen Erwartungen entsprechend ist für 18 000 ha in der Waldregion HerrschaftPrättigau-Davos eine Schutzfunktion ausgewiesen, was drei Viertel der gesamten Waldfläche entspricht. Davon schützen 50 % direkt Siedlungen, Tourismuseinrichtungen, wichtige Verbindungsstrassen und die Rhätische Bahn. Bündner Wald 6/2012 33
Wenn der Baum im Prättigauer Schutzwald keine Rottanne (Fichte) oder Buche ist, sieht die Zukunft mittlerweile leider gleich aus wie jene der Eiche in Seewis. Weisstannen erreichen nicht einmal mehr das Stadium von Jungbäumen. Neben der erwähnten Eiche wachsen Bergahorne, Vogelbeeren, Kirschen, Nussbäume und viele weitere Laubbäume nur noch vereinzelt zu grossen Bäumen her an. Dies ist für einen qualitativ guten, will heissen zuverlässigen Schutzwald unterhalb rund 1200 m ü. M. viel zu wenig. Denn ein mehr oder weniger reiner Buchwald schützt nur ungenügend gegen Lawinen und Gleitschnee – was wir im letzten Winter wieder einmal drastisch vor Augen geführt bekamen. Wollen wir in dieser Höhenstufe die notwendig gemischten Schutzwälder, geht es heute – wie im Garten in Seewis – auch Conters: Bruch einer Fichte bei der alten Schälstelle (Bild: Sandro Krättli)
im Wald nicht mehr ohne unnatürliche und kostspielige Gitter. Diese müssen zudem über Jahrzehnte unterhalten werden. Ein deutlicher Hinweis, dass die Kapazität unserer «Wildtierstube» nicht nur lokal, sondern an zu vielen Orten deutlich überschritten ist. Den Preis zahlen wir nicht nur mit hohen Zäunungskosten wie im Garten, sondern auch mit Schutzwäldern, die ihre Baumartenvielfalt verlieren und uns nachweislich immer weniger schützen. Verbuschende Landwirtschaftsflächen kompensieren dies nicht. Sie erhöhen zwar insgesamt die Waldfläche – aber in keiner Weise die für uns lebensnotwendige (Schutz)-Waldqualität. Aus Sicht des Amtes für Wald und Naturgefahren gibt es daher nur eins – eine starke Jagd. Wobei wir Stärke in erster Linie als «viel jagen» verstehen. Will der Schutzwald alle seine ihm zugewiesenen Aufgaben kostengünstig und langfristig erfüllen, ist er heute mehr denn je auf eine Jagd angewiesen, welche unsere derzeit hohen Schalenwildbestände auch auf ein für den Wald tragbares Mass reduziert. In einem Winter wie dem letzten kommt dies direkt auch dem Wild selber zugute. Denn in einem zum Vergleich heute stark reduzierten Gesamtbestand könnte es auch einen «richtigen» Winter mehrheitlich ohne menschliches Dazutun überleben und «wild» bleiben.
Ungenügende Verjüngungsqualität – ein grossflächiges Problem Die Darstellung der Verjüngungssituation im Zeitungsartikel mag auf den ersten Blick plakativ und übertrieben erscheinen. Sie wird aber auch bei einer detaillierten Betrachtung nicht besser. Im Wald-Wild-Bericht Herrschaft/Prättigau von 2006, der im Zusammenhang mit dem Waldentwicklungsplan erarbeitet wurde, liegen die Problemflächen, in denen eine natürliche Verjüngung in stand34
Diese zusammengefassten Resultate basieren auf der Auswertung von Stammzahlen und Verbissintensitäten, welche als Mass für den Wildeinfluss herangezogen werden. Ausser bei der Fichte und der Buche liegen die gemessenen Verbissintensitäten, soweit andere Baumarten auf den Untersuchungsflächen überhaupt noch vorkommen, grossmehrheitlich über den heute anerkannten Grenzwerten. Der Bergahorn ist ein Beispiel davor (s. Graphik, Folgeaufnahmen Wald/Wild, Anhang S. 10). Die Verbissintensitäten als „Fiebermesser“ des Wildeinflusses auf die Waldverjüngung zeigen für das Prättigau leider, dass das Fieber in den letzten Jahren keineswegs gesunken, sondern eher weiter gestiegen ist. Die Zunahme der Schalenwildbestände fordert früher oder später eben doch seinen Tribut im Wildlebensraum Wald. 100 90 Verbissintensität %
80 70 60 50 40
Verbissintensität Bergahorn Ah
30
Kritischer Grenzwert K Ah
20 10
Herrschaft‐Seewis
Vorderprättigau
1540
1143
139
1125
1123
127
1108
101
136
1145
134
131
130
1541
1162
1158
1152
160
1149
154
153
0 Aufnahmeflächen
Mittel‐ Igis‐Furna‐Fideris /Hinterprättigau
Abb2. Verbissprozent Bergahornt auf Probeflächen. Blau effektiver Verbisswert; rot Abb. 2: Verbissintensität Bergahorn auf Untersuchungsflächen. Blau = effektive Verbissintensität; rot = kritshcer Verbisswert. Zwischebericht Wald/Wild, Anhang S.10 (Bild: Sandro Krättli, kritischer Grenzwert. Zwischenbericht Folgeaufnahmen Waldverjüngung 2010 ( Bild: Sandro Krättli, AWN) AWN) ortsgerechter Baumartenzusammen setzung auchimein etwas anderes Bild als der WaldSchälund akute Verbissschadenmeldungen Frühling nicht gewährleistet ist, jagdlich gesehen mit keine Wild-Bericht mit zu alten Aufnahmen. gemacht. Die ReIm regionalen Wald-Wild-Bericht werden Angaben Schälschäden In auf den langen dieses Dokumentes macht dies auch 22Hinblick % im «grünen» Bereich. ImPlanungshorizont Bericht nimmt sultate der verschiedenen Folgeaufnahmen wenig Sinn. der Region 1 wurden Ende Winter verschiedentlich von der Anteil derInFläche mit einem allgemeinen fassen jeweils sich bezüglich der VerjüngungstenMaienfeld bis Davos Schälschäden festgestellt. Seit dem ausserordentlichen Winter Verjüngungsausfall gerade einmal 3 % ein. denzen der wichtigsten Baumarten in der 2008/09 werden mit einer einfachen Umfrage bei den Revierförstern aktuelle Den Rest der Problemfläche verursacht der Region wie folgt zusammenfassen (siehe Schälschäden erhoben. wildbedingte Ausfall der Weisstanne. Tabelle, Abb. 1 ). Bei ihrer waldbaulichen Tätigkeit sahen und Diese zusammengefassten Resultate basiesehen sich die im Prättigau tätigen Revier- ren auf der Auswertung von Stammzahlen förster und Regionalforstingenieure aber und Verbissintensitäten, welche als Mass nicht nur beim Verjüngen der Weisstanne für den Wildeinfluss herangezogen werden. eingeschränkt. Die Einschränkungen sind lei- Ausser bei der Fichte und der Buche liegen der viel umfassender. Eine Mischungsregu- die gemessenen Verbissintensitäten, soweit lierung im Jungwuchs- und Dickungsalter in andere Baumarten auf den Untersuchungsder Buchenwaldstufe in Richtung Bergahorn, flächen überhaupt noch vorkommen, grossEsche, Kirsche, Ulme, Nussbaum u. a. ist mehrheitlich über den heute anerkannten nicht mehr möglich und bleibt in aller Regel Grenzwerten. Der Bergahorn ist ein Beiein Fördern von Einzelbäumchen in einem spiel dafür (s. Grafik, Zwischenbericht Fol«Buchenmeer». Ähnliches gilt beim Nadel- geaufnahmen Waldverjüngung 2010 ). Die holz, wo es allerdings lokal noch gelingt, die Verbissintensitäten als «Fiebermesser» des Wildeinflusses auf die Waldverjüngung zeiLärche gegenüber der Fichte zu fördern. Die Folgeaufnahmen in verschiedenen Un- gen für das Prättigau leider, dass das Fieber tersuchungsflächen zur Erhebung der Wald- in den letzten Jahren keineswegs gesunken, verjüngung (Teilprogramme 1 und 3 ) sowie sondern eher weiter gestiegen ist. Die Zuin verschiedenen Kontrollzäunen zeigen nun nahme der Schalenwildbestände fordert früBündner Wald 6/2012 35
Seewis: Fichtenverbiss nach chemischem Schutz (Bild: Sandro Krättli)
her oder später eben doch seinen Tribut im Wildlebensraum Wald.
Schäl- und akute Verbissschadens meldungen im Frühling Im regionalen Wald-Wild-Bericht werden keine Angaben zu Schälschäden gemacht.
In Hinblick auf den langen Planungshorizont dieses Dokumentes macht dies auch wenig Sinn. In der Region 1 wurden Ende Winter jeweils verschiedentlich von Maienfeld bis Davos Schälschäden festgestellt. Seit dem ausserordentlichen Winter 2008/09 werden mit einer einfachen Umfrage bei den Revierförstern aktuelle Schälschäden erhoben. Die vorliegenden Resultate dienen dem AWN Region 1, als Überblick der aktuellen Wildschadensituation und als Vergleichsbasis zu den letztjährigen Meldungen. Diese Meldungen ersetzen aber in keinem Fall die chronischen Schadenflächen aus dem Wald-Wild-Bericht. Vielmehr müssen sie als zusätzliche Informationsgrundlage für aktuelle und akute Schäden betrachtet werden. Die Ergebnisse werden unabhängig von den bekannten Problemflächen aus dem jeweiligen Wald-Wild-Bericht erhoben. Somit ist es möglich, dass aktuelle Schadensmeldungen aus bekannten und unbekannten Problemflächen eingehen. Die vorhandene Datenreihe zeigt mittlerweile eindeutig, dass insbesondere Schälschäden gehäuft und vor allem mit nicht tolerierbarem Ausmass im direkten Einflussgebiet von Futterstellen entstehen. Die regelmässigen Aufnahmen haben auch die vielseitigen Fütterungsformen in der Region für den Forstdienst in vollem Ausmass zutage gebracht. So kann man nicht mehr
Furna: Sogar die Buche steht in gewissen Gebieten unter Druck. (Bild: Sandro Krättli)
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einfach von «problematischen privaten Fütterungen» sprechen, sondern muss hier differenzieren. Besonders im Prättigau und Davos ist eine verankerte Fütterungstradition bei der Jägerschaft die entscheidende Einflussgrösse für die Thematik. Die öffentliche Meinung, auch die Berichterstattung in den Medien und das Handeln der Wildhut, sind geprägt von dieser jahrzehntelangen Fütterungstradition. Hinzu kommen die sehr problematischen indirekten Fütterungen durch Siloballen, welche willentlich durch Menschen oder durch die Hirsche selbst aktiviert werden. Ein grosses Schadensmass resultiert mittlerweile bei der Esche. Zu ihr gesellen sich aber auch wirtschaftlich wichtigere Baumarten wie Fichte, Lärche oder der Bergahorn. Mit der Umfrage kommen auch immer wieder intensive Verbissschäden zum Vorschein, welche auf den vergangenen Winter zurückgehen. Besonders der zunehmend dokumentierte Verbissdruck auf die Baumarten Fichte und Buche geben Anlass zu grösserer Sorge. Seit nun drei Jahren werden die eindrücklichsten Flächen auch mit dem zuständigen Spezialisten der WSL begangen.
Handlungsspielraum massiv ein und hat Auswirkungen auf das gesamte Ökosystem. Jede Baumart erfüllt generelle und spezifische Aufgaben. Bäume bilden Wälder. Wälder sind Ökosysteme mit einer Vielzahl von Tieren und Pflanzen, welche sich gegenseitig ergänzen und beeinflussen. Intakte und möglichst naturnahe Ökosysteme werden für die Zukunft immer wichtiger. Die jagdbaren Schalenwildarten sind ein Teil dieses Ökosystems, neben Tausenden anderer Tierarten. Da natürliche Feinde in ausreichender Zahl fehlen, werden Eingriffe in die Bestände nötig, weil Überpopulationen dem Ökosystem und der Wildtierpopulation selbst schaden. Dafür steht der Forstdienst bedingungslos ein. Solche und weitere Botschaften müssen konsequent in die Gesellschaft getragen werden. Der eingangs ziLuzein: Frisch geschälte Fichte (Bild: Sandro Krättli)
Verantwortung für die Zukunft Schalenwild hat im Prättigau gegenwärtig den entscheidenden negativen Einfluss auf die Waldverjüngung. Dabei muss ein flächendeckender Verlust der Weisstanne hingenommen werden. Weitere Baumarten sind gefährdet und teilweise gar verschwunden, namentlich die Eibe, die Föhre, der Nussbaum, die Ulme, die Linde und die Eiche. Weitere wichtige Laubbaumarten für den Schutzwald wie der Bergahorn und die Vogelbeere stehen unter intensivem Verbissdruck. Aktuell können sich im Prättigau und weiten Teilen Graubündens nicht alle Baumarten natürlich verjüngen und aufkommen. Dies engt den waldbaulichen Bündner Wald 6/2012 37
Sammlung von Wildfütterungen im Prättigau – manche konnten durch Wirken des Forstdienstes bereits eingestellt werden. 38 (Bilder: Sandro Krättli)
tierte Medientext zielt auf den Schutzwald. Weitere Themen werden unweigerlich auf uns zukommen. Mögliche Botschaften, die von öffentlichem Interesse sein könnten, als lose Aufzählung: Die Wälder müssen für den Klimawandel, der sich in den nächsten Jahrzenten verstärkt, «fit gemacht» werden, damit sie auch in Zukunft all ihre Funktionen wahrnehmen können. Dies erreichen wir nur, wenn heute alle einheimischen Baumarten auf ihrem vorgesehenen Platz im Ökosystem aufkommen können. Wälder sollen uns neben Steinschlag auch vor Hochwasser, Bodenerosion, Lawinen und Erdrutschen schützen. Nur so bleibt der Kanton Graubünden in gleicher Form und Ausdehnung langfristig bewohnbar. Dies erreichen wir nur, wenn heute alle einheimischen Baumarten auf ihrem vorgesehenen Platz im Ökosystem aufkommen können. Wälder sollen als stabiles Ökosystem funktionieren. Dafür müssen alle einheimischen Lebewesen einen Platz im Ökosystem finden, um ihre gesamtheitlichen Aufgaben in einem Netzwerk von Wechselwirkungen erfüllen zu können. Dies erreichen wir nur, wenn heute alle einheimischen Baumarten auf ihrem vorgesehenen Platz im Ökosystem aufkommen können. Wälder reinigen unser Trinkwasser. Der Waldboden mit all seinen Lebewesen erfüllt diese Aufgaben. Trinkwasser wird in den nächsten Jahren zu einem der wertvollsten Güter. Dies erreichen wir nur, wenn heute alle einheimischen Baumarten auf ihrem vorgesehenen Platz im Ökosystem aufkommen können. Wälder sind Lieferanten für den einheimischen Rohstoff Holz. Alle Baumarten können in irgendeiner Form genutzt werden. Edelnutzhölzer, Massennutzhölzer, Energieholz und Industrieholz. Für eine nachhaltige
Nutzung und gleichzeitige Erhaltung von multifunktionalen Wäldern müssen möglichst viele Baumarten vorhanden sein. Dies erreichen wir nur, wenn heute alle einheimischen Baumarten auf ihrem vorgesehenen Platz im Ökosystem aufkommen können. Dies sollen keineswegs Botschaften sein, welche den Wald-Wild-Konflikt verschärfen. Vielmehr sollen sie untermalen, dass die Jägerschaft und der Forstdienst eine wichtige Aufgabe für die Gesellschaft zu erfüllen haben. Ein Auftrag, den man nur gemeinsam erreichen kann.
Schluss Wollen wir bei der Lösung des Wald-WildKonflikts einen Schritt weiterkommen, sollten wir uns von den ausgeleierten Slogans «Wild vor Wald», «Wald vor Wild» und dem Kompromiss «Wild und Wald» verabschieden. Das Wild ist für den Wald grundsätzlich kein Problem und umgekehrt sicher auch nicht. Wem der Wald als Ganzes oder auch nur als «Wildstube» aber etwas wert ist, muss zur Kenntnis nehmen, dass der Wald die heutigen Wildbestände auf Dauer schlecht erträgt. Der schleichende Baumartenausfall und damit der Handlungsverlust für die zukünftige Waldpflege im Zeichen des Klimawandels ist für jene, die es sehen wollen, schon lange sichtbar. Diese Herausforderungen für einen «klimafiten» Wald fordern uns neu. Will man dem Klimawandel begegnen, müssen wir heute reagieren. Reagieren heisst, den Wildbestand dem Lebensraum anpassen und das mögliche Baumartenspektrum gedeihen lassen. Dabei sind weniger Kompromisse oder gegenseitiges Verständnis gefragt, vielmehr aber gemeinsame und messbare Ziele, die man bedingungslos verfolgt und letztendlich erreicht. Hierfür muss auch für die Jagd gelten, dass der Wandel als EinBündner Wald 6/2012 39
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Grosse Hoffnungsträger für den Wald hat die Natur auf leisen Sohlen selbst zurückgebracht. Wolf und Luchs als spezialisierte Jäger mit Hunger und «Ganzjahrespatent». Wo das Reh ohne Hirsch lebt und der Luchs seine Kreise zieht, verjüngt sich die Weisstanne wieder. Wo das Reh und der Hirsch leben, könnte das Gleiche mit Luchs und Wolf auch gelingen – wenn wir es ermöglichen und fördern – auch hier liegt es am Menschen.
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Sandro Krättli ziges konstant bleibt und grosszügigere Änderungen an unserem Patentjagdsystem trotz Tradition angedacht und umgesetzt werden müssen.
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Wie sieht Andreas Moser Wald und Wild? Andreas Moser, in der Schweiz kennt man Sie vor allem aus dem Fernsehen und Ihrer Sendung «Netz Natur». In dieser Sendung beleuchteten Sie schon mehrfach Zusammenhänge in der Natur und unserer Kulturlandschaft, wobei das Verhältnis Mensch und Natur auch da und dort etwas kritisch hinterfragt wurde. Als Biologe können Sie vermutlich eine weitgehend neutrale Position einnehmen, welche weder der einen noch der anderen Partei einen grundsätzlichen Vorteil verschafft. Der «Bündner Wald» beschäftigt sich in seiner Ausgabe vom Dezember 2012 mit dem Thema «Wald und Wild». Ich möchte dieses Thema teilweise etwas breiter fassen und Sie nach Ihrer persönlichen Ansicht dazu befragen.
flüsse von seinen Feldern fernhalten, wenn er etwas ernten will. Der erste Acker war der Beginn eines endlosen Krieges gegen die Natur: Von Pilzen wie Fäulnispilzen und Mikroben, etwa Feuerbrand über Insekten (zum Beispiel Blattläuse) bis zu Wühlmaus, Rothirsch oder Wildschwein holen sich diese Lebewesen ihr Futter dort, wo es viel davon hat. Natürlich ist das Futterangebot im Kulturland des Menschen unnatürlich ideal – wo es zu fressen gibt, sind sie besonders häufig, und man bezeichnet sie dort gern als Schädlinge. Auf den Wald übertragen, haben sowohl Jäger als Förster oft eine bäuerliche Einstellung: Bäume oder Wild wollen gehegt sein, damit sie gedeihen – wie auf dem Feld bzw. auf der Weide. Was dem in die Quere kommt, wird
Oft wird nicht nur über das Thema «Wald und Wild», sondern von einem Wald-Wild-Konflikt gesprochen. Gehören Wald und Wild nicht zusammen? Weshalb haben wir hier einen Konflikt? Wild und Wald funktionierten seit Jahrtausenden bestens und nachhaltig zusammen – ganz ohne den Menschen. Der Konflikt besteht demnach nicht in der Natur, sondern zwischen Menschen, die unterschiedliche Ansprüche an die Nutzung von Wild oder Wald auf derselben Fläche haben.
«Netz Natur»-Moderator Andreas Moser bei Wildbeobachtungen am Waldrand (Bild: Copyright SRF/Arno Balzarini)
Der Wald und das Wild als seine Bewohner müssen immer mehr und neuen Ansprüchen des Menschen, der dort eigentlich nur Gast ist, genügen und sich daran ausrichten. Welche Gefahren birgt diese menschliche Haltung für den Wald und seine Bewohner? Seit der Mensch mithilfe des Ackerbaus seine eigene Bevölkerungsdichte massiv erhöht hat, muss er die natürlichen EinBündner Wald 6 /2012 41
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im eigenen Interesse bekämpft. Und jetzt sind wir wieder beim Interessenkonflikt der ersten Frage. Heute kommen noch weitere Nutzer dazu: Jogger, Biker, Schneeschuhläufer usw. – der Interessenskampf wird immer härter. Das Grundproblem ist, dass sich der Mensch im Wald nicht mehr als Gast, sondern als Besitzer mit Ansprüchen verhält. Unser egoistisches Zeitalter mit allseitigen Maximalansprüchen verschärft das Klima noch … Vor allem im Alpenraum erwartet der Mensch vom Wald einen möglichst umfassenden Schutz vor Naturgefahren. Diese Seite wird meist durch den Forstdienst und mit +/– gleichen Ansichten vertreten. Das Wild wird oft durch Jäger oder Jagdverwaltungen vertreten. Der Dialog zwischen den beiden Parteien ist nicht immer einfach und dauerhaft fruchtbar. Haben Sie einen Rat, wie man sich da begegnen könnte oder sollte? Sehen Sie aus Ihrer Sicht eine gemeinsame Basis, auf der die Zukunft aufgebaut werden könnte? Im Vergleich zu anderen Kantonen besteht in Ihrem Kanton eine hervorragende Gesprächskultur! Dass um Kompromisse gerungen wird, liegt in der Natur der Sache. Das Grundproblem liegt darin, dass beide Seiten Mühe haben mit Dynamik. Das ist ein durchaus bäuerlicher Reflex! Der Bauer braucht Konstanz, beim Tierbestand und bei den Kulturpflanzen, und zwar Konstanz in hoher Ertragsmenge. Die Natur ist kurzfristig nie konstant, sondern nur über weite Zeiträume. Von Jahr zu Jahr gibt es grosse Wechsel: Viel Jungwald (wie etwa nach «Lothar») fördert hohe Wildbestande, hohe Wildbestände reduzieren dann die Jungpflanzen und dadurch das
Nahrungsangebot, was vor allem in harten Wintern zu hohen Verlusten beim Wild führt – das gab es in Graubünden etwa in den 1970er-Jahren. Wenig Wild gibt dem Wald wieder eine Verschnaufpause, die nachfolgende Wachstumsphase führt wieder zu mehr Nahrung fürs Wild usw. … ohne menschliche Interessen funktioniert das prächtig. Kompliziert wirds, wenn in gewissen Zonen solche Schwankungen nicht toleriert sein wollen, wie etwa im Schutzwald. Aber das ist ein menschlicher Interessenfaktor, der mit der Naturdynamik nichts zu tun hat. Seitens des Waldes sollte die Schutz funktion dauerhaft gewährleistet sein. Dies bedarf auch einer steten Verjüngung des Waldes. Diese ist (an Sonnenhängen) oft nur mit aufwändigen Schutzmassnahmen sicherzustellen. Zäune schränken den Lebensraum des Wildes ein und sind daher auf Jagdseite nicht sehr beliebt. Es scheint somit naheliegend, dass die Wildbestände im Waldgebiet einfach massiv «heruntergefahren» werden müssen. Sähen Sie noch eine andere Lösung? Ihre Frage treibt sicher viele Jäger auf die Palme! Aber es gibt ja meistens verschiedene Möglichkeiten, ein Problem zu lösen: Wenn Sie zum Beispiel Dörrobstmotten im Küchenschrank haben, können Sie Gift sprayen und sie so «herunterfahren», oder aber sie können Haferflocken und Haselnussmehl in dichte Gläser verpacken und so das Futterangebot gering halten, dass die Motten kein Problem sind. Auf Wild und Wald übertragen, heisst das «Blei spritzen» (Abschüsse) oder den Zugang verwehren. Bei der Mobilität und dem Vermehrungspotenzial des Wildes ist die Option nach radikalen Abschüssen zwar in Forstkreisen
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populär, aber nicht nachhaltig erfolgreich. Man stimuliert damit die sogenannte «kom pensatorische Reproduktion», und die Huf tiere vermehren sich umso mehr, wie man es in Folgejahren nach harten Wintern be obachtet. Langfristig stabile Huftierbestän de mit alten erfahrenen Tieren verursachen die geringsten Schäden im Wald, weil sich die Tiere genau auskennen. Die Option der Zäune ist zwar in der Anschaffung teurer, aber um einiges nachhaltiger bei der Ziel setzung des Jungwaldschutzes … Viele Wildschäden entdeckt der Forstdienst in den Wintereinständen des Schalenwilds. Es wurden unterschiedliche Überwinterungsstrategien entwickelt und deren «Schöpfer» sehen ihre Lösung meist als die beste. In unserem Kanton wird offiziell kaum mehr gefüttert. Anders ist es bei unseren Nachbarn in Österreich. Dort überwintert das (Rot-)Wild teils in gross angelegten Gehegen (Wintergattern) oder wird mit einem sehr attraktiven Futterangebot gezielt an den Futterstellen gehalten. Kann der Biologe da in kurzen Worten positive und negative Aspekte aus beiden Taktiken herauslesen? Die Frage stellt sich immer, was tatsächli cher Schaden ist, denn auch aus forstlicher Sicht ist ja nicht jeder geschälte Jungbaum ein schwerer Schaden. In dichten Jungholz beständen, etwa in Auenwäldern, wo sich Hirsche im Winter gerne aufhalten, muss der Förster ja auch auslichten. Genau dies ist die Rolle der Hirsche in der freien Natur. Einige Bäume kommen immer unbeschädigt auf, so dass der Wald als Ganzes geschlos sen bleibt. Das Wald- und Wildmanagement in Österreich ist noch um einiges «bäuerli cher» als bei uns. Biodiversität und Natur
sind in dortigen Wirtschaftswäldern, die seit adligen Zeiten oft in profitorientiertem Pri vatbesitz sind, keine anerkannten Werte – da stören natürlich Pflanzenfresser wie Hir sche in den Holzplantagen. Die winterliche Gatterhaltung kommt den oftmals immer noch adligen Grundbesitzern entgegen, die sich meist auch als Jäger bezeichnen und die von den Hirschen vor allem imposante Trophäen wollen. Diese erreichen sie durch die Fütterung in Gattern – zum Teil sogar mit Kraftfutter. Das ist jedoch biologisch gesehen eine extensive Wildtierhaltung und hat nichts mit einer natürlichen Situation zu tun, wie sie bei uns sogar von Gesetzes we gen angestrebt wird. Bei uns, in homogen geschlossenen Wäldern, könnte das gezielte Schaffen von Äsungsflächen fürs Wild, das die Lücken umgestürzter Altbäume simu liert, etwas Entspannung schaffen. So lässt sich das Wild auch ein wenig lenken, wo man es haben will und wo nicht. Wenn wir nun einen anderen Faktor, den Klimawandel, ins Spiel bringen, so bedeutet dies, dass wir unsere Wälder vermutlich nicht nochmals 100 Jahre mit denselben Baumarten erfolgreich verjüngen können. Baum arten, welche mehr Wärme brauchen, werden dank steigender Temperaturen höher hinauf drängen. Dies sind insbesondere die Tanne und verschiedene Laubbäume, welche für das Wild einen Leckerbissen darstellen. Aus forstlicher Sicht ist dies mit den heutigen Wildtierbeständen nur schwer vereinbar. Was denken Sie, haben wir Förster hier «ein Brett vor dem Kopf» oder muss die Jagd künftig sehr stark intensiviert werden? Wird dies mit unserem Jagdsystem überhaupt noch lösbar sein oder braucht es eine professionelle Bündner Wald 6/2012 43
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einer Dimension zu halten, die wie bisher die Bedürfnisse der Jagd und des Forstes einigermassen berücksichtigen und dann zu schauen, wohin die Entwicklung führt.
Moderator Andreas Moser bei Dreharbeiten (Quelle: Copyright SRF)
Bejagung? Wären ganzjährige Ruhe zonen für das Wild ein Lösungsansatz, um es von den Schutzwaldflächen fernzuhalten? Das ist ja eine ganze Lawine von Fragen – und alle sind sie extrem schwierig zu beantworten. Der Klimawandel ist generell für die bisherige, ökologische Stabilität bedrohlich – so lange, bis sich aufgrund neuer Verhältnisse ein neues Beziehungsgefüge zwischen Tieren und Pflanzen eingespielt hat. Wie es tatsächlich kommen wird, kann niemand wirklich voraussagen – oder wissen Sie, ob vielleicht nicht plötzlich ein neu eingewanderter, mediterraner Parasit der Höhenverbreitung einer Baumart ein Ende setzt? Oder ein plötzlicher Ausreisser mit einem extrem kalten Winter mit tief gefrorenem Boden die Weisstannen ab einer gewissen Höhe wieder absterben lässt? Ich verstehe das Bedürfnis der Förster, langfristig zu planen – aber die augenblickliche Dynamik stellt zurzeit in der Natur jede Möglichkeit einer zuverlässigen Prognose infrage. In diesem komplexen Durcheinander jetzt einzelne Arten mit besonderen Massnahmen schützen zu wollen, ist nahezu aussichtslos. Da plädiere ich eher dafür, mit passiven Schutzmassnahmen wie Zäunen sensible Zonen zu schützen und die Wildbestände in
Ein weiterer Faktor, der in unserem Kanton aktuell ist, sind die grossen Räuber. Seitens des Forstdienstes wird die Präsenz von Wolf, Luchs und Bär begrüsst. Wie schätzen Sie den Einfluss dieser Räuber auf Jagd und Wald ein? Ist dieser tatsächlich so gross oder sind die menschlichen Erwartungen und Ängste zu sehr von Eigen interessen geprägt? Ist heutzutage (oder zukünftig) die Selbstregulierung der Wildbestände ohne jagdliche Eingriffe in einer Form, welche die forstliche Erwartungshaltung an die Waldverjüngung erfüllt, noch realistisch? Der Begriff «Räuber» charakterisiert unser Verhältnis zur Natur treffend. Beim Bauer ist er noch nachvollziehbar, wenn Bären oder Wölfe ungeschützte Nutztiere «rauben». Der Begriff ist aber in einem naturverbundenen Waldverständnis absolut daneben, denn das Wild gehört nicht einzelnen Nutzergruppen des Menschen, sondern wenn schon der Allgemeinheit oder niemandem. Juristisch gesehen ist es «res nullius» – niemandes Sache, es gehört niemandem … also kann ein Fleischfresser in der Natur keinem Besitzer etwas rauben. Grosse Fleischfresser werden stets in relativ geringer Zahl unsere Wälder durchstreifen. Die ausgeprägte soziale Territorialität dieser Tiere regelt ihre Dichte: Eine einzige Wolfsfamilie (ein sogenanntes Rudel ist nichts anderes als eine grössere oder kleinere Familie mit stabilen sozialen Beziehungen) besetzt im Alpenraum ein Gebiet zwischen 100 bis 400 Quadratkilometern und duldet darin keine weiteren Wölfe. Diese Fleischfresser
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sind direkt vom Nahrungsangebot abhängig und nehmen zu und ab mit den Wildbeständen. Sie haben zahlenmässig kaum Einfluss auf die Wildbestände, aber sehr wohl einen grossen Einfluss auf die Bewegungen, die Verteilung und das Verhalten des Wildes. Und da Wölfe vorwiegend kranke oder schwache Tiere erbeuten, sorgen sie für die langfristige Gesundheit des Wildes. Das zeigt sich überall, wo Fleischfresser- und Beutebeziehungen funktionieren. Und es zeigt sich auch, dass neben Wolf und Bär auch der Mensch ohne Einbussen weiter jagen kann mit ähnlichen Schwankungen, etwa nach harten Wintern, wie bisher ohne Wölfe. Die Fleischfresser der Natur aber werden durch ihre Jagd während des ganzen Jahres die Huftiere vermehrt in Bewegung halten und längerfristige Konzentrationen des Wildes verhindern – etwa in Wildbanngebieten. Das ist für den Wald von grossem Vorteil und Teil der natürlichen Wild-Wald-Regulation.
Was Ihre Sorge um die Verjüngung angeht, möchte ich nochmals zu bedenken geben: Wald und Wild inklusive Fleischfresser existieren seit viel längeren Zeiten miteinander und füreinander, als sich der Mensch über Waldverjüngung Sorgen macht. Und noch etwas sollte man nicht vergessen: Nach einer Statistik des BAFU hat die Waldfläche in der Schweiz seit 1840 um 70 % zugenommen, Tendenz weiter steigend … Herr Moser, ich danke Ihnen für das interessante Gespräch und die kritischen Denkansätze.
Jörg Clavadetscher, Redaktor Bündner Wald Ruinas, CH-7535 Valchava forestal-muestair@bluewin.ch
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Wald-Wild-Konflikte als Chance Erich von Siebenthal, Präsident des Verbandes Berner Waldbesitzer BWB, referierte anlässlich der Wald-Wild-Tagung vom 16. August 2012 in Lyss zu diesem Thema. Mit seinem Einverständnis dürfen wir sein Referat in diesem Heft auszugsweise abdrucken. Sehr geschätzte Damen und Herren Sie haben zu einer Veranstaltung mit dem Titel «Wald-Wild-Konflikte als Chance» eingeladen. Ich habe meinen Beitrag auf vier Themen abgestellt. 1. Der gesetzliche Auftrag 2. Die aktuelle Situation im Kanton Bern 3. Entwicklungen/Trends 4. Chancen und Gefahren (denn es gibt keine Chancen ohne Risiken – genauso wenig gibt es Licht ohne Schatten. . . ) Der gesetzliche Auftrag Das schweizerische Waldgesetz hält im Art. 27 klar Aufgaben, Verantwortung und Kompetenzen fest. «Art. 27 Massnahmen der Kantone 1 Die Kantone ergreifen die forstlichen Massnahmen gegen die Ursachen und Folgen von Schäden, welche die Erhaltung des Waldes gefährden können. 2 Sie regeln den Wildbestand so, dass die Erhaltung des Waldes, insbesondere seine natürliche Verjüngung mit standortgerechten Baumarten, ohne Schutzmassnahmen gesichert ist. Wo dies nicht möglich ist, treffen sie Massnahmen zur Verhütung von Wildschäden.» Folgendes wird dadurch klar festgehalten: 1. Aufgabe, Verantwortung und Kompetenzen liegen bei den Kantonen. 2. Es gilt der Grundsatz, dass die Verjüngung mit standortGERECHTEN Baumarten möglich sein soll. Das Gesetz ist somit soweit in Ordnung. Es ist KEINE Delegationsnorm an die Waldbe-
sitzer vorgesehen. Offen bleibt, ob die Wahl der Zielbestockung Sache der Kantone oder der Waldeigentümer ist. Angesichts der fehlenden Bewirtschaftungspflicht müsste sie in der Wahlfreiheit des Eigentümers liegen, solange er standortsgerechte Baumarten einsetzt. Aktuelle Situation im Kanton Bern – Die Fläche kritischer Wildschäden nimmt Jahr für Jahr zu (Verjüngung mit Schutzmassnahmen ist nicht mehr sichergestellt). – Bei der Erhebung der Wildschadensflächen wird gemessen, ob das Verjüngungsziel erreicht werden kann. Allerdings gilt nicht das Verjüngungsziel des Waldeigentümers mit standortgerechten Baumarten, sondern ein generisches, administrativ festgelegtes Verjüngungsziel. Die unentgeltliche Abgabe technischer Wildschadenverhütungsmittel wurde per 2012 gestrichen. Die Arbeiten für das Aufstellen dieser Verhütungsmittel lagen seit jeher beim Waldbesitzer. Ein Antrag der Waldeigentümer, demzufolge die Abschusszahlen zu erhöhen und die Wildbestände zu reduzieren, wurde abgelehnt. Die Abschusszielsetzung für das Schalenwild wird seit Jahren aus Sicht der Waldeigentümer zu tief festgesetzt. Die Schalenwildbestände liegen weit über den Bestandeswerten des angrenzenden Auslands. Zudem wird bei Nichterfüllung der Abschusszielsetzung keine Korrektur im Folgejahr vorgenommen. Die Wildschadenverordnung, die Schäden durch Wild am Wald erfassen und entschädigen sollte, erfasst gewisse Schäden nicht in der Rechtsnorm. Insbesondere der selektive Baumartenausfall durch Verbiss wird nicht erfasst. (Dies führt dazu, dass im Emmental auf grösseren Flächen die heimische Weisstanne nicht mehr verjüngt werden kann (auch nicht mit Verhütungsmitteln!)
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Entwicklungen/Trends – Das Landesforstinventar III zeigt in den Nachhaltigkeitsindikatoren eindeutig, dass die Verbissschäden gesamtschweizerisch einen negativen Trend aufweisen und nicht nachhaltig gelöst sind. – Die Problemerkennung und Bereitschaft zur Bekämpfung der Exekutive auf nationaler und kantonaler Ebene zur Lösung dieser Probleme ist abstinent. Entsprechende Vorstösse werden mit fragwürdigen Antworten abgelehnt (IP 12.3240 ). – Es besteht offensichtlich auf Ebene der Exekutive und Verwaltung keine Bereitschaft das «magische» Dreieck von Aufgaben, Kompetenzen und Verantwortung an der gleichen Stelle zusammenzuführen (dies kann sowohl beim Waldeigentümer oder bei der Verwaltung sein). Der Wille, eindeutige Hinweise zu verdrängen (z. B. LFI ), scheint grösser als die Bereitschaft, die Ursachen zu bekämpfen. – Die entstehenden Folgekosten werden dem Waldeigentümer als «zumutbar» übertragen. – Natürliche Feinde der Schalenwildarten werden aufgrund der dichten Besiedlung und landwirtschaftlichen Nutzung nicht in genügendem Ausmass angesiedelt werden können. – Die Besiedlung nimmt weiter zu, und die Wildtierarten werden durch Freizeitaktivitäten noch weiter verdrängt. – Die Anzahl aktiver Jäger nimmt aufgrund unattraktiver Jagdbedingungen und gesellschaftlicher Ächtung der Jagd (Erstsozialisierung zur Jagd durch Bambifilme usw.) weiter ab. – Der Schweizer Wald wird vom Wertholzwald zum Energieholzacker degradiert.
Chancen/Gefahren Mögliche Chancen sind,. . . : dass in naher Zukunft die Talsohle des – «Schweinezyklus» erreicht ist und auch Laien wahrnehmen, dass es so nicht weitergeht. – dass aufgrund von Wildschäden in Schutzwäldern die Restaurationsinvestitionen so hoch ausfallen, dass die Politik auf das desolate Wildtiermanagement aufmerksam wird. – Holzenergie wird vermehrt nachgefragt. Absehbare Risiken sind,. . . : – Es sind zu wenige Jäger vorhanden, um den nötigen Abschuss zu erreichen. – Der Staat muss diese Aufgabe nach Massgabe der öffentlichen Möglichkeiten übernehmen (zulasten des Steuerzahlers). – Standortheimische Baumarten fallen komplett aus und müssen mit öffentlichen Mitteln durch spätere Generationen wieder eingebracht werden. – Klare Fakten werden konsequent ignoriert – Erhebungen, die diese erhärten würden, werden eliminiert. – Die Populationsentwicklung gewisser Schalenwildbestände erfolgt exponentiell. Die Bestände sind mit den verfügbaren jagdlichen Mitteln nicht mehr kontrollierbar. – Die Problemerkennungsbereitschaft fehlt bei wichtigen Akteuren (Jagdinspektorat, Exekutive).
Erich von Siebenthal Präsident Verband Berner Waldbesitzer BWB Käsereiweg 5, 3273 Kappelen www.bernerwald.ch
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So sehe ich Wald, Wild und Jagd «Wenn du im Wald arbeitest, solltest du immer etwas mehr Förster sein als Jäger», sagte mir mein Lehrmeister einmal während der Forstwartlehre. Was wollte er mir mit die sen Worten sagen? Gehören denn Wild und Wald nicht einfach zusammen? Ist der Wald ohne Wild immer noch ein Wald, wie wir ihn uns vorstellen? Hätten nicht viele Wildarten ohne den Wald ein grosses Lebensraumpro blem? Für mich ist es klar: nein und ja! Der Eine Weisstannendickung, welche ihren Ursprung in einem Wildschutzzaun aus dem Ende der 1970er-Jahre hat. Gepflanzt wurde nichts, es brauchte nur einen Zaun, der die Keimlinge für einige Jahre vor dem Wildäser schützt. Auch solche Zäune sind nicht überall willkommen. Sei es, weil darin gewisse Tatsachen aufgezeigt werden können (nicht nur Wildverbiss), weil sie den Lebensraum für eine gewisse Zeit etwas einschränken oder weil sie kosten intensiv sind. (Bild: Christian Marugg)
Wald wäre nicht mehr jener, den wir uns wünschen, und ein Grossteil der Wildtiere hätte ein Problem. Waren seine Worte nur eine Aussage ohne eine Grundlage? Horchen wir den Biologen, so klingt es recht einfach. Die Natur steht dauerhaft in einem dynami schen Gleichgewicht. Alles klar? Natürlich, wäre da nicht noch ein aufrecht gehendes Säugetier namens Homo sapiens mit im Spiel. Ein Säugetier, das sich die Fähigkeit aneig nete, die natürliche Dynamik dauerhaft aus dem Gleichgewicht zu bringen. Solange die Natur wirklich sich selbst über lassen wird, hat sie damit auch kein Pro blem und rückt ihre Abläufe immer wieder an denselben Ort: Eben ins Gleichgewicht. Eine Naturkatastrophe wie ein grossflächi ger Brand oder auch ein Felssturz, wie es ihn vor knapp 10 000 Jahren bei Flims gab, ist für die Natur kein Problem und eigent lich auch keine Katastrophe. In der Natur ist alles vergänglich. Es ist einzig davon abhän gig, mit welchem zeitlichen Horizont man die Abläufe betrachtet. Der Mensch konnte sich wie kein anderes Säugetier über unse ren gesamten Planeten verbreiten und wur de (fast) überall sesshaft. Da der Mensch an seinen Wohn- und Arbeitsorten und auch an seinen Lebensgewohnheiten festhalten will und meist auch von der selbst geschaffenen Infrastruktur äusserst abhängig ist, braucht er in seiner Umgebung eine möglichst hohe Kontinuität. Das heisst unter anderem, dass er vom Wald auch eine dauerhafte Schutz leistung erwartet. Diesen Schutz definieren wir Forstleute anhand selbst gemachter Kri terien als genügend oder eben ungenügend. Wo die Schutzleistung oder Schutzfunktion des Waldes nicht unseren Ansprüchen ge nügt, fordern wir Änderungen. Einer der zu überprüfenden Einflüsse ist auch der Wildbe stand. Und genau hier sind manche von uns an einem Punkt, welcher unser Herz zu teilen
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scheint. Gemeint sind jene Forstleute, welche gleichzeitig auch Jäger sind. Einerseits sind wir für den Wald zuständig und vertreten dessen Position in der Gesellschaft und in der Politik, andererseits möchten wir auch einen gewissen jagdlichen Erfolg nicht missen. Hier bin ich der Ansicht, dass wir unseren beruflichen Standpunkt vor die Eigeninteressen aus unserer Freizeit stellen sollten. Das soll nicht heissen, dass wir einfach stur und ohne nach links und rechts zu blicken einen radikalen Kurs zu fahren haben. Die Offenheit für Diskussionen und neue Lösungsmöglichkeiten ist sehr wichtig. Tatsachen dürfen dabei nicht einfach ausgeblendet werden, egal ob sie für oder gegen uns sprechen. Schalenwildbestände um 80 – 90 % senken? Vor bald 20 Jahren durfte ich einmal in einem Holzschlag arbeiten, in welchem wir starke Fichten schlugen, um «jungen» Weisstannen mehr Licht und somit bessere Wachstumsbedingungen zu schaffen. Die Weisstannen unter dem Fichtenschirm hatten einen Durchcm. Eine Weisstanne, messer von 15 – 25 welche beim Arbeiten stark beschädigt wurde, fällten wir und zählten die Jahrringe. Wir zählten ca. 85 Jahre, was das Adjektiv «jung» wieder etwas relativiert. Ein Blick zurück in die Zeit, als dieser Baum zu keimen begann, führt uns interessanterweise zurück in jene Zeit, als die Schalenwildbestände in unserem Kanton auf einem absoluten Minimum waren. Ja, so einfach wäre es eigentlich mit der Weisstannenverjüngung. Wir reduzieren die Schalenwildbestände um 80 – 90 % und es gibt keine Probleme mehr. Doch ist das wirklich DIE Lösung? Wohl kaum. Oder zumindest nicht für alle. Die andere Extremseite vertreten die Tierschützer. Der Mensch hat kein Recht darauf, ein Tier zu jagen oder sogar zu töten, heisst dort das Motto. Irgendwo dazwischen
Als Alternative zu einem zwei Meter hohen Zaun können auch chemische oder mechanische Verbissschutzmittel an den einzelnen Jungbäumen angebracht werden. Auch diese Methoden haben ihre Gegner, weil entweder nicht mit Naturprodukten gearbeitet wird, sie schwierig anzubringen sind, nur den Termi naltrieb schützen, Überreste oft im Wald vergessen werden, oder … Je nach Standort, Baumart und Wildpopulation kann aus den verschiedenen Methoden die geeignetste ausgewählt werden, was jedoch keinen Schutz vor Kritik und Unverständnis bedeutet. (Bild: Jörg Clavadetscher)
liegt der Kompromiss, mit dem die meisten leben könnten. So wie der Wald durch den Forstdienst, wird das Wild meist durch die Jägerschaft (bzw. Jagdverwaltungen) vertreten. Wenn sowohl Jäger wie Forstdienst auch künftig immer wieder einen Schritt in die gleiche Richtung machen und respektvoll miteinander umgehen, so kann der Kompromiss gefunden werden. Denn solange der Mensch diese Erde bevölkert, zweifle ich stark daran, dass er es schafft, die Natur in ihrer Dynamik gänzlich sich selbst zu überlassen und die eigenen Interessen und Bedürfnisse einfach zu vergessen … Wer im Wald arbeitet, sollte auch jagen Sollte das Forstpersonal zwingend auch jagen? Ich denke nicht, dass dies sinnvoll Bündner Wald 6/2012 49
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wäre. Sobald ein Zwang da ist, so schwindet die Akzeptanz an der eigenen Tätigkeit wieder, und es besteht die Gefahr, dass das Jagen noch viel stärker vom Erfolgsgedanken gesteuert wird oder zur reinen Prestigesache verkommt. Nun bin ich an einem Punkt, an dem zur leidigen Diskussion um das beste Jagdsystem angesetzt werden kann. Persönlich bin ich mit dem Patentjagdsystem unseres Kantons nicht nur zufrieden, sondern aus der Sicht des Försters auch von seiner Effizienz überzeugt. Entscheidend ist schlussendlich immer die Jagdplanung der einzelne Jäger und was er aus den jagdgesetzlichen Leitlinien macht. Proteste und Blockaden sind bei der Patent- wie auch bei der Revierjagd möglich und wirken sich für die Jagd als
Ganzes immer negativ aus. Gross angelegte Nachjagdblockaden wirken sich etwa ähnlich aus wie veraltete (und mancherorts sogar angeordnete) Zurückhaltung bei Gastjägern in der Revierjagd oder die Jagdpacht, welche reichen Industriellen als Prestigeobjekt dient. Die Konsequenz daraus sind Abschusszahlen, welche dem Plansoll bei Weitem nicht in die Nähe kommen. Überdies sorgen solche «jagdliche Leistungen» für Unverständnis, auch weit ab der jagenden und forstlichen Bevölkerung. Aber wer weiss, vielleicht erhalten wir in absehbarer Zeit Unterstützung von Wolf und Luchs … Unsere Vorbildrolle Viele von uns haben die Doppelrolle von Beruf und Jagd inne. Dabei sollten wir uns unserer Vorbildfunktion bewusst sein. Der Bau von Hochsitzen und der Aushieb von Schussschneisen sind nur zwei Beispiele, an welchen der jagende Forstmann auf beiden Seiten gemessen wird. Hier gilt es, gegenüber dem Wald Verantwortung zu übernehmen. In manchen Diskussionen ist es für das jagende Forstpersonal durchaus möglich, etwas zum gegenseitigen Respekt und neuen Lösungsansätzen beizutragen. Wichtig ist dabei beidseits die Offenheit für Neues sowie die Objektivität. Ach so, Sie möchten wissen, ob ich nun wirklich mehr Förster als Jäger bin? Schwer zu sagen, ich bemühe mich zumindest da rum. (Sie wissen ja, sich selbst zu beurteilen ist immer schwierig.)
Jörg Clavadetscher Revier forestal da Val Müstair Ruinas, CH-7535 Valchava joerg.clavadetscher@cdvm.ch
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Jagdplanung baut auf Fakten In den letzten 40 Jahren wurde in Graubünden die Jagdplanung sukzessive erarbeitet und 1989 mit der Totalrevision des Jagdgesetzes definitiv eingeführt. Anlass für diesen Schritt war, dass die erste Generation der Jagdgesetze mit dem Ziel «Anhebung der Schalenwildbestände» sehr erfolgreich war; so erfolgreich, dass sich zunehmend Konflikte zwischen den Schalenwildbeständen und ihren Lebensräumen bzw. mit den darauf wirtschaftenden Landnutzern etablierten. Zudem verschlechterten sich die Lebensraumbedingungen in gewissen Habitaten unter dem Einfluss der Änderungen in der Landnutzung so drastisch, dass verschiedene Arten geschützt werden mussten (Auerhuhn, Wachtel, Rebhuhn, Iltis), bzw. nur noch sehr dosiert bejagt werden können (Birkhuhn, Feldhase). Der Jagddruck muss also so reguliert werden, dass sich nach der Jagd in Bezug auf das Schalenwild eine dem Lebensraum bessere Situation ergibt und dass sich im Falle der Hasen, Hühner und Wasservögel keinerlei Schäden in den Beständen ergeben. Die Fragestellung für die Jagdplanung unterscheidet sich entsprechend. Im ersten Fall wird gefragt, wie viele Tiere dem Bestand entnommen werden müssen, damit die Wildbestände angepasst sind, im zweiten Fall lautet die Frage, wie viele Tiere erlegt
werden dürfen, damit keinerlei Schäden im Bestand entstehen. Bei einzelnen Altersklassen des Schalenwildes kann aber durchaus auch die zweite Frage relevant sein. In jedem Fall muss die Jagdplanung auf Grundlagen zurückgreifen können, welche die Bestandesgrösse und den Sollbestand definieren oder welche den Jagddruck zuverlässig abschätzen lassen. In den letzten 40 Jahren hat sich der Kanton Graubünden dieser anspruchsvollen Aufgabe gestellt. Die verschiedenen Partner haben zusammen ein Modell erarbeitet, das sich sehen lassen kann. Nachhaltige Nutzung statt Trophäenjagd Mit dem Anstieg der Schalenwildbestände wurden der Jagd in der Jagdgesetzgebung verschiedene konkrete Aufgaben und Kompetenzen zugeordnet, die zur Verbesserung und Weiterentwicklung der Situation beitragen sollten. Bei den Wald-Wild-Fragen ging der Bund gar so weit, dass er in Form von Ausführungserlassen (z. B. Kreisschreiben 21 ) konkrete Vorgaben für die Zusammensetzung der Jagdstrecke erliess. Dieser Schritt wurde getan, obwohl das eidgenössische Jagdgesetz von 1986 eine klare Aufgabentrennung zwischen Bund (Schutz) und Kanton (Nutzung) vorgenommen hatte. Mit den Subventionen für die Forstwirt-
Scheinwerfertaxation am 13. April 2011 bei Tschierv. (Bild: Claudio Gotsch)
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schaft hat der Bund aber ein wirksames Druckmittel, die Kantone an die Erfüllung der Vorgaben im Jagdgesetz zu erinnern. Der Unmut, der sich beim Erlass dieser Vorgaben 1995 in den Jagdverwaltungen der Kantone breitmachte, bezog sich vielmehr auf die Art und Weise, wie dies geschehen ist, als um den Inhalt derselben. Wie die nachstehenden Jahreszahlen beweisen, war die Renovation der Bündner Patentjagd unter der Führung von Regierungsrat Luzi Bärtsch auch ohne diese zusätzlichen Druckmittel so aufgegleist, dass sie Schritt um Schritt die Bejagung aller Arten einbezog. In den letzten 40 Jahren wurden für alle Wildarten spezifische Bejagungskonzepte ausgearbeitet und weiterentwickelt: Hirsch 1972/1987, Steinbock 1977, Gämse 1990, Enten 1987/1993, Birk- und Schneehuhn 1985/1992, Feldhase 1994, Reh 1991/1996. Alle Jagden wurden renoviert und dabei eine Synthese von Tradition und «Moderne» bzw. der Ansprüche der Wildtiere, der Forderungen der Landnutzer, Natur- und Tierschützer und der Jägerinnen und Jäger angestrebt. Dass der Erfolg dieser Weiterentwicklung nicht von allen Jägern, Förstern, Natur- und Tierschützern geteilt wird, liegt wohl in der Natur der Sache und gewährleistet, dass unsere Arbeit auch in Zukunft kritischen Blicken standhalten muss; für uns Motivation genug, um weiterhin gute und kreative Arbeit zu leisten und diese nachvollziehbar zu kommunizieren. Nicht jede Wildart ist gleich gut zu erfassen Der erste Schritt bei der Jagdplanung ist das Abgrenzen der Bewirtschaftungseinheiten (Wildräume) in Form von Hirsch-/Rehregionen, Gämsgebieten oder Steinwildkolonien. Mit diesen Einheiten soll der Lebens-
raum umfasst werden, der im Laufe eines Jahres von einer Population genutzt wird. Für die Schalenwildarten bestehen Verbreitungskarten für den Sommer, den Winter sowie die Winter-Kernlebensräume. Um die Wanderungen zwischen diesen zu beschreiben, kann Graubünden auf umfangreiches Zahlenmaterial von markierten Tieren zurückgreifen ( 1700 Hirsche, 6000 Rehe, 500 Steinböcke usw.). Der zweite Schritt ist, die Bestandessituation und deren Entwicklung einzuschätzen. Es ist plausibel, dass es in einem Kanton von 7100 km² nicht möglich ist, für alle 29 jagdbaren Arten jährliche Bestandesaufnahmen durchzuführen. Immerhin betrifft das insgesamt mehrere 100 000 Individuen; allein beim Schalenwild rund 60 000 Tiere. Es ist naheliegend, dass unter diesen Umständen alle Informationen und Indikatoren beigezogen werden müssen, um Einsicht in das System zu erhalten. Seit rund 30 Jahren müssen die Wildhüter für ihren Aufsichtskreis jeweils per Ende Mai für alle jagdbaren und viele geschützten Arten eine gutachtliche Einschätzung der Situation abgeben. Neben der Höhe des Bestandes wird auch die Entwicklung in den letzten 12 Monaten erfragt. Obwohl eine subjektive Komponente vorhanden ist, gibt dies in der Summe eine sehr gute Beurteilung des Istzustandes. Der absolute Frühlingsbestand kann nur für wenige Arten, wie Rothirsch und Steinbock zuverlässig gezählt bzw. geschätzt werden. Bei der Gämse erfüllen die Zählungen in den Testgebieten im November nach der Jagd vorwiegend die Aufgabe der Erfolgskontrolle. Genau denselben Zweck haben die konsequente Untersuchung aller erlegten und gefundenen Huftiere und die Sammlung aller Erlegungsdaten, die seit über 20 Jahren erfolgt. Dank genauer Altersbestimmung können Bündner Wald 6/2012 53
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Mit guter Optik erzielt man bei Steinwildzählungen zuverlässige Zahlen. (Bild: zVg.: AJF GR )
mit Kohortenanalysen die bestätigten Minimalbestände rekonstruiert werden. Dies wiederum ermöglicht, frühere Bestandesschätzungen zu überprüfen. So konnte die ganze Dunkelziffer-Diskussion der frühen 1990er-Jahre mit objektiven Fakten «erhellt» werden. Für jede Art den richtigen «Cocktail» finden Die Rahmenbedingungen und Möglichkeiten zur Einschätzung der Wildbestände variieren nach Art und Lebensraum markant. Je stärker bewaldet ein Gebiet ist und je stärker der Wald als Lebensraum genutzt wird, umso anspruchsvoller ist die Methode der Bestandeserfassung. Nachfolgend werden für alle pflanzenfressenden Arten die von uns angewendeten Methoden aufgelistet. Wichtig zu wissen ist, dass bei allen Zählungen auch weitere Personenkreise integriert werden, um eine möglichst breite Akzeptanz der Ergebnisse zu erhalten. Rothirsch – Gutachtliche Einschätzung der Höhe des Frühlingsbestandes und deren Entwicklung in den letzten 12 Monaten, jeweils per Ende Mai für 61 Wildhüter-Aufsichtskreise unterteilt nach Hirschregionen
Scheinwerfertaxationen im Frühling seit – 1987 auf den frisch ergrünenden Wiesen, auf einer Strecke von 2400 km Länge – Zählungen in ausgewählten Wildschutzgebieten – Schätzung der bestätigten Minimalbestände für die 21 Hirschregionen mit der Kohortenanalyse aufgrund der erlegten und gefundenen Tiere – Kombination von Scheinwerfertaxation und den ermittelten Minimalbeständen für alle 21 Hirschregionen Reh – Gutachtliche Einschätzung der Höhe des Frühlingsbestandes und deren Entwicklung in den letzten 12 Monaten, jeweils per Ende Mai für 61 Wildhüter-Aufsichtskreise unterteilt nach Rehregionen – Zählung der beobachteten Rehe anlässlich der Hirsch-Scheinwerfertaxationen im Frühling seit 1987 auf einer Strecke von 2400 km Länge – Bestandesaufnahmen in rund 30 Testgebieten im Frühling zur Bestimmung der populations-dynamischen Parameter und zur Ermittlung der lokalen Bestandesentwicklung – Zeitweise auch Bestimmung der aktuellen Nachwuchsraten in den Monaten Juli und August aufgrund der anfallenden Zufallsbeobachtungen
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–B ockabschuss im September als Indikator für die Höhe und die Entwicklung des Rehbestandes nach Reharealen Schätzung der bestätigten Minimalbe– stände für den ganzen Kanton mit der Kohortenanalyse aufgrund der erlegten und gefundenen Tiere Gämse – Gutachtliche Einschätzung der Höhe des Frühlingsbestandes und deren Entwicklung in den letzten 12 Monaten, jeweils per Ende Mai für 61 Wildhüter-Aufsichtskreise unterteilt nach Gämsgebieten – Bestandesaufnahmen in 50 Testgebieten im November seit 1994 im Sinne einer Erfolgskontrolle und zur Bestimmung der populationsdynamischen Parameter (GV, Jährlings- und Kitzanteil, usw.) – Kombination der Ergebnisse der Bestandesaufnahmen und der Abschussverteilung zur Abschätzung des kantonalen Bestandes – Schätzung der bestätigten Minimalbestände für den ganzen Kanton mit der Kohortenanalyse aufgrund der erlegten und gefundenen Tiere Steinbock – Gutachtliche Einschätzung der Höhe des Frühlingsbestandes und deren Entwicklung in den letzten 12 Monaten, jeweils per Ende Mai für 61 Wildhüter-Aufsichtskreise unterteilt nach Steinwildkolonien – Vollzählung in den Frühlingsmonaten seit 1977 in allen Kolonien – Allenfalls Ergänzungen der Bestandesaufnahmen im Sommer – Schätzung der bestätigten Minimalbestände für die 8 Steinwildkolonien mit der Kohortenanalyse aufgrund der erlegten und gefundenen Tiere
Verschiedene Methoden, die in der Vollzugshilfe Wald und Wild des Bundes aufgeführt sind, werden in Graubünden nicht oder nur vereinzelt eingesetzt: KilometerIndex (bildet sich in der gutachtlichen Einschätzung der Wildhüter indirekt ab), Zähltreiben, CMR (Fang, Markierung, Wiederfang), Losungszählungen und Distance sampling. Trotzdem glauben wir, die Bestände der einzelnen Arten ausreichend gut zu kennen, um fundierte Jagdplanung zu betreiben. Dem gesetzlichen Auftrag folgend, werden auch die Bestände weiterer pflanzenfressender Arten wie Feldhase, Birkhuhn und Schneehuhn stichprobenartig auf Dauerbeobachtungsflächen erfasst. Obwohl die Jagdplanung bei diesen Arten die Aufgabe hat, nachzuweisen, dass mit einer Bejagung keine Schäden entstehen, darf daran erinnert werden, dass diese Arten auch schon im Visier von Wald-Wild-Diskussionen standen. So ist es noch nicht 40 Jahre her seit der letzten Publikation der EAFV (heute WSL ) betreffend der Schäden des Birkhuhnes an Jungbäumen. Bei der ganzen Diskussion um die Weisstannenverjüngung dürften die Feldhasen «auch ein Hasenzähnchen mitmümmeln». Mit diesem Hinweis soll das Thema Wald-Wild aber nicht bagatellisiert werden. Zu hoch – zu tief – angepasst? Auch wenn die Bestandesgrösse bis auf das letzte Jungtier bekannt wäre, würde dies noch nicht viel darüber aussagen, ob zu viele Tiere im Bestand sind oder ob dieser angepasst ist. Weil es hier auch sehr stark auf den jeweiligen Blickwinkel ankommt, sind ebenfalls möglichst viele verschiedene, unabhängige Indikatoren beizuziehen. Mit der gutachtlichen Einschätzung nach Aufsichtskreis und Wildräumen signalisieBündner Wald 6/2012 55
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ren die Wildhüter Gebiete mit Konfliktpotenzial (Bestand hoch oder zu hoch). Der Konditionszustand der untersuchten Tiere sowie der Fallwildanteil am Gesamtabgang oder die Entwicklung des Fallwildes bei einzelnen Todesursachen sind weitere wichtige Indikatoren zu dieser Thematik. Sehr wichtig ist aber auch der Input der anderen Landnutzer. Die Wildschadensituation im Wald wird durch das AWN erhoben, jene im Landwirtschaftsgebiet durch die regionalen Wildschadenschätzer im Team mit den Wildhüter-Bezirkschefs. Schlussendlich sind alle Interessen in der interdisziplinären Jagdkommission vertreten, welche die Regierung in diesen Fragen berät. Abschussvorgaben können quantitativ oder qualitativ sein Nur für Arten, für die der Frühlingsbestand bekannt ist, nämlich für Rothirsch und Steinbock, werden pro Bewirtschaftungseinheit konkrete Abschusszahlen vorgegeben. In den anderen Fällen werden mit den Jagdbetriebsvorschriften qualitative Rahmenbedingungen definiert. Für die Gämse hingegen wird eine rein qualitative Planung erstellt. Mit der Jagddauer, der Abschussreihenfolge, mit Wildschutzgebieten und unterschiedlichen Vorschriften oberhalb und unterhalb einer regional definierten Höhenlimite kann der Jagddruck sehr präzise gesteuert werden. Beim Reh wenden wir eine Kombination an, indem erst vor der zweiten Phase, auf der Grundlage des Hochjagdergebnisses, ein Abschussplan ausgearbeitet wird. Die Differenz zur aktuellen Hochjagdstrecke ergibt dann den Plan für die Sonderjagd im selben Herbst (Herbstjagd).
Bündner Jagdplanung: alles nur Schall und Rauch? Die Ergebnisse der Bündner Jagdplanung sind auf dem Internet sowohl für den ganzen Kanton, als auch für die Wildregionen einsehbar. Trotzdem begegnet man immer wieder einer gewissen Skepsis oder gar Ablehnung. Einzelne Leserbriefschreiber bemängeln die fehlende wissenschaftliche Überprüfung unserer Arbeit und prophezeien, dass diese einer solchen nicht standhalten würde. Diese Leute ignorieren, dass dies längst geschehen ist. Vor allem für das Steinwild liegen verschiedene wissenschaftliche Publikationen in hoch angesehenen Zeitschriften vor, die dem adaptiven Management einen guten Ausweis ausstellen. Mehrere Publikationen befassen sich gar spezifisch mit der Qualität der Bestandesaufnahmen durch die Bündner Wildhut und kommen zum Schluss, dass diese sehr hoch ist. Es ist nicht plausibel, dass dieselben Leute ihre Arbeit bei den anderen Arten nicht mit der gleichen Seriosität und Fachkenntnis durchführen sollten. Daraus kann sicher gefolgert werden, dass die Bündner Jagdplanung auf ein sehr gutes und tragfähiges Fundament aufbaut und ein hohes Vertrauen verdient.
Hannes Jenny dipl. nat. Wildbiologe, Amt für Jagd und Fischerei Loëstrasse 14, 7001 Chur hannes.jenny@ajf.gr.ch
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Nachhaltige Hege ruft nach Flexibilität! Die Bündner Jägerschaft leistet jährlich über zwanzigtausend Hegestunden. Die Hege hat verschiedene Aufgaben – zugunsten der Biotope, des Wildes oder auch des Waldes. Und warum wird in Davos noch gefüttert? Vor Jahrzehnten war das Wort Hege für viele ein Fremdwort, obwohl diese von einigen schon damals fleissig ausgeführt wurde. Ein grosser Teil der Jäger nahm dies damals nur gerade zur Kenntnis, und Hegeleistungen wurden sogar belächelt. Die Hege diente einfach als vorgeschriebenes Instrument für die Jägerkandidaten, und damit war es auch schon getan. Was wäre aber die heutige Bündner Jagd ohne Hege? Unser Hegekonzept hat sich als ein wichtiger Teil unserer Bündner Jagd profiliert, was wir mit Stolz zur Kenntnis nehmen dürfen. Viele profitieren von unseren Hegeleistungen Hege ohne Büchse bedeutet, dass nicht nur wie früher im Winter gefüttert wird. Nein, ganz im Gegenteil! Heute werden bewusst verschiedene Ziele verfolgt und auch erreicht. Es wird nämlich nicht nur über Notfütterungen entschieden – wie im letzten Winter in einzelnen Regionen –, sondern vieles mehr. Die Jägersektionen leisten jährlich Tausende Hegestunden, beispielsweise bei der Heckenpflege, dem Erstellen von Trockenmauern, der Erhaltung von Grünflächen, dem Mähen von Wiesen oder dem Renaturieren von Mooren. Ausserdem kümmern sie sich auch um das Aufbauen von Tristen, das Fällen von Prossholz, die Strassenverbesserungen bei Wildwechseln, die Planung von Wildruhezonen und die Verteilung des entsprechenden Infomate-rials, um nur einige Beispiele zu nennen. Sie sehen – wir kümmern uns nicht nur um das Schalenwild. Nein, auch unser Federwild und viele andere Kleintiere profitieren von unseren
Hegeleistungen. Darum ist es auch künftig von grosser Bedeutung, dass wir Jäger weiterhin die Hege mit Herzblut ausführen. Auch gegenüber unseren Jagdskeptikern ist dies von grossem Gewicht, damit diese auch verstehen, was das zeitgerechte Jagen überhaupt für positive Auswirkungen hat. Und gerade zu diesem Thema müssen wir Jäger noch dazulernen und unsere Bescheidenheit ein wenig in den Hintergrund rücken lassen sowie mit Stolz die Öffentlichkeit über unsere vielseitigen Leistungen aufklären. Ich selber bin schon seit Jahren in der Hege tätig. Dabei habe ich sehr viele positive Erfahrungen gemacht. Die Arbeit mit den Kandidaten und der Hegekommission hat mir sogar ein anderes Bild von der Jagd vermittelt. Darum möchte ich den Hegegedanken allen unseren Jungjägerinnen und -jägern vermitteln, damit diese den Sinn und Zweck der Hege nachhaltig anerkennen. Denn nur so hat man langfristig auch keine Probleme, unsere Jägerschaft für Hegeleistungen zu motivieren – auch wenn viel Arbeit anfällt. Natürlich erfährt man dabei auch Enttäuschungen oder Differenzen, was menschlich ist, aber meistens sind es nur kleinere Meinungsverschiedenheiten, die mit der nötigen Offenheit lösbar sind. Aktionsprogramm Weisstanne: Jäger und Förster machen gemeinsame Sache für Wald und Wild. (Bild: zVg.: Jägerverein Davos)
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Jägerkandidatinnen und -kandidaten pflanzen Weisstannen. (Bild: zVg.: Jägerverein Davos)
Warum Not- und Ablenkungsfütterungen in Davos? Warum werden in Davos Not- und Ablenkungsfütterungen durchgeführt – im Gegensatz zu anderen Sektionen? Auf diese Frage werde ich oft angesprochen. Es hat verschiedene Gründe: In Davos hatten wir schon seit längerer Zeit Wildruhezonen, aber hinsichtlich der Wildeinstände waren die Standorte nicht glücklich gewählt, und es wurden keine Kontrollen durchgeführt. Dazu kommt, dass Davos eine Stadt ist und wir zusätzlich in Spitzenzeiten fast 40 000 Touristen beherbergen. Ein Teil jener Touristen will abseits der Pisten, in tief verschneiten Wäldern und Bergen, die Aussicht und Ruhe geniessen. Was früher nur die besseren Tiefschneeskifahrer gemacht
haben, können dank der neuen Technik heute eben fast alle ausüben. Auch die Anzahl der Schneeschuhläufer hat sehr stark zugenommen. Zusammengefasst hat dies dazu geführt, dass wir im Jahr 2011 neue Wildruhezonen geschaffen haben, mit Kontrollen und einer Bussenregelung. Das alleine genügt aber immer noch nicht. Weil das Wild immer mehr verdrängt und gestört wird, sind wir weiterhin gezwungen, gezielte Ablenkungsfütterungen aufrechtzuerhalten. Würden wir dies nicht tun, so hätten wir das Wild im Tal und um die Häuser. Das Wild gehört aber in den Wald und nicht in bewohnte Gebiete! Dies soll auch ein Aufruf an alle sein, die mit Privatfütterungen Wildtiere unnötig anziehen. Gezielte Fütterungen müssen nämlich betreffend dem Standort durchdacht werden – wobei dabei nur Heu und Prossholz angeboten wird (siehe Bilder). In Davos soll damit das Wild unbedingt von den Gefahren im Tal, in den Tourismusgebieten und in der Stadt abgelenkt werden. Solche Fütterungen werden aus der Sektionshegekasse finanziert – ausser die vom Kanton entschiedenen Notfütterungen. Und apropos Notfütterung: Wie sich im letzten Winter gezeigt hat, konnten wir trotz grosser Schneemengen die Fallwildzahlen sehr tief halten. Darum nochmals kurz unterstrichen: In Davos muss ein
Notfütterung bei Davos im Winter 2011/12. (Bild: Walter Candreia)
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Nebeneinander von Wild, dem Stadtbetrieb und der Tourismuslawine auch logistisch flexibel und gut durchdacht werden. Zusammenarbeit mit dem Forstdienst Natürlich ist dabei auch die Zusammenarbeit mit den Forstorganen ein zu berücksichtigender Teil. Denn nur so können Probleme, die bei Fütterungen entstehen, gemeinsam gelöst werden. Und mit den Kandidaten werden zusätzlich jährlich zwei Arbeitstage mit dem Forstdienst absolviert. Dort werden Zäune errichtet, Einzelschutzmassnahmen getroffen, Jungwüchse gepflegt, Jungbäume vor Verbiss geschützt und vieles mehr. Und zum Schluss noch dies: Dass bei grösseren Futterstellen Schäden entstehen, ist
ganz normal, aber wenn man gezielt und gemeinsam nach Lösungen sucht, kann man diese sehr gering halten. Es liegt an uns, gemeinsam einen für den Wald tragbaren und gesunden Wildbestand zu pflegen. Dieses Ziel erreichen wir aber nur mit Kompromissbereitschaft, flexiblem Anpassen an Örtlichkeiten und dem Grundgedanken, dass ich mein Gegenüber auch verstehen möchte.
Georg Flury Hegepräsident Davos Chäscher 2, 7278 Davos Monstein chaescherfarm@bluewin.ch
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Jagdsysteme der Schweiz
Insbesondere die Bergkantone, das Tessin, weite Teile der Westschweiz und der Kanton Bern jagen nach dem Patentsystem, dem ursprünglichen Schweizer Jagdsystem. (Bild: naturpix.ch / k.gansner)
Mit dem ersten Bundesgesetz über die Jagd und den Vogelschutz vom Jahr 1875 wurden die Kantone verpflichtet, die Jagd in Übereinstimmung mit dem Bundesgesetz zu regeln. Die Wahl des Jagdsystems wurde den Kantonen überlassen, welche sich somit zwischen dem Patent- und dem Revier system entscheiden mussten. Im Gegensatz zu anderen europäischen Ländern kennt die Schweiz nicht die grundstückgebundene Eigenjagd, sondern die Form des Jagdregals, mit anderen Worten: Die Jagd ist hier ein hoheitliches Recht und kommt damit grundsätzlich dem Staat, d. h. den Kantonen, zu. Die rechtsetzende Kompetenz des Bundes beschränkt sich im Wesentlichen auf die Festlegung der jagdbaren Arten und der Schonzeiten sowie auf die Ausscheidung von eidgenössischen Jagdbanngebieten (Schutzzonen). Das kantonale Recht hingegen regelt die Jagdberechtigung, das Jagdsystem, das Jagdgebiet und die Jagdaufsicht. 16 Patent- und 9 Revierkantone In der Schweiz gibt es rund 30 000 Jäger, davon jagen gut zwei Drittel nach dem Patentsystem. Der Jägerinnenanteil macht etwa 4 % aus, wobei sich immer mehr Frauen für diese Tätigkeit interessieren. Die Jägerschaft ist in lokalen und kantonalen Vereinen organisiert.
Die kantonalen Jagdverbände ihrerseits sind dem nationalen Verband JagdSchweiz (www. jagdschweiz.ch) angeschlossen. Historischer Hintergrund Die Gründe für die zwei unterschiedlichen Systeme sind von historischem Ursprung. In den Berggebieten war die Abwehr von wilden Tieren Sache der Gemeinschaft. In Graubünden gab es sogar eine Jagdpflicht, analog zur Feuerwehrpflicht. Folglich waren auch die angenehmen Seiten der Jagd Gemeinschaftssache, d. h. jedem aus dem Volk zugänglich, der zum Jagen fähig war. Die Revierjagd wurde vor allem aus finanziellen Gründen eingeführt. Noch in den Krisenjahren des 20. Jahrhunderts waren viele arme Landgemeinden auf die Jagdpachterträge angewiesen. Beide Jagdsysteme haben gemeinsam, dass der Zugang zur Jagd nur nach einer gründlichen Ausbildung und durch das Bestehen einer anspruchsvollen Prüfung möglich ist. Geprüft werden Inhalte aus Wildtierbiologie, Wildtierökologie, Wildtiermanagement, Jagdkunde, Wildbretverwertung, Waffen- und Munitionskunde, Jagdhundewesen, Wildtierkrankheiten und Jagdrecht. Ebenfalls geprüft werden die praktische Waffenhandhabung und das Schiessen.
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Trotz der historischen Herleitung sind beide Jagdsysteme heute als «Volksjagd» zu bezeichnen. Die Kosten sind vergleichbar und für Normalverdiener absolut bezahlbar. Es ist ein Märchen, dass das Jagen nur für reiche Leute erschwinglich sei. Patentjagd Die Patentjagd erlaubt die Jagd auf dem ganzen Gebiet des Kantons – mit Ausnahme der eidgenössischen und kantonalen Jagdbanngebiete. Die Jäger müssen beim Kanton ein Patent erwerben und dazu die Patentgebühr entrichten. Pro Patent darf eine bestimmte Anzahl Tiere erlegt werden. Die Jagdzeit ist auf wenige Wochen im Herbst beschränkt. Die Patentjagd ist die Jagd der Gebirgskantone, der Westschweiz und des Tessins. Patentkantone sind namentlich: Bern, Uri, Schwyz, Obwalden, Nidwalden, Glarus, Zug, Freiburg, Appenzell Ausserrhoden, Appenzell Innerrhoden, Graubünden, Tessin, Waadt, Wallis, Neuenburg und Jura. Revierjagd Beim Revierjagdsystem verpachten die politischen Gemeinden das Jagdrecht durch Vertrag an eine Gruppe von Jägern (Jagdgesellschaft) für eine bestimmte Periode (meistens für acht Jahre). Ende Saison müssen die Jäger dem Kanton melden, welche und wie viele Tiere sie erlegt haben. Die Anzahl Abschüsse hat einen Einfluss auf den Pachtzins. Die Revierjagd wird in den Kantonen des Mittellandes von St. Gallen bis Basel mit Ausnahme von Bern betrieben. Revierkantone sind namentlich: Zürich, Luzern, Solothurn, Basel-Stadt, Basel-Land, Schaffhausen, St. Gallen, Aargau und Thurgau.
jagdfrei? Oder könnte man Genf einem dritten Jagdsystem zuordnen: der Staatsjagd, welche ein Jagdrecht von Privatpersonen ausschliesst? Die Genfer Jagd wurde 1974 vom Stimmvolk bei einer Beteiligung von unter 20 % bachab geschickt. Seither wird hier die Jagd von staatlich besoldeten Wildhütern, sogenannten Umwelthütern, ausgeübt. Entstandene Wildschäden werden durch den Kanton, also aus Steuergeldern beglichen. Die jagenden Beamten unterstehen nicht dem Jagdrecht und setzen deshalb Methoden und Hilfsmittel ein, welche bei der privaten Jagd verboten sind. Die Jagdstrecke dieser Staatsjagd ist beachtlich: Allein vom Juni 2010 bis zum Februar 2011 sollen 545 Stück Schwarzwild erlegt worden sein. Über die effektiven Kosten der Wildhut und die ausbezahlten Wildschaden- und Verhütungsmassnahmen kann dabei nur spekuliert werden. Situation in Graubünden Die Jagd hat in Graubünden eine lange Tradition. Seit dem 16. Jahrhundert gehörte sie zu den Rechten eines jeden Bürgers Graubündens. Nach Einführung des ersten BunDie Jagdsysteme der Schweiz (Quelle: Bundesamt für Umwelt BAFU )
Sonderfall Genf: Wirklich jagdfrei? Genf nennt sich als einziger Kanton jagdfrei und ist ein Sonderfall. Aber ist er wirklich Bündner Wald 6/2012 61
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Die Revierjagd stammt aus dem deutschen
jenigen der Patentjagd hielten sich fast die Waage. In der Abstimmung sprachen sich die Abgeordneten mit einem Resultat von 44 zu 35 Stimmen für die Patentjagd aus. Damit wurde die Jagd im Jagdgesetz des Kantons Graubünden von 1877 nach dem Patentsystem geregelt. Heute ist die Patentjagd in der Bevölkerung des Kantons Graubünden fest verankert und nach modernen wildbiologischen Grundsätzen geregelt. Mit strengen, jährlich angepassten Jagdvorschriften wird versucht, die Wildbestände stabil zu halten. Die Systemfrage ist auch in der übrigen Schweiz kein Thema mehr; in sechzehn Kantonen wird nach dem Patent- und in neun Kantonen nach dem Reviersystem gejagt. Schliesslich wird eine moderne Jagd nicht nach ihrem System beurteilt, sondern danach, ob sie ihren gesetzlichen Auftrag erfüllt, nämlich die Anpassung der Wildbestände an deren Lebensraum.
Kulturgut und findet sich mehrheitlich in den nördlichen Kantonen der Deutschschweiz. (Bild: naturpix.ch / k.gansner)
Nina Hemmi
desgesetzes über die Jagd im Jahr 1875 wurde in der Junisession 1876 des bündnerischen Grossen Rates über die Systemfrage debattiert. Die Anhänger der Revierjagd und die-
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Sicht eines Wildhüters mit forstlichem Hintergrund Untertitel Grundschrift
Der Beruf des Wildhüters war für Heinz Guler schon immer ein Traumberuf. (Bild: naturpix.ch/k.gansner)
«Wald und Wild» bleibt eine Daueraufgabe für Förster und Jäger! Nicht nur die Jagd wird vielerorts infrage gestellt, auch Sinn und Notwendigkeit der Holznutzung wird besonders in stadtnahen Wäldern von vielen hinterfragt. Damit sitzen Jäger und Förster grundsätzlich im gleichen Boot – und häufig sind Förster gleichzeitig auch Jäger. Gibt es aber auch den umgekehrten Fall? Ja, es gibt ihn: Der gelernte Förster Heinz Guler aus Schiers ist Wildhüter und Bezirkschef des Jagdbezirks XI (Herrschaft-Prättigau). Für den «Bündner Wald» hat er zu einigen Schwerpunkten ganz offen Stellung bezogen: Wildhüter mit Försterherz «Wald und Wild» bilden für mich eine Einheit. Man kann nicht zum Wald einen grossen persönlichen Bezug haben, ohne das Wild mit einzubeziehen. Genauso ist es aber auch umgekehrt. Der Frühling, wenn überall wieder das Laub spriesst oder viele Jungtiere geboren werden, ist für mich eine besonders schöne Zeit. Man kann feststellen, dass alles wieder zu neuem Leben erwacht oder geboren wird. Natürlich haben auch die anderen Jahreszeiten ihren ganz besonderen Reiz. Bereits in meiner Jugend wollte ich den Beruf des Wildhüters erlernen. Da dies jedoch nicht möglich war, erlernte ich den Beruf
des Försters. Als 16- Jähriger übte ich die Fischerei mehr oder weniger erfolgreich aus und machte die Jagdprüfung nach dem Abschluss der Försterschule. Das Konfliktpotenzial und die damit zusammenhängende «Aktionstoleranz» in den Bereichen Wald und Wild werden je nach Standpunkt oft ganz unterschiedlich beurteilt und definiert. Für mich ist es absolut nachvollziehbar, wenn sich der Förster für den Wald und der Wildhüter für das Wild einsetzen. Wichtig ist jedoch, dass man beide Meinungen akzeptiert und zusammen schlussendlich Lösungen findet, welche für alle nachvollziehbar sind und auch gegenüber der Öffentlichkeit vertreten werden können. Der Wald bietet dem Wild Schutz, Deckung, Ruhe, aber auch Nahrung. Dies muss aber erkannt und akzeptiert werden. Problematisch wird es vor allem dort, wo hohe Wildbestände ihren Tageseinstand haben. Dies ist hauptsächlich in den Wintermonaten gegeben. Die Grösse der Wildschäden hängt aber nicht nur von der Wilddichte, sondern auch noch von anderen Faktoren, wie z. B. Störungen durch den Menschen, ab. Akzeptanz in der Bevölkerung Der Mensch ist nach wie vor ein wichtiger und nicht zu vernachlässigender Faktor bei der Thematik um Wald und Wild. Ohne Bündner Wald 6 /2012 63
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Mensch gibt es keine Nutzung der Waldund Wildbestände. Für Menschen, welche jedoch nichts mit der Nutzung dieser beiden Ressourcen zu tun haben, ist es oft unverständlich, wieso Wildbestände bejagt und Wald genutzt wird. Es liegt an uns, die Menschen offen darüber zu informieren, warum dies gemacht werden muss. Seit Jahren besuchen wir z. B. Schulen, Versammlungen und halten Vorträge oder veranstalten regionale Ausstellungen über die Jagd in den verschiedenen Talschaften des Kantons oder wie z. B. letztes Jahr an der HIGA in Zusammenarbeit mit anderen kantonalen Ämtern. Ein grosser Teil der Bevölkerung erkennt die Notwendigkeit, dass Wildbestände genutzt werden müssen. Es gibt aber immer wieder Gruppierungen und Selbstdarsteller, die mit immer raffinierteren Mitteln versuchen, die Jagd infrage zu stellen. Hier sind die zuständigen Ämter (Amt für Wald und Naturgefahren sowie das Amt für Jagd und Fischerei) gefordert, gemeinsam darüber zu informieren, dass es wichtig ist, die Wildbestände zu nutzen, um örtlich überhöhte Wildschäden, aber auch um hohe Fallwildzahlen zu vermeiden. Wichtige Stichworte zur Wald-Wild-Thematik Kontrollzäune und Weisstannen Kontrollzäune dienen immer wieder dazu, den negativen Einfluss des Wildes auf den Wald darzustellen. Oft wird dabei vergessen, dass dies Flächen sind, die zu 100 Prozent ohne Einfluss des Wildes einwachsen. Ein Wald ohne Wild wird sich aber die Bevölkerung unseres Kantons kaum vorstellen können und wollen. Vor allem in Holzschlägen, welche zur Förderung (Einflugschneisen) des Auerwildes dienen, sollten keine Kontrollzäune erstellt werden. Bei einem Flugplatz werden auf der Landebahn schliesslich auch keine Mauern erstellt.
Weisstannen werden auch mit einem minimalen Wildbestand immer Mühe haben, das Stangenholzalter zu erreichen. Dies vor allem in Wintereinständen, aber auch auf den Wechseln vom Winter- in den Sommereinstand. Fütterungen Fütterungen führen oft zu Wildkonzentrationen und dann zu Schäden am Wald, in welchem die Tiere einstehen. Dies ist ganz besonders dann der Fall, wenn im Winter Silage oder Frischfutter dargeboten wird. Wild soll Wild bleiben und nicht an Winterfütterungen domestiziert werden. Interessanterweise scheint dies für Gämsen und Steinböcke selbstverständlich, sobald aber Rehe und Hirsche in der Nähe von Siedlungen auftauchen, versuchen wir korrigierend in die Natur einzugreifen. Nicht vergessen werden darf dabei insbesondere die emotionale Komponente. Jäger und vor allem die Bevölkerung erwarten in einem für das Wild sehr strengen Winter entlastende Hilfsmassnahmen. Im Gegensatz zu einem sterbenden Baum steht hinter jedem Fallwildverlust ein Einzelschicksal, das niemanden unberührt lässt. Dies zeigte der letzte Winter in aller Deutlichkeit. Mit der Nutzung der Wildbestände werden nicht nur örtlich überhöhte Wildschäden, sondern auch hohe Fallwildzahlen vermieden. (Bild: naturpix.ch/k.gansner)
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Öffentlichkeitsarbeit und offene Kommunikation ist besonders wichtig in der heutigen Zeit. (Bild: naturpix.ch/k.gansner)
Wildschadenbeurteilung Es gibt ganz klar Gebiete, in denen die durch das Wild verursachten Schäden am Wald das tragbare Mass überschreiten. Die Wildschadenbeurteilung liegt hauptsächlich in der Kompetenz des zuständigen Försters. Erfreulicherweise beurteilen viele Förster die durch das Wild verursachten Schäden oft als tragbar und nicht ganz so dramatisch, wie es oft dargestellt wird. Jagdliche Einrichtungen Viele Bergwiesen werden heute nur noch genutzt, wenn die Flächen maschinell bewirtschaftet werden können. Dies hat zur Folge, dass die brachliegenden Wiesen sehr schnell einwachsen und nicht mehr einsehbar sind. Dies sind dann auch bevorzugte Einstandsgebiete des Wildes. Oft
sind Hochsitze die letzte Möglichkeit, um in solchen Gebieten Wild zu erlegen und regulierend einzugreifen. In grossflächigen Dickungen oder Stangenholzbeständen sind Äsungsschneisen durchaus sinnvoll. Persönliche Vision In den 23 Jahren, in welchen ich als Wildhüter im Jagdbezirk XI tätig bin, ist das Thema Wildschaden ein Dauerbrenner. Vor allem bei einem Stellenwechsel eines Försters, aber auch eines Regionalforstingenieurs kommen jeweils wieder neue Emotionen betreffend Schäden am Wald hoch. Vor 30 Jahren war das Waldsterben ein grosses Thema. Damals wurden Horrorszenarien dargestellt, wie z. B. das Prättigau ohne Wald. Das Prättigau und den Wald gibt es heute noch. Genauso verhält es sich mit Bündner Wald 6/2012 65
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den Wildschäden. Ich weiss, dass es örtlich Flächen gibt, welche vom Wild übernutzt werden und wo Wild zum Teil Schäden am Wald verursachen. Bezogen auf die gesamte Waldfläche ist dies jedoch mit Sicherheit vertretbar. Die Erfüllung des Abschussplans hat ganz klar oberste Priorität, allerdings sollte dieses Vorhaben auch von allen Beteiligten entsprechend unterstützt werden. Während der Jagd müsste nicht nur der Glaubwürdigkeit wegen auf negative Beeinflussung z. B. in Form von Holzschlägen im Einflussgebiet von Wildschutzgebieten weitgehend verzichtet werden. Meine persönliche Vision liegt darin, dass akzeptiert wird, dass das Wild als Vegetarier
pflanzliche Nahrung aufnimmt und dadurch vor allem in den Wintereinständen Schäden entstehen können. Gleichzeitig muss gemeinsam agiert werden, um die Wildtierbestände an deren Lebensraum anpassen zu können. Schlussendlich kann dieses gemeinsame Ziel nur mit gegenseitiger Rücksichtnahme erreicht werden.
Heinz Guler Wildhüter-Bezirkschef Jagdbezirk XI, 7220 Schiers heinz.guler@ajf.gr.ch
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Vollzugshilfe Wald-Wild Um Wald-Wild-Konflikte zu lösen, braucht es einen integralen Ansatz und die Zusammenarbeit aller Beteiligten. Die Vollzugshilfe des Bundesamtes für Umwelt ( BAFU, 2010 ) definiert Grundsätze für die nachhaltige Bewirtschaftung von Wald und Wild sowie die Vorgehensweise bei Wald-Wild-Problemen in der Schweiz. Wälder müssen den vielfältigsten Ansprüchen unserer Gesellschaft gerecht werden. Sie sind Lieferanten von Rohstoffen wie Holz, Pilzen oder Beeren. Sie bieten uns Menschen Raum zur Erholung und schützen uns vor Naturgefahren. Und nicht zuletzt sind sie Lebensraum zahlreicher Wildtiere. Damit unsere Wälder diese Leistungen nachhaltig gewährleisten, müssen sie sich kontinuierlich verjüngen können. Viele Faktoren fördern oder hemmen die Waldverjüngung. Der Wildeinfluss ist ein Faktor unter vielen, manchmal jedoch der entscheidende. Wildeinfluss auf Waldverjüngung Der häufigste Einfluss des Schalenwildes ist der Verbiss junger Baumtriebe. Ein starker Wildeinfluss auf die Waldverjüngung kann durch insgesamt überhöhte Schalenwildbestände entstehen. Die wildbiologisch richtig geplante Basisregulierung des Wildes ist deshalb die Grundvoraussetzung für weiterführende Massnahmen. Die räumliche Konzentrierung des Wildes spielt jedoch meist eine ebenso wichtige Rolle, so z. B. in Wintereinständen. In der heutigen Kulturlandschaft wird diese Konzentration des Wildes durch verschiedene Entwicklungen verstärkt: – Die Zersiedelung der Landschaft behindert die Wanderungen des Wildes und verkleinert so seinen Lebensraum. – Neue Freizeitaktivitäten wie z. B. Schneeschuhlaufen stören das Wild, sodass es
insbesondere im Winter wertvolle Energiereserven verbraucht. – Durch die intensive Landwirtschaft gehen den Wildtieren wichtige Äsungs- und Einstandsflächen in der Offenlandschaft verloren. Vorgehensweise bei Wald-Wild-Problemen Die notwendige Reduktion des Verbissdruckes ist deshalb in der Regel nicht alleine über eine verstärkte Bejagung und forstliche Massnahmen anzugehen, sondern auch weitere Akteure – Landwirtschaft, Raumplanung, Tourismus – sind im Sinne eines integralen Ansatzes mit einzubeziehen. Um die natürliche Waldverjüngung mit standortgerechten Baumarten sicherzustelSchafweiden schränken den Sommereinstand und die Äsungsgebiete der Gämsen zum Teil stark ein, sodass die Tiere in den Wald ausweichen. (Bild: naturpix.ch/k.gansner)
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len – wie dies die Bundesgesetze zum Wald (WaG) und zur Jagd (JSG) fordern – hat das BAFU die Vollzugshilfe «Wald und Wild» erarbeitet. Die Vollzugshilfe definiert Grundsätze für die nachhaltige Bewirtschaftung von Wald und Wild sowie die Vorgehensweise bei Wald-Wild-Problemen. Zentraler Schritt ist die Erstellung und Umsetzung von Wald-Wild-Konzepten. Mit diesen klaren Vorgaben sollen die teilweise intensiven Diskussionen zwischen Jagd- und Waldbehörden in den Kantonen auf eine sachliche Basis gestellt und der integrale Ansatz gefördert werden. Die dazugehörige BAFU-Publikation «Wald und Wild – Grundlagen für die Praxis» liefert die notwendigen Grundlagen für die Umsetzung der Vorgaben der Vollzugshilfe, indem der wissenschaftliche Hintergrund ausgeleuchtet, methodische Ansätze vorgestellt, diskutiert und konkrete Praxisbeispiele aufgezeigt werden. Spezifische Ziele Spezifische Ziele der Vollzugshilfe: – Das optimale Vorgehen zur Lösung von Wald-Wild-Problemen ist definiert. – Die Wald-Wild-Konzepte basieren auf einheitlichen Grundlagen zur besseren Vergleichbarkeit in der Zeit, im Raum und
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über administrative Grenzen (z. B. Kantonsgrenzen) hinweg. Die nachhaltige Regulation der Reh-, Gäms- und Rothirschbestände ist gewährleistet. Die Waldwirtschaft nimmt Rücksicht auf die Ansprüche des Wildes. Andere Faktoren, welche ebenfalls einen starken Einfluss auf die Wald-Wild-Thematik haben (Landwirtschaft, Störungen durch Freizeitaktivitäten usw.) werden in die Problemlösung einbezogen. Die Zusammenarbeit zwischen Wald- und Jagdbehörden wird gestärkt. Die interkantonale Zusammenarbeit wird (wo nötig und sinnvoll) gefördert. Der Regelkreis wird durch eine definierte Erfolgskontrolle geschlossen.
Spezifisches Ziel der dazugehörigen Grundlagen für die Praxis: Zur Qualitätssicherung der Vorgehensweise bei Wald-Wild-Problemen werden die praxisrelevanten Grundlagen ausgeführt und die notwendigen Massnahmen methodisch beschrieben. Die Zielgruppe der vorliegenden Vollzugshilfe und der dazugehörigen Grundlagen für die Praxis sind die kantonalen Waldund Jagdverwaltungen. Zur besseren Um-
Kommunikation ist wichtig: Gemeinsame Begehungen im Feld verbessern das gegenseitige Verständnis. (Bild: naturpix.ch/k.gansner)
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setzung sollen diese beiden Publikationen oder Teile daraus auch an Praktiker im Feld, im Speziellen Förster, Wildhüter und Jäger, weitergereicht werden. Grundsätze der nachhaltigen Bewirtschaftung von Wald und Wild Multifunktionales Ökosystem Wald Wälder müssen meist vielfältigen Ansprüchen gerecht werden. So sind sie Lieferanten von Rohstoffen und Energie, sind Lebensraum zahlreicher Wildtiere, bieten uns Menschen Raum zur Erholung und schützen uns vor Naturgefahren. Letzterem kommt gerade in der gebirgigen Schweiz eine grosse Bedeutung zu, wo Wälder, Mensch und Infrastruktur zuverlässig und kostengünstig vor Lawinen, Steinschlag, Hochwasser oder Hangrutschungen schützen. Damit unsere Wälder diese Leistungen nachhaltig gewährleisten, müssen sie sich kontinuierlich verjüngen können. Einflussfaktoren auf die Waldverjüngung Viele Faktoren fördern oder hemmen die Waldverjüngung: So braucht es die entsprechenden Samen sowie genügend Licht, Wärme und Feuchtigkeit, damit diese keimen können; zusätzlich müssen die richtigen Wurzelpilze vorhanden sein, und weiter darf weder die Konkurrenz mit anderen Pflanzen noch der Einfluss der Pflanzenfresser übermässig sein. Der Wildeinfluss ist somit für das Aufkommen respektive das Ausbleiben der Verjüngung ein Faktor unter vielen, manchmal jedoch der entscheidende. Wildeinflüsse auf den Wald können je nach Tierart und Situation verschiedenartig sein. Dazu gehören der Verbiss, das Schälen und das Fegen. Fokus Wildverbiss Der häufigste Einfluss des Schalenwildes ist der Verbiss junger Baumtriebe. Schälen und
Fegen können unter gewissen Umständen grossen Schaden anrichten. Dabei handelt es sich jedoch ausschliesslich um lokale und über die ganze Fläche der Schweiz betrachtet wenig bedeutende Probleme. Dazu kommt, dass die Schälhäufigkeit, im Gegensatz zum Verbiss, relativ unabhängig von der Wilddichte und somit schwieriger beeinflussbar ist. Die vorliegende Vollzugshilfe und die dazugehörigen Grundlagen für die Praxis beschränken sich aus diesen Gründen auf den Umgang mit der Verbissthematik. Koexistenz Wald und Wild Die Wild- und Waldbewirtschaftung muss eine Koexistenz von Wald und Wild ermöglichen. Die Koexistenz von Wald und Wild ist stets dynamisch. Je nach Lebensraum und Waldfunktionen ergeben sich andere Bedingungen und Herausforderungen. Es ist Aufgabe der Wald- und Jagdplanung, diese Koexistenz mit geeigneten Massnahmen zeitlich und räumlich zu optimieren. Waldpflege und Basisregulierung des Wildes Die Kantone setzen die Rahmenbedingungen für die Waldpflege und -bewirtschaftung so, dass gute Bedingungen für die Naturverjüngung herrschen (z. B. genügend Licht) und die Wildhuftiere ausreichend Lebensraum und Ruhe finden. Sie planen die Jagd so, dass die Wildbestände der Lebensraumkapazität angepasst und bezüglich Altersklassenaufbau und Geschlechterverteilung natürlich strukturiert sind. Auf mindestens 75 Prozent der gesamten Waldfläche sollen so die Verjüngungssollwerte – im Schutzwald nach der Vollzugshilfe Nachhaltigkeit im Schutzwald NaiS gemessen und im übrigen Wald bezüglich der waldbau lichen Ziele begutachtet – ohne WildschaBündner Wald 6/2012 69
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wachsen. Die Basisregulierung des Wildes ist deshalb die Grundlage und die Voraussetzung für weiterführende Massnahmen wie die Biotophege.
Die Regulation durch jagdliche Eingriffe und der natürliche Einfluss des Luchses können sich sinnvoll ergänzen. Insbesondere führt der Luchs zu stärkeren Schwankungen der Wild bestände als die Jagd alleine. Diese sind für den Gebirgswald sehr wichtig. (Bild: naturpix.ch/k.gansner)
denverhütungsmassnahmen erreicht werden können. Definition Wildschaden Weil Verbiss aus einer ökologischen Perspektive betrachtet nicht a priori als Wildschaden zu klassieren ist, sprechen wir dann von Wildschaden, wenn die Tragbarkeit aus sozioökonomischer Perspektive überschritten ist. Die Definition der Tragbarkeit ist dabei zentral abhängig von der Vorrangfunktion des Waldes (z. B. Schutzwald), d. h. sie variiert räumlich dementsprechend. Basisregulierung des Wildes als Grundlage Die Tragekapazität eines Lebensraums für das Wild lässt sich einerseits durch eine Reduktion der Nachfrage (Regulierung der Wildbestände) und andererseits durch eine Erhöhung des Äsungs-Angebots (Biotophege) positiv beeinflussen. Eine Erhöhung des Angebots reduziert aber nur dann den Wildeinfluss auf die Waldverjüngung, wenn nicht gleichzeitig die Wildbestände an-
Ursachen eines starken Wildeinflusses auf die Waldverjüngung Ein starker Wildeinfluss auf die Waldverjüngung kann durch insgesamt überhöhte Schalenwildbestände entstehen. Meist spielt jedoch die räumliche Konzentrierung des Wildes eine ebenso wichtige Rolle, so z. B. in Wintereinständen. In der heutigen Kulturlandschaft wird diese Konzentration des Wildes durch verschiedene Entwicklungen verstärkt: – Zersiedelung der Landschaft – Neue Freizeitaktivitäten wie z. B. Schneeschuhlaufen – Intensive Landwirtschaft Durch diese Entwicklungen gehen den Wildtieren Äsungs- und Einstandsflächen verloren, besonders ausgeprägt und offensichtlich in der Offenlandschaft. Da die Rückzugsgebiete des Wildes meist bewaldet sind, verschärft diese Konzentration die Wald-Wild-Problematik empfindlich. Integraler Ansatz Die notwendige Reduktion des Verbissdruckes ist in der Regel nicht alleine über eine verstärkte Bejagung und forstliche Massnahmen anzugehen. Der integrale Ansatz der Wald-Wild-Konzepte muss deshalb gestärkt werden. Einzubeziehen sind: – Die Landwirtschaft, aufgrund ihrer grossen Bedeutung im Lebensraum des Wildes. – Tourismus/Freizeitaktivitäten und Raumplanung, damit die Störung von Wildtieren durch menschliche Aktivitäten verringert werden kann.
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Bedeutung der Kommunikation Ein Hauptfaktor für ein erfolgreiches WaldWild-Management liegt in einer guten Kommunikation, welche das Vertrauen zwischen den Parteien fördert. Um zu allseitig akzeptierbaren Lösungen zu finden, ist Kooperation und Partnerschaft gefragt. Die grösste Schwierigkeit in Wald-WildProjekten entsteht immer dann, wenn sich sachliche Gegensätze zu emotionaler Gegnerschaft und gegenseitiger Ablehnung entwickeln. Dies muss vermieden werden. Rolle der Prädatoren Grossraubtiere wie Luchs und Wolf, welche Teile der Schweiz wiederbesiedeln, können einen bedeutenden Einfluss auf die Wildbestände und somit indirekt auf die Waldverjüngung haben. Sie sind nebst dem Menschen das oberste Glied der Nahrungskette im Ökosystem Wald und tragen zu einem natürlichen Wald-Wild-Gefüge bei. WaldWild-Probleme müssen jedoch sowohl mit als auch ohne Grossraubtiere gelöst werden können. Sie sind bei der Jagdplanung zu berücksichtigen, ersetzen die Jagd aber nicht.
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Bündnerwald 70x100.indd 2 Literatur: – Vollzugshilfe Wald und Wild (1) – Das integrale Management von Reh, Gämse, Rothirsch und ihrem Lebensraum. 2010 Nicole Imesch – Wald und Wild – Grundlagen für die Praxis ( 2 ) – Wissenschaftliche und methoBundesamt für Umwelt (BAFU) dische Grundlagen zum integralen MaSektion Jagd, Fischerei und Waldbiodiversität, 3003 Bern nagement von Reh, Gämse, Rothirsch und nicole.imesch@bafu.admin.ch ihrem Lebensraum. 2010
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Wachsen junge Weisstannen im Nebenareal anders? Zur Charakterisierung der Weisstannenverbreitung in den Schweizer Alpen sprechen Standortskundler von Haupt-, Neben- und Reliktareal der Weisstanne (NaiS). Während die Weisstanne im Hauptareal in der ober- und hochmontanen Stufe mit Ausnahme von einigen Extremstandorten natürlicherweise überall vorkommt, ist sie im Nebenareal weitgehend auf die nordund ostexponierten Gebiete beschränkt. Zum Hauptareal gehören die nördlichen und südlichen Randalpen, währenddem die Nebenareale auf die zwischen den Hochalpen und Randalpen gelegenen nördlichen und südlichen Zwischenalpen beschränkt sind. Wo die Talsohle deutlich über 1000 m ü. M liegt, kommt die Weisstanne nur noch reliktartig vor. Im Zusammenhang mit der Bewertung des Einflusses von Schalenwild auf die Waldverjüngung stellt sich die Frage, ob sich die jungen Weisstannen im Nebenareal spürbar weniger vital entwickeln und somit möglicherweise noch empfindlicher auf Wildverbiss reagieren als im Hauptareal.
Zu diesem Zweck analysierte Andrea Guler, tur gmbh, Davos, im Auftrag des Amts für Wald und Naturgefahren die Daten aus dem Kontrollzaunprojekt 1991 – 2005. Verwendet wurden die Daten der Kontrollzäune auf jenen Waldstandorten, in welchen die Weisstanne als Haupt- oder Nebenbaumart oder auch nur vereinzelt eingestreut vorkommt. Dies betraf 57 Kontrollzäune in den Regionen Herrschaft, Prättigau und Vorderrheintal, wovon zwölf im Haupt- und 45 im Nebenareal lagen. Die Berechnung erfolgte mit dem Verfahren der schrittweisen multiplen linearen Regression. Dadurch werden auch die gegenseitigen Zusammenhänge zwischen den Einflussgrössen berücksichtigt. Die Zahl der in den Kontrollzäunen vorhandenen Jungtannen war wesentlich bestimmt durch den Anteil von Weisstannen 1 ). Dies unterstreicht im Altbestand (Tab. die grosse Bedeutung des Sameneintrags. Dagegen korrelierte die Juni-Sonnenscheindauer negativ, wohl deshalb, weil sie die Konkurrenz durch andere Baumarten för-
Faktoren, welche die Stammzahl junger Weisstannen (bei der Zweitaufnahme, mittlere Salte) und die Höhe der Jungtannen (bei allen drei Aufnahmen, rechte Spalte) statistisch signifikant beeinflussen. * = Signifikanter Beitrag mit Irrtumswahrscheinlichkeit p < 5 %, *** = p < 0,001; + / – = Einfluss positiv oder negativ. Leere Felder = kein Einfluss. Weitere in die Analyse miteinbezogene Grössen, aber ohne Korrelation waren: Zugehörigkeit zu Haupt- oder Nebenareal, Tanne als Haupt- oder Nebenbaumart, Verjüngungsgunst aufgrund Vegetation, Häufigkeit von Moderholz, Schlussgrad des Altbestands sowie Jahre seit letztem Waldbaueingriff.
Einflussfaktor
Anzahl Jungtannen
Höhenlage des Kontrollzauns (m. ü. M)
Höhe der Jungtannen – ***
Sonnenscheindauer im Juni
– **
Anteil der Weisstanne in der Oberschicht
+ **
+ ***
Alter der Jungtannen
+ ***
Verjüngungsgunst des Bodens
+ ***
Häufigkeit von Rohbodenstellen r2
+* 0.457
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dert. Dass aber auch die Weisstanne Sonne braucht, zeigt sich beim Höhenwachstum, wo die Sonnenscheindauer einen stark positiven Einfluss hat. Die Analyse ergab keinen Hinweis darauf, dass die Zugehörigkeit zum Haupt- oder Nebenareal einen wesentlichen Einfluss auf die Entwicklung der Weisstannen hat. Es ist allerdings zu beachten, dass wir den Einfluss diverser Standortfaktoren wie Meereshöhe oder Bodenqualität zumindest grob mitberücksichtigten und die Zahl
der Kontrollzäune im Hauptareal verhältnismässig gering war.
Ueli Bühler Waldökologie Amt für Wald und Naturgefahren Loëstrasse 14, 7001 Chur ueli.buehler@awn.gr.ch
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Hegepreis JagdSchweiz 2012 Untertitel Grundschrift
Munté Cazis (Bild: zVg JagdSchweiz)
2012 hat JagdSchweiz erstmals den Hegepreis für aussergewöhnliche Hegeprojekte vergeben. Dieser Preis wird in Zukunft jedes Jahr ausgeschrieben. Mit dem Hegepreis werden Jagdgesellschaften und Jägervereine ausgezeichnet, die sich im Sinne des Leitbildes von JagdSchweiz auf der Basis des wildbiologischen Wissens in besonderer Weise für den Schutz der Natur und die Erhaltung der Vielfalt von Lebensräumen und Arten verdient gemacht haben. Darüber hinaus will JagdSchweiz mit dem Hegepreis die Jäger motivieren, in Eigeninitiative Projekte zur Erhaltung und Verbesserung von Lebensräumen wildlebender Tiere, selbst oder in Zusammenarbeit mit anderen Beteiligten zu planen, umzusetzen und über einen längeren Zeitraum zu betreuen. Gleichzeitig soll der Hegepreis Gelegenheit schaffen, die Arbeit der Jäger für die Wildlebensräume glaubwürdig zu belegen und der Öffentlichkeit den Einsatz der Jägerschaft für die Natur aufzuzeigen. Die Preise sind gesamthaft mit CHF 10 000 dotiert, wobei erwartet wird, dass die Gewinner das Preisgeld für die Weiterführung oder Weiterentwicklung der ausgezeichneten Hegeprojekte einsetzen. Eine Jury bestehend aus Fachpersonen beurteilt die eingereichten Projekte. Der Jury gehören an: Mirjam Ballmer, pro natura; Patrick
Durand, Direktor ECOTEC environnement SA, Genf; Prof. Dr. Heinrich Haller, Direktor Schweizerischer Nationalpark; Dr. Andreas Moser, Biologe und Redaktor, NETZ NATUR SRF; sowie Hanspeter Egli, Präsident JagdSchweiz. Die Jury arbeitet ehrenamtlich und verzichtete zugunsten des Preisgeldes auf jegliche Spesen. Ergänzend zur Beurteilung durch die Jury wurde ein Publikumspreis ausgeschrieben. Die Besucher der Webseite JagdSchweiz konnten die eingereichten Projekte im Internet beurteilen und ihre Stimme abgeben. 22 Projekte eingereicht Trotz sehr kurzer Anmeldefrist bei der ersten Durchführung haben 22 Jagdorganisationen aus 13 Kantonen Projekte für den ersten Hegepreis von JagdSchweiz eingereicht. Die Eingaben zeigten wie erhofft die ganze Bandbreite unserer Hegetätigkeit: von der wildbiologischen Begleitung der Regulation, über Aufwertung und Vernetzung von Lebensräumen bis zu Wildäckern und der Pflege von Magerwiesen für seltene Pflanzen und Tiere. Im Gesamten wurden von allen Projekten zusammengefasst gegen 60 Hekt- aren Lebensraum mit einem Arbeitseinsatz von über 16 000 Stunden und einem Mittel einsatz von rund 400 000 Franken aufgewertet. Darunter befinden sich grosse, über
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mehrere Jahre laufende Projekte, aber auch kleine Initiativen, die einen ebenso interessanten und für die Natur wichtigen Beitrag leisten. Beurteilung Die Qualität der eingereichten Projekte war recht ausgeglichen. Die Jury beurteilte die Projekte nach den Kriterien: Initiative und Beitrag der Jäger, Grösse und Dauer, Auswirkungen auf die Wildtiere, Beteiligung der Öffentlichkeit und Öffentlichkeitsarbeit. 1. Preis mit CHF 5000: Vernetzungsprojekt Goldseileren, Lauwil, Basel-Landschaft Im Flurgebiet Goldseileren der Gemeinde Lauwil, Kanton Basel-Landschaft, stand eine monotone Weihnachtsbaumkultur, die umgestaltet und ökologisch verbessert wurde. Darüber hinaus bestand im Gebiet Goldseileren eine Lücke im ansonsten von Nunningen, Kanton Solothurn, bis Pratteln, Kanton Basel-Landschaft, durchgängig bestehenden grünen Waldgürtel. Das Gebiet der Goldseileren wurde ökologisch für Fauna und Flora aufgewertet. In Zusammenarbeit mit dem Forstrevier Hohwacht, den betroffenen Landwirten, der Gemeinde Lauwil, Naturschutzvereinen und anderen Interessengruppen gelang es der Jagdgesellschaft Lauwil und Jagd Baselland, in den letzten vier Jahren gemeinsam die Grundlagen für die Umgestaltung und Vernetzung der ökologisch verarmten Flurgebiete Goldseileren zu legen. Die Arbeit wird weitergeführt und soll 2017 abgeschlossen werden. Die Jägerschaft leistete bisher einen grossen Arbeitseinsatz und wurde dabei von Schulklassen tatkräftig unterstützt. Ohne die Unterstützung des Forstreviers Hohwacht wäre das Projekt aber nicht so weit fortgeschritten. Der Forst leistete, zusammen mit Unternehmern, den grössten Anteil der
Arbeit. Der Kanton Basel-Landschaft und private Sponsoren unterstützen das Projekt finanziell. Die einzelnen Arbeitsschritte und Arbeitseinsätze wurden mit einer professionellen Medienarbeit begleitet. Die Öffentlichkeit in der Region Basel wurde über den Projektfortschritt periodisch informiert. 2. Preis mit CHF 3000: Naturschutzgebiet Munté Cazis GR Das Naturschutzgebiet Munté bei Cazis GR ist in acht Abschnitte aufgeteilt. 1971 stellte der Kanton auf Ersuchen der Jäger, Ornithologen und der Naturforschenden Gesellschaft Graubünden die ersten fünf Abschnitte unter Schutz. 1988 wurde das Schutzgebiet auf die heutige Fläche erweitert. Auf Wunsch des Jägervereins Ausserheinzenberg wurden ihm 1989 Unterhalt und Pflege der Abschnitte 1 bis offiziell übertragen. Die Jäger und Jagdkandidaten leisten jedes Jahr zwischen 300 und 500 Arbeitsstunden. Für die Arbeiten werden auch Schulen, Forst, Zivildienstleistende usw. mit einbezogen. Die Zielsetzungen sind vielseitig: von Schilf mähen, Reitgrasflächen erhalten, Bruchwald pflegen, Ausdehnung Wald und Sträucher verhindern, Neophyten bekämpfen über Trockenstandorte und Grasflächen erhalten bis hin zum Auslichten des Föhrenwaldes und der Pflege von MaSayser Chöpfe (Bild: zVg. JagdSchweiz)
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gerwiesen gibt es viel zu tun. Jedes Jahr finden Beobachtungstage und Führungen für Naturschutzinteressierte statt. Führungen sollen in Zukunft auch für Schulen angeboten werden, um der Jugend die Natur und mögliche Konfliktsituationen näherzubringen. Die Jury würdigte vor allem das langfristige Engagement der Jägerschaft. 3. Preis mit CHF 1000: Güterzusammenlegung Noirmont JU 1990 beschlossen die Grundeigentümer von Le Noirmont JU eine Güterzusammenlegung. Nach ein paar Jahren wurde das Projekt öffentlich aufgelegt. Zwar waren ökologische Kompensationen vorgesehen, aber die Beeinträchtigung von interessanten Biotopen mit Auswirkungen auf die Fauna, insbesondere für die Hasenpopulationen, war enorm. Der kantonale Jägerverband, die Fédération Cantonale Jurassienne des Chasseurs ( FCJC ) hat dagegen Einsprache erhoben und verlangte den Schutz dieser Biotope und eine Garantie für die Qualität der geplanten ökologischen Kompensationsmassnahmen. In den anschliessenden Vergleichsverhandlungen wurde den Anträgen der FCJC stattgegeben. Im Gegenzug verpflichteten sich die Jäger, neue Hecken zu pflanzen und einen Teil der bestehenden zu erweitern. Die Jägerschaft war hier funWildbodenweiher (Bild: zVg JagdSchweiz)
dierte Anwältin für die Vielfalt von Lebensräumen und Arten. Für die Umsetzung des Projektes arbeitet die Jägerschaft mit der Stiftung Fondation Territoires naturels und dem Jägerverein der Franches-Montagnes zusammen. 2008 hat die FCJC mit seinen Mitgliedern die ersten Hecken gepflanzt. 2012 waren diese Arbeiten weitgehend abgeschlossen. Die Jäger haben sich vertraglich verpflichtet, die Pflanzungen während fünf Jahren zu überwachen und zu pflegen. Zum Unterhalt gehört insbesondere das Freischneiden der Setzlinge, das Ersetzen von abgestorbenen Bäumen und der Unterhalt der Einzäunungen. Anerkennungspreis mit CHF 1000: Hegeprojekte Alpnach OW Die Hegegemeinschaft Alpnach OW bewirtschaftet diverse Waldwiesen am Pilatus. Durch das Ausmähen und Ausräumen wird die Verwaldung dieser Freiflächen verhindert und damit dem Schalenwild ungestörte Äsungsflächen erhalten. Der Innerschweizer Ausflugsberg ist einem enormen Freizeitdruck ausgesetzt. Um die Einschränkung der Lebensräume von Fauna und Flora zu reduzieren, waren diese Konflikte mit dem Tourismus zu lösen. Damit die Adler mit Erfolg brüten können und den Gämsen ruhige Einstände für die Setzzeit offen bleiben, galt es Kletterrouten zurückzubauen. Dazu wurden am Pilatus Wildruhegebiete ausgeschieden und mit der neu gegründeten Interessengemeinschaft «Klettern am Pilatus» eine freiwillige Vereinbarung getroffen, um in zwei Gebieten die bereits eingerichteten Routen zurückzubauen. Klettern ist in bestehenden Routen erlaubt. Das Einrichten von neuen Routen und die Publikation von Kletterrouten und Klettergebieten muss mit der Trägerschaft vorgängig abgesprochen werden. Ergänzt sind diese Grundsätze und
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Massnahmen mit einem Kletterkodex. Auch hier zeichnet die Jury ein Projekt aus, bei dem die Jägerschaft beispielhaft die Interessen von Flora und Fauna vertreten konnte. Publikumspreis der Birkenast GmbH: Hegeprojekt «Sayser Chöpfe», Trimmis-Says Der Publikumspreis geht an das Projekt «Sayser Chöpfe» in Trimmis-Says. Die Jägersektion Calanda GR pflegt jährlich abwechselnd Äsungsflächen, die im sehr steilen Gelände nur mit dem Trimmer gemäht werden können, sichert Wildeinstände und unterhält Lebensräume für das Wild. Um das Gebiet zu erreichen, wurde ein Zugangsweg von 500 Meter Länge erstellt. Projekte aus dem Kanton Graubünden Aus dem Kanton Graubünden wurden drei Projekte eingereicht. Das Projekt Munté Cazis wurde mit dem 2. Preis ausgezeichnet, das Projekt «Sayser Chöpfe» hat den Publikumspreis gewonnen. Die Hegegemeinschaft der Sektion Davos hat das Projekt «Wildbodenweiher» eingereicht. Auch diese Arbeit wurde als ökologisch wertvoll beurteilt. Gestützt auf die festgelegten Beurteilungskriterien reichte es, wie auch 16 anderen Projekten, nicht für einen Spitzenplatz. Schlussbemerkungen Aus Sicht von JagdSchweiz war die erste Ausschreibung des Hegepreises ein voller Erfolg. Die Anzahl und die Qualität der eingereichten Projekte überraschten. Bemerkenswert ist auch die regionale Verteilung der Eingaben. Mehr als ein Viertel der Projekte stammen aus der Romandie und dem Tessin. Die eingereichten Projekte zeigen: Die Jäger in allen Regionen der Schweiz setzen sich aktiv für die Erhaltung und Pflege der Lebensräume von Fauna und Flora ein.
Nutzungskonflikte werden mit Kreativität, Einfühlungsvermögen und viel Verhandlungsgeschick gemeinsam mit anderen Interessengruppen gelöst. JagdSchweiz wird auch 2013 den Hegepreis ausschreiben.
Hanspeter Egli Präsident JagdSchweiz Arneggerstrasse 36, 9204 Andwil praesident@jagdschweiz.ch
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Die Wiederherstellung des Arven gürtels im hinteren Rheinwald Bei Beginn meiner Tätigkeit als Kreisforstingenieur des Forstkreises 14 «Hinterrhein» machte mich Dr. Walter Trepp, damals Adjunkt beim Forstinspektorat Graubünden, auf den kleinen Forstgarten von Dr. Theo Gerber in Nufenen aufmerksam. Er bat mich, den Chirurgen, dessen Mutter eine Nufenerin war, bei seinen Bemühungen um die Wiederherstellung des Arvengürtels im hinteren Rheinwald zu unterstützen. Nun sind mehr als 40 Jahre vergangen und das Wirken von Dr. Gerber ist sichtbar geworden. Theo Gerber ist der Meinung, dass zu diesem Jubiläum seine Erfahrungen und Bemühungen zur Wiederansiedlung von Arven weitergegeben werden sollten. Von Splügen her taleinwärts finden sich nur noch einzelne ältere Arven an eher unzugänglichen Orten an der oberen Waldgren-
ze. Es ist anzunehmen, dass im hinteren Rheinwald in früheren Zeiten so viele Arven genutzt worden sind, dass keine natürliche Verjüngung mehr möglich war. Dazu kamen die Weiderechte der ansässigen Landwirte für Schmalvieh. Ein weiterer Grund waren Verkäufe von Arvenholz. Das Berghaus am Splügenpass soll sein Nutzungsrecht für Arven voll ausgeschöpft haben, bis in der näheren Umgebung keine Arven mehr zu nutzen waren. Nicht nur auf landwirtschaftlich nicht mehr bewirtschafteten Steilhängen und steilen Strassenböschungen, sondern auch in einigen Gärten von Nufenen dominieren nun Arven. Auch Theo Gerbers Heim zeugt von dessen Liebe zu den Arven. Mit der Pflanzung von Arven im eigenen Garten konnte Theo Gerber einige Erfah-
Theo Gerbers Haus in Nufenen, eingepackt in ein
Chratzli, Nufenen
Arvenwäldchen (Bild: Theo Gerber, 13. August 2012)
(Bild: Theo Gerber, 15. August 2012)
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rungen machen. Die Gefahr des Verbisses von Jungpflanzen bannte er mit der Erhöhung des Zaunes. Grössere Probleme gab der Wildschutz an den weiter entfernten Pflanzorten in Steilhängen. Vor allem die Lernfähigkeit der Hirsche forderte Theo Gerber immer wieder neu heraus. In seinem diesjährigen Bericht schrieb er in seinem Bericht über das Arvenhahr 2012 Folgendes: «Hirsche fressen die Baumrinde von Arven ab einer Stammdicke von 1 cm und schälen auch noch 40-jährige Bäume, wenn ihre Rinde noch nicht borkig-trocken geworden ist. Freistehende Zirben sind mehr gefährdet als solche im Schutz lockeren Waldes. Um bei etwa 25-jährigen Arven besser an die Rinde heranzukommen, beissen sie in die 5 bis 10 mm dicken Seitenästchen an deren Abgang und knicken sie. Nach wiederholten Besuchen bleiben zuletzt astlose Baumskelette zurück. Schutz bieten 1,5 m hohe, verzinkte Einzelgitter von ca. 90 cm Durchmesser. Rostendes Material sorgt schon nach zwei Jahren für Ärger. 2 m hohe Umzäunungen grösserer Anlagen benötigen Edelkastanienpfähle, kräftige Gittergeflechte und kopfseits federndes Drahtseil. Unterbrechungen schützen bei überraschenden, eine Anlage streifenden Lawinen vor Totalverlust, wie dies im «Chratzli», Nufenen, eingetreten ist. Der Zaunverlauf soll Orte mit Schneeverwehungen meiden. Der Druck von schwerem, nassem Schnee ist gewaltig. Querliegende Zaunteile in steilem Gelände halten dem Schneedruck, selbst mit Erdankern, nicht stand. Das enge Pflanzen von Kleingruppen mit fünf bis acht Stück sieht primär nach einer Verschwendung aus. Die Arvennadeln stören den Hirsch. Damit bieten dichte Büschel von Seitenästen Schutz für die Baumrinde. Die der Natur abgeguckte Methode (Naturverjüngung aus vom Arvenhäher vergessenen Nüsschendepots) zahlt sich aber schliesslich aus. Im freien Gelände
Arvenpflanzung in der «Besserta», Hinterrhein, im Hintergrund das Rheinquellhorn (Bild: Theo Gerber, 15. August 2012)
macht sich der Hirsch besonders ungeniert an seine Lieblinge heran. Die blosse Anwesenheit des Wolfs würde ihn zu mehr Vorsicht ANZEIGE
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Eingezäunte Lärchen- und Arvenpflanzungen « ob den Bendern» bei Medels im Rheinwald (Bild: Oskar Hugentobler, 20. August 2012)
zwingen. Ohne die Bestände zu reduzieren, blieben die Schäden geringer». Auch andere Randbedingungen wirkten sich auf den Erfolg oder Misserfolg der Pflanzungen aus. Theo Gerber schrieb dazu: «Wasser: Mit dem Schmelzen der Gletscher können Anlagen in Bachbettnähe zufolge fehlender Wasserregulierung überflutet und zerstört werden, was auf «alt Stafeli» in Hinterrhein passiert ist. Junge Arven ertragen die Trockenheit schlecht. Abhilfe leisten unten in die Pflanzlöcher gelegte, mit wenig Erde versehene Plastik-Suppenteller. Bei längerer Trockenheit ist so der Wasservorrat willkommen. Auf den Schattenseiten der Täler gedeihen die Arven besser, da dort der Arvenpflanzungen an der Böschung unterhalb der A13 bei Nufenen (Bild: Oskar Hugentobler, 13. August 2012)
Boden weniger schnell austrocknet. Pilzkrankheiten: Mit gut gemeintem Einstreuen von Fichtennadeln zur Bodenverbesserung kann zum Beispiel der Schneepilz eingeschleust werden. Die Jungpflanzen sterben in der Folge ab. (Diese Erfahrung machte ich in zwei Gärten in Nufenen.) Gegen Pilzkrankheiten im Gelände ist kein Kraut gewachsen. Prophylaktisch wirken Mischkulturen und grössere Pflanzabstände. Diesem Umstand wurde in der Pflanzung «ob den Bendern» bei Medels im Rheinwald Rechnung getragen. Es scheinen die gleichen Gesetze zu gelten wie bei menschlichen Epidemien. Tannenhäher: Grössere Pflanzungen im Talgrund, insbesondere in Gärten, bei Kirchen und Ställen, ermöglichen die Zapfenbildung mit keimfähigen Nüsschen schon bei 40-jährigen Pflanzen. Der Tannenhäher gewinnt dadurch seine Nahrungsbasis zurück. Er trägt in Mastjahren bis zu 100 000 Nüsschen an den Talhängen in seine Depots. Damit ermöglicht der Vogel die Naturverjüngung von Arven und wird zum besten Landschaftsgärtner (H. Mattes: «Die Lebensgemeinschaft von Tannenhäher und Arve»)». Vor allem in den Arvenpflanzungen «ob den Bendern» bei Medels im Rheinwald (Schollenalp) verursachten das Triebsterben (As-
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cocalyx) und der weisse Schneepilz (Phacidium infestans) grössere Schäden, obwohl die Pflanzungen an südexponierten Hängen und im offenen Gelände ausgeführt worden sind. Die abgestorbenen dürren Triebe mussten regelmässig weggeschnitten werden. Die Nachpflanzungen waren nicht immer erfolgreich. Um eingegangene Arven ersetzen zu können, zog Theo Gerber in seinem Nufener Garten selbst Arven nach. Dies hatte den Vorteil, dass die Jungpflanzen bezüglich Provenienz und Klima den Verhältnissen im hinteren Rheinwald gut angepasst waren. Nur dank der regelmässigen Kontrolle der ausgeführten Pflanzungen konnte der langfristige Erfolg gewährleistet werden. Für verschiedene Arvenkulturen sind vom damaligen Kreisforstamt 14 kleine Aufforstungsprojekte ausgearbeitet worden. Mit dieser konstruktiven Zusammenarbeit entstand eine enge Freundschaft zwischen den Beteiligten. Einige der Pflanzungen konnten als Ersatzaufforstungsprojekte ausgeführt werden. Damit war deren Finanzierung ge-
sichert. Eine finanzielle Hilfe zur Realisation weiterer Pflanzungen trug die Göhner Stiftung mit einer Spende von 50 000 Franken bei. Auch andere Gönner und Sponsoren halfen bei der Finanzierung der Arvenpflanzungen und deren Unterhalt mit. Der 40 Jahre dauernde, freiwillige Einsatz von Theo Gerber zusammen mit seinen Freunden und Helfern im Rahmen des Projektes «Arven fürs Rheinwald» ist eine Erfolgsgeschichte und zur Nachahmung empfohlen. Dem Initiator und Vollzieher gebührt ein herzliches Dankeschön. Er beweist, dass die Liebe von Einzelpersonen zum Wald und zur Umgebung nachhaltige Auswirkungen für die kommenden Generationen haben kann.
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Interview mit Rolf Manser und Reinhard Schnidrig Keine Frage: «Wald und Wild» bleibt ein Dauerbrenner und beschäftigt Förster und Jäger nach wie vor. Bundesbern scheint manchmal weit weg von den Kantonen zu sein, auch betreffend der Thematik «Wald und Wild». Aber nicht nur deshalb hat sich der «Bündner Wald» mit Rolf Manser, dem höchsten Förster der Schweiz, und Reinhard Schnidrig, dem höchsten Jäger der Schweiz, unterhalten. Der «Bündner Wald» bedankt sich an dieser Stelle bestens für das offene und konstruktive Gespräch. BüWa: Können Sie den «Bündner Wald»-Lesern kurz Ihren persönlichen Bezug zu Wald und Wild schildern? Manser: Die Wald-Wild-Problematik begleitet mich seit dem Studium an der ETH, mal mehr, mal weniger. Erste Einblicke in die Verjüngungsproblematik im Gebirge erhielt ich während meines Praktikums in Vnà. Ein Höhepunkt war sicher die Ausarbeitung eines der sogenannten effor2-Pilotprogramme Wald/Wild mit den Kantonen Appenzell (jawohl – beide!) und St. Gallen. Dabei erarbeitete die damalige Eidg. Forstdirektion auch gleich noch ein eigenes ModellierungsInstrument, das WWMI (Wald-Wild-Management-Instrument). Bei der eigentlichen Jagdausübung hingegen muss ich passen; ich beschränke mich auf die Wildvertilgung, wenn das Fleisch auf dem Teller liegt … Schnidrig: Ich meinerseits habe früher als Sachbearbeiter beim ehemaligen BUWAL die Dossiers Huftiermanagement und Wald/Wild betreut. Ich habe in dieser Funktion viele Begehungen in Regionen mit Verjüngungsproblemen erlebt sowie Vorträge über die wildbiologisch richtige und jagdwirtschaftlich zielführende Jagdplanung gehalten. Später dann durfte ich die Erarbeitung der Vollzugshilfe Wald/ Wild des Bundes mitbetreuen und diese
im System der Programmvereinbarungen zwischen Bund und Kantonen nach dem neuen Finanzausgleich ( NFA ) integrieren. Und dann ich bin seit vielen Jahren aktiver Jäger. Auf der Jagd begegne ich nicht nur den Schwierigkeiten und Unvorhersagbarkeiten des Beutemachens, sondern sehe auch viele verschiedene Waldbilder und beobachte die «Handschriften» von Förstern. «Wald und Wild» sind in unter schiedlichen Abteilungen des BAFU zu finden, obwohl starke Berührungs-punkte offensichtlich sind. Können Sie Vor- und Nachteile dieser Organisationsform schildern? Manser: Die Abteilung Wald, welche ich leite, ist für die Synthese einer Waldpolitik verantwortlich. Dabei spielt die Schnittstelle Wald/Wild natürlich eine sehr wichtige Rolle, sei es betreffend des Lebensraums für das Wild, sei es bei ausbleibender Verjüngung. Die Zusammenarbeit in diesem Bereich ist gut. Es ist klar, und da mache ich keinen Hehl daraus, dass mit der neuen Organisation seit 2005 der Koordinationsaufwand dafür deutlich zugenommen hat. Aber wir nehmen diese Herausforderung sportlich. Schnidrig: Die Thematik Wald/Wild ist nur eine unter vielen, die uns in der Sektion Jagd, Fischerei, Waldbiodiversität beschäftigt. Die Aufgabe des Bundes beim Vollzug des eidgenössischen Jagdrechts ist stark auf den Schutz der Arten und Lebensräume ausgerichtet, und deshalb passen wir besser in die neue Abteilung, die die Biodiversität erhalten und deren nachhaltige Nutzung sichern will. Wie man sich auch organisiert, Schnitt- oder besser Nahtstellen gibt es immer. Die Rollen und Abläufe an diesen Nahtstellen gut zu definieren, ist die HerBündner Wald 6 /2012 83
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ausforderung. Und das haben wir, meine ich, ganz gut hinbekommen. Ein wichtiger und nicht zu vernachläs sigender Faktor bei der Thematik um Wald und Wild ist nach wie vor der Mensch. Spüren Sie beide in Bern den Puls draussen in der Praxis und wie schätzen Sie diesen ein? Manser: Ja, wir spüren den Puls, vor allem indirekt durch den Austausch bei Tagungen und Konferenzen sowie durch die Arbeitsgruppe Wald und Wildtiere des Schweizerischen Forstvereins und durch unsere «Jäger»-Mitarbeiter. Unsere Aufgabe ist es, die übergeordneten strategischen Ziele und die Umsetzungsinstrumente zu definieren und den Kantonen den nötigen Spielraum für die Umsetzung zu geben. Dies haben wir beispielsweise mit der neuen «Vollzugshilfe Wald und Wild» gemacht. Ein grosses Problem orten wir jedoch im unterschiedlichen Verständnis der Aufgaben und Kompetenzen. Im Bereich der Jagd hat der Bund direkte Vollzugskompetenzen nur bei den geschützten Tieren bzw. Tierarten. Weiteren Einfluss kann er nur indirekt über die Bestimmungen zur Waldverjüngung und damit über die Waldgesetzgebung nehmen. Allfällige Sanktionen des Bun-
des werden deshalb immer die Waldseite treffen. Das Jagdregal hingegen gibt den Kantonen heute schon die Kompetenz, den Bestimmungen zur Waldverjüngung durch entsprechend ausgestaltete Abschusspläne und Jagdbetriebsvorschriften Nachachtung zu verschaffen. Hier orte ich noch Verbesserungsbedarf. Schnidrig: Sowohl die Abteilung Wald wie auch unsere Sektion arbeiten sehr eng mit den kantonalen Fachstellen für Wald und Jagd zusammen. Unsere nationalen Konzeptionen werden immer gemeinsam mit den Kantonen, mit Experten aus der Wissenschaft und mit Praktikern erarbeitet. Und die Umsetzung derselben begleiten wir mit Monitoringprogrammen und Erfolgskontrollen. Wenn ein Instrument nicht haut oder trifft, wird es nachjustiert und neu eingeschossen. Und wir reden mit den Leuten. Die Unzufriedenen melden sich bei uns ganz von selber, und andere treffen wir im Wald, besonders im Herbst, die einen mit Flinte, die andern mit der Motorsäge. Zurzeit, meine ich, ist der Puls dieser Praktiker grossflächig ruhig, regional aber erhöht oder steigend, insbesondere in Gegenden, wo der Rothirsch neu einwandert. Der Puls von Jägern und Förstern wird in unserem Land aktuell weniger von der Wald-Wild-Frage
Interview-Partner Rolf Manser Seit Februar 2007 ist Rolf Manser Leiter der Abteilung «Wald» im BAFU und ist somit auch gleichzeitig Vorsitzender der Geschäftsleitung. Richard Schnidrig Seit Juli 2005 ist Reinhard Schnidrig Leiter der Sektion «Jagd, Fischerei und Waldbiodiversität» und stellvertretender Leiter der Abteilung «Arten, Ökosysteme, Landschaften» im BAFU.
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getrieben, als von der Grossraubtierfrage oder jener nach dem Holzpreis. Das Konfliktpotenzial wird je nach Stand punkt oft ganz unterschiedlich beurteilt und definiert. Wie schätzen Sie die momentane Situation dazu ein? Manser: Die momentane Situation ist aus meiner Sicht je nach Landesgegend und je nach Baumart nicht befriedigend gelöst. Wir haben in letzter Zeit wieder vermehrt mit Reklamationen von Förstern zu tun, die sich über zu wenig Verjüngung aufgrund der zu hohen Schalenwildbestände beklagen. Trotz der waldbaulichen Massnahmen ist es nicht überall möglich, Weisstannen, Bergahorne usw. zu verjüngen oder nur mithilfe von Zäunen oder Einzelschützen. Gerade bei der Weisstanne könnte das Problem akut werden, wenn wir sie in unseren Wäldern nicht mehr haben. Schnidrig: Die Basisregulierung der Schalenwildbestände ist heute in fast allen Kantonen sehr gut organisiert. Die Anpassung der Bestände an die vorhandene Lebensraumkapazität ist überall akzeptierte Grundstrategie. Aber klar, die Regulationsjagd ist und bleibt eine konstante Aufgabe, die mal besser, mal weniger gut gelingt. Und es gibt nach wie vor Regionen mit Problemen bei der Waldverjüngung. Insbesondere im Schutzwald müssen wir natürlich heute achtsam sein, dass wir nicht morgen Probleme mit teurem Geld lösen müssen. Aber wir haben meines Erachtens heute nicht wirklich grossflächig Wald-Wild-Probleme. Auf kleinerem Raum, in Schutzgebieten oder in klimatisch guten Wintereinständen, wird sich das Wild immer wieder konzentrieren und entsprechend die Waldvegetation beeinflussen. Hier braucht es lokal angepasste Lösungen, die beileibe nicht immer Kimme & Korn bedeuten. In den Wintereinstän-
Der höchste Förster der Schweiz: Rolf Manser, Leiter der Abteilung «Wald» im BAFU. (Bild: Bundesamt für Umwelt BAFU)
den beispielsweise braucht es Wildruhezonen, denn Ruhe im Winter ist die beste Fütterung, nicht verlorene Energiereserven heisst weniger fressen. In der Schweiz sind Waldeigentum und Jagdbarkeit getrennt, einige Staaten in Europa haben die Jagd ans Eigen tum gekoppelt. Wo sehen Sie hier Vorund Nachteile? Manser: Da bin ich nicht Spezialist. Ich kann mir aber vorstellen, dass das direkte Interesse an einem nachhaltigen Wildbestand höher ist, wenn ich gleichzeitig verantwortlich bin für die Waldverjüngung und damit die langfristige Sicherstellung des Waldkapitals. Schnidrig: Unsere Vorfahren haben weise gewählt, meine ich. Und das Resultat dieser Bündner Wald 6/2012 85
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interessen einiger weniger. So haben aber beispielsweise auch die geschützten grossen Beutegreifer wie Luchs und Wolf wieder eine Chance zurückzukehren.
Der höchste Jäger der Schweiz: Reinhard Schnidrig, Leiter der Sektion «Jagd, Fischerei und Waldbiodi versität» im BAFU. (Bild: Bundesamt für Umwelt BAFU)
Entscheidung aus dem vorletzten Jahrhun dert lässt sich sehen. Wir haben schöne Wäl der, die sich heute weitgehend natürlich ver jüngen können. Und wir haben angepasste Wildbestände, die auch eine attraktive und vor allem zahlbare Volksjagd ermöglichen. Wir brauchen weder Winterfütterungen noch Rotwildgatter. Unser Motto heisst: Wald UND Wild, nicht das eine vor dem andern. Das Wichtige in unserer Verfas sung ist eigentlich nicht die Trennung von Waldeigentum und Jagdbarkeit, sondern die Zuteilung des jagdlichen Nutzungsregals an die Kantone – statt an private, besitzende Hände. Damit kann beispielsweise die öf fentliche Hand die Wildregulierung steuern und nicht die oft partikularen Nutzungs
Aus Forst und Jagd ergeben sich viele Synergien, die oft nicht erkannt und (bewusst oder unbewusst) über sehen werden. Wo sehen Sie beide wichtige gemeinsame «Kampflinien»? Manser: Sowohl Waldbewirtschaftung als auch Jagd nutzen die Natur. Beide Seiten sind überzeugt, dass mit einer «richtigen» Nutzung der Natur auch ein wichtiger Bei trag zum Schutz der Natur gemacht werden kann. Wald und Jagd stehen damit in di rektem Gegensatz zu den Strömungen, die Natur mit absolutem Schutz konservieren möchten. In Zukunft gilt es aufgrund dieser gemeinsamen Basis glaubwürdige «Natur nutzungskonzepte» den einseitigen Schutz bestrebungen gegenüberzustellen (statt sich gegenseitig anzugreifen). Zudem kön nen Waldbewirtschaftung und Jagd durch eine intensive Erholungsnutzung stark ein geschränkt werden. Je nach Situation sind gemeinsam vereinbarte Lenkungsmassnah men erforderlich, um ein besseres Neben einander der verschiedenen Nutzungen zu erreichen. Schnidrig: Ja, es gibt deutlich mehr Syner gien als Gegensätze. Beide lieben es, draus sen zu sein. Beide setzen sich ein für densel ben Drittel Landesfläche. Beide praktizieren ein Handwerk, das Übung verlangt. Beide müssen sie das Nutzen erklären, der eine jenes mit der Kugel, der andere jenes mit der Säge. Beide haben ein verbrieftes Recht zu verteidigen. Und beide können mit dem Zusammengehen viel mehr erreichen als al leine. Es braucht eine tannengrüne Umweltalli anz, die mit einer Stimme spricht, die über
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den Schutz der Waldflächen, der Lebensräume des Wildes, über die Benutzung von Forststrassen und Wildruhezonen redet. Spüren Sie von Waldseite her konkrete Hoffnungen bezüglich der inzwischen fortgeschrittenen Ausbreitung des Grossraubwildes? Manser: Die Grossraubtiere gehören zum Lebensraum Wald und damit zur Biodiversität wie alle anderen einheimischen Tiere auch. Gleichzeitig könnten sie einen messbaren Einfluss auf die Regulierung der Schalenwildbestände ausüben. Aus diesen Gründen begrüssen wir die Rückkehr dieser Tiere sehr. Wir sehen in gewissen Regionen der Schweiz, wo Luchse leben, eine Entspannung und somit eine verbesserte Situation betreffend Waldverjüngung in den Wäldern. Weisstannen und Bergahorne sind wieder vermehrt zu sehen. Allerdings braucht es wohl noch einige Jahre (und einige Wolfsrudel …), bis grossflächig eine messbare Wirkung eintritt. Die Waldseite hat sich bis anhin sehr defensiv verhalten und auch nicht öffentlich geäussert, wenn zuweilen sehr polemisch über die Ausbreitung der Grossraubtiere berichtet wird. Das finde ich sehr schade. Erfreulich ist es daher, dass sich der Schweizerische Forstverein kürzlich mit einer Art «Willkommensbotschaft» an die Medien gewandt hat. Meines Erachtens haben hier die Förster auch eine Aufgabe, aktiv auf die Jägerschaft zuzugehen und mit ihnen zusammen einen bejahenden Umgang mit diesen Tieren aufzubauen. Schnidrig: Luchs und Wolf sind da, und sie werden bleiben. Sie werden sich weiter ausbreiten und mit der Zeit auch als normale «Elemente» des natürlichen Ökosystems betrachtet werden. Aber wie gesagt,
das braucht Zeit. Dass sich die Förster endlich auch öffentlich wahrnehmbar für die Rückkehr der Grossraubtiere aussprechen, freut auch mich. Die indigenen Stämme Nordamerkikas sagen: Wo Luchs und Wolf gehen, wächst der Wald. Das stimmt sicher, aber ich möchte auch davor warnen, bei uns allzu grosse Hoffnungen auf die Krallentiere als Wildregulatoren zu setzen. Eine Kulturlandschaft erträgt nicht so hohe Prädatorendichten, als dass sie die menschlichen Jäger ersetzen könnten. Ich bin sicher, in der Schweiz wird einerseits trotz Luchs und Wolf auf der grossen Fläche genügend Wild für eine attraktive Jagd bleiben, und andererseits wird die Regulation insbesondere von Rothirsch und Wildschwein immer «Die Bestände müssen an die vorhandene Lebensraumkapazität angepasst werden – die Jagd ist und bleibt dabei eine konstante Aufgabe.» (Bild: naturpix.ch/k.gansner)
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Aufgabe der Jäger sein. Das BAFU möchte seinen Teil dazu beitragen, dass ein Miteinander von Grossraubtieren, Jagd und natürlicher Waldverjüngung möglich ist. Der gedeckte Tisch der Waldzukunft braucht alle drei Beine, damit er nicht wackelt. Können Sie den «Bündner Wald»Lesern Ihre persönliche Vision zur zukünftigen Entwicklung der Wald-WildThematik schildern? Manser: Meine Vision deckt sich mit dem Bundesrat, der mit der Waldpolitik 2020 folgendes Ziel formuliert: Der Wald bietet den Wildtieren ausreichend Lebensraum und Ruhe. Die Wildbestände sind an ihre Lebensräume angepasst und haben eine natürliche Alters- und Geschlechterverteilung. Die natürliche Verjüngung der Wälder mit standortgerechten Baumarten wird durch die Wildhuftiere nicht verhindert. Um dies zu erreichen, sehe ich einen wichtigen Schritt in der Anpassung von kantonalen Jagdbetriebsvorschriften. Oftmals fehlt dort eine klare Zielsetzung, welche mit der Waldseite ausgehandelt werden kann. Auf der Waldseite erwarte ich Verständnis für die Anliegen der Jägerschaft, einen nachhaltigen Wildbestand auch zu nutzen. Die Zielsetzung des eingangs erwähnten effor2-Pilotprogramms war, dass Wald und Wild im Gleichgewicht stehen. Die Ziele konnten nur teilweise erreicht werden, aber das Wichtigste war der gemeinsame Weg dazu. Wir haben schon viel erreicht, wenn
Förster und Jäger zusammen am Tisch sitzen und gemeinsame Strategien entwerfen und anschliessend umsetzen. «Me muess halt rede mitenand!» Schnidrig: Wald und Wild haben denselben Wortstamm, und sie gehören auch draussen zusammen. Ein naturnaher Waldbau mit auf die Förderung der standortheimischen Baumarten ausgerichteten Jungwaldpflege wird einen vielfältigen Lebensraum schaffen für gute Wildbestände, die Basis sind für eine attraktive Volksjagd nach schweizerischer Prägung und eine mittlere Dichte von auf die grosse Fläche verteilten Luchsen und Wölfen. Und es ist meine Hoffnung, dass die ländliche Bevölkerung diesen grossen Beutegreifern den Platz einräumt, den sie im Gefüge von Wald und Wild verdienen. Weiter wünsche ich mir, dass die städtische Bevölkerung akzeptiert, dass wir in der Kulturlandschaft dann am Ende auch die Möglicheit haben müssen, Luchs und Wolf zu regulieren – damit wir für alle erträgliche Gleichgewichte zwischen Wald, Wild und Grossraubtieren sowie zwischen der Waldverjüngung und der Jagd erhalten.
Nina Hemmi SELVA Bahnhofplatz 1, 7302 Landquart nina.hemmi@selva-gr.ch
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Untersuchung zum Höhenwachstum der Weisstanne Vergleich zwischen Nord- und Südbünden Die Weisstanne (Abies alba) ist eine Baumart, über welche in den letzten Jahren viel und kontrovers diskutiert wurde. Ihre grosse Bedeutung und Notwendigkeit im Gebirgswald wird mittlerweile in Fachkreisen anerkannt. Zum einen nimmt die Weisstanne durch ihre Durchwurzelungstiefe und Resistenz gegenüber Rotfäule vor allem in den Schutzwäldern eine besondere Rolle ein, zum anderen steht sie bei den Schalenwildarten zuoberst auf dem Speiseplan. Trotz der Bestandesregulierung von Rothirsch, Gämse und Reh ist die Weisstannenverjüngung in Graubünden in weiten Teilen ihres natürlichen Verbreitungsschwerpunktes selten, bzw. sie fällt oft ganz aus (Amt für Wald Graubünden 2008 ). Es kommt an vielen Orten seit mehreren Jahrzehnten innerhalb des natürlichen Verbreitungsgebietes keine ausreichende Weisstannenverjüngung mehr vor (Amt für Wald Graubünden und Amt für Jagd und Fischerei Graubünden 2008 ). Zusammenhängende Weisstannenverjüngungen kommen im Kanton Graubünden noch in den südlichen Gebieten (Poschiavo, Bergell und Mesolcina) vor. Im Norden sind sie spärlich vorhanden. Als typische Schattenbaumart kommt die Weisstanne mit wenig Licht aus, wobei der Literatur zu entnehmen ist, dass sie im Süden mehr Licht benötigt als jene aus dem Norden (Frey 2003 ). Im Rahmen einer Bachelorarbeit an der Fachhochschule in Zollikofen wurde 2011 anhand zweier Untersuchungsgebiete das Wachstum der Weisstannenverjüngung genauer untersucht. Dabei wurde ein Gebiet südlich des San Bernardino (GR) im Bosch Nadi (Sta. Maria im Calancatal) mit einem nördlichen (Staderas, Laax) verglichen. Es wurden Zusammenhänge zwischen dem Höhenwachstum und der Sonnenscheindauer sowie dem diffu-
sen Lichtanteil analysiert, um diesbezüglich Vergleiche zwischen den Untersuchungsgebieten zu ziehen. Lichtmessung mittels hemisphärischen Fotos Um die Lichtverhältnisse der einzelnen Weisstannen zu erheben, wurde eine Hemisphäre-Fotokamera mit dazugehöriger Software (Hemiview) benutzt (Abb. 1 ). Mit der hemisphärischen Fotokamera wird das Kronendach senkrecht von unten fotografiert. Das Fischaugenobjektiv bildet dabei 180 ° seiner Umgebung ab. Mit der Software Hemiview kann dann u. a. die Sonnenscheindauer im Juni oder das diffuse Licht anhand der digitalen Bilder ermittelt werden. So wurden an Standorten mit unterschiedlichen Lichtverhältnissen Aufnahmen durchgeführt. Dabei wurde sowohl die Sonnenscheindauer als auch das diffuse Licht gemessen. Die Kamera wurde jeweils genau oberhalb der zu messenden Tanne aufgestellt, damit die Lichtverhältnisse so genau wie möglich für die entsprechende Tanne übereinstimmten. Wurde eine grössere Gruppe Weisstannen gefunden, wurde das Stativ in der Mitte dieser Gruppe aufgestellt, sodass mit einem Foto mehrere Abbildung 1: Aufgestellte hemisphärische Kamera zwischen zwei Weisstannen im Untersuchungs gebiet Staderas (Laax). (Bild: Damian Cadotsch)
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Weisstannen aufgenommen werden konnten (Abb. 1 ). Anschliessend wurde auf den gleichen Standorten der Höhenzuwachs der aufgenommenen Weisstannen über die letzten drei Jahre gemessen. Dabei ist zu erwähnen, dass Tannen, welche in den letzten drei Jahren fehlende, verbissene oder durch andere Einflüsse zerstörte Gipfeltriebe aufwiesen, nicht aufgenommen wurden. So konnte das ungestörte Höhenwachstum von 662 Bäumen der letzten drei Jahre aufgenommen werden ( 289 in Staderas, 373 im Bosch Nadi). In einem weiteren Schritt wurden Zusammenhänge zwischen unterschiedlichen Lichtverhältnissen und gemessenen Zuwächsen gesucht und diesbezüglich Vergleiche zwischen den Untersuchungsgebieten herangezogen. Zusammenhang von Höhenwachstum, Lichtangebot und Baumhöhe Aus den Ergebnissen geht hervor, dass Zusammenhänge zwischen dem HöhenwachsAbbildung 2: Höhenwachstum entlang ver schiedener Lichtgradienten am Beispiel der Son nenscheindauer im Juni im Untersuchungsgebiet Staderas (Laax). (Bild: Damian Cadotsch)
Höhenwachstum_in_cm
25.00
18.75
12.50
6.25
0.00
0-0.9 h
1-1.9 h
2-2.9 h
>3 h
Sonnenscheindauer_in_Stunden
tum und der Sonnenscheindauer im Juni sowie Zusammenhänge zwischen dem Höhenwachstum und dem diffusen Lichtanteil bestehen. Dies zeigt sich sowohl für das Untersuchungsgebiet Bosch Nadi (Sta. Maria im Calancatal) als auch für das Untersuchungsgebiet Staderas in Laax. Anhand der Boxplot-Darstellung ist am Beispiel der Sonnenscheindauer im Untersuchungsgebiet Staderas (Laax) zu erkennen, dass das Höhenwachstum mit zunehmendem Lichtangebot tendenziell zunimmt (Abb. 2 ). Im Weiteren konnte festgestellt werden, dass der Höhenzuwachs von der Baumhöhe abhängig ist (Abb. 3 ). In der Aufwuchs phase nimmt der Höhenzuwachs mit zunehmender Baumhöhe zu. Folglich konnten bei kleineren Bäumchen nur geringfügige Zuwachsunterschiede festgestellt werden. Mit der potenziellen Trendlinie können die Daten aufgrund des höchsten Bestimmtheitsmasses am besten beschrieben werden. Damit lassen sich im Untersuchungsgebiet Bosch Nadi 62 % des Zuwachses mit der Gesamthöhe erklären. Dies konnte wiederum bei beiden Untersuchungsgebieten aufgezeigt werden, wobei ähnliche Tendenzen zu erkennen waren. Aus den Ergebnissen geht in beiden Untersuchungsgebieten hervor, dass die Faktoren Baumhöhe, Zuwachs und Lichtgradient eng untereinander zusammenhängen und diese nicht isoliert voneinander betrachtet werden können. Vergleich zwischen Staderas (Nord) und Sta. Maria (Süd) Um die Höhenzuwächse der jeweiligen Lichtgradienten der beiden Gebiete miteinander vergleichen zu können, wurde jeweils der Median der jeweiligen Zuwächse als Referenz genommen. Der Vergleich zwischen den beiden Untersuchungsgebieten zeigt,
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kl2 Lichtgradient Staderas 0-0.9 h 16
Bosch Nadi 10.5
Abbildung 3: Abhängigkeit des Zuwachses mit der Baumhöhe über am11 Beispiel des 1-1.9 alle h Lichtgradienten 14 Untersuchungsgebietes Bosch Nadi. (Bild: Damian Cadotsch) 2-2.9 h
14.5
können die Aussagen von Frey ( 2003 ), dass die Weisstannen im Süden mehr Licht benötigen als die Tannen im Norden, für die zwei Untersuchungsgebiete tendenziell bestätigt werden, obschon die Standortverhältnisse nicht genau die gleichen sind. Abbildung 4: Höhenzuwachsvergleich zwischen den Untersuchungsgebieten Staderas und Bosch Nadi am Beispiel der Sonnenscheindauer im Juni bei Weisstannen in der Aufwuchsphase. (Bild: Damian Cadotsch) 25
Höhenzuwachs (cm)
dass Weisstannen des Bosch Nadi (Süd) einen tendenziell geringeren Zuwachs bei gleichem Lichtangebot generieren als jene in Staderas (Nord). Dies zeigt sich sowohl bei der Sonnenscheindauer als auch beim diffusen Lichtanteil. Wiederum zeigt sich, dass der Höhenzuwachs von der Baumhöhe abhängig ist. Folglich konnten bei Weisstannen in der Anwuchsphase nur geringfügige Unterschiede festgestellt werden. Wie nachfolgende Abbildung am Beispiel der Sonnenscheindauer zeigt (Abb. 4 ), sind die Unterschiede zwischen den Untersuchungsgebieten bei Weisstannen in der Aufwuchsphase beachtlich. Folglich kann aus den Ergebnissen geschlossen werden, dass die Weisstannen des Bosch Nadi einen höheren Lichtanspruch aufweisen um die gleichen Zuwächse zu generieren wie die Tannen des Untersuchungsgebietes in Staderas. Aufgrund dieser Ergebnisse
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20 15 Staderas
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Bosch Nadi 5 0 0-0.9 h
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Sonnenscheindauer (Std.)
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Schlussfolgerungen Die vorliegende Arbeit zeigt auf, dass das Höhenwachstum stark mit dem Licht zusammenhängt, indem der Höhenzuwachs mit zunehmendem Lichtangebot zunimmt. Es ist aber zu bedenken, dass der Höhenzuwachs nicht nur auf das Licht beschränkt werden kann, sondern von verschiedenen Faktoren wie z. B. geologischem Untergrund, Boden, Exposition, Meereshöhe und Klima abhängig ist und diese eng zusammenhängen. Die untersuchten Flächen unterscheiden nicht nur in ihrer Lage (Süd-Nord), sondern auch bezüglich der Standortfaktoren. Im Norden Graubündens war es zudem schwierig, eine flächendeckende Weisstannenverjüngung zu finden, was die Untersuchungsmöglichkeiten einschränkte. Die Fläche Staderas (Laax) war die einzige Fläche mit geringem Verbiss, die gefunden wurde. Um die verschiedenen Standortfaktoren ausschliessen zu können, müssten Saatversuche auf einem einheitlichen Substrat durchgeführt werden, was in dieser Arbeit nicht möglich war. Ein anderer Ansatz, die Fragestellung zu beantworten, ist die Analyse des Wachstums der Tanne in Kontrollzäunen. Der Beitrag von Ueli Bühler (Seite 54 in diesem Heft) zeigt Resultate aus dem Bündner Kontrollzaunprojekt. Trotz den schwierigen Umständen konnten in der vorliegenden Untersuchung einige wichtige Erkenntnisse und Tendenzen gewonnen werden, auch wenn bezüglich Nord- und Südbünden keine verallgemeinernden Aussagen gemacht werden können.
Literatur – Frey H.-U. ( 2003 ): Die Verbreitung und die waldbauliche Bedeutung der Weisstanne in den Zwischenalpen. Ein Beitrag für die waldbauliche Praxis. Schweiz. Z. Forstwesen Nr. 3 – 4, S. 90 – 98. – Amt für Wald Graubünden ( 2008 ): Die Weisstanne – Gefährdete Gigantin. Merkblatt Weisstanne – Amt für Wald Graubünden und Amt für Jagd und Fischerei Graubünden ( 2008 ): Aktionsprogramm Weisstanne. Eine Kampagne zur Förderung der Weisstannenverjüngung
Damian Cadotsch Forstingenieur BsC FH Veia Barnagn 13, 7460 Savognin c.damian@gmx.ch
Jean-Jacques Thormann Hochschule für Agrar-, Forst- und Lebensmittelwissenschaten HAFL jean-jacques.thormann@bfh.ch
Dr. Ueli Bühler Amt für Wald und Naturgefahren Loëstrasse 14, 7001 Chur ueli.buehler@awn.gr.ch
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Buchbesprechung «Tatort Wald» Georg Meister und sein Kampf für unsere Wälder Das Thema überhöhter Schalenwildbestände, welche die Verjüngung der Tanne und Vogelbeere, vielerorts auch des Bergahorns und teilweise der Buche ohne Zaun oder Einzelschutz verunmöglichen, ist in Graubünden seit mindestens 40 Jahren ein Dauerbrenner. Mit der Ausbreitung des Rotwildes in westliche Richtung wurden Verbiss- und Schälschäden bald auch in anderen Kantonen zum forstlichen Tagesgespräch. Wie fatal fehlende Mischwälder aus standortheimischen Baumarten sein können, führen uns Diskussionen über die fortschreitende Klimaerwärmung vor Augen. In «Tatort Wald» gibt uns der Umweltjournalist Claus-Peter Lieckfeld einen Abriss deutscher Jagdgeschichte der vergangenen 75 Jahre. Oberstes Ziel des Bundesjagdgesetzes ist die Gewährleistung der Trophäenjagd. Dies setzt hohe Wildbestände voraus, damit möglichst viele «Einserböcke» heranwachsen können. Abschuss der besten Trophäen wird verbunden mit Prestige und Wertschätzung des Jägers und an den jährlichen Trophäenschauen entsprechend hochstilisiert. Trophäenjagd ist den (nicht zahlenden) höheren Forstbeamten und auserwählten Gästen vorbehalten. Zu wenige Trophäen in der Abschussstatistik wird gleichgesetzt mit zu wenig Wild. Forderungen nach erhöhten Abschüssen respektive Regulierung der Wildbestände werden von der übermächtigen Jagdlobby kategorisch mit «Wildausrottung» quittiert. Wie ein vor Kurzem erstelltes Gutachten des Bundesamtes für Naturschutz nachweist, ist der Wald-Wild-Konflikt in Deutschland nach wie vor ungelöst. Noch immer verhindert der Wildverbiss landesweit auf grossen Flächen die natürliche Verjüngung von stabilen Mischwäldern. Sind es im Schwarz-
Lieckfeld, C.-P.: 2012. Tatort Wald. – Georg Meister und sein Kampf für unsere Wälder. WestendVerlag Frankfurt/Main. 2., vollständig überarbeitete Auflage. 272 S. Fr. 32.90. ISBN : 978-3-86489-012-3
wald beispielsweise Aufforstungen nach sogenannten Reparationshieben der Alliierten des 2. Weltkrieges, in welchen die Fichten zurückbleiben, so werden in Berglagen der Bayerischen Alpen die aufkommenden Tannen, Buchen und Ahorne vom Hirsch-, Rehund Gamswild durch Verbiss systematisch «herausgekämmt». Wer gegen den Strom der Jagdlobby schwimmt, wird dauernd diffamiert und kaltgestellt. Die Drückeberger unter den Förstern, die sogenannten Jagdförster, welche nicht den elenden Zustand der Waldverjüngung an den Pranger stellen, sind gemäss «Tatort Wald» bei Weitem in der Überzahl. Einer der wenigen, welche den Mut hatten, den Kampf mit den Trophäenjägern und den Bündner Wald 6 /2012 93
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Behörden sowie den schweigenden Berufskollegen aufzunehmen, ist Georg Meister. Von Kindsbeinen an ein überzeugter Jäger und einst erzogen zur waidgerechten Jagd, öffnet er die Augen während seines Forststudiums in München. Einen vertieften Einblick in die schwerwiegenden Konsequenzen für den naturnahen Waldbau und damit für die nachhaltige Erfüllung der Waldfunktionen erhält er während der Referendarzeit, bei der Standortskartierung und später als Forsteinrichter in den Bergwäldern Bayerns. Meister kritisiert nicht nur die jagdlichen Privilegien der Förster und der höheren Forstbeamten aufs Schärfste, sondern auch das Jagdsystem generell, welches das längst überholte Reichsjagdgesetz von 1934 fortschreibt. ANZEIGE
Als unangenehmer Kritiker seiner Berufskollegen, welche sich in der Ausübung ihrer Privilegien bedroht fühlen, wird er mehrmals gewarnt, zwangsversetzt, zwischenzeitlich mit der Schaffung des Nationalparks Berchtesgaden beauftragt und schliesslich als Leiter des Forstamtes Bad Reichenhall berufen. Dort hat er Gelegenheit, naturnahen Waldbau in die Praxis umzusetzen und seinem Personal erhöhte Wildabschüsse zu «verordnen». Entsprechende Erfolge im Wald gelten heute als Vorzeigeobjekte. Gleichzeitig bot sich ihm Gelegenheit, seine Argumente mit praktischen Erfahrungen in Gebirgswäldern zu untermauern und mit vergleichendem Bildmaterial zu dokumentieren. Georg Meister wurde für seine Verdienste durch höchste Auszeichnungen geehrt. Noch immer, mit heute 83 Jahren, ist er ein gefragter Referent an Veranstaltungen und in Hochschulen. Das Buch liest sich phasenweise wie ein Krimi. Verantwortungslose Machenschaften der Jagdlobby werden offen dargelegt, Personen in hohen Positionen mit Namen genannt. Gleichzeitig stellt es auch ein Porträt über das Wirken des Forstmannes Georg Meister dar – gewissermassen ein Heldenepos, ist man versucht zu sagen. Doch bei Meister selber steht nicht seine Person, sondern stets der Wald für unsere Enkel und Urenkel im Vordergrund. Das vorliegende «Geschichtsbuch» kann allen zur Lektüre empfohlen werden, denen ein Miteinander von Wald und Wild am Herzen liegt.
Ruedi Zuber
Handholzerkurs in Trin GR 8.-13. April 2013 www.bergwaldprojekt.org
Teuchelweg 2 7000 Chur ruedi.zuber@spin.ch
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Vorschau «Bündner Wald» Februar 2013 «Wald- und Naturpädagogik» In einer Zeit, in der sich unsere Gesellschaft immer weiter von der Natur entfernt oder diese nur noch als «Outdoor-Arena» wahrnimmt, scheint die Umweltbildung einen immer höheren Stellenwert einzunehmen. In unserer Schwerpunktnummer zu diesem Thema bewegen wir uns bewusst nicht nur in Forstkreisen. Es gibt hier auch andere «Anbieter». Und wenn wir voneinander wissen, lässt sich vielleicht sogar die eine oder andere neue Kooperation aufbauen …
Vorschau auf die nächsten Nummern: April 2013: Versammlungsnummer Verein Graubünden Wald Redaktion: Sandro Krättli Juni 2013: Holzverarbeitung Redaktion: Jörg Clavadetscher
Redaktion: Jörg Clavadetscher
Herausgegeben von Graubünden Wald, Amt für Wald und Naturgefahren Graubünden und der SELVA. Verleger: Südostschweiz Presse und Print AG, Südostschweiz Print, CH-7007 Chur Sekretariat: SELVA, Christophe Trüb, Bahnhofplatz 1, CH-7302 Landquart, Telefon + 41 (0) 81 300 22 44, buendnerwald @ selva-gr.ch Redaktoren: Jörg Clava detscher, Revier forestal da Val Müstair, CH-7535 Valchava, Telefon + 41 (0) 81 858 58 21, forestal-muestair @ bluewin.ch. Sandro Krättli, AWN GR, Sagastägstrasse 96, CH-7220 Schiers, Telefon + 41 (0) 81 300 24 11, sandro.kraettli @ awn.gr.ch. Die Redaktion behält sich vor, Beiträge in nicht verlangter Form ohne Rückfrage zu ändern Druckvorstufe (Satz, Lithos, Belichtung) : Südostschweiz Presse und Print AG, Südostschweiz Print, Kayleigh Leiser Druck: Südostschweiz Presse und Print AG, Südostschweiz Print, Postfach 508, Kasernenstrasse 1, CH-7007 Chur, Telefon + 41 (0) 81 255 51 11, Fax + 41 (0) 81 255 52 89. Erscheint sechsmal jährlich. Auflage 1700 Exemplare Inserate: Südostschweiz Publicitas AG, Neudorfstrasse 17, CH-7430 Thusis, Telefon + 41 (0) 81 650 00 70, Fax + 41 (0) 81 650 00 74, thusis@so-publicitas.ch Abonnementspreise: CHF 60.– (für Mitglieder Verein Graubünden Wald) Abonnemente/Adressänderungen: Südostschweiz Presse und Print AG, Südostschweiz Presse, Postfach 508, Administration, Kasernenstrasse 1, CH-7007 Chur, Telefon + 41 (0) 81 255 50 50, www.buendnerwald.ch Für Inseratetexte übernimmt die Redaktion keine Verantwortung, auch muss die Meinung der Beiträge nicht mit der Ansicht der Redaktoren übereinstimmen. Autoren, die zu obenstehenden Themen publizieren möchten, sind herzlich eingeladen, ihre Vorschläge der Redaktion einzureichen.
Swiss Climate
Klimaneutral gedruckt
SC2012011004 • www.swissclimate.ch
Bündner Wald 6 /2012 95
BUWA1206_095 95
30.11.12 09:53
Hans Andreas Valär, Agrischa
Unsere Natur. Unser Beitrag. Unser Graubünden. Hans Andreas Valär gibt Graubünden Leben. Wir geben ihm unsere Unterstützung. Täglich setzen sich Menschen vor und hinter den Kulissen für noch mehr Lebensqualität in Graubünden ein. Weil wir dieses Ziel mit ihnen teilen, engagieren wir uns jedes Jahr bei über 300 Bündner Projekten in Kultur, Sport, Wirtschaft und Sozialem. Wir sind stolz, auf diesem Weg zur Vielfalt und zur Identität Graubündens beizutragen.
Gemeinsam wachsen. www.gkb.ch/engagements
BUWA1206_096 96
30.11.12 09:53